Das Haus des Windes: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Haus des Windes: Roman' von Louise Erdrich
4.35
4.4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Haus des Windes: Roman"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:379
EAN:
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Rezensionen zu "Das Haus des Windes: Roman"

  1. 4
    01. Jul 2017 

    Joe wird erwachsen

    Es ist der Sommer, in dem Joe, soeben 13 Jahre alt geworden, erwachsen wird. Seine Mutter wird Opfer eines brutalen Überfalls, doch aufgrund gesetzgeberischer Unstimmigkeiten fühlt sich keine Ermittlungsbehörde wirklich zuständig. Joe und seine drei Freunde machen sich gemeinsam auf die Suche...
    Das Verbrechen an Joes Mutter ereignet sich im Jahre 1988 in einem Reservat in den USA. Obwohl es sich bei dem Vorfall um die zentrale Geschichte des Buches handelt, ist es doch nur ein Part unter vielen. Joe und seine Freunde lernen die Liebe kennen, es geht um die alten Mythen der Indianer, um Familie, Liebe, Gerechtigkeit, Rassismus undundund.
    Erdrich ist nicht nur eine Könnerin darin, in beiläufigen Bemerkungen ganze Dramen aufzuzeigen wie beispielsweise die damals noch immer massive Diskriminierung der Indianer oder der Bombenanschlag auf die US-Botschaft in Beirut. Ebenso grandios ist ihre Fähigkeit, daneben überaus witzige Dialoge oder Szenen wie die acht nackten Indianer, die aus der Schwitzhütte flüchten zu beschreiben, ohne dass es aufgesetzt oder gekünstelt wirkt. Auch die Figuren des Romans bringt sie einem nahe: Man leidet, fürchtet oder freut sich mit ihnen und kann deren überaus skeptische Haltung gegenüber den Menschen ausserhalb des Reservates mehr als nachvollziehen. Ja, da fragt man sich, wie Joes Vater trotz alledem so voller Vernunft bleiben kann.
    Weshalb dann nicht die volle Punktzahl? Weil ich kurz zuvor von Joe R. Lansdale 'Ein feiner dunkler Riss' gelesen habe, das ein sehr sehr ähnliches Thema behandelt: Ein ebenfalls 13jähriger macht sich im Sommer des Jahres 1958 gemeinsam mit Freunden auf, ein vor vielen Jahren begangenes Verbrechen aufzuklären. Und auch hier ist es ein Sommer des Erwachsenwerdens. Doch Lansdales Geschichte war (etwas) packender, was daran liegen mag, dass durch die vielen unterschiedlichen Teile Erdrichs Geschichte nicht so aus einem Guss wirkte. Etwas weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen.
    Nichtsdestotrotz: Voll und ganz empfehlenswert (und Lansdale natürlich erst recht ;-)).

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  1. 5
    30. Jun 2017 

    The Round House...

    Der englische Titel dieser Rezension ist gleichzeitig der Originaltitel des Buches und hätte mir wohl eher als der schmal gehaltene Klappentext verdeutlicht, dass dieser Roman in einem Indianerreservat spielt. So hat mich die Lektüre anfangs doch überrascht, aber auch schnell hineingezogen in das Geschehen.

    Der 13-jährige Joe Coutts steht im Mittelpunkt der Handlung, und das Geschehen wird allein aus seiner Sicht erzählt. Er lebt mit seinen Eltern in einem Indianerreservat in North Dakota, einem der am dünnsten besiedelten amerikanischen Bundesstaaten, und gehört wie seine Eltern dem Stamm der Ojibwe an. Joes Vater arbeitet als Richter im Reservat, seine Mutter arbeitet im Stammesbüro. In einem Safe, dessen Kode nur sie besitzt, bewahrt sie kompliziert verästelte Stammesregister auf. Sie kennt jedermanns Geheimnisse und weiß von Kindern, die durch Inzest, Vergewaltigung oder Ehebruch jenseits oder innerhalb der Grenzen des Reservats gezeugt wurden.

    Eines Tages kommt Geraldine, Joes Mutter, sehr verstört nach Hause. Sie bleibt hinter dem Steuer sitzen und macht die Tür ihres Autos nicht auf. Als Joes Vater die Autotür öffnet, sieht er das Blut auf dem Fahrersitz. Und ihr grün und blau geprügeltes Gesicht. So beginnt ein Kriminalfall, der viel komplizierter und komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint. Zum einen zieht sich Joes Mutter in ihr Schlafzimmer zurück, verweigert die Aussage und verfällt in ein dumpfes, brütendes Schweigen, das Joe und seinen Vater in Angst und Schrecken versetzt. Zum anderen gehört das Stück Land, auf dem das Verbrechen verübt wurde, weder zum Indianerresrvat noch zum amerikanischen Bundesgebiet - es handelt sich um rechtliches Niemandsland, und obgleich drei Behörden mit den Ermittlungen beginnen, kann letztlich keine Anklage erhoben werden. Auch Joes Vater als Stammesrichter sind die Hände gebunden.

    "Ich stand da und spürte die enorme Stille in unserem kleinen Haus wie die Folge einer gewaltigen Explosion. Alles war zum Stillstand gekommen. Selbst das Ticken der Uhr (...) Ich stand da und starrte auf die alte Uhr, deren Zeiger bedeutungslos auf 11:22 stehengeblieben waren. Sonnenlicht fiel in goldenen Pfützen auf den Küchenboden, aber es war ein unheimliches Leuchten, wie die blendenden Strahlen hinter einer Wolke am westlichen Horizont. Grauen packte mich wie ein Trancezustand, wie der Geschmack von Tod und saurer Milch." (S. 32)

    So beschließt der 13-jährige Joe, den Gewalttäter selbst zu finden. Mit seinen Freunden Cappy, Angus und Zack unternimmt er teils halsbrecherische, teils urkomische Ermittlungsversuche, beginnend bei dem Rundhaus, wo das Verbrechen geschah. Und steht schließlich vor einer schwerwiegenden Entscheidung...

