Cristiano Ronaldo. Die preisgekrönte Biografie
In „Godwin“ prallen zwei Welten aufeinander, die scheinbar nur wenig miteinander zu tun haben: Faszination Fußball und der Berufsalltag in einem Büro. Dem irischen Autor Joseph O’Neill gelingt es dennoch, beide Welten in seinem aktuellen Buch auf sehr kreative Weise miteinander zu verbinden.
Bindeglied zwischen den beiden Welten in diesem Roman ist der Freelancer Mark Wolfe, der sein Geld verdient, in dem er freiberuflich Unternehmen bei der Verfassung von Förderanträgen unterstützt.
Mark ist Mitglied einer Bürogenossenschaft, die ihm die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellt, damit er seiner freiberuflichen Tätigkeit nachgehen kann. Darüber hinaus kümmert sich diese Genossenschaft um das Heranholen von Kunden und Aufträgen, die den Mitgliedern zugewiesen werden. Federführend für diese Aufgabe, genauso wie für alles Organisatorische, ist Lakesha, die wir als Vorstandsmitglied dieser Genossenschaft kennenlernen.
Der Roman besteht aus zwei Handlungsebenen, dementsprechend sind die Kapitel dieses Romans nach den Protagonisten benannt, aus deren Sicht der jeweilige Handlungsstrang erzählt wird: L für Lakesha und M für Mark Wolfe.
Anfangs erscheinen die beiden Handlungsebenen in sich abgeschlossen, von der beruflichen Verbindung zwischen Lakesha und Mark Wolfe einmal abgesehen. Im Wechsel der Kapitel liest man zwei Geschichten parallel, die kaum Berührungspunkte haben.
Lakesha, die den Anfang in diesem Roman macht, erzählt die Geschichte ihres Büroalltags. Dabei treten die täglichen Routinen in den Hintergrund. Im Fokus stehen die Intrigenspielchen und Konkurrenzkämpfe innerhalb der Genossenschaft, wenn es darum geht, an die Spitze dieser Organisation zu kommen. Die edle Grundidee, gleichberechtigt und nach demokratischen Grundsätzen gemeinsam für wirtschaftlichen Erfolg zu sorgen, gerät dabei in Vergessenheit. Lakesha kommt nicht damit zurecht, dass ihre einstigen Ideale bei dem Kampf um die Spitze nicht mehr die Gewichtung haben, wie zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn in der Genossenschaft.
Teil dieses Kampfes wird auch Mark sein, der dabei erst später eine Rolle spielen wird.
Denn zunächst ist er derjenige bzw. sein Handlungsstrang, der dem Leser die Tore zur Welt des Fußballs öffnet. Eigentlich undenkbar, bei einem Menschen wie Mark, der mit Fußball so gar nichts zu tun hat. Doch er hat einen jüngeren Bruder – Geoffrey – und dieser ist in Europa Fußballagent, wenn auch nicht besonders erfolgreich. Geoffrey bittet Mark um Unterstützung bei der Suche nach einem mysteriösen Fußballtalent. Der Zufall hat Geoffrey das ominöse Video eines unbekannten Jungen, der irgendwo in Afrika beim Kicken gefilmt wurde, zugespielt. Und der Fußballkenner wird bestätigen: Dieser Junge ist ein Ausnahmetalent! Geoffrey bittet also seinen großen Bruder um Hilfe bei der Suche nach der fußballspielenden Nadel im afrikanischen Heuhaufen.
Der Junge ist jener Godwin, nach dem dieser Roman benannt ist. Doch bis wir wissen, dass er so heißt und was es mit dem geheimnisvollen Godwin auf sich hat, wird noch einiges passieren. Bei der Suche nach dem Jungen wird Mark durch die halbe Welt reisen, er wird es mit Talentjägern zu tun haben, die ebenfalls ein übersteigertes Interesse an Godwin haben und ihn unter ihre Fittiche nehmen wollen, weil sie das große Geld wittern.
Dieser Handlungsstrang erzählt also die Geschichte der Jagd auf Godwin. Wer am Ende zu den Gewinnern und Verlierern gehört, bleibt bis zum Schluss offen und macht die Spannung in dieser Geschichte aus.
Von Beginn an habe ich mich immer wieder gefragt, wie Joseph O’Neill die beiden Handlungsstränge zusammenbringen wird, da beide Welten – Büroalltag und Fußball – so herzlich wenig miteinander zu tun haben. Man wundert sich, aber es gelingt ihm ganz hervorragend. Denn irgendwann fließen beide Handlungsstränge ineinander. O’Neill präsentiert dem Leser am Ende eine abenteuerliche Geschichte, die durch ihre sehr kreativen und unvorhersehbaren Wendungen für Verblüffung sorgt. Dabei betört er den Leser mit einem intelligenten Humor, der maßgeblich durch die Darstellung des Protagonisten Mark transportiert wird. Denn Mark ist ein Nerd, dem sein Computer – er nennt ihn Roald – näher ist als andere Menschen, abgesehen von seiner Frau Sushila und dem gemeinsamen Kind.
Der gute Mark ist ein Zyniker, der sich in der Regel von anderen Menschen belästigt fühlt und sich am liebsten selbst genug wäre, ließe man ihn. Ginge es nach ihm, würde er die Welt da draußen aussperren und sich in seinem seelischen „Schneckenhaus“ verkriechen. Schnell gewinnt man den Eindruck, dass Mark durch seine Isolation den ganz normalen Dingen im Alltag nicht gewachsen ist. Seine Frau Sushila sorgt mit ehefräulicher Raffinesse dafür, dass ihr Mann am Leben teilnimmt.
Ein Protagonist wie Mark ist ein Garant für komische Momente in diesem Roman, da er nicht nur mit dem Leben konfrontiert wird, sondern sich auch noch auf das Abenteuer Fußball einlässt.
Natürlich spielt Fußball eine besondere Rolle in diesem Roman. Während O’Neill also die Geschichte von der Suche nach Godwin erzählt, flicht er immer wieder Informationen, Anekdötchen und Wissenswertes rund um den Fußball und das Fußballgeschäft ein. Dadurch beleuchtet er sämtliche Facetten dieses Sports, der sowohl Wirtschaftszweig als auch Philosophie zugleich ist. In Summe beschreibt O’Neill damit die Faszination, die Fußball ausübt, doch begründen kann auch er das Phänomen „Fußball“ nicht, was der Qualität dieses Romans jedoch keinen Abbruch tut. Denn an einem Erklärungsversuch haben sich schon andere vor ihm die Zähne ausgebissen.
Fazit:
Ein Roman über die Welt des Fußballs, ein Roman über den Büroalltag, eine Handlung, die durch die halbe Welt führt, Protagonisten, die aus ihrer Komfortzone ausbrechen – alles in allem ein sehr vielschichtiger Roman, der durch seine kreativen Handlungsverlauf und seinen intelligenten Humor besticht. Großes Erzählkino!
©Renie
"Godwin" ist der neueste Roman aus der Feder O'Neills. Ich erwartete einen Fußballroman, doch bekam weit mehr als das. O'Neill bringt eine Vielzahl thematischer Aspekte ins Feld: Genossenschaft, Globalisierung, Kolonialisierung, Talentsuche und alles letztlich verbunden durch das Streben nach Macht und Gewinnmaximierung.
Im Roman gibt es zwei Erzählstränge: einen aus Marks, einen aus Lakeshas Sicht. In den Erzählungen rund um Lakesha steht das Funktionieren einer Genossenschaft im Vordergrund. Auch Mark arbeitet dort als analytischer Berater, Lakesha hingegen ist mit der Leitung beauftragt. Leitidee der Genossenschaft ist, dass alle für ein gemeinsames Ziel eintreten und individuelle Interessen zurückstellen. Das funktioniert allerdings nur, solange Annie nicht kündigt. Ihre Kündigung bringt alles ins Wanken.
Dieser Erzählstrang wird abgewechselt von der Suche nach Godwin, einem afrikanischen Fußballtalent. Marks Bruder George ist Talentsout und durch ein Video auf den Jungen als (vermeintliche) Goldgrube aufmerksam geworden. Er spannt Mark für seine Interessen ein, der später jedoch ohne George weiter nach dem Jungen sucht und in Benin letztlich fündig wird. Doch auch Andere versuchen aus dem Ganzen ihren Profit zu schlagen. Macht und Profitgier scheinen die zentralen Motive des Romans zu sein.
