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Der Freund: Roman

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Rezensionen zu "Der Freund: Roman"

  1. 3
    24. Jun 2020 

    Apollo

    Bei Apollo handelt es sich um eine Dogge. Eine Schriftstellerin in New York hat ihn geerbt. Ein Erbe, dass es ihrer Meinung nach besser nicht gegeben hätte, denn es bedeutet, dass ein guter Freund gestorben ist. In ihrer Wohnung darf sie auch keine Tiere halten und Doggen sind nicht gerade Kleintiere, die unbemerkt bleiben. Natürlich gibt es Nachbarn, die die Ankunft des Hundes nicht nur bemerkten, sondern auch melden. Die Autorin ist unsicher, ob sie den Hund behalten kann, doch das liebenswerte Tier mag sie auch nicht wieder abgeben. Wahrscheinlich hat sich der Freund etwas dabei gedacht.

    Frau und Hund überwinden den Verlust eines lieben Menschen. Doch ist es so einfach mit der Trauer. Wenn ein lieber Mensch stirbt, ist es einfach schmerzlich. Apollo trauert auf seine Weise und die Frau auf die ihre. Bei ihrem Beruf bietet es sich an, zu schreiben. Und so reflektiert sie über Tod und Verlust, über Hunde und ihre außergewöhnlichen Beziehungen zu ihren Menschen. Zunächst trauern Frau und Hund für sich, dann trauern sie gemeinsam und schließlich gewinnen sie wieder Freude am Leben. Doch liegt in diesem Beginn nicht wieder ein Abschied. Große Hunde haben leider häufig keine große Lebenserwartung.

    Diesem Roman liegt wirklich eine ansprechende Idee zugrunde. Die Vorstellung, dass sich Hund und Frau gegenseitig trösten und über den Tod des Freundes und Herrn hinwegkommen, ist einfach schön, unabhängig davon, ob es tatsächlich geschehen kann. Doch irgendwie entsteht während des Hörens der Eindruck, die Autorin habe mehr das Bedürfnis, übers Schreiben zu schreiben oder über fremde Geschichten zu referieren, so dass manchmal nicht so viel übrig bleibt, von der vermeintlichen eigentlichen Idee des Buches. Und dann beginnt man nach der Geschichte zu suchen und man verzettelt sich letztlich irritiert. Nichtsdestotrotz hat das Buch sehr schöne Momente und Frau und Hund können die erste Trauerphase überwinden. Gerade diese hebt die Vorleserin Vera Teltz äußert gekonnt hervor.

    3,5 Sterne

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  1. Einfühlsam, klug, poetisch - ein Leseerlebnis

    "Es gab eine Zeit, in der mir klarer gewesen wäre, ob es von einer geistigen Störung zeugt, wenn man einem Hund Rilkes Briefe an einen jungen Dichter laut vorliest." (Zitat Pos. 1782)

    Inhalt
    Die Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin und Dozentin für Creative Writing, ist mit einem Schriftsteller in einer lebenslangen, tiefen Freundschaft verbunden, an der auch die drei Ehen des Schriftstellers nichts ändern. Als dieser Selbstmord begeht, versinkt sie in Erinnerungen, Fragen und führt in ihren Gedanken ihre lebhaften, kritischen Diskussionen mit ihm weiter, in denen es um Literatur, Schriftsteller und das Leben insgesamt geht. Doch die Realität verlangt von ihr Entscheidungen, denn ihr Freund hat ihr seinen alten Hund vermacht, eine große Dogge namens Apollo. Auch der Hund trauert, aber gerade daraus ergibt sich eine besondere Bindung zwischen der Schriftstellerin und der Dogge, die viel lieber Rilke vorgelesen bekommt, als Mozart zu hören.

    Thema und Genre
    Dieser vielschichtige Roman erzählt in Form der Gedanken und Gefühle einer Hauptfigur eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Literatur früher und heute, vom Schreiben und den Schriftstellern, vom Altern und von dem tiefen, wortlosen Verständnis zwischen Mensch und Hund.

    Charaktere
    Nur die Dogge hat einen Namen, alle anderen Figuren bleiben namenlos, werden aber durch die Schilderungen der Gedanken, Gefühle und erzählten Erinnerungen sofort fassbar und sind intensiv und detailliert beschrieben.

