4. Leseabschnitt: Seite 213 bis Ende

otegami

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Und zwar geht mir eine besondere Eigenschaft Suzus noch im Kopf herum. Sie erzählt, dass sie ihren verstorbenen Großvater gesehen hat - er lag einerseits aufgebahrt im Sarg, andererseits saß er bei ihnen am Frühstückstisch. Sie sieht also Verstorbene, und sie spürt sie als Windhauch.
In Japan spielt Übersinnliches eine viel größere Rolle als bei uns! SchwieTo erzählt(e) auch immer wieder von Geistern, die sie spürte.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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In Japan spielt Übersinnliches eine viel größere Rolle als bei uns! SchwieTo erzählt(e) auch immer wieder von Geistern, die sie spürte.
Wenn ich an die im Ausland spielenden Bücher denke, die ich in letzter Zeit gelesen habe, glaube ich langsam, dass wir Mitteleuropäer eher die Ausnahme sind und alle anderen sind die Regel, was Geisterglauben angeht.
Meine ältere Tochter war eine Zeitlang mit einem jungen Inder liiert, und ich weiß noch, wie der uns mal sagte, wir Deutschen seien ungewöhnlich "wenig spirituell", selbst unsere Gottesvorstellung (wenn wir überhaupt eine hätten) sei so abstrakt ...

Die Stelle mit den Räucherstäbchen, ich erwähnte das ja schon, halte ich auch für ein Meisterstückchen der Erzählkunst in diesem phantastischen Buch.
So eine Kleinigkeit und so unglaublich bedeutsam!
 

Literaturhexle

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Also hat Suzu sie gesehen???
Ohne es uns zu erzählen.
Alles habe ich so wie du wahrgenommen. Den Großvater hat sie "gesehen". Ihn hat sie ja auch geliebt, sie glaubte vielleicht auch nur, ihn zu sehen?

Riu hat sie nur gefühlt, meine ich. Als Lüftchen oder Windhauch. (So verstehe ich es - das Buch habe ich aber gerade nicht hier zum Nachlesen).
Die Autorin hat einfach ein Händchen für solche spirituellen, gefühlvollen Szenen, die das Innerste berühren.
 

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29. März 2022
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Im Grunde müsste man gleich wieder von vorne beginnen, um all diese Bezüge zu verstehen und richtig einzuordnen.
Und das Buch ist unterhaltend genug, dass man direkt Lust dazu hat.
Na, da würden sich all die anderen Leseanwärter bei mir aber lautstark beschweren! :D
In Japan spielt Übersinnliches eine viel größere Rolle als bei uns! SchwieTo erzählt(e) auch immer wieder von Geistern, die sie spürte.
Auch bei uns ist das aktuell groß im Vormarsch...
 

dracoma

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16. September 2022
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Alles habe ich so wie du wahrgenommen. Den Großvater hat sie "gesehen". Ihn hat sie ja auch geliebt, sie glaubte vielleicht auch nur, ihn zu sehen?

Riu hat sie nur gefühlt, meine ich. Als Lüftchen oder Windhauch.
Ich hatte nachgelesen - und es ist so, dass sie den Großvater sieht und später dann als Windhauch fühlt. Seite 141, eine wunderschöne Stelle:
"Mehr als ein schwacher Lufthauch war Großvaters Geist nicht gewesen. Kurz da, dann wieder weg. Ein stärkerer Wind hatte ihn mitgenommen, und was von ihm blieb, waren Erinnerungen, die eines Tages auf dieselbe Weise davongeweht werden würden."
So ist das mit unserem kurzen Leben...

Und Riu hat sie gefühlt (Räucherstäbchen) und aber auch gesehen, sie SIEHT sie, sie muss aus dem Vorhang hervorgetreten sein, s. S. 232.

Ich dachte, ich hätte etwas überlesen bei den anderen Todesfällen, aber dann ist das wohl doch nicht so.
 
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dracoma

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Die Stelle mit den Räucherstäbchen, ich erwähnte das ja schon, halte ich auch für ein Meisterstückchen der Erzählkunst in diesem phantastischen Buch.
Ja, das sehe ich auch so, zumindest ist es diese ganze Rie-Geschichte, die mich emotional am meisten beschäftigt hat. Aber das kann auch am Thema liegen: am Tod eines Kindes.

immer wieder von Geistern, die sie spürte.
Das gibt es auch bei uns, aber man spricht nicht offen darüber, weil man nicht in die Spinner-Ecke gestellt werden will.
 

