Aenne und ihre Brüder

Buchseite und Rezensionen zu 'Aenne und ihre Brüder' von Reinhold Beckmann
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Aenne und ihre Brüder"

Das Leben von Reinhold Beckmanns Mutter Aenne war früh von Verlusten gezeichnet. Ihre Mutter starb, als Aenne noch ein Baby war. Vier Brüder hatte sie, alle im Krieg gefallen. Anders als viele ihrer Generation hat Aenne über diese Zeit nie geschwiegen. Ihre Brüder und Eltern blieben immer gegenwärtig, in Gesprächen, Fotos und Erinnerungen. Reinhold Beckmann erzählt die Geschichte von Aenne, Franz, Hans, Alfons und Willi, zwischen hartem Alltag auf dem Dorf, katholischer Tradition und beginnender Diktatur. Und davon, was der Krieg mit Menschen macht. wenn keiner zurückkehrt.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:352
EAN:9783549100561
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Rezensionen zu "Aenne und ihre Brüder"

  1. Anrührend, aber letztlich nicht überzeugend

    Reinhold Beckmann hat einen anrührenden Roman über die Jugend seiner Mutter und deren vier Brüder geschrieben, die alle vier im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind.
    Beckmann hat sich viel vorgenommen. Auf der einen Seite stellt er die Geschichte des Nationalsozialismus von ca. 1930 bis 1945 dar, auf der anderen Seite schildert er das einfache Leben in seinem ländlich geprägten Heimatdorf. Ich glaube, sein Vorhaben war es, den Einfluss der „ großen“ Politik auf das Leben der einfachen Leute zu verdeutlichen. Und nicht zuletzt will er das Schicksal der vier jungen Soldaten anhand der vielen Feldpostbriefe aufarbeiten, die seine Mutter aufbewahrt hat.
    Ich glaube, dass Vorhaben ist nicht so gelungen, wie Beckmann es sich am Beginn des Schreibprozesses vorgestellt haben mag. Die Feldpostbriefe sind, was das Kriegsgeschehen angeht, sehr unergiebig. Dafür mag zum einen die Zensur verantwortlich sein. Zum anderen könnte auch sein, dass die Brüder ihrer Schwester, an die die Briefe gerichtet sind, die genaue Beschreibung des Kriegselends ersparen wollten. Natürlich zeugen sie aber von der Sehnsucht, nach Hause zu dürfen, in die Heimat. Aber sie machen doch nicht recht deutlich, was es hieß, im zweiten Weltkrieg in Russland kämpfen zu müssen.
    Das Dorf Wellingholzhausen, in dem seine Mutter und seine Onkel aufgewachsen sind, ist in vielerlei Hinsicht eine Enklave. Es gibt keine Juden, also haben die Nürnberger Gesetze und die Judenverfolgung keine praktischen Auswirkungen. Sie werden folglich auch kaum erwähnt. Die Reichsprogomnacht erleben die Dörfler nur als weit entfernten Feuerschein aus der Richtung von Osnabrück wahr.
    Die Menschen sind auch nicht sehr politisch. Ihre Haltung gegenüber Hitler und seinem Regime ist nicht von Widerstand geprägt. Folglich kommt auch das Unterdrückungssystem der Nazis mit der totalen Überwachung durch die Gestapo nicht zur Sprache (ich erinnere mich nicht, dass der Begriff Gestapo überhaupt fällt). Überzeugte, ausgesprochene Nazis sind eher rar. Die Konsequenz ist, dass der unmenschliche Unrechtsstaat der Nazis letztlich nur angedeutet wird.
    Reinhold Beckmann schreibt in einem sehr einfach gehaltenen Sprachstil. Der einfache Hauptsatz überwiegt als Satzkonstruktion. Nur in seltenen Fällen umfasst ein Satz einmal mehr als zwei Zeilen. Das erleichtert auf der einen Seite die Lektüre, führt auf der anderen Seite aber auch zur Simplifizierung.
    Viel Mühe hat sich Beckmann damit gegeben, den Weg der vier Brüder als Soldaten im zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren. Und anhand offizieller Aufzeichnungen kann auch etwas von der Grausamkeit und Unmenschlichkeit des Krieges deutlich werden.
    Beckmann vermeidet es, Fragen zu stellen. Inwieweit waren seine Onkel in die Kriegsereignissen involviert: Haben sie Menschen erschossen? Haben sie sich an der Verbrechen der Wehrmacht beteiligt? Beckmann vermeidet die Fragen, da damit die Onkel aus der Opferrolle, in der Beckmann sie sieht, herausfallen würden.
    Überhaupt neigt Beckmann dazu, sich auf die Seiten der Deutschen zu stellen. So wird etwa die Stadt Duisburg von den Bombern der Alliierten „heimgesucht“, wie eine Plage.
    Allen Bedenken zum Trotz ist das Buch lesenswert: Als Beispiel für die extreme Schwierigkeit von jungen Frauen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und als leicht zu lesende Geschichte der politischen Ereignisse zur Zeit des Nationalsozialismus.
    Als Schullektüre aber mag ich den Roman nicht empfehlen, sowie andere Rezensenten dies tun.

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  1. Eine bewegende Familiengeschichte

    Reinhold Beckmann lässt den Leser teilhaben ein einem Teil seiner Familiengeschichte. Es ist der Teil seiner Mutter Anna Maria, genannte Aenne, die im 2. Weltkrieg vier ihrer Brüder verlor. Den Verlust und das fehlende Wissen um den Verbleib von Angehörigen, haben viele Familien nach dem Ende des 2. Weltkrieges verarbeiten müssen. Viele haben nie über diese schmerzhaften Wunden gesprochen, Aenne Beckmann jedoch nicht. Sie hat den Briefwechsel ihrer Brüder über Jahrzehnte aufbewahrt, hat immer wieder über ihre Brüder gesprochen und so die Erinnerung an ihre Liebsten aufrecht erhalten.

    Entstanden ist so ein sehr berührendes und aufwühlendes Buch, welches die Lebenswege dieser Geschwister nachzeichnet. Die abgedruckten Briefe geben einen lebendigen Eindruck dieser jungen Menschen, die um einen großen Teil ihres Lebens gebracht wurden, weil sie in einen barbarischen und aussichtslosen Krieg gerissen wurden. Die Briefe erzählen von ganz unterschiedlichen Charakteren, von Träumen, Wünschen und Hoffnung; von Niedergeschlagenheit, Ängsten und Desillusionierung. Von Kriegshochzeiten und Weihnachtsfeiern. Von zwischen den Zeilen versteckten Aussagen zum Kriegsgeschehen, den unsäglichen Zuständen an der Ostfront.
    Aber auch Aennes Leben wird erzählt und ihrem Heimatort Wellingholzhausen. Dem Zusammenhalt der Dorfgemeinde, dem kirchlichen Einfluss auf das alltägliche Leben und Aennes schwierigem Start ins Leben.

    Ich war von dem Buch sehr ergriffen, auch von den zwischendurch gesetzten, sehr persönlichen Kommentaren Beckmanns zu dem Geschehen.

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Ins Unbekannte

Buchseite und Rezensionen zu 'Ins Unbekannte' von Lukas Hartmann
4.25
4.3 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Ins Unbekannte"

Sabina kommt aus Russland nach Zürich, um sich in der psychiatrischen Klinik von Dr. C.G. Jung behandeln zu lassen. Und wird seine Geliebte. Fritz, der Sohn eines Schreiners, träumt von einer besseren Gesellschaft, bringt die Schweiz an den Rand einer Revolution und rettet Lenin in Russland das Leben. Beide sind sie mutig, widersprüchlich, zerrissen, betreten unaufhörlich Neuland. Ihre Schicksale kreuzen, spiegeln sich – und verlieren sich im Dunkel der europäischen Geschichte.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
Verlag: Diogenes
EAN:9783257072051
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Rezensionen zu "Ins Unbekannte"

  1. Gescheiterte Träume

    "Ins Unbekannte" ist der erste Roman, den ich von Lukas Hartmann las. Angesprochen hatte mich der Roman insbesondere wegen des Erzählstrangs über Sabina Spielrein, die in einer psychiatrischen Klinik landet und dort von C. G. Jung behandelt wird. Ich muss zugeben, dass mir der Name Fritz Platten hingegen gar nichts sagte, mir auch im Vorfeld nicht bewusst war, dass der Roman auf zwei wahren Biographien beruht. Manchmal ist es aber durchaus lohnenswert, sich überraschen zu lassen. 

    Im Roman gibt es zwei Handlungsstränge, von denen einer sich um den Lebenslauf von Sabina Spielrein, der andere um den von Fritz Platten  dreht. Sabina wird wegen hyterischen Anfällen von ihren Eltern in die psychiatrische Klinik Burghölzli in Zürich eingewiesen. Sie sehen sich zunehmend überfordert und erhoffen sich Heilung für ihre Tochter. Sabina wird in der Klinik von Carl Gustav Jung behandelt. Sabina entwickelt schnell ein größeres Interesse für Jung, als gut für sie ist. Ihr Zustand verbessert und stabilisiert sich, aber zwischen ihr und Jung beginnt sich eine besondere, etwas intimere Beziehung zu entwickeln. Sabina träumt von Heirat und Kindern, doch Jung lässt sie enttäuscht und desillusioniert zurück. Dennoch ist er wichtig für ihren weiteren Werdegang, beginnt sie ein Studium und wird später selbst Ärztin und Psychoanalytikerin. Privat läuft es für sie weniger erfreulich als beruflich. Sie heiratet recht leidenschaftslos Pawel, von dem sie auch zwei Kinder bekommen wird. Doch erst als dieser sich deutlich in Richtung einer anderen Dame zu orientieren beginn, folgt sie ihm nach Russland und bricht ins Unbekannte auf. Doch die Zeiten sind schwer, besonders Jüdinnen wie sie...

    Träume treiben auch Fritz Platten an. Ihm bleibt aufgrund des Arbeiterstatus' der Familie der Besuch des Gymnasium versagt. Früh beginnt er sich im Arbeiterbund zu organisieren. Später wird er überzeugter Kommunist. Sein Privatleben leidet stark unter seinem politischen Engagement. Von seinen Beziehungen zu den Frauen prägt ihm Beata am stärksten. Als er von ihrem Tod erfährt, geht ihm dies sehr nah. Seine Auswanderung in die Sowjetunion erweist sich rückblickend als fatal...

    Zwei Lebensläufe, zwei Schicksale. Es gibt einige wenige Berührungspunkte, so beispielsweise eine kurze Begegnung in der Schweiz, die Reise ins Unbekannte, Träume, die schweitern, ihr Schicksal insgesamt. Da ich über beide Persönlichkeiten vorab nichts wusste, war der Roman für mich auf jeden Fall informativ. Interessanter fand ich jedoch stets den Lebenslauf von Sabina Spielrein. 

    Der Schreibstil ist angenehm, konnte mich aber nicht begeistern. Das Geschehen an sich auch nicht, doch verfolgte ich mit einer gewissen Neugier die Entwicklung von Sabina. Natürlich fragt man sich als Leser unweigerlich, was die beiden Erzählstränge und damit die beiden Biographien miteinander verbindet. Leider ist dies im Roman nicht explizit heraus gearbeitet, ich hätte mir etwas mehr Konzentration auf diese Berührungspunkte gehofft. So bleibt der Titel als Anhaltspunkt sowie einige erwähnte Aspekte, die wir dem Roman entnehmen könnnen.

    Ein informativer Roman, den ich zwar durchaus gerne gelesen habe, der mich aber leider nicht begeistern konnte. 

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  1. Unbekannte Verbindungen

    Wenn man Lukas Hartmann „Ins Unbekannte“ folgt, stellt man fest, dass zwei Leben nicht unbedingt einen Roman ergeben, mögen diese noch so interessant und gut erzählt sein. In seinem Text folgt Hartmann den Spuren von Sabina Spielrein und Fritz Platten, zwei Menschen, die beide eine Zeitlang in Zürich und Russland lebten und beide in Sowjetrussland ums Leben kamen, getötet von Sowjets bzw. den Nazis. Diese doch recht spärlichen und kaum überzeugenden Parallelen bilden das Grundgerüst dafür, das beide Leben gleichermaßen in dem Roman betrachtet werden – eine Verbindung, die in Anbetracht des Handlungsverlaufs doch recht fragwürdig und wenig tragfähig erscheint.

    Schiebt man dieses wenig überzeugende Konstrukt jedoch beiseite, erhält man besonders in den Kapiteln, die Sabina Spielrein gewidmet sind, ein informatives, überzeugendes und faszinierendes Porträt einer Frau, die sich unabhängig macht, Liebe erfährt und zu überwinden versucht und deren Leben, wie so viele andere der Zeit in einer Tragödie endet. Lukas Hartmann gelingt mit seiner Geschichte über Sabina ein Blick hinter die Fassade des zunächst aufmüpfigen Teenagers und der später gereiften, intelligenten und verantwortungsbewussten Ärztin, der aufschlussreich und trotz aller Distanziertheit auch bewegend ist. Gerade auch die bewusste Entscheidung zu einem besonderen Romanende ist hier berührend und begeisternd.

    Die Teile, die sich mit dem Kommunisten Fritz Platten auseinandersetzen, sind nicht ganz so interessant, vieles wird hier doch den Erläuterungen politischer Positionierung untergeordnet, parteipolitische und ideologische Grabenkämpfe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben auf mich als Leser in dieser Ausführlichkeit doch nur einen begrenzten Reiz, auch wenn sie hier natürlich in sprachlich sehr ansprechender Form präsentiert werden.

    Schlichtweg ärgerlich sind jedoch einige erzählerische Ungenauigkeiten, die den Leser zum Grübeln bringen. So stimmen die zeitlichen Abläufe im Sabina-Teil nicht (u.a. ist es innerhalb eines Tages März und April), später wird eine Schwangerschaft sehr unelegant und konfus quasi innerhalb von wenigen Seiten doppelt erzählt. Da wünsche ich mir doch mehr Sorgfalt.

    Insgesamt ist „Ins Unbekannte“ ein durchaus faszinierender Roman über Sabina Spielrein, der mir noch besser gefallen hätte, wenn sich der Zusammenhang des angestrebten Doppelporträts sinnvoll und deutlich offenbart hätte.

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  1. Zwei Leben, die erzählt werden sollen

    Zwei Leben, die erzählt werden sollen

    Durch den Roman führen zwei Personen, unabhängig voneinander, eine Zusammenführung war während des Lesens für mich immer eine Option, doch der Autor hatte diesbezüglich andere Pläne. Allerdings möchte ich erwähnen, dass beide Charaktere ins Unbekannte ziehen, dies stellt dann wohl die Verbindung her, und erklärt den Titel des Romans von Lukas Hartmann, der bereits einige sehr erfolgreiche Romane veröffentlicht hat.

    Sabina Spielrein wird von ihren wohlhabenden Eltern von Russland in die psychiatrische Klinik Burghölzli in die Schweiz gebracht. Sie leide an Anfällen von Hysterie, die der Arzt C.G. Jung heilen soll. Zwischen der jungen Sabina und dem Arzt entwickelt sich eine große Sympathie, die ihre Folgen haben wird. Sie beginnt nach der erfolgreichen Therapie ein Studium, um selbst in diesem Bereich tätig werden zu können, angespornt von Jung, dem sie auch anderweitig verfallen ist.
    Im weiteren Verlauf der Handlung begleitet der Leser Sabina auf ihrem weiteren Lebensweg, der sie irgendwann zurück nach Russland führt.

    Der Gegenpart, in Form von Fritz Platten, erzählt aus dem Straflager in Russland seine Lebensgeschichte. Er war in der Schweiz Streikführer und entschließt sich nach Russland zu gehen. Die Zeichen standen bereits auf Sturm, doch er hielt es trotzdem für eine gute Idee. Seine gesamte Familie folgte ihm in eine landwirtschaftliche Kommune, doch er scheitert. Auch auf privater Ebene kann er nur Misserfolge vorweisen, seine einzige wahre Liebe, nach vielen kurzen Ehen, wendet sich von ihm ab. Im Lager siecht er nur noch vor sich hin, und bedauert sich, und lässt sein Leben Revue passieren.

    Das Ende der beiden Charaktere, die sich trotz Überschneidungen nie kennenlernen durften, war sehr emotional. Anhand ihrer beider Lebenswege wurde mir wieder einmal die Zeit und die damit verbunden Schrecken des Nationalsozialismus bewusst. Zwei Personen, die historisch gesehen Fußspuren hinterlassen haben, die mir beide aber bisher nicht bekannt waren. Lukas Hartmann hat sich wohl aus gutem Grund dazu entschieden, dass es an der Zeit ist, Sabina, die Jüdin war, und Fritz eine Stimme zu geben.
    Sabinas Geschichte hat mich während des gesamten Buches gefangen genommen. Es war sehr interessant mitzuerleben, wie sich diese Frau entwickelt hat und wie ihr restliches Leben verlaufen ist.
    Die Handlung um Fritz konnte mich hingegen nicht so richtig packen.
    Lange hat mich die Möglichkeit einer von engeren Verbindung zwischen den beiden Protagonisten abgelenkt. Doch am Ende funktionierte es natürlich auch ohne diese, und das sogar sehr gut und obendrein auch sehr aussagekräftig!

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  1. 5
    22. Nov 2022 

    Zwei Geschichten – zwei Lebenswege – ein verwandtes Ende

    Lukas Hartmann erzählt in seinem Roman „Ins Unbekannte“ gleich zwei Geschichten, wie der Untertitel des Buches auch schon verrät: Die Geschichte von Sabina und Fritz. Beide Geschichten und auch beide Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein:
    - Sabina, eine Tochter aus gutem russischem Haus in Rostow am Don, die von ihren Eltern in die Schweiz gebracht wird, damit dort hoffentlich ihre Psyche geheilt werden kann. Sie trifft dort mit den Großen der gerade entwickelten Psychoanalyse (Jung und Freud) zusammen und macht selbst eine psychoanalytische Karriere, bevor sie in ihr von der Revolution komplett umgekrempeltes Heimatland zurückkehrt.
    - Fritz, ein Proletarier, der sich mit den „Proletariern aller Länder“ vereinigen möchte und mit ihnen in der gerade revolutionär entstandenen Sowjetunion den Aufbruch in eine neue Zeit und eine neue Gesellschaft erleben und mitgestalten möchte. Er gründet eine Schweizer Agrarkolonie in den Tiefen des russischen/sowjetischen Reiches und muss mit den Hemmnissen des Systems und den Frustrationen seiner Mitreisenden zurechtkommen.
    Zwei Schicksale, die in den 10er und 2023 Jahren des 20. Jahrhunderts zwischen West und Ost hin und her geworfen werden. Die geschichtlichen Umbrüche gehen alles andere als spurlos an ihren Leben vorbei, sondern setzen ihnen Hoffnungen, Frustrationen und Grenzen.
    Der Leser bleibt bei der Lektüre in der stetigen Erwartung des Kreuzungspunktes dieser beiden Schicksale, der Vereinigung der beiden Erzählstränge und wird in dieser Erwartung am Ende enttäuscht. Doch ist das wirklich eine Enttäuschung? Meine Vermutung ist, dass dies sicher gewollt und bewusst konstruiert so ist. Es geht gerade um die Verschiedenheit der Lebensschicksale, die dann doch eine Gemeinsamkeit am Ende teilen: beide überleben das diktatorische Regime nicht. So wie es uns schon Wolfgang Leonhard anhand seines ganz eigenen, persönlichen Lebens geschildert hat: „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ und das sind nicht nur die revolutionär gesinnten, die sich mit Leib und Seele in diesen Umsturz gestürzt haben (wie etwa Fritz), sondern auch so zarte und unpolitisch lebende Personen wie Sabina. In dieser Zeit zu leben, hieß für viel zu viele: an dieser Zeit unterzugehen, auf die ein oder andere Art und Weise. Diese Vielfalt der Schicksale und diese Vielfalt des Scheiterns gestaltet Hartmann in seinem Buch auf ganz besonders feinfühlige und wunderbar einfühlsam erzählende Art und Weise.