    Handlung und Schreibstil
    Die Autorin ist eine wunderbare Erzählerin, sie gibt ihrer Ich-Protagonistin eine Stimme, die mit großem Einfühlungsvermögen Trauer, das Leben als Schriftsteller und die immer präsenten Zweifel schildert, dazu sehr kritische Betrachtungen zum modernen Literaturbetrieb, aber auch den Alltag in New York. Gekonnt spielt sie mit Handlungsebenen und überraschenden Wendungen. Die sprachliche Palette bewegt sich ausdrucksstark zwischen poetisch, philosophisch, kritsch, humorvoll und immer präzise auf den Punkt gebracht.

    Fazit
    Wer den üblichen unterhaltsamen Mensch-Hund-Wohlfühlroman erwartet, sollte nicht gerade zu diesem Roman greifen.
    Wer eine auch sprachlich intensive Geschichte über Trauer, Freundschaft, den Literaturbetrieb und das Schreiben, über Liebe und die überaus gutmütige, kluge Dogge Apollo sucht, wird dieses Buch genießen, auch den damit verbundenen gedanklichen Ausflug in die Literatur. Ein Roman, der die Gedanken noch lange nach der letzten Seite beschäftigt und den man wohl auch ein zweites Mal lesen wird.

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  1. Behebung einer Schreibblockade

    Kurzmeinung: Gerade noch an der völligen Belanglosigkeit vorbeigeschrappt.

    In dem Roman „Der Freund“ erzählt die Autorin von der besonderen Beziehung, die zwischen domestiziertem Haustier und dem Menschen bestehen kann. Dabei verschweigt sie nicht, wie unsensibel und gemein Menschen oft mit ihren Tieren umgehen.

    Auch erzählt sie allerhand Wissenswertes über Hunde allgemein. Im Besonderen spricht die Autorin vom Leben des Schriftstellers, sie zitiert viele bekannte Autoren, die etwas zum Verhältnis Leser und Schreiber gesagt haben, es geht jedoch generell um den Schreibprozess und um Schreibblockaden und um den Ausverkauf der Schriftstellerei durch Eigenpublikationen.

    Als dünner roter Faden des Romans dient der Trauerprozess um einen Kotzbrocken von Mann, einem Frauenhelden wie er im Buch steht, so dass die Leserin sich fragt, warum in aller Welt die Protagonistin diesem Menschen derartig nachweint, sogar mit Suizidgedanken quält sie sich. Anscheinend hat sie sich auf ungute Weise an diesen Mann innerlich gebunden gehabt, denn sie hat keine andere partnerschaftliche Beziehung. Das Vermächtnis dieses Mannes ist eine riesengroße, alte Dogge, die die Protagonistin zu sich nimmt und bis zu deren Ende begleitet.

    Die Kritik:
    Obwohl man Wissenswertes über Tier und Mensch erfährt, relativiert die Autorin ihr Werk selber und glaubt, dies sei witzig, indem sie bekennt, dass sie ihre Story nur erfunden hat, um ihre Schreibblockade zu durchbrechen. Vielleicht ist das witzig, für mich wird das Werk dadurch belanglos.

    Es bleiben noch drei Sterne übrig und die Einordnung in die Königsklasse der anspruchsvollen Literatur, weil die Autorin immerhin einiges dazu beiträgt, dass der Mensch ein Tier in seiner Eigentümlichkeit besser akzeptieren und mehr achten könnte. Besonders schön fand ich es, dass die Trauer des Tieres ernst genommen wurde.

    Fazit: Ich interessiere mich überhaupt nicht dafür, wie Autoren ihre Schreibblockaden beheben, das ist ihr Ding und damit sollen sie mich nicht behelligen, insofern geht der Roman völlig an mir vorbei. MIt drei Sternen ist das Buch noch gut bedient, me thinks.

    Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
    Aufbauverlag, 2020

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  1. Memoir an einen besten Freund

    Die Ich-Erzählerin hat ihren besten Freund verloren. Er hat Suizid begangen, keinen Abschiedsbrief, aber dafür viele offene Fragen hinterlassen. Die Erzählerin ist in tiefer Trauer, ihr Blick verschwommen vom vielen Weinen.