Literaturhexle

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Ich dachte, ich hätte etwas überlesen bei den anderen Todesfällen, aber dann ist das wohl doch nicht so.
Schön, daß du nachgeschaut hast! An deinen losgelösten Zitaten wird die Schönheit der Sprache nochmal besonders deutlich!

weil man nicht in die Spinner-Ecke gestellt werden will.
Genau. Und trotzdem öffnet fast jeder, der einen Sterbenden begleitet hat, nach seinem Tod das Fenster...
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Noch ein Hinweis, als ich meinen Mann, der sehr viele japanische Animes im Originalton mit Untertiteln schaut (er kann selbst kein Japanisch), nach dem "Link" fragte: Da würden die Japaner vielleicht "Linku" oder so sagen. Sie hängen wohl an englische Begriffe und Eigennamen häufig ein -u oder -o einfach an das Wort hinten dran. Welche sprachwissenschaftlie Bewandtnis das nun hat, konnte er mir aber auch nicht erklären. Er kennt es ja nur vom Hören.
Vielleicht weiß da mal wieder @otegami mehr?
Liebe @GIAA, ich habe Dich natürlich nicht vergessen! ;) (Gerade erst habe ich SchwieTo fragen können!)
Aaaalso, Dein Mann hat Recht!!!!! :thumbsup:party Das Wort 'Link' wird in Japan wirklich oft verwendet für 'Verbindung' und dann wird noch der Buchstabe 'u' drangehängt! (Hört sich dann einfach japanischer an! :helo ) Also 'Linku' soll man wirklich oft hören!

Herzliche Grüße an Deinen Mann! :smileeye
 

Renie

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Ich bin immer noch nicht durch mit dem Buch, da müsst Ihr jetzt nachsichtig sein.

Und zwar geht mir eine besondere Eigenschaft Suzus noch im Kopf herum. Sie erzählt, dass sie ihren verstorbenen Großvater gesehen hat - er lag einerseits aufgebahrt im Sarg, andererseits saß er bei ihnen am Frühstückstisch. Sie sieht also Verstorbene, und sie spürt sie als Windhauch. Ihre Eltern wissen es, und sie bezeichnen ihre Tochter als "erschreckend anders" (S. 140).

Bei keinem der Fundorte wird diese Fähigkeit aber erwähnt, oder habe ich etwas überlesen?

Nur ein einziges Mal ist es mir aufgefallen: als sie die Wohnung der jungen Frau aufräumen. Die Eltern knien nieder, und die Rauchwolke der Räucherstäbchen neigt sich zu ihnen, "eine plötzliche Luftbewegung" (S. 232, ach je, die Stelle ist zum Weinen schön...) - Rie verabschiedet sich also von ihren Eltern.
"Rie war fertig und und trat nicht wieder aus dem gefallenen Vorhang hervor" (S. 232).
Also hat Suzu sie gesehen???
Ohne es uns zu erzählen.
So, ich habe extra gewartet, bis Du mit dem Buch fertig bist, weil ich mir nicht mehr sicher war, wo die Stelle war, um die es mir jetzt geht:
In Verbindung mit "Oben Erde, unten Himmel" ist auch von einem Rauschen die Rede. Ich stelle mir das als Übergangsbereich zwischen den beiden "Orten" vor. Dieses Rauschen taucht auch in Verbindung mit dem Tod ihres Großvaters auf, wird da aber zunächst nur dem Regen zugesprochen:
Oben und unten, Himmel und Erde. Der Regen war eine Wand aus Schnüren. Er verband Himmel und Erde miteinander. Und ob es daran lag? An dem unablässigen Rauschen, das das eine mit dem anderen verband. (S. 140)
Dazu passen dann auch Sätze wie
Ich dachte an die anderen, die vor ihm gegangen waren. .... Auf leisen Sohlen hatten sie sich davongestohlen, und wir, die übrig geblieben waren, konnten ihnen lediglich nachsinnen. Uns erinnern, während sich die Lücke schloss. Sie einen Spalt weit offenhalten. (S. 284)
Ich verstehe es so, dass solange wir uns erinnern, die Toten in diesem Bereich zwischen Himmel und Erde bleiben und wir somit mit ihnen verbunden sind. Ich mag diesen Gedanken. Ich würde auch nicht soweit gehen, Suzu übersinnliche Fähigkeiten oder etwas in dieser Art zuzusprechen. Für mich ist ihr "Draht zu den Verstorbenen" eher ein Beweis ihrer Sensibilität und Tiefgründigkeit. In Empathie steht sie Herrn Sakai in nichts nach, wobei beide dabei auch keinen Unterschied zwischen Lebenden und Toten machen.
 

dracoma

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16. September 2022
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Ich verstehe es so, dass solange wir uns erinnern, die Toten in diesem Bereich zwischen Himmel und Erde bleiben und wir somit mit ihnen verbunden sind.
Einer der vielen schönen Gedanken des Buches.

Ich würde auch nicht soweit gehen, Suzu übersinnliche Fähigkeiten oder etwas in dieser Art zuzusprechen.
Sie sagt, das Rie nicht mehr hinter dem gefallenen Vorhang hervortritt - Du meinst, dass das keine visuelle Wahrnehmung ist, sondern eher eine Metapher? Für Ries Anwesenheit, die Suzu spürt?
Ich denke, dass man das auch so wie Du lesen kann.
Ich finde es immer schön, wenn es andere Lesarten gibt.
 

