Ich kann beim Lesen nur wieder und wieder den Kopf schütteln. Dieses Buch macht mir zuweilen schlechte Laune. Ich habe den Eindruck, dass hier ein jugendlicher Erzähler stolz von seiner Errungenschaft und seinen sexuellen Erlebnissen berichten will. Das Sprunghafte habt ihr schon erwähnt. Dieses Paar ist sehr ungleich (auch wenn es sich angeblich angleicht) und die ganze Liaison wirkt sehr unglaubwürdig auf mich. Oben schrieb jemand "reibungslos".
Marthe ist verheiratet. Niemand hat sie dazu gezwungen. Ihr Mann kämpft für Volk und Vaterland, riskiert sein Leben. Wir wissen um das Zerstörerische des Krieges, in dem sich gestandene Männer über die Briefe ihrer Lieben am Leben hielten...
In dieser Situation wird Jacques nach Strich und Faden betrogen, in vielerlei Hinsicht. Ich finde das zutiefst unmoralisch. Dem Paar fehlt die Ernsthaftigkeit. Jeder soll es wissen, nur der Gatte und dessen (Schwieger)Familie nicht. Das ist sowas von unglaubwürdig! Die Zwei spazieren eng umschlungen durch die Welt, machen Ausflüge, korpulieren lautstark - und niemand gönnt sich den Genuss, das zu verraten? Mag für den Plot notwendig sein, realistisch ist es nicht. Zudem haben mich die Besitzansprüche des Knaben genervt. Vielleicht ein eher maskulines Buch? Bin ich zu sehr Frau des 21. Jahrhunderts? Mich stört dieses misogyne Gebaren regelrecht und verdirbt mir den Lesegenuss (Höhepunkt: Er könnte J. dafür bestrafen, dass er ihm Marthes Jungfräulichkeit weggenommen hatte.

89). Lachen müsste man können, aber dafür ist mir das Schicksal Marthes zu nah, die in ihr Unglück rennt, wenn ihr Mann nicht völlig verblendet ist oder getötet wird.
Der sprunghafte Ton passt zu einem sich selbst überschätzenden 15-jährigen, der keine Grenzen kennt. Viele Sprachbilder und Sätze empfinde ich als verwackelt:
Wer dem Tod gelassen entgegenblickt, ist nur ein Held, wenn er es allein tut. 72
Solche Hiebe verletzen den, der sie austeilt. 74
Dabei ist die Liebe ein Egoismus zu zweit, der sich selbst alles opfert und von Lügen lebt.
Einer Frau zu glauben, "in dem Moment, wo sie nicht lügen kann", das heißt an die falsche Großzügigkeit eines Geizhalses zu glauben. 78
Ich war so gereizt wie ein Pianist ohne Klavier... 86
Doch so jäh diese Auftritte kamen, sie legten sich ebenso schnell wieder, wie Meereswellen. 100
...aber an denen (den leeren Tagen) ich mein tastendes Herz beobachtete wie ein Neureicher seine Bewegungen bei Tisch. 101
Der Pennäler genießt seine Macht über Marthe, die sich von ihm und seinen Entscheidungen abhängig macht und lenken lässt. Die Schwangerschaft tut das Ihre dazu. Damit hat der Bub nicht gerechnet, dass ein Baby bei der ganzen Sache entstehen kann... Hoppla!
Überraschend sind die ehrlichen Einsichten über die Unmoral, über den Machtmissbrauch, über die hinterhältige Einflussnahme auf M.s Entscheidungen. Jedes Fehlverhalten wird mit der Liebe begründet. Auch das Argument stumpft sich ab. Denken und Handeln gehen in unterschiedliche Richtungen - ein 15-jähriger eben.
Das Buch mag vor 100 Jahren ein Aufreger gewesen sein, weil es das sexuelle Verhältnis doch relativ ausführlich schildert, anregende Vergleiche und Andeutungen liefert. Da scheint richtig was zwischen den beiden im Bett abzugehen

!
Heutzutage lockt das niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Auch sprachlich sehe ich ehrlich gesagt keine Glanzpunkte. Wie oft ich allein "Marthe" gelesen habe. Keine geschickte Vermeidung, keine raffinierten Nebensätze. Es liest sich sehr authentisch für einen 15-jährigen, aber...für mich entsprechend reizlos.
Das schönste ist die wertige Aufmachung des Buches und die Skizzen - bis jetzt, wohlgemerkt.
Nun hoffe ich, dass der dritte Teil das Buch für mich attraktiver macht.