    Kennengelernt haben sie sich einst an der Universität. Der Freund war noch sehr am Anfang seiner Professorentätigkeit, die Erzählerin am Ende ihres Studiums. Über Jahrzehnte hielt diese Freundschaft, die abgesehen von einem einzigen Mal keine sexuellen Kontakte zuließ, sondern rein platonischer Natur war.
    „Es gab eine Zeit - eine lange Zeit sogar, in der du und ich uns fast täglich gesehen haben. Doch während der letzten paar Jahre hätten wir auch in unterschiedlichen Ländern leben können, statt nur in verschiedenen Stadtteilen. Wir hielten überwiegend und regelmäßig Kontakt via E-Mail.“

    Der Verlust des Freundes reißt ein tiefes Loch: „Doch ich muss feststellen, dass du mir umso mehr entgleitest, umso mehr zu einem Hologramm wirst, je mehr die Leute über dich sagen,…“

    Beide waren passionierte Schriftsteller, die Erzählerin lässt viele Begegnungen, Gespräche, Meinungsaustausche und fachliche Kolloquien Revue passieren. Beide unterrichteten an der Universität. Es einte sie die Liebe zur Literatur, zum Schreiben. Für Studierende, die ihre Creative-Writing-Kurse nur zum Zeitvertreib besuchten, die wenig belesen waren und denen die wahre Berufung zum Schreiben fehlte, hatten sie nur Spott und Verachtung übrig.

    Die Erzählerin lässt ihre Gedanken mäandern: Der Verstorbene hatte stets ein reichhaltiges Liebesleben und insgesamt drei Ehefrauen, zu denen die Erzählerin sehr unterschiedliche Verhältnisse hatte. Die Freundschaft überdauerte alle Ehen.
    Nach der Trauerfeier bittet Ehefrau drei zum Gespräch: „Und du weißt, dass er sich einen Hund zugelegt hat?“ Für diesen Hund, eine riesige deutsche Dogge, wird nun eine Bleibe gesucht. Angeblich hat der Ehemann seine Freundin selbst ins Gespräch gebracht, weil sie viel Zuhause, tierlieb und alleinstehend sei. Für die Erzählerin ist dieser Vorschlag eigentlich nicht annehmbar, lebt sie doch in einer kleinen Stadtwohnung, in der zudem Hunde verboten sind… Dennoch nimmt sie das stark trauernde Tier in ihre Obhut.

    „Einem Hund kann man den Tod nicht erklären. Er versteht nicht, dass Daddy nie mehr nach Hause kommen wird. Er hat Tag und Nacht neben der Tür gewartet. Eine Weile hat er nichts mehr gefressen…“
    Die Erzählerin fühlt schnell eine innere Verbundenheit zu dem Tier. („Deinen Hund zu haben ist, als wäre ein Teil von dir hier.“) Als einziger im Buch hat der Hund einen Namen: Apollo ist ein sanftmütiger Riese, er würdigt sie zunächst keines Blickes, wirkt apathisch. Die Erzählerin versucht, dem Hund zu helfen, sie nähert sich ihm allmählich an, drängt sich aber nicht auf. Beide machen lange gemeinsame Spaziergänge, respektieren einander. Diese beginnende Zuneigung zweier trauernder Seelen ist anrührend zu lesen, die Zeilen strahlen viel Emotionalität aus. Beide geben sich Wärme und Kraft, sie kommunizieren wortlos und scheinen sich zunehmend zu verstehen und ihre Bedürfnisse zu erkunden.

    Über dieser beginnenden Freundschaft schwelt das Damoklesschwert der Hausverwaltung. Ihr ist zu Ohren gekommen, dass verbotenerweise ein Hund im Mehrfamilienhaus eingezogen ist und aus „vorübergehend“ anscheinend „dauerhaft“ wurde. Es ergehen mehrere Mahnungen, die Kündigung droht.

    Die Erzählerin springt in ihren Erinnerungen. Der Leser lernt viel über das Wesen der Tiere im Allgemeinen („Sie begehen keinen Selbstmord. Sie weinen nicht. Aber sie können zerbrechen, und sie tun es. Ihre Herzen können brechen, und sie tun es. Sie können den Verstand verlieren, und sie tun es.“) und der Hunde im Besonderen. Da das Leben der Erzählerin geprägt ist vom Schreiben und Lehren, bekommt man auch viel vom Literaturbetrieb, den Schreibkursen an der Universität oder auch von Schreibblockaden vermittelt. Es gibt wunderbare Textzitate berühmter Schriftsteller zu entdecken, die teilweise auch kontrovers ausgelegt werden.