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  1. 4
    18. Nov 2022 

    Sachlich, aber dennoch erschütternd

    „Ins Unbekannte“ beschreibt eine Zeit der Umbrüche – politisch kommt die Idee der sozialen Gerechtigkeit auf, die sich zum Ideal des Sozialismus steigert. In der Medizin entsteht die Disziplin der Psychologie, die auf neuartige Weise das Innenleben der Menschen erforschen und verletzte Seelen heilen will.

    Hartmann stellt hierfür zwei Biographien kapitelweise nebeneinander, die sich nur einmal räumlich kurz annähern, ohne sich je zu berühren. Einmal die der russischen Jüdin Sabina Spielrein, die aufgrund der Diagnose Hysterie in die Züricher Burghölzl-Klinik eingeliefert und von C. G. Jung behandelt wird. Aus dem Arzt-Patientin-Verhältnis wird eine Liaison. Spielrein wird selbst Psychoanalytikerin und pflegt später mit Jung eine kollegiale Freundschaft, in der fachlicher Austausch Vorrang hat. Sie gilt als Pionierin der Psychoanalyse und Entwicklungspsychologie des Kindes. (Wikipedia)

    Die zweite Biografie betrifft Fritz Platten, bekannt als derjenige, der Lenin zurück nach Russland brachte und als dessen Lebensretter bei einem Attentat. Seine Biographie ist, im Gegensatz zu Spielreins, durch rein ideologische Motive bestimmt. Wo Spielrein danach strebte, dem Einzelnen zu helfen, interessiert Platten sich nur für die Masse, die es kollektiv vor dem Kapital zu retten gilt. Hierfür ist ihm kein Opfer zu groß – nur muss meist nicht er selbst das Opfer bringen. Er hat Partnerinnen und Kinder für sein Ideal verlassen und nun, im Gulag, viel Zeit, seine Prioritäten zu bereuen.

    Vor allem seine verschwundene letzte Frau Berta füllt jahrelang seine Gedanken – als er erfährt, dass sie längst tot ist, bricht er zusammen. Spielrein arbeitet sich immer wieder an ihrer prägenden Beziehung zu Jung ab, die dieser feige abbrach, nicht ohne ihr die Rolle der schuldigen Verführerin zuzuschieben. Die sensible Beschreibung der inneren Kämpfe der Protagonisten verleihen der teils sehr knappen, sachlichen und informationslastigen Erzählweise Leben. Spielrein war für mich dabei die weitaus interessantere und spannendere Figur. Auf der Zeitebene gibt es, vor allem im Platten-Strang, ein paar Flüchtigkeitsfehler, die für Irritation sorgen, aber letztlich nicht ins Gewicht fallen - nur schade bei einem solchen Profi wie Hartmann.

    Gemeinsam ist beiden Protagonisten, dass sie sich dazu entschließen, die sichere Schweiz zu verlassen und nach Russland zu gehen, als Stalin bereits an der Macht ist. Sabina fällt dort mit ihrer Familie der deutschen Judenverfolgung zum Opfer, Platten wird nach langer Haft in einem russischen Straflager exekutiert. Beide haben sich „Ins Unbekannte“ gewagt, beide bezahlten dafür mit dem Leben. Dies wird von Hartmann respektvoll zurückhaltend erzählt. Erschütternd ist es dennoch.

    Mir waren weder Spielrein noch Platten vor der Lektüre bekannt – und hierin sehe ich die eigentliche Stärke des Romans – diese beiden Persönlichkeiten ins Bewusstsein zu holen, die historischen Fakten mit der Wucht des gelebten Dramas zu verbinden. Hartmann rollt diese beiden Leben auf und bringt uns ihre Tragik näher. Er erinnert uns auch daran, dass totalitäre Regime zu allen Zeiten dieselben Kennzeichen haben, an denen man sie leicht erkennen kann. Das kann vielleicht helfen in einer Zeit, in der Gewissheiten schwierig scheinen.

    Fazit: Trotz kleiner Mängel ein beeindruckender Roman mit Nachhall.

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  1. ‚Der rote Fritz‘ + Sabina, die Psychoanalytikerin

    Am Anfang dachte / hoffte ich immer noch auf ein Kennenlernen der zwei Protagonisten, habe sogar ausgerechnet, dass sie altersmäßig zusammenpassen würden. Nichts war’s!!!! Zwei parallele Biografien warten hier im Buch auf die Leserschaft.

    Seltsamerweise störte mich das nicht – zu interessant waren diese beiden Lebensläufe:
    Sabina Spielrein stammt aus Rostow am Don und wird 1905 von ihrer Mutter in die psychiatrische Klinik Burghölzli in Zürich gebracht. Vor ihr liegen aufregende und prägende Jahre in der Schweiz, besonders beeinflusst durch den Psychoanalytiker Dr. Carl Gustav Jung.

    Fritz Platten dagegen stammt aus der Schweiz, erzählt aber sein Leben rückblickend im Straflager Lipowo in Nordwestrussland, in der berüchtigten Lagerbaracke 4.

    Er opferte auf dem Altar seiner fanatischen Einstellung seine Eltern, seine 4 Frauen und auch seine 2 Kinder. In Erinnerung blieb er, weil er die Reise Lenins im verplombten Zug durch Europa organisiert hatte und auch als Lenins Lebensretter bekannt wurde.

    Die zwei Lebensläufe – immer abwechselnd erzählt – packten mich und wühlten mich gewaltig auf: bei Sabina das Ende und bei Fritz war mein Adrenalin während seiner ganzen Geschichte ‚am Anschlag‘.
    Sehr treffend empfand ich nämlich die Beschreibung des Systems der Heimlichkeiten - 'Über das durfte nicht gesprochen werden', 'jenes durfte sie ihm nicht sagen', 'die Wahrheit werde ohnehin vertuscht'- und war mächtig angewidert davon! (Das geht mir allerdings auch mit den anderen politischen Religionen so!)

    Haften bleiben wird bei mir auch der allgemein gültige Satz, der absolut zeitlos ist: „"Sobald politische Führer bereit sind, über Leichen zu sehen, gehören sie zur selben Kategorie, zu jener der Zerstörer und Mörder." (Und mit dem Erscheinungsjahr 2022 des Buches ist auch damit die politische Aktualität hergestellt!)

    Ich empfand diese Lektüre als sehr bereichernd, erfuhr ich doch aus ihr einige Fakten, die mir bisher unbekannt waren. Wunderschöne Sätze voller Lebensweisheit taten ihr Übriges! Ich kann nicht anders, als die Höchstzahl der möglichen Sterne zu vergeben und drücke dieses Buch allen, die Interesse an Geschichte haben, wärmstens ans Herz.

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  1. Zwei bewegende Lebensläufe in bewegten Zeiten

    Lukas Hartmann ist einer der bekanntesten Schweizer Autoren. Er beschäftigt sich gerne mit in Vergessenheit geratenen historischen Persönlichkeiten. In diesem Roman „Ins Unbekannte“ geht es um Fritz Platten (1883 – 1942) und Sabina Spielrein (1885 – 1942). Hartmann wechselt beide Perspektiven kontinuierlich, die Kapitelüberschriften weisen uns den Weg, wo wir uns gerade mit wem befinden.

    Sabina Spielrein ist eine Tochter aus wohlhabenden jüdisch-russischen Verhältnissen. Mit der Diagnose, eine Hysterikerin zu sein (ein Schicksal, das vielen unangepassten Frauen jener Zeit widerfuhr), wird sie ins psychiatrische Klinikum „Burghölzi“ in Zürich eingeliefert. Sie ist erst 19 Jahre alt. Ihre Eltern kommen offenbar mit ihren Ausrastern nicht mehr zurecht, Sabina leidet unter der fortgesetzter Züchtigung und Diskriminierung im Elternhaus. Schnell verliebt sich die junge Frau in ihren Therapeuten Carl Gustav Jung, einen langjährigen Freund und Unterstützer Siegmund Freuds. Auch der verheiratete Jung fühlt sich zu Sabina hingezogen. Es beginnt eine wechselhafte Liaison, an deren Höhen und Tiefen wir als Leser teilhaben dürfen. Jung scheint positiv auf den Gesundheitszustand der jungen Frau zu wirken, außerdem ermutigt er sie zur Aufnahme eines Medizinstudiums, das die Grundlage für ihre erfolgreiche Karriere bildet. Die Psychoanalytik wird ihr lebenslanges Fachgebiet bleiben. Doch natürlich hat diese ungleiche Liebe auch ihre Schattenseiten. Für Sabina wird Jung eine lebenslange Prägeinstanz bleiben.

    Fritz Platten lernen wir erst 1941 im Straflager Lipowo kennen. Er wurde dort zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt, die Arbeit ist monoton, die Lebensbedingungen hart. Fritz lässt sein Leben Revue passieren. Als Arbeiterkind blieb ihm das Gymnasium versagt, die Rechte der Arbeiterklasse lagen ihm stets am Herzen. Zunächst engagierte er sich in der Schweizer Sozialdemokratie (SPS), radikalisierte sich aber zunehmend zum Kommunisten. Nachdem er mit dem Gesetz in Konflikt kam, zog es ihn immer wieder nach Russland. Er war ein Idealist, ein Eiferer, der sich vehement für einen gerechten Kommunismus einsetzte. Er lernte Lenin persönlich kennen und gilt sogar als dessen Lebensretter. Fritz Platten lebte für seine Ideale, denen er sein Privatleben konsequent unterordnete. Auf der Strecke blieben mehrere Ehefrauen, Partnerinnen und Kinder, die Bestandteil seiner nachdenklichen Rückblicke sind. Er beleuchtet aber auch seinen politischen Werdegang kritisch, insbesondere reibt er sich an seinem zeitweiligen Wegbegleiter Robert Grimm, der einen moderateren Weg als Platten eingeschlagen hat und 1941 noch für die SPS im Nationalrat sitzt.

    Die Lebensdaten der beiden Figuren sind nahezu identisch. Man wartet gespannt darauf, dass sich die beiden begegnen werden oder sucht einen anderweitigen Zusammenhang. Davon abgesehen lesen sich beide biografischen Verläufe fesselnd, weil viel von der Innensicht der Protagonisten preisgegeben wird.
    Hartmann versteht es, seinen Figuren Leben einzuhauchen. Man findet sich sehr schnell ins Geschehen ein. Das jeweilige Zeitkolorit wird höchst authentisch geschildert, obwohl der Stil eher sachlich-distanziert gehalten ist. Es sind bewegte Zeiten, durch die sich die Protagonisten bewegen. Beide brennen in gewisser Weise für etwas bzw. für jemanden. Mir fiel der Zugang zu Sabinas Biografie etwas leichter, wahrscheinlich, weil bei ihr vornehmlich persönliche und berufliche Entwicklungen im Vordergrund stehen, während bei Fritz das Politische dominiert. Außerdem handelt es sich bei ihm konstant um retrospektive Betrachtungen, bei Sabina ist man unmittelbarer am fortlaufenden Geschehen beteiligt. In beiden Biografien spürt man die latente Benachteiligung von Frauen, von einer Gleichberechtigung der Geschlechter ist man noch meilenweit entfernt. Das gilt bei den Eidgenossen ebenso wie bei den Russen.

    Hartmann hat sich bemüht, die biografischen Daten detailgenau mit einfließen zu lassen. Je nach Interessenlage mag das dem ein oder anderen etwas üppig geraten sein, für die Gesamtbewertung der Figuren sind die verschiedenen Stationen jedoch bedeutsam. Hartmann verklärt die Figuren in keiner Weise, er deckt Brüche, Rücksichtslosigkeiten oder Irrationalitäten schonungslos auf. Sein Ziel ist es nicht, allzu viel Sympathie mit Sabina und Fritz zu generieren. Trotzdem trifft einen das respektvoll gehaltene Ende des Romans mit Macht. Hier zeigt Hartmann die Härte und Gewissenlosigkeit unterschiedlicher Diktaturen mit voller Wucht.

    „Ins Unbekannte“ ist ein lesenswertes, informatives Buch. Es beugt sich nicht dem derzeitigen Trend allzu gefällig gehaltener biografischer Romane, es erzeugt keine Heldenmythen und wirkt sehr glaubwürdig. Sabina und Fritz sind zwei Figuren, die hiermit dem Vergessen entrissen werden. Ihre Schicksale stehen stellvertretend für viele andere. Leseempfehlung!

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  1. Möglichst wenig auffallen ...

    "Ins Unbekannte" behandelt die Lebensläufe zweier völlig unterschiedlicher Menschen. Der Schweizer Fritz Platten, 1883 geboren, schloss sich früh der sozialdemokratischen Partei an und später der kommunistischen Partei der Schweiz. Sein leidenschaftlicher Einsatz für die Ziele der Internationale brachte ihn in seiner Heimat in Schwierigkeiten. Er war ein persönlicher Bekannter und großer Bewunderer Lenins, was ihn aber letztlich unter dem Stalinismus nicht geholfen hat: Bereits am Beginn des Romans, 1905, befindet er sich wegen Spionagetätigkeit in einem sowjetischen Straflager. Der eintönige Alltag mit der Fertigung von Schindeln lässt den Gedanken Raum. Platten erinnert sich an die Frauen seines Lebens, die er keineswegs immer anständig behandelt hat. Für ihn hat immer der Gedanke an "das große Ganze" vor privaten Verpflichtungen rangiert.

    Demgegenüber steht der Lebensweg der Russin Sabina Spielrein. Sie stammt aus bürgerlichem jüdischem Elternhaus in Rostow, wird aber 1905 wegen anhaltender "hysterischer" Zustände von ihrer Familie in die Schweiz gebracht, an die renommierte psychiatrische Klinik in Burghölzli, wo Carl Gustav Jung, der MItbegründer der Psychoanalyse, als Arzt wirkt. Die Begegnung der beiden wird eingehend und mit großer Einfühlsamkeit geschildert. Sabina, zu diesem Zeitpunkt neunzehn, erscheint mehr als Rebellin denn als psychisch krank. In den Gesprächen mit Jung lassen ihre Anfälle nach, sie kann sich ernst genommen fühlen. Er ermutigt sie sogar, selbst ein Medizinstudium aufzunehmen. Es ist hinreichend bekannt, dass die beiden ein Liebesverhältnis hatten, obwohl Jung Familienvater war - der klassische Fall der Verliebtheit der Patientin in den Seelenarzt.

    Der Roman begleitet Sabina weit über diese Episode hinaus bis zu ihren letzten Lebenstagen in Rostow. Ihr Leben war - auch unter Berücksichtigung der politischen Verwerfungen der Zeit - ein schwieriges. Sie musste sich als Ärztin durchsetzen, sich neben der Arbeit allein um ihre Tochter kümmern, von 1923 an im sowjetischen System arbeiten und dabei ununterbrochen ihre Linientreue beweisen, ganz abgesehen von den Ressentiments, die ihr als Jüdin entgegengebracht wurden - und letzteres gilt mehr oder weniger für jedes Umfeld, in dem sie tätig war. In den Kapiteln, die sich um ihre tägliche Plackerei und ihr Bemühen um Anpassung drehen, zeigt Hartmann großes schriftstellerisches Können. Mit wenigen Sätzen macht er jeweils fühlbar, wie sich seine Heldin (hier stimmt die Bezeichnung) unter ihren persönlichen Verantwortlichkeiten aufrieb - für ihren Ehemann, die beiden Töchter, die Familie überhaupt, und für die ihr anvertrauten Patienten. Wie sie nebenher noch Zeit fand, Forschungen zu betreiben, wissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben und ihren Töchtern Geigenspiel beizubringen. Hier hat Hartmanns Roman seine großen Momente. Der Stil ist eher unauffällig, der Erzähler scheint bewusst hinter die Persönlichkeit Spielreins zurückzutreten, die sich als so stark erweist und doch in jeder Lebenslage darum ringt, möglichst wenig aufzufallen. Die Tragik dieses Lebens unter immer neuen Zwängen lässt wohl keinen Leser kalt.

    Fritz Platten kommt - in mehrfacher Hinsicht - bei Hartmann schlechter weg. Zum einen ist er als Persönlichkeit weit weniger interessant, oder es gibt über ihn einfach nicht so viel zu wissen, jedenfalls sind seine Kapitel über weite Strecken mehr oder weniger schlichte Chronik seiner politischen Anstrengungen, wie man sie auch im Lexikon lesen kann. Zum anderen ist er - mein persönlicher Eindruck - auch einfach ein Mensch, über den man sich ärgern muss; der typische "Aktivist", der sich für eine abstrakte Idee leidenschaftlich einsetzt und darüber sein persönliches Umfeld völlig vernachlässigt. Vielleicht hat Hartmann ihn deshalb gleichsam als Gegenpart zu Sabina Spielrein gewählt.

    "Ins Unbekannte" ist ein leises und zurückhaltendes Buch. Über weite Strecken erscheint es unpersönlich, hält den Stil einer schlichten Chronik der Ereignisse ein. Das betrifft, wie gesagt, besonders die Kapitel über Platten. Vom Ende her betrachtet sind jedoch beide Lebensläufe gleich bedeutungsvoll und tragisch. Hartmann zeigt die Lebensläufe zweier ganz unterschiedlicher Menschen auf, die von den großen Umwälzungen der Zeit buchstäblich aufgerieben wurden. Fazit: sehr empfehlenswert!

