Stille: Ein Wegweiser

Buchseite und Rezensionen zu 'Stille: Ein Wegweiser' von Erling Kagge
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Stille: Ein Wegweiser"

Was ist Stille? Wo ist sie? Warum ist sie heute wichtiger denn je? Lange hat Erling Kagge sich mit diesen drei Fragen beschäftigt. Angeregt durch Freunde und Wegbegleiter wie Marina Abramovic, Jon Fosse, Elon Musk, Børge Ousland und Oliver Sacks, ist er in seinem Buch zu dreiunddreißig Antworten gekommen. Entstanden ist ein Wegweiser für den modernen Menschen auf seiner Suche nach Stille, Ruhe, Frieden – überall dort, wo es laut ist.
»Die Natur sprach zu mir, indem sie sich als Stille präsentierte. Je stiller es wurde, desto mehr hörte ich ... eine ohrenbetäubende Stille.« Der Weltwanderer Erling Kagge musste weit gehen, um ein Gut zu finden, das in unserer Zeit immer wichtiger wird: Stille. Auf seinen Expeditionen – zum Süd- und zum Nordpol, auf den Mount Everest – hat er sie gefunden.
Aber ist Stille auch in der Stadt zu erfahren? Im turbulenten Oslo, wo er lebt? Ja, wenn man bereit ist, die Welt auszusperren und eine Reise in sein Inneres anzutreten, kann man auf dem Weg zur Arbeit, beim Lesen, Stricken, Musikhören, beim Abwaschen, beim Yoga »seinen eigenen Südpol finden«, denn »Stille ist überall«.

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Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:144
Verlag: Insel Verlag
EAN:9783458177241
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Rezensionen zu "Stille: Ein Wegweiser"

  1. Stille als Offenbarung

    Dieser Roman - oder auch Wegweiser, wie es so schön am schlicht weißen Cover heißt - ist recht schnell gelesen, denn er hat nur 125 Seiten. Und nein, darin findet sich keine Geschichte im eigentlichen Sinne, es ist mehr eine Autobiografie. Denn autobiografisch ist es in jedem Fall, was Erling Kagge da geschrieben hat.

    ~ Ja, reden, genau das soll die Stille tun. Sie soll reden, und du sollst mit ihr reden und das Potenzial nutzen, das darin liegt. ~
    (S. 20)

    Der Autor hat sich hierin durch und durch über die Bedeutung der Stille ausgelassen.
    Was ist das eigentlich genau, diese Stille? Hat sie einen Wert? Hat der "moderne" Mensch in der heutigen Zeit überhaupt noch die Chance, absolute Stille zu erfahren? Wenn nein, wie oder wo ist das dennoch möglich? - Das sind nur ein paar der vielen Fragen, denen Kagge in diesem kleinen Büchlein nachgeht. Und ja, er liefert Antworten dazu. Antworten, die - welch Überraschung - irgendwie still werden lassen. Antworten, die man erst fassen und sich auf der Zunge zergehen lassen muss.

    Wenn man ein Buch liest, dann kann man ja meist irgendwie wahrnehmen, in welchem Ton der Inhalt geschrieben wurde, was sich dann auf den Leser überträgt. Und beim Lesen von "Stille" wurde ich nachdenklich, melancholisch, aber auch still. Das Geschriebene hat also durchaus eine gewisse Wirkung bei mir erzielt. Nur ums Stillwerden geht es aber gar nicht. Man muss in weiterer Folge auch verstehen und erfahren wollen, was dann passiert. Im Grunde beschreibt Kagge in seinem Buch auf sehr eindrucksvolle Weise und durch persönliche Erlebnisse das gesamte Wirkungsspektrum von Stille. Für mich war der Buchinhalt hochinteressant und das, obwohl ich mit der Thematik bereits vertraut bin.

    ~ Die Stille um dich herum kann viel enthalten, aber für mich ist die interessanteste Stille diejenige, die in mir ist. Eine Stille, die ich in gewisser Weise selbst schaffe. ~
    (S. 33)

    Für jemanden, der noch nie über Stille nachgedacht hat und/oder über das, was mit selbiger einhergeht, dürfte dieses Buch ein kleiner Schatz sein, den es zu entdecken und zu bestaunen gilt. Von mir gibt es dafür also eine unbedingte Leseempfehlung!

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Vox

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Die rechtschaffenen Mörder: Roman

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Rezensionen zu "Die rechtschaffenen Mörder: Roman"

  1. Von der Macht und Ohnmacht der Literatur.

    Kurzmeinung: Ein Must-read.

    Norbert Paulini rebelliert. Er will nicht mitmachen. Beziehungsweise nur soweit, wie es unbedingt notwendig ist. Das Modell seines Ausstiegs ist ihm indes in die Wiege mitgegeben oder unters Bett geschoben worden.

    In der früheren Deutschen Demokratischen Republik gibt es wenige Inseln der Glückseligen. Norbert Paulini hat sich eine erobert. Mit Langsamkeit und Passivität mehr als durch Energie und Durchsetzungsfähigkeit. Mit seinem literarisch anspruchsvollen Antiquariat wird er sogar richtig bekannt. Später dreht man einen Dokumentarfilm über ihn. Und schreibt ein Buch dazu. Ein Buch, das ihm aber nicht gefällt. Ganz im Gegenteil, er will dem Autor gehörig einheizen, ihn mit Klagen überziehen, seinen ganzen Einfluss geltend machen, damit der Schreiberling nie wieder etwas verkauft bekommt. Das lässt sich dieser nicht gefallen.

    Dabei ist der Schreiberling, Herr Schultz, mit tz geschreiben zur Abgrenzung vom Autorenname Schulze, was ein netter Kniff ist, aber natürlich nicht verhindert, dass man lacht und gleichsetzt, nicht eins zu eins, aber dennoch, - einst sein Eleve gewesen. Damals als Norbert Paulini erklärt hat, dass er als Beruf einfach nur „Leser“ ist. Nicht mehr, nicht weniger. Doch ganz aus dem Einflussbereich des Staates, wie er es sich einbildet, ist Paulini nie gewesen.

    Vom historischen Umbruch der Wende 1989 bleibt das Antiquariat Paulinis nicht verschont. Die vorher wertvollen Erstausgaben russischer und altdeutscher Denker sind plötzlich nichts mehr wert, sie landen tonneweise auf der Müllhalde und werden von dort von Paulini geborgen. Man kann von ihrem Verkauf jedoch nicht mehr leben. Und trotzdem weigert sich Paulini wieder einmal nachzugeben und sich den neuen Gegenheiten des Kapitalismus anzupassen. Würde er sich umstellen, sein Sortiment anpassen, Schulbücher in sein Sortiment aufnehmen, könnte er sich schnell gesundstoßen und nebenbei sein Antiquariat pflegen. Sozusagen als Hobby.

    Aber Paulini ist stur und querköpfig. Er macht nicht mit und alles ist gegen ihn. So sieht er es. Doch anders als in der untergegangengen DDR arbeitet seine Dickschädlichkeit dieses Mal nicht für ihn, sondern richtet sich in aller Härte gegen ihn selbst. Keine Kompromisse zu schließen bedeutet keine Versicherungen zu haben, keine Sicherheit(en). Selbst die Natur wendet sich gegen ihn und will ihn mit einem Jahrhunderthochwasser vernichten.

    Als im zweiten Teil sein einstiger Eleve Schultz, der bei ihm und durch ihn in Literatur unterwiesen wurde, beschließt, über ihn zu schreiben, ja, eigentlich über Paulinis Niedergang, kommt es zum Streit. Im Höhepunkt deselben stellt Paulini sein bisheriges Leben zum ersten Mal in Frage. Genügen Worte alleine. Oder Gedanken? Kommt es nicht auf Taten an? Was soll das viele Bücherwissen?

    Ob Paulini und dessen Sohn in welcher Weise von Worten zu Taten übergegangen sind, bleibt verschleiert, doch gibt es hinreichende Andeutungen, die ihn in Verbindung mit rechtsextremem Gedankengut bringen. Fest steht nur, dass er seinem Sohn ein falsches Alibi gibt und dieser Sohn gewalttätig ist.

