Der ehrliche Finder: Roman

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Rezensionen zu "Der ehrliche Finder: Roman"

  1. Freundschaft und vieles mehr

    Wie entsteht eine Freundschaft? Üblicherweise durch Gemeinsamkeiten! Und die haben der 9jährige Jimmy und der 11jährige Tristan im (fiktiven) Bovenmeer, Belgien – beide machen eine schwere Zeit durch. Deshalb setzte die Lehrerin auch beide vor gut einem Jahr zusammen, als Tristan neu in der Klasse dazukommt.
    Jimmys Vater hatte einen Monat vorher die Familie verlassen, mit ‚Dreck am Stecken‘, und er ruft auch nie an. Tristan hat eine Flucht aus dem Nordwesten des Kosovo hinter sich, mit viel Strapazen und dramatischen Szenen.

    Der große Unterschied bei den beiden: Tristan hat 7 Geschwister (das jüngste noch ein Säugling) – der starke Verbund der Familie ist intensiv zu spüren, am deutlichsten bei der Übernachtung bei ihnen! Jimmy ist Einzelkind und seine Mutter mit sich selbst beschäftigt. Er ist dadurch auch zum Eigenbrötler geworden und geht auf im Sammeln der Flippos (kleine bunte Plastikscheiben mit diversen Themen bedruckt, und in Chipstüten versteckt).

    Wir lesen, wie Jimmy sich in dieser Freundschaft engagiert, aber auch wie unterschiedlich die Dorfgemeinschaft auf die geflüchtete Kosovo-Familie reagiert. Als diese den Ausweisungsbescheid bekommt, hecken Tristan und seine 12jährige Schwester Jetmira einen Plan aus, in dem Jimmy eine wichtige Rolle spielt. Sogar eine Prüfung muss er dafür vor beiden ablegen.

    Von diesem Zeitpunkt konnte ich das Buch überhaupt nicht mehr aus der Hand legen, so spannend war es! Das Ende hat mich sehr aufgewühlt und es wird mich noch eine ganze Weile beschäftigen (noch dazu, weil dieser Roman von einer wahren Geschichte inspiriert wurde). Ich möchte dieses kurze, aber inhaltsschwere Werk – von Helga van Beuningen übersetzt - am liebsten allen ans Herz drücken. Ich kann es mir auch sehr gut als Schullektüre vorstellen, unsere Enkelkinder bekommen es auf jeden Fall bei nächster Gelegenheit als Geschenk. Wenn die Möglichkeit bestünde, würde ich auch gerne mehr als die möglichen 5 Rezensions-Sterne vergeben!

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  1. 5
    02. Apr 2024 

    Freundschaft vor dem Hintergrund großer Probleme

    Lize Spit „ Der ehrliche Finder“ ( 2023/2024)

    Lize Spit ist eine flämische Autorin, die mit ihren ersten beiden Romanen nicht nur in ihrer Heimat sehr erfolgreich war. Beide sind sehr umfangreich und düster. Ihr neuester Roman fällt aus der Reihe, ist er doch im Gegensatz sehr schmal und sehr warmherzig. Der geringe Umfang liegt daran, dass „ Der ehrliche Finder“ eine Auftragsarbeit war. Lize Spit sollte das Buch zur alljährlichen Bücherwoche 2023 schreiben. Das sog.„ Boekenweekgeschenk“ ( Bücherwochengeschenk) wird während dieser Woche jedes Jahr im März von niederländischen Buchhändlern an ihre Kunden verschenkt. Meist handelt es sich dabei um eine Novelle.
    Und diese Gattungsbezeichnung passt hier, auch wenn der Verlag dem Buch das Etikett „ Roman“ gegeben hat.
    Die Geschichte spielt in den 1990er Jahren in der fiktiven Ortschaft Bovenmeer in Belgien. Hier wohnt der neunjährige Jimmy, ein Einzelgänger und Außenseiter, allein mit seiner Mutter. Seine Familie hat einen schweren Stand im Dorf, denn der Vater, ein Steuerberater, hat einige Menschen hier mit dubiosen Geschäften um ihr Geld gebracht. Jimmy ist sensibel und klug, ein eifriger Sammler und Sachensucher. Sein ganzer Stolz ist seine Flippo-Sammlung. Flippos sind kleine Scheiben mit Sammelbildern, die in Chipstüten zu finden sind.
    Kurz nachdem nun sein Vater verschwunden ist, tritt Tristan Ibrahimi in Jimmys Leben. Der Elfjährige ist mit seinen Eltern und seinen sieben Geschwistern aus dem Kosovo geflohen und die Familie hat hier nun eine Unterkunft gefunden. Jimmy soll sich auf Wunsch der Lehrerin um den fremden Jungen kümmern; eine Aufgabe, die er gerne erfüllt. Endlich ist er nicht mehr allein. Er hilft Tristan nicht nur beim Erlernen der Sprache und den Hausaufgaben, sondern die beiden werden richtige Freunde. Als größten Freundschaftsbeweis legt Jimmy sogar ein eigenes Flippo-Sammelalbum für Tristan an. Das will er ihm feierlich überreichen, als er zum Übernachten bei Tristan eingeladen ist. Aber dann drängt sich ein anderes Ereignis in den Vordergrund. Die Ibrahimis sollen abgeschoben werden. Um das zu verhindern, schmieden Tristan und seine zwölfjährige Schwester Jetmira einen gewagten Plan, in dem Jimmy eine nicht unerhebliche, aber gefährliche Rolle zukommt. Das ist eine Herausforderung für ihn, doch um der Freundschaft willen bekämpft er seine inneren Zweifel und Ängste.
    Sehr einfühlsam und konsequent aus der Perspektive des neunjährigen Jimmy beschreibt die Autorin die Geschehnisse. Die Einsamkeit des Jungen ist deutlich spürbar. Auch, wie sehr ihn die Gemeinschaft dieser Großfamilie anzieht. Hier erlebt er einen Zusammenhalt und eine Wärme, wie er sie nicht kennt.
    Dafür bringt Jimmy viel Verständnis auf, wenn sein älterer Freund von „ inneren Erdbeben“ erschüttert wird. Wenn Tristan plötzlich Angst bekommt vor lauten Geräuschen, vor Uniformen, vor dem Meer, dann beruhigt Jimmy ihn, ohne nachzufragen. Schließlich weiß er, dass die Familie Schlimmes erlebt hat auf ihrer langen Flucht. Die Lehrerin hat, sobald Tristan sich verständlich machen konnte, der ganzen Klasse den Fluchtweg auf einer Landkarte aufgezeigt. „ Kosovo lag in Luftlinie ungefähr zweitausend Kilometer von Belgien entfernt, aber sie waren keine Vögel, sie hatten Grenzposten passieren müssen, zweimal kehrte der Zeigestock von Italien auf dem Landweg nach Albanien zurück, zweimal waren sie nach der lebensgefährlichen Überquerung des Meeres in einen Bus nach Albanien gesetzt worden. Beim dritten Mal hatten sie es geschafft, obwohl sie einen halben Kilometer vor der Küste aus dem Boot gestoßen worden waren. Sie waren auch keine Fische, ein Kind der Familie, mit der sie das kleine Boot teilten, hatte sich nicht bis ans Ufer retten können.“
    Die Familie aus dem Kosovo ist im Dorf freundlich aufgenommen worden. Freigebig wurden alle zum „ Ausmustern bestimmten Sachen -Matratzen, Elektrogeräte, Bettwäsche, Spielzeug, Bücher, Instrumente, Trampoline, Babysachen, Werkzeuge - lieber den Ibrahimis“ geschenkt, statt beim Recyclinghof abgeliefert. Die Wohnung dort ist ein Abenteuerspielplatz für die Kinder.
    Der Roman beschreibt eine Freundschaft zwischen Kindern vor dem Hintergrund großer Probleme. Dabei schafft es die Autorin, nicht in Klischees zu verfallen oder ins Sentimentale abzurutschen. Was Flucht und Integration bedeutet, wird an konkreten Figuren nachvollziehbar dargestellt.
    Eine packende und bewegende Lektüre, die auch für ältere Kinder und Jugendliche geeignet ist, ja, sich als aktuelle Schullektüre anbietet.
    Wie es im Nachwort heißt, wurde die Autorin von einer wahren Geschichte inspiriert. Eine zehnköpfige Familie aus dem Kosovo, die nach ihrer Flucht in einem belgischen Dorf unterkam, sollte wieder ausgewiesen werden. Doch nach massivem Protest des Dorfes erhielten sie Asyl.

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  1. Wer anderen eine Grube gräbt …

    Was ich zunächst nicht wusste: Dieses schmale Büchlein von Lize Spit wurde in den Niederlanden in der boekenweek (Buchwoche) als Buchgeschenk zu einem gekauften Buch dazu gegeben. De boekenweek dauert neun Tage und findet jedes Jahr im März statt. Beim Kauf von mindestens 15 Euro an niederländischsprachiger Lektüre erhält man also ein speziell für diese boekenweek geschriebenes Buch. Diese Ehre, dieses Buchgeschenk schreiben zu dürfen, wurde also in diesem Jahr Lize Spit zuteil.

    Beim Blauen Sofa in der Bertelsmann Repräsentanz in Berlin, Anfang März 2024, durfte ich nun diese bezaubernde und charmante Autorin persönlich kennenlernen und sie hat mir dieses Buch signiert. Mit einer ganz speziellen Widmung, die ich übersetzen muss. Ich verstehe das so, dass ich den Mansch vom Papri-Club unbedingt probieren soll. Und manchmal auch „Ja“ zu Dingen sagen soll, wo ich eigentlich „Nein“ sagen würde. Mal sehen …

    Im „ehrlichen Finder“ geht es um die Freundschaft zweier Jungen und auch um das (schändliche) Ausnutzen des anderen unter der Vorspiegelung der Freundschaft. Und es zeigt sich auch, dass bei verschiedenen Nationalitäten eben unterschiedliche Werte zählen. Der kluge und einsame Jimmy kümmert sich aufopferungsvoll um den Migranten Tristan, indem er ihm nicht nur die Sprache beizubringen versucht, sondern auch die üblichen Verhaltensweisen. Jimmy gefällt auch die riesengroße Familie von Tristan. Denn er selbst hat keine Geschwister und sein Vater verschwand spurlos, nachdem er das halbe Dorf finanziell betrogen hatte. Kein guter Start für den Sohn in der Schule.

    Was nun weiterhin geschieht, kann hier nicht verraten werden, nur so viel: Jimmys Gaben weiß man nicht zu schätzen und was man von ihm verlangt, ist viel, viel zu viel.

    Lize Spit hat es verstanden, den wenigen Seiten Leben einzuhauchen und eine Geschichte aufzubauen, die es in sich hat. Und ja, manchmal braucht es viel Mut, um ein Feigling zu sein. (Frei zitiert von S. 109.) Warum das Buch aber diesen Titel trägt, das hat sich mir leider nicht erschlossen.

    Das Cover bezieht sich auf Jimmys Flipposammlung. S. 32: „Von der Time-Serie und den Pop-up-Monstern hatte er noch am wenigsten. Diese beiden, die aus insgesamt lediglich vierzig Stück bestanden, erwischte man am schwersten.“ Deshalb also sind vierzig Kreise auf dem Cover. Und die Flippos findet man in Kartoffelchips-Tüten und natürlich soll damit der Verkauf der Ware angekurbelt werden. Gab es zuvor offensichtlich schon in Korea, Griechenland, England etc. aber in Deutschland (leider) nicht. Aus den Chips kann man einen wunderbaren Mansch herstellen, den Jimmy und Tristan im Geheimen genießen. In ihrem Papri-Club.