Kolonialismuskritik nimmt ebenfalls einen großen Stellenwert ein. Insbesondere die Figur Lefevres regt hier zum kritischen Nachsinnen ein, ebenso Faye.
Die Themen sind so vielschichtig wie interessant. Dennoch tat ich mich schwer, mich auf den Roman zu konzentrieren. Ich las interessiert und lernte Einiges dazu. Ein Lesesog blieb jedoch aus und ich musste mich phasensweise zum Weiterlesen sehr zwingen. Vermutlich liegt dies aber nicht an O 'Neills Erzählkunst, so dass ich zukünftig sicher noch den ein oder anderen Versuch mit Werken von O'Neill wagen werde.
Um zu entdecken, worum es im vorliegenden Roman überhaupt geht, muss man schon eine Weile lesen, was aber überhaupt nicht schwerfällt, weil o´Neill sein Metier beherrscht. Er lässt Eins ins Andere greifen, legt Fährten aus, lässt sie liegen, um sie am Ende gekonnt in ein großes Ganzes zu überführen. Der Leser wird bestens unterhalten und stets aufs Neue überrascht – nur eine feste Erwartungshaltung sollte er für diesen Roman nicht mitbringen.
Zwei Erzählstränge lösen sich miteinander ab: M für Mark und L für Lakesha. Mark ist ein verheirateter, grüblerischer Familienvater. Er arbeitet in der genossenschaftlich organisierten und angeblich hierarchielosen P4 Group als analytischer Berater, deren Co-Leitungsbeauftragte Lakesha ist. Die Group funktioniert nach der Ideologie, dass sämtliche Mitglieder ihre individuellen Ziele zugunsten der Group hinten anstellen. Das funktioniert über viele Jahre, bis die renommierte Leiterin Annie kündigt. Nun gerät das offenbar sensible Gerüst ins Wanken: Einzelne, sich benachteiligt fühlende Mitglieder der Group sehen ihre Chance. Sie spinnen eine perfide Intrige, in die Mark ungewollt als Spielball fremder Interessen hineingerät.
Auch im zweiten Handlungsstrang wirkt Mark zunächst ebenfalls recht passiv. Sein Halbbruder Geoff, der sich als Glücksritter, Fußballvermittler und Talentsucher verdingt, bittet ihn um Hilfe. Mark soll kurzfristig nach Europa reisen, um den Aufenthaltsort eines jungen, unglaublich talentierten Fußballspielers zu ermitteln. Geoff besitzt nur eine Videoaufnahme. Dem Spieler, der vermutlich aus Westafrika stammt, hat man den Namen Godwin gegeben, die Erwartungen an ihn sind riesig. Jeder will an ihm partizipieren und mitgewinnen.
Im Verlauf des Romans lernen wir verschiedene, teilweise schräge Figuren kennen. Neben den Kollegen aus der P4 Group sind das Marks berechnende Mutter Faye sowie sein unzuverlässiger Bruder Geoff. Der umtriebige, dem Alkohol zugeneigte Fußballagent Lefebvre hat einige kuriose Auftritte, in denen er gern weit ausholt, um über Gott, die Welt und den Fußball zu schwadronieren. Seine lebhaften Reiseberichte regen den Leser an, über Afrika und die Folgen des ausbeuterischen (Post-) Kolonialismus der privilegierten weißen Welt nachzudenken. Der Autor versteht es, seine Charaktere mit unterschiedlichen Tonlagen auszustatten, die für Unterhaltung und Kurzweil sorgen. Brillant getroffen ist Marks überwiegend zynische, selbstironische Stimme. Man folgt seinen Beobachtungen, Reflektionen und teilweise philosophischen Gedanken sehr gern.
Während einem das Intrigenspiel an Marks Arbeitsplatz vertraut vorkommt, wird man vom Fußballtwist in eine weitgehend unbekannte Welt hineingezogen. Die Suche nach Godwin gestaltet sich kompliziert, verschiedene Reisen müssen unternommen werden, um ihn zu finden. Die sich ergebenden Erkenntnisse über das Fußballbusiness erscheinen wenig schmeichelhaft. Der individuelle Spieler mutiert zur Ware, an die sich Gewinn-, Reputations- und Renditeerwartungen verschiedener Interessenkreise knüpfen. Godwin kommt dabei gar nicht zu Wort, auch er ist ein Spielball „höherer Mächte“. Zahlreiche Schilderungen und Anekdoten aus der Welt des Fußballs unterfüttern bekannte Skandale der letzten Jahre, offensichtlich wird im Fußball auf allen Ebenen korrumpiert, manipuliert und übervorteilt. Der Mensch als Individuum besitzt kaum einen Wert, es geht immer nur ums Geld. (Den Spielerpoker mit einer modernen Form des Sklavenhandels zu vergleichen, führt meines Erachtens allerdings angesichts der enormen Summen, die im Profifußball verdient werden, zu weit.)
Die konkreten Berührungspunkte und Zusammenhänge der beiden Erzählstränge greifen im Verlauf des Romans zunehmend ineinander. Globale Kapitalismuskritik scheint unüberhörbar. Dem Autor gelingt sie jedoch leichtfüßig, ohne Moralkeule oder penetrante Botschaft. Man darf auch andere Lesarten für diesen außergewöhnlichen Roman haben.
Spritzige Dialoge, geschliffene Formulierungen sowie eine originelle Gesamtkonzeption runden das Buch ab, das sich leicht verständlich lesen lässt, ohne ein Leichtgewicht zu sein. Leseempfehlung für alle, die sich gern überraschen lassen. Ein gesteigertes Interesse am Fußball ist indessen nicht notwendig.
Leseempfehlung!
...dann denken wir doch, besonders in diesen Tagen, an Fußball. Wenn dann noch ein junger Fußballgott irgendwo in Afrika seine Künste dem Auge der Videokamera offenbart, spätestens dann hat der Rasenplatz unsere Erwartungen im Griff. Doch zunächst einmal gilt es, diesen Jungen, alle nennen ihn Godwin, zu finden, ihn nach Europa zu schleusen, zu fördern, um mit ihm in das Spiel um die Millionentransfers der Topliga-Vereine einzusteigen. Das zumindest verspricht der Rückentext.
Unbeleckt von diesen komplizierten Geschäften, abseits von Europa und Afrika, arbeitet Mark als technischer Redakteur in einer Genossenschaft in den USA, dessen Co-Leiterin Lakesha gerade die Fäden ihrer Führung aus den Händen zu gleiten drohen. Ihre Geschäftspartnerin verlässt das Unternehmen und Lakesha hat genaue Vortsellungen, mit wem dieser offene Posten neu besetzt werden sollte. Völlig unvorbereitet trifft sie da plötzlich das Intrigenspiel einer Kollegin.
Der mit menschlichen Interaktionen hadernde Mark, hat sich mit einem Kunden angelegt. Zu allem Überfluss kam ihm dann noch der neue Pförtner dumm, so dass ihm Lakesha eine Auszeit angeraten hat, just, als sich sein Halbbruder aus Großbritannien meldet und ihn um Hilfe bittet. Auch Marks Ehefrau Sushila findet, dass Mark eine Reise nach Europa unternehmen sollte.
Marks autistisch anmutende Stärke ist das analytische Denken und so meint er anhand des Videos den Aufenthaltsort Godwins zu erkennen. Sein Bruder Geoff schickt Mark auf eine Irrfahrt durch die Agentenwelt des Fussballs und zieht sich vermeintlich aus dem Geschäft zurück, bis dann doch alles anders kommt als erwartet.
Sowohl Marks, als auch Lakeshas Vergangenheit waren nicht ohne Schwierigkeiten, wie uns der Autor in kleinen Rückblicken erkennen lässt. Trotzdem darf sich ein Nebendarsteller in einem vielseitigen Monolog über die ganz eigenen Bedingungen in Afrika und seinem knallharten Fussballgeschäft auslassen, so dass ich mich als Leser zwischen mehreren Themen hin- und hergerissen fühlte. Mit einem Kunstgriff macht O'Neill dann aber den Sack zu und lässt zumindest die Hälfte der Mannschaft wieder zusammenkommen. Sogar der gesuchte Godwin nimmt Gestalt an.
