Schachnovelle: Penguin Edition

Buchseite und Rezensionen zu 'Schachnovelle: Penguin Edition' von Stefan Zweig
5
5 von 5 (8 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Schachnovelle: Penguin Edition"

Als der Rechtsanwalt Dr. B. eine Reise auf einem Passagierdampfer antritt, ahnt er nicht, dass sich der bekannte Schachweltmeister Mirko Czentovic ebenfalls an Bord befindet. Fasziniert von diesem Genie bittet Dr. B.um ein Duell. Dabei werden traumatische Erinnerungen in ihm wachgerufen, denn das »Spiel der Könige« erlernte er einst als Gefangener der Gestapo. Im Duell gegen Czentovic prallen nun nicht nur zwei unterschiedliche Spielideen aufeinander, sondern auch zwei Lebenswelten ... Die »Schachnovelle« ist Stefan Zweigs letztes und wohl bekanntestes Werk, das nur ein Jahr vor seinem Freitod entstanden ist.

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:112
Verlag:
EAN:9783328106739

Rezensionen zu "Schachnovelle: Penguin Edition"

  1. Genie und Wahnsinn

    Der Penguin Verlag hat mit einer Klassikerreihe gestartet. Neben Büchern aus dem englischen, dänischen oder russischen Sprachraum, wurde „Die Schachnovelle“ von Stefan Zweig in das Premierenprogramm mitaufgenommen.
    Geschrieben wurde die Schachnovelle von Stefan Zweig als er bereits sein Heimatland Österreich verlassen hatte und sich im brasilianischen Exil befand. Erschienen ist diese Novelle kurz vor seinem Tod.
    Auch wenn man gar keine Ahnung vom Schach hat, kann bzw. muss man dieses Buch einfach lesen. Obwohl das Schachspiel im Zentrum dieser Novelle steht, beeindruckt dieses Büchlein durch die Personen und durch die Schilderungen der damaligen Zeit.
    Allen voran die Schilderung vom Leben in der Isolationszelle, in der das illegale Erlernen von Schachpartien den Herrn Doktor B. vor dem wahnsinnig werden bewahrte und ihm seine Gedanken rund um dieses Spiel sogar eine „Schachvergiftung“ eingebracht haben. Mir persönlich war die Isolationshaft als Foltermethode der Gestapo nicht bekannt. Dr. B musste vier Monate alleinein einem Hotelzimmer ausharren, gerade diese Zeitspanne und die Erfahrungen, die Dr. B gemacht hatte, wurden eindrucksvoll von Stefan Zweig niedergeschrieben.
    Die Erzählung beginnt mit dem Start einer Schiffsreise nach Amerika, nachdem Dr. B. aus der Isolationshaft entlassen wurde. An Bord des Dampfers ein Schachweltmeister namens Mirko Czentovic. Mirko Czentovic ist aufgrund seines nicht einfachen Charakters und seines herausragenden Schachspiels zu einer prominenten Persönlichkeit geworden.
    Ein Journalist, der auch gleichzeitig der Erzähler dieser Novelle ist, kann Dr. B dazu überreden eine Partie Schach gegen Czentovic zu spielen. Natürlich lässt sich der Schachweltmeister diese Partie teuer bezahlen, kostenlos würde er gegen keinen Amateur antreten. Dr. B begeistert die Reisenden mit seinem schachlichen Können, doch mit Fortdauer des Spiels holt ihn seine Vergangenheit ein. Verhalten, dass bisher in ihm geschlummert ist, tritt aus dem Schatten. Aus einem einfachen Spiel wird eine Manie.
    Genie und Wahnsinn in einem dünnen Büchlein, ausgezeichnet geschrieben und jede Szene eindrucksvoll dargestellt.

    Teilen
  1. Lesenswerter Klassiker in herrlich frischem Gewand

    „Auf dem großen Passagierdampfer, der um Mitternacht von New York nach Buenos Aires abgehen sollte, herrschte die übliche Geschäftigkeit und Bewegung der letzten Stunde.“ (Erster Satz)

    Völlig überraschend erfährt der Ich-Erzähler, dass sich Weltschachmeister Mirko Czentovic, um den sich allerlei Anekdoten ranken, an Bord des Dampfers befindet. Das junge Schachtalent stammt nämlich aus einer bildungsfernen Schifferfamilie, gilt als wenig kommunikativ, teilnahmslos und der Welt abgewandt. Sobald er sich vom Schachbrett erhebt, „wird er trotz seines feinen Anzuges zu einer grotesken und beinahe komischen Figur“. Das ist etwas, das den Erzähler neugierig macht. Er möchte  Czentovic unbedingt persönlich kennenlernen. Dazu greift er zu einer List, indem er Schachbretter aufstellt, die die Schachliebhaber – und den Weltmeister - heranlocken sollen.

