In den Wäldern der Biber: Roman
Klappentext:
„Alina ist an einem Punkt in ihrem Leben angekommen, an dem sie nicht mehr weiterweiß: Ihren Job konnte sie nie leiden, in Frankfurt am Main, der Stadt, in der sie lebt, fühlt sie sich schon lange nicht mehr wohl, und dann geht nach einem heftigen Streit auch noch ihre Beziehung in die Brüche, sodass sie plötzlich ohne Wohnung dasteht. Wohin jetzt? Der einzige Ort, der ihr einfällt, ist Spechthausen, ein kleines Dorf in Brandenburg. Hier lebt ihr Großvater, zu dem sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. In seinem viel zu großen, renovierungsbedürftigen Haus am Waldrand nimmt er sie auf, ohne viele Fragen zu stellen.
Langsam nähern Alina und er sich wieder an. Sie hilft ihm mit den Hühnern und dem Garten; gemeinsam beobachten sie Biber in freier Wildbahn. Dunkel und fast ein wenig unwirklich sind Alinas Kindheitserinnerungen an die Ferien in Spechthausen. Nun, inmitten der Natur, kehren sie nach und nach zurück. Ehe sie sichs versieht, fühlt sie sich heimisch in dem Ort und den umliegenden Wäldern. Endlich hat sie Zeit, darüber nachzudenken, was ist, was war und was sein soll. Außerdem ist da noch ihr Kindheitsfreund Elias, mit dem sie viel verbindet. Doch bevor sie sich ein neues Leben aufbauen kann, gibt es einiges, wovon Alina sich befreien muss.“
Der Buchtitel sowie der Klappentext lassen eine Geschichte vermuten, die in der Natur spielt, wo die Natur ein gewisser wichtiger Nebendarsteller zu sein scheint, aber leider trifft das nicht ganz zu. Sobald man in der Geschichte rund um Alina feststeckt, bemerkt man, man sucht die Natur, man sucht die Biber und will selbstredend hinter die Gedankengänge von Alina streifen um zu erfahren was sie so, nennen wir es „verwirrt“, verwirrt hat. Schnell stellte sich aber mir die Frage beim lesen, warum um Himmels Willen nimmt denn ihr Großvater sie so ohne weiteres bei sich auf? Gibt es denn da nicht erstmal einen gewissen Klärungsbedarf? Hat er etwas gutzumachen? Warum führt sie diese Flucht aus ihrem Leben zurück in ihre Vergangenheit nach Spechthausen? Warum lässt ihr Großvater alle Veränderungen, die Alina anstrebt, so ohne murren zu? Mir war hier vieles einfach zu verworren, zu undurchsichtig und vor allem zu unglaubwürdig. Wer lässt denn einfach mal so nach langer Zeit der Abstinenz jemanden so mir-nichts-dir-nichts in sein Leben? Man könnte es als Großherzigkeit oder gar Verständnis für das Enkelkind abtun, aber wie gesagt, ich finde es sehr fragwürdig. Und was ist noch fragwürdig an diesem Roman? Man sucht die Natur doch vergebens. Wird erst dem Leser der Mund so wässrig gemacht und dann „sehen“ wir die sowieso schon seltenen Biber nur für einen winzigen Moment.
Die Geschichte soll wohl eine Art Selbstfindung sein, mit den Erinnerungen der Kindheit aufräumen, mit den aktuellen Problemen lernen umzugehen, Sinnsuche, Achtsamkeitstraining für die geschundene Seele oder so ähnlich. Ich hatte mir etwas anderes davon versprochen und kann einfach nicht mehr als 2,5 Sterne dafür vergeben. Da reißt auch der der Schreibstil oder der Ausdruck nichts heraus.
Kurzmeinung: Sich erinnern, um zu heilen!
Der Autor verarbeitet in dem Roman „Solito“ seine eigene Fluchterfahrung im Alter von etwa 9 Jahren. Er schreibt in einem Interview, er hätte Therapie gebraucht um im Nachhinein diese Erfahrungen zu verarbeiten und musste Zeit mit seinem inneren Kind verbringen, nämlich dem Jungen, der er damals gewesen ist.
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
So wie der Autor nun Zeit mit dem zehnjährigen übergewichtigen Jungen Javier verbringt mit seinen ganzen negativen und positiven Erfahrungen auf der Reise (na ja, Reise), macht es auch der Leser. Er muss sich ganz auf die kindliche Erlebniswelt und Perspektive einlassen. Es ist eine einfache Schreibweise mit vielen Wiederholungen, die der Roman liefert, mit einem ruhigen Anfangsteil, der zeigt, in welchem Familiengefüge der Junge in El Salvador aufwächst: man ist arm, aber man hält zusammen, man hat nicht viel, aber man ist als Kind frei und ohne Angst. Liebevoll gehen Großeltern und Tante mit ihm um, aber seit er fünf Jahre alt ist, weiß Javier, dass er nach La Gringolandia emigrieren wird, einem Land, in dem Milch und Honig fließen werden und jeder einen Swimmingpool hat und ein großes Anwesen und viele Spielsachen – mit einem Wort, wo das Paradies ist. Er weiß es und er weiß es auch wieder nicht, denn niemand kann sich wirklich vorstellen, was es bedeutet, mit einer Guppe vollkommen Fremder und mit Schleusern unterwegs zu sein. Und ganz auf sie angewiesen zu sein.
Den ersten Teil der Reise darf Javier mit seinem Großvater zusammen machen. Immerhin. Dabei kommen die beiden sich nahe und diese Erinnerungen behält man fürs Leben. Aber dann kommt die Trennung. Aufbruch ist Abbruch, Kluft, Trennung und Schmerz, Heimatverlust. Von nun an ist Javier auf sich allein gestellt. Die 9wöchige Odysee über zwei Landesgrenzen hinweg, unter teils hygienisch unwürdigen Verhältnissen, viel Langeweile und Unwägbarkeiten, verlangt dem Jungen alles an Anpassungsvermögen und Überlebenswillen ab, was er hat. Fremde Menschen, Unterordnung, Impulskontrolle, physische und psychische Strapazen. Und wenn nicht doch noch etwas Menschlichkeit in manchem aus der Flüchtlingsgruppe gewesen wäre, hätte er es nicht geschafft.
Der Spannungsbogen in dem Roman hängt freilich manchmal durch, die Erzählweise ist äußerst detailverliebt, die Figurenzeichnungen oft unscharf, dennoch bekommt man einen lebhaften Eindruck davon, was Menschen alles mitmachen müssen, um ein menschenwürdiges Leben zu gewinnen und zu ihren Angehörigen zu kommen. Viele bleiben auf der Strecke, mit anderen Worten, der Tod schaut immer um die Ecke auf einer solchen Reise. '
Für die Authentizität verwendet der Autor unzählige unübersetzte spanische Slangausdrücke, - woran sich viele Rezensenten stören - im Ebook ist die Aufschlüsselung hervorragend gelungen, Kompliment an den Verlag: Ein Klick und man hat die Übersetzung.
Fazit: Eindrückliche und authentische Verarbeitung einer Fluchterfahrung, die trotz literarischer Schwächen nicht kalt lässt. Die naive kindliche Perspektive muss man freilich mögen. Damit steht und fällt der Roman.
Kategorie: Roman. Migration.
Verlag: KiWi, 2024
„Solito“ ist nicht ganz leicht zu bewerten, denn der Roman hat einfach zahlreiche Schwächen, gleichzeitig aber auch sehr viele Aspekte, die für ihn sprechen und ihn zu einem Lesetipp machen. Erzählt wird in dem Roman die Geschichte des Jungen Javier, der sich im Alter von zehn Jahren allein, aber in einer organisierten Gruppe von Fremden, auf den Weg von El Salvador nach USA zu seinen Eltern macht. Thematisch ist der Roman somit von großer Relevanz, denn er gewährt unmittelbare Einblicke in die Schrecken, Tragödien und Bedrohungen, aber auch die großen Hoffnungen, die eine solch verzweifelte Flucht, die in Javiers Fall Wochen dauerte, ausmachen. Der Roman korrespondiert zwar mit der Fluchtgeschichte des Autors, allerdings ist nicht unbedingt auszumachen, ob es sich hier nun um ein Memoir, eine autofiktionale Verarbeitung oder einen Roman handelt – das spielt letztlich auch nur eine untergeordnete Rolle. Ein „Bericht“ hätte dem Text eventuell mehr Glaubwürdigkeit und Authentizität verliehen, aber auch so ist „Solito“ definitiv ein Buch, das nachhallt und eine Langzeitwirkung entfaltet.
Allein durch den linearen Aufbau der Geschichte, die die Flucht von ihrer Planung über jeden einzelnen Schritt, also die Reise nach Guatemala, die Umwege durch Mexiko und den Treck durch das Grenzgebiet begleitet, entsteht ein großer Spannungsbogen, dem man als Leser – es fühlt sich fast ungebührlich angesichts des Themas an, dies so auszudrücken – mit großem Unterhaltungswert folgt. Die Flucht geht immer weiter und so entwickelt auch der Lesefluss zwar nicht gerade einen Sog, aber schon einen gewissen Zug: man selbst möchte auch weiter, möchte wissen, was als Nächstes geschieht, wie die nächste Etappe bewältigt wird.
Dass ein mitreißender Sog ausbleibt, ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass der Text viel zu detailverliebt ist und sich in Redundanzen ergeht. Immer wieder dreht sich der Javiers Erzählung im Kreis, erwähnt im Abstand von wenigen Seiten immer wieder bereits Berichtetes. Die eigentliche Flucht besteht seitenweise aus endlosem Warten, Duschen, Seriengucken und Rumsitzen und dies wird in ausufernder Genauigkeit geschildert. Natürlich liegt hier die Funktion darin, dem Leser zu verdeutlichen, dass eine Flucht langwierig ist, dass sie viele Unsicherheiten und Unwägbarkeiten beinhaltet, aber dies hätte man auch auf eine literarisch ansprechendere und straffere Weise vermitteln können.
