5. Leseabschnitt: Teil 3 ab Seite 229 bis zum Ende

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.496
50.136
49
Spannend die Erzählperspektive:
Bis Seite 135 wird als Ich-Erzähler berichtet. Dann schlüpft der Leser in die Geschichte hinein, indem er selbst zum "Du " wird.
Jetzt in Teil 3 wird in der 3. PERSON erzählt: "Es war, als betrachte - und lebe - er sein Leben in der dritten Person (S. 231)
Mit diesem Satz kriegen wir eine Erklärung dazu.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.496
50.136
49
Bis auf die letzten zwei Seiten hält der Autor die neutrale Perspektive ("er" anstelle von du oder ich) bei.

Paul quält sich entsetzlich damit, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist. Er hat oft das Bild vor Augen, dass Susan an seinen Armen aus dem Fenster hängt und er sie nicht mehr halten kann...

Susan bleibt Alkoholikerin. Hinzu kommt aus meiner Sicht eine demenzielle Erkrankung: Bereits auf S. 233 sagt Susan: " Guck mal, Marko Paul, ich lasse mich verschwinden!". Der Alkohol alleine löst eine solche Wesensveränderung sicherlich nicht aus.

Nach weiteren 5 Jahren hält Paul es nicht mehr aus und flieht ins Ausland, wo er beruflich verschiedenene Aufgaben ausführt. Die Sorge für Susan übergibt er der Tochter Martha, die sich selbst um die Mutter kümmert.
[zitat]Er konnte sie nicht retten, also musste er sich selbst retten. So einfach war das. (S. 247)[/zitat]

Infolge verliert sich aus meiner Sicht die Spannung etwas. Die Geschichte ist im Grunde an ihrem Ende und Paul reflektiert das Gewesene, analysiert die Beziehungen zu Susans Ehemann, seinen Freunden, er schildert seine gescheiterten Liebschaften. Immer unter dem Schild der Verletztheit und des Schmerzes. Seine pessimistischen Sprüche im Notizbuch über die Liebe. Das alles wurde mir ein bisschen langatmig. Wie empfindet ihr das?

Man erfährt noch, worin der Verrat Eric gegenüber bestand. Das war unschön, aber doch auch keine Katastrophe.

Die Szenen, wenn er Susan besucht und sie so furchtbar entrückt ist, sind sehr gut dargestellt. Einen wunderbaren Satz habe ich mir angestrichen:
[zitat]Aber jetzt hat sie nur noch sehr wenig Vergangenheit und macht sich - buchstäblich - keine Gedanken über die Zukunft. Sie hat nur ein Geisterspiel auf einer ausgefransten Leinwand der Erinnerung und hält das für die Gegenwart (S. 268)[/zitat]
Jeder, der die Demenz kennt, wird ermessen können, wie zutreffend dieser Satz ist.

Auch das Ende ist unspektakulär, aber sehr berührend, zumal wieder der "Ich-Erzähler" auftritt.
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.323
19.040
49
48
Susan bleibt Alkoholikerin. Hinzu kommt aus meiner Sicht eine demenzielle Erkrankung: Bereits auf S. 233 sagt Susan: " Guck mal, Marko Paul, ich lasse mich verschwinden!". Der Alkohol alleine löst eine solche Wesensveränderung sicherlich nicht aus.
Das sagt sie schon vorher - das hier ist nur eine Rückblende auf den Satz. Im Zusammenhang steht er hier mit der Bewahrung der Erinnerung an sie.