    Tatsächlich findet sich mit dem vermögenden Geschäftsmann McConnor ein Spieler nach Maß, der das nötige Kleingeld besitzt, um Czentovic herauszufordern. Natürlich ist der großkotzige Selfmademan chancenlos, auch wenn die Partie große Aufmerksamkeit bei den anderen Passagieren erregt. Hinzu tritt auch Dr. B., ein unscheinbarer Anwalt. Er gibt letztlich die entscheidenden Tipps, die zu einem Remis führen und die sichere Niederlage McConnors verhindern. Niemand hätte erwartet, ein weiteres Schachtalent an Bord zu haben! Die Aufregung ist groß. Das Publikum wünscht sich natürlich eine Revanche. Dr. B. winkt aber vehement ab…

    In Folge wird Dr. B. seine Geschichte erzählen, wird berichten, wie er zum Schachspiel kam, wie das Spiel der Könige ihm in nationalsozialistischer Beugehaft einst das Leben rettete. Diese Geschichte ist sehr ergreifend und belegt, wie subtil totalitäre Machthaber mit ihren vermeintlichen Feinden oder Regimegegnern umgehen - ein Thema, dass nach wie vor große Aktualität genießt. Dr. B. wurde zwar nicht gefoltert, aber er wurde dem „Nichts“ ausgesetzt, in völliger Isolation gehalten:

    „…; man lebte wie ein Taucher unter der Glasglocke im schwarzen Ozean dieses Schweigens und wie ein Taucher sogar, der schon ahnt, dass das Seil nach der Außenwelt abgerissen ist und er nie zurückgeholt werden wird aus der lautlosen Tiefe. Es gab nichts zu tun, nichts zu hören, nichts zu sehen, überall und ununterbrochen war um einen das Nichts, die völlig raumlose und zeitlose Leere.“ (S. 44)

    Als Dr. B. geistig zu zerbrechen drohte, fand er ein kleines Schachbüchlein, das ihm nach eigener Aussage zwar das Leben rettete, seinen Verstand zunehmend aber von anderer Seite gefährdete….

    Die Schachnovelle ist Stefan Zweigs berühmtestes Werk, sie entstand 1942, kurz bevor sich der Autor das Leben nahm. Sie ist leicht lesbar, auch wenn man keine Kenntnisse über das Schachspiel hat. Zweigs Prosa hat große Klasse. Seine stellenweise seitenlangen Sätze besitzen Schönheit und Brillanz, wie man sie in zeitgenössischen Werken selten findet.

    Die Haupthandlung auf dem Schiff wird eindrucksvoll von der Geschichte des Dr. B. unterbrochen, die die psychischen Folgen von Terror und Machtausübung darlegt. Das Leichte verknüpft sich mit dem Schweren. Zweig hat wunderbare Haupt- und Nebencharaktere geschaffen, die man sich anhand seiner bildhaften Beschreibungen bestens vorstellen kann. Der bescheidene Dr. B. kontrastiert mit dem großmännischen McConnor, der wiederum einen Gegensatz zum introvertiert verschrobenen Schachmeister Czentovic bildet.

    Erwähnenswert sind die Anmerkungen sowie das informative Nachwort von Jeffrey B. Berlin, das sowohl biografische Eckdaten Stefan Zweigs benennt als auch eine historische Einordnung seines Werks vornimmt.  

    Der Penguin Verlag hat seine bunte, im englischen Sprachraum bekannte, Klassikeredition nun auch deutschen Lesern zugänglich gemacht. Die Schachnovelle gehört zu den ersten sechs Sommertiteln 2021, weitere Bände dieser bezahlbaren, handlichen Taschenbuchausgaben werden folgen. Sie bilden einen farbenfrohen Hingucker in jedem Bücherregal.