    Fazit: Ich habe alle drei Bücher dieser fantastischen jungen Autorin gelesen und kann sie nur wärmstens empfehlen. Ihre Themen sind sehr unterschiedlich, nichts ist aufgewärmt und sie weiß genau, wovon sie schreibt und fühlt sich extrem in ihre Figuren ein. ****

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  1. Aktuelle Freundschaftsgeschichte mit Tiefgang

    Jimmy geht in die dritte Klasse und ist ein einsamer, fantasiebegabter Junge. Seine Eltern haben sich gerade erst scheiden lassen. Der Vater ist auf und davon, die Mutter nimmt sich wenig Zeit für ihren Sohn. Jimmy hat sich eine eigene innere Welt geschaffen. Er sammelt mit leidenschaftlicher Hingabe Flippo Sammelbilder aus Chipstüten, imaginiert eigene Heldengeschichten, er ist überdurchschnittlich klug und dabei leider ein Außenseiter. Letzteres ändert sich, als Tristan Ibrahimi in seine Klasse kommt. Mit elf Jahren ist Tristan zwar einiges älter, doch hat er mit seiner Familie eine tragische Flucht aus dem Kosovo hinter sich und soll nun erst einmal zur Ruhe kommen sowie die Sprache erlernen. Zu diesem Zweck wird ihm Jimmy an die Seite gestellt, der sich dieser Aufgabe auch engagiert und ideenreich widmet. Die beiden ungleichen Jungen werden dicke Freunde. Jimmy genießt Zusammenhalt und Gemeinschaft in Tristans großer Familie, in der jeder seine Aufgaben hat und gebraucht wird. Er freut sich riesig, als er zum ersten Mal zu einer Übernachtung eingeladen wird, die eine spannende Entwicklung nimmt.

    Die Figuren werden mit großer Unmittelbarkeit vorgestellt, überwiegend aus der Perspektive Jimmys. Schnell sympathisiert man mit dem ruhigen Jungen, der fast verzweifelt auf einen Anruf seines Vaters wartet. Man gönnt ihm den neuen Freund von Herzen, der seine innere Vereinsamung durchbricht. Doch auch Tristan hat seine Geheimnisse, an denen man nicht rühren darf. Er wurde stark traumatisiert, so dass ihn plötzlich auftretende Ängste lähmen können und sein Verhalten nicht immer nachvollziehbar machen. Man liest den kleinen Roman über weite Strecken wie ein spannendes Jugendbuch, bis die reale Erwachsenenwelt ins Geschehen einbricht. Familie Ibrahimi ist nämlich von Abschiebung bedroht.

    Ohne belehrende Botschaften konstruiert Lize Spit einen bewegenden Plot, der aus völlig ruhigen Fahrwassern dramatische Spannung entwickelt. Anonyme Flüchtlinge bekommen ein Gesicht und eine Identität, die Autorin zeigt deren Schicksal exemplarisch ohne Dramatisierung oder Beschönigung. Tristan möchte seine Chance nutzen, er möchte unbedingt in Belgien bleiben und ist dafür bereit, auch Risiken einzugehen.

    Am Ende des Romans muss man zweifellos nachdenken. Über Familie, Freundschaft, über Asylpolitik, Integration - vor allem aber über den Ausgang dieser Geschichte, die einiges an Interpretationsspielraum offenlässt. Ich kann mir das Buch wunderbar als Schullektüre vorstellen, die schon aufgrund ihrer Kürze und der gezeigten kindlichen Lebensrealität bestimmt gern gelesen wird. Gut und Böse verschwimmen bewusst, der Bezug zum Titel hat eine Doppeldeutigkeit. Helga von Beuningen hat den Roman hervorragend aus dem Niederländischen übersetzt.

    All Age Leseempfehlung!

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Chirú (Quartbuch)

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Magnolia

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Rezensionen zu "Magnolia"

  1. Was für ein ungewöhnliches Debüt

    Magnolias Mutter Cherry hängt an dem Zeug, seit Magnolia denken kann. Es fing an, als ihr afroamerikanischer Vater bei der Arbeit einen Ziegel abbekam. Die weiße Cherry lernte den weißen Quarry kennen und der wurde ihr zum Verhängnis. Mama Brown, die Mutter von Magnolias Vater, nahm das verwahrloste Mädchen auf. Cherry schlug nur auf, wenn sie dringend Geld brauchte.

    Magnolia ist neunzehn, als sie ihren Highschoolabschluss macht und an einer Tanke anfängt. Kurz darauf stirbt Mama Brown. Bei ihrer Beerdigung macht Mama Browns Vermieter, Magnolia das Angebot, die Miete in ihren Naturalien zu vergüten. Er verschafft sich Zugang zu ihrem Haus und wartet ihre Entscheidung nicht ab. Danach duscht sie so heiß, wie sie es gerade aushält. Sie weiß, dass sie eine zündende Idee braucht und der Zufall schwämmt ihr Cotton ins Leben. Cotton ist ein sprachbegabter Künstler und Bestatter, der Magnolia einen außergewöhnlichen und gut bezahlten Job anbietet.

    Immer wenn Magnolia wütend ist, wischt sie durch Tinder und verabredet sich mit einem Fremden für schnellen Sex. Am Ende sitzt sie meistens auf ihm, leider führen ihre Escapaden zu einer ungewollten Schwangerschaft und sie weiß, dass sie dieses Wesen in ihr loswerden muss.

    Fazit: Was für ein ungewöhnliches Debüt. Eine junge Frau wird Opfer eines übergriffigen Vermieters. Es macht den Anschein, als dürfte ihr das nicht so viel ausmachen, weil sie doch sowieso wahllos rumvögelt. Alle in der Geschichte mitwirkenden haben größere Probleme. Der schwarze Vermieter, ganz mieser Charakter, der Arbeitgeber ist zwanghaft, seine Tante alkoholabhängig und Magnolias Mutter heroinsüchtig. Da fällt eine merkwürdige junge Frau gar nicht mal so sonderlich auf. Tatsächlich handelt die Geschichte von Unterdrückung, Macht und Missbrauch von Frauen, durch Männer. Ganz am Ende dieser locker, unterhaltsam geschriebenen Geschichte, kommt die entsetzliche Wahrheit, die Magnolias Stolpern erklärt und verständlich macht. Ich mag die Geschichte sehr. Die Autorin hat mich nach Tennessee entführt und mich von allem kosten lassen, Ungleichheit, Minderwertigkeit, Angst und Ausgeliefertsein, Rassismus, schwüle Hitze, Ghospel, Sex und ein bisschen Voodoo. Ein heißer Ritt durch die Südstaaten.

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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

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Weiße Wolken: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Weiße Wolken: Roman' von Yandé Seck
3.5
3.5 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Weiße Wolken: Roman"

Zwei Schwestern: Die eine arbeitet sich an sämtlichem Unrecht unserer Gegenwart ab, die andere am bürgerlichen Familienideal; für die eine ist ihr Schwarzsein eine politische Kategorie, für die andere ihr Muttersein. Klug, erhellend und mit hintergründigem Witz erzählt Yandé Seck in ihrem Debütroman von den Ambivalenzen, die wir im Kleinen wie im Großen aushalten müssen. Dieo lebt mit ihrem Mann Simon und drei Söhnen in einer schönen Altbauwohnung im Frankfurter Nordend. Sie leidet unter den unerfüllbaren Ansprüchen der Gesellschaft an sie als Mutter, vor allem aber ist es die ständige Kritik ihrer jüngeren Schwester Zazie an allem und jedem, die an ihren Nerven zerrt. Auch Simon, ein mittelalter weißer Mann und Angestellter in einem Finanz-Start-up, gerät immer wieder ins Visier seiner Schwägerin, die zunehmend an der rassistischen und sexistischen Gesellschaft verzweifelt. Als der Vater der Schwestern, ein eigensinniger Nietzschefan, der vor mehr als vierzig Jahren aus dem Senegal nach Deutschland kam, unerwartet stirbt, gerät das mühsam kalibrierte Familiengefüge aus dem Gleichgewicht. Für die Beerdigung reisen die Schwestern in das Land ihres Vaters. Der Abschied wird für die beiden zu einem Neuanfang – in vielerlei Hinsicht.

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:326
EAN:
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Rezensionen zu "Weiße Wolken: Roman"

  1. Wichtige Themen, aber für mich kein rundes Buch

    Ich hatte von anderen Rezensionen und der Inhaltsangabe große Erwartungen an den Roman, die konnten aber leider nicht erfüllt werden, obwohl ich das wirklich gern gewollt hätte.

    Es geht in „Weiße Wolken“ um die Schwestern Zazie und Dieo, beide Schwarz, aber darüber hinaus sehr verschieden in ihren Lebensstilen. Während die ältere Schwester Dieo bereits drei Kinder hat, mit Simon verheiratet ist und eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin macht, hat Zazie gerade ihr Studium beendet, ist zögerlich beim Eingehen einer romantischen Paarbeziehung und plant eine akademische Karriere mit aktivistischen Elementen. Sie ist es auch, die besonders viel Wut in sich trägt, welche sich z. B. im Kontakt mit ihrem sexistischen Vorgesetzten in einem Jugendzentrum zeigt, doch ebenso auch in ihrem Privatleben. Sowohl das spießbürgerliche Leben ihrer älteren Schwester als auch deren Mann Simon, welcher als mittelalter weißer Mann in der Techbranche arbeitet und damit im Kern einer Kapitalismuskritik steht, sorgen immer wieder für Reibungspunkte mit Zazie.

    Ich habe mich ziemlich durch die Handlung gekämpft. Wandelnde Perspektiven mag ich eigentlich sehr gern, aber hier kam aus mir bis zum letzten Viertel unklaren Gründen auch noch Simon als dritte Perspektive dazu, obwohl es doch primär um die Schwester gehen sollte. Gleichzeitig spielen in den drei Perspektiven dann aber auch noch weitere Charaktere eine größere Rolle und trotzdem (oder genau deshalb) bekam ich die einzelnen Figuren charakterlich einfach nicht zu greifen. Ich habe kein wirklich gutes Gefühl für ihre Probleme oder Beziehungen zueinander bekommen, weil alles so fragmentarisch war. Im letzten Viertel kam es dann erst zu dem im Klappentext erwähnten Todesfall und ab da war die Handlung auch stringenter für mich. Damit habe ich dann auch endlich ein konkreteres Bild der drei Protagonist*innen bekommen.

    Das Ende kam mir eindeutig zu sehr gewollt. So schön ich es an sich auch finde, der Sinneswandel Zazies war für mich bei aller Vorgeschichte überhaupt nicht nachvollziehbar und auch die am Ende geschilderten Beziehungen zwischen allen Figuren haben für mein Empfinden nicht zur Handlung davor gepasst. Da war mir ein viel zu großer Bruch drin und in Kombination mit dem fragmentarischen Aufbau der Figuren, der teils akademischen Sprache und den vielen Charakteren ist der Roman einfach nichts für mich. Vielleicht war das Ziel gerade, die Figuren nicht so klar zu zeichnen, um sie in ihrer Komplexität abzubilden. Dafür wäre für mich aber eine mitreißende Handlung notwendig, um trotzdem dran zu bleiben, und das war hier leider nicht durchgängig der Fall.