    Was für ein Roman! Er liest sich streckenweise wie ein Krimi, doch die Coming-of-Age-Geschichte des Erzählers dominiert. Joe ist ein Junge, der begeistert Rad fährt, für „Star Trek – Die nächste Generation“ schwärmt (die Erzählung spielt im Jahr 1988) und seinen Kummer ansonsten sehr gut vor der Welt versteckt. Auch entdeckt er die Liebe und seine erwachende Sexualität. Wie Joe mit seinen Freunden der Wahrheit nachspürt, Verwandte besucht und tief in die mythische, übernatürliche Welt seiner indianischen Vorfahren eintaucht, ist wahrhaft anschaulich, der jugendlichen Perspektive entsprechend authentisch und oftmals hochkomisch beschrieben – so, wenn es um die Powwow-Montur von Großvater Randall geht: Die Federn an seinem Kopfputz wurden mit Autoantennen stabilisiert, und die Fußglöckchen hängen an einem mit Hirschleder bedeckten, elastischen Strumpfhalter irgendeiner Tante. Die amerikanische Ureinwohner sind keine hehren Gestalten, und die Alten erscheinen im Gegensatz zum gängigen Klischee nicht als Söhne der Weisheit und des Leidens, sondern als kräftige, zähe, sehr irdische Gestalten, die mit Vorliebe schmutzige Anekdoten erzählen. Die Indianer in diesem (fiktiven) Reservat lieben, sie haben Laster, sie suchen nach dem Sinn des Lebens und verlangen Gerechtigkeit.

    "Ich weiß, dass die Welt über dem Highway 5 und jenseits davon weitergeht, aber wenn man dort entlangfährt - vier Jungs, ein Auto, und alles ist so friedlich und Meile für Meile so leer, und der Radioempfang hört auf, und da sind nur noch Rauschen und der Klang der Stimmen und der Wind, wenn man den Arm zum Fenster rausstreckt -, dann fühlt man sich, als balancierte man auf dem Rand des Universums." (S. 377)

    'Das Haus des Windes' ist ein großartig erzähltes, realistisches, hochspannendes Buch über den indianischen Alltag im Reservat, über Identität, Traditionen und überlieferte Mythen. Es ist auch eine Coming-of-Age-Erzählung, ein Krimi, sowie eine politische Anklageschrift über die immer noch vorhandene Rechtlosigkeit der Ureinwohner Nordamerikas: Indianernationen haben keinerlei Souveränität über Nichtindianer, die sich in ihren Reservaten aufhalten, und können sie im Falle eines Verbrechens nicht belangen.

    Eine gelungene Mischung, die Louise Erdrich hier präsentiert und zu einer deftig-traurig-komisch-packenden Geschichte verwebt. Tief eingetaucht bin ich in die Erzählung und kann hier nur eine unbedingte Leseempfehlung geben. Dieser Roman, der mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, gehört in jedem Fall zu meinen Jahreshighlights.

    © Parden

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  1. 4
    29. Jan 2016 

    Windigo

    Joes Mutter ist noch einmal weggefahren, sie will eine Akte holen. Zunächst machen Joe und sein Vater sich keine Gedanken, weil die Mutter noch unterwegs ist, obwohl doch schon die Essenszeit da ist. Später jedoch beginnen sie nach ihr zu suchen. Sie sind heilfroh als ihnen Geraldine im Auto entgegen kommt. Die Freude schlägt jäh in Entsetzen um, denn Geraldine ist überfallen und brutal vergewaltigt worden. Völlig aus der Bahn geworfen zieht sie sich in sich selbst zurück. Joes Vater, der als Stammesrichter arbeitet, stellt selbst Nachforschungen an. Doch leider ist nicht genau feststellbar, wo Geraldine überfallen wurde und aus diesem Grund lässt sich auch die zuständige Behörde nicht ermitteln.

    Amerika Ende der 1980er, eine Vergangenheit, die doch noch nicht so fern ist. Und doch ist die Welt, in die dieser Roman einen entführt, fremd und scheint auch älter als die Jahre andeuten. Die Indianer leben vornehmlich in Reservaten, mit eigenen gesellschaftlichen Regeln und einer eigenen Rechtsprechung. Mit den Nachfahren der Einwanderer gibt es offensichtlich kaum Berührungspunkte. Es ersteht eine Welt der Trennung, die man schon überwunden wähnte. Ein Glaube, der sich vor den Nachrichten der heutigen Zeit durchaus als Irrtum erweisen könnte. Fremd zwar, aber doch nicht so fremd. Geraldine ist durch die Tat schwer gezeichnet und Joe und sein Vater versuchen alles, um sie wieder zur Teilhabe am Leben zu bringen. Zunächst gelingt das nicht und die Sorge wächst stetig. Für einen 13jährigen wie Joe ist das keine einfache Situation. Er und sein bester Freund Cappy versuchen sich abzulenken. Doch in Gedanken will Joe seiner Mutter helfen und den Täter seiner gerechten Strafe zuführen.

