Rezension (3/5*) zu Shining Girls von Lauren Beukes

Mikka Liest

Bekanntes Mitglied
14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Buchinformationen und Rezensionen zu Shining Girls von Lauren Beukes
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Ungewöhnlicher Zeitreisethriller

Normalerweise bin ich eine Verfechterin der Ansicht, dass eine Verfilmung fast nie besser ist als die Buchvorlage, meist nicht mal genauso gut. Aber »Shining Girl« bringt diesen Glauben wirklich ins Wanken! Die gleichnamige Fernsehserie weicht massiv vom Buch ab, was ja nur selten eine Verbesserung darstellt – aber hier sorgen die Unterschiede für mehr Dimension und Tiefgang.

Die Protagonisten

Im Buch sehen wir die Geschehnisse meist aus der Perspektive des zeitreisenden Serienkillers Harper. Was für eine ungewöhnliche, spannende Idee! Was für ein Potential! Und dennoch bleibt Harper sehr eindimensional: Er ist böse, weil er nun mal böse ist, und das macht ihn in meinen Augen sehr flach. Warum ist er so fixiert darauf, Mädchen und Frauen zu finden, die auf irgendeine Weise etwas Besonderes, Strahlendes an sich haben? Warum ist er so besessen davon, dieses Strahlen auszulöschen, in dem er sie tötet? Man erfährt zu wenig über seine Beweggründe, um ihn zu einem glaubhaften, wenn auch psychisch gestörten Menschen mit echter Persönlichkeit zu machen.

Die Serie verlegt den Fokus und die Perspektive auf Kirby (großartig gespielt von Elisabeth Moss), das einzige seiner Opfer, das überlebt hat, und das tut der Geschichte meines Erachtens sehr gut. Serien-Kirby ist zehn Jahre älter als Buch-Kirby, hat ihren Namen und ihr Aussehen verändert und konnte ihre traumatische Vergangenheit dadurch geheim halten. Sie ist in vielerlei Hinsicht entwurzelt; der einzige Fixpunkt in ihrem Leben ist der brutale Mordversuch, als sie noch Hochschulschülerin war. Dadurch wird ihre Suche nach der Wahrheit umso dringlicher.

Harper (gespielt von Jamie Bell) bleibt auch in der Serie etwas eindimensional, obwohl ein paar abweichende Details und Entwicklungen das ein Stück weit aufbrechen, wie zum Beispiel der neue Charakter Leo, ein Freund und Kriegskamerad Harpers. Aber als Zuschauer:in hat man in Kirby eine komplexe Identifikationsfigur mit komplexen Hintergrund, die das Handlungskonstrukt mühelos tragen kann – und das fehlte mir im Buch schmerzlich.

Der Sidekick

Ein anderer wichtiger Charakter ist Dan, der sowohl im Buch als auch in der Serie als Reporter über den Mordversuch an Kirby vor vielen Jahren berichtet hat. Im Buch ist er inzwischen ins Ressort Sport gewechselt. Kirby, die versucht, ihren Angreifer aufzuspüren, schleicht sich als Praktikantin bei der Zeitung ein, um über Dan an die Informationen zu gelangen, die damals vielleicht nicht öffentlich bekannt wurden. In der Serie berichtet Dan (gespielt von Wagner Moura) immer noch über Verbrechen und Kirby spielt von Anfang an mit offenen Karten. In beiden Versionen ist Dan ein starker Charakter, der Kirbys Persönlichkeit gut ergänzt.

Andere wichtige Charaktere erwähne ich hier absichtlich nicht, um gewisse überraschende Wendungen nicht zu verraten.

Sprünge und Risse im Zeitgefüge

Die Serie führt eine sehr interessante Variante der Grundidee ein: Durch Harpers Morde verändern sich hier die Zeitlinien und damit auch die Realität, und nur Kirby nimmt diese Veränderungen wahr. Ständig muss sie feststellen, dass ihre Wirklichkeit mit einem Schlag eine ganz andere ist – ihre Katze Grendel ist jetzt ihr Hund Grendel, ihr Schreibtisch auf der Arbeit steht woanders, ihre Wohnung liegt ein Stockwerk weiter oben … Für alle anderen Menschen sind diese Dinge immer schon so gewesen. Kirby schreibt die Details ihres Lebens minutiös in Notizbücher, die sie permanent aktualisiert, um den Überblick wenigstens halbwegs zu bewahren.