    Es ist zu wünschen, dass die Schachnovelle in dieser modern frischen Ausgabe viele neue Leserschichten erreicht. Dieses fesselnde kurze Werk kann man getrost auch Menschen empfehlen, die den Einstieg in die Welt der klassischen Literatur suchen. Große Empfehlung!

    Teilen
  1. Überraschend

    Überraschend

    Als ich mit der Novelle von Stefan Zweig begann, hatte ich anfänglich bedenken, dass mir der Stil nicht gefallen könnte, doch diese Sorge verflüchtigte sich schnell. Im Gegenteil, ich fühlte mich sehr schnell wohl in der Materie und bin froh dieses Werk, das im Exil in Brasilien entstand, gelesen zu haben.

    Schach steht zwar im Mittelpunkt des Büchleins, dennoch soll der Inhalt den Leser auf ganz andere Dinge stoßen. Doch um diese zu ergründen, muss der Leser erstmal den Werdegang des Schachspielers Czentovic ergründen. Als Pflegekind groß geworden, entdeckt dessen Ziehvater eher durch Zufall sein außerordentliches Talent. Czentovic ist ein eigenwilliger Charakter, der mir verschlossen blieb, was aber angesichts der weiteren Handlung überhaupt nicht negativ ins Gewicht fällt.
    Im weiteren Verlauf der Handlung befinden wir uns auf einem Dampfer auf dem Weg nach Buenos Aires. Der Ich-Erzähler möchte gerne mit dem Schachweltmeister Czentovic sprechen, der ebenfalls an Bord ist. Doch dieser ist sehr zurückgezogen, man kommt nicht an ihn heran. Durch den Anreiz eines Geldpreises gelingt es dem reichen McConnor eine Partie zu arrangieren. Der Erzähler ist hocherfreut, so hofft er doch noch zu seinem ersehnten Gespräch zu kommen, bei der Partie der Reisenden gegen den Meister.
    Als Dr B sich später an einem Spiel beteiligt wird klar, dass hier ein echter Gegner aufgetaucht ist. Ein Gegner, der dann bald eine sehr tragische Lebensgeschichte offenbaren wird, die den Erzähler in ihren Bann ziehen wird.
    Alles weitere sollte man sich selbst erlesen, da ansonsten der Reiz dieses Werkes verloren geht, und das möchte ich mit meiner Einschätzung nicht erreichen. Nur soviel, es lohnt sich, es wird wohl kaum jemanden geben, der sich ab da noch entziehen kann.

    Die Kritik, die im letzten Abschnittdeutlich wird, kam für mich überraschend. Die Wendung, die aus diesem harmlosen Spiel, die Einleitung zu den Erlebnissen des Dr B werden lässt, sind wirklich sehr brillant konzipiert.Der Fokus des gesamten Inhalts verschiebt sich nach kurzer Zeit, so dass aus der Geschichte des Pflegekindes plötzlich ein tragisches Stück Zeitgeschichte wird, welches den armen Dr B tief verstört zurück gelassen hat.

    Für mich ist die Novelle spannend und erschütternd gewesen, aber ich werde sie sicherlich noch häufiger lesen. Obendrein ein zeitloses Stück wie ich finde, das zurecht bis heute viele Anhänger finden konnte.

    Teilen
  1. Präzise formulierter Klassiker

    „Sieger machen keine Erfahrung. Eine Erfahrung macht man nur als Verlierer.“ (Martin Walser)

    Es war mal wieder Zeit für einen „Klassiker“. Und das Stefan Zweig´s „Schachnovelle“ dazugehört – nun, dass zweifle ich nach den 112 Seiten der neuen „Penguin Edition“ aus dem Penguin-Verlag (inklusive einem ausführlichen und überaus interessanten Nachwort von Jeffrey B. Berlin) nicht mehr an.

    Zu schnell war ich fasziniert von der einfachen, präzisen aber auch bildhaften Sprache von Stefan Zweig, mit der er seine (Haupt-)Charakter Mirko Czentovic und Dr. B. einführt und der geneigten Leserschaft nicht nur eine Lehrstunde in brillanter Charakterstudie bietet, sondern auch die Perfidität des nationalsozialistischen Regimes anhand der Isolationshaft von Dr. B. vor Augen führt.