    Im dritten Teil besucht die Lektorin Schultzens die sächsische Schweiz, die häufig Schauplatz des Geschehens gewesen ist, da diverse Protagonisten zur Entspannung dort wandern gehen, und insofern ist der vorliegende Roman auch eine Huldigung an die Sächsische Schweiz, schöne Gegend, in der Tat. Vor Ort will die Lektorin nach ihrem Autor suchen, der verschwunden ist. Was ist bloß passiert? Und was ist aus der antiquarischen Buchhandlung Paulinis geworden?

    Die Figur Paulini ist vom Autor gebrochen und umgedreht worden. Der Held wird zum Antihelden. Die Anbindung an den Titel bleibt trotzdem lose. Die Motivsuche schwierig.

    Worüber schreibt der Autor Ingo Schulze augenzwickernd wirklich? Einerseits über den Untergang der DDR und darüber, dass Literatur nicht die ganze Welt abbildet. Darüber, dass sich auch Autoren in ihren Themen/Helden verirren können? Stellt er West und Ost einander gegenüber? Oder ist das ganze Buch nur eine Eifersuchtsgeschichte? Von allem etwas und noch viel mehr!

    Fazit: Es lässt sich trefflich streiten über diesen Roman. Er ist vielschichtig. Uneindeutig. Nahe an historischer Wahrheit und auch wieder ganz fern. Auf alle Fälle ist der Roman „Die rechtschaffene Mörder“ faszinierend und schlägt eine Brücke von der alten Form des Erzählens zu den Kunstformen heutiger Zeit(en). Was er nicht ist, er ist kein Kriminalroman. Und was er noch ist: kein Stück langweilig.

    Ich gebe ein klare Leseempfehlung!

    Kategorie: Belletristik
    Verlag: S. Fischer/Hätte auf die Longlist 2020 gehört.

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  1. Die Geschichte eines verschrobenen Antiquars aus Dresdnen

    „Im Dresdner Stadtteil Blasewitz lebte einst ein Antiquar, der wegen seiner Bücher, seiner Kenntnisse und seiner geringen Neigung, sich von den Erwartungen seiner Zeit beeindrucken zu lassen, einen unvergleichlichen Ruf genoss.“ (S. 9)
    Bereits dieser wohlformulierte erste Satz führt den Leser fast märchenhaft in die Geschichte des Antiquars Norbert Paulini ein. Er hat seine Mutter früh verloren, wird vom überforderten Vater und Frau Kate, die mehr als eine Nachbarin ist, aufgezogen. In der Schule Außenseiter lernt er die Faszination der Bücher kennen, die ihn in andere Welten führen.

    Als junger Mann braucht er mehrere Anläufe, um seiner Berufung zu folgen, schließlich wiedereröffnet er mit Frau Kates Hilfe das Antiquariat seiner verstorbenen Mutter. „Er hatte sich für das intensivste und angenehmste Leben entschieden, das einem Menschen möglich war, für das Leben eines Lesers.“ (S. 59)

    Es folgen Jahre der Blüte. Paulini ist in bibliophilen Kreisen höchst angesehen, die Leute kommen von nah und fern, Buchliebhaber erhalten Empfehlungen und Sonderpreise, abends finden literarische Veranstaltungen im familiären, handverlesenen Kreis statt. Ab und zu blitzen Sätze eines Ich-Erzählers im Text auf, dem man anmerkt, wie sehr er den Antiquar verehrt. Paulini verliebt sich in Friseurin Viola, sie heiraten und bekommen einen Sohn, Julian.

    Doch die politische Wende 1989 verändert das Leben Paulinis grundlegend. Mit einem Schlag werden seine Bücher nicht mehr nachgefragt. Er kann es nicht glauben, dass wertvolle Werke auf einmal zuhauf auf der Straße liegen. Der aufrechte, prinzipientreue Paulini kommt ins Wanken. Hinzu kommen Stasi-Vorwürfe gegen seine Familie, Rückübertragungsansprüche auf das Haus, seine Ehe geht in die Brüche. Paulini kann mit den Regeln des Kapitalismus nicht Schritt halten, eine Abwärtsspirale kommt in Gang, an deren Ende rechtsradikale Vorwürfe stehen, die man nicht glauben will. Fragen bleiben offen.

    In Teil II wechselt die Perspektive, hier übernimmt der zuvor nur am Rande in Erscheinung getretene Ich-Erzähler und Autor (Schultze mit tz!) die Regie, die Nebenfigur wird Protagonist – ein wunderbarer Schachzug. Der Erzähler kaufte früher seine Bücher bei Paulini und lernte viel von ihm. Es scheint, als wolle er seinem Idol ein Denkmal setzen, indem er einen biografischen Roman schreibt. Es ergeben sich für den Leser dabei erstaunliche Zusammenhänge und neue Perspektiven.
    Teil III schließt das Ganze mit dem Blick der Verlagslektorin ab, die sich als Außenstehende ihre Gedanken macht, die vorliegenden Fakten noch einmal bewertet und zu interessanten Schlüssen kommt. Spätestens dabei bekommt auch der Buchtitel seinen Sinn.

    Dieser Roman hat mich begeistert. Ingo Schulze spielt mit der Wahrheit, mit dem Leser, zwingt dazu, feste Annahmen wieder zu verlassen. Dabei bewegt er sich oft im Ungefähren, macht nur Andeutungen, kleine Nebensätze, die erst später zu ihrer Bedeutung kommen. Ein Buch, das Aufmerksamkeit erfordert, das aber dennoch kurzweilig und flüssig lesbar ist und im Grunde zu einer zweiten Entdeckungsreise einlädt. Vermutlich werden aus den neuen Bundesländern stammende Leser/innen noch viel mehr sehen können als ich, die die DDR nur aus zweiter Hand kennt. Fasziniert haben mich auch die unterschiedlichen Sprachmodi.

    Das politische Geschehen findet zwar im Hintergrund statt, begleitet den Roman aber über die Jahre, so wie auch das historische Elbhochwasser Eingang in die Geschichte findet. Das macht das Buch ungemein authentisch und lebensecht.
    Der Roman bündelt viele zeitgenössische Themen, ihn nur als Wenderoman zu bezeichnen greift viel zu kurz. Es geht auch um zwischenmenschliche Verbindungen, um Liebe und sogar um einen Todesfall.

    Der Roman eignet sich hervorragend für Lesekreise. Er ist wunderbar konzeptioniert, kurzweilig und überraschend. Volle Leseempfehlung!

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Keine Messer in den Küchen dieser Stadt

Buchseite und Rezensionen zu 'Keine Messer in den Küchen dieser Stadt' von Khaled Khalifa
NAN
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Inhaltsangabe zu "Keine Messer in den Küchen dieser Stadt"

In Khaled Kahlifas neuem Roman geht es um Syrien von den achtziger Jahren bis heute. Sein erster Roman "Der Tod ist ein mühseliges Geschäft" war ein Überraschungserfolg. Khalifa, der immer noch in Damaskus lebt, schreibt über Syrien von innen heraus, nicht aus dem Exil, wie die meisten seiner Schriftstellerkollegen. Eine Familie lebt auf dem Land. Doch als der Vater mit einer jüngeren Frau nach Amerika abhaut, zieht die Mutter mit den drei Kindern nach Aleppo zurück, wo sie groß geworden ist. Die einst blühende liberale Stadt hat sich durch das Assad-Regime verändert. Die Nachbarn singen jetzt seine Lieder, die Kolleginnen an der Schule, an der die Mutter als Lehrerin arbeitet, treten der Partei bei. Über Außenseiter werden Berichte verfasst. Misstrauen und Angst machen sich breit. Zu Hause versucht die Mutter, die Erinnerung an das alte Aleppo mit seiner Musik, Literatur, dem bunten Basar wachzuhalten. Doch die Wirklichkeit dringt immer tiefer in die häusliche Welt ein ... Ein melancholisches, berührendes Buch über eine verlorene Stadt und Kultur und ein Lehrstück darüber, was mit Freiheiten, die man für selbstverständlich hielt, passieren kann.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:288
EAN:9783498035822
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TODESZIRKEL: Psychothriller

Buchseite und Rezensionen zu 'TODESZIRKEL: Psychothriller' von Inca Vogt
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "TODESZIRKEL: Psychothriller"

Der Tod ist nicht das Schlimmste. Überleben ist die wahre Hölle!