    Apollo leidet offensichtlich an einer Depression. Die Erzählerin bemüht das Internet, Fachliteratur und einen Therapeuten, entwickelt aber ihr eigenes Konzept. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie den Hund dazu bringen muss, den Freund zu vergessen und sich in sie selbst zu verlieben. Es ist rührend, wie sie versucht, das Tier mit verschiedenen Musikrichtungen zu erreichen. Man kann mitempfinden, wie die beiden sich gegenseitig im Trauerprozess helfen und sich emotional unterstützen. Die Auseinandersetzung mit der Trauer des Hundes hilft der Erzählerin, ihrer eigenen Trauer zu begegnen.

    „Trauer kann man nicht zur Eile antreiben“. Das muss die Erzählerin erfahren. Man kann sich aber professionelle Hilfe holen. Im Zuge der Trauerarbeit kann man auch eine Schreibblockade überwinden. Ich habe fast den Eindruck gewonnen, dass das vorliegende Buch das Ergebnis dessen sein könnte.

    Die leuchtenden Farben auf dem Cover sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um einen eher nachdenklichen, intensiven Roman handelt, der einen Trauerprozess von Mensch und Hund beschreibt. Er ist sehr intelligent geschrieben, man möchte viele Textstellen markieren respektive herausschreiben. Man kann sich hervorragend in die Figuren einfühlen. Eine sehr realistische Lektüre, die man jedoch auch am Ende nicht beglückt und erleichtert zuklappt. Aber eine Lektüre, die bereichert, die neue Aspekte eröffnet und vielleicht auch Trauernden eine Stütze sein kann. Denn Trauern und Loslassen gehören zum Leben unabdingbar dazu.

    „Die Toten halten sich im Konditional auf, in der Zeitform des Nichtwirklichen.“ Aber sie sind immer da. Sie begleiten uns weiterhin durch unser Leben.

    Dieser Roman wurde in den USA zum Bestseller und hat den National Book Award gewonnen.

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Sieben Richtige: Roman

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Rezensionen zu "Sieben Richtige: Roman"

  1. 4
    27. Aug 2020 

    Gretas Welt

    Eines Tages radeln die kleine Greta und ihr Vater Roland durch Bochum. Plötzlich rast ein Fahrzeug heran und erfasst das kleine Mädchen. Roland rennt entsetzt zu seinem Kind, das reglos am Boden liegt. Gleichzeitig soll eine neue Wohnung bezogen werden, wird ein Allergiker von einer Biene gestochen, erhält ein USA-Reisender eine bedrückende Nachricht und in Rom trennt sich ein junges Paar. Davon weiß Gretas Mutter natürlich nichts. Sie ist vor Schock wie erstarrt. Es steht nicht gut um die Kleine, doch die Ärzte kämpfen um das Leben des Kindes.

    Das Buch beginnt mit dem, was man sich nie vorstellen möchte. Ein Kind wird bei einem Unfall, der auch noch von einem rücksichtslosen Raser verursacht wird, so schwer verletzt, dass es um sein Leben ringt. Natürlich hofft man, die kleine Greta möge das Ganze doch einigermaßen gut überstehen. Allerdings kommt dann erstmal was anderes und man denkt, hallo, was soll das denn jetzt, ich will doch wissen, wie es dem Kind geht. Nach und nach merkt man jedoch, dass die vermeintliche Zusammenwürfelung der Ereignisse einen Sinn ergibt. Zwar ist es schon ein unglücklicher Zufall, dass Greta gerade in jenem Moment an jenem Ort ist, doch je weiter man liest, desto mehr meint man, der Zufall hat einen Plan.

    Die Handlung des Buches umspannt eine relativ lange Zeitspanne und sie verläuft nicht immer auf einem voranschreitenden Zeitstrahl, das kann man mögen oder nicht. Das Zusammenspiel der Geschichten ist besonders am Anfang allerdings so geschickt zusammengefügt, dass man wirklich gefesselt ist. Ein kleines Häppchen nach dem anderen wirft der Autor seinen Lesern zu, durch dass sich ein Bild formt von einer Gruppe von Menschen, denen der Zufall eine vage Bekanntschaft verschafft hat. Es ist klasse zu erfahren, wie diese Menschen sich umkreisen, sich annähern oder sich voneinander entfernen. Man fühlt sich im positiven Sinne geführt zu einem Ziel, dass einen schließlich verstehen lässt, warum zu Beginn der Zufall so und nicht anders tätig wurde. Dieser überraschende Roman vermag zu fesseln.