    Auch wenn es dem Titel nach um Schach geht: man muss kein ausgewiesener Experte sein, um die direkten Bezüge nachvollziehen zu können (obwohl es auch nicht schadet, sich zumindest mit den Grundzügen auszukennen *g*).

    Wichtiger sind eigentlich wie erwähnt die Charaktere Czentovic und Dr. B. – der eine (Czentovic) als unnahbarer, schweigsamer Schachweltmeister, der andere (Dr. B.) an einer „Schachvergiftung“ leidend, die er sich in der Isolationshaft (durch Zufall?) eingefangen hat und der sich schwört, nie wieder Schach zu spielen. Doch dann…

    Das alles ist große Literatur in wenigen, dafür aber umso präziseren und nachhaltig wirkenden Worten und Sätzen. Bedeutet: ich heiße „Schachnovelle“ auf meiner Liste der Alltime-Faves herzlich willkommen!

    5* und die dazu gehörende glasklare Leseempfehlung!

    ©kingofmusic

    Teilen
  1. 5
    23. Jul 2021 

    Zeitlos aktuell

    Auf einer mehrtägigen Schiffsreise von New York nach Buenos Aires in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, wird der österreichische Ich-Erzähler Zeuge einer beeindruckenden Schachpartie. Der an Bord weilende Schachweltmeister spielt gegen eine Gruppe Amateure, ohne dass der geringste Zweifel an dessen Sieg besteht. Doch dann mischt sich ein unbekannter Passagier ein und das Spiel endet mit einem Remis. Am nächsten Tag soll ein weiteres Spiel stattfinden und der Ich-Erzähler fordert den Unbekannten zur Teilnahme auf. Dieser sträubt sich zunächst und erzählt ihm zur Erklärung seine Geschichte.
    Dieses kleine Büchlein, das gerade mal 104 Seiten mit verhältnismäßig groß gedruckten Buchstaben hat, ist sicherlich beeindruckender als viele andere Bücher, die einen drei- oder viermal so großen Umfang aufweisen. Vielleicht liegt es daran, dass Stefan Zweig viel mit Gegensätzlichkeiten gearbeitet hat, die eher im Gedächtnis bleiben. Einmal der introvertierte, ungebildete und langsame Schachweltmeister. Und der umgängliche, intellektuelle und beinahe manische 'Dilettant'. Oder der Ich-Erzähler, für den Schach 'nur' ein Spiel ist und sein Gegner, der alles als Wettkampf sieht und jede Niederlage als persönlichen Affront empfindet. Aber auch die Art, wie Zweig Schach beschreibt, wird mir im Gedächtnis bleiben. Insbesondere, weil er selbst überhaupt keinen großen Bezug dazu hatte.
    Zitat: "Ist es nicht auch eine Wissenschaft, eine Kunst, schwebend zwischen diesen Kategorien wie der Sarg Mohammeds zwischen Himmel und Erde, eine einmalige Bindung aller Gegensatzpaare; uralt und doch ewig neu, mechanisch in der Anlage und doch nur wirksam durch Phantasie, begrenzt in geometrisch starrem Raum und dabei unbegrenzt in seinen Kombinationen, ständig sich entwickelnd und doch steril, ein Denken, das zu nichts führt, eine Mathematik, die nichts errechnet, eine Kunst ohne Werke, eine Architektur ohne Substanz und nichtsdestominder erwiesenermaßen dauerhafter in seinem Sein und Dasein als alle Bücher und Werke...*
    Dazu die unglaublich genauen Beschreibungen der einzelnen Charaktere und Situationen, die derart zeitlos gut sind, dass Manches klingt, als wäre es eben erst geschrieben worden.
    Zitat: "Nun hatten die Nationalsozialisten, längst ehe sie ihre Armeen gegen die Welt aufrüsteten, eine andere ebenso gefährliche und geschulte Armee in allen Nachbarländern zu organisieren begonnen, die Legion der Benachteiligten, der Zurückgesetzten, der Gekränkten."

    Ein kleines, aber sehr feines Büchlein, das man nicht nur in der Schule lesen sollte - sofern es dort überhaupt noch im entsprechenden Kanon steht.