Der Fokus verschwimmt, vor lauter grünen Halmen erkennt man nicht den Fussballplatz. Doch gibt es viele kleine Storys, die mich abgelenkt und mehr interessiert haben, als die Suche nach dem jungen Talent. Vielleicht ist in dem Buch zusammengekommen, was nicht zusammengehört, aber es war ein durchaus interessanter Mix. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet O'Neill als Berichterstatter aus den Untiefen unserer Gegenwart, was dem Buch näher kommt, als das Bild des ballspielenden, schuhlosen Person of Color auf dem Cover.
Der Roman Godwin von Joseph O’Neill stellt auf seinem Titelbild deutlich das Thema Fußball heraus, und doch startet er ganz anders.
Wir sind in den USA und erleben im ersten Teil eine kreative Bürogenossenschaft, die locker aber durchaus erfolgreich Freiberufler, die technische Texte verfassen, zusammenbringt und sie mit Kunden und Aufträgen versorgt. Einer dieser Freiberufler ist Mark. Und mit ihm gab es gerade einen Konflikt, der in dem auf Wohlfühlatmosphäre setzenden Unternehmen keinen Platz finden soll. Und so wird Mark erstmal für eine längere Zeit in eine Auszeit geschickt, damit sich die Wogen in dem Unternehmen und in den beteiligten Personen wieder glätten können.
Und so erleben wir dann Mark in seiner Auszeit, in der ihn sein Halbbruder kontaktiert, mit dem er sonst nur sehr sporadisch Kontakt hat. Der Bruder, Geoff, bittet ihn um Hilfe, ohne das näher zu erläutern oder mit Inhalt zu füllen. Aber in dieser besonderen Ausnahmesituation für Mark ist das eine Option, die er - wenn auch etwas widerstrebend - zu ziehen bereit ist. Und so reist Mark nach England, trifft dort den chaotischen Bruder, der nicht ganz professionell und durchsichtig als Fußballeragent tätig ist, immer auf der Suche nach jungen Talenten, nach denen die großen Vereine lechzen. Gerade ist dafür der afrikanische Markt besonders reizvoll. Und aus dieser Region hat ihn das Video eines jungen Spielers besonders überzeugt. Ohne dessen Herkunft zu kennen und ohne eine Ahnung, wer darin wo seine Fußballkünste zeigt, will Geoff alles daransetzen, dieses Ausnahmetalent zu finden. Nur ist er gerade absolut verhindert. Also soll Mark ran, der gar nicht daran denkt, sich auf so eine windige Mission zu begeben. Und doch: Da ist der Reiz des Abenteuers, da ist der Reiz eines Jobs, der ihn deutlich mehr fordert als der alltägliche Kram seiner Techniktexte. Und so kann er nicht ganz davon lassen. Und auch wenn alles dagegenspricht, beginnt er eine Recherche, die ihn letztlich auf die Spur des Aufnahmeortes bringt: der hohe Norden von Benin, eine unwirtliche, nur schwer zu erreichende Gegend. Und tatsächlich macht er sich auf den Weg, wird jedoch nach langer Suche von seinem Bruder ausgebremst, der mit der gemeinsamen Mutter dann doch noch nicht von dem Projekt Godwin (so nennen sie das Talent) lassen konnte. Nicht bereit, sich auch noch auf einen familiären Konflikt einzulassen, scheut Mark den Wettbewerb um Godwin mit Geoff und kehrt nach Hause und an seinen Arbeitsplatz zurück.
Dort ist inzwischen durch das Ausscheiden der entscheidenden Führungspersönlichkeit in der Organisation eine Lücke entstanden, die durch eine Reihe von Umstrukturierungen und Umbesetzungen ausgeglichen werden muss. Im Geiste des liberal geführten Unternehmens soll das alles in vollkommenem Einvernehmen aller Beteiligten geschehen. Doch das geht vollkommen daneben, undurchsichtige Intrigen und Machenschaften führen zu einem Chaos im Führungsteam, in dem sich überraschenderweise auch Mark wiederfindet.
Am Ende des Romans sind dann die beiden weitgehend nebeneinanderstehenden Teile der Geschichte miteinander enger verwoben, ohne dass hier über das Ende gespoilert werden soll.
„Godwin“ ist in weiten Teilen mit einer schriftstellerischen Meisterschaft geschrieben. Die wechselnden Handlungsstränge sind durch überzeugende unterschiedliche Erzählerperspektiven voneinander unterschieden: Lakesha, die farbige Co-Geschäftsführerin der Genossenschaft, erzählt aus der Ich-Perspektive in den Teilen, in denen wir sie in die Bürogenossenschaft begleiten, und Mark erzählt aus seiner Perspektive, wenn wir uns in dem Fußballerzählstrang des Romans befinden. Dabei bekommt der Leser einen guten Einblick in die Gefühlswelt der Erzähler und nimmt dabei auch noch sehr gut die Stimmung in den Büros der Genossenschaft und auf Marks Europa-Afrika-Reise auf. Angereichert ist der Roman dann auch noch mit vielen kleinen Fußballstories aus der Geschichte realer populärer Spieler und Vereine. Deutlich schwächer fällt der Roman aber dann aus, als er in der zweiten Hälfte ausgiebig den windigen Fußballagenten Lefevre erzählen lässt. Hier blitzt nicht mehr schriftstellerisches Können auf, hier tritt auf vielen Seiten schon mal Langeweile auf.
Und doch bleibt das Fazit eines sehr lesenswerten, überraschenden Romans, der viele interessante Situationen gestaltet und Einblicke gibt in ungemein unterschiedliche Bereiche der Geschäftswelt.
„Godwin“ ist nicht nur für den Fußballmarkt ein „Gewinn Gottes“ sondern war auch für mich als Leser ein echter GEWINN mit 4-5 Sternen.
Zwei ungleiche Romanfiguren teilen sich in "Godwin" von Joseph O’Neill die Erzählerrolle, keine davon ist das titelgebende afrikanische Fußballtalent, das nicht Subjekt, sondern nur Objekt des Buches ist. Insgesamt dreimal kommt Lakesha Williams zu Wort, die es als schwarze Frau aus prekären Verhältnissen in Milwaukee mittels Studium zur Gründerin und Co-Leiterin einer Genossenschaft für freiberuflich tätige technische Redakteure in Pittsburgh gebracht hat. Ihr Problemfall im Einstiegskapitel ist ein langjähriges Mitglied mit neu aufgetretenen Verhaltensauffälligkeiten, Mark Wolfe, um die 40 und Ich-Erzähler der dazwischenliegenden beiden Abschnitte. Trotz seiner Beteuerungen über seine glückliche Ehe und Vaterschaft zeigt er depressive Züge, die neuerdings gelegentlich in Aggression umschlagen. Eine wissenschaftliche Karriere hat er verpasst und schreibt stattdessen als technischer Redakteur Förderanträge und Texte für medizinisch-pharmazeutische Unternehmen. Insgeheim ist er der Überzeugung, dass er damit sein Potential nicht ausschöpft und mehr Erfolg verdient hätte.