[zitat]

„Es war seine letzte Pflicht ihnen beiden gegenüber, sie so in Erinnerung zu behalten und zu bewahren, wie sie in der ersten Zeit ihres Zusammenseins gewesen war. Sie so in Erinnerung zu behalten, dass sie wieder das hatte, was er noch immer ihre Unschuld nannte: eine seelische Unschuld. Bevor diese Unschuld verunstaltet wurde. Ja, das war das richtige Wort dafür: vollgekrakelt mit den wilden Graffiti des Alkohols. Auch ihr Gesicht war dabei verloren gegangen und daraufhin seine Fähigkeit, sie zu sehen. Sie zu sehen, sich in Erinnerung zu rufen, wie sie gewesen war, bevor er sie verlor, sie aus dem Blick verlor, bevor sie in diesem Chintzsofa verschwand – „Guck mal, Marko Paul, ich lasse mich verschwinden!“ Die erste Person aus dem Blick verlor, den ersten und einzigen Menschen, den er geliebt hatte.“ (S. 233)

[/zitat]

So oft wie bei diesem Buch hatte ich schon lange keine Gänsehaut mehr. Für mich dürfte #julian barnes in die Riege der Lieblingsautoren aufsteigen.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.073
11.173
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Die früh einsetzende Demenz ist eine Folge des Alkoholismus. Hinzu kommt das sogenannte Korsakow-Syndrom (eine Form der Amnesie). Das scheint auf Susan zuzutreffen.
Ich fand den letzten Abschnitt weniger spannend als die anderen, aber nicht langatmig.
Z.B. wurde der durchgestrichene Titel erklärt: Die Wahrheiten, die er in sein Notizbuch geschrieben hat, streicht er immer wieder durch, dass die Liebe, die einzige Geschichte ist, ist jedoch eine Wahrheit, die stehen bleibt.
Vieles aus dem ersten Teil wird aufgegriffen und neu bewertet und auch die Frage nach der Erinnerung wird gestellt. Was bleibt? Das Positive, das Negative, was wird überzeichnet?
Irre finde ich, dass er noch weitere fünf Jahre mit Susan in dieser isolierten, verzweifelten Situation verbracht hat - kein Wunder, dass er sich einen geordneten Job suchte, der in unterforderte...

Er reflektiert auch wieder über die gesellschaftlichen Umstände und erkennt, dass die Liebe selbst ein neues Glaubenssystem darstellt, dem man verpflichtet ist und dass auch sie eine Fessel sein kann, das spürt Paul am eigenen Leib, denn offenkundig gelingt es ihm nicht Susan früher loszulassen. Für beide wäre es wohl besser gewesen, anstatt zu warten, bis es gar nicht mehr geht und dann die Verantwortung ganz abzugeben.

Weiterhin verwendet Barnes eindrückliche Bilder, z.B. wenn er darüber reflektiert, inwiefern der Mensch selbst "Kapitän eines Raddampfers auf dem Mississippi" seines Lebenswegs ist, indem er immer wieder Entscheidungen trifft, die eine Richtung vorgeben (erinnert mich an "Der Steuermann" von Kafka, @kingofmusic ;) ) oder ist alles unvermeidlich,
[zitat]ein Menschenleben war nicht mehr als ein Knubbel an einem Baumstamm, der selbst auf dem gewaltigen Mississippi umhergetrieben wurde...[/zitat]
Für Paul ist es ein Zusammenspiel beider Lesarten, wie das Leben verläuft - Unvermeidlichkeit, Zufall und eigener Wille.

