Rezension Rezension (4/5*) zu Der unschuldige Mörder von Mattias Edvardsson.

Renie

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19. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der unschuldige Mörder von Mattias Edvardsson
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Die Länge ist nicht entscheidend

"'Dreihundertdreiundsiebzig Seiten. Die perfekte Länge für ein Buch.'"
Diese und andere Weisheiten des Literaturbetriebs finden sich in Mattias Edvardsson Roman "Der unschuldige Mörder“.
Mit 459 Seiten ist dieser Roman knapp an der Perfektion vorbei geschrappt. Aber da die Länge nicht immer entscheidend ist - wie unterschiedliche Lebenslagen beweisen - , bin ich mit diesem Roman dennoch in den Genuss einer richtig guten Lektüre gekommen.
Der Titel dieses Romans lässt einen Kriminalroman vermuten, was jedoch nicht der Fall ist. Dieses Buch lässt sich der Belletristik zuordnen. Die Geschichte ist ein Roman über einen Roman. Eine Leiche gibt es schon. Nur, ob der Mörder zu Unrecht zur Rechenschaft gezogen wurde, wird sich noch herausstellen.

Darum geht's:
Protagonist Zack hat seinen Job als Journalist bei einer Stockholmer Boulevardzeitung verloren. Momentan weiß er nicht so recht, wie er zukünftig seine Brötchen verdienen soll. Auf jeden Fall hat er jetzt viel Zeit und entschließt sich, ein Buch zu schreiben. Da er in jungen Jahren einen Kurs an der Universität in Lund in Literarischem Schreiben belegt hat, hat er das Handwerkszeug, einen Bestseller zu produzieren. Ob er auch das Talent hat, sei dahingestellt. Zumindest hat er eine Geschichte, die es wert ist, ein Bestseller zu werden. Es ist eine Geschichte, die das Leben geschrieben hat. Die Vorlage liefern Ereignisse aus Zacks Studienzeit.
In seinem Kurs an der Uni begegnete er Adrian, Fredrik und Betty. Die Vier verbrachten viel Zeit miteinander. Zu diesem Kleeblatt gesellte sich kurz darauf noch Li Karpe, die Dozentin des Kurses. Li war zu dieser Zeit in Schweden als Lyrikschriftstellerin erfolgreich. Der charismatischen und schönen Frau lag der schwedische Literaturbetrieb zu Füßen. Zu den Bewunderern gehörte auch Adrian, der sich fürchterlich in Li verguckt hat und seinem Objekt der Begierde in dem Uni-Kurs nah sein wollte.
Li machte die vier Studenten mit dem Schriftsteller Leo Stark bekannt, für den sie Muse, Kindermädchen und Sexobjekt war. Keine Ahnung, warum eine Frau wie Li es mit diesem Menschen aushält. Leo Stark war menschlich gesehen ein Kotzbrocken, der sich und seine schriftstellerischen Fähigkeiten als Mittelpunkt des Universums ansah. Seine Skrupellosigkeit, Hang zur Gewalt sowie seine Unberechenbarkeit machten das Zusammensein mit ihm zu einem Ritt auf einem Pulverfass. Nicht nur für Li, sondern auch für alle anderen, die mit Stark zu tun hatten. Eines Tages verschwindet der Schriftsteller spurlos. Alles deutet darauf hin, dass Stark ermordet wurde. In einem Indizienprozess wird Lis Verehrer Adrian für schuldig befunden, für Leo Starks Verschwinden verantwortlich zu sein. Adrian wird zu 8 Jahren Haft verurteilt.
Dies bildet also die Vorlage zu dem Roman, den Zack jetzt schreiben will. Denn er ist davon überzeugt, dass Adrian seinerzeit unschuldig verurteilt wurde. Damit er diesen Roman schreiben kann, benötigt er die Unterstützung von seinen drei Freunden aus der Studentenzeit: Adrian, der mittlerweile aus der Haft entlassen ist und zurückgezogen in der Abgeschiedenheit wohnt, um seine Wunden zu lecken und zu vergessen. Fredrik, der mittlerweile Verleger eines unabhängigen Verlages ist. Und Betty, die schwer depressiv und soziophob ist, so dass sie nur noch sehr wenige Menschen in ihr Leben lässt.
Die Handlung zu „Der unschuldige Mörder“ von Mattias Edvardsson findet auf zwei Ebenen statt: Zum Einen wird der Schaffensprozess um Zacks Roman beschrieben. Zack zieht zu seiner Mutter nach Lund, sucht seine alten Studienkollegen auf und befragt diese zu den damaligen Geschehnissen. Sie sind mehr oder weniger von seiner Idee angetan, den Fall um das Verschwinden von Leo Stark nochmal aufzuarbeiten.
Die zweite Handlungsebene bilden die Kapitel von Zacks Roman, ebenfalls mit dem Titel „Der unschuldige Mörder“. Die Handlung wechselt zwischen den beiden Ebenen hin und her. Da Zacks Roman auf den eigenen Erinnerungen bzw. denen seiner Studienkollegen basieren, ist es sehr schwierig, Fiktion und Realität auseinanderzuhalten. Zumal man häufig den Eindruck hat, dass sich die Protagonisten bei dem Wahrheitsgehalt ihrer Erinnerungen sehr viel Interpretationsspielraum lassen.
Die Frage nach der Unschuld von Adrian bzw. nach dem möglichen Mörder von Leo Stark bleibt bis zum Ende offen. Zuviele falsche Spuren, die der Autor ausgelegt hat und den Leser somit auf falsche Fährten führt. Erst mit den letzten Seiten erfährt man, wer Leo Stark um die Ecke gebracht hat.
Sprachlich ist dieser Roman unspektakulär und liest sich sehr geschmeidig. Hier liegt der Fokus eindeutig auf der Handlung.
Da Mattias Edvardsson seine Geschichte im Schriftstellertum und schwedischem Literaturbetrieb ansiedelt, kommen gerade Leser, die ein Faible für diese bibliophile Welt haben, voll auf ihre Kosten. Kaum ein Thema aus diesem Bereich, das nicht angesprochen wird. Hier sind ein paar Beispiele:
Literatur als Handwerk: Kann man Schreiben lernen?
Kann heutzutage jeder einen Bestseller schreiben, wenn nur das Thema stimmt?
Wieviel Biografie eines Autors steckt in seinem Roman?
Muss man den Autor als Mensch mögen, um seine Bücher lesen zu können?
Und natürlich die Frage nach der perfekten Seitenanzahl eines Buchs.

Der Plot, einen Roman über einen Roman zu schreiben, hat für mich den großen Reiz an diesem Buch ausgemacht. Die Umsetzung dieses Plots hat Edvardsson hervorragend gemeistert. Allerdings gab es in diesem Roman nur einen sehr geringen Spannungsbogen, der auch durch kleine Andeutungen, die man großzügig als Cliffhanger bezeichnen könnte, nicht angehoben wurde. Dennoch habe ich dieses Buch sehr gern gelesen, was vermutlich an meiner Affinität zum Literaturbetrieb liegt.

© Renie




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