Brüder in Schwierigkeiten
Während einer unfreiwilligen Auszeit erreicht ihn ein Anruf seines jüngeren Halbbruders Geoffrey aus London, eines windigen Möchtegern-Fußballagenten, der dringend Marks Hilfe einfordert. Ermutigt von seiner Frau Sushila lässt Mark sich zunächst widerwillig auf diese Reise ins Ungewisse ein:
"Dann mache ich mich auf meine Reise über den Atlantik. Schließlich und endlich ist mir der Gedanke gekommen, dass der Bruder in Schwierigkeiten vielleicht gar nicht Geoff ist." (S. 48)
In London angekommen, findet Mark sich in einer ihm fremden Welt wieder, in der es um viel Geld, Ruhm, Macht und das Austricksen undurchsichtiger Konkurrenten geht. Dabei hat Geoffrey zunächst nicht mehr als das Video eines afrikanischen Fußball-Wunderkinds, das sich irgendwo auf diesem Kontinent befindet. Die Herausforderung weckt Marks Lebensgeister:
"Meine Zeit ist gekommen. Mir ist Gerechtigkeit widerfahren." (S. 157)
"Die Zeiten, in denen ich herumgeschubst worden bin, sind vorbei." (S. 164)
Ein Themenpotpourri
Joseph O’Neill, 1964 als Kind einer türkisch-irischen Verbindung in Cork geboren, in den Niederlanden aufgewachsen, lebt heute nach Stationen in Cambridge und London in New York. 2009 erzielte er mit seinem preisgekrönten Roman "Niederland" seinen bisher größten internationalen Erfolg. Er engagiert sich für die Demokraten und gegen die Wiederwahl von Donald Trump als Präsident, dessen erste Wahl in "Godwin" kurz bevorstand. Der Roman kombiniert auf intelligente Weise die Jagd nach einem westafrikanischen Fußballgenie mit den Spannungen in einer US-amerikanischen Bürogenossenschaft und greift dazu das Thema Familie in all ihren Facetten auf: biologische Familie, Adoption, glückliche, toxische, zerbrochene und wiedergefundene Familienbande. Daneben gibt es jede Menge Anekdoten zu berühmten Fußballern, Trainern und Spielen, detailliert porträtierte Nebenfiguren, Überlegungen zu Gesellschaft und Politik, Globalisierung, modernem Kolonialismus und vielem mehr, leider teilweise in Monologform. Beim gut 100 Seiten währenden Erzählmarathon eines alten französischen Fußballagenten mit oft ebenso antiquierten Ansichten über Afrika, Frauen, Rassen und postkoloniales Erbe dämmerte nicht nur Sushila gähnend weg, sondern vorübergehend fast auch ich.
Überraschende Wendungen
Davon abgesehen hat mich der Roman in großen Teilen gut unterhalten und viele Denkanstöße geliefert. Als Nicht-Mehr-Fußballfan fand ich die Intrigen um Macht, Ruhm und Geld in der kleinen Welt der Bürogenossenschaft sogar noch spannender als die im großen, absurd anmutenden Fußballgeschäft. Mit seinen zwar völlig unerwarteten, jedoch keineswegs unmöglichen Wendungen im letzten Abschnitt wird mir der Roman nachhaltig im Gedächtnis bleiben.
Mark Wolfe ist unzufrieden. Sein Job als technischer Redakteur erfüllt ihn nicht, die Boshaftigkeit der Welt plagt ihn. Als sein Halbbruder Geoff in England seine Hilfe benötigt, verlässt er erstmals die USA. Geoff arbeitet als Berater im Fußballbusiness und hat offenbar einen ganz dicken Fisch an der Angel. "Godwin" lautet der Vorname des afrikanischen Talents, dessen Videoaufnahmen an einen neuen Messi erinnern. Das Problem ist: Niemand weiß, wo genau dieser Godwin zu finden ist. Als Geoff verletzungsbedingt ausfällt, ist es an Mark, sich auf die anscheinend aussichtslose Suche zu machen...
"Godwin" ist der neue Roman des gebürtigen Iren Joseph O'Neill, der in der deutschen Übersetzung von Nikolaus Stingl bei Rowohlt erschienen ist. Es ist ein Roman, der mit den Konventionen bricht und über weite Strecken vieles richtig macht. Schade nur, dass das Niveau in der zweiten Hälfte verflacht und das Finale in seiner Überkonstruktion und seinem Zynismus gar ein echtes Ärgernis ist.
In "Godwin" gibt es zwei Erzählstimmen. Neben Mark ist es dessen Vorgesetzte Lakesha Williams, eine glatte Businessfrau, die Mark durch dessen Beurlaubung überhaupt erst ermöglicht, die Suche nach dem Fußballtalent zu beginnen. Joseph O'Neill gelingt es ganz hervorragend, diese beiden Erzählstimmen auch komplett unterschiedlich klingen zu lassen. Die einzige Gemeinsamkeit ist der auffällige Einsatz der indirekten Rede, wenn sie ihre diversen Gesprächspartner:innen zitieren. Ansonsten erzählt Lakesha so, wie sie arbeitet: schnörkellos, effizient, ein wenig unnahbar. Mark Wolfe ist das genaue Gegenteil. Er ist ein Grübler, ein Haderer, der mit sich und der Welt nicht im Reinen ist. Immer wieder scheint in seinen Ausführungen der studierte Biologe durch. O'Neill begegnet diesen zwei Stimmen mit feinem Humor und Überspitzungen, die "Godwin" gerade zu Beginn zu einer unterhaltsamen und klugen Lektüre machen, auch wenn ihm einige Passagen dabei zu geschwätzig geraten.
Insbesondere die Teile, die von Mark erzählt werden, sind in der ersten Hälfte große Kunst. In den tragikomischen Ausführungen und dem absurden Humor erinnern sie in den besten Momenten gar an Knut Hamsuns "Hunger". Außerdem streut O'Neill immer wieder philosophische Ausführungen ein, denen man sich als Leser:in mit Genuss hingibt. Ein weiterer Pluspunkt sind die immer wieder mit viel Charme und Liebe eingestreuten Anekdoten aus der Fußballwelt. Ob Ernst Happel, Eusébio oder Youri Djorkaeff - O'Neill hat wunderbar recherchiert und schafft es, diese kleinen Schnipsel in die Handlung rund um "Godwin" einzustreuen, ohne dass dies bemüht wirkt.
Verantwortlich für diese Fußballgeschichten zeichnet übrigens Jean-Luc Lefebvre, ein französischer Talentscout, der zugleich die präsenteste Nebenfigur des Romans ist. Und dieser Lefebvre ist kurioserweise gleichermaßen in nicht geringem Maß dafür verantwortlich, dass sich die erste Hälfte eben so gut und unterhaltsam liest, die zweite aber zu einem Reinfall wird.
Denn in einer nahezu unerträglich langen Szene lässt O'Neilll Lefebvre Mark Wolfe und seine Frau Sushila in den USA besuchen. Auf sage und schreibe mehr als 100 Seiten erzählt Lefebvre von dessen Erlebnissen in Afrika und seiner Suche nach Godwin - und damit etwa ein Viertel des gesamten Buches. Unterbrochen wird dieser mit der Zeit unglaublich langweilige Monolog durch wenige Einschübe von Mark und Sushila oder von ein paar Streicheleinheiten für Marks Hund. Der Autor und Dramaturg Roland Schimmelpfennig, selbsternannter Kämpfer gegen die literarische Geschwätzigkeit, hätte seine helle Freude am Zusammenstreichen dieser Szene. Lefebvre lässt sich über afrikanische Mythen und Vorurteile aus und kommt dabei vom Hölzchen aufs Stöckchen.
Eine Schwäche, über die man noch hinwegsehen könnte, wenn da nicht auch noch das vermaledeite Ende des Buches wäre. Im letzten Abschnitt kommt wieder Lakesha zu Wort. O'Neill macht daraus eine Wundertüte. Ohne zu viel verraten zu wollen, bricht das Finale nicht nur mit inhaltlichen und erzählerischen Konventionen, sondern präsentiert der mittlerweile ermatteten Leserschaft eine Überraschung nach der anderen. Kann man machen, wäre das nicht alles so furchtbar überkonstruiert, unglaubwürdig und zynisch. O'Neill begeht darin den Fehler, selbst mit der Figur Godwin zu spielen - dabei ist es noch die kleinste zynische Anekdote, dass der Namensgeber des Buches nicht ein einziges Mal während der knapp 430 Seiten wirklich zu Wort kommt. Sprich: Die vordergründige Kritik des Romans am Fußball-Business und an der Globalisierung hintergeht der Autor selbst mit diesem vor Zynismus nur so triefenden Finale. Ein echtes Eigentor in der Nachspielzeit!So hinterlässt "Godwin" trotz der lesenswerten ersten 250 Seiten einen schalen Beigeschmack und ein Gefühl der Ernüchterung.
