Im Frühling sterben: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Im Frühling sterben: Roman' von Ralf Rothmann
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Im Frühling sterben: Roman"

»Sprach ich meinen Vater in der Kindheit auf sein starkes Haar an, sagte er, das komme vom Krieg; man habe sich täglich frischen Birkensaft in die Kopfhaut gerieben. Ich fragte nicht weiter nach, hätte wohl auch, wie so oft, wenn es um die Zeit ging, keine genauere Antwort bekommen. Die stellte sich erst ein, als ich Jahrzehnte später Fotos von Soldatengräbern in der Hand hielt und sah, dass viele Kreuze hinter der Front aus jungen Birkenstämmen gemacht waren.«

Im Frühling sterben ist die Geschichte von Walter Urban und Friedrich – »Fiete« – Caroli, zwei siebzehnjährigen Melkern aus Norddeutschland, die im Februar 1945 zwangsrekrutiert werden. Während man den einen als Fahrer in der Versorgungseinheit der Waffen-SS einsetzt, muss der andere,Fiete, an die Front. Er desertiert, wird gefasst und zum Tod verurteilt, und Walter, dessen zynischer Vorgesetzter nicht mit sich redenlässt steht plötzlich mit dem Karabiner im Anschlag vor seinem besten Freund ...

In eindringlichen Bildern erzählt Ralf Rothmann vom letzten Kriegsfrühjahr in Ungarn, in dem die deutschen Offiziere ihren Männern Handgranaten in die Hacken werfen, damit sie noch angreifen, und die Soldaten in der Etappe verzweifelte Orgien im Angesicht des Todes feiern. Und wir erleben die ersten Wochen eines Friedens, in dem einer wie Walter nie mehr heimisch wird und noch auf dem Sterbebett stöhnt: »Die kommen doch immer näher, Mensch! Wenn ich bloß einen Ort für uns wüsste ...«

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:234
EAN:9783518424759

Rezensionen zu "Im Frühling sterben: Roman"

  1. 5
    05. Jun 2017 

    Ein wunderbares Buch mit schrecklichem Inhalt

    Deutschland, Frühling 1945, das Ende des Krieges ist bereits zu ahnen. Doch die Waffen-SS rekrutiert gnadenlos jeden, dessen sie habhaft werden kann. So müssen die beiden 17jährigen Melker Walter und Fiete, beste Freunde, in die Kommandantur in Hamburg-Langenhorn einrücken, von wo aus sie nach drei Wochen Ausbildung nach Ungarn abkommandiert werden. Walter, der einer der Wenigen mit Führerschein ist, landet als Fahrer bei einer Versorgungseinheit der Waffen-SS, während es Fiete an die Front verschlägt.
    Der Inhalt dieses Buches ist so grauenvoll, dass es mir nicht möglich war, mehr als 40 bis 50 Seiten am Stück zu lesen; danach musste das Gelesene erst mal verdaut werden. Das bedeutet nicht, dass hier die Grausamkeiten des Krieges bis ins kleinste Detail beschrieben werden - es existieren Krimis, die wesentlich blutrünstiger und brutaler sind. Es ist eher das Gegenteil: Fast schon poetisch (Ist das nicht ein Widerspruch? Kann man Entsetzliches poetisch erzählen?) wird Walters Leben in dieser Kriegszeit geschildert, so präzise und sorgfältig, als würde man neben ihm stehen. Gefühle oder Stimmungen werden ausgespart, was keinen Mangel darstellt, denn der Autor verfügt über eine derart ausdrucksstarke Sprache, dass es keine zusätzlichen Beschreibungen braucht, um zu wissen, wie es in Walter aussieht. Rothmann nutzt eigene Wortkreationen (‚Überdunkelt von seiner Vergangenheit, …‘) und Begriffe, die so selten genutzt werden, dass sie wohl nur den Wenigsten geläufig sein dürften, dafür aber umso präziser sind (beispielsweise Vulkanfiber = Werkstoff, der auch beim Schild der Mützen der Waffen-SS zum Einsatz kam; oder Kalvarienhügel = religiöse Andachtsstätten der Katholiken, die umfangreiche Nachbildungen der Kreuzigung Christi und seines Leidensweges darstellen.).
    Ein wirklich grandioses Buch, das den Krieg in all seiner Schrecklichkeit zeigt, ohne dass dazu in irgendeiner Form irgendwelche Extreme genutzt werden mussten.

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  1. Mit zwiespältigen Gefühlen gelesen ...

    Die Sprache Rothmanns und sein Stil haben mir sehr gut gefallen. Er gräbt längst vergessenes oder nur einem kleinen Teil der Leserschaft bekanntes Vokabular aus dem Norddeutschen hervor und sein Stil wirkt auch durch seine Sprachwahl auf mich authentisch.
    Was mich kolossal stört, ist, dass es wieder ein Roman ist, bei dem die Protagonisten nur die Opfer des Regimes im sog. 3. Reich sind. Die Hauptfiguren werden in die Waffen-SS gezwungen und erleben dort Willkür und Brutalität. Was wir nicht erfahren aus dem Roman, ist die Faszination und die Verstrickungen, die diese schreckliche Zeit mit sich gebracht haben. Die meisten unserer Väter und Großväter waren eben keine Opfer dieser Zeit, sondern bestenfalls Mitläufer.
    Wir verstehen auch nicht, wie es sein kann, dass die Soldaten der Waffen-SS bis zur Selbstaufgabe gekämpft haben. Unsere Aufgabe - und Rothmann gehört wie ich der Nachkriegsgeneration an - ist es, das Tun und das Scheitern unserer Soldaten-Väter oder Onkel zu erklären, denn wir haben sie noch gekannt und geliebt.
    Es ist ebenso verständlich wie schade, dass er sich an dieses heiße Eisen nicht heranwagt. Verstehen ist nahe bei Verständnis und von da ist es nicht mehr weit bis zum Ent-Schuldigen und Rechtfertigen.
    In Bereichen scheint mir der Roman sogar die Sicht auf die historische Wirklichkeit zu verstellen. Die dramatischste Szene ist für mich in hohem Maße unglaubwürdig. So brutal die SS nach außen war, so sehr wurde Kameradschaft und Zusammenhalt nach innen gepflegt. Selbst bei der Wehrmacht wäre kein Erschießungskommando mit den Kameraden des Verurteilten zusammengestellt worden.
    Wenn wir die Zeit verstehen wollen, in denen so Schreckliches wie z. B. das Massaker von Oradour-Sur-Glane, der Holocaust, die massenhafte Tötung sowjetischer Kriegsgefangener möglich war, dann müssen wir uns den Tätern zuwenden, nicht den Opfern. Unsere Aufgabe dabei ist nicht das Rechtfertigen oder Aufrechnen mit den Kriegsverbrechen der Alliierten. Unsere Aufgabe ist es, hinzusehen

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