Aber jetzt hat sie nur noch sehr wenig Vergangenheit und macht sich - buchstäblich - keine Gedanken über die Zukunft. Sie hat nur ein Geisterspiel auf einer ausgefransten Leinwand der Erinnerung und hält das für die Gegenwart (S. 268)
Den hatte ich mir auch angestrichen, wunderbar ausgedrückt.
Paul stellt sich am Ende als Feigling heraus, der Susan in der "Irrenanstalt" nicht besuchen kann, erst ganz am Ende, da kehrt er zum Ich zurück, weil er sich endlich von ihr gelöst hat und sich selbst wieder findet. So habe ich es interpretiert, denn seine Gedanken verweilen nicht bei ihr - keine Tränen, kein Abschiedskuss, statt dessen denkt er daran, dass er noch tanken muss. Das Leben geht weiter - ohne sie.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.496
50.136
49
Die früh einsetzende Demenz ist eine Folge des Alkoholismus.
Das hatte ich mir auch gedacht. Aber nur mit Alkohol kann man sich so schnell auch nicht auslöschen.
Z.B. wurde der durchgestrichene Titel erklärt: Die Wahrheiten, die er in sein Notizbuch geschrieben hat, streicht er immer wieder durch, dass die Liebe, die einzige Geschichte ist,
Du bist echt der Knaller!!! Was du alles siehst. Es ist so einfach, aber ich bin nicht drauf gekommen....
Vieles aus dem ersten Teil wird aufgegriffen und neu bewertet und auch die Frage nach der Erinnerung wird gestellt. Was bleibt? Das Positive, das Negative, was wird überzeichnet?
Das habe ich weniger schön dargestellt, aber im Grunde gemeint, wenn ich sagte, die Geschichte kommt nicht voran. Es sind diese Reflexionen, die sich auf der Stelle bewegen, immer wieder um die eigene Liebe, den Schmerz, das eigene Unvermögen....
Ich bin wieder begeistert, wie gut du das erfasst und zu Papier bringen kannst:rolleyes:
(Auch wenn du das nicht hören willst ;))
Paul stellt sich am Ende als Feigling heraus, der Susan in der "Irrenanstalt" nicht besuchen kann, erst ganz am Ende, da kehrt er zum Ich zurück, weil er sich endlich von ihr gelöst hat und sich selbst wieder findet.
Das stimmt wohl. Andererseits: Wer hätte nicht Schwierigkeiten mit einem Partner, der trinkt, sich zugrunde richtet? Für einen Mann, der fast 30 Jahre jünger ist... Das kann man nicht verlangen.
Vielleicht lese ich die letzten Seiten noch einmal mit der guten Erklärung von der Querleserin.
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.323
19.040
49
48
Es sind diese Reflexionen, die sich auf der Stelle bewegen, immer wieder um die eigene Liebe, den Schmerz, das eigene Unvermögen....
Ich bin wieder begeistert, wie gut du das erfasst und zu Papier bringen kannst:rolleyes:
(Auch wenn du das nicht hören willst ;))
Wobei die Reflexionen nichts anderes sind als die Gedanken eines alten Mannes, der an Erfahrung reicher geworden ist und kurz vor seinem Tod mit sich und seinen Gedanken ins Reine kommen und die ein oder andere Meinung aus seiner "Jugend" zu bestimmten Themen revidieren will. So sehe ich das *g*.

Aber @Querleserin ist wirklich eine brillante Beobachterin. Ohne das jetzt böse zu meinen: da merkt man, dass sie Lehrerin ist :cool:.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.073
11.173
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Aber @Querleserin ist wirklich eine brillante Beobachterin. Ohne das jetzt böse zu meinen: da merkt man, dass sie Lehrerin ist :cool:.
Ja, ja, spottet nur ;). Ich strenge mich nur für euch richtig an :p.
Im Ernst, wenn man die Fachbegriffe dafür kennt, weiß man gleichzeitig worauf man achten muss. Und auf die Erklärung des durchgestrichenen Titels habe ich echt gewartet ;). Gut, alles interpretieren zu wollen, ist wohl tatsächlich eine deformation professionelle :rolleyes:.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.496
50.136
49
Vieles aus dem ersten Teil wird aufgegriffen und neu bewertet und auch die Frage nach der Erinnerung wird gestellt. Was bleibt? Das Positive, das Negative, was wird überzeichnet?
Ich habe die letzten 50 Seiten jetzt noch einmal gelesen, in Ruhe. Ja, es stimmt: die vorherigen Themen tauchen wieder auf. Man muss wirklich sehr aufmerksam und aufnahmefähig sein bei Barnes. Sonst wird das nichts.
Wobei die Reflexionen nichts anderes sind als die Gedanken eines alten Mannes, der an Erfahrung reicher geworden ist
Das hatte ich tatsächlich auch überlesen. Dass er wahrlich ein alter Mann ist. Dadurch kommen die Gedanken an den Tod viel glaubwürdiger rüber. Zeitlich Passt es auch. Wenn ich euch nicht hätte!
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.323
19.040
49
48
Ich habe noch mal so schöne Sätze gefunden :rolleyes:.