Pünktlich zur EM 2024 wurde der neue Roman von Joseph O´Neill veröffentlicht. Es geht um die Jagd nach einem afrikanischen Ausnahmetalent, einem neuen Lionel Messi. Zwei Erzähler hat die Geschichte: Mark, technischer Redakteur in einem Redaktionskollektiv, genannt die Group, und Lakesha, Gründerin und Managerin der Group. Nebenfiguren sind Geoff, Marks hinterhältiger Bruder, Jean-Luc Lefebvre, ein mit allen Wassern gewaschener Talentscout, Marks intrigante Mutter Faye und seine Frau Sushila.
Der Roman beginnt mit Lakesha aus der personalen Perspektive und man fragt sich irritiert, wie dieses Business-Biotop mit Fußball zusammengehen soll. Die Antwort darauf lautet: Gar nicht. Fast schon ein bisschen boshaft malt uns der Autor aus Marks Perspektive einige Kapitel später aus, wie der Roman hätte sein können:
„Wir werden ein absolut schräges Paar […] abgeben – der gerissene, griesgrämige alte Franzmann und der Yankee-Frischling. Ich kann mir ohne Weiteres ausmalen, wie wir uns im Flugzeug nach Cotonou um den Fensterplatz kabbeln, in einer Hotelbar über Landkarten brüten, ich mit ihm auf dem Beifahrersitz einen Jeep durch den Busch lenke, das Ganze unterfüttert mit einer komisch kumpelhaften Stimmung.“
Tatsächlich hatte ich mich schon darauf gefreut, dem Supertalent zu begegnen und seine Perspektive kennenzulernen. Aber O´Neill unterläuft alle Erwartungen - „Godwin“ ist weder Entwicklungs- noch Abenteuerroman. Die Jagd findet statt, aber wir sind nicht dabei. Stattdessen beobachtet O´Neill die Jäger, ihre Gier und ihren moralischen Selbstbetrug. Wir erfahren von den Ereignissen aus zweiter Hand, in einer über 100 Seiten langen Suada von Lefebvre, die uns wiederum von einem genervten Mark berichtet wird. Aber auch jetzt geht es nicht um Godwin - Lefebvre philosophiert über Macht, Geld und Korruption, die Ausbeutung der Spieler, die absurden Geldsummen, den westafrikanischen Staat Benin. Durchaus interessante Themen, aber zu breit ausgewalzt – bis zu einer elektrisierenden Wendung.
O´Neill persifliert durch Marks Wahrnehmung die Selbstbespiegelungen (amerikanischer) Linksliberaler, die das Gegenteil von Lefebvres Pragmatismus darstellen. „Schlau sein – was wir mit kenntnisreich verwechselten – hieß nicht so sehr, etwas so zu sehen, wie es war, sondern eher, den Akt des eigenen Sehens kritisch zu betrachten […]“. Mark ist davon überzeugt, dass einzig er kraft überlegener Moral Godwin vor den Haien des Fußballbusiness retten kann. Sich seiner Illusion immerhin ironisch bewusst, phantasiert er, „…dass ich eines Tages aus der Verborgenheit heraustreten und meine Verachtung für Reichtümer und Anerkennung sich bezahlt machen würde – natürlich in Form von Anerkennung und Reichtümern.“
O´Neill zeigt, dass die „Rettung“ Godwins tatsächlich eine moderne Manifestation westlicher Ausbeutung ist. Der Kolonialismus ist zwar offiziell beendet, aber die Gier der Weißen richtet sich nun auf eine andere Art von Schatz als Sklaven, Diamanten oder Gold. Sie will Afrika seine Talente entreißen – die linksliberal-humanistischen Parolen sind bloße Fassade, die Jagd auf afrikanische Wunderkinder lediglich eine Ausformung des Neo-Kolonialismus.
Das sehr konstruierte und vollkommen unwahrscheinliche Ende des Romans macht klar, dass alle Charaktere (einschließlich Godwin) für O´Neill lediglich als Platzhalter für bestimmte Milieus und Denkweisen dienen. Übermäßige Sentimentalität im Umgang mit seinem Personal kann man O´Neill wirklich nicht vorwerfen.
Wie also ist diese Mogelpackung von Fußballroman einzuordnen - vor allem, wenn ich als Vergleich Tonio Schachingers „Nicht wie ihr“ heranziehe? O´Neill ist zweifellos ein gnadenlos scharfer Beobachter unserer globalen Gegenwart. Sein Zynismus wirkt zeitweilig verstörend, kann aber die gedankliche und sprachliche Brillanz seiner Analysen nicht mindern.
Fazit: Fußballfans dürfte „Godwin“ wohl eher enttäuschen, ist aber – trotz Durchhänger - als smarte Kritik der westlichen Hybris durchaus mit Genuss zu lesen. Die Ironie darin: Vor allem linksliberale Leser:innen werden sich dafür interessieren.
Joseph O'Neill wurde 1964 als Sohn eines irischen Vaters und einer türkischen Mutter in Cork, Irland, geboren und wuchs in den Niederlanden auf. Er studierte Jura an der Universität Cambridge und arbeitete als Anwalt in London. 1998 zog er nach New York. Dort lebt er heute mit seiner Familie. Sein Roman „Netherland“, der 2008 veröffentlicht wurde, wurde 2009 mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet.
Sein nächster Roman „Der Hund“ wurde für den Man Booker Prize 2015 nominiert.
In seinem herausragenden Bestseller „Netherland“ betrachtet er den Sport Cricket als ästhetisches und politisches Ideal, während er nun in „Godwin“ über Fußball schreibt.
Der Hauptplot der Geschichte ist rasch erzählt, aber Joseph O'Neill erweitert ihn um eine tiefgründige und umfassende Analyse unserer Zeit. Er setzt Fußball als Metapher eines Milliardengeschäfts rund um den Globus ein.
Zunächst stellt der Autor O`Neill uns seine Akteure vor.
Der Roman beginnt mit dem Kapitel „L“, in dem die Icherzählerin Lakesha Williams vorgestellt wird. Zusammen mit Annie leitet sie die P4-Group, eine Genossenschaft technischer Redakteure in Pittsburgh. Die P4-Group ist als Genossenschaft organisiert, wodurch alle Mitglieder ein Mitspracherecht haben und monatliche sowie jährliche Beiträge zahlen. Der Beruf des technischen Redakteurs wird als anspruchsvoll beschrieben, was zu hoher Fluktuation führt. Die P4-Group wurde von vier Frauen gegründet, von denen zwei die Leitung innehaben. Ein Problem der Group ist der „Männermangel“, was ihnen peinlich ist, da sie nicht als Feministinnen gelten wollen. Lakesha beschreibt das Großraumbüro als Teil eines „Arbeiterparadieses“ mit modernen Arbeitsplätzen und gemeinschaftlicher Reinigung, an der auch die Chefs teilnehmen.
Mark Wolfe wird als seltsam, aber auch charismatisch beschrieben, obwohl ein Kunde ihn als außerordentlich unhöflich und wenig hilfsbereit empfindet. Wolfe selbst ist davon überzeugt, dass der Kunde "dumme und respektlose Forderungen" stellt (vgl. S. 15). Er durchläuft eine Phase emotionaler Instabilität und mangelhafter Selbsterkenntnis, was von der Gruppe wahrgenommen wird. (vgl. S. 17)
Im zweiten Kapitel „M“ tritt Mark Wolfe als Icherzähler auf. Ein prägendes Erlebnis im Winter, bei dem er eine Frau durch eine Schaufensterscheibe beobachtete, wie sie ein Eis aß, führte ihn zu einer Reflexion über sein eigenes Spiegelbild im Schaufenster. Er sieht einen verwahrlost aussehenden Mann mittleren Alters, dessen Empfinden gestört ist, als er eine ältere Frau beim Eisessen beobachtet. (vgl. S. 27)
Geoff, Marks Halbbruder, ruft ihn an und bittet ihn nach England zu kommen, da er dort ein "interessantes Geschäft" sieht. Trotz anfänglicher Bedenken überredet Marks Frau ihn schließlich, der Bitte nachzukommen, da er seinen Bruder schon lange nicht mehr gesehen hat. Geoff besitzt ein Video von einem bemerkenswert talentierten jungen Fußballspieler, den Mark dabei helfen soll, zu finden. Unterstützt wird er dabei von einem Franzosen namens Lefebvre.