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  1. Die Grenzen der Freiheit

    Menschen sollten frei sein und selbst entscheiden dürfen, welche politischen, gesellschaftlichen und religiösen Wege sie einschlagen, solange sie anderen auch diese Freiheit zugestehen. Die europäische Geschichte lehrt uns eines Besseren, insbesondere die finsteren Jahre vor und während des Zweiten Weltkriegs.

    Lukas Hartmann geht mit zwei sehr unterschiedlichen Menschen "Ins Unbekannte".

    Den hoffnungsvollen Anfang macht Sabina Spielrein, einer 19 jährigen Russin, die von ihren vermögenden Eltern 1904 in die schweizerische Uniklinik Burghölzli eingeliefert wird. Sabina gilt als hysterisch, ihre Eltern sind mit ihr überfordert. Der 10 Jahre ältere Carl Gustav Jung nimmt sich ihrer Behandlung an. Die neuen Methoden der psychanalytischen Gespräche zeigen ihre Wirkung. Sabina reift zur jungen Dame und fasst den Entschluss, Medizin zu studieren und in die Fussstapfen ihres umschwärmten Vorbildes zu treten. Da die Affaire mit ihrem Arzt auf unfruchtbaren Boden fällt und auch Dr. Freud, den sie in Wien kennengelernt hat, ihr zu mehr Abstand rät, heiratet sie 1912 den russischen Arzt Pawel Scheftel in Rostow, kehrt aber zur Geburt ihrer ersten Tochter nach Berlin zurück. Pawel ist unglücklich in Berlin und reist heimwärts. Erst 1923, auf drängende Bitten ihrer Familie und ihres Mannes, fährt auch Sabina ins Ungewisse, in die Sowjetunion...

    Ganz anders ergeht es Fritz Platten. 1883 in der Schweiz geboren, lernen wir ihn im November 1941 im sowjetischen Straflager Lipowo kennen. Rückblenden während seiner monotonen Arbeit und seinen albtraumgeplagten Nächten erzählen uns von seinem Leben in der Schweiz, von einer abgebrochenen Schlosserlehre, von seinem Engagement im Arbeiterbund, seiner maßgeblichen Beteiligung am schweizerischen Landesstreik, aber vor allem seiner Heldentat, dem exilierten Lenin 1917 die Rückkehr mit dem Zug quer durchs feindliche Deutschland in dessen Heimatland zu ermöglichen. Fritz Platten wird zum überzeugten Kommunisten und emigriert 1923 ins vermeintliche Arbeiterparadies, mit seiner großen Liebe Berta Zimmermann. Mit einer landwirtschaftlichen Kommune scheitert er grandios und konzentriert sich ab 1926 lieber als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moskauer Agrarinstitut. Doch ihn ereilen die stalinistischen Säuberungsaktionen...

    Lukas Hartmann lässt 1905 diese beiden Menschen in Zürich bei einer Demonstration aufeinandertreffen. Beide noch jung, voller Hoffungen und Ideale, streifen sich ihre Blicke nur für einen Atemzug, dann tauchen beide schon wieder ab, in ihre ganz eigenen Biografien. Sabina mit ihrer Metamorphose vom getriebenen Kind zur selbständigen Frau und anerkannten Psychanalytikerin. Fritz vom umstürzlerischen Jungspund zum gefestigten Mann mit Überzeugungen, der selbst im Straflager an Stalins Unfehlbarkeit glaubt.

    Beide kannten nicht die ganzen Spielregeln. Beide waren davon überzeugt, dass alles menschlich bleibt. Sabina ging 1942, weil sie dazu aufgefordert wurde, mit 25000 weiteren Juden zum Schulgebäude von Rostow. Fritz erhob sich 1942 von seinem Krankenlager, um ein letztes Mal die Gedenkstätte für seine verstorbene Frau Berta zu besuchen, begleitet von Pjotr, dem er vertraut, der ihm die Wunden versorgte.

    Voller Respekt beendet Hartmann an dieser Stelle seinen Roman. Er möchte kein weiteres mal vom Unrecht und von der Sinnlosigkeit erzählen. Er erzählt von Lebensentwürfen, von Reifung und Umbruch. Er geleitet den Leser ins Unbekannte und vermittelt einen Eindruck davon, wieviel Potential, Fortschritt und Freiheit von Machtgier und Menschenhass zerstört wurde.

    Ein eindrücklicher Roman, der mit großen Namen die Neugier wachhält, Gewissheiten vorraussetzt und den Fokus auf (nur) zwei Menschen setzt, die uns den Geist dieser Zeit mit all seinen Varianten fassbar macht. Die Nachwirkung ist stark.

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  1. Interessant, einfühlsam und packend erzählt

    „Menschen sind und bleiben unterschiedlich. Man kann sie zu Gutem erziehen, aber nicht zurechtstutzen wie Nutzpflanzen.“ Zitat Seite 118)

    Inhalt
    Sabina Spielrein, eine junge Russin aus begüterten Verhältnissen, wird 1904 von ihren Eltern in eine psychiatrische Privatklinik in Zürich gebracht. Dort wird sie von Carl Gustav Jung, damals Oberarzt, behandelt. Er ermutigt sie, ihrem Wunsch zu folgen und Medizin zu studieren. Die Psychoanalyse wird ihr Fachgebiet. Der junge Schweizer Fritz Platten ist begabt und interessiert, er möchte lernen, aber die Armut seiner Eltern macht den Besuch des Gymnasiums unmöglich. 1918 ist er einer der Initiatoren des Schweizer Landesstreiks, kämpft für eine gerechtere Gesellschaft. Sabina gerät in eine Demonstration und für einige Augenblicke kreuzen sich zufällig ihre Wege. „Einer, der zuvorderst ging, fiel ihr besonders ins Auge. Er trug einen weit geschnittenen Mantel, sein ungewöhnlich langes Haar wehte im Wind.“ (Zitat Seite 117)

    Thema und Genre
    In diesem Roman mit einem realen geschichtlichen und biografischen Hintergrund geht es um die politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit Schwerpunkt Russland und Schweiz. Es geht um Fortschritt, Forschung und den Beginn der Psychoanalyse, um Bindungen, Familie, um persönliche Ziele, Träume, Ideologien, Gewalt, Unterdrückung, Aufbruch und Scheitern.

    Charaktere
    Bis auf einen kurzen, zufälligen Augenblick kennen die beiden Persönlichkeiten, um deren Biografie es in diesem Roman geht, nicht. Sabina Spielrein, Russin, Ärztin, eine der ersten Frauen, die sich auf das Fachgebiet Psychoanalyse spezialisiert, in langjährigem Kontakt und Gedankenaustausch mit C.G. Jung und Siegmund Freud. Fritz Platten, Schweizer, Nationalrat, zunächst Sozialdemokrat, dann überzeugter Kommunist, Revolutionär. Zwei Persönlichkeiten mit Zukunftsvisionen, eigenwillig und unangepasst.

    Handlung und Schreibstil
    Im Mittelpunkt des Romans stehen zwei konträre Lebensgeschichten, die der Autor abwechselnd erzählt. Während er dem Leben von Sabina Spielrein chronologisch folgt, schildert er die wichtigen Ereignisse und Stationen im Leben von Fritz Platten rückwirkend und nicht immer chronologisch, sondern je nach dessen jeweiligen Erinnerungen und gedanklichen Dialogen während der Nachtstunden seiner späten Lebensjahre. Die einzelnen Kapitel tragen als Überschrift die Ortsangabe und die Jahreszahl, wodurch die Zuordnung beim Lesen übersichtlich bleibt. Der ruhige Erzählstil nimmt sich Zeit und das Vernetzen der fiktiven Romanhandlung mit den biografischen Fakten wirkt logisch und gelingt wunderbar, ohne je konstruiert zu wirken. Der Autor nimmt sich Zeit für beide Persönlichkeiten, es sind nicht nur Ereignisse und Erfahrungen in deren Leben, sondern ebenso viel Raum nehmen ihre Entwicklung, ihre Gedanken, Überzeugungen, aber auch Zweifel und widersprüchliche Entscheidungen ein. So ergibt sich ein packendes, lebendiges Gesamtbild.

    Fazit
    Diese beiden Biografien zu lesen fand ich sehr spannend, dieses immer wiederkehrende Auseinandersetzen mit dem eigenen Lebensweg und den Entscheidungen, auch das Hinterfragen, ergibt für mich einen sehr vielseitigen Roman, interessant zu lesen. Gerade bei Romanen mit biografischem Hintergrund, mit Personen, die wirklich gelebt haben und deren Biografien man nachlesen kann, ist es nicht einfach, den richtigen und glaubhaften Weg zwischen Fakten und Fiktion zu finden, für mich ist es Lukas Hartmann perfekt gelungen.

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Alle meine Geister

Buchseite und Rezensionen zu 'Alle meine Geister' von Uwe Timm
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Alle meine Geister"

Hamburg 1955 – der noch 14-jährige Uwe wird von seinem Vater, dem Inhaber eines Pelzgeschäfts, in die Kürschnerlehre gegeben. Im Takt der Stechuhren lernt der junge Mann die kreative Präzision, die das heute fast ausgestorbene Handwerk erfordert, schult den Blick für das Material, die Kundinnen, die Tücken und Geheimnisse dieser Kunst. Er lauscht den Geschichten der Kollegen, schließt Freundschaften, bekommt Bücher empfohlen, entdeckt die Stadt und den Jazz. Der Lehrling, der vom Schreiben träumt, liest heimlich im Sortierzimmer Salinger und Camus, begleitet den »roten Erik« auf die Reeperbahn, erkundet mit dem Kollegen Johnny-Look, reichlich schüchtern noch, die Liebe, wird von Meister Kruse politisch initiiert und streitet sich nun umso intensiver mit dem Vater über die NS-Zeit. Inzwischen ist auf dem Pelzmarkt ein Preiskampf ausgebrochen, das Kürschnergeschäft der Familie floriert nicht mehr, und als der Vater plötzlich an einem Herzinfarkt stirbt, muss der 18-Jährige ein völlig überschuldetes Geschäft sanieren. Die harte Arbeit und die großen Sorgen bringen ihn nicht ab von der Vorstellung eines ganz anderen Lebens.

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:266
EAN:
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Rezensionen zu "Alle meine Geister"

  1. "Erinnern ist ein merkwürdiges Vergessen"

    Uwe Timm (Jahrgang 1940) ist einer der großen deutschen Erzähler. Er hat schon viele bedeutsame Romane vorgelegt, in denen sowohl historische wie auch biografische Stoffe verarbeitet werden. „Alle meine Geister“ ist ein Alterswerk im besten Sinn, in dem der Autor wesentliche Stationen und Begegnungen seines Lebens noch einmal Revue passieren lässt. Teilweise ist der Text chronologisch fortlaufend, teilweise wird er aber auch immer wieder unterbrochen – eben durch die „Geister der Erinnerung“, die dem Autor plötzlich eine andere Episode oder eine sein Leben prägende Figur ins Gedächtnis rufen. Das liest sich zwar durchaus kurzweilig und unterhaltsam, treibt aber auch vom Hauptthema weg, was sich immer mal wieder wie ein Cliffhanger anfühlt oder den Text fragmentarisch erscheinen lässt.

    Durch den Kriegstod seines älteren Bruders lagen die Erwartungen der Eltern auf Uwe, das väterliche Pelzgeschäft zu übernehmen. Mit 15 Jahren wird er deshalb in einem befreundeten Hamburger Betrieb als Kürschner in die Lehre gegeben, obwohl er viel lieber das Abitur gemacht und studiert hätte. Doch die Zeiten waren schwer, die Nachkriegsgeneration durfte sich selten frei entfalten.

    Als Leser lernt man ein ausgestorbenes Handwerk kennen. Man staunt über Sorgfalt, Geschick, Passion und Respekt, die offenbar zur Ausübung dieses Berufs notwendig sind. Timm erklärt die einzelnen Ausbildungsschritte hervorragend, lässt auch das Zwischenmenschliche nicht aus, indem er die Beobachtungen des aufmerksamen Lehrlings wiedergibt. Deutlich wird auch Timms Liebe zur Literatur. Er nutzt jede freie Stunde zum Lesen, oft auch verbotenerweise in der Sortierwerkstatt. Es verwundert daher nicht, dass der Autor auch die Lektüren, die für sein Leben wichtig waren, in diesem Buch zitiert und vorstellt. Er arbeitet ebenso heraus, wie nahe das Kürschnerhandwerk dem Schreiben ist: „…dieses Umbauen, Ausbessern, Ausstreichen, Überschreiben, Verschieben von Textteilen, diese dem Handwerk so nahe Arbeitsweise.“ Die Arbeit als Kürschner hat Timm demnach zu einem guten Schriftsteller gemacht.

    1958 muss Uwe das hoch verschuldete Pelzgeschäft seines Vaters übernehmen, die schwierige Sanierung gelingt. Parallel zur Arbeit dort holt Uwe das Abitur nach. Seinen Traum, Philosophie und Germanistik zu studieren, verliert er nicht aus den Augen, bis es 1964 endlich soweit ist. Die Mutter führt zu diesem Zeitpunkt das Geschäft weiter, bis der Pelz auch durch die Massenpelztierhaltung in Misskredit gerät und zum Verkauf des Ladens zwingt.

    Vieles erzählt Timm mit einem Augenzwinkern, er blickt zufrieden und ohne Groll auf sein Leben zurück. Man folgt seinen Anekdoten und Geschichten aus der Jugendzeit gern, zu denen auch eine kritische Auseinandersetzung über die Verantwortung der Elterngeneration am Nationalsozialismus sowie eigene politische Ansichten gehören. Der Autor scheint immer vertrauensvolle Mentoren und zuverlässige Freunde um sich gehabt zu haben, auch Liebesgeschichten tauchen vereinzelt auf.

    Ich habe das Buch sehr gerne gelesen. Bestimmt können Leser/innen, die Uwe Timms Gesamtwerk sowie die vielen literarischen Bezüge kennen, noch mehr mit diesem Erinnerungsbuch anfangen. Aber auch ohne dieses Verständnis ist der Text leicht zugänglich, allerdings muss man sich auf einige (Gedanken-)sprünge einlassen können.

    Leseempfehlung!

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  1. Handwerk und Schreiben

    "Der die Existenz bestimmende Zufall bringt die Freiheit der Wahl mit sich, jemand, der ein gutes Blatt bekommen hat, kann ein schlechtes Spiel machen und verlieren, ein anderer mit schlechten Karten macht ein gutes, überlegtes Spiel und gewinnt." (S. 164)

    Ein Buch des 1940 in Hamburg geborenen Uwe Timm zur Hand zu nehmen, heißt für mich, mit den ersten Sätzen in der Lektüre anzukommen. Besonders gilt das für seine Erinnerungsbücher. "Alle meine Geister" reiht sich zeitlich nach "Am Beispiel meines Bruders" (2003) ein, in dem Uwe Timm auf höchst ergreifende Weise dem Schicksal seines 1943 gefallenen Bruders nachspürt und der Frage, warum der sich als 18-Jähriger freiwillig zur Waffen-SS meldete. Am Ende von "Alle meine Geister" steht der Aufbruch aus der Enge Hamburgs ans Braunschweig-Kolleg, wo Uwe Timm sich ab 1961 zusammen mit Benno Ohnesorg auf sein Abitur vorbereitete, Stoff von "Der Freund und der Fremde" (2005).

    Kein Wunschberuf
    Den Beruf des Kürschners hatte sich Uwe Timm nicht ausgesucht, genauso wenig wie sein Vater, dessen Einstieg in die Selbstständigkeit im Pelzgeschäft der Fund einer Pelznähmaschine im Nachkriegs-Hamburg war. Nun wurde der Sohn, der einer Rechtschreibschwäche nach väterlicher Ansicht nicht zum Abitur taugte, als knapp Fünfzehnjähriger beim Hamburger Platzhirsch, dem soliden Pelz- und Modehaus Levermann in die Lehre geschickt, um einen Nachfolger für Pelze Timm auszubilden.

    Prägende Jahre verbrachte der junge Uwe Timm in der streng hierarchisch geprägten Werkstatt nahe dem Rathaus, lernte die heute nahezu vergessenen Fertigkeiten, das Vokabular und die jahrhundertealten Geheimnisse der Kürschnerei, hörte die Geschichten der Meister, Gesellen, Näherinnen und Kundinnen von Krieg, Heldentum, Flucht und Vertreibung, aber auch vom Jazz und von Amerika. Heimlich frönte er im Sortierzimmer dem „zufällige[n], anarchistisch[en] Lesen“ (S. 272) von Roald Amundsen über Salinger, Benn, Dostojewski, Tostoi und Schopenhauer bis Brecht, Camus, Bachmann und Heißenbüttel. Der SS-Staat von Eugen Kogon, entliehen vom Meister Walther Kruse, befeuerte den Dauerkonflikt mit dem Vater über das Schweigen im Nationalsozialismus. Der frühe Tod des Vaters 1958 kurz nach der mit Auszeichnung bestandener Gesellenprüfung des Sohnes beendete nach drei Monaten dessen Besuch des Abendgymnasiums. Obwohl er Pelze Timm bis 1960 in die schwarzen Zahlen zurückführte, übergab Uwe Timm das Geschäft an seine Mutter, um ab 1961 in Braunschweig die Voraussetzungen für ein Studium und die erträumte Schriftstellerlaufbahn zu schaffen.

    Die Möglichkeit des Gelingens
    Ich habe auch dieses dritte Erinnerungsbuch von Uwe Timm mit Freude und Begeisterung gelesen und ihm beim Staunen über Erinnern und Vergessen über die Schulter geblickt:

    "Wie eigentümlich sich Details, ohne ihre tiefere Bedeutung zu verraten, in unsere Erinnerung beharrlich gegen das Vergessen verkapseln." (S. 123)

    "Alle meine Geister" ist eine Hommage an eine, durch veränderte Umstände auch in den Augen des Autors glücklicherweise untergegangene Handwerkstradition, eine Sammlung von Anekdoten und empathisch gezeichneten Porträts, Nachkriegsgeschichte, Entwicklungs- und Bildungsroman und vor allem Zeugnis der Faszination für gute Literatur:

    "Das Erstaunliche ist, dass diese hohe Perfektion nicht entmutigt, sondern ein Versprechen auf die Möglichkeit des Gelingens gibt…" (S. 177)

    Mit den als Kürschner erlernten Fähigkeiten des sorgfältigen Sortierens und Anordnens hat Uwe Timm hier ein exakt solch gelungenes Stück Literatur geschaffen.