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  1. 4
    26. Feb 2024 

    Moderner Familienroman, der aktuelle Lebenswelten beschreibt

    Yandé Seck „ Weiße Wolken“ ( 2024 )

    Dieo und Zazie sind zwei Schwarze Schwestern. Dieo, die Ältere, lebt gut situiert mit Mann und drei Söhnen im trendigen Frankfurter Nordend. Sie arbeitet als Psychotherapeutin, ihr Mann ist Mitarbeiter in einem florierenden Finanz-Start-Up. Zazie, mit Ende Zwanzig ein paar Jahre jünger als ihre Schwester, hat gerade ihr Masterstudium hinter sich gebracht und jobbt in einem Jugendzentrum. Das teure Frankfurt kann sie sich nicht leisten, sie wohnt im günstigeren Offenbach. Ihre Mutter, ebenfalls Psychotherapeutin, hat die beiden Töchter alleine großgezogen, nachdem sie sich von ihrem Mann, einem Senegalesen getrennt hatte.
    Während Dieo sich überfordert fühlt von ihren Aufgaben als Mutter, Hausfrau und berufstätiger Frau ( „ Warum war Sysiphos eigentlich ein Mann, wenn doch die Erfahrung der sich ewig wiederholenden Überlastung eine typisch weibliche war?“), arbeitet sich Zazie an den Ungerechtigkeiten der Welt ab. Überall sieht und erlebt sie die Anzeichen und Auswirkungen von Rassismus, Sexismus und patriarchalen Strukturen. ( Es war, als wäre in ihr ein Scanner eingebaut, der jeden Satz aufnahm und durch ein Diskriminierungs- Prüfsystem laufen ließ.“)
    Die Autorin Yande Seck hat in ihre beiden Protagonistinnen viel aus ihrer eigenen Biographie einfließen lassen. Sie selbst ist in Heidelberg geboren und in Frankfurt aufgewachsen. Die Mutter ist Deutsche, der Vater stammt aus dem Senegal. Sie arbeitet als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und lebt mit Mann und Kindern in Offenbach.
    Dass die Autorin die Lebensumstände und die Gesellschaftsschicht ihrer Figuren gut kennt, spürt man. Sehr authentisch beschreibt sie das urbane und bürgerliche Milieu mit ihren „Codes“ und sprachlichen Mustern.
    Yande Seck wechselt kapitelweise die Erzählperspektive. Dabei nimmt sie nicht nur die der beiden Schwestern ein, sondern lässt auch Simon, Dieos Ehemann, seine Sichtweise darstellen. Simon versucht als „ mittelalter weißer Mann“ alles richtig zu machen. Doch seine Arbeit erfordert viel Zeit und Engagement, so dass er nicht immer der Partner und Vater sein kann, der er gerne wäre.
    Die leicht überzeichneten Nebenfiguren lassen schmunzeln. Gerade die Elterngeneration entspricht so ganz dem Bild allzeit engagierter Alt- Linker. Da die Psychotherapeutenmutter, die beständig ihre Töchter analysieren muss. Da die Mutter von Simon, die darunter leidet, dass ihr Sohn in seinem Job so richtig gut Geld verdient. Hatte sie sich doch gewünscht, dass ihre Kinder „ den Drang haben, die Welt zu verändern, stattdessen…“
    Entgegen den Erwartungen, die der Klappentext weckt, steht die Reise in den Senegal zur Trauerfeier für den plötzlich verstorbenen Vater nicht im Zentrum des Romans. Erst im zweiten Drittel des Buches werden die Schwestern in die frühere Heimat ihres Vaters aufbrechen. Trotzdem spielt diese Reise eine wichtige Rolle für die Frauen, besonders für Dieo, für die es die erste Begegnung mit der dortigen Verwandtschaft ist. Hier erlebt sie eine ganz andere Form von Familie; gleichzeitig bedeutet es für sie eine Auseinandersetzung mit dem afrikanischen Teil ihrer Identität.
    Der Titel verweist nicht auf eine romantische oder meteorologische Symbolik, sondern meint jene weißen Flecken auf den Fingernägeln, die man auch „ weiße Wolken“ nennt. Sie sind nicht, wie vielfach angenommen, Zeichen von Kalziummangel, sondern sind Überbleibsel von kleinen Verletzungen in der Nagelstruktur. Im Roman geht es also um Verletzungen und Einwirkungen, die ein Gesellschaftssystem auf die Identität eines jeden hat. „…dass Verletzungen uns zu dem Menschen machen, der wir sind.“ „ Viele winzige Verletzungen, die unseren Charakter formen.“
    Yande Seck überzeugt mit einem genauen Blick und pointierten Dialogen. Ihr Text ist gespickt mit Anglizismen, einer woken Sprache und Begriffen aus der Psychoanalyse. Das macht ihn sehr gegenwärtig.
    Neben den schon erwähnten Themen wie Rassismus und Sexismus verhandelt der Roman auch noch Fragen zu Frauen- und Männerbildern, sowie Mutterschaft und Vatersein. „ Übermächtige Mütter und abwesende Väter gehören zusammen.“
    Auch wenn ich als alte weiße Frau aus der deutschen Provinz nicht zur eigentlichen Zielgruppe gehöre, so habe ich mich mit dem Buch doch bestens unterhalten gefühlt. Ein kurzweiliger moderner Familienroman, der aktuelle Lebenswelten beschreibt. Man darf nach diesem Debut gespannt sein auf weitere Bücher der jungen Autorin.

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  1. Dualität der Schwestern

    Weiße Wolken ist für ein Debut wirklich beeindruckend. Yandé Seck nimmt uns mit in die Welt zweier Schwestern und deren Umgang mit ihren Umständen. Beide werden von den gleichen gesellschaftlichen Mustern geplagt (Rassismus / Sexismus) und gehen doch sehr unterschiedlich damit um.

    Der Erzählstil ist sehr schlau gewählt. Die beiden Schwestern haben eine sehr eigene Erzählstimme, sie lassen sich schon in ihren Perspektiven gut voneinander unterscheiden. Das hat mri sehr gut gefallen. Die Dualität zwischen den beiden Schwerpunktthemen der SChwestern ist sehr interessant. Es zeigt, wie die Wahrnehmung Schwerpunkte verstärken und das Leben einer Person beeinflussen kann. Was mir vor allem am Anfang fehlt ist der rote Faden, der die beiden Perspektiven miteinander verbindet. Ab der Hälfte wird es besser aber ich finde gerade am Anfang wäre es wichtig gewesen, um die eben beschriebene Dualität und Wahrnehmung zu verstärken.

    Die Geschichte ist sehr modern erzählt und passt absolut in die Zeit. Ich denke dieses Buch wird schon alleine deshalb irgendwann als Zeitkapsel gelten. Dennoch finde ich es manchmal etwas too much. Als würde vor allem Zazie versuchen, alles in einen Satz zu quetschen. Das macht es vor allem in der ersten Hälfte des Buches für die Leser:innen schwer zu differenzieren, was wirklich wichtig ist und was einfach nur etwas dick aufgetragen. Das ist manchmal sehr anstrengend zu lesen, ist aber bestimmt so gewollt. Die Themen müssen genauso schwer auf Zazie lasten.

    Vor allem am Anfang hatte ich etwas Probleme mit den Szenen, die erzählt werden. Sie wirken manchmal willkürlich aus dem Leben gegriffen und nicht wirklich zusammenhängend. Man fragt sich bei manchen Situationen, wie sie auf das große Ganze einzahlen.

    Dinge im Buch, die mich etwas irrtiert haben waren z.B. die Perspektive des Ehemanns von Dieo. Für mich hätte es absolut gereicht, die Perspektiven der Schwestern als Fokus zu haben weil sie mit den wichtigsten Themen kämpfen. Simon wirkte wie ein Lückenfüller. Für jemanden, die sich in Frankfurt auskennt, waren die ganzen Hommages an die Stadt wirklich schön zu lesen. Aber wenn man sich dort nicht auskennt, glaube ich das könnte schwierig werden.

    An sich ein wichtiges Buch, das man langsam lesen sollte, um die angesprochenen Themen und die Tiefe zu verdauen. Restlos überzeugen konnte es mich leider nicht.

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  1. Für mich als ältere Leserin zu anstrengende Sprache

    Titel und Coverbild finde ich passend zum Thema sehr gut gewählt. Nichts was dich anspringt oder -" schreit". Sehr subtil sind Infos und Gedanken und Symbolik miteinander verwoben. Wie auch in dem Buch die Grenzlinien des Lebens verschwimmen, hervorgehoben oder mitgestaltet werden. Und nicht nur die Grenzen durch Rassismus.
    Die Kurzzusammenfassung und die Bearbeitung der Thematik finde ich gut gewählt und interessant. Alleine schon bei Sprache und Benennungen finden sich meine Stolpersteine, die mir den Lesefluss vermiesen. Wer ist Eddie Redmayne, gibt's den oder ist er Fiction?. Alman-Lauchs kann ich mir noch herleiten, aber unapologetically african? Da reicht mein Englisch nicht. Kanax? All-Nighter? BiPOC? Ich habe keine Lust das auf aufwendige Art alles nachzulesen.
    Unabhängig davon bin ich begeistert über die vielen Facetten des Buchs. Hier geht es nicht nur um Rassismus, auch um andere Zugehörigkeitszwänge, auch solche die man sich selbst auferlegt.
    Wäre ich jünger und damit näher am Puls der Zeit hätte es 5 ***** geschafft.

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Season Sisters – Frühlingsgeheimnisse

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Rezensionen zu "Season Sisters – Frühlingsgeheimnisse"

  1. anders als gedacht

    Das Buch hat mich vom Cover her sehr angesprochen. Ich liebe dieses blau/türkis und auch die Blumen und Libellen finde ich sehr passend zum Setting der Season Sisters. Mit dem Schreibstil kam ich super klar. Ich war erst skeptisch was die historischen Kapitel anging, da ich historische Sachen nicht so gern habe, aber ich bin erstaunlich gut damit klar gekommen. Nur die Länge der Kapitel hat mir nicht so gut gefallen. Ich bin eher für kürzere zu haben. Aber da hat wohl jeder so seine Vorlieben.

    Es ist Band eins von vieren und handelt von Spring. Also zumindest sollte es von ihr handeln. Ich hatte das Gefühl, dass sie eher in den Hintergrund gerückt wurde. Eigentlich handelt das Buch mehr von der Familie Fowler und ihren Geheimnissen. Deshalb verstehe ich das alles nicht so ganz. Man hätte es also komplett anders aufbauen sollen oder die Reihe nicht so benennen sollen. Denn der Klappentext verspricht an sich eine ganz andere Geschichte, als man am Ende bekommt.

    Spring war mir mit Sophia zusammen sehr sympathisch. Als Ethan dann noch dazu kam, wurde es etwas unnachvollziehbar. Sie wollten zu schnell viel zu viel. Man erfährt auch schon etwas über die anderen Schwestern der Season Familie was mir an sich Lust auf die Folgebände gemacht hat. Jedoch hat mir dann das Ende jegliche Lust darauf genommen. Denn irgendwie war auf einmal alles Friede Freude Eierkuchen, obwohl dem überhaupt nicht so war. Das kam für mich so komplett aus der Kalten, sodass ich dann doch keine Lust mehr auf die Nachfolger habe.

    Ich denke, dass die Idee der Autorin gar nicht so schlecht war, die ganze Aufmachung und Durchführung, dann jedoch in die völlig falsche Richtung ging. Schade eigentlich.

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  1. Familiengeheimnisse mit großer Auswirkung

    Spring hat es zu Hause auf der Farm der Eltern nicht mehr ausgehalten und ist ohne Abschied nach London gegangen. Dort gerät sie an die Falschen und wird wegen Diebstahl und Drogenmissbrauch zu Sozialstunden verurteilt. Sie soll die achtzigjährige Sophia Fowler im Haushalt unterstützen. Schon bald lernt Spring die alte Dame und die Regeln und deren Regeln schätzen. Beide reden nicht darüber, was sie bisher erlebt haben, doch am letzten Tag erfährt Spring, dass Sophia einst die Herrin von Daffodil Castle war und von deren Sohn nach London verbannt wurde. Doch mehr will sie darüber nicht sagen. Spring ist in der Nähe des Castles aufgewachsen. Gemeinsam reisen sie zurück in ihren Heimatort, um sich der Vergangenheit zu stellen.

    Frühlingsgeheimnisse ist der erste Band der vierteiligen Reihe über die „Season Sisters“. Erzählt wird die Geschichte auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart erleben wir, was Spring und Sophia erleben und in der Vergangenheit wird die Geschichte von Daphne erzählt. So nach und nach erfährt man, wie alles zusammenhängt. Der Schreibstil lässt sich sehr angenehm lesen. Allerdings fand ich, dass vieles auch vorhersehbar ist.

    Spring hat gute Gründe, ihre Familie hinter sich zu lassen. Aber sie würde auch zu gerne wissen, warum ihre Eltern sind wie sie sind. Als sie zurückkommt, trifft sie nicht nur ihre Schwester Summer wieder, sondern auch ihre Jugendliebe Ethan. In Sophias Familie gibt es Geheimnisse, die nicht ans Tageslicht dringen sollen. Aber sie würde auch gerne ihre Enkel kennenlernen, doch Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter sind nicht begeistert von ihrem Auftauchen.

    Die Bauerstochter Daphne hat sich zur Krankenschwester ausbilden lassen und trifft dort Frederic, der aus einer reichen Familie stammt, und die junge Lady Charlotte. Doch Daphne ist wohl etwas der ethische Kompass abhandengekommen, als sie sich auf ein gewagtes Spiel einlässt, das ihr Leben von Grund auf verändert.