[zitat]

„In der Liebe ist alles wahr und falsch zugleich; sie ist das einzige Thema, über das man unmöglich etwas Absurdes sagen kann.“ (S. 263)

[/zitat]

[zitat]

„Was einmal weg ist, lässt sich nicht zurückholen; das wusste er jetzt. Wer einmal einen Faustschlag ausgeteilt hat, kann ihn nicht wieder zurücknehmen. Was einmal gesagt wurde, lässt sich nicht ungesagt machen. Wir können weitermachen, als wäre nichts verloren gegangen, nicht geschehen, nichts gesagt worden; wir können behaupten, dass wir alles vergessen; doch unser innerster Kern vergisst nicht, weil es uns für immer verändert hat.“ (S. 281)

[/zitat]

[zitat]

„Meiner Meinung nach ist jede Liebe, ob glücklich oder unglücklich, eine wahre Katastrophe, sobald man sich ihr voll und ganz hingibt.“ (S. 293)

[/zitat]
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.323
19.040
49
48
Die Sache mit Eric fand ich auch ziemlich "unspektakulär". Es war eine Art Reflex, sich selbst zu schützen. Moralisch kann man bestimmt drüber diskutieren, aber von Eric selber sind ja nie Vorwürfe geäußert worden. Manchmal tragen wir Dinge mit uns rum, die in eine riesengroße Schublade gehören, die nach kurzem Öffnen immer wieder sofort geschlossen wird, damit wir uns nie wieder damit befassen müssen. Aber ohne "Ballast" wird keiner von uns leben - that´s life :cool:.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ein insgesamt sehr interessanter letzter Abschnitt! In meinen Augen ein sehr ehrlicher Blick auf den Menschen und seine Gefühle aus dem Blick dieses Autors!

Paul schaut auf sein Leben zurück, er schaut auf diese Liebe zurück, die ihn definitiv geformt hat, er schaut auf eine intensive Liebe zurück, deren Verglühen ihn aber zu einem anderen Menschen formte. So wie er es schildert waren alle nachfolgenden Liaisons nicht mehr so tief, so wie mir es schien, weil er sich sperrte, sein Kopf noch besetzt war.

War die Liebe zu Susan obsessiv? In meinen Augen eigentlich nicht. Aber dies liegt eventuell an der recht nüchternen Betrachtung im Text. Weil dieses Verhalten von Paul klingt eigentlich danach.

Obwohl man sich auch fragen muss, was dies mit einem Menschen macht, wenn er zusehen muss wie die geliebte Person/dieses geliebte Wesen sich in ein "Monster" verwandelt. Weil genau das passiert in der Alkoholsucht. Leider!!! Von dem einst geliebten Menschen bleibt nicht viel zurück. Und den Partner verändert dies zunehmend.

Dieser Abschnitt quillt wieder förmlich über vor Sätzen, die so sehr zutreffen, so stimmig sind, zum Sinnieren einladen. Ich liebe es! Wieder einen Lieblingsautor gefunden! :rolleyes::rolleyes::rolleyes:
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Die früh einsetzende Demenz ist eine Folge des Alkoholismus. Hinzu kommt das sogenannte Korsakow-Syndrom (eine Form der Amnesie). Das scheint auf Susan zuzutreffen.
Ich fand den letzten Abschnitt weniger spannend als die anderen, aber nicht langatmig.
Z.B. wurde der durchgestrichene Titel erklärt: Die Wahrheiten, die er in sein Notizbuch geschrieben hat, streicht er immer wieder durch, dass die Liebe, die einzige Geschichte ist, ist jedoch eine Wahrheit, die stehen bleibt.
Vieles aus dem ersten Teil wird aufgegriffen und neu bewertet und auch die Frage nach der Erinnerung wird gestellt. Was bleibt? Das Positive, das Negative, was wird überzeichnet?
Irre finde ich, dass er noch weitere fünf Jahre mit Susan in dieser isolierten, verzweifelten Situation verbracht hat - kein Wunder, dass er sich einen geordneten Job suchte, der in unterforderte...