    Teilen
  1. Zwei gegensätzliche Weltbilder

    Die "Schachnovelle" ist Stefan Zweigs bekanntestes Werk - eigentlich schon zum Lesekanon gehörig; ein Buch, das "man kennen sollte". Wie schon anderswo hier im Forum erwähnt, kann der Titel jemandem, der sich mit Schach nur wenig auskennt, etwas kopfscheu machen. Doch dazu besteht gar kein Anlass; Schachwissen ist nicht Voraussetzung.

    Auf einer längeren Seereise nach Buenos Aires begegnet der Erzähler einem leibhaftiger Schachweltmeister, eine Berühmtheit. Leider hat diese Berühmtheit, abgesehen vom Schach, wenig Rühmliches an sich. Das Schachgenie Mirko Czentovic hat außer Schach nichts zu bieten - er ist nicht nur ungebildet, er ist auch weder fähig noch willens, sich zu bilden; er kann außer Schach gar nichts und hat keinerlei Charisma. Trotzdem sind einige Mitreisende ganz wild darauf, ihn zu Schachpartien herauszufordern - wofür sich Czentovic gut bezahlen lässt. Natürlich gewinnt er. Bei der nächsten Partie, die Revanche bringen soll, mischt sich plötzlich ganz leise und unauffällig ein weiteres Schachgenie ein: Dr. B, die eigentliche Hauptfigur des Romans.

    Dr. B's Lebensbericht (den der Erzähler aus ihm herausfragt) nimmt einen großen Teil der Erzählung ein. Ihn hat längere Gefangenschaft unter den Nazis nachhaltig geprägt: Während seiner Inhaftierung erfuhr er keinerlei geistige Anregung, weder durch Lesen noch durch Gespräche oder sonst irgendeine Abwechslung, gar nichts. Diese psychische Folter dauert an und führt beinahe zum psychischen Zusammenbruch, bis Dr. B beginnt, mit einem geklauten Schachbüchlein und selbstgebastelten Figuren Schachpartien nachzuspielen. Er schafft es am Ende, seine Imaginationskraft derart zu schulen, dass er gegen sich selbst spielen kann - eine unvorstellbare geistige Anstrengung, durch die er seinen Intellekt in zwei Denkschienen, "ich schwarz" und "ich weiß", aufspalten muss. Dadurch entgeht er zwar der quälenden Deprivation, erleidet aber einen dauerhaften psychischen Schaden, den er "Schachvergiftung" nennt. Der Arzt hat ihm das Schachspiel eigentlich verboten.

    Mit Czentovic und Dr. B treffen zwei gegensätzliche Persönlichkeiten aufeinander, die gegensätzliche Weltbilder verkörpern. Bei Czentovic die Fähigkeit zu mathematischer Berechnung, gekoppelt mit völliger Phantasie- und Kulturlosigkeit. Bei Dr. B der verfeinerte Intellekt, das reiche Denk- und Vorstellungsvermögen und die Abhängigkeit von geistiger Anregung. (Es wäre interessant, zu sehen, wie Czentovic unter den gleichen Haftbedingungen reagiert hätte!) Zu Recht wird die Novelle als Spiegelung der geistigen Umwälzung zwischen den Kriegen verstanden. Hierzu gibt das kenntnisreich geschriebene Nachwort in der Penguin-Ausgabe noch einige interpretatorische Hinweise; außerdem erfährt man Interessantes über die Entstehung der Novelle.

    Stefan Zweigs erzählerisches Können, seine psychologische Schärfe und die hochrangige Sprache machen die Erzählung zu einer reichen, berührenden Leseerfahrung. Man kann die Präzision seiner Wortwahl, die Eleganz seines Stils gar nicht hoch genug loben. Nichts daran wirkt altertümlich und unzeitgemäß. Im Gegenteil, der klare, einfühlsame Erzählstil ist eine Wohltat. Dringende Leseempfehlung!

    Teilen
  1. Schach und mehr.

    Es gibt Löcher in meinem Leserepertoire, die nicht weiter auffallen, aber dennoch peinlich sind. Deshalb ist es gut, diese Lücken von Zeit zu Zeit zu stopfen, umso mehr, wenn diese Aufgabe so schnell und leicht zu erfüllen ist.