    Der Roman ist sowohl Liebesgeschichte, als auch eine dramatische Familiengeschichte, der allerdings wenig Überraschungen bot und sich am Ende alles recht schnell zum Positiven entwickelt. Trotzdem habe ich dieses Buch gerne gelesen. Ich bin nun gespannt, wie es den anderen „Season Sisters“ ergeht.

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  1. Guter Anfang einer Reihe um vier Schwestern

    Das Cover gefällt mir sehr gut, und hatte mich auch neugierig gemacht gehabt.

    Spring leistet anfangs extrem widerwillig, ihre Sozialstunden bei Sophie Fowler ab. Nach und nach fühlt sich Spring bei der älteren Dame jedoch wohl, und empfindet die Zeit dort nicht mehr als Strafe, sondern es entwickelt sich sogar eine Freundschaft zwischen den beiden. Als Spring erfährt, dass Sophia von Daffodil Castle kommt, werden Kindheitserinnerungen und die Erinnerung an ihre erste große Liebe Ethan Fowler wieder war.

    Als Spring mit Sophia nach Daffodil Castle reist, werden beide mit ihrer Vergangenheit konfrontiert und ein Familiengeheimnis gelüftet.

    Mir hat der Roman sehr gut gefallen, der Schreibstil las sich für mich sehr flüssig, auch den Wechsel zwischen den beiden Zeitebenen mit Spring und der älteren Sophia im Jetzt, und der jungen Sophia damals fang ich gut gelungen.

    Ich freue mich schon auf die weiteren Bände.

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  1. Nicht überzeugend

    Die Idee zu der Geschichte gefällt mir richtig gut, eine Familiengeschichte mit einem großen Geheimnis im Hintergrund. Klingt spannend und verspricht für mich viel Lesespaß.
    Leider hat mich das Buch letztlich nicht überzeugen können. Der Anfang hat mir noch sehr gut gefallen. Sofia war, obwohl zu Beginn eher abweisend, doch eine Figur, die mir dennoch auf Anhieb irgendwie sympathisch war. Man konnte schnell erahnen, dass sich hinter der etwas unhöflichen Fassade eine verletzte Frau verbirgt. Spring ist, geschuldet ihrer familiären Vorgeschichte, ein skeptischer Mensch, unstetig, ohne Träume oder Perspektiven für ihre Zukunft. Verbunden mit ihren schwarzen Kleidern und dem dazu passenden Make Up, muss sie für Sofia wie ein Bewohner von einem anderen Planeten erscheinen. Aber die Freundschaft, die zwischen den beiden entsteht, fand ich sehr schön zu lesen.

    Leider schafft die Story es danach nicht mehr mich zu packen. Den Vergangenheitsteil, der den Einstieg in das Familiengeheimnis liefert, empfand ich als zu lang, da war wenig Spannung, da passierten auch zu viele Sachen gleichzeitig. Dabei fand ich es gar nicht mal so schlimm, dass man sich als Leser das Geheimnis recht schnell zusammenreimen kann. Ich fand es einfach langweilig. Ich habe hier auch recht viel quer gelesen.

    Der Strang in der Gegenwart wird leider auch nicht besser. Die Liebesgeschichte zwischen Spring und Ethan ist zwar nett, kommt aber unheimlich überstürzt daher. Allgemein ist mir das Ende zu unausgereift, zu sehr Friede, Freude, Eierkuchen. Nachdem die vorherigen Seiten bzw. allgemein das große Familiendrama herrschte, fühlt sich dieses Ende besonders unlogisch an.

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Rückkehr nach Missing: Roman

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Weltalltage: Roman

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Rezensionen zu "Weltalltage: Roman"

  1. 5
    12. Feb 2024 

    Eine Annäherung über Listen

    Ich sitze hier und versuche mir einen schmissigen Titel für die Rezension zu diesem großartigen Buch einfallen zu lassen. Da „Weltalltage“ von Paula Fürstenberg aber so vielschichtig und im wahrsten Sinne des Wortes „unbeschreiblich“ ist, fällt es mir schwer, einen solchen Titel zu finden.

    Auf der aller obersten, oberflächlichen, inhaltlichen Ebene dreht sich der Roman um die Freundschaft der Erzählerin mit Max. Beide in der DDR kurz vor der Wende geboren und gefühlt schon immer befreundet. Dabei war Max immer der Aufpasser für die Erzählerin, denn diese ist chronisch krank seit der Kindheit, leidet unter anderem an einem medizinisch nicht erklärbaren Schindel, der sie häufig in die Knie zwingt und für sie lebensgefährlich wird, wenn sie z.B. schwimmen gehen will. Das Gefüge zwischen den beiden: Sie die Kranke, Er der Gesunde; bleibt bis sie Dreißig sind so bestehen, bis Max langsam in eine Düsternis abrutscht, die beide nicht schnell genug als eine Depression erkennen. So einfach, so profan. Aber dann kommen noch die anderen Ebenen zum Vorschein.

    So betrachtet Fürstenberg auch den Zusammenhang von Biografien und Erkrankungen mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Auf einer soziologischen Ebene begleiten wir Kinder, die in der strukturlosen Nachwendezeit aufwachsen, deren alleinerziehende Mütter überfordert sind und um die existenziellen Grundlagen ihrer Familien kämpfen müssen, wodurch sie fast keine Kapazitäten für die Bedürfnisse ihrer Kinder mehr haben. Diese retten sich durch das Klammern aneinander.

    Und eine Ebene weiter ist Fürstenbergs Roman eigentlich gar kein „richtiger“ Roman, denn er besteht ausschließlich aus Listen. Listen, welche nicht aus reinen Stichpunkten bestehen, aber nach denen der Zettelkasten dieser Freundschaftsgeschichte geordnet ist. Das Buch beginnt mit der „Liste möglicher Anfänge dieser Geschichte“. Wir finden bald heraus, warum hier ertastet werden muss, wie der Anfang der Freundschaft zustande gekommen ist. Denn die Erzählerin ist Schriftstellerin, Max ist Architekt. Die Schriftstellerin versucht ein Buch zu schreiben und muss ihre Ideen und Gedanken irgendwie zusammenbringen. Dies gelingt ihr durch Listen. So kommt die „Chronik einiger Verletzungen, die ihr euren Müttern zufügt“ ebenso vor wie ein „Amtliches Verzeichnis einiger Gespräche zwischen Max und dir, die im Nachhinein betrachtet nicht so optimal gelaufen sind“. Anhand dieser übergeordneten Punkte ergibt sich mehr und mehr ein tiefgründiges Bild nicht nur dieser besonderen Freundschaft, sondern auch der Biografien der Figuren, deren Befindlichkeiten und Sorgen.

    Weiterhin enthält dieses Buch fast essayistische Passagen, in denen Krankheitsentstehung, die Wahrnehmung von Krankheit in der Gesellschaft, Diagnoseodysseen, die misogyne Medizingeschichte, Krankheit als Metapher in literarischen Texten usw. erforscht werden. Hier werden viele konkrete Zitate eingebunden, die im Anhang des Buches durch ein entsprechendes Literaturverzeichnis unterlegt werden.

    Und auf einer Metaebene beobachten wir auch die Figur der fiktiven Schriftstellerin dabei, wie sie diesen Roman, den wir hier in Händen halten, überhaupt erst entwirft. Wie sie gegen Wände rennt, wie sie mit Max verhandeln muss, ob Passagen über ihn im Buch vorkommen dürfen, wie sie eine erzählerische Stimme findet: „Dies ist auch die Geschichte eurer Freundschaft und die begann 1999 in der siebten Klasse. Da hast du noch keine Selbstgespräche in der zweiten Person geführt, da hast du noch ich gesagt, wenn du ich meintest.“ Denn der Text ist vollständig in der Du-Form verfasst. Da muss man sich erst einmal zu Beginn des Buches hineinfinden, aber nach der Eingewöhnungszeit passt diese etwas distanzierte Form perfekt, wird mensch beim Lesen doch dadurch auch immer mit angesprochen.

    Und auch wenn das alles jetzt unglaublich überkonstruiert klingt, ist es das dann bei der Lektüre gar nicht so sehr. Alles fließt wunderbar dahin, alles greift ineinander und ergänzt sich, lässt sich wunderbar lesen. Der Text ging mir an vielen Stellen ganz nah, entlockte mir immer wieder Tränen. Dieses Buch ist ein „Ja genauso ist/war es“-Buch für Menschen mit chronischen Erkrankungen, mit Ärzt:innenodyssee, mit „Migrationshintergrund“ aus dem nicht mehr existenten Staat DDR, eine Migration, für die man nicht einmal umziehen musste, und mit vielem mehr in ihrem Erlebnishorizont. Und es ist ein Buch für Menschen, die zwar all diese Erfahrungen nicht gemacht haben, aber die es besser verstehen wollen, wie es sich damit anfühlen kann.

    Für mich persönlich stellt dieses Werk von Paula Fürstenberg ein wahres Highlight dar. Ein Roman, den ich in dieser kreativen Form und mit so eindringlich und authentisch vermittelten Inhalten noch nie gelesen habe. Ich bin restlos begeistert und ich weiß, egal, was ich hier schreibe, es wird sowieso weder dem Roman noch meiner Begeisterung gerecht, die ich beim Lesen empfunden habe.

    Deshalb:

    10/5 Sterne… nein natürlich 5/5 Sterne, geht ja nicht anders. ;)

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Wo Milch und Honig fließen: Roman

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Rezensionen zu "Wo Milch und Honig fließen: Roman"

  1. 4
    04. Mär 2024 

    Eine dekadente und opulente Dystopie

    „Wo Milch und Honig fließen“ - der aktuelle Roman der amerikanischen Autorin C Pam Zhang entführt uns zwar an einen Ort, an dem unfassbar viel gegessen wird. Doch hat der Schauplatz ihres Romans nur wenig gemeinsam mit den Phantasievorstellungen über das Schlaraffenland.
    Denn Zhangs Land, „Wo Milch und Honig fließen“ ist eine Dystopie der besonderen Art mit einem unfassbar guten Plot: Ein visionärer (oder größenwahnsinniger) Financier zieht sich inmitten eines Weltuntergangsszenarios auf einen Berg in den italienischen Alpen zurück, wo er nach einer Möglichkeit sucht, den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Denn aktuell wird die Erde von einer Umweltkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes bedroht, die in Kürze die Flora und Fauna der Erde vernichten könnte und somit auch die Lebensmittelversorgung der Menschheit. Für seinen ambitionierten Plan braucht er Investoren, die er mit kulinarischen Besonderheiten verwöhnen lässt, um ihnen die finanzielle Beteiligung an seinen Visionen schmackhaft zu machen. Dafür engagiert er eine Köchin, die in den letzten Jahren die Welt bereist hat und Erfahrungen in den unterschiedlichsten Länderküchen dieser Welt sammeln konnte. Die junge Frau – die in diesem Roman namenlos bleibt – erweist sich als wahre Wunderwaffe am Herd und begeistert die reichen Investoren, die regelmäßig bei dem Financier tafeln, durch unglaubliche kulinarische Kreationen.
    Die Köchin arbeitet unter merkwürdigen Bedingungen. Sie lebt auf diesem Berg nahezu isoliert, ihre Kontakte beschränken sich zunächst auf ihren Arbeitgeber und dessen Tochter sowie ein paar Helfern in der Küche. Den „Fress-Events“ wohnt sie nur bei, die Kommunikation mit den Gästen ist ihr dabei untersagt.

    Doch diese Anstellung bedeutet für sie eine Chance auf eine Zukunft, die für den Rest der Welt zwar ungewiss ist, doch für sie, die mit ihren Fähigkeiten zum engsten Kreis um den Financier gehört, aussichtsreicher erscheint. Gleich zu Beginn des Romanes erfahren wir, dass die Welt nicht untergegangen sein kann, denn die Ich-Erzählerin ist mittlerweile in den 60ern und erzählt ihre Geschichte im Rückblick auf ihre Zeit auf dem Berg vor etwa 30 Jahren.