    Witzig und tragisch zugleich versteht es der Roman zu unterhalten. Der betagte Großvater trägt dabei sehr zur Unterhaltung bei. Gleichzeitig helfen seine Geschichten zum besseren Verständnis der indianischen Kultur, deren Sagen und Mythen. Der Überfall auf Geraldine und seine Auswirkungen auf die ganze Familie stimmen eher nachdenklich und machen betroffen. Wieso können Frauen so erniedrigt werden, wieso werden nicht alle Taten mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt. Ein stimmiger und lehrreicher Roman, der wärmstens weiterempfohlen werden kann.

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Die Verschwörung der Krähen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Verschwörung der Krähen: Roman' von Markus Gasser

Inhaltsangabe zu "Die Verschwörung der Krähen: Roman"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:231
Verlag: C.H.Beck
EAN:
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Bei euch ist es immer so unheimlich still

Buchseite und Rezensionen zu 'Bei euch ist es immer so unheimlich still' von Alena Schröder
4.8
4.8 von 5 (5 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Bei euch ist es immer so unheimlich still"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:337
Verlag: dtv
EAN:
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Rezensionen zu "Bei euch ist es immer so unheimlich still"

  1. Schweigen ist nicht immer das Beste!

    Inhalt:
    --------------
    Die 33-jährige Silvia hat vor kurzem ein Kind bekommen. Der Mann hat sich direkt nach der Bekanntgabe der Schwangerschaft getrennt. Silvia fühlt sich in ihrer Berliner WG eingeengt und hat angesichts der Geburt ihrer Tochter Hannah den Wunsch, mit ihrer Mutter Evelyn zu reden. Seit sie vor vielen Jahren ihre Heimatstadt Ildingen verlassen hat, hatten sie keinen Kontakt zueinander. Es gab zu viele unausgesprochenen Verletzungen und einige Geheimnisse, die bis heute unbeantwortet blieben. Wird es Silvia gelingen, mit ihrer Mutter, ihrer Vergangenheit und auch mit sich selbst ins Reine zu kommen?

    Mein Eindruck:
    --------------
    "Kurz hatte Silvia den Impuls, Hannah zu schnappen und sie Evelyn in die Arme zu legen. So wie an ihrem ersten Tag zu Hause in Ildingen. Wie eine Wärmflasche, aber für den Gefühlshaushalt. Vielleicht würde dieser Eisberg ja doch ein bisschen antauen. Vielleicht würde dann ja doch etwas ins Rutschen geraten. Es wäre allerhöchste Zeit."

    Die Geschichte beginnt in der Zeit kurz vor dem Mauerfall 1989, die Aufbruchstimmung ist spürbar. Die Handlung wird dabei abwechselnd von der Zeitebene erzählt, in der Evelyn ihren Mann kennenlernt und eine Familie gründet (1950er-Jahre) und der, in der Silvia wieder auf ihre Mutter trifft. Die Perspektiven wechseln hauptsächlich zwischen Silvia und Evelyn, aber auch andere Perspektiven wie die von Silvias Tante Betti, Silvias Vater und einigen Nebenfiguren werden eingestreut. Die Erzählstränge der unterschiedlichen Zeitebenen sind so gestaltet, dass permanent Spannung aufgebaut wird. Spätestens ab dem ersten Drittel konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Es gab so viele Geheimnisse, die nach und nach aufgedeckt wurden und die vielen Fäden fügten sich am Ende auf überraschende Weise schlüssig zusammen, dass das Buch von Anfang bis Ende eine Sogwirkung auf mich ausübte.

    "Als Silvia später wieder in ihrem alten Kinderzimmer auf dem Bett saß und ihre schlafende Tochter betrachtete, fasste sie einen Entschluss. Wenn sie das nächste Mal Frau Hagerle besuchen würde, wollte sie Hannah mitnehmen. Und auch wenn sie noch nicht wirklich wusste, was für ein Leben sie sich für sich und ihre Tochter vorstellte, war sie doch wild entschlossen, ihr Kind nicht in Sprachlosigkeit und Stille aufwachsen zu lassen. Hannah sollte sich niemals zur Nachbarin flüchten müssen, um ein bisschen Chaos und Lebendigkeit und Wärme zu erleben."

    Mir gefiel der Sprachstil sehr gut. Die Autorin verwendet treffende Worte, um die Sprachlosigkeit in der Familie, die unausgesprochenen Erwartungen und die Konsequenzen der betroffenen Personen zu beschreiben. Besonders das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg wird gut eingefangen: Traumata der Kriegsrückkehrer, der Zwiespalt der Frau, einerseits Hausfrau und Mutter sein zu müssen, gleichzeitig aber durch Berufstätigkeit nach mehr Anerkennung und Karriere zu streben oder lieber ohne Mann das Glück zu versuchen. Auf dem Land deutlich schwieriger als in der Stadt, da hier gilt, das man von den Nachbarn stets beobachtet und be- oder gar verurteilt wird. Das mag an mancher Stelle klischeehaft scheinen, aber ich denke, dass es tatsächlich häufig so der Tatsache entsprach.
    Durch Zufall habe ich durch die Leseprobe am Ende des Buches entdeckt, dass dies der 2. Teil der Borowski-Familienerzählung ist, also der Nachfolger von "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid". Diesen kenne ich noch nicht, aber nachdem ich die Geschichte um Silvia und ihre Mutter verschlungen habe, werde ich mit Sicherheit auch die von Hannah, ihrer Großmutter und deren Mutter in Erfahrung bringen wollen. Die Reihenfolge ist dabei sicherlich egal, denn es stehen unterschiedliche Beziehungsebenen in den Romanen im Fokus.

    Fazit:
    --------------
    Fesselnd erzählte Geschichte über unausgesprochenen Erwartungen, Sehnsüchte und die Neufindung einer Mutter-Tochter-Beziehung

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  1. Es geht weiter mit den Borowskis...

