Der Thronfolger: Ein Franz-Ferdinand-Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Thronfolger: Ein Franz-Ferdinand-Roman' von Ludwig Winder
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Inhaltsangabe zu "Der Thronfolger: Ein Franz-Ferdinand-Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:576
EAN:9783552056732

Rezensionen zu "Der Thronfolger: Ein Franz-Ferdinand-Roman"

  1. Zwischen Mitleid, Respekt und Abscheu – Ludwig Winder: Der Thron

    Franz Ferdinand von Österreich, Thronfolger von Kaiser Franz Joseph und schon deshalb jedem ein Begriff, weil seine Erschießung am 28.06.1914 Auslöser für den ersten Weltkrieg war – wer war dieser Mann, den wir alle nur von seinem Ende her kennen und von dem meist nur wegen der Bedeutung seines Todes gesprochen wird?
    1937 erschien ein Roman, welcher dieser Frage auf brillante Weise nachgeht: "Der Thronfolger". Sofort nach dem Erscheinen wurde der Roman verboten, der Autor konnte über Polen nach Großbritannien fliehen. 2014 nun wurde der Roman endlich neu aufgelegt.
    Chronologisch (beginnend mit dem 12. Geburtstag der Mutter von Franz Ferdinand 1855 bis zum Begräbnis im Juli 1914) und aus Sicht verschiedener Personen erzählt der Autor vom Leben des Thronfolgers und entwickelt dabei aber auch ein tiefgehendes Panorama des verstaubten, im Untergang begriffenen österreichischen Kaiserreichs. Historisch außerordentlich gut recherchiert, steht der Roman heute teilweise auf gleicher Stufe zu den tatsächlichen Biografien. Und wir finden nichts von der Sissi-Romantik mit dem "Franzerl", aber auch keine Schwarz-Weiß-Malerei. Auch die Attentäter, deren Motive und Vorgehensweise in den letzten Kapiteln erzählt wird, sind weder antimonarchistische Helden noch gefühllose Verbrecher. Vielmehr erreicht das Buch unterschiedliche Gefühlsebenen beim Leser.
    So empfindet man oft tatsächlich Mitleid mit diesem Mann. Eine schwere Jugend ("Die Jahre der Jugend sind vorbei. Sie sind nicht schön gewesen. Es ist nicht schad um sie.", überschattet vom Tuberkulosetod der Mutter, die jahrzehntelange Angst, ebenfalls an dieser Krankheit zu sterben, das Warten auf den Moment der Thronfolge (aber für den Leser alles im Wissen, dass er diese nicht erleben wird).
    In diesem Bereich steht auch die stärkste Szene des Romans. Da Franz Ferdinand den Kaiser zwingt, dass ihm eine unstandesgemäße Hochzeit gestattet wird, erlebt er Demütigungen und Zurücksetzungen. Am 28.06.1900 muss er vor versammeltem Hof eine Verzichterklärung abgeben, dass seine Kinder aus der Thronfolge der Habsburger herausgenommen werden und seine Frau niemals den Status einer Kaiserin erhalten wird. Selbst die Hochzeit wird zur Demütigung: Um zu verhindern, dass die Mitglieder des Hofes daran teilnehmen, wird wegen des Todes einer unbedeutenden Fürstin eine 12tägige Staatstrauer verhängt. Das geht auch heute noch unter die Haut.
    Und dafür empfindet man Respekt, für den Kampf um eine geliebte Frau, gegen alle Widerstände und trotz aller Konsequenzen. "Er betrachtete die unsichtbare Waage der Vorsehung, die ungleichen Schalen: In der einen war der Hass der ganzen Welt erschreckend gehäuft, in der anderen ruhte die Liebe der Frau. Die Liebe der Frau wog schwerer." Auch seinen Kindern gegenüber war Franz Ferdinand ein liebender Vater – nicht unbedingt gewöhnlich für die Zeit und den Hochadel. Auch seine Versuche, die verstaubten österreichischen K. u. k.-Strukturen aufzubrechen (nicht als Revolutionär oder gar Demokrat, das monastische Prinzip zweifelt er nie an), zeigen ein anderes Bild des Thronfolgers. Aber alle Versuche scheitern am Kaiser und seinem Hof. So ist das ganze Leben mit Ausnahme der Familie von tiefer Verzweiflung und fast schon depressiven Stimmungen geprägt:
    "Mit jedem Ungemach und Unglück hatte der Himmel ihn immer freigiebig und schrankenlos beschenkt. Begehrte er aber nach einem Glück, so wurde es ihm sehr zögerlich und nie voll gewährt, immer nur halb. Durfte man ein halbes Glück überhaupt Glück nennen? War ein halbes Glück nicht vielmehr ein halbes Unglück – und war ein halbes Unglück nicht im Grunde schwerer zu ertragen als ein ganzes?"

    Doch neben all diesem entsteht beim Lesen auch eine tiefe Abneigung, ja Abscheu gegenüber Franz Ferdinand:
    Er empfand einen abgrundtiefen Hass auf die Ungarn, der stellenweise sein Urteilsvermögen trübte, außerdem war er von einer weiterreichenden sozialen Inkompetenz geprägt. Der ausgeprägte Antisemitismus des Thronfolgers wird aber im Roman nur angedeutet, diese Komponente hat Winder nicht tiefer thematisiert. Er hatte keine Freunde, sein Umgang mit Mitmenschen aller Art war desaströs.
    Und der Habsburger gilt bis heute als einer der größten Schlächter im Tierreich, seiner grenzenlosen Jagdleidenschaft sind allein nach den offiziellen Listen über 270.000 Tiere zum Opfer gefallen.

    Trotz der historischen Genauigkeit gelingt es Ludwig Winder, einen keineswegs trockenen, dafür aber umso spannenderen Roman zu schreiben. Ja, ihm gelingt das Kunststück, dass der Leser zeitweise vergisst, wie der Roman enden wird. Man ertappt sich immer wieder dabei, dass man sogar hofft, Franz Ferdinand könnte das Attentat entgegen aller historischer Fakten überleben. Da kann man den sonst so inflationär gebrauchten Begriff Meisterwerk getrost verwenden, denn dies gelingt nur wenigen Autoren eines historischen Romans.

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