Die Suche nach Godwin beginnt.
Joseph O'Neill untersucht in seinem Roman "Godwin" die Komplexität der Globalisierung und des modernen Fußballs als kulturelles Phänomen. Er nutzt den Sport geschickt als Rahmen, um tiefgreifende Themen wie Globalisierung, Kapitalismus und die Suche nach Talenten aus verschiedenen Teilen der Welt zu erforschen. Durch sorgfältig entwickelte Charaktere und ihre miteinander verwobenen Geschichten entsteht eine Erzählung von großer Vielschichtigkeit und Tiefe. Zentral steht dabei die Figur des Godwin, die als Metapher für ein unentdecktes, großes Talent fungiert und dem Roman eine mystische Dimension verleiht. Besonders hervorzuheben ist O'Neills Betonung auf Afrika als bedeutende Quelle für unentdeckte Fußballtalente, was sowohl ökonomische Chancen als auch kulturelle Herausforderungen beleuchtet. Der Roman bietet durch Geschichten innerhalb von Geschichten verschiedene Perspektiven und behandelt Themen von persönlichen Träumen bis hin zu globalen Ambitionen. Insgesamt reflektiert der Roman "Godwin" über Identität, Werte und die Suche nach Erfolg in einer zunehmend vernetzten Welt im Zeitalter der Globalisierung. Fußball dient hier nicht bloß als Thema an sich, sondern vielmehr als Metapher für tiefgreifende gesellschaftliche und kultureller Fragen, die O'Neill anspricht, darunter Kolonialismus, Sklaverei, Vertreibung, Migration sowie die Geschichte und die zukünftigen Perspektiven Afrikas.
Der Schreibstil ist zwar sachlich, doch die Fabulierlust ist deutlich zu spüren. Humor und satirische Einblicke kommen dabei nicht zu kurz.
Fazit
Die Erzählung „Godwin“ nimmt unerwartete und faszinierende Wendungen, aber was mich wirklich überrascht hat, war die parallele Geschichte von Lakesha, der Gründerin einer Schreibkooperative. Lakesha ist wohlmeinend und strebt danach, fair und ehrlich zu handeln, obwohl sie manchmal ausgenutzt wird. Ihre Geschichte und die von Wolfe überschneiden sich nur gelegentlich. Anfangs war ich darüber verwirrt, aber ich las weiter, um zu sehen, wie O'Neill diese beiden Handlungsstränge miteinander verweben würde. Meiner Meinung nach gelingt es ihm ziemlich erfolgreich, die verschiedenen Erzählungen zu verbinden und eine stimmige Gesamterzählung zu formen.
Das Ende ist überraschend.
Im Fußball gab es das „Sommermärchen“ im Jahr 2006. Jetzt wiederholt es sich 2024, wenn auch in etwas anderer Form.
Kurzmeinung: Intelligente Unterhaltung - man sollte sich freilich für Sport und sein Drumherum interessieren.
Der Autor, Joseph O’Neill, schrieb bereits diverse Romane, darunter „Niederland“, das 2009 mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet wurde. Er widmet sich zeitgenössischen Themen. Mit „Godwin“ bereist der Leser den Benin, einen weitgehend weißen Flecken auf der inneren Landkarte der meisten Europäer. Hier, irgendwo im Nirgendwo – aus Sicht der Fußballscouts – befindet sich ein Fußballwunderkind, mit dem man Geld machen könnte.
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Fußball ist ein Geschäft. Und zwar eines, in dem man unter Umständen mit harten Bandagen gegeneinander kämpft. Diesen Umstand bringt O’Neill dem Leser nahe. Diverse Fußballscouts konkurrieren miteinander um das kostbare „Spielermaterial“.
Die Helden des Romans „Godwin“ sind allesamt Antihelden, allen voran, Mark Wolfe, ein Mann mit prekärem familiärem Hintergrund, der eigentlich in London als technischer Redakteur ein Auskommen hat, aber von seinem Bruder in das windige Fußballgeschäft hineingezogen wird. Auch Lakesha Williams ist eine Antiheldin, obwohl es zunächst nicht den Anschein hat. Sie leitet eine Agentur für technische Redakteure, vermittelt ihnen Jobs und vermietet ihnen Büros. Lakesha Williams kümmert sich gegen eine Gebühr um den ganzen bürokratischen Schnickschnack samt Internetauftritt, so dass die Redakteure sich ganz auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. Auch Mark Wolfe gehört ihrer Klientel an.
Dieser Agentur-Handlungstrang, mit dem der Roman tatsächlich beginnt und keineswegs mit dem Thema Fußball losprescht, erweist sich als unerwartet interessant und spannend. Im weiteren Verlauf wird man auch im Büroalltag und nicht nur im Fußballgeschäft mit dem konfrontiert, was der nachdenkliche und oft zynische Redakteur Wolfe „die Finsternis der Dummheit“ nennt. Wolfe hat theoretisch eine pessimistisch-reale Sicht auf die Welt, erliegt aber im praktischen Handeln dennoch manchmal der unrationalen Sehnsucht nach einer heilen Welt. Er ist eine gebrochene, sehr reizvolle Figuer, die in einen charmanten Gegensatz zu der pragmatischen Figur der Fimenleiterin gesetzt ist, beide interagieren notgedrungen miteinander, weil "das Schicksal" in Form von Joseph O'Neill es so will und er die Gegebenheiten entsprechend arrangiert. Diese beiden Figuren bestimmen weitgehend den Charakter des Romans.
Insgesamt besticht der Roman insbesondere durch seine Sidekicks und seine losen Zusammenhänge, da kommt Vieles aufs Tapet, die Sicht arroganter Europäer auf Afrika, die Geldgier im Fußballgeschäft, die „Finsternis der Dummheit“, soll heißen, nicht Argumente gewinnen einen Konflikt und sind sie noch so wahr, sondern irrationaler Populismus und die dazugehörigen ungezügelten Emotionen. Da kann man nur die Waffen davor strecken, oder?
Sehr launig führt der Autor durch seinen Roman; philosophische Kurzreflexionen, die es immer wieder auf den Punkt bringen, Fussballeranekdoten und Legenden, unerwartete Wendungen und erzählerisches Geschick kommen hier zusammen.
Fazit: „Godwin“ hat mich sowohl oft überrascht wie auch sehr gut unterhalten.
Kategorie: Sehr gute Unterhaltung
Verlag Rowohlt, 2024
Cover:
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Das Titelbild gefiel uns sehr gut, weil sowohl Junge als auch Mädchen im gemeinsamen Fußballspiel abgebildet sind. Das zeigt, dass Fußball eine Sportart für beide Geschlechter ist. Sehr ansprechend.
Inhalt:
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Das Buch macht einen breiten Rundumschlag um das Thema Fußball und ist eingeteilt in 4 Abschnitte, die im Inhaltsverzeichnis in unterschiedlichen Farben voneinander unterschieden sind. Angefangen mit ersten Regeln des Fußballs, Erklärung des Spielfelds und der Entstehungsgeschichte dieses Spiels, geht es weiter mit den Voraussetzungen, die zu erfüllen sind, um zum "Superkicker" zu werden. Die folgenden Abschnitte befassen sich mit der Welt des Profifußballs und erläutern, warum Profis so erfolgreich sind und welche verschiedenen Fußballwettbewerbe es gibt.
Zwischen den Kapiteln sind zur Festigung der gelesenen Informationen jeweils kleine Rätsel eingefügt.
Am Ende wird das Buch abgerundet durch die Quiz-Lösungen sowie einem Leselotto zum Ausschneiden.
Mein Eindruck:
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Wir sind generell schon Fans dieser Reihe und da meine Tochter (8J.) sich auch für Fußball interessiert und noch einige Fragen hierzu hatte, waren wir sehr gespannt auf das Buch. Die Texte sind vom Vokabular und der Länge für Erstleser angemessen, die Informationen werden altersgerecht erklärt. Dazu veranschaulichen Illustrationen das Erklärte passend. Gut fanden wir auch, dass es nicht ein großes Quiz am Ende gab, sondern nach jedem Abschnitt eins erfolgte. Auch die Sticker und das Leselotto sind sehr motivierend.
