Amra und Amir

Rezensionen zu "Amra und Amir"

  1. 4
    25. Feb 2023 

    Abschiebung...

    Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag wird die in Deutschland aufgewachsene Amra in den Kosovo, das Herkunftsland ihrer Eltern, abgeschoben. Sie kennt weder das Land noch die Sprache und findet sich plötzlich ohne Geld, Wohnung und Arbeit in einer völlig unbekannten Welt wieder. Ihr bleibt nur das Leben auf der Straße. Um sich zu schützen schlüpft sie in die Rolle des Jungen Amir, der sich als Müllsammler und Gelegenheitsjobber durchschlägt. Neben dem alltäglichen Überlebenskampf muss sie sich schon bald auch mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzen: Ist sie mehr Amra oder mehr Amir? Mehr Frau oder mehr Mann? Oder muss sie sich vielleicht gar nicht entscheiden? Dies ist keine wahre Geschichte, aber sie wurde aus Bausteinen zusammengefügt, die dem wahren Leben entnommen sind.Immer wieder werden junge Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind oder einen großen Teil ihrer Kindheit und Jugend hier verbracht haben, in das Herkunftsland ihrer Eltern abgeschoben. Gemeinsam mit ihrer Familie oder auch allein. Heranwachsende, die erst wenige Jahre in Deutschland leben, sich aber bereits sehr gut eingelebt, Freunde gefunden, eine Ausbildung begonnen haben, erleben die Abschiebung ins Ungewisse nicht wesentlich anders als Amra. Der einzige Vorteil, den sie haben, sind Sprachkenntnisse, die ihnen den Anfang im „Herkunftsland“ etwas erleichtern. Dennoch stehen sie oft von heute auf morgen allein auf der Straße – ohne Kontakte, ohne Geld, ohne Wohnung und ohne Arbeit – und wissen nicht, wie es weitergehen soll. (Klappentext)

    Der Klappentext verrät schon großzügig, um was es in diesem Buch geht. Amra wurde in Deutschland geboren, beide Eltern im Krieg geflüchtet aus dem Kosovo. Sie kennt nichts anderes als Deutschland, ist dort zur Schule gegangen, macht gerade eine Ausbildung als Automechatronikerin und genießt die Treffen mit ihren Freund:innen. Da erreicht sie kurz nach ihrem achzehnten Geburtstag ein Brief: sie wird abgeschoben in den Kosovo. Amra ist der Sprache nicht mächtig, steht dort vor dem Nichts - und kann doch nichts gegen diese Entscheidung ausrichten. Schnell wird ihr klar, dass sie als Frau keine Chance haben wird, ein selbständiges Leben zu führen. Der Bruder ihrer Mutter sucht schon nach einem passenden Ehemann für sie. Doch Amra beschließt, sich dem Rollenbild nicht zu beugen und verschwindet spurlos. Verkleidet als junger Mann, der sich fortan Amir nennt. Mehr schlecht als recht schlägt der sich durch, lebt von Gelegenheitsjobs, dem Versetzen von Gegenständen von der Müllhalde sowie dem Beschaffen von Lebensmitteln aus Containern. Und verzehrt sich nach seinen Freund:innen in Deutschland, ebenso wie nach der Mutter. Die Zurückgebliebenen bleiben jedoch nicht untätig, sondern bemühen sich, Amra nach Hause zurückzuholen. Egal auf welchem Weg...

    Zu Beginn des Romans empfand ich die Gefühle Amras angesichts der schockierenden Nachricht als absolut authentisch und eindringlich. Tragische und gnadenlose Umstände schüren die Verzweiflung, die Ohnmacht, die Resignation. Diese Bedrücktheit sowie die Intensität der Gefühle lässt im Laufe der Lektüre jedoch nach. Amra findet sich zwangsläufig mit ihrer Situation ab, widmet sich dem Überleben und dem Versuch, die ganze Situation möglichst unbeschadet zu überstehen. Die Auf und Abs der weiteren Entwicklung bieten einige Überraschungen, letztendlich jedoch keine wirkliche Lösung und zufriedenstellende Zukunftsperspektive. Das vage gehaltene Ende empfand ich als unangenehm, jedoch gleichzeitig auch als durchaus passend.

    Die Autorin beleuchtet hier jedoch nicht nur die komplexen Zusammenhänge von Flüchtlings- und Asylverfahren mit dem Hintergrund traumatischer Erlebnisse, die seinerzeit zur Flucht führten. Gleichzeitig verknüpft Maria Braig damit auch Amras geschlechtliche Identitätssuche sowie ihre Vorlieben hinsichtlich möglicher Sexualpartner:innen, was mir entwas aufstieß. Weshalb noch mehr "Drama"? Gefühlt jeder Roman, der etwas auf sich hält, widmet sich auf irgendeine Weise unbedingt auch der Genderfrage. Natürlich, ebenfalls ein wichtiges Thema. Aber weshalb immer alles auf einmal? Mir hätte die Konzentration auf die Abschiebung und die damit verbundenen Hintergründe hier durchaus gereicht.

    Der Roman lässt sich flüssig lesen, scheint mir als Jugendbuch sehr geeignet zu sein. Er reißt ein bedeutsames Thema an, das trotz der immer wiederkehrenden Flüchtlingswellen in Deutschland unbedingt eines bleiben sollte, das in den Fokus gerückt wird. Damit die Menschlichkeit eine Chance erhält. Mich lässt der Roman jedenfalls nachdenklich zurück...

    © Parden