Dorf an der Grenze: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Dorf an der Grenze: Roman' von Aline Valangin
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5 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Dorf an der Grenze: Roman"

Nah der schweizerisch-italienischen Grenze, im hintersten Dorf des Onsernonetals, verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Es sei Krieg ausgebrochen. Schon tauchen die ersten Menschen, die vor den italienischen Faschisten fliehen, im Dorf auf. Entgegen den Befehlen der Regierung in Bern nimmt man sie auf. Indessen halten die Grenzwächter nicht nur Ausschau nach Flüchtlingen, denn auch Schmuggler passieren unentdeckt die Grenze und tragen Safran, Käse und Reis über die Berge. Die Schmuggler machen Geschäfte mit den Dorfbewohnerinnen und -bewohnern und verstecken sich in ihren Ställen. Und sie verkehren auf der Bargada, dem Gut unweit des Dorfes, das Orsanna Armini, ihre Tochter Zoe und die junge Claretta bewohnen. Im zweiten Teil ihrer Chronik schreibt Aline Valangin die Geschichte der Arminifrauen fort und verarbeitet die Ereignisse im Tessiner Dorf an der Grenze während des Zweiten Weltkriegs.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag: Limmat
EAN:9783039260508

Rezensionen zu "Dorf an der Grenze: Roman"

  1. Dorfidyll zu Zeiten des Krieges

    Aline Valangin (1889 – 1986) war eine Schweizerische Autorin, die seit 1936 auch im Tessiner Osternonetal im Schweizerisch-Italienischen Grenzgebiet lebte, in dem der Roman auch angesiedelt ist. „Dorf an der Grenze“ ist der zweite Teil der Chronik um die Arminifrauen, die mit „Die Bargada“ begann, aber völlig eigenständig zu lesen ist.

    Das titelgebende Dorf liegt inmitten von unwirtlichem und schwer zugänglichen Bergland. Seit Ewigkeiten leben dieselben Familien hier, man bildet trotz aller Differenzen nach außen hin eine eingeschworene Gemeinschaft, die alles Fremde kritisch beäugt. Mit viel Hinwendung werden die Figuren im Rahmen ihres Lebensumfeldes beschrieben.

    Man findet sich zunächst in einem Heimatidyll wieder. Doch: „An einem freundlichen Septembertag hieß es, Krieg sei ausgebrochen. Draußen in der Welt.“ Als Leser begleiten wir die Menschen, denen die bewegten Zeiten Veränderungen und Entwicklungen abverlangen. Der Krieg macht nämlich keinen Halt vor dem Dorf. Erst werden Leichen angeschwemmt, dann Flüchtlinge - zunächst vereinzelt, später in Gruppen - , die auf Rettung hoffen, aber regierungskonform zurückgewiesen werden. Es blüht der Handel mit Schmugglerware, zunächst mit Lebensmitteln, später mit Schmuck und Tand. Einerseits verdienen die Dörfler daran, andererseits verurteilt man die Schmuggler, die den Handel unter Einsatz ihres Lebens ermöglichen. Diese widersprüchlichen Moralvorstellungen sind ein Thema des Romans.
    In dieses pittoreske Panorama werden viele interessante Figuren gesetzt: Die Kneipenwirtin mit ihrem nichtsnutzigen Sohn Renzo, der sich Hoffnung auf eine Heirat mit der unabhängigen, selbstbewussten Arminifrau Zoe macht. Auch deren Tochter hofft auf diese Ehe, damit sie ihr eigenes Liebesglück mit dem aus frommer Familie stammenden Amadeo finden kann. Die Männer, die nicht als Wehrmänner in der Ferne Dienst tun, sind weitgehend hinterwäldlerische, aber dominierende Staffage, deren Treffpunkt der Kneipentisch ist.

    Spannend, wie der Krieg seinen Tribut fordert. Nicht nur Geflohene, sondern auch Partisanen und Faschisten aus den Nachbarländern rücken ins friedliche Grenzland der Eidgenossen vor. Man muss paktieren, verschleiern, verstecken und zusammenhalten, um sich zu behaupten. Valangin versteht es, das Geschichtliche mit dem Privaten ihrer Figuren auf sehr spannende, kurzweilige Weise zu verbinden. Sie beschreibt bildreich und anschaulich die beeindruckende Berglandschaft, das Dorf und seine Bewohner. Der Stil ist unaufgeregt und sachlich, Wertungen werden den Lesern überlassen.

    Man folgt der Handlung in stetem Fluss, vereinzelte Höhepunkte rund um Konflikte, Eifersucht, Schmuggel und Grenzbewachung sorgen für Höhepunkte und einen intensiven Einblick in bewegte Zeiten. Wer genauer hinschaut, kann den dörflichen Mikrokosmos erweitern, um die Kritik an der Schweizer Asylpolitik und Abschottung allem Fremden gegenüber zu erkennen. Es geht um Geschichte, aber auch um die Gegenwart – manche Bilder kehren immer wieder.

    Ein lesenswerter und haptisch sehr ansprechend gestaltetes Buch aus dem Limmat Verlag, das ich allen Freunden gut geschriebener historischer Romane ans Herz legen möchte.

    4,5/5

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  1. Eine Dorfgemeinschaft in Krisenzeiten

    Wie wirkte sich der Krieg auf ein kleines entlegenes Dorf in der Schweiz aus, in dem seit Jahrzehnten feste Strukturen herrschen?