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  1. 5
    07. Sep 2023 

    Ein Erinnerungsbuch

    Uwe Timm ist unbestritten einer der ganz Großen der deutschen Gegenwartsliteratur. Nun legt er mit „ Alle meine Geister“ ein
    Erinnerungsbuch vor.
    Es gab schon andere Bücher, in denen Uwe Timm seine eigene Familiengeschichte bzw. sein eigenes Leben zu Literatur gemacht hat. Man denke hier nur an sein berühmtestes Werk, die 2003 erschienene Erzählung „ Am Beispiel meines Bruders“. Hierin erzählt er die Geschichte seines älteren Bruders, der sich als Jugendlicher zur Waffen-SS gemeldet hatte und 1943 an der Ostfront fiel. Oder „ Der Freund und der Fremde“, zwei Jahre später erschienen, über seinen Freund Benno Ohnesorg.
    In „ Alle meine Geister“ geht es um die Jugendjahre des Autors selbst.
    Uwe Timm ist der Nachzügler in der Familie. Nach Kriegsende kehren Mutter und Sohn ins zerstörte Hamburg zurück. Der Vater eröffnet nach der Entlassung aus englischer Kriegsgefangenschaft ein Pelzgeschäft in Hamburg. Und für den Vater stand fest, dass sein Sohn einmal das väterliche Geschäft übernehmen würde. Deshalb beginnt der fünfzehnjährige Uwe nach dem Abschluss der Volksschule eine Kürschnerlehre in einem großen Hamburger Pelzgeschäft. Pelze hatten damals noch nicht den schlechten Ruf, den sie heute haben. Im Gegenteil! Wer es sich leisten konnte, trug welche. Und die Kürschnerei war ein hoch angesehenes Handwerk, zählte im Mittelalter zu den „ sieben Höheren Künsten“. Uwe Timm beschreibt nun ziemlich detailliert und voller Leidenschaft, was ein Kürschner können musste, worauf es ankam und was für vielerlei Arten von Fellen es gibt. „Das muss, da der Beruf ausstirbt oder in seiner exklusiven Feinheit bereits ausgestorben ist, so ausführlich beschrieben werden, Mit ihm gehen seine Kenntnisse, seine Handreichungen, Fertigkeiten und auch jahrhundertalte Geheimnisse verloren.“ So lesen sich große Teile des Buches als Würdigung eines Handwerks, das es so nicht mehr gibt.
    Aber Uwe Timm zieht auch eine Analogie zum Schreiben. Nicht nur, dass beim Sortieren und der Suche nach dem passenden Fellstück Zeit war für das Geschichtenerzählen. Auch die Sorgfalt und das genaue Hinsehen sind Eigenschaften, die der Kürschner und der Schriftsteller gleichermaßen beherrschen müssen.
    Außerdem erzählt Uwe Timm von den Menschen, die ihn begleitet haben und von deren Einfluss auf sein Leben. Zahlreiche, z.T. humorvolle Geschichten und Anekdoten durchziehen das Buch. Einer der Gesellen erzählt vom Seekrieg und seinen norwegischen Freundinnen, bringt Jazzplatten mit, die zuhause bei Timms verpönt sind. Ein anderer taucht mit einer „abgetragenen proletarischen Lederjacke“ im mondänen Pelzgeschäft auf und weckt mit seinen Erzählungen vom fernen Amerika die Sehnsucht danach im jungen Uwe.
    Wichtig für den Lehrling wird schließlich auch sein Meister Walter Kruse, ein alter Genosse und Gewerkschaftler. Er vermittelt ihm nicht nur die Feinheiten seines Berufes, sondern auch einen „kritischen Blick auf die Gesellschaft und auf die deutsche Geschichte“. Damit beginnt gleichzeitig der Streit mit seinem Vater über die Verantwortung der Elterngeneration am Dritten Reich.

    In jeder Lebensphase waren Bücher für Uwe Timm elementar. Auch davon schreibt er, von seinen Lektüren und den Menschen, die sie ihm nahegebracht haben. War es anfangs die Mutter, die ihm vorlas, „ Grimms Märchen“ und die „ Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“, so sind es später Arbeitskollegen und Weggefährten, die seine Lektüre beeinflussen.
    Der eine bringt ihn mit amerikanischer Literatur, Salinger und Hemingway, in Kontakt, Meister Kruse empfiehlt die Russen, Lermontow, Turgenjew und vor allem Gogol. Danach hat Uwe Timm Dostojewski gelesen, „Roman um Roman“, die Figur des „ Idioten“ Fürst Myschkin war ihm „ wie ein Bruder nah“.
    Benn - Gedichte werden von einem Kollegen zitiert. Da stört den Siebzehnjährigen, dass dieser „ die Verse wie Einwickelpapier für seine Meinungen benutzte.“ Kafkas „ Verwandlung“ bringt ihm einen neuen Blick auf den Beruf des Kürschners, eine Verpflichtung, durch sorgsame Arbeit dem Tod der Tiere „ Achtung zu zollen“.
    All diese Leseerfahrungen bestätigten den jungen Uwe Timm in seinem Wunsch zu schreiben.
    Doch dafür war vorerst keine Zeit. Kurz nach der bestandenen Lehre ( als Lehrlingsbester seiner Zunft in Hamburg ) stirbt überraschend der Vater an einem Herzschlag, erst 58 Jahre alt. Der 18jährige Uwe Timm übernimmt das hochverschuldete Geschäft seines Vaters und schafft es, gemeinsam mit der Mutter und der älteren Schwester, den Betrieb wieder rentabel zu machen.
    Doch die Zeiten für das Kürschnerhandwerk gehen zu Ende. Nicht nur, weil das Geschäft mit dem Leid und dem Tod so vieler Tiere in Verruf geraten war, sondern auch wegen dem Strukturwandel. Die Luxusware Pelz wurde zu einem billigen Massenprodukt, Pelze aus Kunstfasern waren gefragt.
    Und als die über 80jährige Mutter eines Tages ihr Geschäft aufschließen will, prangt am Schaufenster das Wort „ Mörder“. Das war das Ende von „ Pelze Timm“, das Geschäft wurde verkauft.
    Uwe Timm bewirbt sich nun am Braunschweig- Kolleg, wo er mit einem Stipendium in zwei Jahren sein Abitur nachholen kann und wo später der gelernte Dekorateur Benno Ohnesorg sein Mitschüler und Freund werden würde.
    Hier endet das Buch und man darf hoffen, dass Uwe Timm seine Erinnerungen in einem weiteren Band fortführt .
    Natürlich waren auch Mädchen ein Thema für den jungen Uwe Timm. Doch anfangs ist er viel zu schüchtern, um selbst die Initiative zu ergreifen. Erst bei einer Ferienreise nach Schweden mit einem Freund kommt es zu einer Nacht mit einer hübschen Schwedin. Im Reisegepäck hatte Uwe Timm passenderweise Henry Millers „ Wendekreis des Krebses“.
    Neben all den Erlebnissen, den eigenen und den von anderen, steht immer wieder die aktuelle Lektüre im Zentrum seiner Erinnerungen. Ob „ Buddenbrooks“ oder „ Anna Karenina“, immer wieder belässt es Uwe Timm nicht bei der Aufzählung der Titel, sondern findet Bezüge zu sich selbst oder liefert kurze Interpretationsansätze. Ganz wichtig für seine weitere Entwicklung sollte Camus „ Der Fremde“ werden. Auch eigene Bücher fließen in den Reflexionsprozess ein.
    Leser, die mit dem Werk von Uwe Timm vertraut sind, werden auf manch Bekanntes stoßen. Andere dürften Lust bekommen haben auf die Romane und Erzählungen des Autors. Dieses Buch hier kann ich nur empfehlen.

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Wo die Fremde beginnt

Buchseite und Rezensionen zu 'Wo die Fremde beginnt' von Elisabeth Wellershaus
3
3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Wo die Fremde beginnt"

Fremdheit ist ein Phänomen, das die Journalistin Elisabeth Wellershaus seit frühester Kindheit aus den Zuschreibungen anderer kennt. In ihrem Buch zeichnet sie nach, wie viel komplexer, allgegenwärtiger und bereichernder sie die Fremde selbst wahrnimmt – und warum sie uns verbindet. Wellershaus ist im bürgerlichen Stadtteil Hamburg-Volksdorf mit ihren weißen Großeltern und ihrer weißen Mutter aufgewachsen. Ihr Vater lebte als Kind auf einer Kakaoplantage in Äquatorialguinea und zog in den 1960er Jahren an die Costa del Sol. Fremdheit hat sie als Schwarze Deutsche zwischen Hamburg, Malaga und den Lebenswelten ihrer Eltern als komplexes Konstrukt kennengelernt. Nach Studienjahren in London lebt sie als Journalistin mit klassischer Kleinfamilie im gentrifizierten Teil des Berliner Stadtteils Pankow. Heute gehört sie zur privilegierten Mittelschicht, und einfache Zugehörigkeitsnarrative greifen längst nicht mehr. In ihrem Buch erforscht Wellershaus Kontexte, in denen Fremdheit sich nicht gleich auf den ersten Blick erschließt: in Freundschaften, Arbeitsbeziehungen, Nachbarschaften, der Familie – in unmittelbarer Nähe. Sie erzählt von unentschlossenen Biografien, komplexen Identitäten und verknüpft die Weltwahrnehmungen anderer mit eigenen. Dadurch gelingt es ihr auf unnachahmliche Weise, die identitätspolitischen Perspektiven der Gegenwart zu erweitern.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:158
Verlag: C.H.Beck
EAN:9783406799327
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Rezensionen zu "Wo die Fremde beginnt"

  1. Aus der Bubble in die Bubble.

    Kurzmeinung: Biographische Notizen einer Journalistin.

    Vorrede: Ich weiß nicht, was ich mir von diesem erlebnisberichtähnlichen Sachbuch erwartet habe, jedenfalls nicht, dass ich mich nach der Lektüre immer noch frage, was will mir die Autorin eigentlich sagen? Dass die Fremde vor der Haustür beginnt? Binse.

    Aber von vorne: Die privilegierte, in einer Baugruppe in Berlin lebende Autorin, macht sich Gedanken über ihre Identität als schwarze Frau in Deutschland und in der ganzen Welt. In ihrer Kindheit in einem Vorort Hamburgs war sie oft das einzige schwarze Kind in einer Weißen Umgebung. Sie war nicht ausgegrenzt, fühlte sich aber so. Dabei passte sie ökonomisch ziemlich gut hinein. Sie hatte Freunde und die üblichen Probleme von Jugendlichen. Sie machte mit guten Noten Abitur und begann, sich einen Platz in der Welt zu erobern.

    Dass man als Berufsanfänger nicht gleich ein geregeltes Supergehalt hat, ist ganz normal. Und dass man als Freischaffender prekäre Beschäftigungsverhältnisse erlebt, ist keine Ausnahme mehr in der deutschen/europäischen Gesellschaft, sondern die prekären Beschäftigungsverhältnisse werden unter Akademikern aller Art immer normaler. Der Autorin ist dies bewusst „selbst Bildung schützt nicht mehr vor Ausbeutung, Wohnunsicherheit und Randständigkeit.“ Sie spricht vom unbarmherzigen Stadtumfeld. Doch das alles hat nicht viel mit Hautfarbe oder Herkunft zu tun, sondern mit dem kapitalistischen System, mit alten Seilschaften und mit Vitamin B. Ich würde es ja verstehen, wenn man sich in einem unmenschlichen kapitalistischen System fremd fühlt, aber davon ist im Buch nur marginal die Rede. Wie auch, da die Autorin inzwischen ganz und gar dazugehört, zu diesem System. Entgegen ihrem Fremdheitsgefühl.

    Thema. Nichtzugehörigkeit. Die Mär von der Zugehörigkeit. Nämlich die der anderen. Ist nichts anderes als ein Mythos. Schon die (alten) Dichter schreiben von der Fremdheit in der Welt. „Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen, die von nichts wissen, wachsen auf und sterben, und alle Menschen gehen ihrer Wege“, Hugo von Hofmannsthal. „Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein“, Andreas von Gryphius, „Ach, wen vermögen wir denn zu brauchen, Engel nicht, Menschen nicht, und die findigen Tieren merken es schon, dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind in der gedeuteten Welt.“ Rainer Maria Rilke. Alles alte weiße Männer? So what?

    Was ich damit sagen will, die Gegenwart war immer schon fragil. Schauen wir uns den Dreißigjährigen Krieg an, da schlackert man mit den Ohren! Und das Fremde beginnt in dir und ist nichts anderes als die Begegnung mit dem Leben. Was soll heute so grundlegend anders sein? Zum Glück fällt der Autorin diese Tatsache manchmal ein, „Sind wir uns einander und uns selbst nicht alle fremd?“ um sie alsbald wieder zu „vergessen“.

    Wenn Elisabeth Wellershaus von ihrer persönlichen Biographie spricht, folge ich ihr gerne. So ungewöhnlich finde ich ihre Herkunft jedoch gar nicht.

    Vom Hamburger Vorort ihrer Jugend sagt sie folgendes: „Man sieht es den akkurat geschnittenen Hecken immer noch an, wie sehr sich hier manche an der gesellschaftlichen Etikette festhalten. Die roten Klinker grüßen rechts und links – vertraut, aber auf höfliche Distanz bedacht. Aus manchen Häusern weht mir noch leise Abwehr entgegen. Eine Erinnerung an Tage, in denen meine Anwesenheit vor allem diejenigen störte, die sich um ihre Zughörigkeit zur Volksdorfer Bourgeoisie sorgten.“ Solche Worte klingen hübsch, literarisch, poetisch gar, aber: woran macht sie das fest? Leider erzählt sie das nicht.

    Von höflicher Distanz (als Vorwurf) spricht ausgerechnet diejenige, die sich in Berlin hinter einem dicken Tor verschanzt, denn man braucht einen extra Schlüssel, um überhaupt Zugang zu den Grundstücken ihrer Baugruppe zu bekommen. Diese Baugruppen erinnern mich unwillkürlich an die mit Stacheldraht versehenen Grundstücke in Südafrika. „Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig in Südafrika und die Kriminalitätsrate hoch. Wer es sich leisten kann, schottet sich ab, lebt hinter Zäunen mit Wachdienst. Das sind vor allem Weiße. Ihre Angestellten sind schwarz und kommen aus den Townships.“ Leonie March/ 31.01.2019/DLF.

    Die Ausgangskonstellation von der aus mir Elisabeth Wellershaus von ihrer Fremdheit erzählen möchte, ist hinter ihren dicken Mauern lebend also denkbar ungünstig. Aber dann, wenn ich das Buch schon weglegen möchte, kommt sie sich selbst auf die Schliche und erkennt, dass nicht das Außen sie abtrennt vom Rest der Welt, sondern sie selbst sich zurückzieht und Abwehrmechanismen entwickelte. Von nun an setzt sie sich noch bewusster mit ihrer Familiengeschichte auseinander als früher. Um immer wieder aber auch zurückzufallen in frühere Denkmuster, die anderen sind schuld: „eine Gesellschaft, die meine Zugehörigkeit konsequent in Frage stellt.“ Wahrscheinlich nicht mehr als bei vielen anderen. Sobald man seine Bubble verlässt, wird man fremd, verletzlich und angreifbar. Wieder nur eine Binsenwahrheit.

    Aber Wellershaus ist nicht nur Privatperson, sie ist auch Journalistin. Sie spürt der Fremdheit in Deutschland in sieben Kapiteln nach, die lauten: Überall, Nachbarschaften, Stadt, Arbeit, Freundschaft, Familie, Passing. Dass das Private die berufliche Betrachtung durchdringt ist sympathisch. Aber trotzdem versperrt ihr der Blickwinkel aus ihrer Bubble manchmal die Binsen-Wahrheit zu erkennen, zum Beispiel diejenige, dass Freundschaft immer ein schwieriges Kapitel ist und je weniger Gemeinsamkeiten vorhanden, desto schwieriger ihre Aufrechterhaltung; etc. etc. und will die Binsenwahrheit zur Besonderheit erheben, wenn man schwarz ist.

    Subjektive Betrachtungsweise ist subjektiv und muss stehen gelassen werden, also auch die von Elisabeth Wellershaus, kann aber eben auch nicht als allgemeingültige Erkenntnis betrachtet werden. Was mich an dem biographisch durchdrungenen Buch jedoch wirklich stört, ist die elitäre Sprache. Trotz der vielfach beklagten Exklusionsgesellschaft Deutschlands „wir leben in einem ausgefeilten System der Exklusion“, eröffnet die Autorin mit ihrem Fachjargon aus Soziologie und anderen Gesellschaftswissenschaften gerade keinen leicht zugänglichen Denkraum. Sie bleibt sprachlich in ihrer Bubble, dem Umfeld, das sie beruflich gewohnt ist. Spricht sie aus der Bubble in die Bubble?

    Das Leseerlebnis: Ich bin der Autorin gerne durch ihre Biographie gefolgt, die jedoch manchmal nicht mehr hergibt als Überschriften und Belege für Behauptungen durchaus schuldig bleibt. Das ist legitim, jeder gibt nur so viel von sich preis, wie er möchte. Aber Überschriften schürfen eben nicht in der Tiefe. Elisabeth Wellershaus zitiert häufig aus diversen Büchern von diversen Autoren, aber auch diese Zitate reißen höchstens etwas an, geben einen Hinweis, erklären aber nichts. Wellershaus erklärt keinen der Fachbegriffe, die sie verwendet und geht davon aus, dass jeder weiß, was man darunter zu verstehen hat. Wenn das kein Bubbledenken ist, dann weiß ich nicht. Über Fremdheit habe ich gelernt, dass sie oft im Kopf des Fremdelnden existiert, aber nicht unbedingt real sein muss. Oder, dass Fremdsein normal ist, weil wir alle es erleben, in mehr oder weniger großem Ausmaß. Das Buch hat einen anklagenden Unterton, den ich aber nicht richtig zu fassen bekomme. Dominanzkultur? Ist einfach die Kultur der Mehrheit. Und das Gewicht der Mehrheit, das ist Demokratie.

    Fazit: Ich habe dieses Buch nicht ungern gelesen, weil es auch ein persönliches Berichten ist. Die Mischung aus Privatem und dem Versuch einer allgemeinen Betrachtung ist durchaus reizvoll. Doch man fragt sich, für wen Wellershaus dieses Buch gemacht hat, eine Erzählung aus der Bubble für die Bubble?

    Kategorie: Erzählendes Sachbuch.
    Verlag: C.H. Beck, 2023

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Ich, ein Sachse

Buchseite und Rezensionen zu 'Ich, ein Sachse' von Samuel Meffire
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Ich, ein Sachse"

Samuel Meffire wuchs als Afrodeutscher in der DDR auf und wurde allen Widrigkeiten zum Trotz der erste Schwarze Polizist Ostdeutschlands. In seinem Buch gewährt er einen intimen Einblick in seine Gefühlswelt, schonungslos offen, unterhaltsam und witzig. Er berichtet packend von seiner Tour de Force über mehrere Kontinente und erzählt im Rückblick auf sein bisheriges Leben zugleich einen oft übersehenen Teil deutsch-deutscher Geschichte.