    Stefan Zweigs Schachnovelle ist so ein Büchlein, ein dünnes Werk, eben eine Novelle, die es mit ihrem Titel geschafft hat, unerkannt an meinem Radar vorbeizufliegen. Ich beherrsche kaum die Grundzüge des Schachs, ist es da verwunderlich, dass es bisher kein Interesse weckte?
    Die Penguin Neuauflage und eine motivierende Mitleserschaft haben ihr Bestes gegeben und mir einen äußerst bemerkenswerten Blick in Zweigs Welt eröffnet.

    Anfänglich fesselte mich die Beschreibung des Schachgenies Mirko Czentovic, der sich auf dem gleichen Dampfer von New York nach Buenso Aires befindet, wie der neugierige Ich-Erzähler, der diesen scheinbaren Idiot-Savant bei einer Schachpartie studieren will.
    Das erste Drittel konzentriert sich auf diesen exzentrischen, schwierigen Menschen, bis sich bei dem endlich eingefädelten Spiel eine weitere Person dazugesellt, Dr. B., die quasi im Vorbeigehen den Herausforderern die entscheidenden Tipps für ein Schachmatt gegen den Weltmeister gibt.
    Neugierig geworden, heftet sich der Ich-Erzähler an ihre Fersen. Dr. B. erzählt ihm seine Geschichte und schon steckt man tief drin, in den Machtspielchen und Pervertionen des Nazi-Regimes unmittelbar vor Kriegsbeginn. Eine leise, unauffällige Form der Folter und Qual bekommt hier, neben all der bekannten Greul des Dritten Reichs, im präzisen Ablauf der psychischen Vorgänge in Isolationshaft, ihren geschuldeten Raum. Dr. B. war diesem Tun ausgesetzt und seine Rettung, sein Versinken in die Verrücktheit und seiner Wiederauferstehung, hatte er allein dem Imaginieren des Schachspiels gegen sich selbst zu verdanken. Fortan aber bleibt das Spiel der Könige ein toxisches für ihn, was sich auch in seiner Wesensveränderung an Bord widerspiegelt.

    Zweigs geschliffene Wortwahl und interessante Wegführung durch die Geschichte, macht sie zu einer spannenden, aber auch tief anrührenden Erzählung.
    Die exakte Beobachtung der Wesenszüge, erst Mirko Czentovics, dann Dr. B.s, geben der Novelle psyochologischen Tiefgang und die umfassenden Veränderungen der Menschen durch Krieg und Folter wieder. Gleichzeitig lässt er mit diesen beiden Protagonisten zwei Welten aufeinanderstoßen, die ein starkes Symbol der Umwälzungen nach dem Krieg andeuten.

    Teilen
  1. "Kein Ding auf Erden erzeugt einen solchen Druck wie das Nichts"

    Die Novelle spielt ausschließlich auf einem "großen Passagierdampfer, der um Mitternacht von New York nach Buenos Aires abgehen sollte" (5). Der Ich-Erzähler, ein Österreicher, erfährt von einem Freund, dass der Weltschachmeister Mirko Czentovic an Bord ist, dessen ungewöhnlicher Werdegang im Folgenden geschildert wird. Der 12-jähriger Slawe wurde als Waise von einem Pater aufgenommen. Er lernt weder korrekt zu schreiben noch zeigt er sich in Mathematik fähig, aber es stellt sich per Zufall heraus, dass er eine Begabung fürs Schachspielen hat, obwohl er nicht in der Lage ist, Partien blind zu spielen. Das verrät "einen Mangel an imaginativer Kraft" (12), trotzdem steigt er zum Weltmeister auf. Der Freund des Ich-Erzählers stellt fest, dass Czentovic nur an Schach und Geld interessiert und vor allem von sich überzeugt ist.
    Die Neugier des Ich-Erzählers ist geweckt und er will dieses Genie kennenlernen, was ihm auch gelingt, als er selbst mit einem reichen Schotten McConnor Schach spielt, um den Weltmeister anzulocken. Dieser wiederum lässt sich vom Geld verführen und spielt gegen einige "drittklassigen Spielern", die er natürlich besiegt. Bis ein Unbekannter ins Spiel kommt, der dem Weltmeister ein Remis entlockt. Neugierig geworden sucht der Ich-Erzähler diesen Schachvirtuosen auf, der sich als Wiener Rechtsanwalt Dr. B. entpuppt, der "am selben Abend, da Schuschnigg seine Abdankung bekannt gab, und einen Tag, ehe Hitler in Wien einzog" (S.41), also am 11.3.1938 von der Gestapo verhaftet wird, da seine Kanzlei Kontakt zur Krone hatte, Vermögenswerte von Klöstern heimlich gesichert hat und er selbst von einem Spion verraten wird. Er wird jedoch nicht in ein Konzentrationslager deportiert, sondern in einem Hotel in Isolationshaft genommen.

