Zwei fremde Leben: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Zwei fremde Leben: Roman' von Frank Goldammer
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Zwei fremde Leben: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:400
EAN:9783423219679
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Rezensionen zu "Zwei fremde Leben: Roman"

  1. tolle Zeitgeschichte

    Zwei fremde Leben spielt auf drei Zeitebenen. Einmal 1973, wo wir den Polizisten Thomas Rust begleiten, der einem Vorfall nachforscht, der sich ereignet, als er auf die Geburt seines ersten Kindes wartet. An der Klinik lernt er einen Mann kennenlernt, dessen Kind scheinbar bei der Geburt verstorben ist. Ihm kommt die Geschichte seltsam vor und fängt an nachzuforschen. Dabei gerät er zwischen die Fronten und muss feststellen, dass Neugier in der DDR durchaus sehr ungesund sein kann.

    1993/94 begleiten wir Ricarda, deren Kind eben 1973 bei der Geburt verstorben sein soll. Sie glaubt nicht daran und hat sich deswegen nicht nur mit ihren Eltern zerstritten, sondern auch mit ihrem Mann. Nach der Wende versucht sie nun über ihre Stasi-Akte mehr über die merkwürdigen Umstände der Geburt ihres ersten Kindes herauszufinden.

    2018 begleiten wir dann Claudia zusammen mit Ricarda. Claudia hat zur Wende erfahren, dass sie nicht bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsen ist. Seitdem versucht sie mehr über ihre Adoption herauszufinden und trifft so auf Ricarda, die ihr bei der Suche nach ihren leiblichen Eltern helfen soll.

    Frank Goldammer gelingt es ein Bild der DDR zu zeichnen, das wohl den meisten Westlern so nicht bekannt ist. Die Atmosphäre in der DDR in den Siebzigern ist sehr bedrückend. Es mangelt an allem, abweichende Meinungen werden radikal unterdrückt und schon damals nutzt nicht nur die Stasi ihre Macht gnadenlos aus.

    Auch das Leben kurz nach der Wende war in der ehemaligen DDR kein Zuckerschlecken. Von den Wessis nicht für voll genommen und oft beruflich komplett abgehängt, fragen sich viele, was ihnen die Wiedervereinigung denn gebracht hat.

    Das Buch war unglaublich spannend in allen drei Ebenen. Die beiden ersten Zeiten sind durch und durch Krimi lastig, man weiss nie, wem man wirklich trauen kann, selbst Rust kam mir zwischenzeitlich nicht wirklich zuverlässig vor. Und manchmal möchte man auch Ricarda sagen, dass sie sich doch vieles einfach einbildet.

    Die dritte Zeitebene liefert dann die Erklärungen für die Ungereimtheiten und am Ende bleibt der Leser dann doch etwas fassungslos zurück, ob dem, was wirklich passiert ist. Der Autor schafft es hier bis zum Schluss zu überraschen.

    Ich kann dieses Buch nur empfehlen, es ist spannend und man lernt viel über die nahe Vergangenheit.

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Tell (detebe)

Buchseite und Rezensionen zu 'Tell (detebe)' von Joachim B. Schmidt

Inhaltsangabe zu "Tell (detebe)"

Format:Taschenbuch
Seiten:288
Verlag: Diogenes
EAN:9783257247008
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Die Verlassenen

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Verlassenen' von Matthias Jügler

Inhaltsangabe zu "Die Verlassenen"

Format:Taschenbuch
Seiten:176
EAN:9783328108641
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Raubfischen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Raubfischen: Roman' von Matthias Jügler
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Raubfischen: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag: Blumenbar
EAN:9783351050146
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Rezensionen zu "Raubfischen: Roman"

  1. Abschied

    "Kein Mensch ist vor den Momenten sicher, in denen sich alles von Grund auf ändert und das eigene Leben plötzlich in anderen Bahnen verläuft als erhofft." (Matthias Jügler: Die Verlassenen. Penguin 2021, S. 27)

    Dieses Zitat aus dem zweiten Roman von Matthias Jügler, "Die Verlassenen", passt ebenso gut zu "Raubfischen", seinem Debüt aus dem Jahr 2015. Es trifft auf den Ich-Erzähler Daniel und seine Familie zu, als er an seinem 16. Geburtstag von der Diagnose seines Großvaters Hannes erfährt: ALS, eine schwere, unheilbare Erkrankung des motorischen Nervensystems, bei der die Patienten schubweise die Kontrolle über ihren Körper verlieren und nach wenigen Jahren versterben:

    "An diesem Tag beginnen wir mit den Lügen. Keine Angst. Es wird wieder gut werden." (S. 15)