Lorenz Brandes ist Undercover-Ermittler und hat sich erfolgreich in einen Menschenhändlerclan eingeschmuggelt. Im Schulterschluss mit Hardlinern der rechten Szene handelt der Clan mit Flüchtlingskindern, die Jahr für Jahr vom Radar verschwinden. Kaum jemand sorgt sich um sie, da sie nie offiziell erfasst wurden.

Obwohl Lorenz Beweise schlüssig sind, zögern seine Vorgesetzten gegen den Clan vorzugehen. Schließlich fliegt Lorenz Tarnung auf. Seine kleine Tochter Lilly wird entführt und seine Frau Xenia lebensgefährlich verletzt.

Xenia überlebt. Aber um welchen Preis?


Psychothriller-Bestseller in Folge

AMATO-REIHE
Amato 1, Gebrannte Kinder
Amato 2, Götzenkinder
Amato 3, Verlorene Kinder
Amato 4, Nymphenjäger
Amato 5, Killerstoff
Amato 6, Cronens Brut


NEU!
TODESZIRKEL, Psychothriller



Schwarzer Humor & Thrill

SARGNAGEL-REIHE
Sargnagel 1, Mordserbe
Sargnagel 2, Pleitegeier

Die Treuetesterin
TOT BIST DU

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:358
Verlag: Inca Vogt
EAN:
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Rezensionen zu "TODESZIRKEL: Psychothriller"

  1. Rezension zu Todeszirkel

    Lorenz Brandes arbeitet seit langem als Undercover-Ermittler bei der Polizei. Für seinen neusten Ermittlungen schleust er sich erfolgreich in einen Menschenhändlerclan ein, der zusammen mit Hardlinern der rechten Szene mit Flüchtlingskindern handelt, die Jahr für Jahr spurlos verschwinden. Da sie nie offiziell erfasst wurden, kümmert sich auch keiner wirklich um dieses Problem oder macht sich Sorgen um diese Kinder. Als Lorenz schlüssige Beweise zusammen hat, möchte er endlich gegen den Clan vorgehen, aber zu seinem Entsetzen zögern seine Vorgesetzten die Sache hinaus. Bald fliegt auch noch seine Tarnung, seine Tochter wird entführt und seine Frau Xenia lebensgefährlich verletzt...

    Todeszirkel ist der neue Psychothriller aus der Feder von Inca Vogt.

    Lorenz Brandes ist mit Leib und Seele Polizist, seine Undercover-Tätigkeiten führen ihn zu den abscheulichsten Machenschaften und seine Familie kommt da oftmals zu kurz. Aber seine Frau Xenia und die kleine Lilli kennen dies und kommen damit gut zurecht. Aber als Lorenz Tarnung auffliegt scheint alles aus den Fugen zu geraten, denn seine Tochter Lilli wird entführt und seine Frau lebensgefährlich verletzt, natürlich ist sein erster Gedanke, dass dies mit seinen Ermittlungen zusammenhängen könnte.

    Ich muss zugeben, dass ich Lorenz und Xenia, die für mich der eigentliche Hauptcharakter in diesem Thriller ist, nicht wirklich greifen konnte, sie blieben mir einfach irgendwie fremd. Lilli dagegen, ihre kleine Tochter hatte ich direkt in mein Herz geschlossen und ich fieberte richtig bei ihr mit.

    Die Spannung empfand ich wirklich gut aufbaut, nach den Ereignissen der Entführung und der lebensgefährlichen Verletzung von Xenia, die einen ersten Spannungshöhepunkt darstellten, bleibt immer eine Grundspannung vorhanden, die einen durch die Geschichte treibt. Die Autorin spielt mit den einzelnen Abschnitten gekonnt, so dass man immer weiter lesen möchte um seine Neugierde zu befriedigen wie denn nun alles zusammenhängt und wohin die Geschichte den Leser führt.

    Einige Szenen sind auch nicht ohne und sie führten mich und mein persönliches Kopfkino schon an die Grenzen dessen was ich beim Lesen ertragen kann und möchte.

    Zum Ende hin nimmt die Spannung immer weiter zu und es wartet auf den Leser auch noch eine Wendung, mit der ich persönlich nicht gerechnet habe, die mir aber sehr gut gefallen hat. Auch wenn alles aufgeklärt und alle Fragen beantwortet wurden, hätte ich gerne doch ein paar Seiten mehr gehabt um noch intensiver in die Aufklärung eintauchen zu können.

    Mein Fazit:
    Ein spannender Psychothriller, bei dem meine kleinen Kritikpunkte meinen Lesespaß nicht behindert haben, sondern es eher ein Meckern auf hohem Niveau ist.

    Für mich 4,5 Sterne, die ich gerne auf 5 Sterne aufrunde.

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Familie der geflügelten Tiger: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Familie der geflügelten Tiger: Roman' von Paula Fürstenberg
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Familie der geflügelten Tiger: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:240
EAN:9783462051599
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Rezensionen zu "Familie der geflügelten Tiger: Roman"

  1. Wer war mein Vater?

    Der mysteriöse Titel und der spannende Klappentext ließen mich bei diesem Buch aufhorchen, weshalb ich es dann gespannt las und regelrecht überwältigt wurde.

    In der Geschichte geht es um Johanna, die ohne ihren Vater aufgewachsen ist. Nun ruft er an, doch was will er eigentlich von ihr? Und was ist damals wirklich geschehen? Hat er die Familie tatsächlich verlassen oder steckt ein ganz anderer Grund dahinter?

    Johanna fungiert als Ich- Erzählerin und man erlebt ihre Gefühls- und Gedankenwelt sehr intensiv mit. Ich liebe gerade so eine Perspektive, weil man so noch mehr an der Hauptfigur dran ist. Johanna ihre Probleme habe ich direkt verstanden, denn wer möchte nicht seine Wurzeln kennen? Auch die Suche nach Liebe und Geborgenheit war hier für unsere heutige Zeit sehr passend dargestellt. Besonders gefallen hat mir ihre Ausdrucksweise, ganz einfach weil bei uns daheim genauso gesprochen wird. Das hat man eher selten, dass statt Hochdeutsch mal Ostdeutsch zum Tragen kommt. Da war bei mir direkt ein Wohlfühlgefühl beim Lesen da.

    Die eigentliche Handlung wird immer mal unterbrochen von vermeintlichen Stasiakten. Der Autorin ist es sehr gut gelungen mich an der Nase herumzuführen. Beim Lesen der Aktenauszüge hatte ich persönlich ein eher mulmiges Gefühl, weil die echten Akten ja wirklich durch Bespitzelung gefüllt worden sind.

    Richtig klasse fand ich zudem das Einbinden vom Straßenbahnfahrten und wie dies so abläuft. Auch wenn der Job sicher wenig Romantisches hat, so ist er dennoch wichtig. Ich bin ab und zu in Berlin und einige Strecken kamen mir direkt bekannt vor.

    Die DDR Witze von Ausbilder Reiner versteht man wahrscheinlich nur, wenn man in dieser Zeit gelebt hat. Bei längerem Nachdenken habe ich sie zwar verstanden, aber das Lachen bleibt einem irgendwie im Halse stecken.

    Das offene Ende hat mich zunächst etwas verwirrt. Am liebsten hätte ich Johanna den Brief aus der Hand gerissen, um alles zu erfahren. Aber nach einer kleinen Bedenkzeit ist diese Lösung für mich auch in Ordnung, da man als Leser sich deswegen seine eigenen Gedanken machen kann und sich vielleicht auch noch etwas längr mit dem Roman beschäftigt.

    Vom Schreibstil hat mich Frau Fürstenberg übrigens enorm an Simone Lappert erinnert, deren Roman "Der Sprung" ich ebenfalls verschlungen habe.

    Fazit: Mit Begeisterung habe ich dieses Buch gelesen und kann es uneingeschränkt weiterempfehlen. Spitzenklasse!