    Die Novelle führt den Leser*innen an diesem Beispiel die perfide Grausamkeit des nationalsozialistischen Regimes vor Augen, da sich Dr.B. zum Nichtstun gezwungen wird und ohne soziale Kontakte allein in seinem Zimmer auf die Verhöre warten muss.

    "Man tat uns nichts - man stellte uns nur in das vollkommene Nicht, denn bekanntlich erzeugt kein Ding auf Erden einen solchen Druck auf die menschliche Seele wie das Nichts." (43)

    Dieses Nichts beginnt ihn innerlich zu zerstören, doch per Zufall gelingt es ihm vor einem Verhör ein Buch aus einem Mantel zu entwenden - "ein Schachrepititorium, eine Sammlung von hundertfünfzig Meisterpartien." (55)

    Das, was Czentovic nicht gelingt, das Blindspielen, vermag Dr. B. und zunächst scheint es ein Segen für ihn zu sein. Mithilfe der Repitition berühmter Schachpartien kann er den endlosen Verhören und der Einsamkeit entkommen. Indem er jedoch beginnt, gegen sich selbst zu spielen, seine Persönlichkeit in ein "Ich Schwarz" und "Ich Weiß" (63) zu spalten, die imaginativ - ohne echtes Schachbrett - gegeneinander wetteifern und Züge antizipieren müssen, steigert er sich in eine Manie, bis hin zur "Schachvergiftung" (66), die zu seinem Zusammenbruch führt.

    Er muss in ein Krankenhaus und dem Arzt gelingt es, ihn in die Freiheit zu entlassen, so dass er sich jetzt auf dem Schiff befindet. Jener Arzt hat ihn auch davor gewarnt, wieder Schach zu spielen. Und doch reizt es ihn gegen den behäbig langsamen Schachweltmeister anzutreten. In der Partie offenbaren sich die unterschiedlichen Spielweisen - Czentovic überlegt sehr lange, bevor er zieht, während Dr. B. bereits alle möglichen Spielzüge antizipiert hat und blitzschnell reagiert. Seine Ungeduld wächst und dem Ich-Erzähler fällt auf, "dass seine Schritte trotz aller Heftigkeit dieses Auf und Abs immer nur die gleiche Spanne Raum ausmaßen [...] schaudernd erkannte [er], es reproduzierte unbewusst dieses Auf und Ab das Ausmaß seiner einstmaligen Zelle" (78). Das reale Schachspiel hat Dr. B. wieder in den Bann seiner Isolationshaft hineingezogen, in der er gegen sich selbst gespielt hat. Dem Ich-Erzähler gelingt es während der 2.Partie, in der Dr. B. den Bezug zur Realität verliert, diesen wieder zurückzuholen und man kann vermuten, dass er nie mehr ein Schachbrett anrühren wird.

    Eine lesenswerte Novelle, die, wie im Nachwort ausgeführt, ganz unterschiedliche Lesarten hat. Im Vordergrund stehen die sehr gut erzählte Geschichte -

    "Zweig reißt die Aufmerksamkeit des Lesers geradezu an sich, zieht ihn förmlich in die imaginäre Welt seiner Erzählung hinein." (89, Nachwort) -

    und das Aufeinandertreffen zweier Lebensweisen. Die langsame „Schachmaschine“ trifft auf den schnellen, imaginativ Denkenden und treibt ihn in den Wahnsinn. Die perfide Grausamkeit der Isolationshaft der Nazis wird ebenfalls deutlich vor Augen geführt - was macht das psychisch aus einem Menschen. Und nicht zuletzt die Spaltung der Persönlichkeit, die Schachmanie, die entsteht und droht wieder aufzubrechen, wenn der entsprechende Reiz gesetzt wird - eine Folge der Haft. Zu Recht ist die Novelle Zweigs bekanntestes Werk!

    Teilen