Format:Broschiert
Seiten:400
EAN:9783864931987
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Rezensionen zu "Ich, ein Sachse"

  1. Eine faszinierendes Lebensgeschichte

    Cover:
    -------
    Der Autor schaut auf dem Titelbild dem Betrachter direkt in die Augen. Der Blick fesselt einen und ich musste das Buch daher genauer in Augenschein nehmen. Der Gesichtsausdruck ist schwer zu deuten: ernst, aber nicht unfreundlich. Entschlossen, aber doch irgendwie entspannt. Er weckte meine Neugierde.

    Inhalt:
    -------
    Samuel Meffire ist nach seinem Vater benannt. Dieser stammte aus Kamerun und wurde unter den Versprechen einer guten Ausbildung und Arbeit in den 1960er-Jahren in die ehemalige DDR nach Sachsen gelockt, wo er seine zukünftige Frau, Samuels Mutter kennenlernte. Sie heirateten und bekamen 2 Kinder. Doch Samuel hat seinen Vater nie kennenlernen dürfen, denn er wurde kurz vor seiner Geburt ermordet. Durch den Schock der Mutter und die sonstigen Umstände verläuft seine Kindheit und Jugend nicht sehr gut. Er verkriecht sich im Sport und in Büchern und Halt gibt ihm auch sein Glaube an Gott. Eigentlich möchte er nur Gutes bewirken, aber die Gewalt um ihn herum und die Ohnmacht, die er teilweise verspürt, dagegen vorzugehen, führen ihn von der Polizei weg und auf den falschen Weg. Doch er lässt sich nicht unterkriegen.

    Mein Eindruck:
    -------
    "Das Schreiben ist mein Sprechen, das bin einfach ich. Wie der Schreiner Teil des Tisches ist. Und der Metzger Teil vom Schnitzel. Wir sind, was wir tun. Wir tun, was wir gut können."
    (S. 259)

    Mich hat das Buch von Anfang an in seinen Bann gezogen. Der Einstieg beginnt damit, dass die jüngste Tochter des Autors auf Kartons mit alten Fotos stößt und ihren Vater drängt, ihr über die abgebildeten Personen etwas zu erzählen. So beginnt er von vorne, angefangen von der Kindheit seiner Eltern und wie es zu
    deren Kennenlernen kam. Nach und nach wird daraus die ganze Geschichte unterbrochen von kleinen Passagen in der Gegenwart, in der der Autor Rückfragen seiner Kinder beantwortet oder in eigene Gedankenwelten abdriftet.
    Der erste Eindruck hat mich getäuscht, bei dem Cover hätte ich nie eine so packende Biografie erwartet. Man merkt, dass Herr Meffire sehr viele Romane, auch aus dem Fantasybereich gelesen hat. Bei einer Lesung hätte ich an seinen Lippen gehangen, so hing mein Blick an jeder Zeile. Obwohl seine Vergangenheit sehr gewaltbeherrscht war und es einige unschöne Szenen gibt, so liest es sich nur halb so schrecklich, da die Beschreibungen stellenweise schon poetisch und abstrahierend sind. Seine Mutter ist beispielsweise die "dunkle Königin", die Rechtsradikalen bezeichnet er als "Vampire" und manchmal hat er es im Verbrechermilieu auch mit Orks zu tun. Bei seinen Schilderungen blitzt immer wieder schwarzer Humor und auch Sarkasmus durch. Trotz der schlimmen Tatsachen musste ich des Öfteren schmunzeln, v. a. wenn er mal wieder Kritik an unserer Gesellschaft und dem politischen System übt. Auch schreibt er in seiner Freizeit kleine Gedichte, die er an passende Stellen in die Biografie eingewoben hat.
    In seinem Leben hat er so viele Jobs, dass man auch tiefe Einblicke in unterschiedliche Milieus erhält: Türsteher bei einem Nachtklub, Sozialarbeiter bei rechtsradikalen (!) Jugendlichen, Polizeiarbeit und natürlich auch als Sporttrainer.
    Ich war gefesselt von seinem Leben und staunte, wie ein Mensch so viel Schlechtes durchmachen kann und dennoch immer wieder aufsteht und seine Energie darauf verwendet, anderen zu helfen und etwas Positives draus zu machen. Ja, es gibt auch dunkle und erschreckende Phasen, aber positiv finde ich, dass der Autor diese Passagen seines Lebens bereut und aufgearbeitet hat. Ich habe sehr viel Respekt vor Herrn Meffire bekommen und wünsche ihm, dass er mit seiner Familie nun in Glück und Frieden leben kann.

    Fazit:
    -------
    Fesselnd, knallhart ehrlich mit einer Prise Poesie und Humor - eine Biografie, die berührt und Mut macht

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  1. Eine ganz besondere Geschichte!

    Klappentext:

    „Die unglaubliche, aber wahre Geschichte eines Aufstiegs und Falls – und einer schwierigen Wiederauferstehung

    Samuel Meffire wuchs als Afrodeutscher in der DDR auf und wurde allen Widrigkeiten zum Trotz der erste Schwarze Polizist Ostdeutschlands. In seinem Buch gewährt er einen intimen Einblick in seine Gefühlswelt, schonungslos offen, unterhaltsam und witzig. Er berichtet packend von seiner Tour de Force über mehrere Kontinente und erzählt im Rückblick auf sein bisheriges Leben zugleich einen oft übersehenen Teil deutsch-deutscher Geschichte.“

    Die Geschichte von Samuel Meffire ging mir tief unter die Haut. Ich hin selbst ein Kind der DDR und weiß nur noch zu gut als Kinder mit anderer Hautfarbe im Kindergarten oder in der Schule sich dazu gesellten. Was aus Jedem aber dann später geworden ist, dafür war dann jeder selbst für sich verantwortlich.

    Meffire erzählt uns hier seine ganz persönliche Geschichte die mehr als viele Höhen aber um so größere Tiefen hatte. Dies alles zu beurteilen steht uns Leser überhaupt nicht zu - wir sind hier stille „Zuhörer“ einer Lebensgeschichte die klar aufzeigt: man kommt irgendwie aus allen Tälern wieder raus aber man kann auch schnell wieder hineinfallen. Meffire hat bislang viel erlebt in seinem Leben und musste bereits früh schon sehr heftige Schicksalsschläge ertragen. Das prägt und was auch noch prägt ist seine Hautfarbe - da kann komme was wolle. Rassismus in jeder Art und Weise schwelt immer wieder mal mehr mal weniger auf und zeigt, man kann auch daran zerbrechen. Meffire befasst sich aber nicht nur damit, es geht auch um die geschichtlichen Geschehnisse wie eben Gastarbeiter in der DDR, die Entwicklung von Kindern die in einem geteilten Deutschland aufgewachsen sind und die Vereinigung dieser bewusst miterlebt haben und es geht auch um seine Mutter. Viele Parts werden hier hart und deutlich beschrieben, bei anderen wird der Autor philosophisch und sehr nachdenklich. Seine Geschichte ist eine ganz besondere und jeder Leser wird sie für sich anders aufnehmen. Ich finde es sehr stark das Meffire hier so offen mit seinen Problemen umgeht aber auch aufzeigt, man kann sie bezwingen. Ist das Buch ein Mut-mach-Buch oder eben eine reine Biografie? Es ist viel mehr als das aber lesen Sie selbst!

    5 Sterne mit Leseempfehlung!

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King of the Blues: Das Leben des B.B. King

Buchseite und Rezensionen zu 'King of the Blues: Das Leben des B.B. King' von Daniel de Visé

Inhaltsangabe zu "King of the Blues: Das Leben des B.B. King"

Musik war die einzige Fluchtmöglichkeit für Riley »B.B.« King (1925–2015), der in großer Armut im Staat Mississippi aufwuchs und schon mit zehn Jahren beide Eltern verloren hatte. Inspiriert durch die Bluesgrößen Blind Lemon Jefferson, T-Bone Walker und Bukka White lernte er das Gitarrespielen und schaffte es weg von den Baumwollfeldern nach Memphis. Durch sein melodiöses Solospiel und seine packende Gesangsdarbietung entwickelte er einen völlig neuen Vortragsstil, der für viele die Grundlage ihres eigenen Schaffens wurde – etwa Jimi Hendrix, Eric Clapton und Carlos Santana. Pulitzer-Preisträger Daniel de Visé interviewte für diesen Band die Mitglieder des engsten Kreises um B.B. King: Band- und Familienmitglieder, Freunde und Manager. So zeichnet er nicht nur dessen Erfolge nach, sondern zeigt auch die dunklen Seiten des Musikbusiness auf: rassistische Vorurteile, die krummen Touren von Plattenlabels wie Konzertveranstaltern und die Erfolge der weißen Ziehsöhne, die ihren Übervater schnell abhängten. So erzählt Daniel de Visé weit mehr als die Lebensgeschichte des größten Blues-Gitarristen aller Zeiten – sein Buch ist zugleich eine Geschichte der Bürgerrechtsbewegung, des Rassismus und der aufkeimenden Popkultur in den USA.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:697
EAN:9783150114407
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Benedikts Vermächtnis

Buchseite und Rezensionen zu 'Benedikts Vermächtnis' von Peter Seewald
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Benedikts Vermächtnis"

Er war der erste deutsche Papst an der Spitze der katholischen Kirche seit einem halben Jahrtausend, der älteste bei Amtsantritt seit knapp dreihundert Jahren und der erste Papst der Neuzeit, der sein Amt aus freien Stücken niederlegte. Joseph Ratzingers Leben schrieb eine Jahrhundertbiographie, dessen Vermächtnis sein Biograph Peter Seewald offenlegt, der den deutschen Papst so gut kannte wie kein anderer Journalist.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:400
EAN:9783455012583
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Rezensionen zu "Benedikts Vermächtnis"

  1. Einmal Ratzinger und zurück: ein Kurzdurchgang

    Kurzmeinung: Mit seiner erweiterten Interviewmethode kommt Seewald erstaunlich weit.

    Peter Seewald, von Haus aus katholisch, später kirchenkritisch und, laut wiki, linksliberal, hat Benedikt XVI lange begleitet und ihn in seiner Eigenschaft als freier Journalist häufig interviewt. Zitat aus wiki: „Aus einem ausführlichen Interview mit Kardinal Joseph Ratzinger 1996 entstand schließlich Peter Seewalds Buch „Salz der Erde“, das er zusammen mit dem Interviewten herausgab und das den späteren Papst abseits der häufig beschriebenen Rollen porträtiert.“.

    In dem vorliegenden Sachbuch „Benedikts Vermächtnis“ gibt Seewald einen Überblick über das Leben Josef Ratzingers. Obwohl es biografische Züge trägt, handelt es sich bei dem Buch „Benedikts Vermächtnis“ nicht um eine richtige Biografie, dafür griffe es zu kurz, hätte es zu viele Auslassungen und Verkürzungen. Dennoch bekommt der Leser einen Einblick in die Tätigkeit eines Priesters und Gelehrten, eines Theologieprofessors, der in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg Katholische Theologie lehrte. Lehre war Ratzingers Liebe. Er hat sie ungern aufgegeben. Seine Leidenschaft war das Bücherschreiben. Diese Leidenschaft, die Leiden schafft (jedenfalls dann, wenn man begründete Sachbücher schreibt), behielt er bis ins hohe Alter bei. Besonders erwähnenswert ist Ratzingers Rolle im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965), die ihm schließlich und endlich den Ruf nach Rom eintrug. Dort, als Leiter der Katholischen Glaubenskongregation oblag ihm die Verteidigung des christlichen katholischen Glaubens. Ein undankbarer Job, der für viele Anfeindungen Raum gibt. Das Weitere ist bekannt.

    Der Kommentar:
    Peter Seewald bereitet die Inhalte seines Buches elegant auf. Fast wie ein Interview gibt es über kleine und noch kleinere Abschnitte Fragen oder Thesen in Kursiv-Schrift, die er dann mit einigen Zitaten oder Fakten unterlegt und beantwortet. So wird das Buch facettenreich und locker.
    Die gewählte Form verhindert ein Schürfen in theologische Tiefen, weil sie zwar ein gezieltes Auswählen von Themen ermöglicht, eine solche Auswahl aber auch willkürlich ist und folgerichtig viele Themen ausspart. Und die Antworten unter den kursiven Überschriften einfach zu kurz sind!
    Dennoch gelingt es Seewald verblüffenderweise schlaglichtartig einige Probleme von Job, Amt, Persönlichkeit, Kirchenrecht und Glauben so zu unterfüttern, dass „Fleisch auf die Knochen“ kommt. Theologische Einzelprobleme dürften den Laien auch gar nicht interessieren.
    Im Schlussteil geht Seewald auf diskriminierende Presse- und Medienkampagnen ein, die den Papst in ein, wie er meint und wie ich ihm zu folgen geneigt bin – unzulässiges falsches Licht stellen, Verkürzungen, bewusste Auslassungen … wir kennen die Mechanismen. Seewald legt Pro und Contra auf den Tisch. Sozusagen ein Faktencheck.

    Fazit: Eine kurzweilige Darstellung der Eckpunkte von Josef Ratzingers Leben und Wirken. Wer mehr will, muss Ratzingers Werke lesen.

    Verlag: Hoffmann & Campe, 2023
    Kategorie: Sachbuch. Katholische Theologie

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Mann vom Meer

Buchseite und Rezensionen zu 'Mann vom Meer' von Volker Weidermann
4.3
4.3 von 5 (10 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Mann vom Meer"

Vielleicht fängt alles dort an, wo seine Mutter das Glück der Kindheit erlebt: im brasilianischen Urwald, in einem großen, hellen Haus am Meer. Mit sieben kommt sie nach Travemünde, in die deutsche dunkle Kälte, mit einer Sehnsucht, die bleibt. Ihr Sohn Thomas wächst an der Ostsee auf, in Lübeck, aber sobald er kann, geht er in den Süden, reist nach Italien, ans Mittelmeer, verliebt sich in junge Männer, folgt aber den Konventionen der Zeit und heiratet Katia. Jahre später: Der Gang ins Exil. In Kalifornien, am Pazifik, wird er noch einmal ein anderer: Er kämpft gegen Hitler, für die Demokratie, für die Freiheit und nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Nach seinem Tod lebt seine Lieblingstochter Elisabeth sein Vermächtnis als weltweit gefeierte Meeresforscherin in ihrer utopischen ozeanischen Politik fort.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
EAN:9783462002317
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Rezensionen zu "Mann vom Meer"

  1. Meer vom Mann

    Thomas Mann war ein gebürtiges Nordlicht und als solches ein „Mann vom Meer“. Der wortspielende Titel des Sachbuchs von Volker Weidemann macht unmissverständlich klar, dass es in dieser Biografie um Thomas Manns lebenslange Beziehung zum Meer gehen soll.

    Sprachlich begeisternd und sehr faszinierend beginnt Weidemann jedoch quasi mit der Vorgeschichte Thomas Manns: mit der Kindheit und Jugend seiner in Brasilien geborenen Mutter. Der Auftakt des Buches, der sich mit der späteren Julia Mann befasst, ist für mich gleichermaßen der stärkste Teil des Textes (wie im Übrigen auch die späteren Passagen, in denen es um die Mutter Thomas Manns geht). Julia ist an sich eine interessante Persönlichkeit, ihr Wesen und ihr Leben strahlen einen besonderen Reiz aus, der vom Autor hervorragend eingefangen und umgesetzt wird. Über Julia und vor allem in der Art und dem Stil, wie Weidemann von ihr schreibt, hätte ich ein ganzes Buch lesen können.

    Der Fokus liegt jedoch selbstverständlich auf ihrem berühmten Sohn Thomas, über den mittlerweile auch so einiges bestens bekannt ist. Weidemanns Ansatz vom Thema „Meer“ ausgehend der Biographie Manns neue Facetten abzutrotzen, ist daher eine ganz ausgezeichnete – meist findet man ja durch leichte Akzentverschiebungen völlig neue Aspekte. Allerdings zieht der Autor zur Unterstützung seiner Sichtweise zahlreiche Zitate und Passagen aus Manns Romanen und Texten hinzu, die zwar durchaus der Argumentation dienlich sind, mich aber nicht angesprochen haben. Zum einen bin ich kein Freund davon, dass Werk als Beleg für den Charakter des Autors zu lesen, zum anderen nahm die zitierte Textfülle schlichtweg einfach überhand. So hatte ich teilweise das Gefühl mehr VON Thomas Mann als ÜBER Thomas Mann zu lesen und die exklusiv biographische Lesart der Zitate bereitete mir bei all ihrer angestrebten Überzeugungskraft zunehmend Unbehagen.

    Trotz dieser beiden sich durch den gesamten Text ziehenden Komponenten, habe ich „Mann vom Meer“ dennoch mit großer Aufmerksamkeit gelesen und mich an vielen Informationen und Details erfreut, die mir so nicht geläufig waren. Thematisch entfernt sich das Buch zwar auch des Öfteren vom Meer und das ein oder andere Mal war mir auch die angeblich prägende Meeresbeziehung auch etwas zu gewollt konstruiert, insgesamt aber ist das Sachbuch aber eine sehr lesbare, interessante Annäherung an den „Mann vom Meer“, die Lust darauf macht, sich mit Mann und seinem Werk vielleicht einmal auf eine ganz andere Art und Weise auseinanderzusetzen. Insgesamt also eine lohnenswerte Lektüre, wenn man über die zu langen zitierten Passagen hinwegsehen kann.

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  1. In all seinen Werken gegenwärtig

    Er war ein Schriftsteller von Weltruhm, Nobelpreisträger und Familienmensch. In Lübeck geboren, war ihm das Meer nahe. Doch auch in seinem späteren Leben hatte es für Thomas Mann eine besondere Bedeutung.

    „Mann vom Meer“ ist ein Sachbuch über Thomas Mann, eine Art Kurzbiografie, geschrieben von Volker Weidermann.

    Meine Meinung:
    Das Buch umfasst 25 Kapitel, eingerahmt von einer Einleitung und einem Nachwort. Ergänzt wird es mit einer Bibliografie. Erzählt wird überwiegend in chronologischer Reihenfolge, beginnend in der Kindheit Thomas Manns beziehungsweise - streng genommen - noch davor.

    Die Sprache ist - für das Genre ungewohnt - keineswegs nüchtern, sondern bildhaft und atmosphärisch. Als etwas störend empfinde ich allerdings den großen Umfang an Zitaten und Auszügen aus dem Werk Manns sowie die vielen Referenzen zu anderen Autoren.