    Bei einem Titel wie „Wo Milch und Honig fließen“ und einem Plot wie diesem kommt man gar nicht umhin, über das Thema Essen und Genuss zu sprechen. Wer einen Bezug zur Gastronomie hat, wird feststellen, dass die Autorin viel Recherchearbeit in ihr Buch gesteckt hat, was das Arbeiten in einer Restaurantküche betrifft. Denn die Begriffe, die sie rund ums Kochen und die Verarbeitung von Lebensmitteln verwendet, sind sicher nicht der Alltagsküche entnommen. Ihre Beschreibungen machen einen sehr professionellen Eindruck, so dass man der ich-erzählenden Köchin ihre besonderen Fähigkeiten gern abnimmt. Die Auswahl der Lebensmittel ist stellenweise sehr speziell, und man wundert sich, was in diesem Buch alles zubereitet und gegessen wird. Dies liegt nicht zuletzt an dem Arbeitgeber der Köchin, der sich als Selbstversorger erweist. Denn ihm gehören Labore, in denen Wissenschaftler als Teil seiner Vision, Genmanipulationen an Pflanzen und Tieren betreiben – womit wir bei einem der aktuellen Bezüge zu unserer heutigen Gesellschaft sind.

    Dieser Roman ist ein Sammelsurium an gesellschaftsrelevanten Themen, welche die Umwelt, Fragen der Moral und Ethik behandeln. Die Autorin stellt dem Leser unfassbar viele Denkansätze zur Verfügung, welche die Handlung in einer hohen Taktfrequenz begleiten. Wenn es etwas gibt, das ich an diesem Roman zu kritisieren habe, dann ist es definitiv, diese Aneinanderreihung unterschiedlicher Themen, die dem Leser kaum die Möglichkeit lässt, die jeweiligen Denkansätze weiterzuverfolgen. Kaum hat man sich in einem Thema eingerichtet, wird man durch den Handlungsverlauf davon fortgerissen, weil sich die Autorin bereits dem nächsten Thema zuwendet. Sie kratzt damit nur an der Oberfläche ihrer Gesellschaftskritik.

    Trotzdem habe ich diesen Roman gern gelesen, was an der Kombination aus dem besonderen Plot und der übersteigerten Darstellung der Fressgelage liegt, sowie dem kraftvollen und opulenten Sprachstil von C Pam Zhang, der perfekt zu der dargestellten Dekadenz passt, die während der Handlung immer wieder in den Vordergrund tritt. Schwamm drüber, dass es in diesem Roman auch Textstellen gibt, die in der sprachlichen Darstellung übertrieben wirken. Die Autorin arbeitet viel mit bildgewaltigen Metaphern, die sie - dem Thema angemessen - aus der kulinarischen Welt holt, was sich in mancher Szene nicht immer als geschickt erweist.

    Fazit:
    Eine Dystopie der anderen Art, mit einem Traum von einem Plot und einem beeindruckenden Sprachstil. Ein Roman, der zum Nachdenken anregt, aber aufgrund der Vielzahl an Themen wenig Gelegenheit lässt, die Denkanstöße, die er bietet, im Moment der Lektüre weiterzuverfolgen. Doch gerade deswegen wird dieser Roman bei mir nachhallen und mich noch einige Zeit beschäftigen. Da bin ich sicher!

    ©Renie

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  1. Die Welt, in der keiner leben möchte...

    Als ich in den Vorschauen auf diesen Roman gestoßen bin, wurde ich als Liebhaberin asiatischer Literaturen sofort neugierig. Zwar hatte ich den Vorgängerroman "Wie viel von den Hügeln ist Gold" noch nicht gelesen - diese Geschichter schlummert noch auf meinem SUB - aber das ließ mich neutral an die Lektüre herangehen.

    Zunächst war ich überrascht, denn ich hatte nicht mit einer Dystopie gerechnet. Der Roman spielt im 22. Jahrhundert und entwickelt ein Szenario, das uns anschaulich vor Augen führt, in welche Richtung sich das Leben entwickeln könnte, wenn wir nicht endlich aufwachen und auf eine nachhaltige Lebensweise achten: Die in Peking geborene US-amerikanische Schriftstellerin C. Pam Zhang zeigt uns eine mögliche Welt nach der Klimakatastrophe. Durch eine Smog-Wolke wurde die Sonne verdunkelt und es gibt nunmehr weder fruchtbare Böden, noch Nutztiere. Die Ernährung hat sich komplett verändert: In Europa ernähren sich die Menschen in erster Linie mit einem sog. Mungoproteinmehl. Der Verzicht auf frische und gesunde Lebensmittel ist natürlich insbesondere für Menschen, die auf diese angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, besonders schmerzhaft.

    Insofern ist es wenig erstaunlich, dass wir die Geschichte aus der Perspektive der Köchin dargeboten bekommen. Als Grenzen zunehmend geschlossen werden, ergibt sich für sie die Möglichkeit auf dem Berggipfel eines italienischen Dorfes als Köchin zu arbeiten. Sie landet inmitten eines Paradieses, in dem frische Lebensmittel im Überfluss noch vorhanden sind. Während sie selbst durch ihr Kochen Erinnerungen an vergangene kulinarische Genüsse wecken und so potentielle Geldgeber ausfindig machen will, lernt sie mit Aida eine junge und intelligente Frau kennen, die in unterirdischen Laboren ihren Beitrag zur Nachzüchtung von Nutztieren leistet, um die Biodiversität zu erhalten. Sie ist die Tochter des namenlos bleibenden Arbeitgebers, der seinen Reichtum einsetzt, um einigen wenigen, die ebenfalls reich sind, ein Leben zu ermöglichen, nach dem sich alle sehnen, dass aber für die meisten der Vergangenheit angehört. Zwischen der Köchin und Aida entwickelt sich eine Liebesbeziehung...

    Essen und Lust sind die zwei miteinander verwobenen Thematiken des Romans. Die eingehende massive Gesellschaftskritik an Klassenunterschieden, verantwortungslosem Umgang mit der Welt, in der wir leben v.a. in Bezug auf Klima und Biodiversität sowie auch die Tabuisierung queerer Liebe werden von Zhang auf die Spitze getrieben und münden in eine Dystopie, die gerade aufgrund ihrer Realitätsnähe sehr erschreckend und bedrohlich zugleich wirkt. Diese dystopische Welt hat Zhang sehr gut gezeichnet, auch wenn ich mir an manchen Stellen noch mehr und genauere Details erhofft hätte. Das Thema dieser Dystopie ist hochaktuell; allein deswegen wünsche ich dem Roman viele LeserInnen. Jedoch will ich nicht verschweigen, dass mich der Roman über weite Strecken dennoch nicht richtig packen konnte. Ich denke, es liegt an der integrierten queeren Liebesgeschichte und der distanzierten Art der Figurenzeichnung insgesamt. Neugierig geworden auf die Autorin bin ich allemal und werde daher sicher bald ihren Erstling von meinem SUB befreien.

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  1. Eine sprachlich beeindruckende Dystopie

    Als großer Fan von C Pam Zhangs Debütroman „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ habe ich mich mit großer Vorfreude auf diesen Roman eingelassen, der mich vom Thema her aus meiner Komfortzone führt. Die namenlose Ich-Erzählerin wird „eines Tages, als das Leben schon vorbei ist“ von einer jungen Studentin über das eine Jahr befragt, das sie mit Ende Zwanzig als Köchin in einer Kolonie auf einem Berg der italienischen Alpen verbrachte. Dieses Land, wo Milch und Honig fließen, gibt es nicht offensichtlich mehr, die Erzählerin stellt sich ihren schmerzlichen Erinnerungen.

    In ganz Europa herrscht damals eine dramatische Umweltkrise. Der Smog ist dermaßen dicht, dass die Sonne nicht durchbrechen und kaum noch etwas wachsen kann. Die Menschen müssen hungern, sie ernähren sich mit synthetischem Mungoproteinmehl. Die Erzählerin kann in der Ebene nicht mehr arbeiten, so dass sie als Köchin auf dem Berg anheuert. Dort hat ihr dubioser, geschäftstüchtiger Arbeitgeber zusammen mit seiner naturwissenschaftlich ausgebildeten Tochter Aida eine Kolonie gegründet, der ausschließlich Superreiche und ein paar notwendige Spezialisten angehören. Dort oben scheint das Paradies zu sein. Die Sonne scheint, Pflanzen wachsen. Darüber hinaus hat man unterirdisch große Labore eingerichtet, in denen nicht nur Lebensmittel produziert, sondern auch zahlreiche vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten mit genetischem Material erhalten oder neu erschaffen werden. Man will die Biodiversität fördern, verfolgt aber noch weitere, nicht klar umrissene Ziele.

    Die Köchin kann aus dem Vollen schöpfen, ihr stehen schier unendliche Vorräte der feinsten Leckerbissen zur Verfügung, um den Arbeitgeber, dessen Tochter und die für das Projekt bedeutsamen Gäste zu bewirten. Im Fortgang bilden die Drei eine funktionale Schicksalsgemeinschaft: Der Arbeitgeber besorgt finanzstarke Investoren, die hochintelligente Aida ist die kompetente Koordinatorin, und die Erzählerin muss in eine mysteriöse Rolle schlüpfen, aus der heraus sie Vertrauen, Glauben und Demut vermitteln soll.
    Überfluss, Verschwendung und Dekadenz stehen dabei im krassen Gegensatz zu den Zuständen der Ebene. Man schirmt sich ab auf dem Berg, zieht Zäune, stellt Grenzhüter auf. Das Zuviel an Nahrung wird achtlos weggeschmissen. Die Parallelen zu unserer gegenwärtigen Wohlstandsgesellschaft sind voll beabsichtigt. Neben den außergewöhnlichen Speisen werden Jagden seltener Tiere oder feudale Barbecues zelebriert, die den Leser zusammenzucken lassen.

    Während ihres Jahres auf dem Berg wird die Erzählerin immer wieder von Zweifeln geplagt. Sie selbst kann die exquisiten Speisen, die sie täglich serviert, nicht genießen. Auch hat sie Schwierigkeiten, sich den unklaren Zielen unterzuordnen, fühlt sich teilweise verloren und orientierungslos. Diese Gefühlslage übermittelt der Text perfekt. Nicht nur einmal muss sie sich der patriarchalen Gewalt unterwerfen. Entschädigt wird sie durch ihre wachsende Leidenschaft in der Beziehung zu Aida. Die Sinnes- und Gaumenfreude dominiert also mehrere Ebenen, das muss man mögen.

    Die dystopischen Lebensumstände werden beklemmend detailliert beschrieben. Die Sprache ist über weite Strecken bildgewaltig, drastisch und opulent, manche Sätze treffen geradezu ins Schwarze, wenn sie gegenwärtige Entsprechungen oder soziale Schieflagen metaphorisch beschreiben. Die Gegensätze, die Weltuntergangsstimmung, die Suche nach visionären Lösungen – all das wird wunderbar transportiert. Der Roman braucht Aufmerksamkeit, über weite Strecken ist er sehr detailverliebt und auch symbollastig. Ich persönlich habe mich an den ausufernden Koch-, Genuss- und damit verflochtenen Sexszenen gerieben, hier wurde für mein Empfinden zu dick aufgetragen, so dass sich der eigentliche Fokus verlor. Die Figuren bleiben wie oft in dystopischen Romanen kalt und distanziert. Ihre Schablonenhaftigkeit könnte aber gewollt sein, stehen sie doch für Entsprechungen in der realen Welt.

    Insgesamt hat mich der Roman nicht völlig überzeugt, auch wenn er im letzten Drittel leichter bekömmlich wird und auf ein versöhnliches Ende zusteuert. Als amerikanischer Gegenwartsroman kann er seine vielfältigen Botschaften nicht verbergen. Weniger wäre vielleicht mehr gewesen. Die Sprachvirtuosität von Autorin und Übersetzerin Eva Regul hat mich indessen begeistert.

    Ich lauere neugierig auf weitere Veröffentlichungen von C Pam Zhang, spreche meine Leseempfehlung unter leichtem Vorbehalt aus.