Soweit hat uns das Buch gut gefallen. Allerdings fehlten uns Erklärungen zu zwei wesentlichen Themen, so dass ich leider einen Punkt abziehen muss. So kam das Thema "Abseits" überhaupt nicht im Rahmen der Fußballregeln vor. Sicher ist dies ein komplexes Thema, aber ein wesentlicher Bestandteil. Daher hätte ich eine Erwähnung und rudimentäre Erklärung, was darunter zu verstehen ist, wünschenswert gefunden. Bei den Wettbewerben wird zwar kurz auf andere Länder verwiesen, aber auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Ligen in Deutschland wird gar nicht eingegangen.
Des Weiteren finden wir es immer schade, in ein Buch zu schreiben oder es zu zerschneiden. Daher möchte ich an dieser Stelle anregen, alternativ einen QR-Code abzubilden, mit dessen Hilfe man sich die Quiz-Seiten und das Lotto separat aus dem Internet laden und selbst ausdrucken kann. So bliebe das Buch unbeschadet und man könnte das Buch auch mit mehreren Kindern verwenden.
Fazit:
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Lehrreiches Buch über Fußball - motivierend für Erstleser gestaltet
Der ehemalige Fußballtorwart der Nationalmannschaft Rune Katt wurde erschossen und ganz Schweden ist erschüttert. Hauptkommissar Casper Munk übernimmt diesen Fall und stellt bald fest, dass Rune Seiten hatte, die nicht öffentlich waren. Im hat es offensichtlich Freude bereitet, andere zu demütigen und zu quälen. Die Kugel, die gefunden wurde, war bemalt. Was hat das zu bedeuten? Hat es damit zu tun, dass ihn sein Trainer als homosexuell geoutet hat? Oder hat es etwas mit den Sámi zu tun, zu denen die Ex-Freundin von Rune gehört? Munk hat einen Plan, um den Täter zu fassen, doch der ist riskant und lebensgefährlich.
Ich kenne Casper Munk bereits aus dem Vorgängerband „Opfer ohne Blut“. Dieser Roman spielt auf zwei Zeitebenen und lässt sich angenehm und flüssig lesen.
Die Charaktere sind individuell und gut ausgearbeitet. Casper Munk ist ein interessanter und sympathischer Kommissar, der gerade erst befördert wurde. Auch sein Team gefällt mir gut. Als Fan von Rune Katt muss Munk feststellen, dass er sich in dem Ex-Torwart sehr getäuscht hat, denn der ist nicht der nette Mensch, für den ihn alle gehalten haben. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen, doch dann gerät die Ermittlung ins Stocken, so dass Munk einen gewagten Plan durchzieht, um den Täter aus der Reserve zu locken. Es wird sehr gefährlich – lebensgefährlich.
Es gibt nicht nur Informationen über Fußball, sondern auch über die politischen Verhältnisse sowie über das Land und die Menschen dort.
Die Spannung ist durchgängig da und das Ende schlüssig.
Ein spannender und unterhaltsamer Skandinavien-Krimi.
Alles ganz einfach. Ganz offensichtlich. Eine Frau beschuldigt einen Mann der Vergewaltigung, er streitet den Vorwurf ab. Einer lügt, einer sagt die Wahrheit. Kein Raum für Grauzonen.
Gar nicht einfach. Kein bisschen offensichtlich. Es war (viel) Alkohol im Spiel, beide hatten zu einem früheren Zeitpunkt einvernehmlichen Sex. Und keiner von beiden lügt.
Bettina Wilpert nähert sich der Problematik feinfühlig, ohne dem Leser ein Urteil aufzuzwingen.
Das Buch gibt Annas Perspektive genauso viel Raum wie Jonas’ Perspektive. Ihre Stimme wertfrei zuzulassen, schmälert nicht seine Wahrnehmung des Geschehens, und umgekehrt. Zwei Wahrheiten mit nur wenig Überschneidung, und dennoch sind beide Wahrheiten subjektiv gesehen valide und unumstößlich.
Auch im Zeitalter von #metoo ist das Thema nicht weniger schwierig.
Vergewaltigung als schwarz-weißes Narrativ funktioniert hier nicht, würde weder Anna noch Jonas gerecht werden. Beide werden großartig charakterisiert, komplex und glaubhaft, und entziehen sich daher jeglicher Simplifizierung.
Nachdem Anna Jonas anzeigt, bekommt das Geschehen eine Eigendynamik, die beide schädigt und traumatisiert. Anna muss jedoch mit einer mehrfachen Belastung leben – sie wurde vergewaltigt, auch wenn Jonas das ehrlich nicht so empfindet, und muss sich dafür immer wieder rechtfertigen. Victim Shaming, wie es im echten Leben leider dauernd passiert.
Denn das Urteil fällen die anderen.
Es gibt die Verurteiler, die Jonas in die Rolle des Monsters drängen oder Anna in die Rolle der hinterhältigen Fehl-Anschuldigerin. Es gibt die Unterstützer, die ihre Unterstützung geradezu aggressiv aufdrängen. Das Umfeld ergreift Partei, ohne darum gebeten worden zu sein.
Der Schreibstil passt perfekt zur Geschichte: er ist subtil, unaufgeregt, eher schlicht und schnörkellos, und dennoch kann man die Emotionen der Charaktere gut nachvollziehen. Ein namenloser Erzähler tauscht sich in Gesprächen mit den direkt oder indirekt beteiligten Personen aus. Es gibt viele Blickwinkel, viele Stimmen, die hadern, zweifeln, nach einem Sinn suchen – und das Geschehene doch oft nur zur Unterstreichung der eigenen Meinung instrumentalisieren.
FAZIT
Bettina Wilpert schildert in ihrem Roman die Geschichte einer Vergewaltigung, bei der sich der Täter keiner Schuld bewusst ist. Aber macht das für das Opfer und sein erlittenes Trauma einen Unterschied? Als Anna Jonas bei der Polizei anzeigt, beginnt für beide ein Spießrutenlauf.
Im Zeitalter von #metoo verändert sich nach und nach das öffentliche Bewusstsein, was das Thema Vergewaltigung und die damit einhergehenden Problematiken angeht. Dennoch ist dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen, und deswegen sind Bücher wie dieses immer noch wichtig.
Dabei verzichtet die Autorin auf plumpe Schwarzweißmalerei. Komplexe Konzepte wie Schuld oder Unschuld, Wahrheit oder Lüge bleiben manchmal fließend, und dennoch wird nichts verharmlost.
Alles ganz einfach. Ganz offensichtlich. Eine Frau beschuldigt einen Mann der Vergewaltigung, er streitet den Vorwurf ab. Einer lügt, einer sagt die Wahrheit. Kein Raum für Grauzonen.
Gar nicht einfach. Kein bisschen offensichtlich. Es war (viel) Alkohol im Spiel, beide hatten zu einem früheren Zeitpunkt einvernehmlichen Sex. Und keiner von beiden lügt.
Bettina Wilpert nähert sich der Problematik feinfühlig, ohne dem Leser ein Urteil aufzuzwingen.
Das Buch gibt Annas Perspektive genauso viel Raum wie Jonas’ Perspektive. Ihre Stimme wertfrei zuzulassen, schmälert nicht seine Wahrnehmung des Geschehens, und umgekehrt. Zwei Wahrheiten mit nur wenig Überschneidung, und dennoch sind beide Wahrheiten subjektiv gesehen valide und unumstößlich.
Auch im Zeitalter von #metoo ist das Thema nicht weniger schwierig.
Vergewaltigung als schwarz-weißes Narrativ funktioniert hier nicht, würde weder Anna noch Jonas gerecht werden. Beide werden großartig charakterisiert, komplex und glaubhaft, und entziehen sich daher jeglicher Simplifizierung.
Nachdem Anna Jonas anzeigt, bekommt das Geschehen eine Eigendynamik, die beide schädigt und traumatisiert. Anna muss jedoch mit einer mehrfachen Belastung leben – sie wurde vergewaltigt, auch wenn Jonas das ehrlich nicht so empfindet, und muss sich dafür immer wieder rechtfertigen. Victim Shaming, wie es im echten Leben leider dauernd passiert.