    Eine besondere Großvater-Enkel-Beziehung
    Schon bevor die Merseburger Großeltern 1993 eine Hütte in der schwedischen Provinz Västergötland unweit von Gislaved am Tostaholmen kauften, nahm der Großvater den kleinen Daniel zum Angeln mit, eine Leidenschaft, die die beiden bald verband. Es folgten gemeinsame Angelurlaube in Schweden, jäh unterbrochen, als Daniel das strikte, für ihn unverständliche Redeverbot mit den Nachbarn Åke Mortensson und seinem Sohn Henrik brach:

    "Ich müsste Erklärungen einfordern. Der Tag auf dem Eis. Das Redeverbot, das ich seitdem strikt befolge. Warum soll ich mit niemandem hier mehr reden?" (S. 23)

    Die besondere Verbindung zwischen Großvater und Enkel scheint zerstört – bis zu jenem 16. Geburtstag. Doch nun tritt etwas Neues in die Beziehung, heimliches Beobachten, die Suche nach Krankheitszeichen, Sanftheit, kostbare Tage, Hoffnung, Angst, schließlich Ernüchterung:

    "Ich habe das Vertrauen verloren. Das Vertrauen darin, dass er dieser Krankheit die kalte Schulter zeigt." (S. 68)

    Aufgeben aber will und kann Daniel nicht. Während die Ehe seiner Eltern über der Krankheit zerbricht, möchte er den letzten Wunsch seines Großvaters erfüllen:

    "Als er noch mit dem Stift schreiben konnte, und später, als er auf dem Sprachcomputer schrieb, gab er mir zu verstehen, was er wollte: Nach Schweden fahren." (S. 119)

    Ein Autor mit eigenem Ton
    2021 habe ich "Die Verlassenen" eher zufällig, aber mit umso mehr Begeisterung gelesen, und war nun sehr gespannt auf das sechs Jahr zuvor erschienene Debüt von Matthias Jügler. Zu meiner großen Freude kam mir der Ton des Buches sofort vertraut vor. Die klare Sprache, die kurzen, auf das Notwendigste reduzierten Sätze, die skandinavisch anmutende Melancholie, die Andeutungen mit dem Spielraum für Fantasie und die überaus kunstvolle Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit sind auch hier vorzüglich gelungen. Man muss kein Angelenthusiast oder Spezialist für Hechte, Barsche, Karauschen und Plötzen sein, um diese bewegende, so ruhig und sensibel erzählte Geschichte mit der besonderen Großvater-Enkel-Verbundenheit, der traurigen Krankheitschronologie, dem Geheimnis um ein altes Zerwürfnis und der Liebe zu einem schwedischen See großartig zu finden.

    Bei aller Trauer über den bevorstehenden Abschied stimmt der Blick in die Zukunft auch hoffnungsvoll:

    "Henrik sagt etwas. […] dass er glaube, wir zwei, wir könnten später, wenn mir die Hütte tatsächlich mal gehöre, gute Nachbarn werden. »Ja«, rufe ich, «ja, warum nicht.«" (S. 203)

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Am Südpol, denkt man, ist es heiß

Buchseite und Rezensionen zu 'Am Südpol, denkt man, ist es heiß' von Quint Buchholz

Inhaltsangabe zu "Am Südpol, denkt man, ist es heiß"

Format:Taschenbuch
Seiten:64
EAN:9783423621182
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MANIAC

Buchseite und Rezensionen zu 'MANIAC' von Benjamín Labatut

Inhaltsangabe zu "MANIAC"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:395
EAN:9783518431177
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Das sternenlose Meer: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das sternenlose Meer: Roman' von Erin Morgenstern

Inhaltsangabe zu "Das sternenlose Meer: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:640
EAN:9783896676573
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Buchland: Fantastischer Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Buchland: Fantastischer Roman' von Markus Walther

Inhaltsangabe zu "Buchland: Fantastischer Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:252
EAN:9783910279155
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Montauk: Eine Erzählung (suhrkamp taschenbuch)

Buchseite und Rezensionen zu 'Montauk: Eine Erzählung (suhrkamp taschenbuch)' von Max Frisch

Inhaltsangabe zu "Montauk: Eine Erzählung (suhrkamp taschenbuch)"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:224
EAN:9783518372005
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Adas Raum: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Adas Raum: Roman' von Sharon Dodua Otoo
3.65
3.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Adas Raum: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:320
EAN:9783596299386
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Rezensionen zu "Adas Raum: Roman"

  1. 3
    03. Apr 2024 

    Das Armband

    Im Jahr 1459 stirbt Adas kleiner Sohn kurz nach der Geburt. Er soll seinen Totenritus bekommen. Im Jahr 1848 trifft Ada King auf Charles Dickens, was nicht schlimm wäre, gäbe es nicht einen Mr. King. Im Jahr 1945 versucht Ada in Nordhausen zu überleben. Und irgendwann ist Ada in Berlin. Dort hat sie es nicht leicht bei der Wohnungssuche. Zum Glück hat sie einen britischen Pass und eine Schwester, die ihr hilft. Und immer wieder taucht das Armband auf, dass die Jahrhunderte ebenso überdauert wie eine Form von Ada.