Er reflektiert auch wieder über die gesellschaftlichen Umstände und erkennt, dass die Liebe selbst ein neues Glaubenssystem darstellt, dem man verpflichtet ist und dass auch sie eine Fessel sein kann, das spürt Paul am eigenen Leib, denn offenkundig gelingt es ihm nicht Susan früher loszulassen. Für beide wäre es wohl besser gewesen, anstatt zu warten, bis es gar nicht mehr geht und dann die Verantwortung ganz abzugeben.

Weiterhin verwendet Barnes eindrückliche Bilder, z.B. wenn er darüber reflektiert, inwiefern der Mensch selbst "Kapitän eines Raddampfers auf dem Mississippi" seines Lebenswegs ist, indem er immer wieder Entscheidungen trifft, die eine Richtung vorgeben (erinnert mich an "Der Steuermann" von Kafka, @kingofmusic ;) ) oder ist alles unvermeidlich,
[zitat]ein Menschenleben war nicht mehr als ein Knubbel an einem Baumstamm, der selbst auf dem gewaltigen Mississippi umhergetrieben wurde...[/zitat]
Für Paul ist es ein Zusammenspiel beider Lesarten, wie das Leben verläuft - Unvermeidlichkeit, Zufall und eigener Wille.


Den hatte ich mir auch angestrichen, wunderbar ausgedrückt.
Paul stellt sich am Ende als Feigling heraus, der Susan in der "Irrenanstalt" nicht besuchen kann, erst ganz am Ende, da kehrt er zum Ich zurück, weil er sich endlich von ihr gelöst hat und sich selbst wieder findet. So habe ich es interpretiert, denn seine Gedanken verweilen nicht bei ihr - keine Tränen, kein Abschiedskuss, statt dessen denkt er daran, dass er noch tanken muss. Das Leben geht weiter - ohne sie.

Sehr schön fand ich sein Notizbuch mit Sprüchen über die Liebe, die er je nach Befinden und derzeitiger Gefühlslage bewertet/durchstreicht/stehen lässt. Sehr schön fand ich, dass ein Spruch, obwohl schon mal durchgestrichen, wieder kommt. Irgendwie passt das ja auch, jede Liebe ist anders, man selbst verändert sich, die geliebten Personen variieren.

Sehr interessant fand ich auch den Gedankengang eine Liebe mit einer Katastrophe gleichzusetzen/zu vergleichen. Allerdings nur eine Liebe auf die man sich vollkommen einlässt, der man sich vollkommen überlässt. Ich kann da nicht vollkommen mitgehen, aber interessant ist der Vergleich schon, irgendetwas daran ist auch wahr. Eine obsessive Liebe kann auch katastrophal sein.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Die Sache mit Eric fand ich auch ziemlich "unspektakulär". Es war eine Art Reflex, sich selbst zu schützen. Moralisch kann man bestimmt drüber diskutieren, aber von Eric selber sind ja nie Vorwürfe geäußert worden. Manchmal tragen wir Dinge mit uns rum, die in eine riesengroße Schublade gehören, die nach kurzem Öffnen immer wieder sofort geschlossen wird, damit wir uns nie wieder damit befassen müssen. Aber ohne "Ballast" wird keiner von uns leben - that´s life :cool:.

Ich empfinde dies genauso, aber Paul hat sich selbst wahrscheinlich immer vorgehalten seinen Freund im Stich gelassen zu haben und hat sich dies nicht verzeihen können. Was auch verstehbar wäre. Und tief im Inneren hat das Eric auch gestört, er wird es nur nie kommuniziert haben, weil er vielleicht auch eingesehen haben wird, dass Paul's Verhalten nachvollziehbar war. Und ja, wir tragen alle diese Schublade/diesen Ballast. :cool:;)
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Das sagt sie schon vorher - das hier ist nur eine Rückblende auf den Satz. Im Zusammenhang steht er hier mit der Bewahrung der Erinnerung an sie.