    Ohne den Hinweis meiner Bibliotheksleiterin wäre mir nie aufgefallen, dass es sich bei dem vorliegenden Buch um eine Art Fortsetzung bzw. Vorgeschichte zu "Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" handelt. Ich habe lediglich dazu gegriffen, eben weil mir vorher genanntes Buch so gut gefallen hatte.

    Zunächst möchte ich die Covergestaltung loben. Man sieht auf den ersten Blick, dass es sich um ein Buch von Alena Schröder handelt. Der helle Hintergrund in Kombination mit den Vögeln und den Blüten verströmt eine gewisse Leichtigkeit.

    Dieses Mal geht es um Evelyn und ihre Tochter Silvia und wir wechseln zwischen den 50ern im ländlichen Ildingen und 1989 in Berlin und später auch in Ildingen. Ich mag es, dass hier zwei Perspektiven und Zeiten beleuchtet werden, denn das erhöht die Spannung, da meist der Break kommt, wenn es gerade richtig heiß hergeht. Zudem wird hier nochmal sehr klar, was von den Frauen der damaligen Zeit erwartet worden ist und dass man sich am besten Fall an die Rollenbilder der Gesellschaft hält und bloß nicht daraus ausbricht.

    Gut gefallen hat mir hier wieder mal, dass die Autorin den Fokus auf die weiblichen Figuren legt mit all ihren Problemen, Ängsten und Sorgen. Ich konnte mich in beide sehr gut einfühlen, auch wenn ich vielleicht Evelyns harte Art schon sehr anstrengend fand, aber sie ist nun mal eine Frau ihrer Zeit. Ich mochte sehr, dass es gerade bei ihr am Ende eine Entwicklung zum Positiven gibt.

    Der Knaller waren für mich die letzten hundert Seiten, denn was da noch alles aufgedeckt wird, das habe ich so nicht kommen sehen. Nachdem ich das Buch zugeklappt hatte, musste ich erstmal durchatmen.

    Fazit: Ein berührender Familienroman, der mich sehr gut unterhalten hat. Den kann man einfach nur empfehlen.

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  1. 5
    04. Okt 2023 

    Vielschichtiger und berührender Unterhaltungsroman

    Die Journalistin Alena Schröder hatte mit ihrem Debut „ Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ 2021 einen großen Erfolg. Im neuen Roman begegnen wir zwei Figuren wieder, die wir aus dem ersten kennen. Die Autorin erzählt hier nun von der Zeit dazwischen; allerdings lassen sich beide Bücher unabhängig voneinander lesen.

    Im Sommer 1989 entschließt sich die 33jährige Silvia spontan zu einer Reise in ihr schwäbisches Heimatdorf. Vor beinahe achtzehn Jahren ist sie von dort geflüchtet, hat jeglichen Kontakt zu den Eltern abgebrochen. Sie war lange in der weiten Welt unterwegs, bis sie in Westberlin heimisch wurde. Nun ist sie in einem „geliehenen“ Polo unterwegs, auf dem Beifahrersitz in einem Wäschekorb liegt ihre nur wenige Wochen alte Tochter Hannah. Der provisorische Alltag in einer WG mit diversen Jobs passt nicht zu einem Leben mit Kind, findet Silvia. Der Kindsvater hat auch kein Interesse an ihr und dem Baby. Jetzt hat sie plötzlich Sehnsucht nach der Mutter.
    Nach dem Krieg folgt die elternlose Evelyn ihrer Freundin Betti nach Süddeutschland. Dort lernt sie Karl, den Bruder von Betti kennen, der traumatisiert aus dem Krieg heimgekehrt ist. Die Beiden studieren gemeinsam Medizin und heiraten. Mit der lang ersehnten Geburt von Töchterchen Silvia scheint das Glück vollkommen. Doch Evelyn fühlt sich fremd, fremd in dem Dorf, fremd in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Viel lieber würde sie weiter ihren Beruf ausüben. Doch wir sind in den Fünfziger Jahren. Da waren die Erwartungen an Frauen andere.
    Die Handlung wechselt kapitelweise zwischen den beiden Zeitebenen. Wir lesen zum einen von der schwierigen Annäherung zwischen Mutter und Tochter. Beide Frauen müssen lernen aufeinander zuzugehen und frühere Fehler und Versäumnisse einzugestehen. Aber das fällt ihnen schwer. Sie haben nie gelernt, über ihre Gefühle zu reden.
    Gleichzeitig erfahren wir auf der anderen Ebene, wie es überhaupt zum Bruch zwischen Eltern und Tochter kommen konnte.
    Der Roman entwickelt von Anfang an einen Sog, der bis zum Ende nicht nachlässt. Alena Schröder hat einen angenehmen Erzählstil, lakonisch, aber trotzdem packend. Dabei lässt sie Platz für Zwischentöne. Die Charaktere sind vielschichtig und psychologisch stimmig. Durch die wechselnden Perspektiven bekommt der Leser einen tiefen Einblick in Gefühle und Motivationen der Protagonisten. So wächst das Verständnis für deren Verhalten. Auch Nebenfiguren werden liebevoll und genau geschildert.
    Mit ihrer Familiengeschichte spannt Alena Schröder einen Bogen von den Fünfzigerjahren bis in die Zeit kurz vor dem Mauerfall. Dabei lässt sie sehr gekonnt die Atmosphäre der jeweiligen Zeit spürbar werden.
    Es sind eine Menge Themen, die die Autorin hier anspricht, ohne dass der Roman überladen wirkt. Im Vordergrund steht eine komplizierte Mutter- Tochter-Beziehung und damit das Thema Mutterschaft überhaupt. Kann ich eine gute Mutter sein, wenn ich selbst keine Mutterliebe erlebt habe? Wie durchbreche ich solche familiäre Prägungen? Wie lässt sich Muttersein mit dem Wunsch nach Selbständigkeit und einem erfüllenden Beruf vereinbaren?
    Dabei spielen Erwartungen eine große Rolle, die eigenen, sowie solche, die von außen an einen gestellt werden.
    Aber auch das Schweigen in Familien wird thematisiert, die Unfähigkeit, mit unseren Nächsten zu kommunizieren. Darauf spielt der Titel des Romans an.
    Und ganz nebenbei liest man vom Leben in der Provinz, von der Rückkehr in die Heimat.
    Mit „ Bei euch ist es immer so unheimlich still“ ist Alena Schröder erneut ein vielschichtiger und berührender Unterhaltungsroman gelungen, den ich sehr gerne gelesen habe und weiterempfehlen kann.

