Rezension Rezension (5/5*) zu Die Ballade vom traurigen Cafe. Novelle von Carson McCullers.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Nichts für dunkle Tage

Es ist eine trostlose Stadt, irgendwo im Amerikanischen Süden. Dort gibt es nichts zu tun, nichts zu erleben, außer den Kettensträflingen an heißen Augusttagen zuzuhören. Früher, da gab es das Café von Miss Amelia. Heute ist das Haus verschlossen, die Fenster zugenagelt. Doch man erinnert sich noch gut daran.
Die Ballade vom traurigen Café von Carson McCullers (erstmals erschienen 1943) ist ein kleines Buch, gerade 116 Seiten lang. Das schmälert aber nicht die Brillanz und Hingabe zur Sprache. Man schlüpft in dieses Buch wie in einen alten Pullover, der einem schon so vertraut ist, dass es gar nicht stört, wenn er schon ein bisschen kratzt. Hoffnung, Träume, Liebe: Schlagworte, die schon so viel erleben mussten in der Literatur. Es ist keine erwärmende Geschichte, in der vorherrschenden Trostlosigkeit liegt kein bisschen Kitsch oder Romantik. Mit Miss Amelia hat die Autorin eine großartige starke Frauenfigur geschaffen, die auf den ersten Blick unzerstörbar wirkt und doch so verletzbar ist. Ungewöhnlich lebt Amelia für die damalige Zeit, allein, unabhängig, sie brennt Schnaps und behandelt diverse Leiden ihrer Mitbürger. In ihrer Erscheinung wirkt sie fast männlich. Als plötzlich der verwachsene Lymon in der Stadt auftaucht, sich als Amelias Vetter ausgibt und von ihr selbstlos aufgenommen wird, verwundert das alle. Es ist wohl die Zuneigung, die sie erwartet, ohne körperliche Nähe entgegen bringen zu müssen, wie bei einem Haustier, einem Welpen vielleicht. Dann ist Lymon doch das Wesen, der die Hand beißt, die es füttert. Lymon ist aber nicht nur äußerlich verkrüppelt, er ist durchtrieben, gemein, hinterhältig. Als Marvin, Amelias gefährlicher Exmann zurückkehrt ist die Katastrophe unabwendbar. Carson McCullers schildert die Isolation ihrer Protagonisten, ihre Sprachlosigkeit und Einsamkeit so eindrücklich und schwermütig, dass es besser wäre, dieses Buch nicht an eigenen dunklen Tagen zu lesen.


 

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