    Diese ungewöhnliche Geschichte erzählt von verschiedenen Adas, die aber doch irgendwie die selbe Ada sind. In allen Formen ist Adas Leben nicht leicht. Sie erfährt viel Leid und hin und wieder glückliche Momente. Und auch das Armband durchreist die Zeit. Es will behütet werden. Fast wie das verstorbene Kind. Was für Zeiten sind es, in denen Ada landet? Die Zeit der Kolonialherren, die Zeit der ersten Sozialkritik, die Zeit des Krieges, die Zeit des heutigen Berlins, in der auch nicht eitel Sonnenschein herrscht. Eine abenteuerliche Seelenreise durch verschiedene Zeitalter.

    Das Cover dieses Buches ist in seiner Schlichtheit ein echter Hingucker, auch wenn man vielleicht etwas länger überlegt, kaufen oder nicht, landet es schließlich doch im eigenen Bücherschrank, Die Handlung des Romans ist ein wenig schwierig nachzuvollziehen. Auch wenn sich die unterschiedlichen Zeitebenen deutlich getrennt aneinanderreihen, fehlt etwas der rote Faden. Wieso taucht Ada immer wieder auf und was genau sind die Inkarnationen des Dings, wieso gibt es sie? Natürlich wäre der Gedanke schön, es sei eine Art Schutz. Doch würde es dann gute Arbeit leisten? Dennoch ist die Erzählung interessant. Gerne folgt man Ada von Ghana über London nach Deutschland, wo sie schließlich in Berlin landet. Zwar fühlt man sich so als habe man den Sinn nicht richtig erfasst, aber von der Story war man gefesselt und schließt den Roman in gutem Einvernehmen.

    3,5 Sterne

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  1. Komplex, auf bestmögliche Art überraschend

    Handlung

    1459 verliert Ada ein Baby im westafrikanischen Totope. 1848 ist sie Ada Lovelace und bricht durch eine Affaire aus dem Käfig ihrer Ehe aus. 1945 existiert sie (Leben mag ich es kaum nennen) im Lagerbordell eines KZs. 2019 ist Ada hochschwanger, hat in Berlin jedoch Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, denn sie ist schwarz.

    Immer ist sie Ada, von Reinkarnation zu Reinkarnation erlebt und erleidet und erkämpft sie sich das Leben. Kolonialismus, Rassismus, Sexismus, sie erlebt den ganzen Reigen der schändlichen Ismen. Mal rebelliert sie, mal erduldet sie schweigend, doch immer sind ihre Erlebnisse von einer rohen Authentizität und regen die Leser:innen zum Nachdenken an.

    Wer spricht hier? Schnell begreifst du beim Lesen, dass es nicht Ada ist, die die Geschichte erzählt, auch wenn sie immer im Mittelpunkt der Geschehnisse steht.

    Es ist eine Wesenheit, die hier spricht, die Ada von Reinkarnation zu Reinkarnation begleitet und selber so gerne ein Mensch wäre, jedoch immer wieder nur als Gegenstand existiert. Sie ist der Reisigbesen, mit dem Ada in Westafrika geschlagen wird. Der Türklopfer, der den Liebhaber kommen und gehen sieht. Das KZ-Zimmer, erfüllt von unermesslichem Leid. Der Reisepass, der ein neues Leben verspricht.

    Und obwohl diese Wesenheit sieht, mit welchem Schmerz und welchem Kampf das Leben verbunden ist, sehnt sie sich danach, es selber zu erleben.

    Sprechende Gegenstände, das klingt gewöhnungsbedürftig, womöglich sogar nach Disney. Vielleicht graust es dir bei dem Gedanken, siehst du vor dem inneren Auge schon singende Teekessel. Dazu kommt noch, dass die Wesenheit, die ihnen innewohnt, in stetem Dialog mit einem Gott steht, der mit einer amüsierten Distanz auf das Leben schaut, die Ereignisse locker-flockig kommentiert und dabei auch schon mal ‘berlinert’.