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  1. Konnte mich leider nicht erreichen

    Wir erfahren direkt auf den ersten Seiten des Romans " Wo Milch und Honig fließen" von C. Pam Zheng, dass die Menschheit mit einer schweren Katastrophe zurecht kommen muss. Eine große Smogwolke sorgte dafür, dass nahezu alles an Vegetation sowie die meisten Tiere keine Chance mehr hatten. Es wurde ein Mehl aus Mungobohnen entwickelt, so dass die Menschen sich zumindest ernähren konnten. Die Ich—Erzählerin, die bis zum Ende namenlos bleibt, erzählt die Geschichte rückblickend.
    Sie als Köchin hat es schwer, der Genuss beim Essen bleibt aus, die Möglichkeiten sind mehr als begrenzt. Sie bewirbt sich auf ein verlockendes Stellenangebot, und bekommt den Job, obwohl sie ein wenig geschummelt hat. Da sie Schulden hat, ist bereit viele Abstriche zu machen, um diesen sehr lukrativen Job zu behalten.
    So landet sie auf einem Berg in Italien, und darf mit exotischen Lebensmitteln kochen, die ihr Arbeitgeber in Laboren züchtet. Seine Tochter Aida ist auf diesem Gebiet sehr talentiert und unterstützt ihren Vater. Das Gespann sucht ebenso nach Investoren, lockt sie mit kulinarischen Besonderheiten, die unsere Köchin kreieren soll. Bald stellt die Köchin fest, dass sie nicht wegen ihrer überragenden Kochkünste bleiben darf, sondern wegen ihrer Ähnlichkeit zu der Frau des Arbeitgebers, die vor einiger Zeit verschwunden ist. Sie soll in die Rolle dieser Frau schlüpfen….

    Das an sich ist ein vielversprechendes Setting, dass mich aber wegen der Umsetzung überhaupt nicht begeistern konnte. Die Beschreibungen der Mahlzeiten, der Herstellung der Lebensmittel ist so präsent, dass es mich von der Kernbotschaft nahezu abgelenkt hat. Dies, und eine ausufernde Sexszene , ließen mich oft frustriert zurück.
    Der Schreibstil der Autorin konnte mich größtenteils sogar begeistern, doch ich fühlte mich nie richtig wohl bei den Beschreibungen. Schade, da ich viel positives von einem anderen Werk gehört habe.

    Das Ende ist zwar stimmig, ist aber plötzlich ganz anders konzipiert, was für mich weitere Wirrnisse zur Folge hatte.
    Für mich war der Roman leider nichts, aber ich denke, er wird sicher in den Augen vieler bestehen können.

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  1. 2
    10. Feb 2024 

    Konnte leider den hohen Erwartungen nicht standhalten

    Wenn man ein dystopisches Szenario schreiben möchte, hat man quasi einen ganzen Blumenstrauß an Varianten, wie die Menschheit ihr Ende finden wird, zur Verfügung. Seien es Pandemien, Überschwemmungen, nukleare Unfälle, verselbstständigte KI oder Zombie-Apokalypse. Pick one. C Pam Zhang wählt eine sehr interessante Prämisse für ihren neuen Roman. Diese Prämisse ist nicht gänzlich neu, klingt in dieser neuen Interpretation aber erst einmal sehr vielversprechend: Irgendwo in Iowa in einer nicht sehr fernen Zukunft kommt es zu einem menschengemachten Vorfall, der zu einer Kaskade mit weltweiter Smogbildung führt und somit zu einem massiven Pflanzen- und infolgedessen Tiersterben.

    Mithilfe der namenlosen Ich-Erzählerin, welche rückblickend von den damaligen Geschehnissen berichtet, wird die Thematik des Nahrungsmittelrückgangs betrachtet. Wir erfahren gleich zu Beginn, dass sie diese Katastrophe überleben wird, denn sie berichtet als ältere Frau von ihren Erlebnissen, ein scheinbarer Hoffnungsschimmer in einer so düsteren Szenerie. Unsere Erzählerin ist Köchin und kennt sich mit Haute Cuisine aus, weshalb sie sich auch aus Ermangelung an frischen Zutaten und daher konkretem persönlichem Frust, denn die meiste Nahrung besteht nur noch aus einer grauen Mungobohnenpaste, bei einem Milliardär bewirbt, ohne zuvor zu wissen, was auf dessen privatem Berg in Italien auf sie zukommen wird. Nun entspinnt sich aus ihrer Erinnerung heraus eine Erzählung über dekadentem Genuss, ein Kampf um die eigene Identität und eine mögliche Liebe.

    Dass C Pam Zhang schreiben kann, hat sie schon mit ihrem grandiosen Debütroman „Wie viel von den Hügeln ist Gold“ bewiesen. Auch im vorliegenden Werk erkennt man immer wieder ihre Sprachkunst, nur übertreibt sie es einerseits bezüglich der angerissenen und nie richtig ausgearbeiteten Themenbereiche und schafft es andererseits nicht ihren Protagonistinnen eine notwendige Tiefe mitzugeben. Sie hakt scheinbar alle aktuell relevanten Themen von Machtdynamik von Reichtum, Politik, Umwelt, Ausbeutung von Tieren, Fetischisierung ethnischer Gruppen bis zu sexueller Orientierung und und und ab. Die Autorin nutzt Sinneswahrnehmungen und Genuss, um Situationen zu beschreiben. Die Menschen und ihre Beziehungen dieser Menschen untereinander erscheinen dabei aber trotzdem erstaunlich blutleer und emotionslos. Ich konnte keinerlei Nähe zu den Figuren aufbauen. Zusätzlich werden die Beschreibungen der Ich-Erzählerin zunehmend von Löchern im Plot und Plausibilitätsproblemen gezeichnet, was es zusätzlich erschwert die Atmosphäre der Szenarien nachzuempfinden. Ich wurde dadurch regelrecht aus dem Lesefluss gerissen. Man könnte das dadurch erklären wollen, dass ja die Ich-Erzählerin als alte Frau von ihrer Zeit auf dem Berg erzählt, ja, für mich persönlich lässt sich damit nicht jeder Mangel begründen. Falls dieser Effekt von der Autorin intendiert wird, dann gefällt er mir zumindest nicht.

    Letztlich muss ich feststellen, dass der Roman, abgesehen von wenigen wunderbaren Sätzen und Formulierungen, für mich in keinster Weise qualitätsbezogen an den Vorgängerroman heranreicht. Es geht mir dabei nicht um den Inhalt, dieser unterscheidet sich natürlich stark. Und eine Dystopie, die eine dunkle, kalte zukünftige Welt darstellt, muss keineswegs in der Darstellung der Figuren und ihrer Beziehungen untereinander emotionslos sein. Hier ist dies meines Erachtens allerdings so, weshalb ich in Verbindung mit den oben genannten Problemen das Buch leider nicht weiterempfehlen kann.

    2,5/5 Sterne

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  1. Üppig auf allen Ebenen

    C Pam Zhang
    Wo Milch und Honig fließen

    Der Roman beginnt in einer fernen Zukunft, die im weitesten Sinne postapokalyptische Züge trägt.
    Die Menschheit wird durch eine Naturkatastrophe globalen Ausmaßes eingeholt. Die Klimakatastrophe ist eingetreten: Die Erde ist von einem rätselhaften Smog heimgesucht worden, der „die Sonne verfinsterte und den Weizen in der kanadischen Prärie ebenso erstickte wie den harten gelben Reis auf den Feldern Perus.“ (S. 9)
    Die Böden sind unfruchtbar, Pflanzen und Tiere sind weitestgehend verseucht und vernichtet. Eine Hungersnot beherrscht Amerika und Südostasien. Der Smog erreicht Europa anderthalb Jahre später. In diesem Szenario macht sich eine namenlose Köchin auf den Weg nach Europa. Ihr Ziel ist eine Kolonie einer »Spitzenforschungsgemeinschaft« an einem geheimen Ort auf einem italienischen Berggipfel. Hoch oben am Gipfel breitet sich eine Idylle mit blauem Himmel, klarer Luft und Licht aus. Die Sonne steht im Kontrast zum Smog. Dort existieren noch frische Erdbeeren, Gemüse, das Fleisch längst ausgestorbener Tierarten, die in unterirdischen Laboren gezüchtet werden. Eine dekadente Gesellschaft kommt zusammen, um diese Köstlichkeiten zu genießen. Jedoch wird schnell klar, dass die vermeintliche Idylle dieser Berg-Enklave trügt. Der Anführer dieser Gesellschaft der Superreichen ist ein Tyrann, ein selbstherrlicher Mensch, der möglichst viele reiche Investoren für sein Biodiversitätsprojekt gewinnen will. Die Aufgabe der Köchin ist nicht nur zu kochen, sondern auch in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen für dieses abgekartete Spiel.

    Sie lernt seine Tochter, eine Forscherin und Genetikerin, kennen, freundet sich mit ihr an und gelangt so in die verborgenen Räume im Inneren des Berges.

    Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive der namenlosen Köchin erzählt. Mit wenigen Worten und Sätzen porträtiert die Autorin C Pam Zhang die Icherzählerin. Sie ist alt, „als mein Leben schon vorbei ist“. Im Hörsaal trifft sie auf eine junge Frau, höchstens „achtzehn oder neunzehn“, deren Aussehen zwar jung, aber ihre innere Haltung gegensätzlich zu ihrer Jugend steht. Sie interessiert sich für die Köchin und das löst bei der Icherzählerin schmerzliche Erinnerungen aus, die sie an einem Ort, den es nicht mehr gibt, erlebt hat.

    C Pam Zhang kreiert ihren Roman als Fest für die Sinne. Exotische Tiere, aus den unterirdischen Laboren gezüchtet, werden zubereitet und in dem Luxusrestaurant auf dem Berg verschlungen.

    Die Autorin stellt sehr eindrucksvoll zwei Welten gegenüber. Die Reichen, die im Licht der Sonne leben und die Armen die Sonne nur noch erahnen können. Deutlich werden die Gegensätze im Essen dargestellt. Der Überfluss auf dem Berg für die Einflussreichen, für eine Bevölkerung, die mächtig ist. Im Gegensatz dazu muss das Volk hungern. Es herrscht eine dystopische Weltuntergangsstimmung. Im Laufe der Erzählung werden immer wieder Einschübe aus dem Leben der beiden Frauen ersichtlich. Dadurch wird die Erzählstruktur sehr abwechslungsreich. Ernste und amüsante Dialoge lockern auf und immer tiefer dringen wir in ein surreales Geflecht von Machenschaften.

    Das Essen wird zelebriert in seitenlangen Sätzen mit einer unglaublichen Opulenz, bildlicher, sehr sinnlich wirkender Sprache. Im Kontrast werden die sehr realistischen und abgefahrenen Machenschaften aufgezeigt.

    Essen spielt eine wichtige zentrale Rolle in diesem System, denn ohne Nahrung überlebt der Mensch nicht.

    „Sicherlich verstehen Sie, welchen Nutzen Saavedra Saatgutbank bieten kann. (S. 93)

    Die Suche und Erprobung nach neuen Nahrungsmitteln verspricht viel Geld und somit Reichtum.

    „Sie können gerne auf Ihre Portion des sibirischen Mammuts verzichten, auf das unsere Mitarbeiter durch einen glücklichen Zufall bei der Ausgrabung von Saavedra Saatgutbank gestoßen sind.“
    (S. 96)

    Die in Peking geborene Amerikanerin C Pam Zhang spricht in ihrem neuen Roman viele Genres, viele aktuelle Themen an. Gesellschaftskritik, Religion und Politik spart sie nicht aus, ethische und soziologische Fragen stellt sie im Raum.
    Dazu verarbeitet sie eine exzentrische Liebesgeschichte zwischen Aida und der Icherzählerin, die sie durch ausgefallene Farbschilderungen mit Essen und Sex verbindet.

    C Pam Zhang inszeniert ihren Roman üppig auf allen Ebenen. Die Sprache ist facettenreich, die Symbolik überspannt alle Bereiche. Es entstehen Spannungsbögen mit Gegensatzpaaren, Licht und Schatten wechseln sich ab mit Üppigkeit und Kargheit. Extravagante Lebensmittel erzeugen ein Fest der Sinne zwischen Hunger und Appetitlosigkeit.
    Oftmals bekommt man das Gefühl, im Irrgarten sich zu befinden. Doch es gibt immer wieder neue Wege heraus in eine andere Richtung. Am Ende bleiben Fragen offen, die nur der/die Leser:in beantworten kann. Wie weit ist der Mensch bereit, sein eigenes Leben zu retten, um zu überleben? Zählen Privilegien dazu?

    Mit "Wo Milch und Honig fließt" hat C Pam Zhang einen Roman geschrieben, der mit unfassbaren, hochaktuellen Themen aufwartet.