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  1. Die Stille muss durchbrochen werden!

    Klappentext:

    „Es gibt mehrere Arten, eine Geschichte zu erzählen. Aber nur eine, die alles verändert.

    Ildingen, 1950er Jahre. Evelyn Borowski hat alles, was sie sich je erträumt hat: Ein Eigenheim mit Garten, einen fürsorglichen Mann und das lang erwartete Töchterchen Silvia. Trotzdem ist sie nicht glücklich: Sie vermisst ihren Beruf als Ärztin und fühlt sich fremd und allein in dieser süddeutschen Kleinstadt. Betti, Ihre Freundin und Schwägerin, ist unverheiratet und kümmert sich deshalb um die Eltern. Mit losem Mundwerk und rasantem Fahrstil sorgt sie für reichlich Ärger.

    Ein außergewöhnlicher Familienroman, der einen Bogen von der Nachkriegszeit bis zur Wende spannt.

    1989, in Berlin liegt Aufbruch in der Luft. Silvia Borowski aber macht einen Schritt zurück. In einem geklauten Polo fährt sie Hals über Kopf Richtung Süden. Neben ihr die erst wenige Wochen alte Tochter Hannah. Was erwartet sie in ihrem Heimatort, aus dem Silvia vor vielen Jahren überstürzt geflohen ist? Ist sie stark genug, sich der Vergangenheit zu stellen?

    Eine berührende Mutter-Tochter-Geschichte, die von der Last jahrzehntelangen Schweigens erzählt, und von dem Mut, es zu brechen.“

    Mein erstes Buch von der Autorin Alena Schröder! Ihre Geschichte „Bei euch ist es immer so unheimlich still“ hatte einen wunderbaren Aufbau. Egal ob sprachlich, Perspektivenwechsel oder auch Gedankengänge der Figuren oder auch der Ausdruck - es war ein sehr gutes Lesevergnügen! Auch wenn dieses Schema der Geschichte aktuell häufig in der Buchwelt anzutreffen ist, empfand ich die Story als gelungen. Einerseits erlesen wir die Geschichte von Evelyn Borowski in den 1950er Jahren und dann die Geschichte ihrer Tochter Silvia knapp 40 Jahre später. Beide Frauen tragen ihren Lebensrucksack mit sich, beide haben ihre Lebenserfahrung gesammelt und es stellt sich die Frage was Evelyn ihrer Tochter Sylvia mit auf den Lebensweg geben konnte und auch was Sylvia irgendwann ihrer Tochter Hannah weitergeben kann. Evelyns Geschichte, egal ob Kindheit oder Mutterschaft ist durch eben die damalige Zeit und ihre Eigenschaften geprägt und bei Sylvia ist es ebenso der Fall. Evelyn ist durch den Zweiten Weltkrieg innerlich gezeichnet (die Beschreibungen ihrer Kindheit gehen wahrlich tief unter die Haut), hat aber dennoch ihre Karriere gemacht bis zu einem gewissen Punkt und Sylvia ist nunmal ein Nachkriegskind. Die Zeiten sind bei beiden hart, die Empfindungen beider extrem unterschiedlich aber dennoch ähneln sie sich. Wir erleben Entwicklungen, Streitereien, Versöhnungen und positive wie negative Einschnitte in die Familienwelt. Was beiden aber fehlt ist der Mut endlich über so vieles zu sprechen! Der Buchtitel ist hierfür einfach grandios gewählt! Diese unausgesprochenen Situationen bewegen den aufmerksamen Leser sehr und man möchte am liebsten Mal richtig auf den Tisch hauen und den beiden klar machen: „Reden hilft! Reden löst Probleme!“. Es ist aber ein harter und steiniger Weg für beide und gen Ende gibt es Wendungen die von Schröder wirklich gut eingebaut wurden. Die Geschichte hat viele authentische Stellen aber hier und da auch Übertreibungen bzw. vorhersehbar Situationen. Schröder nimmt den Leser schnell ein und begibt sich mit ihm auf Zeitreise welche wirklich gut getroffen wurde. Ich vergebe hierfür 4 sehr gute Sterne und definitiv eine Leseempfehlung an alle, die gerne analysieren und auch mal zwischen den Zeilen lesen!