Und nein, dies kann ich leider nicht nur der limitierenden Erzählperspektive Javiers zuschreiben. Javier ist ein Kind, aber dem Autor ist es sprachlich nicht besonders gut gelungen, sich in ihn hineinzuversetzen. Stilistisch leidet „Solito“ gar unter seinem kindlichen Erzähler, die Syntax ist zum überwiegenden Teil sehr simpel und ermüdet dadurch ebenso wie die ewigen Wiederholungen. Die Tatsache, dass der Autor für Lokalkolorit auf zahlreiche spanische Ausdrücke und Redewendungen zurückgreift, tut ein Übriges dazu. Habe ich auf den ersten Seiten hochmotiviert im Anhang nachgeschlagen, habe ich ab S. 100 die spanischen Einschübe nur noch überlesen. Mitten im Lesefluss immer nach der Übersetzung zu blättern, stört die Lektüre noch empfindlicher, als nicht zu wissen, was ein Wort bedeutet.
Neben diesem ausgemachten Minuspunkt ist auch die Umsetzung der Unzuverlässigkeit ein Problem. Natürlich ist ein Kind in seiner Wahrnehmung nicht mit einem erwachsenen Erzähler gleichzusetzen, aber Javier wird als Erzähler doch auch sehr oft infantilisiert und die kindliche Sicht künstlich übertrieben, dann wiederum blitzen vereinzelt fast poetische Sätze und Beobachtungen auf, die einfach nicht zu Javiers sonstiger Wahrnehmung passen. Da der Autor selbst Fluchterfahrung hat, hätte sich vielleicht insgesamt eine retrospektive Darstellung mit einer bereichernden Distanz zwischen Erlebtem und Erzähltem angeboten, so wie es am Ende des Textes auch gemacht wird. Der Leser hätte von einer solchen Erzählperspektive sehr profitiert.
In der Figurenzeichnung bleibt der Roman recht oberflächlich. Eine tiefere Auseinandersetzung findet auch in den langwierigen Warteperioden des Romans nicht statt. Man erfährt wenig bis nichts über die Menschen, die Javier begleiten. Der Text ist vorwiegend deskriptiv – ein weiteres Manko, das besonders auch hinsichtlich der Frage besteht, wieso Javiers Eltern ihren zehnjährigen Sohn überhaupt allein auf eine solche gefährliche Unternehmung ungewissen Ausgangs schicken. Die Motivation bleibt unklar, „Solito“ löst dieses wichtige Anliegen des Lesers nicht auf und das Ende selbst erfolgt recht abrupt.
Was bleibt, ist die Tatsache, dass mich der Roman trotz seiner Schwächen immer wieder in Spannung versetzt hat, dass er mich immer weitergetrieben, schockiert und überrascht hat – denn er verzichtet vollkommen auf klischeehafte Wendungen, die man in Geschichten dieser Art vermuten würde - und dass er mir Menschlichkeit und Egoismus im Angesicht einer außergewöhnlichen Situation nachvollziehbar und eindrücklich aufgezeigt hat. Für mich ist „Solito“ daher trotz allem eine Leseempfehlung, denn er beeindruckt und begleitet einen auch lange nach der Lektüre noch.
Solito erzählt die wahre Geschichte des Autors Javier Zamora, der als neunjähriger Junge sich von El Salvador aus aufmacht, um mithilfe von Schleppern zu seinen Eltern in die USA zu gelangen. Der kleine Javier wächst dem Leser schnell ans Herz und man baut schnell eine Bindung auf. Seine kindliche Sicht auf die Welt macht diese Geschichte so besonders.
Mit diesem kindlichen Blick tauchen wir tief ein in das Leben in El Salvador, immer mit dem Blick voller Sehnsucht in die Ferne zu den Eltern gerichtet, immer abwartend, ob man sie endlich bald wiedersehen kann. Allein das berührt bereits unendlich. Als es dann tatsächlich in Begleitung einer kleinen Gruppe fremder Menschen losgeht, die sich alle auf den gefährlichen Weg in die Vereinigten Staaten machen, trifft der Leser gemeinsam mit Javier auf ein buntes Potpourri an Charakteren, die alle der Geschichte Tiefe und Herz verleihen.
Man erfährt, welche Herausforderungen der entbehrliche Weg der Flucht für die Gruppe bereithält, wie sich manche versuchen vorzubereiten, wie einige die Nerven verlieren und wie haarscharf die tödlichen Gefahren lauern. Das sensibilisiert für die Erfahrungen von Migranten, die ihr altes Leben hinter sich lassen. Auch hier macht die Sicht dieses Kindes das Erlebte umso eindrücklicher, an mancher Stelle möchte man schier verzweifeln.
Dass die Flucht traumatisch war, liest man an mancher Stelle heraus. Der Autor konnte sich seinen Erfahrungen zunächst nur in Gedichten nähern, später schrieb er diesen Roman mit Hilfe seiner Therapeutin. Dass er seine Erfahrungen in all seinen Facetten und mit all seinen inneren Eindrücken zu Papier bringen konnte, ist ein Gewinn für jeden Leser. Eindrücklich und bewegend, wird Solitos Geschichte jedem ans Herz gehen.
Javier ist neun Jahre alt, als die ersehnte Nachricht kommt: er darf sich nun endlich auf die Reise zu seinen Eltern in "La USA" begeben. Eigentlich hat der smarte Junge in El Salvador alles, was er braucht - ein Dach über dem Kopf, Menschen, die sich fürsorglich um in kümmern, Haustiere und Erfolg in der Schule - und doch sehnt er sich sehr nach den beinahe unbekannten Eltern und dem verheißungsvollen Land im Norden. In der Hoffnung in zwei Wochen bei ihnen zu sein, startet er mit einem Schlepper und einer kleinen Truppe Erwachsener die Flucht ins Ungewisse. Die Erfahrungen die er machen muss, sind geprägt von kaum ertragbarer Langeweile, der Angst eines Aufgriffs, dem Auswendiglernen einer Schein-Identität und dem unsäglichen Wunsch nach Nähe, der Großteils unerfüllt bleibt. Die Strapazen der Flucht sind tiefgehend, das Kind muss zusehen, wie viele andere Menschen scheitern, doch Javier bleibt stark, auch dank einiger Erwachsener, die sich seiner annehmen - seine temporäre, neue Familie. Zwei Grenzübertritte nach "Gringolandia" missglücken, doch die Familie gibt nicht auf...
Javier Zamora erzählt in "Solito" seine eigene Fluchtgeschichte aus dem Jahr 1999 nach. Die Erzählperspektive ist jene des Neunjährigen, die Sprache bleibt dementsprechend einfach. Gekennzeichnet ist sie durch Wiederholungen, Langatmigkeit und detaillierten Beschreibungen, was das Erzählte noch eindrücklicher nacherlebbar macht. Er erzählt das Erlebte chronologisch und durchläuft die Tage vor der Abreise sowie die gesamte Flucht. Ärgerlich sind die stets eingestreuten Ausdrücke auf Spanisch, die man zwar im angehängten Glossar nachlesen kann, das stellt sich allerdings als mühsames Unterfangen heraus: die Übersetzungen sind nach Kapitel geordnet, nicht alphabetisch und außerdem sind sie nicht vollständig. Das Nachschlagen stört den Lesefluss teils beträchtlich, Fußnoten könnten diesem Problem entgegenwirken. Hilfreich wäre ebenfalls eine Landkarte, in der die gewaltige Fluchtroute nachvollziehbar wäre.
Besonders in der ersten Hälfte des Buches störte mich das langsame Tempo der Erzählung Zunehmens - es zog sich durch Detailreichtum und die ständigen Wiederholungen. Doch vermutlich war das, was der Autor bezwecken wollte, war der erste Teil der Flucht doch geprägt von langweiligem Warten. Zwischendurch jedoch waren immer wieder kleine Highlights, beispielsweise die Beschreibung über die Fluchtpassage mit einem Boot. Zamora beschreibt das Erlebte so eindringlich, dass ich das Gefühl hatte, es selbst mit zu erleben - besonders die Gerüche schienen sich lebhaft zu formieren, auch das Durchdrehen eines Mannes am Boot und die Hilflosigkeit ob der Grausamkeit der Situation, die Javier stark zusetzt, beeindrucken mich nachhaltig.
In der zweiten Hälfte des Buches änderte sich der Ton, alles wird beschleunigt, teilweise sogar rasant, was natürlich auch mit dem Fortgang der Geschichte zu erklären ist. Der Gang durch die Wüste ist hochgefährlich und nicht alle schaffen es lebendig durch die Ödnis. Die mehrfachen Wüstenquerungen setzen Javier besonders zu und dementsprechend mitgerissen wurde ich durch das Erzählte. Als die Flucht geschafft ist und der Abschied von seiner temporären Familie bevorsteht, die ihn nun über Monate begleitet, gestärkt hat und von der er doch ein wenig von der ersehnten Nähe bekam, hat es der Autor endgültig geschafft mich zum Weinen zu bringen. Und auch das letzte Kapitel, das uns einen kleinen Einblick gibt, was aus Javier Zamora geworden ist und weshalb er dieses Buch geschrieben hat, ist zutiefst berührend und lässt hoffen, dass seine Geschichte noch nicht zu Ende erzählt ist.
Mein Fazit: "Solito" ist ein absolut lesenswertes Buch über die reale Fluchterfahrung eines Kindes, die lange nachhallt. Speziell im zweiten Teil schafft es der Autor, Spannung und tiefes Mitempfinden zu erzeugen, sodass die Geschichte im Kopf lebendig wird. Einen Stern Abzug bekommt es jedoch durch das m.E. unpraktische Glossar und dem zu überbordenden Detailreichtum im ersten Teil des Buches.
Frühjahr 1999: Javier Zamora ist erst neun Jahre alt, als er seine Kleinstadt in El Salvador verlassen und seinen Eltern in die USA folgen soll. Bis dahin war er behütet bei seinen Großeltern und seiner Tante aufgewachsen. Nun aber hält ihn seine Familie bereit dafür, die riskante illegale Migrantenroute in die Vereinigten Staaten zu nehmen. Mit einem Schleuser, aber ohne die Begleitung von ihm vertrauten Personen soll der Junge tausende Kilometer quer durch Mittelamerika und über die US-amerikanische Grenze bewältigen. Doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht…
„Solito“ ist ein Memoir von Javier Zamora.
Das autobiografische Buch besteht aus neun Kapiteln, die anhand der Tage in weitere Abschnitte untergliedert sind. Das erzählte Geschehen umfasst die Zeit vom 16. März 1999 bis zum 11. Juni 1999, wobei es eine Art Nachtrag vom 5. April 2021 gibt.
Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Javier, streng chronologisch und mit kindlicher Erzählstimme. Letzteres hat die Folge, dass die mitunter sehr detaillierten Schilderungen zwar anschaulich und atmosphärisch, jedoch Syntax und Vokabular recht einfach gehalten sind. Nur an einigen wenigen Stellen fallen starke Bilder und sprachlich beeindruckende Beschreibungen auf. Auch das angehängte Glossar kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ungerechtfertigte Häufung spanischer Begriffe und Wendungen leider das Verständnis des Textes und das Lesevergnügen trübt.
Besonders gelungen ist die Figurenzeichnung, was den Protagonisten Javier und seine Familienmitglieder angeht. Andere Personen bleiben größtenteils etwas eindimensional und zum Teil schablonenhaft, was ich allerdings der kindlichen Perspektive zuschreibe und nicht als Manko empfunden habe.
Aus inhaltlicher Sicht halte ich das Memoir für ein wichtiges Zeitdokument, um die Herausforderungen und Probleme von Flüchtlingen und Migranten zu illustrieren. Das Buch macht nachdenklich, rüttelt auf und bietet viel Diskussionsstoff. Es stellt daher einen bedeutsamen gesellschaftlichen Beitrag zur Thematik dar und steht exemplarisch für die Geschichte vieler anderer illegaler Auswanderer.
Auf den fast 500 Seiten gibt es die eine oder andere Länge. Überwiegend hat mich das Geschilderte aber gut unterhalten und emotional bewegt. Obwohl von Anfang an klar ist, dass letztlich die Bemühungen für Javier erfolgreich waren, ist der Text immer wieder spannend und fesselnd.
Trotz des recht großen Umfangs habe ich an mehreren Stellen den Kontext vermisst. Zu viele Fragen bleiben am Ende offen. Unter anderem geht für mich nicht eindeutig genug hervor, weshalb zunächst seine Eltern und schließlich Javier diese Tortur auf sich nehmen mussten. So fehlt mir auch nach der Lektüre jegliches Verständnis dafür, ein noch so junges Kind alleine auf diese gefährliche Route zu schicken.
Das reduzierte Cover sticht angenehm aus der Masse hervor. Es passt hervorragend zum Inhalt. Der prägnante Titel ist ebenfalls eine gute Wahl.
Mein Fazit:
Zwar hat mich „Solito“ in sprachlicher Hinsicht enttäuscht und weist inhaltliche Lücken auf. Das Memoir von Javier Zamora ist dennoch absolut lesenswert und eine besondere Lektüre.
Was sind 6-7 Wochen? Eine kurze, überschaubare Zeit dachte ich vor diesem Roman, doch das, was der 9 jährige Javier Zamora, der Autor dieses beeindruckenden Buches, seinen Lesern erzählt, zeigt, dass diese Zeit einen Menschen sehr stark verändern und prägen kann.
Die Flucht aus El Salvador, um zu den Eltern zu gelangen, die schon seit einiger Zeit dort sind, gestaltet sich als sehr strapaziös und belastend für den Jungen.
Der Autor erzählt wie er diese Zeit erlebt hat, in kleinen Schritten, man hat das Gefühl diese Reise gemeinsam anzutreten. Javier reist ein kleines Stück gemeinsam mit seinem Großvater, doch er weiß, dass dieser nicht mitgehen wird. Er begleitet ihn nur bis Guatemala, und versucht ihm vor der schweren Etappe noch nützliche Dinge beizubringen.
Die Trennung von seiner Oma und seiner Tante fällt ihm sehr schwer, wuchs er dort doch sehr behütet auf, und wurde geliebt. Doch die Sehnsucht nach den Eltern ist dennoch groß und auch sie fiebern dem Tag entgegen ihren Sohn wieder bei sich zu haben, trotz des gefährlichen Weges gehen beide Seiten dieses enorme Risiko ein.
Als sein Großvater ihn dann verlässt, hat er Vorsorge getroffen, dass ein junger Mann den er kennt, der ebenfalls über die Grenze fliehen will, sich Javier annimmt. Doch es kommt ganz anders, es kristallisiert sich bald heraus, dass er bei der jungen Mutter Patricia und deren Tochter Carla und dessen Bekannten Chino besser aufgehoben ist. Sie helfen ihm, obwohl sie kein Geld vom Opa bekommen haben aus reiner Nächstenliebe. Diese Menschen sollen zu einem wichtigen Stützpfeiler des Kindes werden…..
Die Flucht selbst ist sehr anschaulich beschrieben. Die Not, die Entbehrungen, die Strapazen und die Angst schimmern durch, auch wenn Javier in seinem kindlichen Denken einiges nicht klar definiert. Oft mutet es wie ein Abenteuer an, wie sollte ein Kind auch anders damit umgehen.
Das Buch hat mich sehr mitgenommen, man kann sich gar nicht vorstellen was für Gefahren sich so viele Menschen aussetzen. Auch heute gibt es noch viele Menschen, die ein ähnliches Risiko eingehen wie Javier und seine Reisegefährten, und nicht jedem ist es vergönnt dies auch zu überleben. Ein wichtiges Buch, eines Autors, von dem ich gerne ein weiteres Stück aus seinem Leben in Buchform lesen würde.
Javier Zamora, ein heute in den USA lebender Lyriker, erzählt in seinem ersten Roman die Migrationsgeschichte eines 9jährigen Jungen. Es ist seine eigene Geschichte.
1999 macht er sich auf eine wochenlange Reise quer durch Mittelamerika, von San Salvador über Guatemala und Mexiko bis in die USA, dorthin, wo seine Eltern leben. Der Vater floh vor dem Bürgerkrieg im Land, da war sein Sohn etwas mehr als ein Jahr alt. Die Mutter folgte ihrem Mann vier Jahre später. Der Junge wächst bei seinen Großeltern und seinen Tanten auf. Es ist eine arme, aber behütete Kindheit und Javier hat sich zu einem klugen, etwas schüchternen Jungen entwickelt.
Ein Versuch, ihren Sohn mit falschen Papieren in einen Flieger zu setzen, schlug fehl und als Illegale hatten die Eltern keine Möglichkeit, ihn auf legale Weise zu sich zu holen. Nun ist endlich genug Geld gespart, um einen Schleuser, einen sog. „Koyoten“, zu bezahlen. Der Großvater begleitet seinen Enkel noch auf der ersten Etappe und übergibt ihn dann Don Dago, der schon die Mutter erfolgreich außer Land geschleust hatte.
Es beginnt eine abenteuerliche und lebensgefährliche Odysee für die siebenköpfige Gruppe um Javier. In Bussen und Lastwagen, auf einem Boot und zu Fuß, Tausende von Kilometer unterwegs. Dazwischen immer in Verstecken und Verschlägen, tagelang wartend auf neue Anweisungen oder Transportmöglichkeiten. Dazu kommt die ständige Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden. Zweimal scheitert ihr Fluchtversuch, erst beim dritten Mal schaffen sie es über die Grenze.
Das alles beschreibt Javier Zamora detail- und bilderreich auf beinahe 500 Seiten. Auch wenn ich anfangs gehadert habe mit der kleinteiligen Schilderung dieser Flucht, so vermittelt der Autor damit doch sehr authentisch, wie eine solche ganz konkret abläuft und wie es sich anfühlt. Lange Phasen des Wartens und der Langeweile werden unterbrochen durch Phasen der Anspannung und der Gefahr. Das wirkt nicht nur sehr realistisch, sondern macht die Lektüre auch so bedrückend.
Die Hitze, der Durst, die körperliche Anstrengung und Erschöpfung , das alles wird erlebbar gemacht. Bei der lebensgefährlichen Bootsfahrt z.B. spürt der Leser das bedrohliche Schaukeln der Wellen, riecht den permanenten Gestank von Benzin und Kotze, hört das unablässige Lärmen des Motors und fühlt die brennende Sonne und die Kälte der Nacht. Und er hält den Atem an bei jeder Polizeikontrolle, oder wenn Scheinwerfer die Wüste erhellen oder Hubschrauber über den Flüchtenden kreisen. So wird dem Leser ganz eindringlich und nachfühlbar vor Augen geführt, was Menschen auf sich nehmen für ein Leben mit einer Zukunftsperspektive. Denn dort, woher sie kommen, haben sie keine. Deshalb bezahlen sie viel Geld und riskieren ihr Leben.
Javier Zamora hat sich bei seinem Buch für die Kinderperspektive entschieden. Er schreibt konsequent aus der Sicht seines 9jährigen Ichs, nicht aus der Rückschau und mit dem Wissen des Erwachsenen. So wird einem immer wieder bewusst, dass es ein Kind ist, dem dies alles widerfährt.
Die kindliche Perspektive mag den Leser manchmal nerven, wenn Javier alles aufführt, was er sieht und was er fühlt, Wichtiges und Unwichtiges. Oder sie kann den Leser unbefriedigt zurücklassen, weil wichtige Informationen fehlen ( Warum musste der Vater das Land verlassen?) oder weil viele der begleitenden Figuren blass bleiben. Aber ein Kind beobachtet alles um sich herum, durchschaut aber nur Weniges.
Eine sprachliche Besonderheit sind die zahlreichen spanischen Brocken, mit denen der Text durchsetzt ist. Im Anhang findet sich dazu ein Glossar, das leider nicht alphabetisch geordnet ist und vieles garnicht aufführt. Das Nachschlagen hemmte auf Dauer so meinen Lesefluss, dass ich mich dagegen entschied. Damit fühlte ich mich in einer ähnlichen Situation wie viele Migranten, die auch nicht jedes Wort verstehen.
Javier war das, was bei uns im Amtsdeutsch als „ unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ gilt. Und man denkt unwillkürlich, dass Kinder solche Erfahrungen nicht machen sollten. Oft fühlt er sich einsam, sehnt sich nach Zuwendung. „ … solo, solito, solito de verdad“ ( allein, ganz allein, mutterseelenallein).
Zu seinem Glück nimmt sich eine Frau und ein junger Mann seiner an. Die bilden zusammen mit der etwas älteren Tochter der Frau eine Art Ersatzfamilie für ihn. Sie kümmern sich, teilen das Essen und den Schlafplatz mit ihm, tragen ihn durch die Wüste, als er nicht mehr kann.