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  1. Üppig auf allen Ebenen

    C Pam Zhang
    Wo Milch und Honig fließen

    Der Roman beginnt in einer fernen Zukunft, die im weitesten Sinne postapokalyptische Züge trägt.
    Die Menschheit wird durch eine Naturkatastrophe globalen Ausmaßes eingeholt. Die Klimakatastrophe ist eingetreten: Die Erde ist von einem rätselhaften Smog heimgesucht worden, der „die Sonne verfinsterte und den Weizen in der kanadischen Prärie ebenso erstickte wie den harten gelben Reis auf den Feldern Perus.“ (S. 9)
    Die Böden sind unfruchtbar, Pflanzen und Tiere sind weitestgehend verseucht und vernichtet. Eine Hungersnot beherrscht Amerika und Südostasien. Der Smog erreicht Europa anderthalb Jahre später. In diesem Szenario macht sich eine namenlose Köchin auf den Weg nach Europa. Ihr Ziel ist eine Kolonie einer »Spitzenforschungsgemeinschaft« an einem geheimen Ort auf einem italienischen Berggipfel. Hoch oben am Gipfel breitet sich eine Idylle mit blauem Himmel, klarer Luft und Licht aus. Die Sonne steht im Kontrast zum Smog. Dort existieren noch frische Erdbeeren, Gemüse, das Fleisch längst ausgestorbener Tierarten, die in unterirdischen Laboren gezüchtet werden. Eine dekadente Gesellschaft kommt zusammen, um diese Köstlichkeiten zu genießen. Jedoch wird schnell klar, dass die vermeintliche Idylle dieser Berg-Enklave trügt. Der Anführer dieser Gesellschaft der Superreichen ist ein Tyrann, ein selbstherrlicher Mensch, der möglichst viele reiche Investoren für sein Biodiversitätsprojekt gewinnen will. Die Aufgabe der Köchin ist nicht nur zu kochen, sondern auch in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen für dieses abgekartete Spiel.

    Sie lernt seine Tochter, eine Forscherin und Genetikerin, kennen, freundet sich mit ihr an und gelangt so in die verborgenen Räume im Inneren des Berges.

    Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive der namenlosen Köchin erzählt. Mit wenigen Worten und Sätzen porträtiert die Autorin C Pam Zhang die Icherzählerin. Sie ist alt, „als mein Leben schon vorbei ist“. Im Hörsaal trifft sie auf eine junge Frau, höchstens „achtzehn oder neunzehn“, deren Aussehen zwar jung, aber ihre innere Haltung gegensätzlich zu ihrer Jugend steht. Sie interessiert sich für die Köchin und das löst bei der Icherzählerin schmerzliche Erinnerungen aus, die sie an einem Ort, den es nicht mehr gibt, erlebt hat.

    C Pam Zhang kreiert ihren Roman als Fest für die Sinne. Exotische Tiere, aus den unterirdischen Laboren gezüchtet, werden zubereitet und in dem Luxusrestaurant auf dem Berg verschlungen.

    Die Autorin stellt sehr eindrucksvoll zwei Welten gegenüber. Die Reichen, die im Licht der Sonne leben und die Armen die Sonne nur noch erahnen können. Deutlich werden die Gegensätze im Essen dargestellt. Der Überfluss auf dem Berg für die Einflussreichen, für eine Bevölkerung, die mächtig ist. Im Gegensatz dazu muss das Volk hungern. Es herrscht eine dystopische Weltuntergangsstimmung. Im Laufe der Erzählung werden immer wieder Einschübe aus dem Leben der beiden Frauen ersichtlich. Dadurch wird die Erzählstruktur sehr abwechslungsreich. Ernste und amüsante Dialoge lockern auf und immer tiefer dringen wir in ein surreales Geflecht von Machenschaften.
    Das Essen wird zelebriert in seitenlangen Sätzen mit einer unglaublichen Opulenz, bildlicher, sehr sinnlich wirkender Sprache. Im Kontrast werden die sehr realistischen und abgefahrenen Machenschaften aufgezeigt.

    Essen spielt eine wichtige zentrale Rolle in diesem System, denn ohne Nahrung überlebt der Mensch nicht.

    „Sicherlich verstehen Sie, welchen Nutzen Saavedra Saatgutbank bieten kann. (S. 93)

    Die Suche und Erprobung nach neuen Nahrungsmitteln verspricht viel Geld und somit Reichtum.

    „Sie können gerne auf Ihre Portion des sibirischen Mammuts verzichten, auf das unsere Mitarbeiter durch einen glücklichen Zufall bei der Ausgrabung von Saavedra Saatgutbank gestoßen sind.“
    (S. 96)

    Die in Peking geborene Amerikanerin C Pam Zhang spricht in ihrem neuen Roman viele Genres, viele aktuelle Themen an. Gesellschaftskritik, Religion und Politik spart sie nicht aus, ethische und soziologische Fragen stellt sie im Raum.
    Dazu verarbeitet sie eine exzentrische Liebesgeschichte zwischen Aida und der Icherzählerin, die sie durch ausgefallene Farbschilderungen mit Essen und Sex verbindet.

    C Pam Zhang inszeniert ihren Roman üppig auf allen Ebenen. Die Sprache ist facettenreich, die Symbolik überspannt alle Bereiche. Es entstehen Spannungsbögen mit Gegensatzpaaren, Licht und Schatten wechseln sich ab mit Üppigkeit und Kargheit. Extravagante Lebensmittel erzeugen ein Fest der Sinne zwischen Hunger und Appetitlosigkeit.
    Oftmals bekommt man das Gefühl, im Irrgarten sich zu befinden. Doch es gibt immer wieder neue Wege heraus in eine andere Richtung. Am Ende bleiben Fragen offen, die nur der/die Leser:in beantworten kann. Wie weit ist der Mensch bereit, sein eigenes Leben zu retten, um zu überleben? Zählen Privilegien dazu?

    Mit "Wo Milch und Honig fließt" hat C Pam Zhang einen Roman geschrieben, der mit unfassbaren, hochaktuellen Themen aufwartet.

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  1. Wo ein starker Beginn auf ein schwaches Ende trifft

    Im Land „Wo Milch und Honig fließen“ kann man den Hungersnöten, dem Smog und der Hoffnungslosigkeit, die den restlichen Erdball beherrschen, entkommen. Dies zumindest glaubt die namenlose Erzählerin von C. Pam Zhengs Roman. Dafür gelten in der isolierten Gemeinschaft auf einem italienischen Berg ganz eigene Regeln, die das Leben reglementieren. Damit das Land ein Erfolg wird, braucht der immer nur als „Arbeitgeber“ bezeichnete reiche Geschäftsmann, der die Enklave ins Leben rief, zahlungskräftige Investoren, die er über dekadente Speisen, exklusive Events und vor allem dadurch, dass er sie dazu bringt, an das Projekt zu glauben, für sich einnimmt.

    Wie bei fast allen dystopischen Romanen, braucht es auch in C. Pam Zhengs Roman eine Weile bis man sich in der fremden neuen Welt zurechtfindet. Dennoch bleibt über weite Strecken des Romans eine gewisse Desorientierung und Verlorenheit erhalten, die nicht zuletzt daraus resultiert, dass die Protagonistin selbst von ihrer Umgebung und ihrem neuen Leben überfordert ist. Dazu bleibt, bedingt durch die zeitliche Distanz zwischen erzählendem und erlebendem Ich, einiges im Vagen – immerhin liegen zwischen dem Erzählen und dem Erleben einige Jahrzehnte, sodass die Erzählerin sich nicht immer zuverlässig erinnern kann oder will. Immer wieder entsteht der Eindruck von Selektion, von Auslassung und auch von Leserlenkung. Gerade der Beginn des Romans ist in dieser Hinsicht beeindruckend. Es gelingt zwar nicht eine Beziehung zur Erzählerin aufzubauen, da sie sehr distanziert und beobachtend auftritt und man nur wenig über sie erfährt, aber die ersten sechs Kapitel des Romans sind sehr spannend konzipiert und hochinteressant.

    Sprachlich konnte mich der Roman zu Beginn sehr begeistern, großartige Bilder, faszinierende Schilderungen - die Autorin kann großartig und beeindruckend schreiben. Diesem Leseeindruck wurde jedoch mit Kapitel 7 ein jähes Ende gesetzt, in dem die Erzählerin beginnt, ausufernd detailliert eine (sexuelle) Beziehung mittels Nahrungsmittelsymbolik zu beschreiben. Das Ergebnis ist eine überlange barock bis schwülstige Sexszene, von der man schon nach ein Paar Absätzen hofft, sie möge bald ein Ende haben, einfach weil hier nichts mehr so recht sprachlich zusammenpasst.

    Leider verlor mich der Roman in der Folge zunehmend. War ich im ersten Teil noch von der Anzahl der angesprochenen Themen beeindruckt und begeistert, dass diese ohne didaktischen Fingerzeig auskamen, hatte ich im zweiten Teil den Eindruck, dass alle Themen nur noch oberflächlich abgehakt wurden, nichts wurde hier angemessen behandelt oder zu Ende gedacht. Ärgerlich z.B. dass der Feminismus dann auf den allerletzten Seiten auch noch seinen kleinen versöhnlichen Auftritt bekommt – ein Sinnbild des Umstands, dass hier wirklich jeder aktuelle Bezug verarbeitet werden sollte. Dem Roman hätte die Entscheidung für einen genaueren Fokus sehr gutgetan.

    So oberflächlich wie die Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen fällt auch die Figurenzeichnung aus. Die Figuren bleiben schablonenhaft und auf ihre Motivationen reduziert, es gibt kaum Charakterisierungsmöglichkeiten, die über „James-Bond-Bösewicht“ oder eventuelle Motivationen hinausgehen. Hinzu kommt eine Handlungsführung, die wenig organisch wirkt, sondern eher den Eindruck erweckt, als wäre etwas bemüht um eine weitere Episode gerungen worden (Jagd, Stadtausflug). Zwar fing das vorletzte Kapitel mit seinem doch recht überraschenden Twist mich wieder kurzzeitig ein, die Hoffnung, dass der Roman stilsicher und überzeugend über die Ziellinie gebracht werden würde, wurde jedoch enttäuscht. Das letzte Kapitel passt kaum zum Rest des Romans, weder inhaltlich noch sprachlich. Das überzogene Pathos und die Offenbarungen, die nicht im Einklang mit dem restlichen Roman stehen, haben mich allenfalls verwundert, aber nicht überzeugt. Es wäre besser gewesen, knallhart zur entworfenen Dystopie zu stehen, als völlig unvermittelt emotional zu werden, nur damit der Leser vielleicht beruhigt aus der Düsternis dieser in Teilen durchaus auch mit abstoßenden Momenten versehenen Lektüre hervorgeht.

    Für mich ist der Roman leider ein sehr unstimmiges Werk, das eine starke erste Hälfte aufweist und in dieser mich auf allen Ebenen begeistert hat. Dann aber verliert der Text den Faden und die Ideen versiegen. Eine Leseempfehlung für die ersten sechs Kapitel, danach leider nicht mehr.

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  1. Zeugin einer Katastrophe...

    ...das ist unsere namenlose Köchin. Inzwischen krank und alt, wird sie von einer ihrer Schülerinnen auf die Ereignisse angesprochen, die damals die ganze Welt veränderten und in den Abgrund reißen wollten. Also erinnert sich unsere Protagonistin an ihr jüngeres Ich. Sie erinnert sich an ihre bedenkenlose Jugend, als sie eine Gourmetköchin werden wollte und dafür in die Welt hinauszog, allein ihr Ziel vor Augen.

    Dann aber legte sich eine Smogwolke über die Erde und wollte nicht mehr weichen. Sie erstickte das Wachstum auf den Feldern, eine Hungerkrise erfasste die Welt. Wissenschaftler arbeiteten mit Hochdruck an Pflanzen, die ohne Sonnenlicht eine minimale Ernährung der Bevölkerung garantierten. Die Staaten reagierten mit panischer Abschottung und eifersüchtiger Kontrolle.

