3. Leseabschnitt: NEUN bis DREIZEHN (Seite 147 bis 227)

Barbara62

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19. März 2020
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Auch einzelne Formulierung in der Sprache haben mich hier (wenn auch nicht so sehr) gestört. "Der Morgen geht auf." (Geht nicht die Sonne auf?) So ging es mir an anderen Stellen auch und ich fragte mich, ob dies an der Übersetzung liegt. Vielleicht ist es in der finnischen Sprache ja so, dass der Morgen aufgeht und nicht wie im Deutschen die Sonne? Es lässt sich allerdings festhalten, dass ich immer noch mit der Sprache und dem Stil der Autorin hadere. Nicht dem Inhalt, der ist interessant und bekommt immer mehr Facetten.
Ich bin ja bekanntermaßen nicht so empfindsam bei solchen Formulierungen, daher einfach mal laienhaft gefragt: Darf ein Autor/eine Autorin das nicht? Klar geht die Sonne auf und nicht der Morgen, aber das schreibt jedes Grundschulkind im Aufsatz. Gerade wenn eine Autorin wie Kurtto von der Lyrik herkommt, ist dann so eine Formulierung nicht Künstlerfreiheit? Und darf sich ein Übersetzer darüber hinwegsetzen und "ausbügeln"? (Es sei denn, die Formulierung gäbe es so im Finnischen, im Deutschen aber nicht.) Ich bin sehr gespannt auf eure Antworten!
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Es wird hier viel diskutiert, wie nahe man den Figuren kommt. Kann man Menschen, die unter so anderen Bedingungen in einer anderen Zeit lebten, überhaupt ganz nah kommen? Und wenn man ihnen sehr nahe kommt, sind sie dann vielleicht gar nicht authentisch, sondern an unser Denken angepasst? Ich hoffe, ich drücke mich verständlich aus.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Gerade wenn eine Autorin wie Kurtto von der Lyrik herkommt, ist dann so eine Formulierung nicht Künstlerfreiheit? Und darf sich ein Übersetzer darüber hinwegsetzen und "ausbügeln"?
Moster ist ein Meister seines Faches. Ich empfinde den Text ganz hervorragend. Poetisch und stimmig. Eine übersetzerische Meisterleistung! Wenn ich Kritik auf diesem Niveau üben würde, brauchte ich den Originaltext und die Kenntnis der Sprache. Habe ich nicht.
Mir geht es wie dir, Barbara: es passt für mich perfekt in diesen poetischen Kontext. Es geht ja eben nicht nur die Sonne auf. Das ganze Farbenspiel, die Atmosphäre, sind mit der weiter gefassten Formulierung inbegriffen. Das macht die Poesie: sie weitet den Raum. Perfekt:)
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Moster ist ein Meister seines Faches. Ich empfinde den Text ganz hervorragend. Poetisch und stimmig. Eine übersetzerische Meisterleistung! Wenn ich Kritik auf diesem Niveau üben würde, brauchte ich den Originaltext und die Kenntnis der Sprache. Habe ich nicht.
Mir geht es wie dir, Barbara: es passt für mich perfekt in diesen poetischen Kontext. Es geht ja eben nicht nur die Sonne auf. Das ganze Farbenspiel, die Atmosphäre, sind mit der weiter gefassten Formulierung inbegriffen. Das macht die Poesie: sie weitet den Raum. Perfekt:)
Die Sonne geht ja sowieso nicht auf. Das ist eine Redensart. Richtiger wäre etwa, dass die Erde "sich unter die Sonne dreht", und das klingt noch viel merkwürdiger, weil sich unsere Sprache entwickelt hat, als unser Weltbild noch geozentrisch war.

