Herztier: Roman

Im Buch geht es um die Familie Graves, bestehend aus Maddie, Nate und ihrem Sohn Oliver. Nach dem Tod von Nates Vater ziehen die drei zurück in dessen Heimathaus. Nate wollte eigentlich nie wieder zurückkehren, weil die Vergangenheit ihn dafür zu sehr belastet. Und wenn man die kommenden Ereignisse betrachtet, hätten sie vielleicht auch lieber nicht in die Nähe von Ramble Rocks ziehen sollen, einem Park, in dem es nicht mit rechten Dingen zugeht.
Das Buch startet etwas langsam, nimmt dann aber ordentlich an Fahrt auf. Wo ich zu Anfang noch unsicher war, wie stark mich das Buch begeistern kann, war ich im Verlauf immer mehr angefixt.
Das Mysterium hat mir richtig gut gefallen und auch das Worldbuilding war klasse. Als herauskam, was genau dort los war, war ich fasziniert. Mir haben die teilweise etwas wilden Plotelemente wahnsinnig gut gefallen. Sie bauen sich auch sehr stufenweise auf, weswegen man immer und immer wieder aufs Neue gespannt ist.
Ich muss jedoch sagen, dass ich es nicht so richtig als Horror einschätzen würde. Es hat zwar auf jeden Fall Spannung aufgebaut, aber so richtig gegruselt habe ich mich nicht. Dafür sind die Fantasy-/Scifielemente des Buches in meinen Augen wirklich ausgezeichnet.
Die Charaktere, welche mich anfangs noch ziemlich kalt gelassen haben, konnten mich im Laufe des Buches überzeugen und vor allem der Fakt, dass die drei Hauptcharaktere so als Familieneinheit aufgetreten sind, hat mir gut gefallen.
Trotz des langsamen Starts konnte mich das Buch abholen und ich kann wirklich sagen, dass mich das Worldbuilding begeistert hat.
Die Geschichte spielt 1950 in Mexico. Noemi, eine kluge, junge Frau, der es auf Grund der finanziellen Möglichkeiten ihrer Familie möglich ist noch zu überlegen was sie aus ihrem Leben machen will, wird von ihrem Vater um Hilfe gebeten. Sie soll ins Hochland, nach El Triunfo reisen und nach ihrer frisch vermählten Cousine Catalina sehen. Diese habe einen besorgniserregenden Brief geschrieben. Noemi soll sich einen Eindruck davon machen, ob Catalina von der Familie ihres Mannes schlecht behandelt und ihr vielleicht sogar eine notwenige psychiatrische Behandlung vorenthalten wird.
Also macht sich die junge Frau auf High Place, dem Sitz der angeheirateten Familie, einen Besuch abzustatten. Was sie dort allerdings vorfindet, stellt sogar ihre schlimmsten Albträume in den „Schatten“.
Ich hatte ja schon einige Rezensionen zu dem Buch von Silvia Moreno-Garcia gelesen und war sozusagen „vorgewarnt“, dass es etwas unheimlich werden könnte. Also war ich während des Lesens sozusagen schon in einer Habachtstellung und war immer ziemlich erleichtert, wenn die nächsten Seiten dann doch nicht so schaurig wurden, wie ich es in Gedanken bereits vorweggenommen hatte. Der Schreibstil der Autorin hat mich von Anfang an sehr eingenommen. Man kommt eigentlich aus der Geschichte nicht mehr heraus, man muss sie bis zum Ende durchlesen. Längere Pausen sind, mir zumindest, gar nicht möglich gewesen. Und dann, dann kommt es zum grandiosen Finale und ich kann nur schreiben, es wird wirklich grausig. Aber auch an diesen Stellen war es immer so, dass man weiter lesen musste. Es war mir nicht möglich diese Passagen zu „überlesen“ oder zu überblättern. Es war einfach nicht möglich. Auf den letzten 50 Seiten konnte ich nicht einmal mehr sitzen bleiben. Immer wieder musste ich mit dem Buch aufstehen und während des Lesens im Zimmer umher laufen, da ich sonst die Spannung nicht hätte ertragen können.