    Die Weg zurück in ihre Heimat, den USA, ist unserer Protagonistin verschlossen. Sie hat dort einen Schuldenberg hinterlassen, den sie nicht abzahlen kann. Aus der Not heraus bewirbt sie sich als Köchin in eine der wenigen, abgeschotteten, aber dekadenten Kolonien in den Hochtälern, die die Smoggrenze überschreiten, wo die Sonne noch zu sehen ist. Ihr ebenfalls namenloser Boss hat sich ein Refugium in den italienischen Alpen aufgebaut. Dort empfängt er mit seiner Tochter erlesene Gäste. Die Heimatlose soll sie dort bekochen, mit Lebensmitteln, die es sonst nirgendwo mehr gibt, sich aber ansonsten zurückziehen und anonym bleiben.

    Wider aller Erwartungen, freunden sich die Tochter Aida und unsere Köchin an. Die Vertrautheit wächst und mit ihr lüften sich auch die Geheimnisse des Berges. Unsere Köchin lernt die ungeheuerlichen Unterschiede zwischen Arm und Reich kennen und lässt sich schließlich vor den Karren eines Planes spannen, den sie erst durchschaut, als alles schon zu spät ist.

    Die surrealistisch anmutenden Szenen auf dem Berg, die perfiden Täuschungsmanöver seitens ihres Arbeitgebers, die ausufernden Beschreibungen von Liebe und Speisen, verwirren zunächst das Bild einer nahen Zukunft, die unter dem Klimawandel zusammengebrochen ist, und wo Neid und Not die Gesellschaftsordnungen verändern. Zur literarischen Unordnung von Religiosität, Sinnlichkeit und knallhartem Geschäftgebahren gesellt sich eine unzuverlässige Erzählerin... alles lädt dazu ein, das Buch wegen Verdachts auf schlampige Korrektur und undurchdachten Plots in die Ecke zu pfeffern. Die Katharsis für mein Unbehagen waren dann die Nachwehen des nur ein Jahr dauernden Aufenthalts unserer Bergbewohnerin. Sie verlässt die Kolonie und erkennt schließlich, die Fragilität des Heilsverprechens, die Unmöglichkeit, sich mit Macht und Reichtum von Menscheitsproblemen freikaufen zu wollen und die Eindimensionalität eines vermeintlichen Paradieses.

    Pam Zhang hat die Erinnerungen unserer Überlebenden ganz im Licht von Drogenkonsum, Überhöhung, Idealisierung und Verunsicherung einer damals noch jungen Frau stehen gelassen. Sie unterstreicht damit die Authentizität einer Zeugenaussage, die die Frage nach der Mitschuld im Raum stehen lässt.

    Eine herausfordernde Lektüre einer dystopischen Welt, die mit beiden Beinen fest im Hier und Jetzt verankert ist.

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  1. Kann Kochen die Welt retten?

    Für literarische erdachte Dystopien bietet die Gegenwart mehr als genug Anreiz, „Wo Milch und Honig fließen“ der internationalen Bestseller-Autorin C Pam Zhang geht dabei einen sehr eigenen Weg. Wie der Titel schon vermuten lässt, finden sich biblische Anspielungen, aber auch das Kochen, Essen und Sinnlichkeit nehmen einen großen Raum ein.

    In den italienischen Alpen spielt ein namenlos bleibender „Auftraggeber“ mithilfe seiner Tochter Aida, einer Gentechnikerin, ein wenig Gott und erschafft abseits der von Umweltzerstörung und sozialen Unruhen geplagten Erde eine Art neues Paradies. Zumindest für diejenigen, deren Geldbeutel groß genug ist und die bereit sind, eine entsprechend hohe Summe zu investieren.

    Unverhofft gerät die ebenfalls namenlos bleibende Ich-Erzählerin in diese Welt, denn der Auftraggeber benötigt eine Sterneköchin für sein Restaurant hoch oben auf dem Berg. Dort will er eine elitäre, dekadente Klientel standesgemäß bewirten, um sie zu Investitionen in sein Projekt zu bewegen. Da die Erzählerin in mehrerlei Hinsicht heimatlos ist, lässt sie sich auf das von Anfang an dubiose Arrangement ein. Bald wird sie nicht mehr nur als Köchin fungieren, sondern weitere Aufgaben erfüllen. Im Laufe des Jahres, das sie sich dort aufhält, plagen sie jedoch zunehmend Zweifel und Gewissensbisse. Rückblickend erzählt sie den Lesern von ihrem Aufenthalt auf dem Berg.

    Dass die Autorin US-Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln ist, schlägt sich nicht zuletzt darin nieder, dass im „terra de miele e latte“ dem Essen sowie Nahrungsmitteln eine hohe Bedeutsamkeit zukommen, wie dies im asiatischen Kulturraum üblich ist. Sowohl die körperliche und emotionale Verfassung der Charaktere, ja sogar der Zustand der ganzen Welt spiegeln sich im Essen und der Auswahl der Nahrungsmittel. Das mag teilweise ungewohnt sein, birgt aber zusätzliche Deutungsebenen neben der in der Literatur allgemein bekannten Spiegelung der inneren Handlung in Landschaftsbeschreibungen und der diesbezüglichen Symbolik.

    Sprachlich experimentiert der Roman mit häufig parataktischen, aber keineswegs simplen Konstruktionen und dem oft ironisch-sarkastischen Unterton. Die Zeit- und Handlungssprünge, die vermutlich auch dem getrübten Erinnerungsvermögen der inzwischen schon gealterten Ich-Erzählerin zuzuschreiben sind, erfordern ein waches, reflektiertes Lesen. Dies erscheint aber angesichts der komplexen Thematik angemessen. All dies verleiht dem Roman zusammen mit ausgefallenen Farbschilderungen und mancherlei ungelöst bleibender Fragen etwas Surreales.

    Der Roman verzichtet auf einfache Antworten sowie eindimensionales Schwarz-Weiß-Denken, denn obwohl die Hybris und Machtgier des „Auftraggebers“ und seiner Tochter von Beginn an offenkundig sind, wirbt die Erzählerin immer wieder um Verständnis für die Motive der Beteiligten, sodass der Roman zeitweise den Charakter eines Bekenntnisses, einer Rechtfertigung erhält. Möglicherweise könnte man das Ende als allzu glatt empfinden, auch wenn es eine positive Botschaft für die Zukunft beinhaltet.

    Mir hat der Roman, der neben der Thematik der Umweltzerstörung auch die Rolle der Frau und die Reichweite persönlicher Freiheit hinterfragt, sowohl inhaltlich als auch stilistisch viel Vergnügen bereitet.

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  1. Von Dekadenz und Hybris

    Kurzmeinung: Ich mag gnadenlose Satire!

    Eingebettet in die Geschichte einer jungen begabten Gourmetköchin, die einen begehrten, aber mit Restriktionen behafteten Job in einer italienischen Berglandschaft erhält, schreibt die Autorin eine bitterböse Gesellschaftssatire, in der es um den Umgang mit Nahrungsmitteln geht, um Genuß, Dekadenz, Dominanz und Hybris.
    Peripher geht es freilich um die Rettung der Welt, denn in der abgelegenen Bergregion versuchen ein reicher alleinherrschender Indurstriemagnat und seine Tochter, die Gentechnikerin Aida, ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten aufgrund von DNA-Spuren zu resurrectionieren. Die Täler und Städte sind durch eine dichte Smogdecke lichtabgedeckt, es gibt kaum noch Nahrung. Doch auf dem Berg geht es opulent, dekadent und verschwenderisch zu, ein beliebtes Dessert ist Eiscreme übergossen mit Schildkrötenblut. Erzählt wird aus der Rückblende aus der Sicht der Gourmetköchin.

    Der Kommentar und der Leseeindruck:
    Der Autorin ist ein beeindruckendes Experiment gelungen. Mit feiner Klinge spießt sie die Gepflogenheiten der Superreichen auf. Wie sie prassen und exotischen Genüssen frönen, während andere Menschen hungern. Und gleichzeitig wird die gourmetsche Lebensweise verteidigt. Der normale Plebs habe doch gar keine Zunge für solche Genüsse. Das Experiment liegt in der Art, wie die Autorin ihre Erzählung anordnet, in die Art, wie sie ihre Kritik anhand des Grundlegendsten überhaupt verpackt, ins Essen. Essen ist Leben. Aber Essen kann mehr sein. Ich denke an die vielen Kochsendungen heutzutage - auch dort findet eine Überhöhung des bloßes Vorgangs der Essenszubereitung statt!

    Es macht Spaß, die Autorin ihre Klinge führen zu sehen, gnadenlos und unbarmherzig ist sie dabei, vieles von dem, was sie durch das Romangeschehen nur indirekt anprangert, ist bereits verwirklicht:, die Reichen leben abgeschottet in ihrer Blase, in überbordender Dekadenz und Fülle. Auch ist ihnen eine spezielle Hybris zu eigen, ob es Elton John ist mit seinem Weltraumtourismus oder Bill Gates mit seinen Stiftungen oder viele andere, die Superreichen behalten sich vor, ihren eigenen Traum von der Weltenrettung zu finanzieren und zu leben; selbstverständlich auf Kosten der Allgemeinheit. Geht ja nicht anders, wie die Autorin ihre Protagonisten immer wieder neu erklären lässt. Und sie wissen es natürlich besser als alle anderen. Ich mag diesen Zynismus und auch die Bilder, die die Autorin vor meine Augen malt: sie treibt es auf die Spitze und ich amüsiere mich großartig. Dafür nehme ich ein paar Ungereimtheiten in der Erzählung in Kauf und auch die exzentrische dominanzgeprägte Ausformung einer lesbischen Liebe ist ja nur ein Beispiel für das Ausleben jeder Extravanz in gewissen Kreisen. Ich hätte sie alledings nicht gebraucht. Schwamm drüber.

    Fazit: Eine Dystopie, die eigentlich keine ist und den Umgang mit Nahrungsmitteln aufs Korn nimmt, sowie die Hybis und Dekadenz der Superreichen an die Wand nagelt, wenn nicht ans Kreuz. Sprachlich top.

    Kategorie: Dystopische Satire.
    Verlag: S. Fischer, 2024

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Zwischen uns und morgen (Tapir)

Buchseite und Rezensionen zu 'Zwischen uns und morgen (Tapir)' von Peter Zantingh
3
3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Zwischen uns und morgen (Tapir)"

Hals über Kopf reist Robin, ein junger Vater, seiner Frau hinterher. Was muss er ihr so dringend sagen? Während der Zug durch das überschwemmte Ahrtal gleitet, blickt er zurück auf seine Entscheidungen. Wie vertretbar ist es, ein Kind in diese Welt zu bringen, in der eine Naturkatastrophe die nächste jagt? Ein zarter und kluger Roman über eine der großen Fragen unserer Zeit.

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:0
EAN:
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Rezensionen zu "Zwischen uns und morgen (Tapir)"

  1. 3
    20. Mär 2024 

    Eine gut sechseinhalbstündige Zugfahrt

    Warum nimmt Robin nur diese lange Zugfahrt vom Utrechter Hauptbahnhof bis nach Baden-Württemberg auf sich, noch dazu mit einem Zweijährigen? Um seine Beziehung zu retten?

    Wir fahren mit den beiden, müssen - bedingt durch die Flutkatastrophe im Ahrtal - eine großzügige Umleitung in Kauf nehmen, erleben einen chaotischen Umstieg in Köln, bei dem nur 28 Minuten mit einem überdrehten Kleinkind zum Wickeln und Stillen des Hungers zur Verfügung stehen.

    Vor allem nehmen wir an Robins Erinnerungen teil: an seine Zeit als überzeugter Klimaaktivist und das Kennenlernen von Tess in einer Menschenkette und auch beider familiärer Hintergründe. Einen großen Raum nimmt die Entscheidungsfindung ein, ob in diese Welt, in der jeder Sommer mit einem eigenen Katastrophen-Cocktail serviert wird, überhaupt noch Kinder gesetzt werden dürfen. Wunderschön (und überzeugend) fand ich dazu den Satz: „Es wird einfacher, an die Zukunft zu glauben, wenn man sie jeden Morgen aus dem Bett holt.“

    Dieser Roman lässt mich ratlos zurück: Wo war z.B. Mat, der zweijährige Sohn bei manchen Situationen im Zug, dann auch beim Laufen von Robin und Tess zum Hotel. Was ist Fiktion und was ist Wirklichkeit? Drei Sterne kann ich aus diesem Grund leider nur geben!

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