EIne sehr treffende Beschreibung des Sonnenuntergangs, die ich mal gelesen habe, ist zum Beispiel, dass "der Horizont die Sonne verschluckt".
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

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Warum sucht SIE Ihren Sohn nicht mit?!? Das ist krank. Keine Mutter würde die Insel ohne ihr 9-jähriges Kind verlassen. Egal, was andere sagen.
Mit Lise stimmt es nicht, wenn ihr mich fragt.
Wenn ich von heute ausgehe stimme ich dir sofort zu, aber 1961 und dann noch Tristan de Cunha, ein vollkommen abgeschiedenes Eiland ohne großen Kontakt nach außen und damit auch kein Kontakt zu Veränderungen. Hier werden alte Hierarchien am Werke gewesen sein, in denen Frauen denke ich nicht die Bestimmer waren. Von daher passt Lises Verhalten in meinen Augen. Sie lehnt sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen die Entscheidung die Insel zu verlassen auf, ist aber letztendlich keine Entscheiderin. Entscheidungen treffen die Männer.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Gerade wenn eine Autorin wie Kurtto von der Lyrik herkommt, ist dann so eine Formulierung nicht Künstlerfreiheit? Und darf sich ein Übersetzer darüber hinwegsetzen und "ausbügeln"?
Keine Frage, das ist ihre Künstlerfreiheit. Nur darf ich dann auch über diese Freiheit stolpern. ;)
Und nein, ich finde nicht, dass ein Übersetzer "ausbügeln" darf. Er muss damit arbeiten, was in dem Falle die Autorin vorgibt.
Mich hätte an der Stelle einfach interessiert, ob vielleicht jemand in der Runde weiß, ob es nicht tatsächlich ein anderes Sprachbild im Finnischen ist. Es gibt ja viele Sprichwörter, die in verschiedenen Sprachen zwar die selbe Bedeutung haben, aber faktisch einen anderen Inhalt. Und in diesem Falle macht es mehr Sinn eine Redensart in die übersetzte Sprache zu überführen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Und in diesem Falle macht es mehr Sinn eine Redensart in die übersetzte Sprache zu überführen.
Wie du siehst, streiten sich daran die Geister;). Mir ist da gar nichts Unstimmiges aufgefallen, du hast mich erst aufmerksam gemacht. Für mich hat sich die Formulierung wunderbar ins Gesamtbild eingegliedert. So unterschiedlich lesen wir!

Es ist ja allgemein anerkannt, dass sich der Übersetzer tief in die Sprache des Urhebers einfühlen muss - besonders schwierig bei einem solch außergewöhnlichen Text wie diesem mit dieser poetischen Grundhaltung.
Ein konventioneller Sommerroman ist gewiss leichter zu übersetzen. Da geht dann - schlicht- die Sonne auf :p
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Wenn ich von heute ausgehe stimme ich dir sofort zu, aber 1961 und dann noch Tristan de Cunha, ein vollkommen abgeschiedenes Eiland ohne großen Kontakt nach außen und damit auch kein Kontakt zu Veränderungen. Hier werden alte Hierarchien am Werke gewesen sein, in denen Frauen denke ich nicht die Bestimmer waren. Von daher passt Lises Verhalten in meinen Augen. Sie lehnt sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen die Entscheidung die Insel zu verlassen auf, ist aber letztendlich keine Entscheiderin. Entscheidungen treffen die Männer.
Es entscheidet sogar allein David, als Bevollmächtigter der britischen Regierung.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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schafft es ohne Probleme bei Frauen anzukommen. W
Aber nicht bei den Mädchen, denn Martha ist ja keine Frau.
Und noch etwas, er war von Anfang an verdächtig, macht dies ein guter Autor so? Oder lässt er nicht später die Katze aus dem Sack?
Naja, wir lesen ja keinen Krimi oder Thriller. Die Tat ist ja jetzt für das weitere Verständnis der Figuren von Bedeutung.
Man hatte bisher Verständnis für Lise, die Arme verlassene Frau.
Das ist einer der großen Vorzüge des Romans. Man erkennt in nahezu jeder Figur plötzlich andere Seiten und muss immer wieder umdenken. Auch im letzten Abschnitt gibt es so etwas nochmal, ohne natürlich etwas verraten zu wollen.
Kann man Menschen, die unter so anderen Bedingungen in einer anderen Zeit lebten, überhaupt ganz nah kommen?
Ja, das finde ich schon. Gerade vor Kurzem habe ich ganz intensiv mit den Figuren der Sturmhöhe zusammengelebt und sogar von ihnen geträumt. Und die sind sogar noch älter ;).
 
G

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Aber nicht bei den Mädchen, denn Martha ist ja keine Frau.

