1. Leseabschnitt: Beginn bis Seite 54

Literaturhexle

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2. April 2017
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Wie gefallen euch die ersten Kapitel? Was gibt es über die Figuren zu sagen? Ist der Start geglückt?

Kate Lancasters Plan
Das Brandon-Haus und der Leuchtturm
My Lady Brandon und die Witwe Jim
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe mir eine Passage angemerkt, die die Haltung der Erzählerin charakterisiert:

"Die Liebschaften, Tragödien und Abenteuer, von denen man in einer stillen altmodischen Provinzstadt hören kann, sind wundervoll, doch wenn man die Geschichten aus dem Leben von Herzen genießen möchte, muss man die Menschen, ihren Alltag und ihren Charakter studieren, muss nachdenken und am Beobchten einfacher Dinge Freude haben und eine angeborene feinsinnige Aufmerksamkeit für etwas mitbringen, das für andere Augen langweilig und reizlos sein mag."

Das könnte man als Gebrauchsanleitung für das ganze Buch ansehen. Es geschieht nicht viel; auch die Personen, die die Erzählerin und Kate kennen lernen, sind auf den ersten Blick nicht besonders interessant. In gleicher Weise wie das Haus, das nach und nach seine "Geheimfächer" preisgibt, entpuppt sich auch Mrs. Patton als Mensch mit Charakter und bewegter Lebensgeschichte. Von Mrs. Kew werden wir vielleicht auch noch einiges hören.
Ich hätte Kate und die Erzählerin Nelly übrigens für jünger gehalten. Im neunzehnten Jahrhundert sind sie wohl mit 24 schon mehr oder weniger alte Jungfern? Jedenfalls haben sie vielleicht die Hoffnung auf eine Ehe schon aufgegeben, was natürlich gewissen Freiheiten mit sich bringt, jedenfalls den Druck nimmt, schön und begehrenswert auftreten zu müssen. Sie kleiden sich in einfaches, praktisches Zeug, was sie bei ihren Ausflügen nicht behindert, und genießen das Leben. Mir gefällt die Schilderung des alten Hauses unglaublich gut.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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"Die Liebschaften, Tragödien und Abenteuer, von denen man in einer stillen altmodischen Provinzstadt hören kann, sind wundervoll, doch wenn man die Geschichten aus dem Leben von Herzen genießen möchte, muss man die Menschen, ihren Alltag und ihren Charakter studieren, muss nachdenken und am Beobchten einfacher Dinge Freude haben und eine angeborene feinsinnige Aufmerksamkeit für etwas mitbringen, das für andere Augen langweilig und reizlos sein mag."
Genau das habe ich mir auch angestrichen und dachte, das gilt für dieses Buch. Die Ich- Erzählerin schildert lauter kleine Episoden, Anekdoten, Begegnungen und lässt uns so teilhaben an einer längst vergangenen Zeit. Der Ort wirkt auch für damalige Verhältnisse aus der Zeit gefallen, seine besten Tage liegen hinter ihm. Es sind auch v.a. alte und ältere Menschen, die die beiden jungen Frauen hier antreffen. Bemerkenswert ist, mit welcher Offenheit und Liebenswürdigkeit die beiden den Menschen hier entgegentrete. Schließlich sind beide jung und kommen aus Boston, da würde man eher Dünkel und Herablassung erwarten.
Jedenfalls haben sie vielleicht die Hoffnung auf eine Ehe schon aufgegeben, was natürlich gewissen Freiheiten mit sich bringt
Ich glaube, die beiden haben kein Interesse an einer Ehe, wie die Autorin selbst.


Mir gefällt hier wieder die Sprache und die liebevolle Ironie bei der Beschreibung des Umfelds und der Figuren.
z.B. „ Das Haus hatte Potential; man hätte es mühelos bezaubernd herrichten können.“ Was für eine freundliche Umschreibung…
“ Sie hatte schöne Züge - bis auf ihre Nase, die aussieht, als ob man sie ihr ins Gesicht geworfen …“. - das ist schon weniger dezent.
Ich lese bisher den Roman mit sehr viel Vergnügen.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Bemerkenswert ist, mit welcher Offenheit und Liebenswürdigkeit die beiden den Menschen hier entgegentrete. Schließlich sind beide jung und kommen aus Boston, da würde man eher Dünkel und Herablassung erwarten.
Genau das habe ich mir auch gedacht bei der Szene beim Leuchtturm, wo eine Besucherin, offenbar eine Ladenangestellte, Kate wegen ihrer einfachen Kleidung völlig falsch einschätzt und in mitfühlender Haltung ihre Protektion anbietet.
Da hätte manche Frau anstelle von Kate patzig oder herablassend reagiert, aber Kate erkennt die gute Absicht und zeigt in ihrer feinfühligen Reaktion keinerlei Standesdünkel.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich hätte Kate und die Erzählerin Nelly übrigens für jünger gehalten.
Ich auch und wunderte mich gleichzeitig, dass die beiden allein ohne Aufpasser über den Sommer verreisen durften. Aber es wurde aufgeklärt. 24 Jahre - da sollte man auf sich selbst aufpassen können. Dass ein Mann keine Garantie für ein sorgenfreies Leben bedeutet, zeigt die Geschichte von Mrs Patton sehr eindrücklich.

