Ganz die Deine

Buchseite und Rezensionen zu 'Ganz die Deine' von Claudia Piñeiro
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3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Ganz die Deine"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:205
Verlag: Unionsverlag
EAN:

Rezensionen zu "Ganz die Deine"

  1. Mein Haus, mein Mann, meine Gummihandschuhe ...

    "Jede Frau wird unweigerlich irgendwann von ihrem Mann betrogen. Früher oder später muss jede da durch", stellt Inés Pereyra fest, als sie in der Aktentasche ihres hart arbeitenden Ehemannes Ernesto einen Liebesbrief findet, unterschrieben "Die Deine". Um die Geschichte nicht "völlig unangemessen aufzubauschen", sagt sie erstmal nichts, durchsucht aber hinfort immer wieder Ernestos Sachen und belauscht "von einem Nebenapparat" seine Telefongespräche (wir befinden uns in der Prä-Handy-Zeit). Und als der Gatte eines Abends unter einem Vorwand noch das Haus verlässt, fährt sie ihm sogar hinterher. Um zu beobachten, wie er am abgelegenen Rand eines Stadtparks ein erregtes Gespräch mit seiner jungen Sekretärin führt und sie schließlich von sich wegschubst, so dass sie auf einen Baumstumpf stürzt und leblos liegenbleibt.

    Inés erzählt dieses Geschehen selbst, in einem hektischen und zugleich abgeklärten Ton, der ihr ganzes Wesen kennzeichnet. Denn für Inés ist das Wichtigste, dass sich nichts ändert, dass sie ihren Ehemann (von dem sie selbst nicht mehr allzuviel hält, wie sie später offenbart), ihren gut situierten Haushalt und ihre ganze bequeme Existenz behalten kann. Diesem Zweck ordnet sie restlos alles unter. In der Folge zieht sie sogar ein "Handbuch der Kriminologie" zu Rate. In ihren Erzählfluss sind mehrmals lange Zitate aus diesem Buch eingeschoben, teilweise mit Leuchtstift markiert und mit Anmerkungen von ihrer Hand versehen: "Die heutige Kriminologie verfügt über äußerst exakte Methoden und Techniken, um festzustellen, ob an Kleidung oder Fahrzeug eines Verdächtigen befindliche Partikel demselben Erdreich zugehören wie die am Tatort entnommene Probe. (Anmerkung:) Achtung: sofort sämtliche Kleidung reinigen!" Inés tut ihr Bestes, um Ernesto im wahrsten Wortsinn reinzuwaschen. Zunächst passiert auch nichts weiter, es wächst (wieder im Wortsinn) Gras über die Angelegenheit. Doch bald stellt sich heraus, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Ernesto ist aber auch gar zu einfältig und rücksichtslos ...

    Wie in dem späteren Roman "Kathedralen", den wir gerade in einer LR gelesen haben, benutzt die Autorin auch in diesem Buch eine Technik der Montage aus verschiedenen Erzählstimmen. Das meiste erfahren wir von Inés selbst, ihren aus dem kriminologischen Handbuch kopierten Seiten und an die Ränder geschriebenen Anmerkungen. Ungefähr von der Mitte des Buches ab ist hin und wieder eine neutrale Erzählstimme eingeschaltet, um Teile der zunehmend dramatischen Handlung wiederzugeben, an denen Inés nicht unmittelbar teilnimmt.

    Die tatkräftige Inés wird von einem Furor gelenkt, der ein wenig an den klassischen "Weiberkrimi" von Ingrid Noll erinnert und an ihre Hauptfigur Rosemarie Hirte. Im Unterschied zu Rosemarie fehlt Inés aber jede kritische Distanz zu ihrem Denken und Handeln. Im Gegenteil, sie ist von derart begrenztem Geist, dass sie vieles in ihrem Umfeld, das sie direkt angeht, einfach ausblendet. Deutlich wird das vor allem an einem weiteren knappen Erzählstrang um ihre 17jährige Tochter Laura, genannt Lali. Die Kapitel dieses Strangs bestehen nur aus Dialogen Lalis mit verschiedenen Personen, die Umstände, um die es jeweils geht, kann man sich binnen kurzem leicht zusammenreimen. Ohne spoilern zu wollen: Lali braucht dringend den Beistand der Eltern, vor allem der Mutter Inés. Doch von dieser Seite ist nichts zu erwarten. Sie hilft sich selbst, und ihre Eltern bekommen von dem Drama ihrer Tochter bis zum Ende des Buches so gut wie nichts mit.

    Ich bin ein bisschen zwiespältig mit diesem Buch. Die Kleingeistigkeit der Haupterzählerin nervt nach einiger Zeit ungemein, und wenn Lalis Nebenstrang nicht wäre, der den Blick ein bisschen heraus- und auf ein viel tieferes Drama lenkt, wäre die Lektüre eine reine Anstrengung. Lalis Geschichte wiederum ist so traurig und die völlige Interesselosigkeit der sie umgebenden Erwachsenen so bedrückend, dass man am Ende für die ganze Familie kaum noch Hoffnung hat. Immerhin scheint die Tochter das Herz am rechten Fleck zu haben - wenn man will, kann man daraus etwas Trost mitnehmen. Das Buch ist tricky und originell, wenn man es als Krimi liest; aber was Tiefe und Ideenreichtum betrifft, hat mir "Kathedralen" doch besser gefallen.

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