Und am Ende, als er in den USA angekommen ist, freut sich Javier zwar auf seine Eltern, doch der Abschied von seiner Zweitfamilie fällt ihm schwer. Er wird sie nicht nur vermissen, nein, sie fehlen ihm auch als Zeugen für das Erlebte, denn niemand sonst in seiner neuen Umgebung wird verstehen oder nachempfinden können, was diese Zeit ihm bedeutet.
Der Autor hat sie nie mehr getroffen, aber er widmet ihnen sein Buch : „ Für Patricia, Carla, Chino & alle Immigranten, die ich auf dem Weg in die USA kennenlernte und nie wiedersah. Ohne euch wäre ich nicht hier“
Javier Zamora hat seine traumatische Flucht jahrelang in sich verschlossen, bis er sie mit therapeutischer Hilfe verarbeitet hat. Das Ergebnis liegt uns nun als Buch vor.
Nach der Lektüre betrachtet man das sog. „ Flüchtlingsproblem“ nochmals mit anderen Augen. Es wäre zu wünschen, dass möglichst viele dieses „ Memoir“ lesen . Es ist keine einfache Lektüre, aber eine, die lange nachhallt.
Interessiert wäre ich an einer Fortsetzung, denn das hier ist eine reine Fluchtgeschichte, die das Danach ausspart.
Unverständlich bleibt, warum der Verlag dem Buch keine Karte mit dem Fluchtweg vorangestellt hat.
... sind für jeden gleich fordernd, und doch sehr unterschiedlich. Gedanken und Wünsche ändern sich mit dem Alter, aber auch Bildung und Lebensstandard entscheiden über Wege, die man zu gehen bereit ist. Wenn diese Wege Ländergrenzen überschreiten, ist das Konfliktpotential groß.
Der autobiografische Javier ist gerade einmal 9 Jahre alt und führt ein behütetes Leben bei seinen Großeltern in El Salvador, als seine Eltern, die vor Jahren schon in die USA geflohen sind, Ende der 1990er beschließen, dass ihr Sohn zu ihnen kommen soll. Javier weiß, dass seine Eltern für eine bessere Zukunft die Heimat verlassen haben, Bürgerkrieg und Zerstörungen sind in seinen jungen Jahren allenfalls Geschichten. Die Sehnsucht nach seiner Mutter ist groß, das Spielzeug, dass ihm seine Eltern aus den USA schickten und die Soaps im TV versprechen ein paradisisches Leben mit Auto und Swimming Pool neben dem Bungalow im gelobten Land.
Der gleiche Schleuser, der damals seine Mutter in nur 14 Tagen so problemlos über die Grenzen brachte, wird auch für Javier engagiert. Sein Großvater bringt ihn noch bis nach Guatemala, wo er seinen Enkel mit letzten Ratschlägen in die Hände Fremder gibt und dann beginnt die Odyssee für unseren Solito, dem Alleinreisenden.
Die Menschheitsgeschichte ist geprägt von Wanderungen. Kriege, Seuchen, Klima, die Gründe sind genauso zahlreich, wie die Konflikte, die daraus entstehen. Die us-amerikanische Grenze zu Mexiko ist eine berühmt-berüchtigte. Die USA setzen alles daran, illegale Einwanderung zu unterbinden. Ein ungleiches Wettrüsten zwischen Grenzschutz und Schleuser kennzeichnet die Nachrichten und Meldungen.
Unbedarft dieser ganzen judikativen Verletzungen, die das Kind begeht, der Exekutiven, die ihm in Form von "den Bösen" über den Weg läuft, muss Javier seine ganz eigenen Grenzen überschreiten. Darf er die Erwachsenen damit stören, dass er seine Schuhe gebunden haben will? Wo kann er sich, seine Angst vor WCs verheimlichend, erleichtern? Er muss seine Fluchtrute auswendig lernen, Verhaltensregeln verinnerlichen, Mut zeigen, Unsicherheiten verbergen, fremde Wörter wie alte Bekannte benutzen und bei jedem Fehler sich schuldig fühlen. Auf den gefährlichen Routen durch Wüsten, unter und über Zäune und schmerzhaften Kakteenfeldern, wächst ihm seine zugeteilte Flüchtlingsfamile ans Herz.
Die kindliche Sicht in dieser Geschichte wird konsequent eingehalten. Das mag dem Leser auf den ersten Blick infantil erscheinen. Zudem spicken zahlreiche spanische Wörter und ganze Sätze den Text, die alsbald die Konzentration auf die Probe stellen. Ein Hin- und Herblättern zum anschließenden Glossar ermüdet, Fußnoten und eine geografische Karte im Vorsatz hätten dem Buch gute Dienste geleistet. Diese Bequemlichkeiten aber hätten dem Geiste von Javiers körperlichen und geistigen Anstrengungen auf seiner Flucht widersprochen. Der erwachsene Schriftsteller und Aktivist hat hier seine innersten Geheimnisse preisgegeben, seine Albträume verarbeitet.
Im Nachgang wird mir bewusst, wieviel ich über die andere Seite unserer priveligierten Sicht auf Mauern und Zäune und seine Welt der Schleuser, Fluchtorganistionen und Helfern lernen durfte. Aber vor allem der Gedanke, was es mit den Jüngsten der Emigranten macht, welche Eindrücke sie von der Welt bekommen, in der sie, jeder Einzelne, ein wertvolle Resource für unsere Zukunft werden sollen, lässt mich nicht los. Das schreit geradezu nach einer anderen Legislative. Die drei Pfeiler der Gewaltenteilung sind menschengemachte Vereinbarungen, lassen wir sich nicht zum Recht des Stärkeren verkommen.
Fazit: Lesen und wirken lassen!
"Dieses Buch ist […] für alle, die die Grenze überquert haben, die es versucht haben, die es jetzt im Augenblick tun und weiter versuchen werden." (Schlusssatz S. 472)
Als kleinstes Land Zentralamerikas stellt El Salvador trotzdem die zahlenmäßig zweitgrößte Gruppe nach Mexiko bei der jährlichen illegalen Einwanderung in die USA. Auch die Eltern des 1990 in El Salvador geborenen Autors Javier Zamora flohen vor dem Bürgerkrieg und dessen Folgen: der Vater vor dem zweiten, die Mutter vor dem fünften Geburtstag ihres Sohnes. Javier wuchs arm, aber liebevoll behütet von den Großeltern und einer Tante als Klassenbester einer Nonnenschule auf. Ohne Chance auf eine legale Familienzusammenführung sparten die Eltern für einen Schleuser, der Javier schließlich im Alter von neun Jahren 1999 innerhalb von zwei Wochen zu ihnen nach Kalifornien bringen sollte. Die „Reise“, die am 6. April 1999 begann, dauerte jedoch bis zum 11. Juni 1999 und führte über etwa 3500 Meilen (ca. 5650 Kilometer) durch Guatemala und Mexiko nach „La USA“. Sieben Wochen lang wusste die Familie nichts über Javiers Verbleib, bis der erlösende Anruf kam und die Eltern ihn abholten:
"Mein Name dröhnt durch den Raum. Zwei Schatten erscheinen. Endlich." (S. 459)
Danach wurde über die traumatischen Erlebnisse geschwiegen. Erst eine notwendig gewordene Therapie holte die Erinnerungen zurück, die sich im Debütroman "Solito" des Lyrikers niederschlagen, einer wahren Geschichte, einem Memoir über die Odyssee eines unbegleiteten Flüchtlings.
Abschied und Aufbruch
Am Beginn steht der Abschiedsschmerz, abgemildert durch Vorfreude auf die Eltern und die Verlockungen von „Gringolandia":
"Das Land der Filme, das Land von Popcorn, von Pizza in Schulcafeterien, von Schneeballschlachten, von Swimmingpools, von Toys „R“ Us und McDonald’s." (S. 252)
Familie auf Zeit
Bis Guatemala begleitet ihn der Großvater, dem er in diesen Tagen so nah wie nie zuvor kommt, dann ist Javier allein in seiner kleinen Flüchtlingsgruppe. Schon die Reise zur Grenze zwischen Mexiko und den USA mit Bussen, Lastwagen, Bicitaxis und einem kaum seetauglichen Boot ist lebensgefährlich, immer wieder gibt es Verzögerungen, Planänderungen und Razzien. Wie in einer Perlenkette werden die Flüchtlinge in Gruppen wechselnder Größe von einem „Kojoten“ (Schleuser) zum nächsten und von Versteck zu Versteck weitergereicht. Das alles ist jedoch ein Kinderspiel im Vergleich zum Höllentrip durch die Sonora-Wüste, den Javier dreimal erleidet. Seine Rettung ist die Fürsorge und Menschlichkeit seiner Mitflüchtlinge, des 19-jährigen Chino und Patricia mit ihrer zwölfjährigen Tochter Carla:
"Unsere Schatten sind ganz klein, aber sie berühren einander. Wir sind ein einziger großer Schatten. Unsere eigene Familie." (S. 451)
Perspektive und Stilmittel
"Solito" ist ein ebenso anrührender wie aufwühlender Roman, der durch die strikte Perspektive des tapferen Neunjährigen komplett auf politische Erklärungen verzichtet und stattdessen von Menschlichkeit unter unmenschlichen Bedingungen erzählt. Was allerdings zur Verarbeitung seiner Erlebnisse für den Autor wichtig, für mich als Leserin jedoch zumindest in der ersten Hälfte ermüdend war, ist die Detailgenauigkeit, die ein Originalzeitgefühl vermittelt. Diese repetitiven Längen sind ebenso Stilmittel wie die permanenten spanischen Einschübe, deren Nachschlagen in einem kapitelweise geordneten Anhang den Lesefluss ohne Mehrgewinn bremst. Schmerzlich vermisst habe ich außerdem eine Landkarte.
Trotz dieser Kritikpunkte empfehle ich den eindrücklichen Roman als horizonterweiternden Beitrag zur anhaltenden Flüchtlingsdebatte weltweit. Sollte es eine Fortsetzung aus Erwachsenenperspektive ähnlich dem kurzen Nachklapp aus dem April 2021 geben, ich wäre garantiert dabei.
Ein neunjähriger Junge – der Autor – macht sich auf die Reise von El Salvador nach Tuscon, Arizona. Er überquert dabei illegal drei Landesgrenzen und legt per Bus, Schiff, Truck und zu Fuß gut 4500 km zurück – ganz allein: Solito.
