eva-Liisa Manner (1921–1995) ist heute vor allem als die Dichterin bekannt, die in den 1950er Jahren die Moderne nach Finnland brachte. 1951 schrieb sie einen Roman, der auf ihren Kindheitserinnerungen basiert. »Das Mädchen auf der Himmelsbrücke« ist eine tieftraurige, beglückende Erzählung über ein Mädchen, das sich allein gelassen und unverstanden fühlt und der Welt abhandengekommen ist: eine Erzählung voller magisch anmutender sprachlicher Schönheit, geprägt von existenziellem Schmerz und überwältigendem Einfühlungsvermögen. Die neun Jahre alte Leena streift einsam durch die Straßen von Viipuri, die damals noch finnische Stadt in Karelien, die später im sogenannten Winterkrieg von der Sowjetunion eingenommen wurde. Leena wächst bei ihrer Großmutter auf, die Mutter ist nur wenige Tage nach der Geburt gestorben. Von der unverständigen Lehrerin wird sie vor der Klasse vorgeführt, zu Hause bei der Großmutter findet sie keinen Halt – als Leena, von verführerischen Orgelklängen angezogen, in der katholischen Hyazinthenkirche das erste Mal mit Musik von Bach in Berührung kommt, erfährt sie eine so starke Erschütterung, dass ihr Leben nicht mehr bleiben kann wie zuvor. Maximilian Murmann findet in seiner Übersetzung für das kindliche, zweifelnde Innenleben Leenas ebenso die richtigen Worte wie für die atmosphärischen Streifzüge durch die karelische Ostseestadt und die Offenbarung in der Musik. Tröstende Antworten auf die Fragen des Lebens liegen nicht in der Logik unseres Verstands, sondern im poetischen Raum von Kunst und Musik.Kaufen
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Wohl jeder Literaturfan kennt Hesses beflügeltes Wort "Jedem Anfgang wohnt ein Zauber inne". Mit so einem Gefühl bin ich an die Lektüre des Buches heran gegangen, denn zum einen wurde vom Verlag und dessen verlegten Büchern bereits im Vorfeld einer gemeinsamen Leserunde in den höchsten Tönen geschwärmt. Zum anderen waren mir die Bücher des Verlages selbst schon wiederholt im Buchhandel aufgefallen. Es wurde folglich höchste Zeit, mein erstes Buch aus dem Verlag zu lesen, zumal es ja als Markenzeichen des Verlages gilt, unbekannte literarische Schätze aus der Versenkung hervorzuholen.
Inhaltlich und von der Aufmachung her hat mich "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" der finnischen Autorin direkt angesprochen, obwohl die Autorin mir bis dato völlig unbekannt war. Allerdings gilt sie als sehr ergolreiche Lyrikerin und sage und schreibe sieben Mal erhielt sie den Staatspreis, der als bedeutendster Literaturpreis des Landes gilt.
Das Buch beginnt märchenhaft und versetzt uns in eine Stadt, die es nicht mehr gibt. Von Anfang an liegt eine schwermütige Stimmung über der gerade mal 134 Seiten umfassenden Erzählung. In deren Mittelpunkt steht Leena - ein neunjähriges Mädchen, das von tiefer Traurigkeit umgeben ist. Man könnte meinen, es liege daran, dass sie alleine ist. Sie lebt nach dem frühen Tod ihrer Mutter kurz nach ihrer Geburt mit ihrer Großmutter zusammen, die inzwischen alt und verbittert ist, da sie im Leben so manchen Schicksalsschlag wegstecken musste. Sie erzählt, Leenas Vater sei ein Trinker und habe entweder wieder geheiratet oder sei inzwischen ebenfalls tot. Ein einziger Anker scheint für Leena der Onkel zu sein, dessen ungeteilte Liebe und Aufmerksamkeit sich Leena gewiss sein will.
Leenas Traurigkeit ist jedoch anderer Art. Sie lässt sich auch nicht allein durch den tristen Scnulalltag erklären, der von einer fürchterlichen, für die Zeit vielleicht typischen, aber dennoch empathielosen Lehrerin und auch Mobbing seitens der Klassenkamaden geprägt ist. Leenas Traurigkeit geht tiefer. Sie betrifft die grundlegende Verfasstheit der Welt mit ihren konstitutiven Strukturen an sich. Leenas Wirklichkeit ist eine andere: eine, in der alles permanent vergeht und neu entsteht, in der vieles Unmögliche möglich scheint und in der es vor allem keine klaren Unterscheidungen zwischen verschiedenen Wirklichkeitsebenen gibt. Traum und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit, Erinnerung und Vergessen - alles greift in Leenas kindlicher Vorstellung hier irgendwie ineinander. Wie man dem kenntnisreichen und sehr hilfreichen Nachwort der Autorin Antje Rávik-Strubel entnehmen kann, spielen hier vermutlich autobiographische Züge in die Erzählung hinein.
Leena lässt sich treiben, ist faziniert von Wasser, Musik und Regenschirmen, die Flügel bekommen können. In einer Schlüsselszene des Buches landet sie sehr zum Missfallen der Großmutter in einer katholischen Kirche, wo sie Antworten auf ihre Fragen nach der Wahrheit auf zentrale Lebensfragen sucht. Dort trifft sie auf die Ordensschwester Elisabet und auf Filemon, einen verschrobenen alten Blinden, der virtuos Bach spielt und sich mit ihr über diese Fragen austauscht. Und immer wieder gibt es Bezüge auf Jesus, Gott und auch eine gewisse Todessehnsucht...
Ich muss zugeben, dass mir eine zweite Lektüre im Anschluss an das Nachwort von Rávic-Strubel und mit etwas zeitlichem Abstand sehr weiter geholfen hat, das Werk besser zu erschließen. Es steckt so viel darin, in diesem kleinen Büchlein - so viel Poesie und auch viele philosophische und sonstige Lebensweisheiten. Im zweiten Durchgang war die Lektüre nur noch eine pure Freude. Ich bin sehr dankbar, dass ich durch die Leserunde auf dieses Buch aufmerksam wurde. Dankbar auch, dass der Guggolz-Verlag seine Arbeit darauf konzentriert, literarische Schätze zu heben. Hier habe ich eine regelrechte Perle entdecken dürfen, und ich hoffe nun, dass der Verlag auch die weiteren Romane der Autorin verlegen wird.
Unbedingte Leseempfehlung!
Und warum 5 Sterne? Weil ich mehr nicht geben kann - ganz einfach.
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