"Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht"
Bei kaum einem Papst des 20. Jahrhunderts gehen die Meinungen so auseinander wie bei Pius XII. – von völliger Verurteilung bis zum Wunsch nach Heiligsprechung. Doch seit 2020 stehen die vatikanischen Archive zu diesem Papst offen und damit kann sein Wirken (oder eher Nicht-Wirken) auf wesentlich besserer Basis beurteilt werden. Professor David I. Kertzer legt mit Der Papst, der schwieg, eine wegweisende Studie nicht nur der Handelnden im Vatikan sondern auch der Geschichte des italienischen Faschismus unter MussoIini und der Beziehungen zum Dritten Reich vor. Nur so lässt sich das Verhalten Eugenio Pacellis, seit 1939 Papst, einordnen. Der Titel des Buches verrät, was die geöffneten Archive bestätigen: Der Papst wusste viel, hat aber geschwiegen. Er hat nur einmal öffentlich protestiert – nicht beim Ardeatinischen Massaker, nicht beim Holocaust, nein, bei den Bombenangriffen der Alliierten auf Rom. Durch die Öffnung der Archive wissen wir nun, dass es geheime Verhandlungen zwischen dem Vatikan und der nationalsozialistischen Führung gab – neben den bekannten mit MussoIini und später den Allierten. David I. Kertzer zeichnet die Wechselwirkungen zwischen MussoIini, dem Dritten Reich und Pius in all ihren wechselnden Konstellationen und Machtverschiebungen nach und zeigt, dass eine Antwort, warum der Papst schwieg, (noch) nicht abschließend gefunden werden kann oder dass sie zumindest aus mehreren Teilen bestehen wird. Sie liegt sowohl im Charakter dieses Mannes begründet als auch in seiner Angst vor dem Kommunismus und in dem Bestreben, die Kirche in ihrer damaligen Form zu erhalten und zu schützen. Gerade nach Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter“ hörte man immer wieder, Pius hätte Jüdinnen und Juden vor der Verfolgung gerettet – auch das wissen wir nun, dass er es zwar geduldet, aber nie angeordnet hat. Dies ist ein wichtiges Buch zum Verständnis der Politik, aber auch der Theologie des Vatikans und seines obersten Hirten in einer Zeit, die weniger Schweigen benötigt hätte, aber auch die Herausforderungen dieser Institution zeigt.
Kurzmeinung: Die Medien (und viele andere) verwechseln Ursache und Wirkung.
In sechs kurzen Briefen (an die –Gleichgültigen, -an die Juden, -an die Christen, –an die Politik, -an einen Antisemiten und an –seine Söhne) beklagt Michel Friedman, dass „neben dem gefährlichsten und seit jeher existierenden rechtsextremen Antisemitismus vor allem der israelbezogene Antisemitismus und der muslimische Judenhass deutlich zugenommen haben“.
Zu Recht macht er Vorwürfe, vor allem der überwältigenden stummen Mehrheit, die obwohl wahrscheinlich nicht zustimmend, auch nicht laut ablehnend auf die Straße gegangen ist nach dem am 7. Oktober 2023 stattgefundenen Massaker auf dem Staatsgebiet Israels. Dabei sind über 1.400 Menschen, die ein Musikfestival besuchten, auf brutalste Weise angegriffen, hingeschlachtet, vergewaltigt, gefoltert und verstümmelt worden und manche sind noch verschleppt.
Auf der Straße wurde von der deutschen Regierung dagegen ein Mob geduldet, der israelische Flaggen verbrannte und laut über das Massaker jubelte!
Statt sich für Israel und seine Rechte einzusetzen artikulierten sich und artikulieren sich dagegen die Intellektuellen und Hochschulen und linke Gruppen heftig gegen Israels Politik und Politiker und der scheinbar unangemessener Reaktion ihres Militärs auf diesen abscheulichen und zu verurteilenden und zu sanktionierenden Angriff. Ebenso ist es schon lange modern, israelische Produkte zu boykottieren (BDS). Man fragt sich, warum nach der Reaktion der USA auf 9/11 kein Boykott amerikanischer Produkte ausgerufen wurde und kaum jemand von Überreaktion gesprochen hat. Besonders die Medien laden hier Schuld auf sich und verwechseln Ursache und Wirkung!
Fazit: Ich kann Michel Friedmans Zorn und seine Enttäuschung und alle seine Vorwürfe verstehen und freue mich, dass er seine Stimme erhebt. Er hat in allem Recht: es geht nicht an, dass jüdische Menschen sich auf deutschen Straßen fürchten müssen! Wir müssen uns positionieren - wenigstens das sind wir den jüdischen Menschen unserer nationalsozialistischen Vergangenheit wegen schuldig.