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Die Detektive vom Bhoot-Basar

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Detektive vom Bhoot-Basar' von Deepa Anappara
4.65
4.7 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Detektive vom Bhoot-Basar"

Detektivarbeit ist kein Kinderspiel. Der neunjährige Jai schaut zu viele Polizei-Dokus, denkt, er sei klüger als seine Freundin Pari (obwohl sie immer die besten Noten bekommt) und hält sich für einen besseren Anführer als Faiz (obwohl Faiz derjenige mit zwei älteren Brüdern und einem echten Job ist). Als ein Junge aus ihrer Klasse verschwindet, beschließt Jai, sein Fernsehwissen zu nutzen, um ihn zu finden. Mit Pari und Faiz an seiner Seite wagt er sich in den verwinkelten Bhoot-Basar und dann weiter hinaus in die verbotenen Viertel der Stadt. Doch mehr und mehr Kinder verschwinden, und die Dinge in der Nachbarschaft werden kompliziert … "Die Detektive vom Bhoot-Basar" erzählt von den Farben und Widersprüchen des heutigen Indien, von sozialen und religiösen Spannungen, Korruption und Ungerechtigkeit, vor allem aber von der unbesiegbaren Vitalität dreier Kinder, von deren Wagemut, Unschuld und überbordender Phantasie. Ein literarisches Debüt von besonderer emotionaler Tiefe, schon vor dem Erscheinen viele Male ausgezeichnet und bislang in 16 Sprachen übersetzt. Deepa Anappara bringt einen wahren Kriminalfall und eine mitreißende Coming-of-Age-Story zusammen mit der Magie einer großen Erzählung. Ein seltenes Glück.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:400
EAN:9783498001186
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Rezensionen zu "Die Detektive vom Bhoot-Basar"

  1. 4
    05. Nov 2022 

    Detective Jai

    Jai und seine Freunde gehen in die öffentliche Schule. Sie wohnen in einem der Armenviertel und obwohl ihr Leben nicht einfach ist, Dann verschwindet ein Schulkamerad und seine Eltern sind sehr besorgt. Die Polizei vermutet, der Junge sei weggelaufen und sie wollen erst nach ihm suchen, wenn er in weiteren Tagen nicht wieder aufgetaucht ist. Jai, der gerne Polizei-Serien schaut, meint, wenn die echte Polizei nichts unternimmt, dann müssen er und seine Freunde zu Detektiven werden. Sie beginnen mit ihren Nachforschungen. Als jedoch ein weiteres Kind verschwindet, könnte die Suche auch gefährlich werden.

    Mit diesem Debütroman wird nicht nur die Armut in den Vierteln einer Stadt in Indien dargestellt, sondern auch die Lebhaftigkeit und der Witz der Kinder. Der ungefähr zehnjährige Jai nimmt die Gelegenheit wahr, sich den Traum von einer Tätigkeit als Detektiv zu erfüllen. Natürlich will er seinen Freund finden, der es wegen eines Sprachfehlers weder daheim noch in der Schule leicht hatte. Er könnte zwar abgehauen sein, aber er war eigentlich nicht der Typ dafür. Die Kinder gehen jeder Idee nach und sie wagen sich über die Grenzen ihres Viertel hinaus. Sie hatten noch keinen Erfolg als das zweite Kind aus der Nachbarschaft verschwindet.

    Nach hiesigen Maßstäben ist es kaum vorstellbar, wie die Kinder in diesem ärmlichen Viertel leben, immer unter der Bedrohung, dass die Häuser plattgemacht werden. Und doch geben die liebevollen Beschreibungen der Autorin den Kindern große Lebendigkeit. Da sind sie manchmal auch einfach nur Kinder, die ihr Abenteuer leben. Doch auch der Ernst des Lebens hinterlässt Spuren, die Sorge der Eltern um ihre Kinder, denen sie kein so behütetes Leben bieten können wie sie es wünschen würden. Und dann die Polizei, die die Menschen aus armen Verhältnissen und ihre Probleme für nicht so wichtig hält. Jai, der kleine Detektiv nimmt einen für sich ein und man wünscht, sein Leben würde nicht so viele Veränderungen erfahren.

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  1. Der indische Emil

    „Ich habe das Gefühl, als wären tausend Schmetterlinge in meiner Brust. Was ist ein ganzes Leben? Wenn du als Kind stirbst, ist dein Leben dann ganz oder halb oder gar nichts?“ (S. 371)

    Dieser Satz kurz vor Ende des Romans „Die Detektive vom Bhoot-Basar“ von Deepa Anappara hat mich förmlich „angesprungen“, als wenn er nur darauf gewartet hätte, als Zitat in meiner Rezension zu landen *g*.

    In ihrem literarischen Debüt erzählt die in Indien geborene und jetzt in England lebende Journalistin von einem weit verbreiteten „Phänomen“ in Indien: dem spurlosen Verschwinden von Kindern aus (zumeist) armen Familien, die in üblen Slums mit mehreren Personen auf engstem Raum leben müssen, während ein Steinwurf entfernt Prunk und Protz regieren.

    Als im Basti (Siedlung, Armenviertel) von Jai, Faiz und Pari immer mehr Kinder verschwinden, machen die drei sich auf die Suche nach ihnen. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit den „Hobbydetektiven“…

    Jai, der gerne „Police Patrol“ im Fernsehen guckt und seine Freunde geben trotz aller widrigen Um- und Widerstände der Erwachsenen in ihrem Umfeld nicht auf, die anderen Kinder zu suchen. Dabei begleitet die geneigte Leserschaft die drei durch eine indische Großstadt, die nicht näher verortet ist. Letztlich ist es jedoch auch egal, in welcher Stadt es spielt – der Kern der Geschichte basiert auf Tatsachen. Und das es überhaupt passiert, ist schlimm genug.

    Während Jai und Co. mutig durch die Stadt fahren und durch den Basar laufen, riecht und schmeckt man den tiefhängenden Smog, der die Sicht einschränkt und krankmacht, die Gerüche und Gerichte der Straße und des Basars, man hört den Lärm der Millionen von Autos, die schreienden Kinder und Händler – unglaublich, mit welcher Intensität Deepa Anappara hier erzählt. Das kann aber trotzdem nicht von dem Schicksal der verschwundenen Kinder ablenken und das ist auch gut so!

    Immer wieder flechtet die Autorin auch die rassistischen und religiösen Konflikte der Bewohner des Bastis in ihre Geschichte ein, zeigt die Korruption der Polizei und die Haltung der Reichen, die sich in ihre eingezäunte Siedlung „flüchten“ und „das Elend“ aussperren. Widerlich und verlogen – in meinen Augen.

    „Glaub mir […]. Heute oder morgen – eines Tages verlieren wir alle jemanden, der uns nahestand und den wir liebten. Glücklich sind diejenigen, die alt werden in der Überzeugung, dass sie Kontrolle über ihr Leben haben, aber auch sie werden eines Tages erkennen, dass alles ungewiss ist und man irgendwann für immer verschwindet. Wir sind nur Staubkörner in dieser Welt, leuchten einmal kurz in der Sonne auf, und dann verschwinden wir im Nichts. Du musst lernen, deinen Frieden damit zu machen.“ (S. 377)

    Ausgestattet mit einem umfangreichen Glossar der meisten im Buch vorkommenden indischen Begriffe und einem persönlichen Nachwort der Autorin endet dieser Roman.

    Ein beeindruckendes Debüt und eines der absoluten Highlights in diesem Jahr!

    5* und absolute Leseempfehlung!