Naja, wir lesen ja keinen Krimi oder Thriller. Die Tat ist ja jetzt für das weitere Verständnis der Figuren von Bedeutung.

Das ist einer der großen Vorzüge des Romans. Man erkennt in nahezu jeder Figur plötzlich andere Seiten und muss immer wieder umdenken. Auch im letzten Abschnitt gibt es so etwas nochmal, ohne natürlich etwas verraten zu wollen.

Ja, das finde ich schon. Gerade vor Kurzem habe ich ganz intensiv mit den Figuren der Sturmhöhe zusammengelebt und sogar von ihnen geträumt. Und die sind sogar noch älter ;).
Ach, das ist kein Krimi? :rofl :rofl:rofl:party:party:party
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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hatte nicht dieses Täterbild
Ist es nicht oft so, dass man nach einem Verbrechen denkt, das hätte ich nie von dem Mensch erwartet.
Lars kam bisher schon als Mensch herüber, der zu Liebe fähig ist, aber auch einer, der seine Interessen und Bedürfnisse durchsetzt.
Er schafft es ohne Probleme bei Frauen anzukommen.
Das eine schließt das andere nicht aus.
Die Differenzen wundern mich nicht. Ein Altersunterschied spaltet auch. Am Ende sind es Kleinigkeiten, die das Fass zum Überlaufen bringen.
Es war eine Verliebtheit, eine gegenseitige Anziehungskraft, aber letztendlich sind die beiden zu verschieden, das gibt auf Dauer Probleme. Yvonne verlässt für ihn die Stadt, zieht an die Küste, obwohl er das Meer nicht mag. Und für Lars ersetzt dieser Ort nicht seine Heimat. Das schafft Frustrationen, die man dem anderen vorwirft. Da fehlt nur der letzte Tropfen…
Nein. Ich war auch schockiert. Aber so ist das Leben: wie oft kommt Vergewaltigung/Missbrauch/Gewalt in scheinbar intakten Verhältnissen vor, wo man es niemals gedacht hätte? Diese Männer haben zwei Gesichter. Er hatte Lust auf Martha, wusste, dass sie keinen Schutz durch Vater oder Mutter genießt, und hat sie sich genommen. Das tun manche Männer, auch wenn sie andere sexuelle Möglichkeiten haben. Spontan. Lust an der Macht. Lust am Unversehrten. Lust am Kind. Wäh!!!

Lars ist ein Lustmensch. Wenn es ihm hier nicht mehr gefällt, geht er woanders hin... Verantwortung ist ein Fremdwort für ihn, er braucht die Abwechslung. Insofern bin ich schockiert, finde die Figurenkonstellation aber stimmig und vorstellbar.
Du ordnest die Tat richtig ein. So sehe ich das auch. Insofern ist die Charakterisierung von Lars stimmig .
dass mich das Buch mehr beschäftigt,
Das stimmt. Es beschäftigt mich auch, erzähle meinem Mann ständig irgendwelche Episoden aus dem Buch ( ob es ihn interessiert, sei mal dahingestellt).
Keine Mutter würde die Insel ohne ihr 9-jähriges Kind verlassen. Egal, was andere sagen.
Das habe ich auch gleich gedacht. Nie wäre ich auf das Schiff gegangen ohne mein Kind.
Gerade wenn eine Autorin wie Kurtto von der Lyrik herkommt, ist dann so eine Formulierung nicht Künstlerfreiheit? Und darf sich ein Übersetzer darüber hinwegsetzen und "ausbügeln"?
Natürlich ja und natürlich nicht.
Es ist die Freiheit eines Künstlers, sich auszudrücken, wie er möchte. Ob das als gelungen betrachtet wird, ist eine andere Sache. ( In diesem Fall finde ich den aufgehenden Morgen besser als die gewöhnliche Sonne.) Und ein Übersetzer ist zuerst dem Originaltext verpflichtet. Er muss überlegen, welcher Ausdruck passender ist aber verbessern geht nicht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
aber auch einer, der seine Interessen und Bedürfnisse durchsetzt.
Stimmt, dies hat er gemacht. Aber das machen viele, wenn nicht die meisten Menschen. Wichtig ist, welche Grenzen man sich setzt, welche NoGos es gibt. Und ich denke er ist zu redlich, zu bewusst für Ungerechtigkeiten, er würde niemanden körperlich und seelisch so sehr weh tun, wie dies bei einer Vergewaltigung passiert. Er verletzt Lise, aber aus welchem Grund geschieht dies, in der Ehe sind zwei Menschen vereint und das klassische Täter/Opfer-Ding gibt es hier eigentlich nie. Immer sind beide Menschen beteiligt. Ich mag hier nicht mit Schuldzuweisungen arbeiten. Leidtragend und als einziger unbeteiligt ist hier Jon in meinen Augen. Er kann nun gar nichts dafür, was zwischen seinen Eltern abläuft.
 