    Da gingen Lebensentwürfe von einer Generation auf die nächste über, aber auch der Fakt, dass eine ganze Familie Außenseiter im Dorf waren. Und dann kam der 2. Weltkrieg und warf alles durcheinander: es kamen Flüchtlinge aus Italien über die schwierigen und anstrengenden Grenz-Wege (und die Entscheidung in Bern über deren weiteres Schicksal musste akzeptiert werden), italienische Schmuggler suchten neue Absatzmärkte und weckten Begehrlichkeiten, Partisanen suchen Unterschlupf und alle Gruppen erzählten von Gräuel in ihrem Heimatland und von anderen Auswirkungen des Krieges.

    Als eine Strafexpedition gegen die Partisanen und ihre Freunde stattfindet, merken auch die letzten, dass der Krieg im Dorf angekommen ist. ‚Man war sich im Klaren, dass Krieg in der Zeitung und Krieg in Wahrheit zweierlei seien.‘

    Die, leider schon 1986 verstorbene, Schweizer Autorin Aline Valangin, schrieb auch aus eigener Erfahrung: ob in Zürich der 30er Jahre oder ab 1936 im Tessin lebend, bot sie selbst Emigranten Unterschlupf. Von ihren beiden, 1944 geschriebenen, Romanen ‚Casa Conti‘ und ‚Bargada‘ reizt mich der letztere noch gewaltig - interessiert mich doch auch sehr die frühere Geschichte der Armini-Frauen.

    Mir gefiel dieses, erst 1982 - höchstwahrscheinlich aus politischen Gründen - erschienene Buch sehr, weil im ruhigen Ton und ohne erhobenen Zeigefinger erzählt wird. Die geschilderten unterschiedlichen Charaktere begeisterten mich und ich empfehle diese Lektüre allen, die Freude an Beobachtungs- und Einfühlungsvermögen haben. Fünf Sterne vergebe ich an dieses Juwel!

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  1. Die Scheinheiligkeit einer dörflichen Idylle

    Zur Autorin (Quelle: Verlag):

    Aline Valangin (1889–1986), aufgewachsen in Bern, Ausbildung zur Pianistin. Verheiratet mit dem Anwalt Wladimir Rosenbaum und in zweiter Ehe mit dem Pianisten Wladimir Vogel. Im Zürich der Dreißigerjahre führte sie in ihrem Haus einen Salon der künstlerischen Avantgarde, der zum Zufluchtsort für Emigranten wie Ignazio Silone oder Kurt Tucholsky wurde. Tätigkeit als Psychoanalytikerin, Publizistin und Schriftstellerin. Ab 1936 lebte sie im Tessin im Onsernonetal und in Ascona, wo sie auch wieder Emigranten Unterschlupf bot. 1944 erschienen die beiden Romane «Casa Conti» und «Die Bargada».

    Mein Lese-Eindruck:

    Ein kleines Tessiner Dorf direkt an der italienischen Grenze, abgelegen, in einer unzugänglichen Natur: das ist der Schauplatz dieses Romans. Eine Idylle, denkt man, und das ist es auch, wenn man sich mit dem Blick von außen begnügt. Und genau den hat Aline Valangin nicht. Sie ist Schweizerin und sie schaut genau hin, und ihr Blick legt bitterböse und gnadenlos die Scheinheiligkeit dieser Idylle frei.

    Die Geschichte spielt während des II. Weltkrieges. Die Nachricht vom Ausbruch des Krieges berührt die Bewohner weiter nicht. Allerdings horten sie Mehl und haben damit ihrer Meinung nach ihre Pflichten erfüllt. Und ansonsten? „Der Krieg, der tobte draußen, wo die Berge flach werden“ (S. 23). Für das Dorf hat er keine Schrecken. Im Gegenteil: alle Dörfler beteiligen sich an dem schwunghaften Handel einer Schmugglerbande mit Reis, Käse, Safran. Butter, Schinken etc. Dabei verdienen alle so gut, dass ein Kino installiert werden kann und die Bauernmädchen in Seidenstrümpfen zur sonntäglichen Messe gehen können.

    Aber die Idylle wird bedroht. In kleinen Schritten rücken der Krieg und seine Grausamkeiten näher. Zunächst vereinzelt, dann immer häufiger tauchen aber Flüchtlinge an der Grenze auf, entkräftet und verhärmt. Es sind jüdische Familien, die vor der Deportation fliehen, desertierte Soldaten und politische Flüchtlinge – aber das Dorf darf noch weitgehend passiver Zuschauer bleiben, weil die Grenzsoldaten angewiesen sind, alle Flüchtlinge zurückzuweisen. Die oft verzweifelte Bitte um Asyl in der neutralen Schweiz rührt sie zwar menschlich, aber das Gesetz hat Vorrang und wird durchgesetzt.

    Partisanen berichten von den Zuständen jenseits der Berge: von Flucht, Vertreibung, Lynchjustiz, vom allgemeinen Hunger und dem Tod von Kindern, von Gräueltaten der Faschisten und der Besatzer. So rückt der Krieg immer näher an die Dörfler heran und sprengt schließlich ihre Idylle und zugleich verlebte Traditionen.

    Wie Aline Valangin diese Geschichte erzählt, hat mir sehr gut gefallen. Sie wahrt streng die Perspektive der Dörfler, und als Leser muss man sich die politischen Zustände selber zusammenreimen. Ihr Erzählton bleibt immer freundlich und ruhig, oft humorvoll-ironisch, wenn sie ihre Figuren in deren überholten Traditionen vorstellt.
    Und was mir besonders gut gefallen hat: kein einziger Satz findet sich, in dem die Kritik der Autorin an der Schweiz direkt formuliert wird: an ihrer Asylpolitik und ihrer Kunst, am Elend der Anderen Geld zu verdienen. Es ist allein die Handlung, aus der der Leser das herauslesen kann, wenn er mag.

    Die Schweizer konnten es jedenfalls; der Roman aus dem Jahre 1944 durfte erst 1982 (!) erscheinen.

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