Vor Rehen wird gewarnt

Rezensionen zu "Vor Rehen wird gewarnt"

  1. fulminanter Roman mit einer intriganten Portagonistin

    Der Roman erzählt die Lebensgeschichte von Ann/Angelina Ambros die es meisterhaft versteht mit ihrem unschuldigen, zarten Äußeren ihre Umwelt und ihre Mitmenschen geschickt zu manipulieren und für ihre Zwecke zu missbrauchen.

    Beim Lesen fühlte ich mich des öfteren in einen alten Hollywoodstreifen versetzt, voller Glamour, Dramatik, Liebe, Leidenschaft, Intrigen und Leid, die Figuren sehr überzeichnet aber das ergab für mich erst den rechten Genuss.
    Vicki Baum erschuf mit Angelina den Charakter eines berechnenden Miststücks, egozentrisch und selbstsüchtig.
    Ihr zartes und schwaches Äußeres setzt sie gezielt ein um ihre Mitmenschen zu täuschen, sich gefügig zu machen und für Ihre Zwecke zu mißbrauchen.
    Diese Darstellung ist der Autorin absolut gelungen und trotz der übertriebenen und manchmal unrealistisch anmutenden Szenen blieb die Lesefreude durchgängig erhalten. Ja ich würde sogar sagen, dass die Überzeichnung den besonderen Reiz der Geschichte ausmacht.

    Für mich ein wunderbares kurzweiliges Lesevergnügen, das Lust auf mehr von Vicki Baum macht.

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  1. 4
    01. Feb 2021 

    Was für ein Miststück!

    “Vor Rehen wird gewarnt“ ist ein lange Zeit vergessener Roman der etwas vergessenen Autorin Vicky Baum, den der Arche-Verlag 2020 neu aufgelegt hat.
    Wir begegnen darin im ersten Teil zwei Damen aus guter Gesellschaftsschicht bei ihrer Zugfahrt von San Francisco an die Ostküste. Stiefmutter und Stieftochter sind zusammen auf Reisen und noch ist nicht zu erahnen, welch belastetes Verhältnis die beiden zueinander haben. Doch bald schon landet die Stiefmutter Ann oder auch Angelina genannt im Graben, gestürzt aus dem fahrenden Zug aber doch relativ unversehrt und munter. Triefend nass und verletzt ist es für sie und uns als Leser Zeit für einen Rückblick auf ihr Leben und so erfährt der Leser immer mehr über diese Angelina und schon bald ist klar: Hier verbirgt sich hinter gesellschaftlicher Stellung und Ehrbarkeit ein Charakter, der über Leichen geht und in allen Situationen des Lebens immer nur eines im Sinn hatte: sich selbst und das eigene Glück. Diesem Sinn ordnet Angelina alles unter, erwartet auch von anderen, dass sie genau diesem Lebenszweck - Angelinas Glück – huldigen und kennt keine Gnade, sollte jemand einmal nicht ganz in ihrem Sinne „ticken“. Die Opfer dieser Haltung sind vielfältig, Opfer pflastern sozusagen ihren Weg und doch behält Angelina immer und überall ein Gefühl bei, ganz im Sinne aller unterwegs zu sein.
    Der zweite Teil der Geschichte wird dann aus der Sicht eines ihrer Opfer geschildert, ihrer Stieftochter Joy, die ganz am Anfang des Romans zunächst als Täterin daherkommt, stößt sie Angelina doch aus dem Zug. Doch nicht erst in diesem zweiten Teil des Buches erhält der Leser den Eindruck, dass diese Tat notwendig und unausweichlich, quasi zwangsläufig geschah, als einzige Möglichkeit, weiteres durch Angelinas Handeln verursachtes Unglück zu verhindern.
    Dabei sind die Taten Angelinas meist unterschwellig und fein verpackt in ein üppiges gutbürgerliches Drumherum. Kleine Nadelstiche des Tratsches und des Ausplauderns von Geheimnissen an genau die falsche/richtige (?) Person zu genau dem falschen/richtigen (?) Zeitpunkt werden im Waffenarsenal Angelinas zu wirkungsvollen Werkzeugen der Zerstörung. So werden die Leben ihrer Schwester Maud, ihres Ehemannes Steven, ihrer Stieftochter Joy allein durch die Verbindung ihres Lebens mit dem von Angelina in Richtungen gelenkt, die für sie nur Unglück und Frustration bedeuten, während von außen und oberflächlich gesehen alles wunderbar funktioniert.
    Im dritten Teil des Buches kehrt der Leser dann wieder zurück zu Angelina und mit ihr zu einem Einblick in spätere Abschnitte ihres Lebens. Sie schleppt sich weg von der Unfallstelle; während sie von Joy und einem Tross von Polizei und Rettungswagen gesucht wird. Sie kann überleben und wird wohl auch diese Erfahrung ihres Lebens nicht dazu genutzt haben können, eine neue Einsicht und einen neuen Zugang zum Umgang mit ihren Mitmenschen gewonnen zu haben.
    Mein Fazit:
    Der Roman schafft es, den Charakter eines abgrundtiefen Miststücks zu entwerfen. Zwischendurch war ich als Leserin schon teilweise etwas gefrustet von diesem manchmal Zu-Viel an Bösartigkeit, aber es ist absolut überzeugend von der Autorin gestaltet und mit vielen interessanten Wendungen ausgestattet, so dass die Lesefreude bei mir bis zum Ende blieb und ich mit offenem Mund und immer wieder der Frage. Wie kann sie nur??? Bis zur letzten Seite mit dem Geschehen mitgefiebert habe. Gerne gebe ich 4 Sterne