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  1. Ein rundweg schönes Buch

    Mir hat das erste Buch der Autorin unheimlich gut gefallen. Daher war ich sehr gespannt auf ihr neues Buch. Und sie mit mich wieder begeistern können. Ich mag ihren Stil, der so angenehm leicht zu lesen und dabei doch sehr feinfühlig ist. Alena Schröder transportiert mit dieser Art für mich sehr viele Emotionen. Mit jeder Figur konnte ich auf die eine oder andere Art mitfühlen und habe mich einfach mittendrin in dieser Geschichte gefühlt. Ich finde es wunderbar, welche Details mit eingearbeitet werden. Die Musik auf Rüdigers heimlicher Lieblingskasette hatte ich ständig im Ohr, die Kosmetik-Runde habe ich bildlich vor mir gesehen. Ich hatte das Gefühl, die Stille zu hören und den Staub zu riechen, habe Tante Betti mit ihrem roten Auto vor Augen gehabt. Überhaupt hatte ich sehr viel Kopfkino beim Lesen. Ich liebe das!

    Ja, man kann erahnen, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird und so richtig große Überraschungen gibt es nicht. Das tut für meinen Geschmack dem Gesamtpaket aber keinen Abbruch. Für mich ist es ein schöner Schmöker, der mir auch ans Herz gegangen ist und einfach nur Spaß gemacht zu lesen.

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Die polyglotten Liebhaber

Buchseite und Rezensionen zu 'Die polyglotten Liebhaber' von Lina Wolff

Inhaltsangabe zu "Die polyglotten Liebhaber"

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:257
EAN:
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Der Nachtwächter: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Nachtwächter: Roman' von Louise Erdrich
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Nachtwächter: Roman"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:483
EAN:
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Rezensionen zu "Der Nachtwächter: Roman"

  1. Wem gehört das Land auf dem wir leben?

    !4,5 Sterne!

    Klappentext:
    „Kann ein Einzelner den Lauf der Geschichte verändern? Kann eine Minderheit etwas gegen einen übermächtigen Gegner, den Staat, ausrichten? »Der Nachtwächter«, der neue Roman der mit dem National Book Award ausgezeichneten Autorin Louise Erdrich, basiert auf dem außergewöhnlichen Leben von Erdrichs Großvater, der den Protest gegen die Enteignung der amerikanischen UreinwohnerInnen vom ländlichen North Dakota bis nach Washington trug…“

    Wie mag es wohl sein, wenn der eigene Großvater ein Indianer ist? Wenn man ganz besondere Gene in sich trägt? Autorin Louise Erdrich berichtet in diesem Buch von ihrem Großvater Thomas, Vorsitzender des Stammesrats, des Turtle Mountain Advisory Commitee. Die Welt der Stämme wird vom eigenen Land aus den Fugen gebracht, als plötzlich Worte wie „Eingliederung“ oder Terminierung fallen. Die Indianer sollen ihre Heimat aufgeben um das Land von ihnen zu befreien und dafür erhalten sie anderweitig einen Platz zum leben. Nein, wir befinden uns nicjt im Mittelalter sondern im Jahr 1953. Thomas geht Nacht für Nacht in seinem Job auch seiner Herkunft hinterher und versucht anhand von unzähligen Briefen, Protestschreiben gegen diese Taten vorzugehen. Wem gehört das Land? Warum wird man umgesiedelt, wenn man doch niemanden stört? Wer war zuerst hier? Was haben Ureinwohner überhaupt noch für eine Bedeutung? Wer gibt einem das Recht das eigene Land zu enteignen und anderen zur Verfügung zu stellen? Indianer sind doch keine Spinner! Sie haben das Land doch zudem gemacht! Unweigerlich kommen einem beim lesen die eigenen Gedanken in den Sinn und man kann Thomas nur zu gut verstehen warum er so agiert. Erdrich wählt hierfür die passenden Worten und hält einen geschmeidigen Lesefluss und Wortklang für den Leser bereit, der das eigene Denken und gleichzeitige Lesen ermöglicht. Manchmal liegt es in der Kraft eines Einzelnen etwas zu bewegen, das war schon immer so, aber manchmal braucht es auch ein paar mehr Stimmen. Thomas‘ Geschichte ist ein Meilenstein in der amerikanischen Geschichte und wirkt selbst heute noch nicht beruhigt oder gar abgeschlossen. Leider sind zu viele Parallelen selbst für die heutige Zeit im 21. Jahrhundert sichtbar und lassen immer wieder sie Frage aufkommen: Wem gehört das Land und wer hat das Recht dazu, die eigene Heimat neu auszurichten?
    Diese Geschichte ist ein extrem feinstimmiges Buch, das Geschichte enthält, einen nachdenklichen Blick auf die Gesellschaft freigibt und nachhallt. Da ich mich sehr viel mit den alten Indianer-Stämmen befasse, war dies ein sehr guter und authentischer Weitblick in eine längst verdrängte Thematik. Ein nachhallendes Buch mit besonderer Geschichte - 4,5 von 5 Sterne.

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  1. Aufrüttelnd

    In unseren Breiten denkt man nicht darüber nach, was seit dem letzten Mohikaner mit Amerikas Ureinwohnern passiert ist. Dass sie in Reservate gesteckt wurden, hat man lose im Hinterkopf, auch wenn man es sich nicht vorstellen möchte. Dass aber selbst diese Reservate irgendwann als störend empfunden wurden, weil sie Land darstellten, auf das Restamerika keinen Zugriff hatte und dort noch immer Menschen lebten, die seltsame Gebräuche und seltsame Sprachen pflegten, weiß niemand.

    1953 ist das passiert. Mit den sogenannten Terminierungsgesetzen wollte man die verbliebenen Reservate ins restliche Amerika „eingliedern“, deren Sonderstatus mit allen dazugehörigen Rechten „emanzipieren“ und alle Indianer umsiedeln, um das Land anderweitig zu nutzen.
    Davon erzählt dieses Buch anrührend und eindringlich, angelehnt an die Geschichte des Großvaters der Autorin.

