2. Leseabschnitt: S. 71 bis S. 144

Amena25

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23. Oktober 2016
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Jetzt, wo ich erfahren habe, welche Tragödie sich in Alexanders Leben abgespielt hat, wie es seiner Frau und ihm ergangen ist, finde ich sein barsches und unfreundliches Verhalten der alten Nachbarin gegenüber nachvollziehbar. Da ist man neugierigen Fragern gegenüber eher abweisend, verständlicherweise.
Tatjanas Problem beim Abtippen der Listen finde ich sehr gut und einfühlsam geschildert. Egal, was sie macht, wird es falsch und verhängnisvoll sein.
So langsam wachsen mir das Buch und die Figuren doch ans Herz!
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Jetzt im zweiten Leseabschnitt bin ich mit der Geschichte schon besser zurechtgekommen. Allerdings wird der Roman nun auch interessanter und emotionaler.

Da ist einerseits Tatjana, die plötzlich das Problem hat, dass sie als Angehörige eines Kriegsgefangenen auch zu Hause in arge Nöte kommen kann. Man fiebert mit, ob ihr Trick aufgeht oder ob sie entdeckt wird. Das bringt Spannung in die Geschichte. Man ahnt, dass in der UDSSR zu Kriegszeiten, aber auch sonst sehr viel Unrecht begangen wurde und Tatjana noch eine Menge Schlimmes mehr wohl erleben muss.

Noch berührender fand ich den Teil um Lana und ihre Krankheit. Endlich erfahren wir, was Sascha so sehr belastet. Wie furchtbar, dass Alexander in der Zeit der Trauer auch noch so kritisiert und wenig unterstützt wird, sogar vom eigenen Vater.

Beim Lesen merke ich immer wieder, wie fremd Russland mir eigentlich ist. Vielleicht ist es tatsächlich ganz gut, dass ich mich nun durch den Roman mal intensiver mit dem Land und seiner Geschichte beschäftige.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Offensichtlich sperrt sich die russische Regierung, das internationale Rote Kreuz und den Austausch von Kriegsgefangenen zu unterstützen. Sämtliche diesbezüglichen Schreiben werden nicht beantwortet. Tatjana durchforstet die Listen der russischen Gefangenen und findet ihren Mann auf einer Liste der Rumänen. Sehr gut wird ihre Panik, ihr Schrecken transportiert!
Es scheint für unsereinen in Friedenszeiten aufgewachsenen völlig bescheuert, dass Kriegsgefangene wie Deserteure/Verräter behandelt werden und sogar die Familien Angst vor Repression und Verfolgung haben mussten. Dadurch, dass Deutschland selbst soviel Schuld auf sich geladen hat, kam der Stalinismus in meiner Schulausbildung zu kurz. Insofern stimme ich milkysilvermoon zu, dieser Roman ergängt mein spärliches Wissen.

Tatjana bezeichnet die Art und Weise, wie sie die Liste gefälscht hat, als größten Fehler ihres Lebens. Das lässt bereits tief blicken. Alexanders Mutter hatte ja auch von der Maklerin gehört, dass die alte Nachbarin jahrelang im Lager war... Da kommt noch mehr an schlimmen Details auf uns zu!

Alexanders Schicksal mit seiner Frau ist extrem heftig, das hat fast was von der "Lovestory" - da hätte es ein bisschen weniger Dramatik für mich auch getan.... Interessant die Konflikte, die sich auftun: Ist es rechtens, eine hirntote Mutter an den Geräten zu lassen, um das ungeborene Kind zu retten? Der Vater bemüht Gott, der Priester ist liberal und betet für das neue Leben. Hier wird eine aktuelle Debatte angerissen, solche Fälle hat es vereinzelt ja schon gegeben.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich empfand die Figuren eigentlich von Anfang an nicht als unsympathisch. Wundern tue ich mich immer noch, warum Tatjana unbedingt ihre Geschichte abladen will. Offiziell aus Angst, dass sie in Vergessenheit gerät. Hm. Soooo dement wirkt sie auf mich wirklich nicht. ich bin gespannt, ob es da noch einen weiteren Zusammenhang gibt, den wir jetzt noch nicht sehen können.

Ich finde den Roman sehr spannend und gut geschrieben. Ich fliege durch die Seiten ;)
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ist es rechtens, eine hirntote Mutter an den Geräten zu lassen, um das ungeborene Kind zu retten?

Ich kenne mich da auch nicht gut aus, aber Hirntote werden für eine Organspende auch tagelang an Geräten gelassen, selbst dann wenn noch nicht sicher ist, ob es überhaupt zu der Spende kommt. Unter gewissen Umständen scheint das also zu gehen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich kenne mich da auch nicht gut aus, aber Hirntote werden für eine Organspende auch tagelang an Geräten gelassen, selbst dann wenn noch nicht sicher ist, ob es überhaupt zu der Spende kommt. Unter gewissen Umständen scheint das also zu gehen.
Ja, das ist mir klar. Medizinisch geht das. Aber in unserem Buch hat der Vater ja ethische und religiöse Einwände dagegen. Da könnte man wunderbar diskutieren :D
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Es scheint für unsereinen in Friedenszeiten aufgewachsenen völlig bescheuert, dass Kriegsgefangene wie Deserteure/Verräter behandelt werden und sogar die Familien Angst vor Repression und Verfolgung haben mussten.
Ich glaube, das ist nicht nur für uns Friedensmensvhen so. Das war eine besondere Perfidie des Sowjetregimes, das auch lange totgeschwiegen wurde. Es gab dann den berühmten Roman von Tschingis Aitmatov: Der Tag zieht den Jahrhundertweg ( ich glaube so oder so ähnlich ist der in der Übersetzung sehr sperrige titel) der dieses Thema zuerst wieder öffentlich machte. Eine literarisch/politische Sensation in der SU. Ein absolut totgeschwiegenes Thema bis dahin. Ich selbst kenne eine Zwangsarbeiterin aus der SU, die noch in den 60er Jahren in der BRD in einem Ehemaligen Zwangsarbeiterlager wohnte, aber nie nach Hause zurück ging/ gehen konnte, da sie dort sofort inhaftiert worden wäre. Besonders perfide ist natürlich auch die Praxis derSippenhaft. Tatjana hat ja Angst um sich und ihre Tochter, weil der Mann, mit dem sie schon so lange gar keinen Kontakt mehr hat, „sich in Gefangenschaft begeben hat“. ABGRÜNDE! Ich wundere mich kein bisschen, dass Tatjana ( wie dement sie nun auch wirklich sein mag) endlich mal darüber reden will!
 

