Rezension Rezension (5/5*) zu Kostbare Tage von Kent Haruf.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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7.759
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Buchinformationen und Rezensionen zu Kostbare Tage von Kent Haruf
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Leben und Tod...

Es ist der letzte Sommer für Dad Lewis am Rand der Kleinstadt Holt – die er nie verließ, im Gegensatz zu seinem Sohn Frank, zu dem es keinerlei Kontakt mehr gibt, oder Tochter Lorraine, die nun zur Unterstützung zurückkehrt. Aber es kommen auch neue Gesichter und mit ihnen Geschichten: Die kleine Alice zieht im Nachbarhaus bei ihrer Großmutter ein, und der neue Reverend Lyle hat nicht nur mit den eigenwilligen Anwohnern, sondern auch mit der eigenen Familie zu kämpfen.

Das Leben ist rau in Holt, Colorado. Das durften wir ja bereits in den ersten beiden Bänden der 'Plainsong-Trilogie' erfahren. Ländlich die Umgebung, karg die Landschaft, spielt die Erzählung diesmal nicht wie zuvor in den 60er oder 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, sondern zu Beginn des neuen Jahrtausends. Erneut agieren hier nur ein paar wenige Figuren, wobei man diesmal nur noch auf Spuren 'alter Bekannter' aus den vorherigen Romanen trifft.

Im Zentrum der Erzählung steht Dad Lewis, der von seinem Arzt mit einer tödlichen Diagnose entlassen wurde und sich nun auf seine letzten Lebenswochen einzurichten hat. Seine Frau Mary versucht es ihm so bequem wie möglich einzurichten und ist froh, als Lorraine, ihrer beider Tochter, beschließt, für die letzten Wochen ihres Vaters nach Hause zu kommen. Dad Lewis nimmt langsam Abschied vom Leben, von seinen Lieben, von Liebgewonnenem - und versucht mit sich ins Reine zu kommen. Denn nicht alles in seinem Leben war so, dass er es im Nachhinein nicht hätte anders machen wollen.

Neben Dad Lewis und seiner Familie widmet sich Kent Haruf aber auch einigen anderen Figuren, deren Perspektive immer wieder eingestreut wird. Eine alte Nachbarin der Familie Lewis beispielsweise und ihre Enkelin Alice, deren Mutter vor kurzem verstorben ist und die nun bei ihrer Großmutter lebt. Oder auch die beiden Johnson-Frauen - Willa, seit 30 Jahren Witwe, und ihre ungebundene Tochter Alene, die nach ihrer Pensionierung als Lehrerin wieder in ihr Elternhaus zurückgekehrt ist. Eine weitere wichtige Figur ist der Prediger Rob Lyle , der von Denver nach Holt strafversetzt wurde und mit seiner Familie seither versucht, Teil der Gemeinde zu werden.

In dem heißen Sommer in Holt plätschert das Leben vor sich hin, fließt langsam und träge vorbei, und aus alldem ragen einzelne Inseln an Einsamkeit hervor. Das Leben mit einem absehbaren Ende gehört dazu, das wird hier sehr deutlich - denn rund um den drohenden Tod fließt das Leben weiter. Durch die wechselnden Perspektiven wirkt das ganze nicht zu schwer, sondern macht deutlich, dass das Leben ein Fluss ist, in dem wir vielleicht ein Stück des Wegs gemeinsam gehen können oder aber immer wieder einmal aufeinander zutreiben, bevor jemand endgültig versinkt oder ins Meer gespült wird.

Dennoch gibt es in diesem Roman einige berührende Szenen - und obschon es durchaus sein kann, dass Kent Haruf eigene Gedanken und Empfindungen hat einfließen lassen angesichts seiner eigenen Krebserkrankung, haben diese Szenen des Abschieds vom Leben auch etwas Allgemeingültiges. Ich musste beim Lesen sehr oft an die letzten Wochen meines Vaters denken - oder auch daran, was in der Situation für mich wohl wichtig wäre. Es sind Lebensthemen, die da mal so eben im Plauderton an uns herangetragen werden, unaufgeregt, doch eindeutig präsent, unmöglich zu umschiffen.

Unaufgeregt präsentiert Kent Haurf auch die Charaktere. Positive wie negative Facetten treten zutage, nüchtern dargestellt ohne zu beschönigen oder zu dramatisieren und stets ohne Wertung. Dies ist eine Besonderheit, die sich in allen Romanen des verstorbenen Autors findet und die mir außerordentlich gut gefällt.

Einsamkeit, Traurigkeit, (fehlende) Lebensentwürfe oder -perspektiven - ein durchweg melancholischer Ton zieht sich durch den Roman. Anrührend aber nicht kitschig, offen aber niemals abwertend - das beherrscht Kent Haruf einfach. Die Begegnungen, die Akzente der Mitmenschlichkeit - sie sind es, die die Einsamkeit zuweilen auflösen und die selbst angesichts mancher Schrecknisse für Hoffnung und Trost sorgen.

Als Kontrapunkt für die schweren Lebensthemen setzt der Autor Alice, das kleine Mädchen, das die Zukunft repräsentiert. Das Leben geht weiter. Immer. Irgendwie.

Es ist, wie Bernhard Schlink auf dem Umschlag des Romans schreibt: "Kent Haruf nimmt uns mit, wohin wir nie wollten, und bald wollen wir von dort nicht mehr weg."

Genau.


© Parden

von: Willa Cather
von: Fatma Aydemir
von: Robert Menasse
 

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