Fazit:
Eine unglaublich spannende und mega gruselige Geschichte, die selbst am Ende noch nachwirkt.
Sind wir nicht alle ein bisschen Kentuki?
Es kostet 279 Dollar, sieht aus wie ein Plüschtier auf Rädern und hinter seinen Augen versteckt sich eine Kamera. Sein Name: Kentuki. Ein Kentuki kann ein Panda sein, eine Krähe, ein Drache, ein Kaninchen oder eine Eule. Doch egal, welches Tier man auswählt - dahinter steckt immer ein Mensch. Ein Mensch, der ein Haus weiter wohnen kann oder am anderen Ende der Welt. Abhängig ist das Kentuki von seinem "Herrn", sprich von demjenigen, der es käuflich erworben hat. Oder ist es genau andersherum?
Samanta Schweblin erzählt in ihrem Roman "Hundert Augen" von einer Gesellschaft voller Einsamkeit, Schmerz und Wut - und das ungemein beeindruckend. Was auf den ersten Blick wie eine Dystopie wirkt, ist in Wahrheit gar keine. Zwar können wir (noch) keine Kentukis kaufen, doch ansonsten sind es Menschen von heute, die diesen Roman prägen. In der immer stärker digitalisierten Welt, in der wir heute leben, wirkt es gar nicht so unwahrscheinlich, dass man beim nächsten Besuch eines Verwandten ein kleines Stofftier auf Rädern bei ihm entdeckt.
Die Kentukis aus dem Roman sind mehr als stille Beobachter. Sie wollen ihrer Einsamkeit entkommen, indem sie am Leben eines völlig fremden Menschen teilnehmen wie Emilia aus Lima, deren Sohn wegen der Arbeit nach Hongkong gezogen ist. Sie sehnen sich nach Freiheit und nach Schnee und wollen den Tod der Mutter vergessen lassen wie der kleine Marvin, der auf Antigua lebt. Manchmal müssen sie eingreifen, um ein Verbrechen zu verhindern wie Grigor aus Kroatien, der sogar mit Kentuki-Schauplätzen handelt.
Schweblin hat ihren Roman als Episodenroman konstruiert, wobei fünf Figuren im Mittelpunkt stehen, die entweder Kentuki spielen oder sich selbst ein Kentuki angeschafft haben. Zwischendurch setzt sie immer wieder einzelne Blitzlichter von Kentuki-Geschichten, die nur einmal auftauchen, den fünf Haupterzählungen aber einen facettenreichen Unterbau liefern.
"Hundert Augen" ist dabei so klug wie unterhaltsam, ein Roman, der zum Lachen und Weinen anregt - manchmal sogar gleichzeitig. Tieftraurige Episoden wie der Suizid eines Kentukis, der ohne seinen verstorbenen "Herrn" nicht mehr weiterspielen will, bleiben dabei ebenso lange im Gedächtnis wie die auf den ersten Blick äußerst skurril wirkende Episode um Alina, die Freundin eines Künstlers, die ihre eigene Unsichtbarkeit nicht mehr aushält und ihre Wut komplett am Kentuki auslässt - mit gravierenden Folgen.
Samanta Schweblin hält den LeserInnen dabei gekonnt den Spiegel vor. Hätten wir nicht auch Lust, einem solchen kleinen Kameraden ein Zuhause zu geben? Oder machen wir das vielleicht sogar schon, indem wir uns mit Geräten unterhalten, die Frauennamen tragen und auf alles eine Antwort wissen? Oder andersherum: Wie weit würden wir eigentlich gehen, wenn wir plötzlich die Möglichkeit hätten, einen fremden Menschen nahezu rund um die Uhr zu beobachten - wobei: Haben wir diese Möglichkeit nicht in diversen Fernsehformaten schon?
Fazit: Mit "Hundert Augen" ist Samanta Schweblin ein bewegender und mitreißender Gesellschaftsroman gelungen, der die großen Fragen nach Moral, Liebe und Menschlichkeit stellt, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger die Antworten zu geben. Ein lange nachwirkendes Ereignis.
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