Ich musste ja leider verspätet das Buch lesen und fasse jetzt hier für das Fazit meine Eindrücke zusammen:
Nach einer unglücklichen Eingangsszene - da bin ich ganz Eurer Meinung - hatte ich das Buch erstmal recht schnell durch Sätze und Sequenzen, die mich tief berührt haben. Diese "Kuddelmuddelkiste" Familie, da wurde für mich ein Feld aufgemacht, das mich wirklich interessierte. Geschwister im Erwachsenenalter, ein Thema, das - meines Wissens nach, literarisch eher unterbelichtet ist. Hier wurde das Thema (anscheinend) aufgemacht, um etwas Erhellendes dazu zu liefern.
"Ich weiß gar nicht mehr, wie wir Geschwister es geschafft haben, diese ursprüngliche Komplizenschaft zu bewahren, wir waren uns nie besonders ähnlich oder besonders nah. Geschwisterbeziehungen zerfasern, leben sich auseinander, hängen nur noch am seidenen Faden von Sentimentalität oder Konvention."
Ich war gespannt! Dann wurde das ganze auch noch verbunden mit der für mich immer schwelenden Frage nach der Kenntnis über die Geschichte der Eltern - in meiner Generation und noch dazu in einem Alter, in dem die Eltern als Zeugen immer seltener zur Verfügung stehen, ein Dauerbrenner:
"Unsere Eltern sind dahingegangen und haben uns nicht mehr hinterlassen als Fragmente, womöglich erdichtete biografische Restbestände, man kann kaum behaupten, dass wir uns für ihre Saga interessiert hätten."
Die ersten ca. 40 Seiten also schürten meine Spannung auf das Buch und hoben meine Lesestimmung ungemein. Doch was dann kam, wurde für mich dieser aufgebauten Erwartung in keiner Weise gerecht. Die Schilderung des Lebens der Geschwister und ihres Anhangs und der Familien in Paris und Umgebung leider ohne Spannungsbogen, ohne sprachliche Highlights und für mich auch ohne Lachen hervorbringender Humor. Dann die therapeutische Familienreise nach Auschwitz, der ich noch etwas abgewinnen konnte, denn das vollkommene Ausbleiben des Schreckens angesichts des Ortes bei den handelnden Figuren - das ist schon ein Wagnis der Autorin.
"Ich denke nicht an die Tausende von Deportierten, die in einem anderen Jahrhundert auf absurde Weise dort hingeschafft wurden, sondern an den gealterten Körper meiner Schwester."
Diese unerhörte Stimmung und Haltung hätte ich gern in dem Roman näher ausgeführt bekommen, doch schon rast der Roman weiter und kommt wieder im Alltagseinerlei in Paris und Umgebung an. Und da wird es für mich wieder beliebig und eher nichtssagend. Ja, Serge scheitert mit seiner egomanischen Hilfsaktion für seinen Neffen beim schweizerischen Sternekoch. Und ja, Maurice stirbt allein und Serge erfährt vom nagenden Krebs in ihm. Doch das alles geht irgendwie unter in einer "Kuddelmuddelkiste", die tiefere Eindrücke unmöglich machen. Schade! Ich hatte mich auf interessante Einblicke der Geschwisterbeziehungen gefreut und auf eine besondere jüdische Haltung zum modernen jüdischen Leben mit seiner Verarbeitung der Vergangenheit.