Die ersten 100 Seiten sind Javiers Leben in La Herrera gewidmet. Javier verlässt ein ärmliches, aber liebevolles und sicheres Umfeld, um zu Eltern zu gelangen, deren Verhalten ihm gegenüber nicht immer gewaltfrei war. Er hat die Reise überlebt, was keineswegs selbstverständlich war. Sie dauerte nicht die erwarteten zwei, sondern ganze 9 Wochen.
Das Buch vermittelt wirkungsvoll die unglaublichen Strapazen und Gefahren, die Migranten auf sich nehmen. Primitive Unterkünfte, Gewaltmärsche, schlechtes Essen, ständige Angst. Viel Langeweile durch tatenlose Wartezeiten wechseln sich ab mit gefährlicher Action: Javier ist gezwungen, innerhalb sehr kurzer Zeit und viel zu früh erwachsen zu werden. Zum Glück findet er bald Mitreisende, die sich um ihn kümmern: Patricia, die mit ihrer Tochter Carla unterwegs ist, und Chino, ein junger Mann von gerade mal 19 Jahren, den Javier an seinen Bruder erinnert. Ohne diese beiden hätte er die Reise nicht überlebt.
Aufschlussreich die Schilderung der Schleuserkette – die Reisenden werden wie Staffelstäbe weitergereicht, es müssen Transportmittel, Orte zum Übernachten, Verpflegung und Körperhygiene organisiert werden – war mir so nicht bekannt. Die illegale Migration ist ein großes Geschäft, von dem viele Menschen leben.
Gelungen fand ich den kindlichen Erzählton, den konsequent durchgehalten wird. Durch Javiers naive Augen sehen wir die lateinamerikanische Macho-Gesellschaft, die der Junge nicht in Frage stellt. Alle Frauen schminken sich, Männer pöbeln, trinken, sind gewalttätig. Die USA werden über die Maßen idealisiert. „Gringolandia. Das Land der Filme, das Land von Popcorn, von Pizza in Schulcafeterien, von Schneeballschlachten, von Swimming Pools, von Toys `R´ Us und McDonalds.“ In Interviews spricht Zamora über die riesige Enttäuschung, die er angesichts der realen USA empfunden hat. Er spricht über psychosomatische Störungen, Gedächtnislücken, Depressionen. Sein Trauma wurde Jahrzehnte lang nicht behandelt – bis er sich 2020 in psychotherapeutische Behandlung begab, bei der sich erwies, dass er sich seiner Erinnerung stellen muss. Das tat er - dieses Buch ist also quasi als Nebenprodukt seiner Traumatherapie entstanden. So liest es sich auch.
Es gibt wenig bewusste Gestaltung, die Erzählung ist strikt linear und stilistisch eher einfach; überraschend, denn Zamoras schriftstellerische Karriere begann als Lyriker. Was nervt, sind die vielen spanischen Vokabeln, die eingestreut werden und durchaus nicht immer übersetzt werden können. Es wäre zudem hilfreich gewesen, wenn das Glossar am Ende des Buches alphabetisch geordnet gewesen wäre. Insgesamt war mir der Erzählstil viel zu kleinteilig, ich muss nicht jedes Detail von Morgen- und Abendtoilette erfahren. Und obwohl alle Handlungen minutiös geschildert werden, bleiben seine Reisegefährten als Figuren blass und ohne Tiefe. Daher habe ich mich bei aller objektiven Dramatik immer mal wieder gelangweilt und streckenweise halbe Seiten übersprungen.
Ich habe beim Lesen oft mit dem Buch gehadert, aber eins muss man Zamora lassen: Sein Stoff bleibt hängen – er hat den Klang der Wahrheit. „Solito“ hat meinen Blick auf die Migration verändert. Man sollte es den politischen Entscheidern in den USA und anderswo zu lesen geben.
Ich will nicht verhehlen, dass es zum Buch viele begeisterte Stimmen gibt. Ich kann mich dem leider aus verschiedenen Gründen nicht anschließen. Dabei handelt es sich eigentlich um eine hochdramatische, aktuelle Geschichte. Es geht um das, was der Autor Javier Zamora als Neunjähriger selber erlebt hat, eine Flucht mit einer von Schleusern geführten Gruppe von San Salvador über Guatemala und Mexiko in die USA, wo seine ebenfalls geflohenen Eltern auf ihn warten.
Sehr ausführlich schildert der Autor zunächst das Leben des Jungen bei seinen Großeltern, ein ärmliches, aber behütetes Leben. Doch als er neun ist, bezahlen seine Eltern eine Schleuserorganisation und der kleine Junge wird ohne familiäre Begleitung alleine (solo, solito) auf eine gefährliche Reise geschickt.
Von Anfang an haben mich einige Dinge gestört: zum einen die ständigen Wiederholungen unwichtiger Alltagshandlungen, die allzu kindlich sein wollende Sprache mit kurzen Sätzen, gleichen Satzanfängen, Ein-Wort-Sätzen. Darüber kann man hinwegsehen, aber was mich bis zum Schluss im Lesefluss erheblich gestört hat, sind die vielen spanischen Ausdrücke und Sätze. Hinten gibt es ein Glossar, das aber nicht alphabetisch, sondern nach Kapiteln angeordnet ist. Kommt ein Wort später erneut vor und man versteht es nicht, wird man es kaum wiederfinden. Auffällig ist auch die ständige Verwendung des Wörtchens 'también' (=auch), das man ebenso wie etliches andere besser übersetzt hätte.
Anfangs klingt die Reise mit Fahrzeugen relativ unkompliziert, aber je näher man dem gelobten Gringolandia kommt, dem Traumland La USA, von dem alle falsche Vorstellungen haben, geprägt durchs TV, desto schwieriger, gefährlicher und entbehrungsreicher wird die Lage. Es braucht drei Versuche, zu Fuß, um die u.a. mit Zäunen gesicherte Grenze zu überwinden und besonders die Durchquerung der Sonora-Wüste, von Hunger und Durst begleitet, ist traumatisch. Hier macht sich endlich einmal das lyrische Talent des Autors in bildhaften Sätzen bemerkbar. Davon hätte ich mir vorher mehr gewünscht.
Inzwischen ist der kleine Javier nicht mehr ganz alleine, sondern es hat sich ein familienähnliches Grüppchen herausgebildet, wo sich zwei Erwachsene in liebevoll anrührender Fürsorglichkeit des elternlosen Jungen annehmen.
Klingt es anfangs so, als ob einiges von Javier spielerisch bewältigt würde, wird am Ende klar, dass es traumatische Erfahrungen für ihn waren, so dass er sich als Erwachsener in therapeutische Behandlung begibt. Daraus ist dieses Buch entstanden, also eine Aufarbeitung des Erlebten. Nicht unerheblich ist dabei wohl auch die Trennung von seiner 'zweiten Familie', denen er seinen letzten Satz widmet: "Und Chino, Patricia und Carla, wo immer ihr seid, ich verdanke euch mein Leben, ich trage euch in mir, siempre."
Fazit
Ein wichtiges Thema, hochaktuell, besonders dramatisch, weil es um ein Kind geht, aber leider haperte es für mich an der Umsetzung, wobei die allzu vielen spanischen Wörter und Sätze, die den Lesefluss störten, mein Hauptkritikpunkt sind, so dass ich mich emotional nicht so auf diese Geschichte einlassen konnte, wie es eigentlich angemessen gewesen wäre.
Außer einem geordneten Glossar hätte ich mir bei so einem hochwertigen Hardcover mit Lesebändchen auch noch eine Karte gewünscht, um den Fluchtweg besser verfolgen zu können.
Wer sich möglicherweise nicht am zu vielen Spanisch stört (auch Slang und landestypische Ausprägungen), dem könnte das Buch wegen der dramatische Reise und der Mitmenschlichkeit einiger Personen dennoch gut gefallen.
Der 9jährige Javier Zamora lebt in einer kleinen Stadt in El Salvador mit seiner Tante und seiner Kusine bei den Großeltern. Der Vater ist acht Jahre zuvor vor den Todesschwadronen geflohen, die Mutter ist ihm vier Jahre später nach Kalifornien gefolgt. Jetzt hat der Großvater den Schleuser Don Dago beauftragt und bezahlt, das Kind über die Grenze zu bringen. Die Aktion soll zwei Wochen dauern. Die Gruppe ist mit Booten und Lastwagen unterwegs. Sie werden von der Grenzkontrolle La Migra zwischen Mexiko und Kalifornien geschnappt, bedroht, eingesperrt und schließlich über die Grenze zurückgebracht. Es gibt noch zwei weitere Versuche. Die Gefahren und Härten sind unvorstellbar. Hunger und Durst, nächtliche Märsche durch die Wüste, Verletzungen durch Kakteen, und immer wieder werden sie fast von den Wachposten an der Grenze erwischt. Javier war von Anfang an Teil einer kleinen Gruppe, die zunächst aus sechs, später nur noch aus vier Personen besteht. Seine engsten Bezugspersonen werden Patricia mit ihrer zwölfjährigen Tochter Clara, sowie ein junger Mann namens Chino, der zum Schluss die Kinder abwechselnd auf dem Rücken trägt, wenn sie nicht mehr laufen können. Bei Kontrollen geben sie sich als Familie aus, und genauso wirken sie auf den Leser bis hin zum emotionalen Abschied am Ende der etwa siebenwöchigen Flucht.
Die autofiktionale Geschichte ist sehr berührend und zeigt, wie wichtig Empathiefähigkeit ist ebenso wie die Bereitschaft, anderen in Notsituationen selbstlos zu helfen. Der Autor schafft durch unzählige spanische Ausdrücke eine authentische Atmosphäre. Obwohl es ein Glossar gibt, führen diese zu Störungen im Erzählfluss. Ohnehin ist die Darstellung teilweise zu detailliert und nicht frei von Wiederholungen. Dennoch ist dies ein wichtiges Buch auch angesichts der Flüchtlingsdebatte in Europa. Auch gar nicht so weit von uns entfernt nehmen Menschen die gefährliche Flucht in Booten über das Mittelmeer auf sich, um von Afrika aus in das gelobte Land zu gelangen, kommen zu Hunderten ums Leben und werden – wenn sie es denn geschafft haben – nicht mit offenen Armen empfangen. Nach der Lektüre dieses Buches frage ich mich als Leserin, wie weit meine eigene Empathiefähigkeit geht. Ein sehr empfehlenswertes Buch.