Dass ein zeitreisender Serienkiller die Realität verändert – ein perfider Schmetterlingseffekt – ist in sich stimmig und logisch. Diese Neujustierung der Parameter des Buches macht daher durchaus Sinn und erweitert die Handlung um eine raffinierte Bedeutungsebene, für die alleine sich das Anschauen schon lohnt.

Die Morde und die Opfer

Die Details der Morde und die Leben der Opfer weichen in der Serie zum Teil drastisch von der Buchvorlage ab, was noch spürbarer macht, wie instabil die Realität durch Harper geworden ist. Die Serie lebt in meinen Augen davon, dass immer alles im Fluss ist; alles verändert sich in einem fort im Kielwasser dieser gnadenlosen Morde.

Man könnte als Kritik an der Serie anbringen, dass sie den Fokus der Geschichte zu sehr verändert: Im Buch wird die Außergewöhnlichkeit der Frauen, die Harper auswählt, deutlich herausgestrichen, so dass die Morde im Grunde eine grausame Huldigung weiblicher Stärke und weiblichen Talents sind. Die Serie konzentriert sich dagegen ganz auf das Leben von Kirby, einer zutiefst traumatisierten Frau, deren ganzes Leben von dem, was ihr angetan wurde, aus der Bahn geworfen wurde. Die anderen Opfer bleiben eher im Hintergrund, und vor allem bleiben sie genau das: Opfer.

Doch aus meiner Sicht funktioniert diese Erzählweise. Mir war als Zuschauerin ja immer klar, dass Kirby nur eines der Opfer darstellte – es ist keine Herabwürdigung der anderen Frauen, nur eine Nahaufnahme der Geschehnisse, die dem Ganzen eine andere Atmosphäre verleiht.

Die Sprache

Mal liest sich der Stil wirklich großartig, sowohl flüssig als auch originell und unterhaltsam, dann wieder verunglückt er in seltsam verworrenen Satzgefügen oder stolpert plump ins allzu Offensichtliche oder unnötig Ekelhafte. Leider kann ich nicht mit Sicherheit sagen, was davon der Übersetzung zuzuschreiben ist und was dem Original.

Gegenüberstellung:
Die Geschichte ist einfallsreich, sowohl im Buch als auch in der Serie. Das von der Serie eingeführte Element der sich verändernden Zeitlinien macht jedoch aus einer ungewöhnlichen Handlung eine wirklich herausragend intelligente und kreative. Aus meiner Sicht werden Dramaturgie und wichtige Schlüsselszenen hier auch überzeugender umgesetzt. Das Buch gibt ein rascheres Tempo vor, während die Serie sich mehr auf die schwelende Bedrohlichkeit der Atmosphäre konzentriert – beide sind auf ihre eigene Art spannend. Das Buch konzentriert sich auf den Blickwinkel des Mörders, der merkwürdig farblos bleibt, während Kirby in der Serie im Mittelpunkt steht und für mich deutlich überzeugender ist. Andere Charaktere werden in beiden Medien plausibel dargestellt, aber beide Umsetzungen sind sehr auf den jeweiligen Perspektivcharakter fixiert.

Fazit

Die Geschichte dreht sich um Harper, einen zeitreisenden Serienkiller, und Kirby, das einzige seiner Opfer, das je überlebt hat und nun versucht, ihn aufzuspüren, über die Jahrzehnte hinweg. So weit stimmen der Roman von Lauren Beukes aus dem Jahr 2013 und die Serienadaption aus dem Jahr 2022 überein.

Doch es gibt gravierende Unterschiede, die meines Erachtens aus einem mittelmäßigen Thriller eine merklich stärkere Verfilmung machen: Der Fokus liegt im Buch vor allem auf Harper, der als Charakter recht eindimensional bleibt, während die Serie sich auf Kirby konzentriert, die mit mehr Komplexität aufwarten kann. Aber vor allem zieht die Serie das Zeitreiseelement konsequenter durch – Harpers Morde in verschiedenen Epochen verändern die Realität der Gegenwart, und das ist immer wieder überraschend und faszinierend.



 
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Reaktionen: alasca

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
3.061
9.745
49
Ich mochte das Buch etwas lieber als du; Lauren Beukes ist eine originelle Autorin, die aus dem Sci-Fi-Genre positiv hervorsticht, auch sprachlich. Diese Genre-Verschränkung Sci-Fi/Krimi fand ich als solche schon ziemlich klasse.
 

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