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  1. Toll erzählte Seifenoper

    Bei diesem Buch besteht eine arge Diskrepanz zwischen Erzählweise und Erzähltem. Der Stil von Vicky Baum ist zum Niederknien, die Protagonistin dieses Dramas dagegen ist ein wandelndes Klischee, das personifizierte Böse, eine Femme fatale, deren Lebensgeschichte hier ausgerollt wird.

    Ann Ambrose war schon immer zart wie ein Reh, elfengleich schön und höchst sensibel und hat schon als Kind diese Eigenschaften als Waffen eingesetzt, um zu erreichen was sie wollte. Im hohen Alter ist sie eine Grande Dame und Meisterin der Manipulation, die ihre Tochter schikaniert, die eigentlich ihre Nichte ist. Nach und nach erfährt man, wie es dazu kam und landet mitten in der schönsten Seifenoper.

    Anfangs war ich sehr beeindruckt von diesem wunderbaren Text, den maliziösen Seitenhieben und der feinen Ironie, mit der er geschrieben ist. Das ist großes Kino.
    Und anfangs ist auch das Rätsel um diese beiden Frauen sehr spannend, bis man dann merkt, es ist eigentlich gar kein Rätsel. Diese Frau ist einfach böse, schlimm für ihre Tochter und jeden, der mit ihr zu tun hatte, aber durchsichtig wie jede egozentrische Diva und genau so uninteressant.

    Es bietet einen leicht gruseligen Thrill zu erfahren, was sie alles getan hat, aber irgendwann wird es einfach zu viel. Da geht jemand über Leichen, bekommt was er will und lernt nichts dazu, das ist vielleicht ungewöhnlich, aber nicht besonders interessant. Nach etwa der Hälfte des Buches hat mich nur noch der tolle Stil bei der Stange gehalten, aber immerhin tut er das. Das schön gelesene Hörbuch ist auch durchaus hörenswert, ändert aber nichts an der Geschichte.

    „Vor Rehen wird gewarnt“ ist vermutlich zu Recht ein eher unbekanntes Werk einer genialen Autorin und sollte das wohl auch bleiben. Lest was anderes, sie hat genug geschrieben.

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