    ©kingofmusic

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  1. Mitreißend und ergreifend

    Inhalt (Klappentext):

    Detektivarbeit ist kein Kinderspiel. Der neunjährige Jai schaut zu viele Polizei-Dokus, denkt, er sei klüger als seine Freundin Pari (obwohl sie immer die besten Noten bekommt) und hält sich für einen besseren Anführer als Faiz (obwohl Faiz derjenige mit zwei älteren Brüdern und einem echten Job ist). Als ein Junge aus ihrer Klasse verschwindet, beschließt Jai, sein Fernsehwissen zu nutzen, um ihn zu finden. Mit Pari und Faiz an seiner Seite wagt er sich in den verwinkelten Bhoot-Basar und dann weiter hinaus in die verbotenen Viertel der Stadt. Doch mehr und mehr Kinder verschwinden, und die Dinge in der Nachbarschaft werden kompliziert …

    Meine Meinung:

    "Die Detektive vom Bhoot-Basar" ist nach "Rupien! Rupien!" und "Das Museum der Welt" dieses Jahr schon das dritte Buch für mich, das in Indien spielt. Immer wieder bin ich völlig sprachlos und verstört, ob der geschilderten Armut eines Großteils der Bevölkerung und dem Langmut, bzw. Fatalismus mit dem die Menschen in diesen gegebenen Verhältnissen leben. Die Geschichte hier wird aus der Sicht des 9-jährigen Jai erzählt und es wird deutlich, dass das Leben in diesen, für unsere wohlsituierten europäischen Standards, bitter armen Lebensumständen völlig normal sein kann. Der Junge wird geliebt und umsorgt und führt trotz aller Einschränkungen ein normales und teilweise aufregendes Kinderleben. Was wie eine Kinder-Detektivgeschichte beginnt entwickelt sich nach und nach zu einem ergreifenden Drama. Es zeigt die Ohnmacht der Slumbevölkerung gegenüber den Obrigkeiten, für die ein verschwundenes Kind dieser Gesellschaftsschichten keine Mühe wert ist. Es zeigt auch, wie schnell Sündenböcke für scheinbar unerklärliche Ereignisse gesucht werden und der Volkszorn auf Andersgläubige oder andere Minderheiten gerichtet wird. Die Schilderungen aus Kindersicht zeigen einen anderen Blickwinkel, ich empfand das als sehr gelungen. Die Sprache wird dadurch natürlich einfacher, aber die Figuren wirken lebendig und man kann sich sehr gut in die Gefühlswelt des Jungen hineinversetzen.

    Fazit:

    Es ist eine mitreißende, aber auch ergreifende Geschichte, die definitiv zu meinen Jahres-Highlights gehört.

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  1. Armes Indien

    Täglich knapp 200 Kinder verschwinden in Indien, die meisten werden nicht einmal vermisst.
    Deepa Anappara benutzt für ihren Roman „Die Detektive vom Bhoot-Basar“ eine auf tatsächlichen Ereignissen beruhende Geschichte über die Entführung von Kindern. Die Autorin führt den Leser in ihrem großartigen Debüt-Roman in ein Armenviertel in Dehli, wo bei einer Entführungsserie Kinder aus dem Slum verschwinden und eine Bande von Kinderdetektiven dort ermittelt, wo die Polizei wegsieht.
    Weit weg von der glitzernden Bollywood-Welt wird man als Leser mit Grausamkeiten im Slum, unvorstellbaren Lebensumständen und Armut, Frauenfeindlichkeit und Übergriffen von nationalistischen Hindus auf Muslime aus naiver kindlicher Sicht konfrontiert. Beim Lesen wirkt das unschuldig, nicht Mitleid erheischend, aber dennoch wie eine Sozialstudie der indischen Unterschicht, die dadurch erträglich ist, dass die kleinen Protagonisten nicht hoffnungslos verloren sind, sich Glücksmomente und Freude bewahren und zumindest in den Geistergeschichten das Gute siegen darf.
    Die Autorin weiß wovon sie schreibt, sie hat als Journalistin in Dehli gearbeitet und hatte dort viel Kontakt zu Straßenkindern, denen sie in ihrem Roman ein Gesicht gibt. Ihre Erfahrungen mit den Kindern spiegeln sich in ihrem Buch wider, es sind keine armen duldsamen Opfer sondern aufgeweckte mutige, schlaue und freche Kinder, die selbstbewusst durchs Leben gehen.

    Der neunjährige Jai, seine kluge Freundin Pari und der muslimische Faiz sind die Kinderdetektive, die nach dem Verschwinden eines Schulfreundes aus Jais Klasse nach diesem suchen. Jai schaut zu viele Polizeidokus und schwingt sich zum Anführer der Bande auf, Pari kommt als Klügste von allen auf die besten Ideen und Faiz hat viel Lebenserfahrung, arbeitet er doch schon im nahe gelegenen Basar. Alle drei leben im Basti, einem illegalen Slum am Fuß einer großen Müllkippe, hinter der die Wohntürme der Betuchten HiFi-Leute aufragen. Als immer mehr Kinder verschwinden geraten auch die drei kleinen Ermittler in Gefahr.

    Durch die Struktur der Geschichte fühlt man sich sofort an Emil und die Detktive oder an Kalle Blomqvist erinnert. Aber das Wesen des Romans besteht nicht in der Aufklärungsarbeit - dazu tragen die Kinder lediglich kleine Schnipsel bei - sondern im Blick auf das Leben in einer Großstadt im heutigen Indien. Ganz nahe darf man den Bewohnern des Basti über die Schulter sehen, ihre Armut im Alltag genauso beobachten wie den Umgang mit der Familie, mit Minderheiten, mit Geistern. Korrupte Polizisten treten im Basti auf genauso wie rechtsnationale Hinduisten. Man bekommt Einblick in die weit geöffnete Schere der Klassenunterschiede, wenn man davon liest, wie Jais Mutter sich für eine HiFi-Madam als Dienstmädchen abschuften muss. Oder wie der Vater eines der entführten Jungen, ein Mann, der für die Reichen die Bügelwäsche erledigt, durch den Wegfall der Arbeitskraft seines Jungen komplett im Schuldenstrudel versinkt. Von undurchdringlichem allgegenwärtigen Smog erzählt die Autorin ebenso wie von der Angst der Bewohner des Basti vor den Bulldozern. Alles betrachtet aus der Sicht des kindlichen Ich-Erzählers Jai, was den vielen Schrecken oft die Spitze nimmt und es für den Leser etwas erträglicher macht.
    Es ist eine kluge Wahl der Autorin, den kleinen Jungen erzählen zu lassen. Er ist neugierig und aufgeweckt, unschuldig und darf sich irren, starrt genau hin wo ein Erwachsener wegsehen würde. Und er glaubt an von Mund zu Mund weitergegebene Geistergeschichten, die den Kindern und Verlassenen Hoffnung und Schutz vor der harten Realität spenden.

    Am Ende kommt es durch die Mithilfe der drei Freunde Jai, Pari und Faiz zu einer Verhaftung, allerdings wird nicht endgültig geklärt ob es wirklich die Drahtzieher erwischt hat. Auch das Motiv bleibt offen, ebenso wie die entführten Kinder verschwunden bleiben. Wie im richtigen Leben endet das Interesse der Polizei und der Medien nach einem kurzen Aufflackern, denn die Ärmsten der Armen sind einfach nicht wichtig genug um mehr Anstrengungen zu investieren. Dazu fehlt ihnen einfach das Geld zur Bestechung in der korrupten indischen Gesellschaft.
    Leichtfüßig beginnt die Geschichte, aber im Verlauf nimmt die Bedrückung immer mehr zu, beim Leser und bei den drei kleinen Detektiven, die zunehmend überfordert sind von Korruption, Diskriminierung, Schmutz, Brutalität und der Enge des Viertels. Als Leser fühlt man sich ebenso, denn es ist keine glückliche Geschichte mit einem guten Ende, auch wenn ab und zu Lebensmut und Hoffnung aufblitzen, lastet das Gelesene schwer auf dem Gemüt und ich fühle mich in meiner Komfortzone etwas unbehaglich und mitschuldig.

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  1. 5
    18. Mai 2020 

    Das Gegenteil von Bollywood...

    Der neunjährige Jai lebt mit seiner Familie in einer Einraumhütte in einem Elendsviertel einer nicht näher bezeichneten indischen Stadt. Er hat Träume wie andere Kinder auch, und derzeit hat er dank TV-Vorbildern den Wunsch, der weltbeste Detektiv zu werden und Kriminalfälle aufzuklären. Als im Bhoot-Basar ein Kind verschwindet, sieht Jai seine Chance gekommen. Obwohl seine Freundin Pari in der Schule deutlich besser ist als er, glaubt der Neunjährige, dass sie sowie sein Freund Faiz ihn höchstens als Assistenten bei seinen Ermittlungen unterstützen können. Jais Rolle als Anführer wird nicht wirklich akzeptiert, aber die drei Freunde machen sich alsbald auf die Suche nach dem verschwundenen Kind.