Denn das Urteil fällen die anderen.
Es gibt die Verurteiler, die Jonas in die Rolle des Monsters drängen oder Anna in die Rolle der hinterhältigen Fehl-Anschuldigerin. Es gibt die Unterstützer, die ihre Unterstützung geradezu aggressiv aufdrängen. Das Umfeld ergreift Partei, ohne darum gebeten worden zu sein.
Der Schreibstil passt perfekt zur Geschichte: er ist subtil, unaufgeregt, eher schlicht und schnörkellos, und dennoch kann man die Emotionen der Charaktere gut nachvollziehen. Ein namenloser Erzähler tauscht sich in Gesprächen mit den direkt oder indirekt beteiligten Personen aus. Es gibt viele Blickwinkel, viele Stimmen, die hadern, zweifeln, nach einem Sinn suchen – und das Geschehene doch oft nur zur Unterstreichung der eigenen Meinung instrumentalisieren.
FAZIT
Bettina Wilpert schildert in ihrem Roman die Geschichte einer Vergewaltigung, bei der sich der Täter keiner Schuld bewusst ist. Aber macht das für das Opfer und sein erlittenes Trauma einen Unterschied? Als Anna Jonas bei der Polizei anzeigt, beginnt für beide ein Spießrutenlauf.
Im Zeitalter von #metoo verändert sich nach und nach das öffentliche Bewusstsein, was das Thema Vergewaltigung und die damit einhergehenden Problematiken angeht. Dennoch ist dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen, und deswegen sind Bücher wie dieses immer noch wichtig.
Dabei verzichtet die Autorin auf plumpe Schwarzweißmalerei. Komplexe Konzepte wie Schuld oder Unschuld, Wahrheit oder Lüge bleiben manchmal fließend, und dennoch wird nichts verharmlost.
Faktenreiche Sportler-Collage über Ronaldo
Guillem Balagué, der vielbeschäftigte Fußballjournalist, hat nach seinen Einlassungen zu Maradona, Guardiola und Messi mit dem Buch „Cristiano Ronaldo“ einem weiteren herausragenden Fußballer ein Denkmal gesetzt. Es ist so groß geraten, dass es an den Wolken kratzen dürfte.
Das Buch beleuchtet in chronologischer Abfolge den Werdegang des hochtalentierten Ausnahmesportlers, von Beginn seiner bettelarmen Kindheit auf der portugiesischen Insel Madeira, wo er entdeckt wurde, über die Stationen Sporting Lissabon, Manchester United, Real Madrid, Juventus Turin, abermals ManU und Al-Nassr in Saudi-Arabien, wo er noch heute kickt. Die einzelnen Passagen folgen diesem roten Faden, sind jedoch als collagenhafte Textschnipsel aneinandergereiht. Die schiere Flut an Zeugen dieser Biographie (oftmals viele prominente, wohlklingende Namen, aber auch „kleine“ Wegbegleiter wie der Zeugwart, der sich an den pubertierenden Ronaldo erinnert) verlangt eine große Affinität zu Anekdoten über den Fußballstar. Andernfalls könnten manche Belege zu der Person (wie z. B. seitenlange Interviews über Spielverläufe) ein wenig ermüden. Aufgelockert wird das Ganze aber durch einige Fotos in der Mitte des Buches, die sich über Ronaldos ganzes Leben erstrecken und auch die Rivalität zu Messi nicht aussparen, sowie verschiedene Stilmittel wie Zitate, wörtliche Kommentare und spannende Sportreportagen zu bedeutenden Spielgeschehen.
Die sehr persönliche Biographie verrät sehr viel – über den Menschen Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro, über das milliardenschwere Geschäftsgebaren im Hintergrund einer gigantischen Fußballmaschinerie, über Schattenseiten des Erfolgs, über die Psychologie zahlloser Weggefährten und nicht zuletzt über den Autoren selbst (der in puncto Arbeitsbesessenheit eine Parallele zu seinem Protagonisten zieht). Die Edel Verlagsgruppe hat mit diesem Werk einen Meilenstein verlegt, das topaktuell ist. Die letzten Statistiken resultieren aus dem Frühjahr 2024, also vor erst ein paar Wochen.
Was erfahren wir über Ronaldo? Er ist alles, was man sich von einem Ausnahmeathleten in der Fußballbranche vorstellen kann. Ein Jahrhundertereignis, eine Ikone, ein lebender Superlativ. Getrost kann er mit der Boxlegende Muhammad Ali verglichen werden. Ein Fußballer, den es in dieser Form niemals wieder geben dürfte – eine echte Flut-Lichtgestalt. Dies jedenfalls vermittelt Balagué, allerdings ergeht er sich in etwa 460 Seiten nicht in reiner Lobhudelei, sondern belegt den Aufstieg dieses Talents, die glücklichen Fügungen bis hin zu seinem persönlichen Absturz seit seiner Turin-Verpflichtung, Stück für Stück. Harte Arbeit mit unbändigem Opferwillen öffnete ihm Türen. Einige wurde wieder zugeschlagen, zum Beispiel aufgrund seines Verhaltens in dem selbstverschuldeten Steuerskandal. Dabei erfahren wir, dass Cristiano dank kapverdischer Vorfahren (gleichsam der besten Sprinter vom „schwarzen Kontinent“) mit den weißen Muskelfasern Typ II für schnelle, explosive Kontraktionen ohne Sauerstoffverbrauch gesegnet ist (S. 35); dass seine Mutter Dolores für die vier Kinder, deren jüngstes Ronaldo ist, auch den Vater ersetzen musste, der alkoholkrank seiner Rolle bis zum Tod nicht nachkam; dass Ronaldo aus der Notsituation seiner Armut heraus eine Lebensphilosophie herausbildete, die ihn zu einem sehr ehrgeizigen (vielleicht sogar hin zu einem mit einer manisch ausgeprägten Gewinnermentalität versehenen) und narzisstischen Menschen formte; dass Ronaldo mit zwölf Jahren das Familienleben opfern musste, um seinen Traum zu verwirklichen, im Fußball der Beste zu werden, indem er allein nach England ging; dass er sich durchbeißen musste und dabei vielen Weggefährten begegnete, die ihn entweder (wegen seiner sozialen Fürsorge, seinem siegessicheren Führungsanspruch, seines unvergleichlich technischen Geschicks) bewunderten oder (vor allem wegen seiner ausgeprägten Eitelkeit und rücksichtslosen Selbstbezogenheit) verachteten; dass er mit zunehmenden Erfolg neben seinen geschickten Füßen auf dem Fußballfeld auch ein glückliches Händchen auf den Geschäftsfeldern des Investments bewies und so immer reicher und einflussreicher wurde; dass der Mensch Ronaldo nie vergessen hat, was Armut und „Stallgeruch“ bedeutet und dass er – im Gegensatz etlichen reichen Rivalen – privat viele Leuten finanziell äußerst großzügig beschenkt hat oder sie über soziale Projekte am Wohlstand hat teilhaben lassen; dass selbst die Anzahl seiner aufgestellten Rekorde einen Rekord darstellen dürfte (und das bis heute, schoss er doch 2023 mehr Tore als Haaland, Mbappé oder Kane (s. 453) ) – und dass er zwar im Bewusstsein lebt, eine Perspektive nach seiner Fußballer-Karriere zu etablieren, aber das Streben – mit fast unmenschlichen körperlichen und mentalen Anstrengungen „einfach“ immer nur der Beste zu sein – erst aufhören wird, wenn er eines Tages seinen letzten Atemzug getan haben sollte.
Ich kann das Buch jedem bzw. jeder empfehlen. Man muss kein Ronaldo-Fan sein, noch nicht einmal ein/e Fußball-Interessierte/r, um diese beeindruckende Biographie über einen noch beeindruckenderen Menschen zu genießen. Es liest sich wie ein Grimmsches Märchen und beruhigt doch, da man am Ende weiß, dass man mit voller Hingabe wirklich ALLES erreichen kann. Der Beleg: Ronaldos Traum wurde Wirklichkeit.