Mein Lese-Eindruck:
El Salvador 1999: Korruption, eine nicht funktionierende Justiz, wirtschaftliche Probleme. Armut, Alkoholismus und vor allem Gewalt, wohin man sieht, im staatlichen und im familiären Bereich: mit den Augen eines Kindes beschreibt Zamora in Episoden, oft nur in Nebensätzen die Welt, in der er groß geworden ist. Seine Eltern sind illegal in die USA eingewandert, und so bleibt ihnen auch nur der illegale Weg, ihren Sohn nachzuholen. Der 9jährige Javier begibt sich auf den Weg, der sich als lebensgefährliche Route entpuppt, und nach über 20 Jahren ist er nun in der Lage, die traumatische Geschichte seiner wochenlangen Flucht zu erzählen.
Javiers Geschichte ist beeindruckend. Er erlebt ein Höchstmaß an Einsamkeit, Angst und Hilflosigkeit, und er erkennt selber, dass er nun seine Kindheit hinter sich lässt. Er erlebt aber auch die selbstlose Zuwendung von Menschen, die vor allem bei der tödlichen Durchquerung der Sonora-Wüste sein Überleben ermöglichen.
Auch die Weise, wie Zamora seine Geschichte erzählt, ist beeindruckend. Er bleibt streng bei der Perspektive des Kindes. Dadurch entstehen Leerstellen, die er der Phantasie des Lesers überlässt und der dadurch z. B. zur grausigen Überzeugung kommt, dass außer Javier und seinen drei Begleitern niemand aus dem Treck die Durchquerung der lebensfeindlichen Sonora-Wüste überlebt hat. Durch eine meist parataktische, eher einfache Sprache ahmt er den Sprechduktus des Kindes nach und verleiht dem Erzählten eine beklemmende Authentizität – und die wird wiederum gesteigert durch kindliche Erinnerungen an Tiere, an das Aussehen der Pflanzen, an Gerüche und Geschmäcke. Es ist erstaunlich, mit welcher Intensität Zamora sich erinnert, auch an das Aussehen, die Gesten und die Sprache anderer Menschen.
Hier zeigt Zamora seine Sprachkunst: jedes Wort und jeder Satz sitzt, alles ist durchdacht, und auch anrührende Stellen werden in einer kunstvollen sprachlichen Verhaltenheit erzählt, ohne in Sentimentalität und Larmoyanz abzurutschen.
Zur Authentizität gehört auch die ständige Verwendung spanischer Begriffe. Das Nachschlagen im Glossar bremste den Lesefluss sehr, aber der Kunstgriff hat seine Funktion. Das erzählende Kind vergewissert sich damit seiner Herkunft und seiner Heimatsprache. Und der erzählende Autor geht einen Schritt weiter: er versetzt seinen Leser damit in die Rolle eines Migranten und lässt ihn die sprachlichen Barrieren selber erleben, denen ein Migrant ausgesetzt ist. Damit werden die Einsprengsel über die Frage der Authentizität hinaus zu einem Symbol für die Heimatlosigkeit dieser Menschen bzw. für den Verlust ihrer alten Welt.
Insgesamt ein ungemein beeindruckendes Lese-Erlebnis, das den Blick weitet!
Warum fliehen Menschen aus El Salvador, einem kleinen Land am Pazifik, ein tropisches Paradies, warm , fruchtbar und bunt. Warum nehmen Menschen diese lebensgefährliche Flucht auf sich, um in den USA schlecht bezahlte Hausangestellte und Hilfsarbeiter zu werden. Die Antwort liegt in der Politik der USA, nicht zuletzt in dem Massaker von El Mozote von 1981. Seit dieser Zeit gehört El Salvador zu den gefährlichsten Ländern der Welt.
Javiers Eltern sind aus dem Land geflohen und wollen ihren Sohn, der bisher bei Großvater und Verwandten wohnte zu sich holen.
Ein kleiner Junge von neun Jahren, solito - mutterseelenallein macht sich mit vielen anderen auf den Weg, ihr Leben vertrauen sie Schleppern an, die sich Kojoten nennen. Eine schreckliche Reise beginnt, zuerst über den Pazifik, nach Guatemala und Mexiko, und dort durch die lebensfeindliche Sonora-Wüste, die sie von ihrem Ziel, der Grenze trennt, immer in panischer Angst vor Entdeckung.
Das Buch ist der Bericht eines kleinen Jungen, der unterwegs versucht ein Mann zu sein, ein machismo, Selbstbeherrschung läßt ihn durchhalten und die liebevolle Zuwendung von drei völlig fremden Menschen.
Erst viele Jahre später kann er über das, was er erlebt hat reden und das Schreiben dieses Buches hat ihm bei der Verarbeitung, begleitet von einer Therapie, geholfen.
Das Buch hat seine Schwächen, doch beschreibt es eine Realität, die ein neunjähriges Kind durchmachen musste, um mit seinen Eltern leben zu können.
Ich habe schon einiges von der Autorin gelesen, was mir bisher stets gefiel. Ich bin sonst nicht der Kurzgeschichtenleser, aber hier habe ich eine Ausnahme gemacht und wurde immens belohnt.
Auch wenn es sich "nur" um einen schmalen Kurzgeschichten Band handelt, so ist es dennoch nichts was man mal eben nebenbei kurz und knapp wegliest, denn die Geschichten gehen unter die Haut und enden einfach nie mit einem Happyend.
Ditlevsen beschreibt diverse Alltagssituationen, die ich stets als sehr glaubhaft und realistisch wahrgenommen habe, weil sie einfach nichts beschönigen, sondern das Leben so schildern wie es für die meisten von uns ist: wenig schillernd und wenig aufregend und jeder muss seine Päckchen tragen.
Besonders finde ich, dass die Autorin eben schon seit Ende der 70er tot ist, ihre Geschichten aber auch aus unserer Zeit stammen könnten, weil sich eben in der Gesellschaft gar nicht so viel getan hat.
Themen sind unter anderem: Alkoholmissbrauch, schlecht laufende Beziehungen, Trennung, Einsamkeit, psychische Probleme und vieles mehr.
Ich denke die meisten Leser werden sich darin wiedererkennen und sich zumindest damit identifizieren können, weil sie ähnliche Situationen selbst erlebt oder zumindest damit in Berührung gekommen sind.
Fazit: Sprachlich fesselnd und inhaltlich berührend...
Klappentext:
„Als Judith am Morgen des Karfreitags ihr Bad betritt, ereignet sich etwas Unerwartetes: Aus dem Klo heraus schaut ihr eine Ratte entgegen. Die nächsten Tage werden auch nicht besser, denn aus heiterem Himmel trennt ihr Freund sich von ihr. Jetzt also alleinstehend mit Kind. Die nächsten Monate werden nicht einfach. Die Welt geht unter, mehrmals. Und dann wieder doch nicht. Die Seelenlage gerät durcheinander. Niemand muss den anderen nach einer Trennung am nächsten Tag noch mal wiedersehen – es sei denn, man hat ein gemeinsames Kind. Als Paar scheitern, aber zusammen Eltern bleiben ist das erklärte Ziel. Ein neuer Lebensplan muss also her, für sie drei als Patchworkfamilie, aber auch für Judith als Mutter und Single-Frau. Wie all dies gelingen kann, erzählt Judith Poznan in ›Aufrappeln‹. Sie erzählt von traurigen und ernsten, aber auch von absurden und heiteren Momenten nach einer Zäsur im Leben – aufrichtig, warmherzig und unheimlich witzig.“
Ja, den Tulpen auf dem Cover fehlt Wasser' erst dann können sie sich wieder aufrappeln und ihre Köpfe der Sonne entgegenstrecken. Oft fehlt es an bestimmten Dingen um sich wieder aufzurappeln, so auch bei unserer Erzählerin Judith. Karfreitag wird für Judith zum Start fürs Ungemach und das zieht sich so weit bis ihr Leben wirklich komplett einmal umgekrempelt ist. Ihr Partner ist weg, nun ist sie alleinerziehend und alles Elend lastet auf ihr und das auch noch sehr lange dazu. Judiths Geschichte ist eine unter vielen und dennoch lohnt es sie zu lesen. Ihr Seelenrucksack füllt sich stets und es gelingt ihr nur bedingt immer etwas Ballast abzuwerfen. Aber wie ergeht es ihrem Ex-Freund? Autorin Judith Poznan zeigt aber mit feiner Stimme und ab und an einer guten Prise Humor, dass man sich aufrappeln muss. Vogelstrauß-Politik bringt einfach nichts. Poznan zeigt in ihrer Geschichte auf wie Judith und ihr Ex-Freund Bruno sich wahrlich aufrappeln trotz allem für ihren Sohn DIE Eltern zu sein, die er braucht und verdient. Ein harter Weg, der vor beiden steht und der nur gemeinsam zu bewerkstelligen ist.
Poznans Sprache empfand ich als recht schnodderig und vielleicht soll es modern wirken aber richtig warm wurde ich so mit den Figuren nur bedingt. Wäre hier ein wenig mehr Niveau am Start gewesen, dann wäre das Buch wirklich großartig aber die Sprache stört halt schon gewaltig. Auch der Ausdruck leidet dadurch. Wie gesagt' soll es wohl den modernen sprachlichen Zeitgeist treffen aber den mag nunmal nicht Jeder.
Fazit: eine ernste Familiengeschichte die aber mit der nötigen Prise Humor recht nett zu lesen ist! 3 gute Sterne hierfür!
Aus meiner Sicht sind ja die Protagonisten Elias (ca. 40 Jahre) und Clara (Ende 40) direkt noch ‚Jungspunde‘, aber doch ‚ein paar‘ Jährchen älter als Jugendliche, die bei ihrer ersten Liebe das Gefühl haben, die ganze Welt drehe sich nur um sie. Elias und Clara haben dazu im Gegensatz schon ihre Erfahrungen (und nicht nur positive) gemacht, ihren Beruf mit seinen Verpflichtungen und auch Verantwortung gegenüber Familienangehörigen. Und doch: ‚Wer Liebe sucht, findet sie nicht, sie überfällt uns, wenn wir sie am wenigsten erwarten.‘ (George Sand) und ‚Alter schützt vor Liebe nicht, aber Liebe vor dem Altern‘ (Coco Chanel).