    Was wie ein Kinderspiel beginnt, erhält zunächst schleichend und dann immer rasanter eine ernstere Note. Immer mehr Kinder verschwinden in dem Elendsviertel, die Familien verzweifelt, die Polizei untätig, korrupt und desinteressiert, ganz im Stile eine Schutzgeld-Mafia. Die Lage in der Nachbarschaft spitzt sich zu, neben Angst hält Misstrauen Einzug, und schnell ist eine schuldige Partei gefunden: die im Viertel lebenden Muslime. Jai und seine Freunde sind entsetzt, um so mehr, da Faiz und seine Familie ebenfalls muslimischen Glaubens sind. Aber wer oder was steckt denn nun hinter dem Verschwinden der Kinder? Sklaven- oder Organhändler? Oder doch Geister und Dämonen?

    Deepa Anappara lebt heute in England, wuchs aber in Indien auf, wo sie jahrelang als Journalistin arbeitete. Im Rahmen ihrer zahlreichen Recherchen in den Elendsvierteln indischer Großstädte sammelte sie Begegnungen und Erzählungen, gerade auch die Schicksale vieler Kinder. In diesem Roman wollte Deepa Anappara nicht nur den widrigen Lebensumständen dieser ärmsten aller armen Kinder Rechnung tragen, sondern vor allem auch demonstrieren, dass es diesen Kindern trotz allem nicht an Hoffnung fehlt, dass sie sich oftmals nicht als Opfer sehen, nicht resignieren, sondern im Gegenteil mit einer gehörigen Portion Frechheit, Humor, Sarkasmus und Energie durchs Leben gehen. Dies verrät sie im Nachwort zu diesem Roman, und tatsächlich ist dieses Vorhaben in meinen Augen gelungen.

    Für mich war es überhaupt ein gelungener Schachzug, die Geschehnisse aus der Sicht eines Kindes zu schildern. Das Basti (das Armenviertel), in dem Jai und seine Freunde leben, wird bildgewaltig als genau das dargestellt, was es ist: eine kaputte Welt. Armut, Ungleichheit, erschreckende hygienische Zustände, Chancenlosigkeit, Gewalt gegenüber Kindern und Frauen, Korruption und Ungerechtigkeit, religiöse Spannungen und Kämpfe - und über allem der immerwährende Smog, der, neben all den anderen genannten Faktoren, ernsthaft gesundheitsgefährdend ist.

    Durch die kindliche Perspektive wird alles ungefiltert gezeigt, jedoch ohne anzuklagen oder zu moralisieren. Das Erkennen der Unfassbarkeit und die Wertung eines Lebens unter solchen Umständen findet dann allein im Kopf des Lesers statt, der zusehen muss, wie er mit der Wucht der auf ihn einprasselnden Bilder klarkommt. Bei der kindlichen Perspektive fehlt zudem die Resignation und Hoffnungslosigkeit vieler Erwachsener - ganz im Gegenteil sprühen die Kinder oftmals vor Viatalität, Einfällen, Witz und Wagemut. Dies bietet einen wohltuenden Kontrast, ohne den das Gelesene sicherlich nur schwer zu ertragen gewesen wäre.

    Trotz des kindlich-naiven Erzählstils und einigen humorvollen Einschüben hat es Deepa Anappara vermieden, hier eine Feel-Good-Story zu erzählen. Die Detektivspiele der Kinder bieten den Rahmen für die Darstellung realer Lebensumstände vieler Slumbewohner Indiens - auch die zahlreichen verschwundenen Kinder zählen dazu. Vor diesem Hintergrund erscheint es nachvollziehbar, dass das Schicksal dieser Kinder im Roman nicht wirklich aufgeklärt wird. Es gibt Anhaltspunkte, schreckliche Umstände zu vermuten, aber Deepa Anappara lässt Jai und den Leser zumindest mit einem winzigen Funken Hoffnung zurück.

    Ein literarisches Debüt, das mich wider Erwarten mit einer emotionalen Tiefe überrollt hat, die auch Tage nach der Lektüre noch nachwirkt. Vordergründig ein Krimi, untergründig eine Milieuschilderung, die betroffen macht, die durch die Einblicke, die Deepa Anappara jahrelang in die Armenviertel indischer Großstädte erhielt, aber unzweifelbar authentisch ist. Um so erschreckender...

    Lesenswert, empfehlenswert, beeindruckend.

    © Parden

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  1. 4
    27. Apr 2020 

    Indisches Sozialdrama

    Bei diesem Buch handelt es sich um eine interessante und lesenswerte Gesellschaftskritik aus der Sicht eines Kindes, eines betroffenen Kindes, weil es der ärmeren Gesellschaftsschicht angehört, ein indischer Junge, der neunjährige Jai. Dieses Buch ist spannend geschrieben und es hat mich wunderbar unterhalten. Es bringt dem Leser die indische Welt, das indische Denken, das indische Leben, die indische Mystik näher. Da die Geschichte durch das Auge eines indischen Kindes blickt, aus der Sicht eines Kindes erzählt wird, ist der Blick natürlich etwas eingeengt. Erwachsener hätte mir das Ganze natürlich noch viel besser gefallen. Aber dennoch ist das Buch informativ, spannend und auch interessant.
    Es verschwinden Kinder aus einem Basti, einer Siedlung der indischen Armen innerhalb einer Großstadt. Der neunjährige Jai und seine Freunde, die kluge Pari und der muslimische Faiz werden kurzerhand zu den Detektiven und versuchen das Verschwinden der Kinder aufzuklären. Dafür, dass sie zur Zielgruppe gehören, gehen sie recht unbedarft mit der Gefahr um. Kindlich unbedarft eben. Aber was sollen sie auch machen? Eine Alternative gibt es für sie nicht.
    In dem Buch werden dann die Reaktionen der Polizei und der Mächtigen des Landes geschildert, es wird geschildert, wie polemische Strömungen diese Geschehnisse ausnutzen, um an Einfluss zu gewinnen und religiöse Spannungen zu vertiefen und es werden auch die Spannungen und Benachteiligungen beschrieben, die zwischen den Geschlechtern bestehen. Und das aus der Sicht des Kindes. Trotzdem ein Kind aus seiner kindlichen Sicht heraus berichtet, entsteht ein anklagendes Bild der heutigen indischen Gesellschaft mit ihren Umweltproblemen und gerade dem westlichen Leser wird klarer wie ärmere Menschen in Indien leben müssen. Ich würde sagen, Deepa Anappara ist es wunderbar gelungen, ein lebensechtes Bild des heutigen Indien zu entwerfen und sie lässt in ihrem Buch gerade die Menschen zu Wort kommen, auf die in Indien keiner hört, Indiens Arme. Man kann nur hoffen, dass dieses Buch vielleicht hilft Bestehendes zu verändern. Auch wenn ich das nicht glaube.