    Nein, liebe:r Leser:in, geh noch nicht, schlag das Buch nicht zu schnell zu!

    Ich verspreche dir: das ist weder verkitscht noch pseudoreligiös; es ermöglicht der Autorin, ihre Geschichte zugleich hautnah und mit eíner erwägenden Distanz zu erzählen, mit einer unglaublichen Klarheit. Es ist zutiefst originell, bricht die Geschichte immer dann auf, wenn es nötig ist, um den Leser:innen mehr Raum für Reflektion zu geben. Das Leichte, das Schwere, das ist in jeder Schleife in Balance.

    „Die Zeit war jedenfalls gekommen, um Ada daran zu erinnern, dass alle Wesen – vergangene, gegenwärtige und zukünftige – in Verbindung miteinander sind, dass wir es immer waren und immer sein werden. Die Botschaft kann erdrückend sein, wenn mensch meint, sie zum ersten Mal zu hören. Wir wollten Ada damit nicht überrumpeln. Wir wissen ja, dass sie am Ende ihres Lebens zunächst immer eine Runde Abstand braucht.“

    Und so hangelst du dich von Leben zu Leben…

    Ich konnte mich der Geschichte nicht entziehen. Sie hielt mich auf jeder einzelnen Seite gepackt mit ihrer intelligenten Schreibweise, ihrer unterschwelligen Spannung, ihrem klaren Blick auf eine Frau, die sich quasi häutet und wandelt und doch im tiefsten Inneren immer den selben Funken Leben in sich trägt. Das ist frisch und berührend und mit jeder Drehung der Schraube wieder überraschend.

    Um Ada herum wandelt sich auch die Welt. Mit jedem Perspektivenwechsel fällt der Blick auf gesellschaftliche Veränderungen und zugleich eine ungemein persönliche Lebenswirklichkeit. Immer zieht sie das Trauma all ihrer Leben, das zugleich das kollektive Trauma vieler Frauen ist, hinter sich her wie einen vielgestalten Schatten, das Miasma einer erschütternden Grausamkeit. Das wird so meisterhaft wie subtil in Worte gefasst. Die Gewalt, die Ada unweigerlich in jedem Leben begegnet, wird nicht geschönt, doch für die Leser:innen durch gekonnte Verfremdung erträglich gemacht.

    Überhaupt verzichtet Otoo auf den moralischen Zeigefinger, das hat der Roman gar nicht nötig. Sie traut der:m Leser:in offenbar zu, eigene Schlüsse zu ziehen und eigene Urteile zu treffen; sie gibt ihr:m nur das nötige Rohmaterial an die Hand.

    Andere Charaktere sind eher Statisten in Adas Leben, doch du erkennst: einige davon sind Schlüsselfiguren in ihrer Existenz, auch sie werden in diversen Rollen wiedergeboren. Dieser hier, der war doch im letzten Leben noch ihr Bruder? Ah, da ist wieder der Mann mit der Narbe… Zu verfolgen, welche Menschen und fundamentale Erlebnisse immer wieder auftauchen, in vielfacher Gestalt, das erfordert aufmerksames Lesen – und das ist Vergnügen, keine lästige Pflicht.

    Ein goldenes Armband kommt in jeder Schleife aufs Neue vor; die Wesenheit hält es für ihre Aufgabe, dieses in ganz bestimmte Hände zu bringen und sich damit die Menschwerdung zu verdienen. Ein Leitmotiv, dessen Bedeutung immer wieder neue Facetten zeigt – das wird so innovativ und gekonnt eingesetzt, wie Otoo die ganze Erzählung gestaltet.

    Ach, hier möchte ich schon aufhören, auch wenn ich noch so viel sagen könnte… Aber dies ist ein Buch, dass jede:r selbst für sich entdecken sollte, ohne zu viel Vorwissen oder fremde Interpretation. Lass es auf dich wirken, lass es nachhallen, vergiss erstmal die Meinung anderer Menschen.

    Fazit

    1459, 1848, 1945, 2019: wir folgen Ada in vielen Reinkarnationen (“Schleifen”) durch die Jahrhunderte. Sie ist jedes Mal wieder eine andere und doch im Kern die gleiche Ada. Sie erlebt alle Aspekte des Lebens, des Frauseins; mal kämpft sie ums bloße Überleben, mal um persönliches Glück, oft um Gleichberechtigung, immer um Selbstbestimmung – um Raum für ihre Existenz.

    Und das erzählt Otoo auf eine Art, die so originell ist, dass man aufhorcht, vielleicht erstmal skeptisch die Augenbraue hochzieht. Hier werden Grenzen überschritten oder neu definiert, darauf musst du dich erstmal einlassen. Aber das lohnt sich, denn “Adas Raum” ist ein literarisches Abenteuer, ein sprachliches Fest! Ein Debüt mit erzählerischer Wucht und doch feiner Subtilität.