Sassenach123

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Auch wenn es mich erst traurig gestimmt hat, dass Herr Sakai bald sterben wird, hat es doch für den Roman ein passendes Ende eingeleitet. Toll, was er sich für seine Truppe noch für Gedanken gemacht hat. Er ölte vorher Ordnung schaffen, was ich sehr gut nachvollziehen konnte.
Suzu hat die Zeit mit ihm, die Zugehörigkeit zu dieser Truppe, an könnte es fast schon als Familie bezeichnen, unheimlich viel gebracht. Sie ist viel gelöster und selbstbewusster. Toll.
Was passiert jetzt mit den Fujis, in absehbarer Zeit wird das Haus abgerissen? Ich hoffe sehr, dass Suzu den Kontakt hält.
 

Sassenach123

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Ich blicke aber immer noch nicht durch, auf wen Herr Sakai denn wartet?
Beim Kirchblüten-Picknick und beim Sterben?
Das habe ich mich auch gefragt, hatte allerdings während des Lesens nie das Gefühl, dass ihm seine Ex-Frau noch sehr wichtig war, daher habe ich Suzus Bemerkung nicht allzu beigemessen
Besser die Chefin als deine Frau :apenosee
Das eine schließt das andere nicht aus:cool:
Also hat Suzu sie gesehen???
Ohne es uns zu erzählen.
Ich glaube auch, dass es eher ein Gefühl ist. Außerdem kam es damals in der Familie ja eher schräg rüber, sie sollte nichts davon sagen, wenn ich das noch richtig im Kopf habe, daher erwähnt sie es vielleicht erst gar nicht?
 

dracoma

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Das habe ich mich auch gefragt, hatte allerdings während des Lesens nie das Gefühl, dass ihm seine Ex-Frau noch sehr wichtig war, daher habe ich Suzus Bemerkung nicht allzu beigemessen
Den Eindruck hatte ich auch nicht, dass sie ihm noch wichtig ist, aber kann sein, dass er hier einen Abschluss braucht.

sie sollte nichts davon sagen, wenn ich das noch richtig im Kopf habe, daher erwähnt sie es vielleicht erst gar nicht?
Ja, das passt!
 

parden

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Und noch eine Frage. Ich habe folgenden Satz auf der letzten Seite nicht richtig verstanden: "Wir betätigten die Klospülung, die noch nie einer benutzt hatte, und hörten, wie das Wasser ablief." Warum hat die Klospülung noch nie jamend benutzt? Herr Sakai hatte doch dort gewohnt, er hat halt bloß alles schön sauber gemacht, bevor er ins Krankenhaus ist. Deshalb wird er doch aber die Jahre zuvor die Klospülung benutzt haben. Stehe ich grad vollkommen auf dem Schlauch? Das scheint irgendwie eine wichtige Stelle zu sein, so im letzten Absatz ganz präsent.
Ich glaube, er hat alles erneuern lassen. Die Küchenzeile war neu, die Fliegengitter und eben auch das Bad... Aber das ist hier ja schon ausführlich diskutiert worden, wie ich später gesehen habe... ;)
 
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parden

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Was für ein Roman. Ihr habt hier schon so viel geschrieben, da bleibt nicht mehr viel hinzuzufügen. Ein trauriges aber passendes Ende, das die Zukunft offen lässt. Es tut sich etwas in punkto Einsamkeiten - zuweilen gibt es wohl doch einen Weg da hinaus. Die Geschichte um das junge Mädchen mit seiner teuren Klatsch, das wochenlang tot in der Wanne lag, fand ich auch sehr berührend, gerade was die Erzählung der Eltern anbelangt.

Der Roman bietet auch interessante Einblicke in japanische Lebensarten und Traditionen, was mir sehr gut gefallen hat. Das Thema "Einsamkeit" scheint jedenfalls ein zentrales zu sein in diesem Land. Immerhin gibt es für bestimmte Phänomene eigene Worte (Kodokushi = einsamer Tod - oder auch Hikikomori = meist junge Menschen, die den Kontakt zur Außenwelt auf ein Minimum reduzieren). Solche Begriffe gibt es m.E. im Deutschen nicht.
 

dracoma

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16. September 2022
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Solche Begriffe gibt es m.E. im Deutschen nicht.
Da hatte ich auch schon mal nachgefragt, vielleicht könnte @otegami ihre Schwiegertochter nochmals befragen...?
Ich würde auch gerne wissen, wieso es diese Begriffe in Japan gibt. Den "einsamen Tod" gibt es schließlich hier bei uns auch, das ist keine japanische Spezialität. Liegt es daran, dass sich die japanischen Wörter anders zusammensetzen und von daher einfacher ein solches Wort gebildet werden kann?
Also: Liegt es an der Eigenart der Sprache? Und nicht in erster Linie an einer Eigenart des Landes?