Ich freue mich riesig, dass Ewald Arenz sich dieses Themas annahm, denn Liebe wird ja im Allgemeinen mit den Attributen ‚jung‘ und ‚schön‘ gleichgesetzt. Und ‚Sexualität im Alter‘ ist noch eines der letzten Tabuthemen! (Den Vogel schoss ein Blogger mit seiner Aussage ab, dass Frauen nur bis 38 Jahren ‚sexuell gebrauchsfähig‘ wären! Und nachdem diese ca. 20 Jahre ‚sexueller Gebrauchsfähigkeit‘ nur ein Viertel eines durchschnittlichen Frauen-Lebens ausmachten, sah er das als ‚logische‘ Legitimation für seine serielle Monogamie.)
Hellauf begeistert hat mich auch die Hommage des Autors an meine ‚oberfränggische‘ Heimat! Ob es in Bamberg der Domplatz, unser geliebter Rosengarten und der Hain, Gößweinstein oder die Eremitage bei Bayreuth war – ich wandelte beim Lesen immer auf vertrauten Pfaden! (Sogar in diesem Klinikum wurde auch schon um mein Leben gekämpft!)
Ich empfehle dieses herzerwärmende, packende und zu Diskussionen anregende Buch einer lebenserfahrenen Leserschaft mit einem Faible für Beziehungs-Psychologie + der Fähigkeit zu gönnen! Ich kann mit all meiner Begeisterung leider nur die Höchstzahl der möglichen Sterne vergeben und bedaure das sehr!
„Fremde Vertrautheit. Ließ sich die Stimmung zwischen ihnen so benennen? Sie sprachen miteinander, als würden sie sich schon lange kennen, aber trotzdem war da dieses Prickeln der Fremdheit.“ (Zitat Pos. 1076)
Inhalt
Clara, Ende vierzig, ist Fotografin und nach dem frühen Tod ihres Ehemannes Paul hat sie nicht vor, wieder eine Beziehung einzugehen. Dann trifft sie Elias, doch dieser ist gerade in einer komplizierten Beziehung, denn Elias ist Schauspieler und pflegt sich auch im realen Leben hinter passenden Rollen zu verstecken. Mit Clara fühlt sich für ihn alles richtig an, er kann er selbst sein. Da erhält Clara ein Jobangebot im sechshundert Kilometer entfernten Hamburg, eine einmalige Chance, wie sie vermutlich nicht noch ein Mal bekommen wird. Kann diese noch so neue Liebe auch als Fernbeziehung funktionieren? Doch dann ist diese Frage plötzlich nicht das größte Problem für Clara und Elias.
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um die Liebe von Menschen, die von früheren Beziehungen geprägt sind, um die damit verbundenen Themen, Probleme und Konflikte.
Charaktere
„Es spiegelte wider, was sie nur schwer benennen konnte: dieses schwebende Gefühl zwischen Trauer und Leichtigkeit, das sie – genau wie echtes Glück – immer nur haben konnte, wenn sie allein war.“ (Zitat Pos. 340) Dieses Gefühl ist typisch für Clara.
„Dieses Gefühl, das im Frühling am stärksten war: dass alles noch kommen würde. Dass er auf etwas wartete.“ (Zitat Pos. 345) Das ist Elias.
Handlung und Schreibstil
Die Geschichte wird chronologisch erzählt, ergänzt durch Erinnerungen in Gedanken und Gesprächen, aus denen sich die Vorgeschichte ergibt. Im Mittelpunkt der einzelnen Kapitel stehen Clara oder Elias oder auch beide und die ihnen nahestehenden Personen, denn es ist auch eine Familiengeschichte. Ewald Arenz erzählt einfühlsam und mit kluger Menschenkenntnis, schildert die Probleme von Partnerschaften zwischen erfahrenen Menschen, spürt den Gedanken seiner Figuren nach, ihren Hoffnungen und Sorgen. Bis zu diesem Punkt gibt dieser Roman bereits genügend Stoff zum Nachdenken über die einzelnen Konflikte und mögliche Entscheidungen. Doch dann bringt der Autor noch ein weiteres Problem in die Geschichte und das war für mich dann zu viel, ich fühlte mich beim Lesen plötzlich wie in einer dieser TV-Serien wo auch pro Kurzfolge ein Problem das nächste jagt. Trotz der vielen Dialoge, die den Roman lebhaft machen und das Lesen angenehm, wurde das letzte Drittel der Geschichte für mich inhaltlich etwas mühsam.
Fazit
Seit ich „Alte Sorten“ gelesen habe, schätze ich den Autor Ewald Arenz sehr und freue mich, wenn ein neuer Roman von ihm auf den Markt kommt. Diesmal jedoch konnte er mich nicht vollkommen überzeugen, ich bin aber sicher, dass viele Lesende das anders sehen werden.
!ein Lesehighlight 2023!
Klappentext:
„Vom ersten Moment an wissen Clara und Elias, dass sie füreinander bestimmt sind. Damit ändert sich alles: Elias kann nicht länger verdrängen, dass er mit seiner Freundin in einem falschen Leben steckt. Und für Clara wird es Zeit, das Alleinsein aufzugeben. Auf das wilde Glück der Anfangszeit folgt die erste Bewährungsprobe, und die beiden zweifeln und kämpfen mit- und umeinander.
Kann man, nicht mehr ganz jung und beladen mit Lebenserfahrung, noch einmal oder überhaupt zum ersten Mal die große Liebe finden?“
Autor Ewald Arenz ist mit „Die Liebe an miesen Tagen“ mein erstes Lesehighlight im noch jungen Jahr 2023. Arenz ist ein Wortspieler und findet irgendwie immer den richtigen Ton, den richtigen Nerv, das richtige gedankliche Bild was man beim lesen so hat, kurzum: er ist einfach ein ganz besonderer Autor mit dem Gespür für besondere Geschichten.
Ja, es gehört schon viel dazu auch an schlechten, an miesen Tagen immer zu seiner Liebe zu stehen, selbst an grauen Tagen zu lachen oder eben genau das zu tun obwohl die Welt eigentlich gleich sich in Wohlgefallen auflösen könnte. Wenn Schmerzen tief sitzen, nützt einem die Welt auch nichts mehr, gerade wenn man wie Clara und Elias hier ein solches Gefühlschaos erlebt. Clara hat einen Teil ihres Lebens bereits gelebt und viel erleben müssen und bei Elias sieht es nicht anders aus. Kann man denn sich nochmal neu verlieben ohne das einen gleich der Blitz trifft nach dem Motto das darf doch nicht sein? Arenz gibt uns Lesern hier eine wunderbare Geschichte vor, mit allen Höhen und Tiefen, die jeden von uns treffen könnte und die Fragen und Antworten in den Raum schmeißt, denen man eigentlich gerne aus dem Weg geht. Arenz bohrt gerne in den Themen die eben etwas spezieller sind, über die man nur bedingt spricht. Seine Schreibweise und auch sein Ausdruck sind wieder wunderbar flüssig und an Emotionen spart er überhaupt nicht. Er schreibt wunderbar realitätsnah und authentisch und man folgt den beiden Protagonisten sehr gern und fiebert mit der Entstehung dieser neuen Liebe mit. Vor allem wenn es das erste Mal die richtig große Liebe ist! Oder haben sie gedacht Claras verstorbener Mann war ihre große Liebe? Lesen und staunen Sie wie feinfühlig Arenz hier mit dieser Thematik umgeht und wie er sie gekonnt in Szene setzt! Für die wahre Liebe ist man nie zu alt und manchmal muss man erst ein wenig warten bis einem erscheint, manchen erscheint sie sogar nie. Autor Arenz bringt uns diesen zarten „Hach“-Moment der beiden herrlich nahe und dann darf auch das eigene Kopfkino seine Gedanken dazu beisteuern. Wie würde man selbst damit umgehen? Sind wir immer ehrlich auch uns selbst gegenüber? Ist Liebe wirklich Liebe? Selbstredend ist das auch alles Einstellungssache eines jeden von uns aber bei Arenz laufen die beiden Protagonisten eben geradewegs aufeinander zu und das soll eben so sein! Ewald Arenz hat immer einen feinen und nicht zu aufdringlichen Ton bezüglich philosophischer Gedanken in seinen Büchern und so finden wir das auch hier. Mal versteckt zwischen den Zeilen, mal ganz direkt. Diese Mischung macht’s einfach aus und dadurch verschlingt man dieses Büchlein in Windeseile!
Fazit: Ein Lesegenuss zu einem ganz besonderen Thema! 5 Sterne und wenn ich könnte, würde ich gerne mehr vergeben!
Gestaltung:
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Das Buch sieht wunderschön aus. Die Bäume in verschiedenen Grüntönen als Titelbild sind leicht haptisch hervorgehoben. Es wirkt beruhigend. Das Hardcover ist hochwertig verarbeitet, die Seiten stabil und das dunkelgrüne Lesebändchen passt perfekt.
Inhalt:
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Alina hat sich gerade frisch von ihrem Freund getrennt, Job und Wohnung in Frankfurt verloren und fährt mangels einer Alternative und ohne weiter Nachzudenken zu ihrem Großvater. Dieser wohnt in einem kleinen Dorf namens Spechthausen. Ihr Vater starb, als sie ein Kind war und kurz danach brach der Kontakt zwischen ihrer Mutter und den Großeltern väterlicherseits ab. Nun, nach gut 20 Jahren, steht sie vor seiner Tür. Er nimmt sie auf und gemeinsam arbeiten sie die Vergangenheit auf und Alina kommt endlich an - bei sich und generell.
Mein Eindruck:
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"Joggen auf Waldwegen ist wie Schweben, ein Dahingleiten durch eine Welt, die voller Geheimnisse ist." (S. 164)
Mich konnte die Autorin von Anfang an fesseln. Das liegt weniger an einer spannenden Handlung, sondern vielmehr an der poetischen Sprachgewalt, die dem Roman innewohnt. Frau Fischer versteht es wunderbar, Gefühle zu beschreiben und einen zum Nachdenken zu bringen. Ich konnte mich gut in Alina und ihre Selbstzweifel hineinversetzen, konnte die Annäherungen zwischen ihr und den Personen im Dorf nachspüren, besonders die zwischen ihr und Ihrem Großvater, aber auch die Gefühle zu Elias. Es waren langsame Annäherungen, so dass die Handlung authentisch wirkte und nie ins Kitschige driftete. Bei den Naturbeschreibungen und der Schilderung der Waldspaziergänge fühlte ich mich direkt an den Ort versetzt. Es wirkte entschleunigend und erholsam.