Kategorie: Erfahrung
Verlag: Berlinverlag /Piper, 2024
Klappentext:
„Adolf Hitler, so hat Brigitte Hamann nachgewiesen, ist ohne Wien nicht denkbar. Es ist die Erfahrung der habsburgischen Metropole, die das Denken des Diktators zutiefst prägte. Oliver Rathkolb und Johannes Sachslehner legen diesen Meilenstein der Hitler-Biografik nun in völlig überarbeiteter Form vor, lassen die aktuellsten Forschungsergebnisse zu Wort kommen, bringen wichtige Ergänzungen anhand neuer Quellen und zeichnen ein Bild von großer Eindringlichkeit.
Bewunderung erfüllte den jungen Mann, als er zum ersten Mal in die »Riesenstadt« Wien kam.
Doch rasch wich ihr Zauber der Enttäuschung und dem Hass: Adolf Hitler scheiterte bei der Aufnahmeprüfung für die Akademie, es begann ein zielloses Leben am Rande der Gesellschaft.
Die Wiener »Leidensjahre« haben jedoch, wie Hitler später verkündete, das »granitene Fundament« seiner Überzeugungen geschaffen.“
Um Menschen richtig zu verstehen ist es immer ratsam in ihr Inneres zu blicken. Nur gibt diesen Blick nicht jeder gerne frei. Ein anderer Blick der sinnvoll ist, ist der der auf die Kindertage und eben die Zeit als jugendliche Person blickt. Diese Zeit prägt uns Menschen alle immens da wir in dieser Zeit beobachten, aufnehmen und differenzieren - die Leser die gern auch in psychologischen Aspekten zu diesem Thema schmökern wissen genau was ich meine. In diesem wirklich beeindruckenden und bereits bekanntem Werk von Brigitte Hamann zeigt sie uns nun das frühe Leben des Adolf Hitler auf. Hamann ist mit diesem Werk weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden und in diesem aktuellen Band stehen wir Leser allen neuen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen gegenüber. Mit ihren beiden Mit-Autoren Rathkolb und Sachslehner hat Hamann dieses Werk auf Stand gebracht und es liest sich dadurch natürlich noch bewusster und irgendwie auch eindringlicher. Wir Leser dürfen hier nun also auf äußerst verständliche, sachliche und neutrale Weise die sogenannten Lehrjahre Hitlers erlesen und schnell steht fest: Hitlers Wahn begann bereits in jungen Jahren und kam eben nicht von ungefähr. Wien hat den Mann geprägt auf ganz bestimmte Weise, sein Blick hat sich geändert. Das Wie und Warum und Weshalb wird hier versucht auf sehr gutem Wege den Lesern zu erklären. Das Autoren-Trio hat hier wirklich beste Arbeit geleistet und gerade diese aktuelle Ausgabe zeigt, wir dürfen niemals die Gräueltaten die dieser Mensch mit seinen Entscheidungen der Menschheit angetan hat vergessen, wir können nur die Menschen frühzeitig stoppen und eindämmen wenn wir ihre Zeichen richtig deuten können. Auf Habachtstellung müssen wir jedenfalls stets sein…
Fazit: ein absolut lesenswertes Buch für alle, die die Geschichte unseres Daseins bewegt. 5 Sterne für dieses brillant recherchierte Buch und meine größte Anerkennung für diese Arbeit!
Der Genozid an den Armeniern und der Versuch einer Vergeltung
Mit "Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht" hat Birgit Kofler-Bettschart ein sehr wichtiges Sachbuch über ein oft vergessenes Kapitel der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben: den Völkermord an den Armeniern durch die Türken, und die Vergeltungsaktion Nemesis einiger junger armenischer Männer danach, Anfang der 1920er.
Der Völkermord an den Armeniern durch die Türken während des 1. Weltkrieges ist - wie man auch in diesem gut recherchierten Buch sieht - eine vielfältig belegte historische Tatsache und etwas, wovon sogar Hitler Kenntnis hatte und was er als Rechtfertigung für seine eigenen abscheulichen Taten genommen hat, von ihm ist offenbar die Aussage belegt, dass ja auch der Völkermord an den Armeniern nach zwei Jahrzehnten niemanden mehr interessiere. Gleichzeitig ist es nach wie vor im Kontakt mit der Türkei ein heikles politisches Thema und wird dort nicht unter dieser Bezeichnung diskutiert, geschweige denn aufgearbeitet. Umso mehr Chapeau, Frau Kofler-Bettschart, sich diesem wichtigen Thema anzunehmen.
