Sisi

Rezensionen zu "Sisi"

  1. 5
    26. Nov 2022 

    Hochgradig unterhaltsam mit kritischer Wucht

    Ein Mythos wird gründlich zerlegt. Mit beißender Ironie entlarvt Duve die Absurdität und Sinnlosigkeit höfischen Lebens. Da wird sich geopfert - für nichts. Das erste Opfer auf dem Altar der Monarchie ist Sisi selbst. Aber sie sorgt tatkräftig für Ausgleich und dafür, dass sich gleich reihenweise Menschen für sie opfern. Und nicht nur Menschen.

    Bei der Lektüre des Romans hilft es, etwas von Pferden und vom Reiten zu verstehen. Die furios geschilderten Reitjagden sind überwältigend, das reiterliche Können der Kaiserin war zweifelsfrei überragend. Aber: Es bereitet nicht wirklich Genuss, zu lesen, wie Pferde zuschanden geritten, in demütigenden Dressuren abgerichtet und wie Gegenstände benutzt werden. Man kann als Reiterin nur noch besser ermessen, was all das bedeutet. Insgesamt hat man nur vordergründig ein Herz für Tiere.

    Am Anfang hatte ich den Eindruck, dass Duve womöglich ganz ohne Handlung auskommen will. Eine Reihe absurder Anekdoten zum Thema monarchischer Willkür, Verschwendung und Launenhaftigkeit, so schien es. Aber sehr bald kristallisiert sich die eigentliche Protagonistin des Romans heraus: Marie Luise von Wallersee, ihre Nichte, die Sisi als leicht beeindruckbaren Teenager zu sich nimmt und später zwingt, den gestörten Grafen Georg Larisch zu heiraten. Wie das naive, wohlerzogene Mädchen in den Bann der manipulativen Kaiserin gerät und von ihr, die rücksichtslos ihre Interessen verfolgt, ins Unglück geführt wird, ist die eigentliche Story dieses Romans.

    Sollte man anfangs noch irgendwelche Sympathien für Sisi, den immerhin arbeitenden Kaiser oder die Monarchie gehegt haben: Das gibt sich im Lauf der Lektüre gründlichst. Spätestens bei der Schilderung der Jagdvergnügungen des Kaisers, der während einer einzigen Treibjagd 40 Gämsen abknallt oder just for fun 3 Steinadler und einen Seeadler vom Himmel holt. Auch des Kaisers Jagdverhalten Frauen gegenüber ist dermaßen unwürdig, dass man ihn nur verachten kann. Das alles sagt Duve, ohne es zu sagen - sie zeigt es.

    Sprachlich ist der Roman ein Schmankerl. Eine Menge Originalzitate wurden eingearbeitet, mehr oder weniger verändert; das verleiht dem Text Authentizität. Nicht dass Duve das Kopieren nötig hätte: Wie sie mit knappen, messerscharfen Sätzen die monarchische Schande bloßlegt, das war mir purer literarischer Genuss.

    Wie gut, dass die Monarchie und die Privilegien des Adels abgeschafft wurden. Leider nicht deren Reichtümer, Grundbesitz und Einfluss, die samt und sonders auf Mord, Intrigen und Ausbeutung gründen. Innerlich habe ich während der Lektüre reihenweise Molotow-Cocktails geworfen. Bemerkenswert, wie ein mutmaßlicher Kolportageroman wie "Sisi" solche Gedanken hervorbringen kann. Duve hat da wohl was richtig gemacht.

    Fazit: Hochgradig unterhaltsame Histo mit kritischer Wucht. Lesen!

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  1. Leider sehr einseitig - Sisi als Reiterin

    „Der krumme Weg ist hier doch immer der bequemere. Warum etwas direkt sagen, wenn man es auch hintenherum erledigen kann.“ (Zitat Pos. 1327)

    Inhalt
    So oft als möglich flieht Elisabeth, Kaiserin von Österreich, dem anstrengenden, intriganten Wiener Hofleben, das sie nicht nur einengt, sondern auch langweilt. Auf dem ungarischen Landsitz des Kaiserpaares, Schloss Gödöllö, kann sie sich freier bewegen und ihrer großen Leidenschaft, dem Reiten, nachgehen, so oft und lange sie will. Bei der Eröffnung der Wiener Weltausstellung 1873 erzählen ihr englische Würdenträger begeistert von den englischen Parforcejagden. Nach einem ersten Besuch im Jahr 1874 reist sie 1876 wieder nach England und nimmt dort an den schwierigsten Parforcejagden teil, während ihre bevorzugte Hofdame und Vertraute, Gräfin Marie Festetics, sorgenvoll auf ihre Rückkehr wartet, denn Elisabeth ist eine hervorragende Reiterin, aber gleichzeitig draufgängerisch und durch kein Hindernis aufzuhalten. Die Kaiserin ist der Mittelpunkt im Leben der Gräfin Festetics. Doch als die Kaiserin ihre junge Nichte Marie Louise Wallersee auf Schloss Gödöllö einlädt und diese, ebenfalls eine hervorragende Reiterin, bald zur Vertrauten der Kaiserin wird, fürchtet die Hofdame um Position bei der Kaiserin und schmiedet entsprechende Pläne.