"Als Kind ist man jeden Tag eine andere Person, jemand, der mehr weiß als das Ich, das man am Vortag war, der mehr kann und mehr versteht und gleichzeitig mehr strauchelt." (S. 182)
Alina muss vieles in ihrem Leben überdenken und neu ordnen. Dabei helfen ihr die sehr offenen Gespräche mit ihrem Großvater, aber auch mit dem Geschwisterpaar Isabel und Elias, die sie noch aus ihren Ferien in Kindheitstagen kannte. So mischen sich immer wieder Kindheitserinnerungen mit philosophischen Zukunftsüberlegungen in die Handlung ein. Die Autorin hat für mich sehr treffend die Emotionen beschrieben und ich habe mir viele Passagen als Zitate aufgeschrieben.
Das Ende betreffend ist vielleicht in großen Teilen vorhersehbar, aber letztendlich gefiel mir, dass die Autorin hier nicht vollends in ein kitschiges Happy End abgedriftet ist, sondern ein Plädoyer für eine andere Art von Partnerschaft und Familie gesetzt hat. Anders wäre es für mich nicht glaubwürdig gewesen.
Ein Buch über Verlust, Vergebung, Kindheit und Erwachsenwerden, aber auch über Liebe und Familie, die nicht den klassisch-gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen muss.
Die Biber spielen eigentlich nur eine Nebenrolle, dennoch sind sie und der Wald der Ort, der Alina entschleunigt und so schließlich die Änderungen ins Rollen bringen. Und nebenher erfährt man dann auch noch ein wenig über das Verhalten und den Schutz der Biber, was mir gut gefallen hat.
Fazit:
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Wunderbar geschriebener Roman über den Wald als Ort der Entschleunigung und für Neubeginn - regt zum Innehalten und Nachdenken an
Klappentext:
„Alina ist an einem Punkt in ihrem Leben angekommen, an dem sie nicht mehr weiterweiß: Ihren Job konnte sie nie leiden, in Frankfurt am Main, der Stadt, in der sie lebt, fühlt sie sich schon lange nicht mehr wohl, und dann geht nach einem heftigen Streit auch noch ihre Beziehung in die Brüche, sodass sie plötzlich ohne Wohnung dasteht. Wohin jetzt? Der einzige Ort, der ihr einfällt, ist Spechthausen, ein kleines Dorf in Brandenburg. Hier lebt ihr Großvater, zu dem sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. In seinem viel zu großen, renovierungsbedürftigen Haus am Waldrand nimmt er sie auf, ohne viele Fragen zu stellen.
Langsam nähern Alina und er sich wieder an. Sie hilft ihm mit den Hühnern und dem Garten; gemeinsam beobachten sie Biber in freier Wildbahn. Dunkel und fast ein wenig unwirklich sind Alinas Kindheitserinnerungen an die Ferien in Spechthausen. Nun, inmitten der Natur, kehren sie nach und nach zurück. Ehe sie sichs versieht, fühlt sie sich heimisch in dem Ort und den umliegenden Wäldern. Endlich hat sie Zeit, darüber nachzudenken, was ist, was war und was sein soll. Außerdem ist da noch ihr Kindheitsfreund Elias, mit dem sie viel verbindet. Doch bevor sie sich ein neues Leben aufbauen kann, gibt es einiges, wovon Alina sich befreien muss.“
Der Buchtitel sowie der Klappentext lassen eine Geschichte vermuten, die in der Natur spielt, wo die Natur ein gewisser wichtiger Nebendarsteller zu sein scheint, aber leider trifft das nicht ganz zu. Sobald man in der Geschichte rund um Alina feststeckt, bemerkt man, man sucht die Natur, man sucht die Biber und will selbstredend hinter die Gedankengänge von Alina streifen um zu erfahren was sie so, nennen wir es „verwirrt“, verwirrt hat. Schnell stellte sich aber mir die Frage beim lesen, warum um Himmels Willen nimmt denn ihr Großvater sie so ohne weiteres bei sich auf? Gibt es denn da nicht erstmal einen gewissen Klärungsbedarf? Hat er etwas gutzumachen? Warum führt sie diese Flucht aus ihrem Leben zurück in ihre Vergangenheit nach Spechthausen? Warum lässt ihr Großvater alle Veränderungen, die Alina anstrebt, so ohne murren zu? Mir war hier vieles einfach zu verworren, zu undurchsichtig und vor allem zu unglaubwürdig. Wer lässt denn einfach mal so nach langer Zeit der Abstinenz jemanden so mir-nichts-dir-nichts in sein Leben? Man könnte es als Großherzigkeit oder gar Verständnis für das Enkelkind abtun, aber wie gesagt, ich finde es sehr fragwürdig. Und was ist noch fragwürdig an diesem Roman? Man sucht die Natur doch vergebens. Wird erst dem Leser der Mund so wässrig gemacht und dann „sehen“ wir die sowieso schon seltenen Biber nur für einen winzigen Moment.
Die Geschichte soll wohl eine Art Selbstfindung sein, mit den Erinnerungen der Kindheit aufräumen, mit den aktuellen Problemen lernen umzugehen, Sinnsuche, Achtsamkeitstraining für die geschundene Seele oder so ähnlich. Ich hatte mir etwas anderes davon versprochen und kann einfach nicht mehr als 2,5 Sterne dafür vergeben. Da reißt auch der der Schreibstil oder der Ausdruck nichts heraus.
Schlimmer hätte es nicht kommen können: An einem idyllischen Augustabend eröffnet ihr Mann ihr bei einem Glas Wein, dass er sie wegen einer anderen verlassen wird. Ulrike Stöhring, Anfang fünfzig, steht unter Schock. Einer Generation zugehörig, in der zwischen Versorgungsehe und feministischer Guerilla alles möglich schien, hat sie nun absolut keine Idee mehr, wie es weitergehen könnte. Bis sie erkennt, dass es höchste Zeit ist, sich endlich um sich selbst zu kümmern. Sie geht zur Tantra-Massage, nimmt sich einen französischen Liebhaber, spricht mit glücklichen Frauen und verbringt Silvester in einem buddhistischen Schweigekloster. Dem klassischen Trauerjahr, das auch ein Wutjahr ist, folgt ein Jahr voller Wandlungen und Perspektiven. Und am Ende wird sie, was sie vor der Trennung nicht war: eine glückliche Frau.
Wohltuend entschleunigend wie ein Waldspaziergang
Gestaltung:
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Das Buch sieht wunderschön aus. Die Bäume in verschiedenen Grüntönen als Titelbild sind leicht haptisch hervorgehoben. Es wirkt beruhigend. Das Hardcover ist hochwertig verarbeitet, die Seiten stabil und das dunkelgrüne Lesebändchen passt perfekt.
Inhalt:
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Alina hat sich gerade frisch von ihrem Freund getrennt, Job und Wohnung in Frankfurt verloren und fährt mangels einer Alternative und ohne weiter Nachzudenken zu ihrem Großvater. Dieser wohnt in einem kleinen Dorf namens Spechthausen. Ihr Vater starb, als sie ein Kind war und kurz danach brach der Kontakt zwischen ihrer Mutter und den Großeltern väterlicherseits ab. Nun, nach gut 20 Jahren, steht sie vor seiner Tür. Er nimmt sie auf und gemeinsam arbeiten sie die Vergangenheit auf und Alina kommt endlich an - bei sich und generell.
Mein Eindruck:
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"Joggen auf Waldwegen ist wie Schweben, ein Dahingleiten durch eine Welt, die voller Geheimnisse ist." (S. 164)
Mich konnte die Autorin von Anfang an fesseln. Das liegt weniger an einer spannenden Handlung, sondern vielmehr an der poetischen Sprachgewalt, die dem Roman innewohnt. Frau Fischer versteht es wunderbar, Gefühle zu beschreiben und einen zum Nachdenken zu bringen. Ich konnte mich gut in Alina und ihre Selbstzweifel hineinversetzen, konnte die Annäherungen zwischen ihr und den Personen im Dorf nachspüren, besonders die zwischen ihr und Ihrem Großvater, aber auch die Gefühle zu Elias. Es waren langsame Annäherungen, so dass die Handlung authentisch wirkte und nie ins Kitschige driftete. Bei den Naturbeschreibungen und der Schilderung der Waldspaziergänge fühlte ich mich direkt an den Ort versetzt. Es wirkte entschleunigend und erholsam.
"Als Kind ist man jeden Tag eine andere Person, jemand, der mehr weiß als das Ich, das man am Vortag war, der mehr kann und mehr versteht und gleichzeitig mehr strauchelt." (S. 182)
Alina muss vieles in ihrem Leben überdenken und neu ordnen. Dabei helfen ihr die sehr offenen Gespräche mit ihrem Großvater, aber auch mit dem Geschwisterpaar Isabel und Elias, die sie noch aus ihren Ferien in Kindheitstagen kannte. So mischen sich immer wieder Kindheitserinnerungen mit philosophischen Zukunftsüberlegungen in die Handlung ein. Die Autorin hat für mich sehr treffend die Emotionen beschrieben und ich habe mir viele Passagen als Zitate aufgeschrieben.
Das Ende betreffend ist vielleicht in großen Teilen vorhersehbar, aber letztendlich gefiel mir, dass die Autorin hier nicht vollends in ein kitschiges Happy End abgedriftet ist, sondern ein Plädoyer für eine andere Art von Partnerschaft und Familie gesetzt hat. Anders wäre es für mich nicht glaubwürdig gewesen.
Ein Buch über Verlust, Vergebung, Kindheit und Erwachsenwerden, aber auch über Liebe und Familie, die nicht den klassisch-gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen muss.
Die Biber spielen eigentlich nur eine Nebenrolle, dennoch sind sie und der Wald der Ort, der Alina entschleunigt und so schließlich die Änderungen ins Rollen bringen. Und nebenher erfährt man dann auch noch ein wenig über das Verhalten und den Schutz der Biber, was mir gut gefallen hat.
Fazit:
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Wunderbar geschriebener Roman über den Wald als Ort der Entschleunigung und für Neubeginn - regt zum Innehalten und Nachdenken an