petraellen

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Morgen aufgeht und nicht wie im Deutschen die Sonne?
Der Morgen wird personifiziert. Alles erwacht wieder zum Leben der Tagesablauf kann beginnen, der mystische Eindruck verstärkt sich dadurch. Hätte die Autorin geschrieben „die Sonne geht auf“, dann wäre es nur hell geworden. Aber mit dem Morgen beginnt der Wechsel von der Nacht zum Tag, auch wenn die Sonne vielleicht nicht zu sehen ist, durch Wolken verhangen. Sie geht immer auf. Und es kann sein, dass die Sonne schon früher da war, als der Tagesablauf beginnt. Die Betonung sehe ich hier auf den Morgen mit Beginn der täglichen Routine, Arbeit, Tätigkeiten.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Der Morgen wird personifiziert. Alles erwacht wieder zum Leben der Tagesablauf kann beginnen, der mystische Eindruck verstärkt sich dadurch. Hätte die Autorin geschrieben „die Sonne geht auf“, dann wäre es nur hell geworden. Aber mit dem Morgen beginnt der Wechsel von der Nacht zum Tag, auch wenn die Sonne vielleicht nicht zu sehen ist, durch Wolken verhangen. Sie geht immer auf. Und es kann sein, dass die Sonne schon früher da war, als der Tagesablauf beginnt. Die Betonung sehe ich hier auf den Morgen mit Beginn der täglichen Routine, Arbeit, Tätigkeiten.
Deine Interpretation gefällt mir.
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Ich weiß, dass auch große Dichter kleinlich und piefig sein können. Trotzdem mutet es irgendwie merkwürdig an, dass Lars seine Gedanken so fein formuliert und gleichzeitig Yvonne mit so lächerlichen Anwürfen überzieht. "Du würdest doch keinen Moment alleine zurechtkommen" (S. 193) - was soll das? Sie ist ganz ausgezeichnet ohne ihn zurechtgekommen. Wenn er an Tristan denkt, denkt er "groß", gegenüber Yvonne benimmt er sich ziemlich lächerlich.

Da gibt es aber eine feine Andeutung auf S. 193: er bemerkt mit leichter Verärgerung, dass sie Wasser aus dem Hahn trinkt, aber nicht vorher mit dem Finger die Temperatur prüft, "wie es jeder andere tun würde". Macht ihr das? Ich nie. Könnte es sein, dass er sich noch immer nicht an den Luxus eines Heiß- und Kaltwasserhahns gewöhnt hat, und dass er Yvonne diesen Luxus unausgesprochen übelnimmt? Das wäre immerhin eine Erklärung für sein widersprüchliches Verhalten. (Auch die Menge an feinem Geschirr beim Essen mit Yvonnes Eltern hat ihn ja schon gestört.)
Die kleinlichen Äußerungen bezüglich Yvonnes Verhalten, sind für mich ein Hinweis, dass die Liebe vorbei, die Beziehung stark beschädigt ist. Solche Dinge nehmen Menschen nur als störend wahr, wenn etwas nicht mehr stimmt - dann erscheinen solche Nichtigkeiten plötzlich wichtig. Lars ist ein Abenteurer und tief verwurzelt mit seiner rauen Insel und vor allem dem Meer. Er kann nicht an einem Ort glücklich sein. Die Welt von Yvonnes Familie mit ihrem schönen Geschirr und den Anstandsregeln sind ihm fremd.