Das Buch ist grundsätzlich sehr wertig gestaltet, mit Landkarten der entsprechenden Gebiete ganz am Anfang, einem Interview einer Armenien- und Genozidspezialistin ganz am Ende, und einer sehr sorgfältig dokumentierten Darstellung sowohl des Völkermords an den Armenien als auch der Vergeltungsaktion Nemesis. Für Lesende, die sich bisher noch nicht viel mit dem Thema beschäftigt habe, ist es durchaus anzuraten, das Interview der Spezialistin ganz am Anfang zu lesen, dann lässt sich auch der Rest des Buches noch einmal besser verstehen und einordnen.
Den größten Teil des Buches nehmen die verschiedenen Vergeltungsaktionen ein. Mutige, entschlossene junge armenische Männer (gelegentlich unterstützt von wenigen Frauen, wobei die Rächer selbst ausschließlich Männer waren) haben sich - zeitweise durch den kurz unabhängigen Staat Armenien unterstützt - zur Geheimaktion Nemesis zusammengeschlossen und eine Liste der 100 am schwersten an der Planung des Völkermordes Beteiligten erstellt, um so viele wie möglich von diesen zu ermorden... einerseits aus Rache, andererseits, damit diese nicht noch weitere Verbrechen gegen das armenische Volk planen konnten. Monate- bis jahrelang wurden die Betreffenden ausspioniert, verfolgt und auf eine günstige Gelegenheit für die Attentate gewartet.
So gelang es, zumindest einige der Drahtzieher des Völkermordes auszuschalten - und gleichzeitig, das war ein weiteres Ziel - die Weltöffentlichkeit auf den Völkermord an den Armeniern aufmerksam zu machen, etwa im Rahmen der vielbeachteten Gerichtsprozesse nach zweien der Attentate, in denen nicht nur das Attentat an sich, sondern vor allem auch der historische Kontext eine große und medial stark rezipierte Rolle spielten.
Es ist ein Buch, das beim Lesen schon einiges an Mitdenken und Aufmerksamkeit fordert. Insbesondere, wenn man mit dem Thema noch nicht viele Berührungspunkte hatte. Wenn man sich darauf einlässt, ist es aber ein sehr gut recherchiertes und spannend geschriebenes Buch zu einem wichtigen Thema, das viel Wissen vermittelt, das dabei hilft, auch die Konflikte in der Kaukaususregion, etwa im Herbst 2023 um Berg-Karabach, noch einmal besser einordnen und verstehen zu können. Es hilft auch dabei, den 1. und 2. Weltkrieg mit all ihren Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den dahinterstehenden Militärbündnissen in einem noch einmal differenzierteren Licht zu sehen: so hatten etwa Deutschland und Österreich-Ungarn schon beim Völkermord der Türken an den Armeniern im 1. Weltkrieg eine unrühmliche Rolle, da sie diesen aufgrund des Bündnisses mit der Türkei ebenfalls zu leugnen versuchten.
Aufgrund des Themas ist es natürlich kein Unterhaltungsbuch für gemütliche Lesestunden, sondern ein sehr heftiges, hartes Buch zu sehr schlimmen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu lesen, auf welch brutale Art im Rahmen des Völkermordes selbst Zivilisten, Frauen, Kinder und Greise unbarmherzig vernichtet wurden, ist zutiefst erschütternd, und reiht sich in andere unvorstellbare Verbrechen der Menschheitsgeschichte ein, steht diesen in nichts nach. Umso tröstlicher, dass zumindest ein paar der Verantwortlichen nicht ungestraft davon gekommen sind, hier mein Respekt vor der mutigen Operation Nemesis, die ich tatsächlich auch, dem Zitat eines der Attentäters entsprechend, nicht als Mörder im herkömmlichen Sinne ansehen würde (die Operation war, mit wenigen Ausnahmen, auch immer sehr bestrebt, keine Unschuldigen zu verletzen).
Gleichzeitig ist es auch im Rahmen der Prävention und des Einsatzes für Frieden und Völkerverständigung so wichtig, darüber Bescheid zu wissen. Ich wünsche dem Buch deshalb eine breite Leserschaft und dem Thema eine differenzierte Diskussion, speziell auch in Schulen, was leider aufgrund bekannter Gründe nicht einfach sein wird.