    Thema und Genre
    In diesem Roman geht es um Episoden aus dem Leben von Elisabeth, Kaiserin von Österreich. Der knappe Zeitrahmen umfasst die Jahre 1874 bis 1877, ergänzt durch Rückblicke. Themen sind Pferde, Jagden, Liebe, Klatsch und Intrigen.

    Charaktere
    „Bis ins kleinste Detail recherchiert und gnadenlos seziert: Karen Duve über eine Kaiserin, die ihrer Zeit oft weit voraus war und trotzdem bis heute unterschätzt wird.“ So steht es in der Beschreibung des Verlages. Doch leider zeigt dieser Roman nur einige Facetten ihrer vielschichtigen Persönlichkeit: wir erfahren viel über die außergewöhnliche begabte Reiterin und begeisterte Sportlerin Elisabeth, über die große Disziplin, mit der sie ihre Schönheit pflegte, über Skandale und Gerüchte über angebliche Affären, die bekannten, realen Liaisonen des Kaisers, aber wir erfahren nichts über die wesentlich spannenderen intellektuellen Seiten dieser vielseitig interessierten, gebildeten, außergewöhnlichen Frau, die in ihren modernen Ansichten ihrer Zeit weit voraus war und durch ihren Freiheitsdrang und Wunsch nach Selbstbestimmung der Frauen eine frühe Vorreiterin für ein verändertes Frauenbild war.

    Handlung und Schreibstil
    Diese Jahre zwischen 1874 und 1877, die das Kernstück der Geschichte bilden, sind bereits geprägt durch Reisen und Aufenthalte fern vom Wiener Hof. Doch während ihr bevorzugter Rückzugsort bald darauf Korfu wurde, sind es in diesen Jahren noch Gödöllö, ihr Elternhaus in Possenhofen und, als neues Reiseziel, England. Es sind die Jahre, in denen die großartige, begeisterte, ehrgeizige Reiterin ihre Jagdleidenschaft auslebt. Geschildert werden einzelne Episoden und prägende Ereignisse, und auch die längst bekannten Anekdoten, Gerüchte und Intrigen am kaiserlichen Hof in Wien fehlen nicht. Doch dies alles findet sich bereits in der großartigen, umfassenden Elisabeth-Biografie von Brigitte Hamann. Wie vom Verlag angekündigt, wurde „gnadenlos seziert“, was in diesem Fall bedeutet, dass jene vorhin genannten Abschnitte so ausgesucht wurden, dass sie in das einseitige Bild der Kaiserin passen, das die Autorin mit diesem Roman vermitteln will. Daran ändert auch das ausführliche Literaturverzeichnis im Anhang nichts. Ein typischer Roman des in den letzten Jahren beliebten Genre „Berühmte Frauen, starke Frauen und die Liebe“. Auch die Sprache entspricht dem Genre Unterhaltungsroman.

    Fazit
    Ich hatte nicht mit diesem engen Zeitrahmen von wenigen Jahren, zugeschnitten auf den Schwerpunkt Pferde, Treibjagd und Skandälchen gerechnet. Viele andere wichtige Facetten werden nur gestreift und in meinen Augen sehr selektiv zusammengesetzt. Wer sich bereits mit dieser interessanten, facettenreichen, aber auch schwierigen und ambivalenten Persönlichkeit der berühmten österreichischen Kaiserin auseinandergesetzt hat, findet in diesem Roman nichts Neues. Mich konnte dieser Roman nicht überzeugen, aber ich bin sicher, er wird begeisterte Leserinnen finden.

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  1. Am Lack gekratzt - die Krone ist Blech.

    Kurzmeinung: Eine Entlarvung (war ja eh klar).