Anjuta

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Ich freue mich über jedes Buch, das der mageren Liste „Wider das sowjetische Vergessen!“Zugerechnet werden kann. Besonders in Zeiten, in denen Totschweigen und Verdrängen mal wieder an der Tagesordnung ist, russische Literatur eher unpolitisch daherkommt und Stalin erst kürzlich bei einer Umfrage wieder als „größte Persönlichkeit der Geschichte“ benannt wurde.
Ich lese das Buch deshalb seehr gerne weiter!
 

Anjuta

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Jetzt bin ich fertig mit LA 2.
Interessant darin ist wirklich der Briefwechsel des Roten Kreuzes mit den sowjetischen Behörden. Dem Roten Kreuz geht es um einen humanitären Austausch. Den Sowjets sind die eigenen Kriegsgefangenen in denLagern der Feinde genau am richtigen Platz. Mögen sich die anderen um deren Tod kümmern. Dann brauchen wir das nicht. Also klare Haltung: keine Antwort!
Und kaum kommt Sascha aus der Wohnung Tatjanas heraus wird er auch schon von der Art der „Vergangenheitsbewältigung“ geballt konfrontiert. Im Kindergarten backt man fröhlich Stalintorte und beim Stiefvater herrscht das Bedauern vor, dass Stalin nichtmehr da ist, um alle an die Wand zu stellen!
Dann erfahren wir Saschas Geschichte, den Tod seiner Frau und die sehr besondere Geburtssituation der Tochter. Auch sehr harter Tobak! Respekt vor Sascha, dass er diese Situation so bewältigt hat!
 

Renie

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Soooo dement wirkt sie auf mich wirklich nicht. ich bin gespannt, ob es da noch einen weiteren Zusammenhang gibt, den wir jetzt noch nicht sehen können.
Zwischendurch habe ich den Verdacht, dass das Verhalten von Tatjana eine Masche ist. Sie ist zwar dement. Aber ihre Krankheit ist noch nicht besonders weit fortgeschritten. Und manchmal tut sie einfach nur so, als ob sie sich nicht erinnert. Vielleicht um ihr Gegenüber auf die Palme zu bringen. Oder vielleicht auch, um sich hinter der Fassade der alten, vergesslichen Frau zu verstecken. Wer weiß? Wundern würde es mich nicht. Denn sie scheint es faustdick hinter den Ohren zu haben.
 

Renie

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Ich freue mich über jedes Buch, das der mageren Liste „Wider das sowjetische Vergessen!“Zugerechnet werden kann. Besonders in Zeiten, in denen Totschweigen und Verdrängen mal wieder an der Tagesordnung ist, russische Literatur eher unpolitisch daherkommt und Stalin erst kürzlich bei einer Umfrage wieder als „größte Persönlichkeit der Geschichte“ benannt wurde.
Ich lese das Buch deshalb seehr gerne weiter!
Der Roman ist sehr vielschichtig. Ich frage mich, wo die Reise hingeht. Denn angefangen habe ich ihn als Buch "Wider das sowjetische Vergessen". Da jedoch auch Themen wie "Rotes Kreuz", Geburten bei Hirntoten oder Demenz angesprochen werden, könnte es sich zu einem anderen Buch entwickeln. Ach, und ich habe "Fußball und Schiedsrichter" vergessen.
Wie auch immer. Das wird mehr, als ich erwartet habe und eindeutig besser, als ich erwartet habe.
 

Renie

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Auf Seite 101 gibt es einen Abschnitt, in dem das "Kreuz" im Fokus steht. Er ist sehr poetisch geschrieben. Und irgendwie verursacht er einen Bruch in der Handlung.
Was könnte es damit auf sich haben?
Uns begegnet zwar in dem Buch das Kreuz in unterschiedlichen Varianten, doch habe ich die Symbolik noch nicht verstanden. Kann mir jemand auf die Sprünge helfen?
 

Literaturhexle

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Auf Seite 101 gibt es einen Abschnitt, in dem das "Kreuz" im Fokus steht. Er ist sehr poetisch geschrieben. Und irgendwie verursacht er einen Bruch in der Handlung.
Was könnte es damit auf sich haben?
Uns begegnet zwar in dem Buch das Kreuz in unterschiedlichen Varianten, doch habe ich die Symbolik noch nicht verstanden. Kann mir jemand auf die Sprünge helfen?
Schön, dass die die Stelle aufgefallen ist! Sie ergibt gegen Ende einen Sinn;)
Ich hatte sie schon vergessen.
 
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Amena25

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Beim Lesen merke ich immer wieder, wie fremd Russland mir eigentlich ist. Vielleicht ist es tatsächlich ganz gut, dass ich mich nun durch den Roman mal intensiver mit dem Land und seiner Geschichte beschäftige.
Das geht mir auch so. Von der russischen Geschichte, vor allem auch von der Seite, die die Bevölkerung betrifft, weiß ich viel zu wenig.