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Im Bauch der Königin: Roman

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Das ist einer, der lebt!: Roman

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Power: Roman

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Rezensionen zu "Power: Roman"

  1. 3
    19. Apr 2020 

    Die Suche

    Power, der Hund von Hitschke, ist verschwunden. Hitschke, die zu den älteren Bewohnern des Dorfes gehört, ist untröstlich. Das kann die 11jährige Kerze nicht mit ansehen. Sie verspricht der Nachbarin, den Hund zu suchen und nicht aufzugeben bis sie ihn gefunden hat. Es ist Ferienzeit und was kann in den Ferien besser sein, als eine so ehrenvolle Aufgabe zu haben. Nach und nach beteiligen sich immer mehr der Dorfkinder an der Suche. Doch Hitschke hat Kerze nicht alles erzählt. Und als die Kinder sich immer mehr in die Suche hineinsteigern, droht die Situation zu entgleisen.

    Dieses Hörbuch wird von der Autorin selbst gelesen und ihre Stimme passt sehr gut zum Buch. Bei der Hauptprotagonistin handelt es sich um die 11jährige Kerze, die ihren Spitznamen von der Oma hat. Sie ist zwar erst 11 Jahre, aber sie weiß schon einiges besser als die Erwachsenen und sie lässt sich nicht mehr alles sagen. Ihr ist die Suche nach dem Hund so wichtig, dass sie die anderen Kinder dazu verführen kann, sich ganz in Power hineinzuversetzen. Der Gedanke, dass die Eltern sauer auf Hitschke werden könnten, die das Ganze vermeintlich angezettelt hat, kommt Kerze allerdings nicht. Dafür ist sie dann doch noch zu jung.

    Der Beginn dieses (Hör)Buches ist ganz hinreißend. Es kommt sehr gut rüber, wie Kerze der Nachbarin helfen will den Hund zu finden. Doch je weiter es geht, desto mehr fragt man sich, wieso Kerze doch auf einige sehr eigene Ideen kommt, wieso die anderen Kinder mitmachen, wieso die Eltern nicht eingreifen und wieso dann der Einfachheit halber die Schuld Hitschke in die Schuhe geschoben wird. Aus der sympathischen Detektivin vom Beginn wird eine herrische Anführerin. Aus der netten Nachbarin, die allerdings auch hätte ehrlicher sein können, wird der Sündenbock, aus normalen Eltern werden Rächer. Aus einem kleinen Dorf wird ein sehr eigenartiger Ort, der nicht sehr einladend wirkt. Und so löst das Buch zwar Einiges aus, lenkt ab, stellt aber nicht sonderlich zufrieden. Sicher braucht man keine ideale Welt, kein Märchen, aber so einen Ausraster braucht man auch nicht.

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Der Fischer und der Sohn: Roman

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Die Überlebenden

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Rezensionen zu "Die Überlebenden"

  1. Was ist uns nur passiert?

    Alex Schulman erzählt eine bedrückende Familientragödie. Die Brüder Pierre, Benjamin und Nils verbringen die Ferien mit ihren Eltern in einem Sommerhaus am See. Schnell zeigt sich, dass die Ferienidylle getrübt und die familiäre Situation schwierig ist. Die Kinder unterscheiden sich sehr in ihrem Wesen und reagieren unterschiedlich auf die familiären Herausforderungen. Alles scheint auf ein schlimmes Ereignis hinzusteuern: so einschneidend, dass die Familie danach nie mehr das Sommerhaus aufsuchte. 20 Jahre später kehren die Brüder dorthin zurück, um die Asche ihrer Mutter zu verstreuen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie kaum mehr Kontakt zueinander, haben sich auseinander gelebt. Immer wieder steht die Frage im Raum, was eigentlich passiert ist?

    Axel Schulmann erzählt abwechselnd aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Durch die chronologisch erzählten Episoden aus der Vergangenheit und die rückwärtsgerichteten Schilderungen der nahen Gegenwart entsteht das Gefühl, dass beide Stränge auf einen alles entscheidenden Punkt zulaufen. Diese Erzählweise hat mir ausgesprochen gut gefallen und passt sehr gut zur Geschichte. Schulmans Schreibweise hat starke Bilder vor meinem inneren Auge erschaffen. Viele Szenen sind von großer Intensität und haben mich unmittelbar in die beängstigenden, bedrückenden, grausamen, manchmal auch schönen und zuweilen auch abgedrehten Erlebnisse der Brüder hineingezogen. Auch die Beschreibungen der Landschaft sind wunderbar atmosphärisch gelungen. Klug konstruiert, konnte mich der Roman immer wieder überraschen. Die Auflösung hat mich mit aller Wucht getroffen und mit diesem Wissen entfaltet sich plötzlich eine ganz neue Lesart. „Die Überlebenden“ haben mich in mehr als einer Hinsicht beeindruckt.