    Anders als ich zunächst vermutet hatte, dreht sich das Buch nicht ausschließlich um Thomas Mann, sondern beleuchtet auch weitere Familienmitglieder wie seine Mutter.

    Wie der Titel erwarten lässt, wird insbesondere Manns Faszination für das Meer dargestellt. Schlaglichtartig werden unterschiedliche Episoden aus dem Leben des Nobelpreisträgers geschildert. Einige Facetten Manns werden ausführlich erzählt, beispielsweise sein homoerotischen Gedanken. Hierbei zeigt sich die umfassende Recherche Weidermanns. Andere Aspekte seiner Persönlichkeit werden hingegen ausgeblendet.

    Auf den nur etwas mehr als 200 Seiten können auch Leserinnen und Leser, die mit der Vita Thomas Manns bereits etwas vertraut sind, noch unbekannte Details erfahren. Ein Manko des Buches ist es jedoch, dass diejenigen, die bisher wenig über die Familie wussten, sich aufgrund mangelnder Vorkenntnisse über weite Teile des Buches ein wenig verloren vorkommen dürften.

    Sowohl der Titel als auch das Cover sind ansprechend gestaltet. Schade jedoch, dass Thomas Mann nur auf der Rückseite abgebildet ist.

    Mein Fazit:
    Für Fans der Werke der Familie Mann ist „Mann vom Meer - Thomas Mann und die Liebe seines Lebens“ eine Pflichtlektüre und eine lesenswerte Ergänzung für das heimische Bücherregal. Als Einstieg in die Biografie des berühmten deutschen Schriftstellers halte ich das Buch von Volker Weidermann allerdings nur bedingt geeignet.

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  1. Mann? Meer? Ich will mehr!

    Am Anfang steht Elisabeth - am Meer. Ein kleines Mädchen an der Hand ihres Vaters. Soweit so normal. Der Vater ist allerdings nicht irgendwer, sondern Thomas Mann - späterer Literaturnobelpreisträger. Er will seiner Tochter das zeigen, was ihn sein ganzes Leben geprägt hat: die unendliche Weite, die Kraft des Elements, dass er ihr von Beginn ihres Lebens an „auf den Leib geschrieben“ hat.

    Das ist der Beginn des meisterhaft in Szene gesetzten literarischen Sachbuchs „Mann vom Meer“ von Volker Weidermann (erschienen 2023 im Verlag Kiepenheuer&Witsch), der hier (nicht nur) seinem großen Idol Thomas Mann Tribut zollt.

    Woher kommt diese Liebe zum Meer, die Thomas Mann in vielen (oder den meisten) seiner Erzählungen und Romanen auf die ein oder andere (mal versteckte, mal offene) Art und Weise kundgetan hat? Dazu holt Volker Weidermann zunächst etwas weiter aus und erzählt den Leser:innen vom Leben der Julia da Silva-Bruhns, genannt Dodo, der Mutter von Thomas Mann und seinen Geschwistern, die im Alter von 7 Jahren von Brasilien nach Lübeck kam. Der „Einzug“ Julias in Lübeck hatte etwas „karnevalmäßiges“:

    „[…] Die Kinder trugen Panamahüte, sie hatten ihre schwarze Sklavin Anna dabei und den würdevollen Pai. Nein, so eine lustige Familie hatte die Stadt noch nicht gesehen. Johlend liefen die Kinder Lübecks hinter der exotischen Gruppe her und lachten. Um sie irgendwie zu beruhigen und loszuwerden, warf die brasilianische Familie Süßigkeiten in die jubelnde Menge.“ (S. 25)

    Die Leser:innen erfahren anschließend noch eine ganze Menge mehr über Julia, ihre Jugend, die (eine) Liebe, die nicht sein durfte und sie schließlich Thomas Johann Heinrich Mann heiratete. Dann schlägt Weidermann den Bogen zu Heinrich und Thomas…

    Nun beginnt ein Ritt durch die Wellen, äh, die Romane und Erzählungen Thomas Manns. Mal kurze, mal längere Zitate aus „Buddenbrooks“, „Tonio Kröger“, „Doktor Faustus“ etc. Was andere vielleicht abschreckt, weil sie „mehr“ vom Autor Volker Weidermann lesen wollen (der trotz der vielen Zitate zu Wort kommt *g*), hat mich dazu gebracht, mich nun endgültig mehr mit dem Werk von Thomas Mann zu beschäftigen. Eindrucksvoll erzählen die Zitate und Weidermann von der (politischen) Entwicklung des Literaturnobelpreisträgers, die sich wie die Liebe zum Meer auch literarisch in seinen Texten niederschlägt. Ob es wohl je ein Buch über Thomas Mann geben wird, in dem sich NICHT über seine sexuelle Gesinnung geäußert wird? Ich glaube es nicht, aber stören tut es mich auch nicht – es gehört zur Person Thomas Mann ebenso dazu wie seine Literatur; das sollten sich Leser:innen immer bewusst machen.

    Am Ende landen die Leserinnen und Leser wieder bei Elisabeth bzw. ihrem „Vermächtnis“, denn Volker Weidermann erzählt im Nachwort u. a. von einer Reise mit dem Forschungsschiff „Elisabeth Mann Borgese“, um „[…] hier so etwas wie den Geist der Namensgeberin und […] ein wenig auch den Geist ihres Vaters“ (S. 227) zu finden. Ob es ihm gelungen ist? Wir wissen es nicht. Tatsache ist jedoch, dass Volker Weidermann mit „Mann vom Meer“ mein persönliches Halbjahreshighlight veröffentlicht hat, weshalb ich nicht umhinkomme, kristallklare 5* aus meinem Seesack zu ziehen und eine entsprechende Leseempfehlung auszusprechen.

    ©kingofmusic

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  1. Der Mann vom Meer macht Appetit auf mehr

    Vieles wurde schon über den großen Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann (TM) geschrieben, es gibt Biografien über ihn sowie seine Familie, Filme und Serien… Mit dem Auge des Bewunderers hat nun der vielseitig tätige Journalist Volker Weidermann ein weiteres Buch zu diesem Reigen hinzugefügt. Im Zentrum seiner Betrachtungen steht das Meer als Motiv, das durchgängig TMs Leben und Schreiben beeinflusste. Weidermann setzt sich damit thematisch selbst einen begrenzenden Rahmen, mit dem er eine neue Perspektive beschreibt. Eindrucksvoll spannt er den Bogen vom Sommer 1924, als TM seiner aufgeregten 6-jährigen Lieblingstochter Elisabeth die Ostseeküste zeigt bis zu ihrem Vermächtnis, das bis in die Gegenwart hinein dem Schutz und der Erforschung der Weltmeere gilt.

    Dazwischen ganz viel Thomas Mann von der Wiege bis zur Bahre. Weidermann geht der Frage nach, worin die ausdrückliche Affinität TMs zum Meer begründet liegt. Wurde sie ihm transgenerational von seiner Mutter Julia mit in die Wiege gelegt, die ihre Kindheit im brasilianischen Paraty verbringen durfte, bevor sie fast gewaltsam ins kalt-spießige Lübeck verpflanzt wurde? Im Schnelldurchlauf lernen wir Thomas in seiner Familie kennen, deren Brüche in den „Buddenbrooks“ ausführlich beschrieben werden. Überhaupt entspringen Manns Figuren meist dem wahren Leben. Der Autor war ein beeindruckender Beobachter sowie ein begnadeter Stilist. Die Parallelen zwischen Leben und Werk legt Weidermann anschaulich dar, immer unter Berücksichtigung des Bezugs zum Meer. Viele Textstellen hat er eingearbeitet und zitiert. Dabei wird im Grunde kein Vorwissen vorausgesetzt, die Zusammenhänge werden klar umrissen und erklärt. Das gilt für die großen Romane ebenso wie für Novellen und Erzählungen. Der Autor hat umfassend recherchiert, zahlreiche Quellen gesichtet, Original-Schauplätze aufgesucht und sich intensiv mit dem Idol beschäftigt. Man begleitet Thomas Mann durch seine prägende Kindheit, erfährt manches über seine widersprüchliche Persönlichkeit sowie seine Defizite als Vater. Auch Manns vermeintliche Affinität zu jungen Männern wird nicht verschwiegen. Beeindruckend seine wechselhafte politische Entwicklung zwischen den beiden Weltkriegen, die letztendlich viele Wohnortwechsel notwendig machten. Weidermann versucht zu erklären und zu verstehen, wohltuend vermeidet er Wertungen.

    Die Kapitel sind überwiegend kurz und inhaltlich chronologisch angeordnet. Sie schildern konkrete Episoden und Erlebnisse aus dem Leben TMs. Stets werden Namen und Zeiten genannt. Bei Bedarf kann man die Hintergründe schon während der Lektüre vertiefen. Die Fokussierung auf die ambivalente Bedeutung des Meeres als Ursprung von Kraft, Wildheit, Gefahr oder Todessehnsucht bringt manchen Querverweis mit sich, um Verbindungen zu verdeutlichen. Spannend für alle Literaturinteressierten dürften Erwähnungen damals zeitgenössischer Werke wie Effi Briest, Oblomov, der Märchenwelt Hans-Christian Andersens und anderer sein. Die Bedeutung des Verlagshauses Fischer für den Aufstieg Thomas Manns war mir persönlich auch neu.

    Ich habe den Text als sehr direkt und unmittelbar empfunden. Auch Weidermann findet schöne Formulierungen und Bilder, um seine Leser zu fesseln. Im Mittelteil hätten meiner Meinung nach die zitierten Textpassagen zu Gunsten weiterer Details aus der spannenden Vita des Protagonisten zurücktreten dürfen.
    Man kann „Mann vom Meer“ als Einstieg oder als Abrundung in der Beschäftigung mit Thomas Mann lesen. In beiden Fällen macht dieses kurzweilige erzählende Sachbuch Lust, seine Werke (wieder) zu lesen. „Mann vom Meer“ sollte ein breites Publikum ansprechen.

    Lese-Empfehlung!

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  1. Noch eine Biografie über Thomas Mann?

    In seinem Sachbuch erzählt der Journalist Volker Weidermann das Leben Thomas Manns, jedoch mit dem Fokus auf dessen Liebe zum Meer. Dabei muss er zwangsläufig vieles auslassen, auch seine Kinder tauchen nur am Rande auf, bis auf seine Lieblingstochter Elisabeth, die seine Liebe zum Meer "geerbt" und sie zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat.

    In der Einleitung schildert Weidermann die erste Begegnung Elisabeths mit dem Meer - an der Hand des berühmten Vaters.

    "Ein bisschen Angst hatte sie schon. Sie wusste ja, dass es ein großer Moment war. Vor allem für ihn, für Herrpapale, wie sie ihren Vater nennt. Sie wusste ja so gut, wie sehr er das Meer liebte. (...) Sie zittert aber vor allem vor Freude, Erregung und ein wenig auch aus Angst, dass sie sich nicht begeistert genug zeigen könnte." (7)

    Doch ihre Sorge ist unbegründet, das Meer übt auf sie eine große Faszination aus. Das greift Weidermann im Nachwort wieder auf, indem er seinen Besuch auf dem Forschungsschiff "Elisabeth Mann Borgese" schildert.

    "Das Meer ist der stille Held all seiner Bücher." (12) - unter dieser Prämisse erläutert Weidermann sowohl Thomas Mann Beziehung zum Meer und legt eindrucksvoll dar, welche Rolle dieses in seinen bekanntesten Werken spielt - "Buddenbrooks", "Der Zauberberg", "Tonio Kröger" und auch "Der Tod in Venedig", um nur einige zu nennen.

    Dabei zitiert der Autor, teilweise etwas zu ausführlich, aus den genannten Werken und interpretiert sie hinsichtlich der Bedeutung des Meeres. Er zeigt auf, inwiefern die Protagonisten Manns eigenes Verhältnis zum Meer widerspiegeln und belegt auch, dass Mann sein eigenes Leben "schamlos" ausgeschlachtet hat, persönliche Ereignisse verarbeitet, unerfüllte Wünsche zu Papier gebracht hat.

    Thomas Mann Kenner werden das wissen, aber durch den Fokus auf das Meer ergeben sich neue Einsichten und Erkenntnisse. So liefern vor allem die ersten Kapitel Informationen über Julia Mann, Thomas Manns Mutter, die ihre Kindheit am Strand von Paraty - 250 km südlich von Rio de Janeiro -verbracht hat, "ein Kindheitsparadies" (19). Nach dem Tod ihrer Mutter verlässt ihr Vater dieses Paradies, um in seine Heimat Lübeck zurückzukehren, wo Julia mit ihren Geschwistern bei einer Pflegemutter untergebracht wird, während der Vater auf seine Plantage zurückkehrt.

    Unter dem Leitspruch "Verleugne dich selbst" (33) wird sie ihren Weg in Lübeck gehen, den Konsul Mann heiraten - der Rest ist bekannt.

    Thomas Mann selbst erblickt mit sieben Jahren zum ersten Mal das Meer, "sein Meer, die Lübecker Bucht, wo die Familie ab 1882 jedes Jahr vier Wochen Sommerferien verbrachte." (51) Eine Erfahrung, die ihn sein Leben lang begleitet und die sich vor allem in seiner Romanfigur Hanno Buddenbrook widerspiegelt.

    Volker Weidermann klammert auch Thomas Manns Liebe zum eigenen Geschlecht nicht aus und stellt dar, wie Mann zur der Überzeugung gelangt, man brauche "eine Rüstung aus Bürgerlichkeit und Wohlanständigkeit, um in dieser Welt den inneren Kern aus Abenteurertum, Frivolität, unangemessener sexueller Neigung und Verworfenheit zu bewahren." (121)

    Auch der Umschwung seiner politischen Einstellung wird dargelegt und in Bezug zum Meer gesetzt. In seiner Rede "Von deutscher Republik" habe er sich auch vom Meer verabschiedet, bzw. vom "Sog des Meeres. Von all dem, wofür das Meer für ihn immer auch stand: Verantwortungslosigkeit, Sympathie mit dem Tod, Sog ins Verderben, verbotene Liebe, Unpolitik, Antidemokratie, Rausch, Romantik, seliges Vergessen, Glück ohne Pflicht, Schönheit, Ferien für immer." (14)

    Fazit: Ein Sachbuch, das für alle, die Thomas Mann und sein Werk kennen, neue Aspekte beleuchtet, und zudem "papierene Fährten" legt, wie jemand aus der Leserunde so treffend bemerkt. Dank der Bibliografie am Ende kann man gleich weiterlesen oder die Werke Thomas Mann mit neuem Blickwinkel genießen :).

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  1. Thomas Manns Liebe zum Meer in Leben und Werk

    Spezieller Blick auf Thomas Manns Leben und Werk mit dem Fokus auf seiner Meeresliebe, mit vielen Textauszügen

    Wer liebt es nicht, das Meer und wer gerät nicht ins Schwärmen darüber?! Da denkt man gleich an das wild schäumende Bild auf dem Cover. Viele Menschen sind von der Weite und der Wildheit fasziniert oder verbinden damit Erinnerungen. Das ist auch der Fall bei Thomas Mann, wobei es bei ihm noch eine besondere Bewandtnis hat, dazu auch sein Foto auf dem hinteren Schutzumschlag, in dem er so ganz anders wirkt als sonst, so locker und lässig, wo wir ihn doch sonst eher im Anzug vor Augen haben als im Bademantel am Strand.

    Nach einer Einleitung – Thomas Mann mit Lieblingstöchterchen Elisabeth, die später beruflich mit dem Meer zu tun hat – geht Volker Weidermann chronologisch vor, legt aber den Schwerpunkt auf das Meer, das im Leben und Werk Thomas Manns eine größere Rolle spielt als man denkt. Es fängt schon mit seiner Mutter an Julia da Silva-Bruhns an, die in Brasilien geboren wurde, die ihren Kindern sicher oft von ihrer eigenen Kindheit erzählt hat, bei dem Meer und Strand das paradiesische Lebensumfeld bildeten.

    Und immer wieder kommt Thomas Mann mit dem Meer in Berührung, als Kind und auch als Erwachsener in den Ferien. Allerdings scheint es für ihn insofern eine besondere Bedeutung zu haben, weil er – wie auch das hintere Foto zeigt – sich locker machen und sich Gedanken und Schwärmereien für junge Männer leisten konnte, die er sich im Alltagsleben verboten hat.

    So sind es sicher diese Erinnerungen, die sich in seinen Werken wiederfinden und was Volker Weidermann mit Textstellen aus Manns Werken ausführlich belegt: Buddenbrooks, Tonio Kröger, Tod in Venedig u.a. Von diesen hätte es etwas weniger geben dürfen und dafür 'mehr Weidermann'.

    Fazit
    Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen, meinen Kenntnissen über Thomas Mann weitere Mosaiksteinchen hinzufügen können und viele Anregungen erhalten, mehr zu lesen, sowohl von TM als auch anderes von Volker Weidermann über Schrifsteller:innen. Dazu trägt auch ein Literaturverzeichnis bei und ein Dankeswort mit weiteren bibliographischen Anregungen.

    Alles in allem: ein empfehlenswertes Buch über TM und sein Werk.

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  1. Tiefe des Meeres

    Thomas Manns literarisches Werk entsteht in der Zeit zwischen 1893 und 1955. Umfangreiche Biografien über Thomas Mann und seiner Familie sind bisher erschienen. Was kann man Neues über Thomas Mann erfahren? Aus wissenschaftlicher Sicht werden immer wieder neue Aspekte gesehen, erforscht und weiter untersucht. Die Thomas-Mann-Sammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf besitzt eine umfassende Sammlung, die neben dem Thomas-Mann-Archiv in Zürich und dem Buddenbrookhaus in Lübeck, weltweit einzigartig ist. Ein großer Komplex innerhalb der ULB ist nur für die Thomas Mann Sammlung reserviert, die für die Forschung alle Werke und Publikation bereithält.

    Thomas Manns Leben findet in einer turbulenten Zeit statt. Politische und gesellschaftliche Umbrüche Deutschlands, vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, den nationalsozialistischen Faschismus und die Zeit des Exils bis hin zur Nachkriegszeit prägen nicht nur sein Leben, sondern er verarbeitet die Ereignisse in seinen Romanen, Essays und Tagebüchern.

    Volker Weidermann hat nun ein interessantes literarisches Werk über Thomas Mann verfasst, das den Blick auf seine Romane in Verbindung mit dem Meer legt.

    Das Meer ist für Thomas Mann zeitlebens immer präsent. Es bedeutet für ihn Ruhe, Weite, Verheißung und Sehnsucht. Hier kann er sich fallen lassen, entspannt sein und Abstand von allen alltäglichen Bürden nehmen. Seine Liebe zum Meer vermittelt er seiner Tochter Elisabeth, seinem „Lieblingsmädchen“.