    Thomas Wazhashk arbeitet als Nachtwächter in der Lagersteinfabrik, um den Unterhalt für seine Familie zu verdienen. Gleichzeitig ist er aber auch Vorsitzender des Stammesrats, des Turtle Mountain Advisory Commitee. Als er liest, dass sein Stamm, der Turtle Moutain Band of Chippewa, für die sofortige Emanzipation vorgesehen wäre, kommt er ins Grübeln.

    Nacht für Nacht schreibt er Briefe, Protestbriefe, Beschwerdebriefe, Anträge, Nachfragen. Es kann nicht sein, dass sie damit durchkommen.

    Hier hat ein kleiner Mann durch Beharrlichkeit Geschichte geschrieben. Dieses absonderliche Ereignis wird hier anschaulich erzählt. Dazu bekommt man noch einen spannenden Einblick in indianisches Leben und Denken und die zahlreichen Probleme, die damit verbunden sind. Die Dorfgemeinschaft bietet skurriles Personal jeder Art, selbst Geister und Tiere spielen eine Rolle bei diesem noch immer naturnah lebenden Volk.

    Der Erzählstil ist schön, humorvoll und auch poetisch. Allerdings fallen immer wieder sperrige Textstellen auf, bei denen man stutzt.

    „Thomas hielt inne. Archilles Unkenntlichkeit am Ende, so ausgezehrt, jenseits des Hungers. In dem weißen Bett. Zwischen schroffen Bergen.“

    "Dann ließ er ihre Hände sinken und strebte ihr zu."

    "Wie sollten die Indianer ihre Eigenheit behaupten, wenn die Eroberer sie in die Arme schlossen und mit so etwas wie Liebe sich ans Herz pressten?"

    Bei so etwas frage ich mich, ob es unglücklich formuliert wurde oder ob es unglücklich übersetzt ist, vermute allerdings Letzteres bei einem Buch, das Preise verliehen bekommt. Vielleich sollte man besser das Original lesen.

    Trotzdem ist dieses Buch sehr lesenswert. Ein spannendes Stück Geschichte und ein aufschlussreicher Beitrag zum indianisch-amerikanischem Miteinander.

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Wovon wir träumten

Buchseite und Rezensionen zu 'Wovon wir träumten' von Julie Otsuka

Inhaltsangabe zu "Wovon wir träumten"

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:161
Verlag: mareverlag
EAN:
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Herz auf Eis

Buchseite und Rezensionen zu 'Herz auf Eis' von Isabelle Autissier
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Herz auf Eis"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:241
EAN:
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Rezensionen zu "Herz auf Eis"

  1. Moralisch korrektes Verhalten in Extremsituationen

    Ja, das Buch ist konstruiert. Aber Isabelle Autissier nutzt ihre Erfahrung auf See, um vorzuführen, wie sich Menschen, liebende Menschen, in Extremsituationen verhalten, um das eigene Überleben zu sichern. Und das gelingt ihr meisterhaft.

    Zwei sportliche Mittdreißiger aus Paris beschließen, sich ein Sabbatjahr zu nehmen und auf Abenteuerfahrt zu gehen. Sie kaufen ein Boot und segeln von den Antillen in Richtung Süden, bis sie auf einer Insel in Südgeorgien stranden. Sie finden eine verlassene Walfangstation und müssen den Alltag organisieren, um nicht zu verhungern und zu erfrieren. Sie versuchen, ein gefundenes, halb verfallenes Boot wieder seetüchtig zu machen und kämpfen mit Sturm, Kälte und Regen.

    Sie streiten, sie lieben sich, sie lernen gemeinsam, unter widrigen Umständen zu überleben. Und immer wieder muss man sich fragen, wie man selbst reagiert hätte, was man getan hätte, um sich und den anderen zu retten.

    Der zweite Teil befasst sich mit der Vermarktung durch Presse und soziale Medien und war für mich nicht weniger eindringlich als der erste, vor allem durch den Kontrast und die Beschreibung der Reaktionen von Familie und Freunden. Unbedingte Leseempfehlung und gute fünf Sterne.

    Ich habe das französische Original gelesen und möchte jetzt unbedingt Autissiers Reisebeschreibungen lesen.

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Der Romantiker

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Zwei Monde: Roman in Erzählungen

Buchseite und Rezensionen zu 'Zwei Monde: Roman in Erzählungen' von Maria Kuncewiczowa
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Zwei Monde: Roman in Erzählungen"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:247
EAN:
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Rezensionen zu "Zwei Monde: Roman in Erzählungen"

  1. Eine (doch nicht völlig) vergangene Welt

    Maria Kuncewiczowa (1895 – 1989) hat ihre zwanzig Erzählungen im Städtchen Kazimierz Dolny angesiedelt, das im Osten Polens idyllisch zwischen malerisch bewaldeten Hügeln am Weichselstrand gelegen ist. Zwischen den Weltkriegen war dieser Ort ein bevorzugtes Ferienziel für die Bohème aus der Großstadt, auch zahlreiche Künstler trafen sich hier zur Sommerfrische. Die Autorin selbst hatte ein Grundstück vor Ort und man darf davon ausgehen, dass sie zahlreiche eigene Beobachtungen und Erlebnisse in ihren Erzählungen verarbeitete. In der ersten Geschichte „Zwei Monde“ werden die wesentlichen Figuren vorgestellt, auch findet sich eine Schlüsselmetapher für den Buchtitel: „Vielleicht sind es überhaupt zwei Monde… Einer für die da (die Unterhaltung suchenden Feriengäste), und der andere – nur für uns (die hart arbeitende einheimische Bevölkerung).“ (S. 12) Die Diskrepanzen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sind das zentrale Thema des Romans, der ein vielfältiges Kaleidoskop an menschlichen Konflikten, Gegensätzen und Begegnungen abbildet.