    „Elisabeth Amalie Eugenie von Wittelsbach, Herzogin in Bayern (1837-1898), ist durch ihre Heirat mit ihrem Cousin Franz Joseph I ab 1854 Kaiserin von Österreich und ab 1867 Apostolische Königin von Ungarn. Die Geschwister nannten sie „Sisi“; seit den Ernst-Marischka-Filmen ist sie auch als „Sissi“ bekannt.“ So weit der Wikipedia-Eintrag. Den Wikipedia Eintrag zu zitieren ist in diesem Fall logisch und legitim, da Karen Duve als Quellenangabe (unter vielen anderen) den Passus „rauf und runter in Wikipedia“ benutzt. Köstlich.

    Karen Duve begleitet die Kaiserin durch einige Jahre, die sie entweder auf Reisen oder auf ihrem ungarischen Gut verbringt. Zeitlich bewegen wir uns um die Jahre 1878 herum, als Serbien und Montenegro dem osmanischen Reich den Krieg erklärt haben. Doch die hohe und auch die niedere Politik ist in dem Roman von Karen Duve nur ein leises Hintergrundrauschen. Zwar erlebt man mit, wie der fleissige Kaiser Franz morgens um vier aufsteht und sich nach dem spartanischen Frühstück der politischen Korrespondenz widmet, doch die Kaiserin interessiert das herzlich wenig – weswegen die Politik auch von Karen Duve weitgehend ausgespart bleibt. Das ist leider, so von mir empfunden, ein erheblicher Mangel.

    Die Kaiserin ist nach damaliger Ansicht schon „alt“, aber sie hält sich durch Sport und Mangelernährung fit und schlank. Die Reiterei ist ihr ein und alles. Sie ist eine der besten Reiterinnen ihrer Zeit. Tierliebe sagt man ihr nach, aber natürlich ist das, was man im 19. Jahrhundert unter Tierliebe versteht häufig etwas, was wir eher mit einem gegenteiligen Begriff, nämlich mit Tierquälerei verbinden. Blutige Fuchs-, Hirsch- und Gämsenjagden finden nahezu täglich statt- das Tier hat Null Chance und muss bis zu seinem Tod stundenlange Todesangst ausstehen. Königs mag ich nicht. Um nicht zu sagen, ich mag sie überhaupt nicht. Keine Sissi. Keine Queen, deren Kadaver man tagelang durch die Landschaft karrt, keinen Charlykönig, keine Victoria, gar nix. Monarchie ist out. Und totale Verschwendung. Die Kaiserin ist eitel und macht ein furchtbares Gedöns um ihr meterlangenes Haar. Sisi lebt nach dem Motto, wer schön sein will, muss leiden. Heute wäre sie eine Influencerin ersten Ranges für dumme junge Mädchen, die sich kasteien wollen.

    Die Kaiserin ist eh frustriert, ihren Kindern durch die kaiserliche Schwiegermutter entfremdet, ihre Kernfamlie nur sporadisch zur Verfügung stehend, bleibt als Zeitvertreib nur, andere wie Marionetten und Puppen durch die Gegend zu scheuchen, sie ein wenig verliebt zu machen, Charisma hatte sie ja, und dann ins Unglück zu stürzen. Ein kaiserlicher Schnipps und man ist vom Spielbrett. Das Hofleben wird von Duve so geschildert, wie es vermutlich gewesen ist, Hofschranzen und kaiserliche Willkür. Verabscheuenswert.

    Dennoch hält sich lange das Bild der leutseligen Kaiserin, da Sisi gut verbergen kann, was sie wirklich denkt und wer tratscht oder ihr offen widerspricht, fällt in Ungnade, was diverse finanzielle Nachteile nach sich zieht. Für die Verhältnisse der damaligen Zeit war sie unkonventionell, aber letztlich blieb sie in Snobismus und Oberflächlichkeiten stecken.

    Fazit: Die Beschränkungen des Romans aufs Jagen und dies in ausführlichsten, geradezu wollüstigen Längen, die Reduzierung auf das Hofleben und seine Äußerlichkeiten, rauben dem ansonsten lebendig geschriebenen Roman etwas an Interesse. Es war so viel los in dieser Zeit, davon hätte ich gerne mehr erfahren. Aber das süßliche Sissi-Image, das auch Romy Schneider in good old germany lange anhaftete, ist durch diesen Roman gänzlich abhanden gekommen. Bravo dazu. Sprachlich ist der Roman bestens aufgestellt. Ein echter Duve eben. Mit vier Sternen würdige ich Duves Werk.

    Kategorie: Biografischer Roman
    Verlag: Galiani Berlin im Hause Kiwi, 2022

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