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  1. Eindringlich, aber teilweise zu konstruiert

    „Die neuen Grenzen wirkten fließend, mehrdeutig, und als sie nicht mehr zu gebrauchen waren, verpufften sie. Sie wurden gegen andere Grenzen ausgetauscht.“ (Zitat Position 1701)

    Inhalt
    Ada ist verzweifelt, als ihr Kind im März 1459 kurz nach der Geburt stirbt. Das besondere Perlenarmband, das sie ihrem toten Sohn mitgeben will, macht sich auf eine eigene Reise durch die Jahrhunderte. Es kommt zur Wissenschaftlerin Ada Lovelace, die im März 1848 mit ihrem besonderen Freund Charles Dickens mathematische Formeln diskutiert, während ihr Gatte in Paris weilt. Im besonderen Block 37 im KZ Mittelbau-Dora ist Ada im März 1945 so oft im selben Zimmer, dass es den Namen „Adas Raum“ trägt und in genau diesem Zimmer liegt das Perlenarmband plötzlich auf dem Boden. Ada, Augusta Adaune Lamtey, ist dreiundzwanzig Jahre alt, als sie 2019 aus Ghana nach Berlin kommt, um hier zu studieren. Sie wohnt bei ihrer jüngeren Halbschwester, ist aber auf Wohnungssuche, freut sich auf ihr Baby. In einem Ausstellungskatalog entdeckt sie das Foto eines ungewöhnlichen Armbandes, dreiunddreißig Perlen, Fünfzehntes Jahrhundert, Westafrika, und damit schließt sich das Netz aus Schicksalsschleifen.

    Themen und Genre
    Der Roman handelt von Frauen, Frauen als Mütter, Freundinnen und Schwestern, auch im übertragenen Sinn. Themen sind Gewalt, Unterdrückung, Diskriminierung, aber auch Stärke, Zusammenhalt und die Suche nach Unabhängigkeit.

    Charaktere
    Ada, das ist die Summe aus vier Adas in vier unterschiedlichen Epochen, sie steht für die Summe von möglichen Frauenleben im Lauf der Geschichte. Die Übergänge erfolgen rasch, manchmal innerhalb eines Satzes, und so erfahren wir durch das jeweilige Umfeld und die Situation zwar mehr über die entsprechende Ada, gleichzeitig bleibt sie dadurch als Figur auf Distanz.

    Handlung und Schreibstil
    Die vier Geschichten, in deren Mittelpunkt jeweils eine Ada steht, spielen in unterschiedlichen Jahrhunderten, wobei die Grenzen fließend sind. Die Autorin selbst spricht von Schleifen und ähnlich verknüpfen sich einzelne Situationen, um sich dann, oft mitten im Satz, wieder zu lösen und in die nächste Episode in einem anderen Jahrhundert zu gleiten. Nur das etwas wirre und sehr konstruierte Ende überzeugt mich nicht, Schleifen sind luftig und in Bewegung, wenn man sie bewusst verknüpft, verlieren sie die Leichtigkeit. Die Grundzüge des Settings bleiben in allen vier Geschichten ähnlich, Hausnummern, wie Personen, familiäre Beziehungen und Namen. Lässt die Autorin zunächst jede Ada in der Ich-Form erzählen, wechselt sie rasch zu einem zeitlosen, geistigen Erzähl-Ich, das zu einzelnen Gegenständen wird und so die Ereignisse als Kehrbesen, Türklopfer oder Reisepass schildert, versucht, das Geschehen zu lenken und allwissend kommentiert. Dieses im philosophischen Sinn übergeordnete geistige Ich hat durchaus auch Humor, was zu skurrilen Dialogen führt. Die klare, gerade Sprache des Romans schildert und kann alles zwischen sehr kurzen und eindrucksvoll langen Sätzen, auch Metaphern werden bewusst eingesetzt.

    Fazit
    Ein Roman mit zeitlos aktuellen, politischen und sozialkritischen Themen, geschrieben in einer klaren, geraden Sprache. Unterschiedliche interessante Erzählformen schildern ein ebenso vielschichtiges Bild von Frauenschicksalen. Doch dieses deutlich ambitionierte Bemühen im Sinne der Kriterien der zeitgenössischen Literaturwissenschaften wird für mich teilweise zu offensichtlich und der Roman dadurch zu konstruiert – diese Perfektion ist zu gewollt, es fehlt die Seele.

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