Rezension (5/5*) zu Das Mädchen auf der Himmelsbrücke von Eeva-Liisa Manner

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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Mädchen auf der Himmelsbrücke von Eeva-Liisa Manner
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Mein erstes Buch aus dem Guggolz-Verlag - ein Volltreffer!

Wohl jeder Literaturfan kennt Hesses beflügeltes Wort "Jedem Anfgang wohnt ein Zauber inne". Mit so einem Gefühl bin ich an die Lektüre des Buches heran gegangen, denn zum einen wurde vom Verlag und dessen verlegten Büchern bereits im Vorfeld einer gemeinsamen Leserunde in den höchsten Tönen geschwärmt. Zum anderen waren mir die Bücher des Verlages selbst schon wiederholt im Buchhandel aufgefallen. Es wurde folglich höchste Zeit, mein erstes Buch aus dem Verlag zu lesen, zumal es ja als Markenzeichen des Verlages gilt, unbekannte literarische Schätze aus der Versenkung hervorzuholen.

Inhaltlich und von der Aufmachung her hat mich "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" der finnischen Autorin direkt angesprochen, obwohl die Autorin mir bis dato völlig unbekannt war. Allerdings gilt sie als sehr ergolreiche Lyrikerin und sage und schreibe sieben Mal erhielt sie den Staatspreis, der als bedeutendster Literaturpreis des Landes gilt.

Das Buch beginnt märchenhaft und versetzt uns in eine Stadt, die es nicht mehr gibt. Von Anfang an liegt eine schwermütige Stimmung über der gerade mal 134 Seiten umfassenden Erzählung. In deren Mittelpunkt steht Leena - ein neunjähriges Mädchen, das von tiefer Traurigkeit umgeben ist. Man könnte meinen, es liege daran, dass sie alleine ist. Sie lebt nach dem frühen Tod ihrer Mutter kurz nach ihrer Geburt mit ihrer Großmutter zusammen, die inzwischen alt und verbittert ist, da sie im Leben so manchen Schicksalsschlag wegstecken musste. Sie erzählt, Leenas Vater sei ein Trinker und habe entweder wieder geheiratet oder sei inzwischen ebenfalls tot. Ein einziger Anker scheint für Leena der Onkel zu sein, dessen ungeteilte Liebe und Aufmerksamkeit sich Leena gewiss sein will.

Leenas Traurigkeit ist jedoch anderer Art. Sie lässt sich auch nicht allein durch den tristen Scnulalltag erklären, der von einer fürchterlichen, für die Zeit vielleicht typischen, aber dennoch empathielosen Lehrerin und auch Mobbing seitens der Klassenkamaden geprägt ist. Leenas Traurigkeit geht tiefer. Sie betrifft die grundlegende Verfasstheit der Welt mit ihren konstitutiven Strukturen an sich. Leenas Wirklichkeit ist eine andere: eine, in der alles permanent vergeht und neu entsteht, in der vieles Unmögliche möglich scheint und in der es vor allem keine klaren Unterscheidungen zwischen verschiedenen Wirklichkeitsebenen gibt. Traum und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit, Erinnerung und Vergessen - alles greift in Leenas kindlicher Vorstellung hier irgendwie ineinander. Wie man dem kenntnisreichen und sehr hilfreichen Nachwort der Autorin Antje Rávik-Strubel entnehmen kann, spielen hier vermutlich autobiographische Züge in die Erzählung hinein.

Leena lässt sich treiben, ist faziniert von Wasser, Musik und Regenschirmen, die Flügel bekommen können. In einer Schlüsselszene des Buches landet sie sehr zum Missfallen der Großmutter in einer katholischen Kirche, wo sie Antworten auf ihre Fragen nach der Wahrheit auf zentrale Lebensfragen sucht. Dort trifft sie auf die Ordensschwester Elisabet und auf Filemon, einen verschrobenen alten Blinden, der virtuos Bach spielt und sich mit ihr über diese Fragen austauscht. Und immer wieder gibt es Bezüge auf Jesus, Gott und auch eine gewisse Todessehnsucht...

Ich muss zugeben, dass mir eine zweite Lektüre im Anschluss an das Nachwort von Rávic-Strubel und mit etwas zeitlichem Abstand sehr weiter geholfen hat, das Werk besser zu erschließen. Es steckt so viel darin, in diesem kleinen Büchlein - so viel Poesie und auch viele philosophische und sonstige Lebensweisheiten. Im zweiten Durchgang war die Lektüre nur noch eine pure Freude. Ich bin sehr dankbar, dass ich durch die Leserunde auf dieses Buch aufmerksam wurde. Dankbar auch, dass der Guggolz-Verlag seine Arbeit darauf konzentriert, literarische Schätze zu heben. Hier habe ich eine regelrechte Perle entdecken dürfen, und ich hoffe nun, dass der Verlag auch die weiteren Romane der Autorin verlegen wird.

Unbedingte Leseempfehlung!

Und warum 5 Sterne? Weil ich mehr nicht geben kann - ganz einfach.



 

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Danke Euch! Ich denke, die Zweitlektüre hat wirklich geholfen. Außerdem hatte ich nach der Durchsicht der bereits vorhandenen brillianten Rezis Abstand vom Anspruch genommen, eine weitere gründliche Textanalyse vorzunehmen...
 

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