    „Ein bisschen Angst hatte sie schon. Sie wusste ja, dass es ein großer Moment war. Vor allem für ihn, für Herrpapale, wie sie ihren Vater nennt. Sie wusste ja so gut, wie sehr er das Meer liebte. Immer wieder hatte er ihr davon erzählt, von diesem großen Blau, der Weite, seinen Ferien in Travemünde, als er klein und glücklich war. Und jetzt war endlich der Moment, in dem er es ihr wirklich zeigen konnte. Sein Meer. Die Ostsee.“ (S. 7)

    Volker Weidermann führt in die Geschichte Thomas Mann und Elisabeth am Strand der Ostsee ein. Der Ursprung liegt aber viel weiter weg. Seine Mutter Julia lebt noch in Brasilien und verbringt einige glückliche Kindheitsjahre, bis sie nach Lübeck kam.

    „Das Meer leuchtet. Viele kleine Flammen fliegen aus der Luft ins Wasser und verlöschen dort. Es ist früher Abend, die Sonne ist gerade untergegangen, am Strand stehen jede Menge Kinder und schauen aufs Meer. Der alte Mann schießt ein kleines Feuer nach dem anderen in die dunkle Luft. Es sind längliche Papierröllchen, die er nacheinander angezündet und wie Glühwürmchen in die Freiheit entlassen hat.“ (S. 17)

    Volker Weidermann hat den Strand der Julia da Silva-Bruhns gesehen, Thomas Mann nie. Ein von Palmen umsäumter Paradiesstrand, die Hazienda, in der Julia aufwuchs, mit dem Blick über die Bucht, umsäumt von sanften grünen Hügeln. Hier also ist der Ursprung von Thomas Mann zu finden.

    Das dichterische Werk Thomas Manns weist Beständigkeit auf. Grundlegende Themen umspannen seine Romane. Er schreibt stilvoll und pflegt die Sprache. Im Mittelpunkt seiner Erzählungen steht immer wieder eine Künstlerfigur, z. B. der Schriftsteller Tonio Kröger oder der Zauberer Cipolla. Er verarbeitet persönliche, politische und gesellschaftliche Ereignisse, und immer wieder werden seine innersten Gefühle einbezogen. Das Meer wird zu einem melancholischen Ort für ihn. Insbesondere der Roman „Tod in Venedig“ zeigt seine Liebe zum Meer, zeigt sein Innerstes, seine tiefste Seele.

    „In dieser Novelle hat Thomas Mann alles, was er vom Meer weiß, hineingeschrieben. Alles, was ihn am Meer immer angezogen hat, alles, wovor er Angst hat.“ (S. 136)

    Volker Weidermann hat aufwendig recherchiert. Er stellt sehr ausdrucksstark und gefühlvoll, unterhaltsam und berührend Thomas Manns Werke in Verbindung mit dem Meer in den Fokus. Dabei geht er chronologisch vor und lässt aus einzelnen Romanfragmenten ein Lebensbild des Nobelpreisträgers entstehen.

    Ich hatte die Möglichkeit, in einer Diskussionsrunde über das Buch „Mann von Meer“ dem Autor die Frage zu stellen, wie er auf die Idee gekommen ist, die Biografie in Verbindung mit dem Meer zu schreiben:

    Frage
    Biografien über die „Manns“ gibt es viele. Insbesondere Thomas Mann. Die Thomas-Mann-Sammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf ist eine der umfassendsten Gedächtniseinrichtungen zu Thomas Mann und seiner Familie weltweit. Sich da durchzuarbeiten, ist schon eine Lebensaufgabe. Interessant finde ich daher ihre Idee, obwohl auch dazu Lektüre besteht: „Heinrich Detering - Das Meer meiner Kindheit. Thomas Manns Lübecker Dämonen“, eine Verbindung seiner Werke zum Leben Thomas Mann aufzubauen. Wie ist bei Ihnen die Idee entstanden, seine Werke mit seinem Leben mit dem Fokus Meer zu einem Roman zu verarbeiten? Für mich persönlich wird diese Verbindung sehr deutlich in „Tod in Venedig“ hergestellt.

    Antwort
    Liebe Petra Ellen,
    es war eine Kombination aus verschiedenen Eindrücken und Ideen: zunächst mein erleben des „Urstrandes“ in Paraty, wo Julia aufwuchs. Ich fand es unglaublich, richtig ein Schock als ich dort stand: hier? liegen die Wurzeln oder ein wesentlicher Teil davon des Werkes des deutschesten Autors des letzten Jahrhunderts? Ich wollte alles darüber wissen. Dann: sein eigener Satz, dass „auf jeder Seite seines Werkes das Meer durchschimmert“. Dann: meine besondere Liebe zu allen expliziten meerestexten von ihm. Strandspaziergang! Kröger! Schnee! Mario! Ich merkte einfach, dass davon ein besonderer Sog ausgeht. Dann: meine eigene, ganz unliterarische liebe zum Meer. Dann: die Idee, einmal ein ganzes Werk und leben über ein einziges literarisches Motiv zu erzählen…

    Vielen Dank, Volker Weidermann!

    https://whatchareadin.de/community/threads/fragen-an-den-autor-volker-we..., Juli 2023

    Fazit
    Volker Weidermann gewährt einen besonderen Blick auf das Leben Thomas Manns. Er zeigt eine andere Perspektive auf, die eine literarische, romanhafte Interpretation zulässt. Ausgedacht hat der Autor sich aber nichts. In einem Nachwort und einer Bibliografie. Eine Auswahl werden seine Fakten und Daten nachgewiesen. Diese hat er romanhaft verpackt und daraus eine unterhaltsame Biografie geschrieben.
    Ob die Biografie nur für Thomas Mann-Kenner:innen oder für Einsteiger:innen sinnvoll ist, möchte ich offenlassen. Das soll jeder für sich selbst entscheiden.

    Ich meine: Unbedingt lesen!

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  1. Ein poetisches, literarisches Sachbuch

    „Die Größe, die Bedeutung und die lang währende Kraft und Wirkungsmacht von Thomas Manns Werk besteht darin, dass er einerseits schonungslos und radikal immer wieder sich selbst preisgab. Und – noch wichtiger – dass dieses Selbst auf, ja, magische Weise mit seiner Zeit, mit den Menschen seiner Zeit, der Politik, der Gesellschaft, den Ängsten, den Hoffnungen der Gegenwart verbunden war.“ (Zitat Seite 141)

    Thema und Inhalt
    Dieses Buch ist eine ungewöhnliche, sehr gut gelungene Mischung. Ein narratives, kreatives Sachbuch, welches die Geschichte des Lebens von Thomas Mann neu erzählt, ausgehend von seiner engen, sehnsuchtsvollen Bindung und Liebe zum Meer, welche sich durch sein Leben und seine Werke zieht.

    Umsetzung
    Ihre frühen Kindheitsjahre verbrachte die Mutter von Thomas Mann in Brasilien, in einem Haus direkt am Meer. Für Thomas Mann, der in Lübeck aufwächst, wird das Meer zum Sehnsuchtsort, einerseits Begriff von endloser Weite und Freiheit, andererseits Sinnbild für einen geheimnisvollen Sog in die ebenfalls endlose Tiefe.
    In vielen Textbeispielen aus Thomas Manns Werken folgt Volker Weidermann dem Menschen Thomas Mann, der die Vorbilder für seine Romanfiguren vor allem in sich selbst findet, aber auch in den Menschen in seinem Umfeld, beginnend mit dem großen Roman seiner Familie, den Buddenbrooks. „Er war ein Seelenkenner, nicht nur seiner selbst. Sondern auch ein Seelenkenner der Welt, die ihn umgab.“ (Zitat Seite 141)
    „Mann vom Meer“ ist keine verklärte oder verklärende Biografie des berühmten deutschen Schriftstellers und Nobelpreisträgers, sondern es zeigt einen lebenslang mit seinen Gefühlen ringenden Menschen, der sich selbst und sein Leben in seinen Romanen schonungslos offenlegt, den Ehemann und Familienvater, an dessen Seite es niemand leicht hat, der seine Frau Katia liebt, sich aber auch immer wieder in junge Männer verliebt. Volker Weidermann schildert offen, aber nicht wertend, die sich mit den Jahren und Erfahrungen stark verändernden politischen Überzeugungen von Thomas Mann, vom patriotischen Optimisten zum überzeugten Demokraten. Im Nachwort geht es um Thomas Manns Tochter Elisabeth Mann Borgese, eine beeindruckende, selbstbewusste Frau, eine Wissenschaftlerin mit Ansichten, Ideen und Anliegen, die ihrer Zeit weit voraus waren und bis heute zeitlos aktuell sind. Mit einer ausführlichen Bibliographie schließt das Buch.

    Fazit
    Diese Geschichte vom Mann vom Meer birgt eine Fülle an neuem oder ergänzendem Wissen, nicht nur für interessierte Lesende, die Thomas Mann bisher vielleicht von der Schullektüre her kennen, sondern auch für Menschen, die sich schon lange und intensiv mit Thomas Mann und seinem Werk beschäftigt haben. Die Sprache sorgt für Lesevergnügen und das Buch selbst schlägt auch nach der Lektüre Wellen, die einen langen, stetigen Sog entwickeln und dazu anregen, die Romane von Thomas Mann nun wieder, oder aber auch zum ersten Mal, zu lesen.

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  1. Thomas Mann: ein weiteres Denkmal.

    Kurzmeinung: Zu gefällig - um nicht zu sagen, etwas mutlos.

    Interessiert man sich in Deutschland eigentlich noch immer für Thomas Mann (1875 in Lübeck geboren – 1955, Zürich), dem Mann, der sich selber so sehr mit Deutschland identifizierte, dass er „der repräsentative Dichter“ für sein Land sein wollte?
    Immmerhin ist der Roman „Buddenbrooks“ für den Thomas Mann 1929 den Literatur-Nobelpreis bekam, der Roman, von dem Volker Weidermann mit Fug und Recht schreibt „ihn kannte eine Weile lang die ganze Welt“. Aber aller Ruhm vergeht. Auch der von Thomas Mann. Heute, fast hundert Jahre später, sind seine Werke natürlich immer noch bekannt in der Literaturwissenschaft und unter Literaturfreaks, aber beim breiten Publikum nicht mehr beliebt. Und auch kaum mehr belesen.
    Volker Weidermann versucht beides dem breiten Publikum wieder nahezubringen. Autor und Werk. Ob ihm das so richtig gelungen ist, muss der geneigte Leser selber beurteilen.

    Der Kommentar:
    Mein Leseerlebnis ist nicht durchweg positiv. Zwar ist nachzuvollziehen, dass Volker Weidermann davon ausgehend, dass Werk und Autor nicht mehr präsent sind, seitenlang aus entsprechenden Werken des Autors und damit ihn selber zitiert und Thomas Mann sozusagen über Thomas Mann referieren lässt. Es ist jedoch fraglich, ob eine Celebrity – und das war Thomas Mann zu Lebzeiten – genug Abstand von seiner Person aufbauen kann, um sich selbst gehörig zu porträtieren. Wohl nicht, es fehlt Objektivität. Und die Zitate aus Thomas Manns Werken mögen hilfreich sein für denjenigen, der noch nichts von Thomas Mann gelesen hat und mit seinen Protagonisten nicht vertraut ist, mich haben sie sträflich gelangweilt.
    Über Thomas Mann und die Familie Mann ist so viel geschrieben worden, dass es nicht ganz einfach ist, eine neue, interessante Schau zu eröffnen. Mit der Wahl Weidermanns, den Fokus auf Manns Liebe zum Meer zu legen, trifft er auf einen Sehnsuchtsnerv. Wer liebt das Meer nicht? Es ist nichts Besonderes, das Meer zu lieben; das ist ganz natürlich. Die Todessehnsucht, die Thomas Mann mit dem Meer verbindet, ist es nicht.
    Selbstverliebtheit, Überhöhung der eigenen Person und seiner Bedeutung, Despotismus im Familienverband, ein Mann, der seine Kinder seelisch misshandelte, indem er eins gegen das andere ausspielte, ein Mann, der sich in einer Opferrolle suhlte, politischer Opportunismus, all dies muss man im Buch mit der Lupe suchen. Aber es ist da, allerdings kleinkörnig. Seelenschau und Familengeschichte hat Thomas Mann sublimiert und literarisch verarbeitet. Thomas Mann hat Weltruhm erlangt. Volker Weidermann setzt ihm ein weiteres literarisches Denkmal. Eines, das da und dort vielleicht zu respektvoll ausfällt. An einer Krone/Ikone zu kratzen wäre natürlich anstößig. Oder mutig.

    Fazit: Ich mag den Text immer dann, wenn Volker Weidermann eigenständige Gedanken über Werk, Umfeld und die Persönlicheit von Thomas Mann zum Besten gibt, also, wenn er interpretiert. Allerdings geschieht dies viel zu selten.
    Insgesamt honoriere ich „Mann vom Meer“ mit guten drei Sternen.

    Kategorie: Sachbuch: Literaturgeschichte.
    Verlag: Kiwi, 2023

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  1. "An diesem erschütternden Meere habe ich tief gelebt..." (Mann)

    !ein Lesehighlight 2023!

    Klappentext:

    „Das Meer war für Thomas Mann sein Leben lang der Ort der Sehnsucht und des verheißungsvollen Sogs in die Tiefe. Deutsche Romantik und Todessehnsucht – und Ort der Befreiung von den Konventionen, den politischen, literarischen, erotischen Zwängen des bürgerlichen Lebens. Ort der Freiheit und des wahren Ich.

    Vielleicht fängt alles dort an, wo seine Mutter das Glück der Kindheit erlebt: im brasilianischen Urwald, in einem großen, hellen Haus am Meer. Mit sieben kommt sie nach Travemünde, in die deutsche dunkle Kälte, mit einer Sehnsucht, die bleibt. Ihr Sohn Thomas wächst an der Ostsee auf, in Lübeck, aber sobald er kann, geht er in den Süden, reist nach Italien, ans Mittelmeer, verliebt sich in junge Männer, folgt aber den Konventionen der Zeit und heiratet Katia. Jahre später: Der Gang ins Exil. In Kalifornien, am Pazifik, wird er noch einmal ein anderer: Er kämpft gegen Hitler, für die Demokratie, für die Freiheit und nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Nach seinem Tod lebt seine Lieblingstochter Elisabeth sein Vermächtnis als weltweit gefeierte Meeresforscherin in ihrer utopischen ozeanischen Politik fort.

    Volker Weidermann schreibt mit Leichtigkeit und Humor, mit Wärme und großer Klarheit über den Nobelpreisträger, über seine Sehnsucht und seine Lieben. Sein Buch ist die Geschichte eines deutschen Jahrhunderts, es ist die Biografie eines großen Schriftstellers und seiner Familie, vor allem aber ist es ein Roman über das Dunkle, Glänzende, Bedrohliche, Verlockende, Befreiende – über Thomas Mann und das Meer.“

    Im Gästebuch des Hauses „Kliffende“ in Kampen an eben jenen Punkt auf der Insel Sylt schrieb einst Thomas Mann diese Worte: "Nicht Glück oder Unglück, der Tiefgang des Lebens ist es, worauf es ankommt. An diesem erschütternden Meere habe ich tief gelebt und was es aufregte, das wird, gebe es Gott, irgendwie einmal ehrenhaft fruchtbar werden.". Genau diese Worte sind auch auf einer Kunststele an einem Rundweg nahe des Hauses Kliffende heute zu lesen. Man blickt einerseits auf die wunderschöne Landschaft Sylts aber auch andererseits auf die raue Nordsee. Man hört sie, man sieht sie, man riecht sie und man träumt sich in sie hinein. Thomas Mann hatte einerseits mit der Insel Sylt selbst eine besondere Beziehung aber schlussendlich war es, egal wo er war, immer das Meer selbst, welches ihn einnahm. Im Buch von Autor Volker Weidermann, der sich der großen Literatur und deren bekanntesten deutschen Autoren verschrieben hat, erzählt uns dieser nicht einfach so stumpf Manns Biografie, nein, hier geht es tiefsinnig und auch auf gewisse Weise emotional und gefühlvoll um eben Manns große Liebe und Verbundenheit: das Meer. Beim lesen der Zeilen vermag man fast die Theorie aufzustellen, dass diese Liebe zum Meer ihm in die Wiege, oder gar in die Gene gelegt wurde. Er reiste gewollt aber auch gezwungener Weise um die ganze Welt, immer eingekesselt vom Meer selbst. Er lernte alle Gegebenheiten des Meeres kennen und machte sich daraus seine eigene Verbindung. Das Meer ist so wechselhaft wie Manns Leben selbst. Es gibt ein Auf und Ab, es gibt Liebkosungen aber auch Wutausbrüche, es gibt Umarmungen aber auch Entbehrungen. Thomas Mann hat stets seine eigene Meinung vertreten und sich mehr als oft die Zunge dabei verbrannt. Sein Kampf gegen Hitler beispielsweise war wohl der gefährlichste Sog, der gefährlichste Strudel in seinem Leben. Thomas Mann schwamm aber selbst da gegen den Strom der Nazis, er schwamm aber auch gegen den Strom seiner Gefühle und manchmal gar gegen die unerfüllte Liebe. Dennoch blieb die Verbundenheit mit dem nassen Element immer und immer wieder fest bei ihm verankert. Selbst in seinen Gene hat er es weitergetragen und seine große Liebe, die See, lebt in seiner Tochter weiter. Weidermann erzählt hier nicht nur gekonnt große Auszüge aus Manns umfangreicher Biografie, er behält stets den Blick auf das Thema Meer. Seine Erzählweise ist konstant unterhaltsam und kurzweilig. Man folgt dem Autor gern auf seinen Wegen und seinen Erkenntnissen die er zu Thomas Mann und der See erkannt hat. Seine bildhafte Sprache ist mehr als oft zweideutig und jenes mochte ich wahrlich sehr. Man könnte abschließend, nach beenden des Buches, sagen, Thomas Mann und das Meer hatten mehr gemeinsam als viele andere Menschen es wohl je hatten. 5 Sterne für dieses Buch!