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Palast der Miserablen

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Rezensionen zu "Palast der Miserablen"

  1. Willkommen in der herzlichen Hölle

    Shams Hussein wächst In einem kleinen schiitischen Dorf im Süden des Iraks auf. Es sind die 1980er Jahre, die Zeit des ersten Golfkrieges und später der Invasion des Iraks in den Kuweit. Die Eltern erhoffen sich ein besseres Leben in der Hauptstadt und so zieht die Familie nach Bagdad, wo sie sich mühsam im Slum, der Blechhüttenstadt, eine kleine Existenz aufbauen. Mit findigen Ideen, vom Plastiktütenverkäufer am Basar, Wasserverkäufer bei Fußballspielen, Busfahrergehilfe, trägt Shams schon als Junge zum kargen Familieneinkommen bei. Mit Hilfe eines entfernten Verwandten bekommen er und seine ältere Schwester Qamer wieder einen Schulplatz. Shams entdeckt seine Liebe zu Büchern und der Literatur, schließt sich einem kleine Kreis von Kunst- und Literaturbegeisterten an: dem Palast der Miserablen. Es ist eine Zeit, in der es gefährlich ist zu denken und eines Tages wird Shams verhaftet und landet in den Kerkern Saddams.
    Der Autor Abbas Khider ist 1973 im Irak geboren und wurde mit 19 Jahren wegen seiner politischen Tätigkeit verhaftet. Ihm gelang nach seiner Entlassung die Flucht in den Westen, wo er seit 2000 in Deutschland lebt und schreibt. Mit Shams‘ Geschichte schreibt Abbas Khider über das Leben und Überleben im Irak. Gleich zu Beginn erfahren wir von Shams, dass er als politischer Gefangener inhaftiert ist, nach und nach erzählt Shams von seiner Kindheit und Jugend, Vergangenheit, Gegenwart und einer ungewissen Zukunft.
    „Der Krieg zog sich acht Jahre lang hin und irgendwann wurde er normal.“ Es darf niemals normal sein, wenn Krieg zum Alltag wird. Der Vater als Soldat eingezogen, die Mutter allein mit zwei Kindern, die sich tagelang im Schrank vor den „Bomben des Bush“ verstecken. Das Heimatdorf der Familie trägt einen skurrilen Namen. Helle, in der Übersetzung bedeutet das herzlich, hieß das Dorf unter der Herrschaft der Osmanen. Als die Briten die Türken vertrieben, fanden sie dort unterirdische Kerker und Folterkammern und tauften das Dorf in „hell“ - Hölle – um. Willkommen in der herzlichen Hölle, wo sich Shams Eltern trotz Krieg, Armut und Elend um ein harmonisches und liebevolles Familienleben bemühen. Die Namen der Kinder, Shams die Sonne, Qamer der Mond, zeigen, dass sich die Eltern für die Kinder ein besseres Leben wünschen.
    „Erst acht Jahre Krieg gegen den Iran, dann eine kleine Pause, bis Kuwait dran war. Das hat zum zweiten Golfkrieg geführt, der wiederum den Aufstand im Süden und Norden zur Folge hatte. Davor, danach oder dazwischen noch unzählige weitere Kampfhandlungen: Regierung gegen Opposition, Opposition gegen Opposition, Araber gegen Kurden, Araber gegen Araber, Muslime gegen Christen, Volk gegen Volk und so weiter. Die Liste an Kriegen, Schlachten und Massakern ist endlos und wird jeden Tag länger.“
    Literatur und Bücher werden für den heranwachsenden Shams Orte der Zuflucht, ein Ventil der Gedankenfreiheit. Im Palast der Miserablen trifft er auf Gleichgesinnte. Doch die richtigen Gedanken und Wort zur falschen Zeit sind lebensgefährlich im Regime von Saddam Hussein.
    Abbas Khider schreibt darüber, wenn Krieg eine Normalität ist und die Willkür einer Diktatur obsiegt. So sollte niemand leben müssen.

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  1. 5
    19. Feb 2020 

    kriegerischer Irak

    Im Irak herrscht Krieg. Das ist nichts Neues. Denn im Irak herrscht immer Krieg. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob sich die Aggression gegen andere Länder oder eigene Bevölkerungsgruppen richtet. Der Irak ist und bleibt ein hochexplosives Pulverfass. Wie es sich auf bzw. in diesem Pulverfass leben lässt schildert Abbas Khider in seinem Roman „Palast der Miserablen“.

    Der Schriftsteller weiß, wovon er spricht. Schließlich hat er bis zu seinem 23. Lebensjahr im Irak gelebt. Der irakische Alltag, geprägt von Kriegstreiberei und Verfolgung ist ein Teil seines Lebens.

    "' ... Erst acht Jahre Krieg gegen den Iran, dann eine kleine Pause, bis Kuwait dran war. Das hat zum zweiten Golfkrieg geführt, der wiederum den Aufstand im Süden und Norden zur Folge hatte. Davor, danach oder dazwischen noch unzählige weitere Kampfhandlungen: Regierung gegen Opposition, Opposition gegen Opposition, Araber gegen Kurden, Araber gegen Araber, Muslime gegen Christen, Volk gegen Volk und so weiter. Die Liste an Kriegen, Schlachten und Massakern ist endlos und wird jeden Tag länger.'"

    Protagonist in Khiders Roman ist der junge Iraker Shams Husssein, der im Süden des Landes geboren wird und hier einen Teil seiner Kindheit verbringt. Irgendwann ist seine Familie, die der Bevölkerungsgruppe der Schiiten angehört, gezwungen, den Landstrich zu verlassen. Saddam Hussein lässt den Süden des Irak „säubern“. Die Schiiten stehen auf seiner „Abschussliste“.
    Die Familie lässt sich in Bagdad nieder. Hier befinden sie sich zwar in unmittelbarer Nähe zu den Tyrannen, können jedoch im Großstadt-Völkergewirr untertauchen.
    Im sogenannten "Blechviertel" bauen sie sich ein neues Zuhause auf. Das "Blechviertel" ist ein Wildwuchs an Bebauungen inmitten der Müllhalden Bagdads. Die Familie ist hier über Jahre sicher und schafft es, zu einem geregelten Alltag zurückzufinden. Die Kinder - Shams hat noch eine ältere Schwester - gehen sogar in die Schule und haben die Möglichkeit, einen Abschluss zumachen. Shams träumt von einem Studium, das ihn auch davor bewahren würde, zum Militärdienst eingezogen zu werden.

    "Die Schule war also keine Option, sondern ein Muss. Nur so konnte ich weiterarbeiten und Geld verdienen, ohne zum Militär gehen zu müssen oder mich verstümmeln zu lassen."

    Doch das Leben in Bagdad wird immer schwieriger. Dank der Kriegstreibereien von Saddam Hussein ist der Irak vom Rest der Welt isoliert. Ein Embargo sorgt dafür, dass die Versorgung der Bevölkerung mehr als erbärmlich ist.
    Und mittendrin lebt Shams, der versucht, ein normales Leben zu führen, Geld zu verdienen, seine Familie zu versorgen, erwachsen zu werden. Er schöpft Kraft aus seiner Leidenschaft für Literatur und seinen heimlichen Treffen mit Gleichgesinnten. Es ist zwar schier unmöglich an Bücher zu kommen, die nicht der Zensur unterworfen sind, ganz zu schweigen von dem Embargo, das wirklich alle Güter des täglichen Lebens betrifft. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch.

    "Es war herrlich, die Welt draußen für ein paar Stunden einfach vergessen zu können. Die Zeit in unserer kleinen Zuflucht fühlte sich jedoch immer weniger wie ein Teil unseres Lebens an und dafür mehr und mehr so, als wären wir mit Hilfe irgendeiner Zauberformel in eine Traumwelt getreten, die nichts mit Bagdad zu tun hatte. Wir entfernten uns aus unserer Gegenwart und wurden zu neuen Menschen mit ganz anderen Problemen als Hunger, Arbeitssuche oder Krankheit. Stattdessen debattierten wir über das richtige Versmaß, schräge Metaphern oder gackerten einfach herum."

    Irgendetwas muss bei Shams Streben nach einem normalen Leben schief gelaufen sein. Das zeigt ein zweiter Handlungsstrang in diesem Roman. Denn gleich zu Beginn erfahren wir, dass Shams im Gefängnis sitzt. Während er sich also an seine Kindheit und Jugend erinnert, bangt er um sein Leben. Was ist also passiert, dass sein Schicksal diese Richtung angenommen hat?

    In Anbetracht des Ausgangs dieser Geschichte mag man es kaum glauben. Doch trotz allen Elends bedient sich Khider eines sehr quirligen und lebendigen Sprachstils. Er passt seine Sprache der jeweiligen Lebensphase seines Protagonisten an und vermittelt dadurch unterschiedliche Stimmungen: die Unbeschwertheit während Shams Kindheit in seinem Heimatdorf; Shams Verwirrung und Überforderung mit dem neuen Leben in Bagdad - erschwerend kommen in dieser Phase noch die Irrungen und Wirrungen der Pubertät hinzu; später der junge Erwachsene, der mit großer Ernsthaftigkeit durchs Leben geht und sich Gedanken über seine Zukunft macht; und letztendlich der Gefangene, der voller Verzweiflung und Angst kurz davor ist, mit dem Leben abzuschließen.
    Diese "Stimmungsschwankungen" im Erzählstil nehmen der Geschichte den Schwermut und machen das Schreckliche, das Shams widerfährt, für den Leser einigermaßen erträglich.