Mir gefällt die Sprache, der dosierte Humor,die feinen Beschreibungen von Schauplatz, Hintergrund und Figuren. Bislang zeigen alle ein ausgesprochen feines Benehmen, die Bewohner gehen höchst respektvoll miteinander wie auch mit ihren Gästen um. Neid und Missgunst scheinen ausgestorben zu sein. Im Gegenteil: Man unterstützt einander, teilt und bietet Hilfe an. Wie oben schon gesagt: ein bisschen aus der Welt gefallen, dieses Städtchen. Ich lese durchaus interessiert weiter, hätte aber nichts dagegen, wenn die Handlung noch etwas mehr Schwung aufnehmen würde;)
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Mir gefällt der Roman bisher in den Beschreibungen am besten: der Leuchtturm, die Bootsfahrt, die Häuser, der Friedhof - das finde ich sehr gelungen und intensiv.

Genau wie ihr finde ich, dass sich Helen und Kate nicht wie 24 verhalten, sondern wie kaum Erwachsene. Zumindest in ihrer Naivität, nicht in ihren Umgangsformen.

Diese Naivität finde ich manchmal warmherzig und berührend, zum Beispiel gleich zu Beginn, als Nelly die Leserschaft direkt anspricht und sagt, sie hoffe, die Wendung zum Positiven würde auch bei den Leser:innen dazu beitragen, sich künftig weniger Sorgen zu machen. Insgesamt strahlt der Roman eine große Wärme aus - doch jetzt kommt das Aber:

Die Figuren finde ich so süß gezeichnet, dass ich fast ein wenig Zahnschmerzen davon bekomme. Alle sind zumindest auf den ersten Blick außerordentlich liebreizend und schmerzhaft höflich. Da gibt es bislang zu wenig Ecken und Kanten. Ich habe mich gefragt, ob Nelly ein bisschen verliebt in Kate ist. Vielleicht sind es aber auch für diesen Erzählton "normale" freundschaftliche Empfindungen.

Der leicht aufblitzende feine Humor hat mir wiederum ganz gut gefallen. Die Geschichte anhand der Begegnungen mit den Bewohner:innen zu erzählen, finde ich grundsätzlich auch gelungen. Allerdings empfinde ich sie inhaltlich als arg langweilig, da erhoffe ich mir auch noch etwas mehr.

Die direkte Anrede an die Leser:innen kommt immer etwas unvermittelt, weil sie nicht so häufig auftaucht. Das finde ich ganz überraschend und ist immer ein kleiner Wachmacher.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Ich habe mich gefragt, ob Nelly ein bisschen verliebt in Kate ist.
Genau das habe ich mich auch gefragt, zumal bisher an keiner Stelle irgendwelches Interesse an jungen Männern aufscheint, was ich eigentlich zumindest andeutungsweise erwartet hätte. Einmal natürlich aus (zeitbedingten) Versorgungsgründen, aber auch allgemein, weil es nun mal so ist in diesem Alter. (Man denke nur mal dran, wie Jane Austen dieses Thema verarbeitet!)

Auf Dauer würden wohl junge Damen in dieser Umgebung die Gesellschaft jüngerer Leute vermissen. Im zweiten LA erwähnt die Erzählerin, dass ihre Freundin und sie sich "jung und weltgewandt" fühlten unter all diesen alten und altmodischen Leutchen (S. 67). Fraglich ist, ob sie Lust hätten, dort den Rest ihres Lebens hinzubringen, so toll es auch ist.
 

Literaturhexle

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Allerdings empfinde ich sie inhaltlich als arg langweilig, da erhoffe ich mir auch noch etwas mehr.
Deiner sachkundigen Einschätzung habe ich nichts hinzuzufügen. Genau in diesen Worten hätte auch es sagen mögen;).
Wie immer beurteilst du sehr ausgewogen. Mir geht es sehr ähnlich. Ich habe jetzt zum Zweitbuch gegriffen, weil ich dieses nur hellwach lesen kann, sonst plätschert der Inhalt an mir vorbei. Jewett schreibt hübsch, keine Frage. Aber ich lobe mir Jane Austen, die in ihr Zeitkolorit auch noch eine Liebesgeschichte einzuflechten weiß, die den Leser fesselt und bei der Stange hält.
 

RuLeka

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Die Figuren finde ich so süß gezeichnet, dass ich fast ein wenig Zahnschmerzen davon bekomme.
Ich verstehe, was Du meinst. Aber dass ich nicht alles eitel Sonnenschein ist, bekommt man immer so nebenbei serviert. Z.B. war der Ehemann der Witwe Jim ein brutaler Säufer , der alles versoffen hat. Aber anscheinend gingen die Menschen früher nicht mit ihrem Leid hausieren.
 