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Fremd: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Fremd: Roman' von Michel Friedman
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Fremd: Roman"

»Dies ist ein Buch über das Fremdsein, das äußere und das innere. Eine Erfahrung, die exemplarisch für viele Menschenschicksale ist. Es ist allen Menschen gewidmet, die irgendwo im Nirgendwo leben.« Michel Friedman »Die Angst ist mein Lebensgefährte« Ein Kind, voller Furcht, kommt nach Deutschland – ins Land der Mörder, die die Familien seiner Eltern ausgelöscht haben. Hier soll es Wurzeln schlagen, ein Leben aufbauen. Das Kind staatenloser Eltern tut, was es kann. Es will Kind sein. Es will träumen. Es will leben. Doch was es auch erlebt, sind Judenhass, Rassismus und Ausgrenzung – und eine traumatisierte Kleinfamilie, die es mit Angst und Fürsorge zu ersticken droht. Mit großem Gespür für Zwischentöne und einer kunstvoll verdichteten Sprache zeichnet Friedman das verstörende Bild der Adoleszenz in einer als fremd und gefährlich empfundenen Welt. Das berührende Kaleidoskop eines existenziellen Gefühls, das seziert werden muss, damit es die Seele nicht auffrisst.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:176
Verlag: Berlin Verlag
EAN:9783827014610
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Rezensionen zu "Fremd: Roman"

  1. Eines meiner Jahres-Highlights

    Ja, wie soll ich das Buch beschreiben, ohne abzuschreiben? Besser als er kann ich das eh nicht.

    Da ist zunächst das Layout: Es sieht aus wie ein Gedicht.

    Dann der Autor, der früher ein sehr öffentlicher Mensch war, über den man schon recht viel weiß.

    Er ist ein nachdenklicher Mensch, ein nachdenkender Mensch. Er erinnert sich an seine inzwischen gestorbenen Eltern, an das Fremdsein im neuen Land, an all das, was er für die Familie tut (und was sie für ihn tut). Und damit erdrückt sie ihn fast in ihrer Angst. Sie müssen auch recht alte Eltern gewesen sein, er ist lange nach dem Krieg geboren.

    Das Buch geht unter die Haut und lässt einen nachdenklich zurück. Würde ich mein USA-Visum zerreißen, weil meine Mutter flüstert: "Willst du uns wirklich alleinlassen?"

    Halt gibt ihm schließlich die eigene Familie, die Partnerin, die beiden Kinder. Man könnte fast sagen, Bärbel Schäfer hat ihn gerettet. Und das ist auch gut so.

    Eines meiner Jahres-Highlights, eine absolute Leseempfehlung.

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Agent Sonja

Buchseite und Rezensionen zu 'Agent Sonja' von Ben Macintyre
4.6
4.6 von 5 (5 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Agent Sonja"

1923, Ursula ist gerade einmal sechzehn Jahre alt, wird sie bei einer 1.-Mai-Demonstration von einem Polizisten niedergeknüppelt. Es ist nur ein Grund mehr für sie, der Kommunistischen Partei beizutreten und deren Ideen in die Welt hinauszutragen. Mit Anfang zwanzig begleitet sie ihren ersten Ehemann nach Shanghai, wo sie Richard Sorge kennenlernt. Der Meisterspion wirbt sie für den russischen Geheimdienst an und sorgt dafür, dass sie in Moskau eine Ausbildung zur Agentin absolviert. Von dort aus geht es für sie in die Mandschurei und anschließend in die Schweiz, wo sie ein Bombenattentat auf Hitler plant. In den 50er Jahren wird sie in der DDR unter dem Namen Ruth Werner zur Erfolgsautorin. Den größten Dienst erweist sie der Sowjetunion aber, indem sie zwischen 1943 und 1949 Informationen über das britische Atomprogramm an Moskau weitergibt – eine der gefährlichsten Spionageaktionen des 20. Jahrhunderts. Spannend und temporeich wie einen Thriller erzählt der Spionageexperte und Bestseller-Autor Ben Macintyre das unglaubliche, aber wahre Leben einer Spionin, die den Lauf der Weltgeschichte maßgeblich verändert hat.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:469
Verlag: Insel Verlag
EAN:9783458643463
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Rezensionen zu "Agent Sonja"

  1. 5
    30. Sep 2023 

    Unglaubliches Leben meisterhaft erzählt

    Wie es gehen soll, Mutter, Kommunistin und Topspionin in einem zu sein, wollte sich mir vor der Lektüre dieses Buches nicht erschließen. Allein bei der Vorstellung eines solchen Lebens bekam ich Gänsehaut. Dies war jedoch nichts gegenüber der überwältigenden Gefühle, die mich beim Lesen dieses Buches begleiteten.
    Ben Mcintyre erzählt sehr gekonnt eine wahre Geschichte, die in dieser Form nur vom Leben selbst geschmiedet worden sein kann. Sehr einleuchtend kommen während der Lektüre die Beweggründe dieser Frau durch, die sie zu so einem spannenden und gefährlichen Leben verleitet haben. Die ganz besonderen Bedingungen dieser Zeit bewegen sie als junge Frau und als Jüdin so sehr, dass sie bereit ist, ihr persönliches Lebensglück für die Version von Frieden, Wahrheit und Gerechtigkeit zu opfern, die ihr die kommunistische Welt scheinbar überzeugend vermittelte.
    Es wäre sehr spannend zu wissen, wie sie selbst aus heutiger Perspektive ihr Handeln und ihren Einsatz bewerten würde.
    Ein sehr lohnendes Buch; für weniger starke Nerven empfehlen sich jedoch Pausen oder gutes Nervenfutter...!

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  1. 5
    18. Nov 2022 

    Packend und informativ!

    Der englische Schriftsteller Ben Macintyre hat schon einige Bücher über Spionage geschrieben. In diesem hier erzählt er detailgenau und spannend die faszinierende Geschichte der Frau, die unter dem Decknamen „ Sonja“ jahrelang als kommunistische Spionin tätig war.
    Geboren wurde Ursula Kuczynski, wie sie tatsächlich hieß, 1907 als Tochter einer vermögenden jüdischen Familie in Berlin. Ihr Vater war ein angesehener links stehender Gelehrter. Auch Ursula liest begeistert die Schriften Marx und Engels. Ein Polizeiknüppel auf ihrem Rücken, als sie an einer Demonstration der kommunistischen Jugend mitmarschierte, war die Initialzündung für ihr Engagement. Ihr Kampf galt danach dem Sieg des Kommunismus.
    Der führte sie in alle Welt. Die erste Station war Shanghai, zu Beginn der 1930er Jahre eine Stadt der Gegensätze. Das „Paris des Ostens“ war gleichzeitig die „ Hure des Ostens“, ein Zentrum für Drogen und Kriminalität, aber auch der Spionage. Ursula lebt hier mit ihrem ersten Mann, einen Architekten und ihrem kleinen Sohn Michael, als sie Richard Sorge kennenlernt, einer der berühmtesten Spione des 20. Jahrhunderts. Er macht sie nicht nur zu seiner Geliebten, sondern rekrutiert sie auch für den russischen Geheimdienst. In Moskau erhält sie eine Ausbildung als Funkerin. Einsätze folgen in die Mandschurei und nach Polen. 1938 flüchtet Ursula in die Schweiz, wo sie Widerstandsgruppen gegen Nazi- Deutschland aufbaut. Und 1940 kann sie nach England emigrieren, was ihr als Jüdin mehr Sicherheit bietet. Doch auch ihre neue Heimat spioniert sie für die Sowjets aus. Russland befindet sich gerade in einem Wettlauf mit den Amerikanern bei der Herstellung einer Atombombe. Hierzu kann Ursula wertvolle Informationen liefern.
    Ein unglaubliches Leben, v.a. wenn man bedenkt, dass Ursula neben ihrer Tätigkeit als Topagentin Hausfrau und Mutter war. Anschaulich beschreibt Macintyre, wie sie versucht, das alles unter einen Hut zu bringen. Die Ehe mit ihrem ersten Mann zerbricht; Ursula bekommt noch in Asien eine Tochter von einem ehemaligen Führungsagenten und in der Schweiz lernt sie einen englischen Kommunisten und Spanienkämpfer kennen. Die Ehe mit ihm verschafft ihr die englische Staatsbürgerschaft. In der ländlichen Umgebung von Oxford führt sie mit Mann und mittlerweile drei Kindern das Leben einer ganz normalen Familie. Die anderen Dorfmitglieder wären sehr überrascht gewesen, hätten sie gewusst, warum ihre nette Nachbarin so oft mit dem Fahrrad unterwegs ist.
    Ursula versuchte immer, ihren Kindern eine gute Mutter zu sein. Das ging nicht ohne Kompromisse. Ihr ältester Sohn Peter sagt später einmal: „ In ihrem Leben gab es zwei wichtige Dinge, ihre Kinder und die kommunistische Sache. Ich weiß nicht, was sie getan hätte, wenn sie sich für eines von beiden hätte entscheiden müssen.“ Der Autor hat aus gutem Grund seinem Buch den Untertitel „ Kommunistin, Mutter, Topspionin“ gegeben.
    Auch schwerwiegende Maßnahmen der sowjetischen Regierung zerstörten nicht ihren Glauben an die kommunistische Idee. Das eine waren Stalins Säuberungsaktionen, denen unzählige Genossen zum Opfer fielen. Ursula versuchte zu verdrängen, dazu kam ihre Angst, selbst fälschlicherweise unter Verdacht zu geraten. Doch der Hitler- Stalin- Pakt 1939 schockierte Ursula zutiefst. Der Kommunismus machte gemeinsame Sache mit Nazi- Deutschland, das sie zutiefst hasste und bekämpfte. Aber auch hier konnte sie sich arrangieren.
    Obwohl der britische Geheimdienst auf Ursula aufmerksam wurde, geriet sie nie ernsthaft in Verdacht. In der Männerwelt der Spionage und der Spionageabwehr war es unvorstellbar, dass eine Hausfrau und Mutter gleichzeitig eine große Agentin sein kann.
    Ben Macintyre hat für dieses umfangreiche Buch akribisch recherchiert. Dazu standen ihm eine Unmenge an Quellen zur Verfügung, darunter auch Ursulas Autobiographie, die sie unter dem Namen Ruth Werner 1977 in der DDR veröffentlicht hat: „ Sonjas Rapport“. Der englische Autor erzählt noch von Ursulas Leben nach Beendigung ihrer Agententätigkeit. 1950 zog Ursula mit ihrem Mann und ihren Kindern nach Ostdeutschland, wo sie unter ihrem neuen Namen Kinderbücher schrieb. Im Juli 2000 starb Ursula Kuczynski im Alter von 93 Jahren.
    Diese Biographie liest sich wie ein Roman. Trotz der vielen Informationen , die das Buch liefert, entsteht ein fesselndes und lebendiges Bild einer ungewöhnlichen Frau. „ Ursula wurde dem Proletariat und der Revolution zuliebe eine Spionin; doch sie tat es auch für sich selbst, getrieben von einer außerordentlichen Kombination aus Leidenschaft, Romantik und Abenteuerlust, die in ihr sprudelten.“
    Neben Ursula porträtiert der Autor auch zahlreiche Weggenossen, die für sie bedeutsam waren, Ehemänner, Liebhaber, Freunde und Feinde. Der historische Hintergrund, vor dem die Figuren agieren, fließt organisch in die Handlung ein. Gleichzeitig bekommt der Leser ein authentisches Bild von der Welt der Spione.
    Lobenswert und der Veranschaulichung dienlich sind auch die vielen Photographien, die dem Text beigefügt sind.
    Ein äußerst lesenswertes Buch für Leser von Biographien und für historisch Interessierte.

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  1. 5
    14. Nov 2022 

    Was für eine bewundernswerte Frau

    Im Grunde kenne ich die Geschichte von Sonja - oder Ruth Werner - oder Ursula Kuczynski schon recht gut. Sonjas Rapport habe ich gelesen und auch die Bücher von Ruth Werner, in die ja zum Teil auch autobiografische Inhalte mit einflossen.

    Aber umso neugieriger war ich auf dieses Buch. Meine Hoffnung war zu erfahren, wie sie sich zu der bewundernswerten Frau entwickelt hat. Ist es dem Autor gelungen? Auf jeden Fall!

    Dieses Buch ist so anders. Es lässt sich aus meiner Sicht in kein Genre einordnen. Phasenweise liest es sich wie eine Biographie, dann vermischen sich die historischen Ereignisse mit in die Geschehnisse. Vielleicht durch diese gelungene Mischung gelang es mir einen tieferen Einblick in das Leben von Ursula Kuczynski zu bekommen. Und beim Lesen bin ich hin- und hergerissen. Da ist zum einen dieses wirklich aufregende Leben der Frau, die als überzeugte Kommunistin alles riskiert um die Sowjetunion damals mit wichtigen Informationen zu versorgen. Auf der anderen Seite ist sie eine Mutter, die trotz der Liebe zu ihren Kindern es sich nicht nehmen lässt zur Ausbildung auch mal mehrere Monate in ein fremdes Land zu gehen und die Kinder bei den Großeltern dabei zurücklässt.

    Sie ist sich des Risikos bewusst, auch dass sie mit ihrer Spionagetätigkeit durchaus nicht nur ihr Leben, sondern auch das Leben ihrer Kinder in Gefahr bringt. Und doch ist da eine Energie in ihr, die sie weitermachen lässt. Im Nachhinein stellte sich dann auch heraus, dass sie nicht nur einmal enormes Glück gehabt hatte und so einer Enttarnung entgangen ist.

    Interessant fand ich auf jeden Fall, dass ihre Kinder erst viele Jahre später erfahren haben, was ihre Mutter in ihrer Jugend für ein interessantes und aufregendes Leben hatte. Sie hat für ihre Überzeugung gekämpft und sich von niemals von ihrem selbst gewählten Weg abbringen lassen.

    Ob ihre Kinder unter dieser Situation gelitten haben? Vermutlich nicht, denn sie kannten es ja nicht anders.

    Von mir gibt es für dieses außergewöhnliche Buch über eine bewundernswerte Frau eine unbedingte Leseempfehlung.

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  1. Von einer Politischen Symbolfigur zur Romanheldin

    Ausser Mata Hari kannte ich bisher keine real existierende Agentin beim Namen. Und da auch nicht die reale Geschichte, eher den Mythos.
    Was kann einen Menschen zum Agenten machen? Ein wenig hat für mich schon das Cover eine Antwort gegeben. Schwarz, Weiß und Rot sind hier die Farben. Für mich symbolisieren sie das Schwarzweißdenken einer Person, für die nur das eine richtig und das andere falsch ist und Rot für die Kommunistische Partei.
    Passt Agent Sonja, alias Ursula Kuczynski, in dieses Schema?
    Vielleicht, ist hier die Antwort.
    Die zeitlichen Umstände und die famliären Hintergründe haben sicherlich zu der politischen Einstellung Sonjas beigetragen. Die dann einfach aufzugeben mag ihr schwer gefallen sein. Gleichzeitig schafft sie es ein scheinbar alltägliches Frauenleben mit Mutterschaft, Kindern etc zu führen.
    Getragen wird dies sicherlich auch durch ihre Auszeichnungen und Anerkennungen in der Kommunistischen Gesellschaft, den besonderen Stellenwert, den sie sonst nie erreicht hätte.
    Warum ein Buch über diese Agentin? Die Beweggründe kann ich da nicht nachvollziehen, es gibt keinen aktuellen Bezug. Zumindest kann es heutzutage diese Art von Spion kaum noch geben, da hat das Digitale Zeitalter ganz andere Möglichkeiten.

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  1. Fesselnd & Klar

    Eine wahre Geschichte nachvollziehbar und spannend erzählt.

    Schon das Cover:
    eine Frau mit Fahrrad... sehr pragmatisch gestaltet.
    Mit der knallroten Farbgebung zielt der Titel sehr auf das kollektive Gedächtnis einer Nation ab.
    Kommunismus und eine Frau, die als Agentin immer noch andere Adjektive, bedienen konnte und wollte.

    Der Autor Ben Macintyre, ein sehr bekannter Journalist, der sich durch seine Arbeit für die BBC und die New York TImes, einen Namen gemacht hat. Dieser neue Roman "Agent Sonja" reiht sich ein, in die vielen von ihm veröffentlichten Agentenromane.

    Zum Inhalt:
    "Agent Sonja" handelt von einer Jüdischen Frau, die durch ihre eigenes Erleben der Zeit von Krieg und politischen Unruhen, in ihrem Inneren geprägt wurde.
    Detailliert führt der Roman, den Leser durch die verschiedenen Stufen ihrer emotionalen und politischen Orientierung bishin zu ihrem aktiven Agentinnenleben.
    Der Fokus liegt auf der umfassenden Erläuterungen zu dem Leben und Wirken der Ursula Kuczynski.

    Deutsche Übersetzung: Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger

    Mein persönliches Leseerlebnis

    Zum allgemeinen Verständnis, vorab eine persönliche Anmerkung:
    Das Thema rund um Politik und Spione gehört nicht zu meinen beliebten Romanerzählungen.
    Häufig sind sie mir zu trocken und zu "steril".

    Die Coveraufmachung und die knappen Stichworte auf eben diesem, haben mich jedoch "magisch"angezogen.
    Ich kontte feststellen, dass ich noch kein Buch dieser Fasson gelesen hatte...

    Konstruktion, Erzählstil, Lesefluss:

    Die gesamte Buchkonstruktion ist sehr logisch und nachvollziehbar aufgebaut.
    Es sind keinerlei Vorabkenntnisse über Weltkriege, das Leiden der Menschen, die insich unterscheidene Population und anderes notwendig, um dieser Geschichte folgen zu können.

    Die Kapitel sind nach essentiellen Ereignissen in Sonjas Leben eingeteilt worden. Ihre gesamte Persönlichkeitsentwicklung enfaltet sich vor meinen Augen.
    Auch der Zwiespalt zwischen dem der eigenen Wurzeln und denen ihrer Familie sowie Freundes - & Bekanntenkreis, kann ich nun nachvollziehen.
    Ich lese über das Leben und Wirken einer Frau, deren Erlebnisse mir so sicher nie bekannt geworden wären.

    Zusammenfassung:
    Eine sehr gut strukturierte Biographie, die mich auf die "Lebensreise" von
    Ursula Kuczynski, mitnahm und sicher lange Zeit in meiner Erinnerung bleiben wird.
    Gekennzeichnet von realen Ereignisberichten, Quellennachweisen und einem sehr flüssig lesbarem Schreibsstil, ist dieses Buch ein Gewinn für alle, die es lesen können.

    Fazit:
    Eine Biographie, die fesselnde, spannende Lesetunden bereiten wird.
    Ein weiterer "Stepstone" der internationalen Strasse, des politischen Verstehens und dessen Auswirkungen, auf das persönliche Leben und Wirken des Einzelnen.
    Ich vergebe sehr gerne 4* Lesesterne und empfehle diese Lektüre jedem der sich politisch interessiert und spannend unterhalten werden möchte.

    ISDN: 978-3458643463
    Deutsche Veröffentlichung: 30.Okt.2022
    Formate: elektr. & Paperback
    Verlag: INSEL

    Herzlichen Dank für das Vorableseexemplar.

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