[zitat]

„Es war seine letzte Pflicht ihnen beiden gegenüber, sie so in Erinnerung zu behalten und zu bewahren, wie sie in der ersten Zeit ihres Zusammenseins gewesen war. Sie so in Erinnerung zu behalten, dass sie wieder das hatte, was er noch immer ihre Unschuld nannte: eine seelische Unschuld. Bevor diese Unschuld verunstaltet wurde. Ja, das war das richtige Wort dafür: vollgekrakelt mit den wilden Graffiti des Alkohols. Auch ihr Gesicht war dabei verloren gegangen und daraufhin seine Fähigkeit, sie zu sehen. Sie zu sehen, sich in Erinnerung zu rufen, wie sie gewesen war, bevor er sie verlor, sie aus dem Blick verlor, bevor sie in diesem Chintzsofa verschwand – „Guck mal, Marko Paul, ich lasse mich verschwinden!“ Die erste Person aus dem Blick verlor, den ersten und einzigen Menschen, den er geliebt hatte.“ (S. 233)

[/zitat]

So oft wie bei diesem Buch hatte ich schon lange keine Gänsehaut mehr. Für mich dürfte #julian barnes in die Riege der Lieblingsautoren aufsteigen.

Wunderschön!!! Wie so vieles in diesem Buch! :rolleyes::rolleyes::rolleyes:
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ich habe noch mal so schöne Sätze gefunden :rolleyes:.

[zitat]

„In der Liebe ist alles wahr und falsch zugleich; sie ist das einzige Thema, über das man unmöglich etwas Absurdes sagen kann.“ (S. 263)

[/zitat]

[zitat]

„Was einmal weg ist, lässt sich nicht zurückholen; das wusste er jetzt. Wer einmal einen Faustschlag ausgeteilt hat, kann ihn nicht wieder zurücknehmen. Was einmal gesagt wurde, lässt sich nicht ungesagt machen. Wir können weitermachen, als wäre nichts verloren gegangen, nicht geschehen, nichts gesagt worden; wir können behaupten, dass wir alles vergessen; doch unser innerster Kern vergisst nicht, weil es uns für immer verändert hat.“ (S. 281)

[/zitat]

[zitat]

„Meiner Meinung nach ist jede Liebe, ob glücklich oder unglücklich, eine wahre Katastrophe, sobald man sich ihr voll und ganz hingibt.“ (S. 293)

[/zitat]
Alles wundervolle Gedanken, aber besonders der Letze hat es in sich.
 

Helmut Pöll

Moderator
Teammitglied
9. Dezember 2013
6.582
11.188
49
München
So oft wie bei diesem Buch hatte ich schon lange keine Gänsehaut mehr. Für mich dürfte #julian barnes in die Riege der Lieblingsautoren aufsteigen.
Das sehe ich auch so. @kingofmusic . Diese Geschichte packt einen mit ihrer Ausweglosigkeit und lässt einen nicht mehr los. Barnes hat auch ein Geschick für tiefgründige Metaphern und Gedanken, die im Gedächtnis haften bleiben. Ich habe zwar noch ein paar Seiten vor mir, aber für mich gehört die Geschichte jetzt schon zu den absoluten Lesehighlights dieses Jahres.
 

Helmut Pöll

Moderator
Teammitglied
9. Dezember 2013
6.582
11.188
49
München
Ist Euch eigentlich auch aufgefallen, dass nach dem Umzug nach London Paul überhaupt nicht mehr von seiner eigenen Familie berichtet. Haben ihn die Eltern besucht? Hat sich die anfängliche Ablehnung gegen die Beziehung wieder gelegt? Paul fährt ja ab und an ins Village, um Joan zu besuchen, aber selbst da erwähnt er seine Familie mit keinem Wort. Oder habe ich da was überlesen?