    Aufgrund der persönlichen Geschichte von Abbas Khider, der selbst mehrfach im Irak inhaftiert war, liegt natürlich die Frage nach dem autobiografischen Anteil in diesem Roman auf der Hand.

    In einem Interview, das er vor einigen Jahren mit der Zeitschrift "Zenith" geführt hat, antwortete der Schriftsteller auf die Frage, wie autobiografisch seine Romane seien:
    "Ich schreibe über Themen, die real sind, aber wenn ich meine Autobiografie schreiben würde, bräuchte ich 1.000 Seiten. Außerdem schreibe ich Literatur, versuche aber die Stimmung meiner Zeit, meiner Generation wiederzugeben. Es ist also alles autobiografisch, selbst das Erfundene."

    Auf "Palast der Miserablen" angewandt bedeutet dies für mich: Das Thema ist real. Khider gibt definitiv die Stimmung seiner Generation wieder. Die Frage nach dem autobiografischen Anteil ist für mich jedoch nicht relevant. Denn es ist eine Geschichte, die das Leben im Irak geschrieben hat, egal, ob es Khiders eigene oder eine fiktive Geschichte ist. Fesselnd ist sie auf jeden Fall. Und so, oder so ähnlich wird es gewesen sein.
    Leseempfehlung!

    © Renie

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  1. Gute Idee, leblos umgesetzt

    Shams ist ein Kind, als er mit seiner Familie ihr Dorf im Süden des Iraks verlässt, um in Bagdad Schutz vor dem Krieg zu finden. Sie landen im Blechviertel, den Slums direkt neben der Müllkippe, wo Obdachlose Hütten aus Müll errichtet haben und so einen ganz eigenen Stadtteil gegründet haben.
    Gleichzeitig liest man immer wieder Passagen von einem älteren Shams, der im Gefängnis ist und leidet. Nach und nach erfährt man, wie es dazu gekommen ist.

    Das ist ein hoch interessantes Thema, die Idee und Anlage des Buches großartig, leider kann der Erzählstil bei diesem ambitionierten Projekt nicht mithalten. Hier hat man es nicht geschafft, die gute Idee mit Leben zu füllen.
    Weitgehend leidenschaftslos berichtet Shams von seinem Leben, seiner Kindheit und dem Erwachsenwerden im krisengeschüttelten Irak. Er ist es gewohnt, dass kein Geld zum Leben da ist, dass er und seine Schwester mitarbeiten und mitverdienen müssen. So, wie es hier dargeboten wird, meint man fast, das Leben in der Blechsiedlung ist ganz normal und ein großer Spaß. Man kennt sich, man hilft sich, manchmal gibt es Kämpfe, manchmal verschwindet jemand, das ist halt so.

    Monoton wie in einem schlechten Schulaufsatz wird hier von übelsten Zuständen berichtet. Die sparsamen Dialoge sind holprig, die Beschreibungen dürftig, die Figuren blass. Man steckt mitten im Leid und kämpft mit dem Schlaf.
    Schon nach wenigen Seiten habe ich mich gefragt: Hat „Ohrfeige“ ein Ghostwriter verfasst? Wo ist der Witz, der Humor, die Finesse? Es geht schlank geradeaus im mäßig raffinierten Reportagestil.

    Ein weiters Beispiel für eine gute Idee, die nicht genutzt wird, ist der titelgebende „Palast der Miserablen“, ein Dichtertreff, wo sich regimekritische Literaten versammeln. Plötzlich wird Shams, der noch zur Schule geht und bis dato kaum literarische Ambitionen zeigte, dort Mitglied? Vermutlich sollte die Rolle der Literatur und der Widerstand gegen das Regime durch Intellektuelle hier ein Leitmotiv werden, schafft es aber nur zur Randerscheinung.

    Von diesem Buch hatte ich mir versprochen, auf unterhaltsame Art ein wenig über den Irak zu lernen. Leider habe ich mich herzlich gelangweilt und bin nicht klüger als vorher. Die politische Situation wird angerissen aber nicht erklärt. Diese Geschichte hätte in jedem anderen islamischen Krisengebiet genauso stattfinden können und dann sollte man sich lieber ein Buch von Rafik Shami gönnen.

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Der Krieg der Armen

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Apeirogon

Buchseite und Rezensionen zu 'Apeirogon' von Colum McCann
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Apeirogon"

Rami Elhanan und Bassam Aramin sind zwei Männer. Rami braucht fünfzehn Minuten für die Fahrt auf die West Bank. Bassam braucht für dieselbe Strecke anderthalb Stunden. Ramis Nummernschild ist gelb, Bassams grün. Beide Männer sind Väter von Töchtern. Beide Töchter waren Zeichen erfüllter Liebe, bevor sie starben. Ramis Tochter wurde 1997 im Alter von dreizehn Jahren von einem palästinensischen Selbstmordbomber vor einem Jerusalemer Buchladen getötet. Bassams Tochter starb 2007 zehnjährig mit einer Zuckerkette in der Tasche vor ihrer Schule durch die Kugel eines israelischen Grenzpolizisten. Ramis und Bassams Leben ist vollkommen symmetrisch. Ramis und Bassams Leben ist vollkommen asymmetrisch. Rami und Bassam sind Freunde. Apeirogon: eine zweidimensionale geometrische Form mit einer gegen unendlich gehenden Zahl von Seiten. Während "Apeirogon" nach und nach seine nahezu unendlichen Seiten auffächert und die beiden Männer in seiner Mitte rahmt, entfaltet sich der Palästinakonflikt in seiner ganzen Historie und Komplexität. Dies ist Colum McCanns überwältigendes Meisterwerk - ein Roman, der das Unbeschreibliche sinnlich und sinnhaft erfahrbar, greifbar macht. Ein kaleidoskopischer Text stellt die zeitlose Frage: Wie leben wir weiter, wenn das Liebste verloren ist? Und: Wie kann der Mensch Frieden finden? Mit sich selbst, mit anderen.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:640
EAN:9783498045333
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Rezensionen zu "Apeirogon"

  1. 5
    16. Nov 2020 

    Gewalt und Hass und deren Auflösung

    Hier kommt ein Highlight! "Apeirogon" ist ein Blick auf den Nahost-Konflikt, auf Palästina/Israel, auf die Palästinenser/die Israelis, auf die Menschen/die Betroffenen, auf den Kreislauf der Gewalt, auf die Schürer der Gewalt und auf Lösungen aus diesem Konflikt. Dabei lässt der Autor reales Geschehen und Fiktion zusammenfließen. Colum McCann begegnet zwei Männern, einem Palästinenser und einem Israeli, die durch eine Verlusterfahrung miteinander verbunden sind. Er verarbeitet mit deren Zustimmung ihre Geschichte zu diesem Roman, der etwas eigenwillig geschrieben ist, fast artikelartig ist die Schreibe zu nennen, thematisch immer wieder von Thema zu Thema springend, mal befindet man sich bei den beiden Männern, mal springt man wieder ganz woanders hin, immer wieder kehrt die Handlung zu schon behandelten Themen zurück, schon dadurch ist das Geschriebene auch zusammenhängend, aber auch sonst findet alles nach und nach zusammen. Ein ungemein lehrreiches und interessantes Buch, dessen Aufbau für mich bisher einzigartig ist, eben ein Apeirogon, einer Figur mit einer unendlichen Menge Seiten. Und dennoch berührt diese Figur/oder dieses Buch und zeigt Bekanntes und auch Neues auf. Dabei hat der Autor durch seine irische Herkunft einen besonderen Blick auf diese politisch befeuerte Gewalt und besonders auf ihre Opfer! Ein Buch, welches meiner Meinung nach vollkommen gerechtfertigt ausgezeichnet worden ist! Ein Meisterwerk!!! Chapeau!!!

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