    Die Handlungsschauplätze werden sehr atmosphärisch und anschaulich ausgestaltet. „Es nieselte, ein kalter Sturm fegte vom Fluss ins Städtchen und überfiel die Menschen: ein lästiger, sommerlicher Dreitageschnupfen. Das Grau war so einheitlich, die Kälte so rücksichtslos, dass das Wetter von vor ein, zwei Tagen – das grell und heiß gewesen war – wie eine Vision aus einem Fiebertraum zu sein schien.“ (S.107) Die Strukturen des Städtchens sind eher traditionell und patriarchalisch. Die Stadt wirkt provinziell, auch wenn schon regelmäßig ein Autobus dort verkehrt. Kuncewiczowa erzählt aus relativer Distanz, lässt keine allzu große Gefühlsregung oder Nähe zu ihrem Figurenkarussell aufkommen. Es wird nichts romantisch verklärt oder geschönt. Dennoch ergeben sich auch bewegende Momente, oft in Nebensätzen, die kleine Geheimnisse preisgeben.

    Die ländlich geprägte Bevölkerung muss überwiegend hart arbeiten, sei es zum Beispiel als Bauer, Tagelöhner, Träger, Händler oder in der nahen Gerberei. Standesunterschiede sind festgezurrt, Neid und Missgunst charakterisieren den Umgang miteinander. Wirklich sympathische Figuren gibt es wenige. Der Kampf ums Tägliche lässt die Menschlichkeit in den Hintergrund treten. Andersartigkeit wird diskriminiert, offener Antisemitismus ist allgegenwärtig. Es gibt Frauen, „die nicht gut zu ihren Männern sind“, es gibt welche, die regelmäßig von Mann oder Sohn geprügelt werden, ohne dass es jemanden interessiert. Es gibt Paare, die sich lieben, denen aber die abergläubische, vorurteilsbeladene Familie das Leben schwer macht. Niemand möchte sein Ansehen im Ort verlieren. Deshalb vermeidet man es aufzufallen oder für das Richtige einzutreten. Traditionen werden eingehalten, Sehnsüchte gesteht man höchstens sich selbst gegenüber ein. Nachbarschaftliche Freundschaft oder Zusammenhalt sind selten.

    In dieser rückwärtsgewandten Welt verbringen nun Scharen von sorglosen Urlaubern ihre Ferien. Dabei handelt es sich primär um gut situierte Akademiker-Ehefrauen oder um junge, lebensfrohe, leichtlebige Künstler/innen, die gerne zum Feiern oder zum Baden am Flussstrand zusammenkommen. Bei ihnen stehen Unterhaltung, Liebeleien, Spaß, Malerei und Dichtung im Vordergrund, auf die Einheimischen wird wenig Rücksicht genommen. Die immanenten Unterschiede werden deutlich herausgearbeitet. Die Bohème fokussiert sich auf ihre eigenen Bedürfnisse. Mit Geld kann man zwar manches kaufen, ist aber auch vor Abzocke und Übervorteilung nicht gefeit, wenn die diesbezügliche Erfahrung fehlt. Kleine Kinder wachsen hüben wie drüben in einer kalten, lieblosen Umgebung auf. Empathie fehlt an allen Orten – ist das eine Folge des Großen Krieges?

    Jede Erzählung steht für sich und lässt mindestens zwei unterschiedliche Perspektiven oder Figuren aufeinander treffen. Auch wenn Distanz gehalten wird, sind manche Geschichten doch sehr berührend, insbesondere wenn sie Sehnsüchte nach Glück oder einem anderen Leben offenlegen. Die Sprache strahlt Intensität aus, die Texte sind dabei leicht verständlich. Die Figuren tauchen ebenso wie der symbolträchtige Mond wiederholt auf. Dadurch vervollständigen sich Charakterzeichnungen, Atmosphäre sowie die Beziehungen der Figuren untereinander.

    Die Autorin zeigt zwar eine vergangene, jedoch keine unbekannte Welt. Viele der gezeigten sozialen Konflikte, wie die Angst vor Diversität oder die Intoleranz anderen Lebensformen und Glaubensrichtungen gegenüber, begleiten uns auch noch 90 Jahre nach der Erstveröffentlichung dieses Buches auf der ganzen Welt.

    Kuncewiczowa zeigt das Wesen des Menschen erstaunlich zeitlos und aktuell. Sie setzt es in Beziehung mit einer faszinierenden Natur, die mit den Figuren in Wechselwirkung tritt. Eine zentrale Rolle hat der blinde Michal dabei, dessen Instinkte ihn über manch Sehenden erheben. Die Autorin spannt einen schlüssigen Bogen, der die Erzählungen miteinander verbindet. Es lohnt sich, diesen am Ende der Lektüre Revue passieren zu lassen, um die Vielschichtigkeit des Romans würdigen zu können. Ein Kompliment an Peter Oliver Loew für die gekonnte Übersetzung sowie an Anna Artwínska für das umfangreiche, informative Nachwort.

    Große Leseempfehlung für alle Freunde klassisch zeitloser Texte. Danke für die Wiederentdeckung dieser fast vergessenen polnischen Autorin!

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Imani

Buchseite und Rezensionen zu 'Imani' von Mia Couto

Inhaltsangabe zu "Imani"

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:303
Verlag: Unionsverlag
EAN:
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