Barbara62

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Neid und Missgunst scheinen ausgestorben zu sein. Im Gegenteil: Man unterstützt einander, teilt und bietet Hilfe an. Wie oben schon gesagt: ein bisschen aus der Welt gefallen, dieses Städtchen. Ich lese durchaus interessiert weiter, hätte aber nichts dagegen, wenn die Handlung noch etwas mehr Schwung aufnehmen würde;)
Wobei schon auch geklatscht und getrascht wird, z. B. als Helen und Kate erfahren, dass der Mann von Mrs. Patton ein gewalttätiger und fauler Säufer war.

Die Stelle, die ich mir angestrichen hatte - schon im Hinblick auf meine Rezension - habt ihr schon genannt.

Ich war wie ihr erstaunt, dass die beiden jungen Frauen so gar nicht dem Heiratsmarkt ausgesetzt sind. Keine Mütter, die sie verkuppeln wollen? Sie selbst scheinen sich auch nicht darum zu scheren, Männer kommen in ihren Gesprächen anscheinend nicht vor. Arbeiten scheinen sie auch nicht zu müssen (oder zu dürfen, wer weiß), ein Leben im Müßiggang, mit dem sie zufrieden sind. Was für eine fremde Welt!

Was denkt ihr eigentlich über das Lesen von Briefen aus Nachlässen? Viele meiner Bekannten, die im Moment die Nachlässe ihrer Eltern ordnen, lesen ganz selbstverständlich deren Korrespondenz. Ich finde das immer sehr indiskret, wobei man mir sagt, dass die Verstorbenen sie nicht hätten aufbewahren müssen. Trotzdem, ich würde es nicht tun.

Das Buch ist die vollkommene Entschleunigung. Keine Probleme weit und breit, zwei durch und durch glückliche und zufriedene Protagonistinnen und wunderschöne Beschreibungen. Eine Lektüre zum Abschalten. Allerdings hätte ich, wie @Literaturhexle und @Christian1977, nichts gegen ein bisschen "Fahrt".

Wüsste ich nicht, dass das Buch in den Neuenglandstaaten spielt, ich hätte es glatt nach England verortet. Es erinnert mich unglaublich an "Cranford" von Elisabeth Gaskell. Kennt jemand den Film? Er ist herrlich. Ein antiquiertes Dorf, in dem absolut nichts passiert, einige ältere Damen den Ton angeben und ständig in Aufruhr sind - über eigentlich nichts. Es sind wunderbare Charaktere und fantastische Schauspielerinnen, unter anderem Judi Dench. Das Buch ist kein Roman, sondern eine Sammlung von Einzelepisoden. Die deutsche Übersetzung, die ich irgendwann mal angelesen habe, war aber grauenvoll, man müsste es im Original lesen. Ich liebe übrigens auch die anderen Romane und Filme von Elisabeth Gaskell, "Norden und Süden" oder "Frauen und Töchter". Vielleicht wäre das auch mal ein Tipp für unsere Klassikerrunde. 100 Jahre nach Jane Austen und teilweise politischer.
 
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Barbara62

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Ich stolpere immer wieder über Sätze, deren Logik sich mir nicht erschließt:

Du weißt, dass mein Vater im Herbst nach England reisen will? Gestern sagte er uns, er fahre in einem Monat und werde den ganzen Sommer fortbleiben..." (S. 12)

Die Bank ist früher auch schon öfter leer geblieben, seit sie selber Sonntag für Sonntag dort gesessen hat. (S. 42)
 
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Literaturhexle

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Das Buch ist kein Roman, sondern eine Sammlung von Einzelepisoden.
Genau das scheint Deephaven auch zu sein. Die einzelnen Kapitel wurden ja offenbar in einer Zeitschrift veröffentlicht, bevor die Autorin sie als Roman verarbeitete. Bislang lese ich es als Episodenroman und versuche ohne Figurenliste auszukommen.
 

Barbara62

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Nenn mal eines konkret. Wir treten gerade ein bisschen auf der Stelle, vielleicht bekommen wir einen Durchbruch hin;)
"Norden und Süden" oder "Frauen und Töchter", wobei letzteres einen etwas unfertigen Schluss hat, weil sie darüber gestorben ist. Ich habe es aber sehr gern gelesen. Von "Norden und Süden" kenne ich nur die BBC-Verfilmung und die ist genial, zur Übersetzung des Romans kann ich nichts sagen. Überhaupt: Schaut euch die Filme an! Cranford!
 
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Barbara62

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Cranford habe ich unlängst geschenkt bekommen und auf den Tsunni gelegt. Falls jemand darauf Lust hat, ich wäre dabei!
Ich hoffe, es ist nicht die Katastrophen-Übersetzung, die ich damals hatte. Ich bin bei weitem nicht so heikel wie andere hier, aber das war unlesbar. In meiner Erinnerung war die Schrift auf dem Cover lila und Nikol der Verlag, aber ich kann mich auch irren. Ich könnte mir übrigens vorstellen, dass hier ausnahmsweise die Verfilmung sogar noch besser ist.
 
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