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  1. 4
    01. Apr 2022 

    Ferienhaus am See

    Die drei Brüder Nils, Benjamin und Pierre fahren nach Jahren zum ersten Mal wieder zu dem Ferienhaus am See. Sie wollen den letzten Wunsch ihrer verstorbenen Mutter erfüllen, die wollte, dass ihre Asche dort verstreut wird. Das Verhältnis unter den Brüdern ist eher oberflächlich und kühl. Doch die Zeit nach dem Tod der Mutter ist für alle aufreibend und Erinnerungen an die Sommertage am See werden geweckt. Nicht nur gute Erinnerungen, denn die Kinder wussten selten, wie ihre Eltern im nächsten Moment reagieren würden. Und doch gab es schöne Momente, nur sind sie irgendwie weg.

    Ihre Kindheit war nicht ganz leicht, denn hundertprozentig verlassen konnten sie sich auf ihre Eltern nicht. Besonders die Launen der Mutter waren manchmal schwer zu ertragen. Als sie noch jünger waren, haben sie zusammengehalten. Beim Wettschwimmen zum Beispiel, achteten die Älteren darauf, dass Pierre, der Jüngste, sicher zum Ufer gelangt. Natürlich wurde dann dafür gesorgt, dass er Letzter wurde, aber sicher zu hause. Nach und nach verschwand dieser Zusammenhalt. Durchs Älter werden vielleicht? Die Reisen hörten auf. Die Brüder lebten ihr eigenes Leben. Doch nun hat der Tod der Mutter sie wieder zusammen gebracht, wenn auch vielleicht nicht vereint.

    Diese Familiengeschichte besticht durch die Worte und ihre Protagonisten, etwas weniger durch das Cover, das zwar zur Handlung passt, aber doch eher unscheinbar wirkt. Dafür nehmen die einleitenden Worte des Autors einen gleich für das Buch ein und man findet schnell Zugang zu den drei Brüdern mit ihren Ecken und Kanten. Über die Eltern wird wenig erklärt, vielleicht reicht eine allumfassende Erklärung, auch für das Auseinanderdriften der Brüder, der ganzen Familie. Nach und nach entspinnt sich eine packende und tragische Erzählung einer Familie. Das Schicksal der Familienmitglieder wird berührend, wobei die Erzählweise vielleicht etwas fordernd wirkt, aber sehr zum besonderen Reiz dieses Romans beiträgt.

    4,5 Sterne

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  1. Eine beklemmende, deprimierende Familiengeschichte

    „Das ist der Schauplatz, so sieht es aus, ein paar kleine Gebäude auf einer Wiese, mit dem Wald dahinter und dem Wasser davor. Ein unzugänglicher Ort, heute ebenso abgeschieden wie früher.“ (Zitat Seite 10)

    Inhalt
    Benjamin, Pierre und Nils sind Brüder, die sich einander längst fremd geworden sind. Kurz nach dem Tod ihrer Mutter entdecken sie einen Brief, in dem ihre Mutter sich wünscht, dass sie ihre Asche in jenem See verstreuen, wo sie in einem Holzhaus die Sommer ihrer Kindheit verbracht hatten. Sie sagen das geplante Begräbnis ab und machen sich auf die Reise in jene abgelegene Gegend, zusammen mit ihren Erinnerungen an gute Tage mit ihrem Vater und an weniger gute Tage mit ihrer Mutter. „Die Reise, die sie zum Einschlagpunkt zurückbringen wird, rückwärts in ihrer Geschichte, Schritt für Schritt, um ein letztes Mal zu überleben. (Zitat Seite 298)

    Thema und Genre
    Im Mittelpunkt dieses Romans steht eine zerrüttete Familie, untere Gesellschaftsschicht, drei Kinder und ihre Eltern. Es geht um Kindheitserinnerungen und die daraus resultierende Lebenssituation von Erwachsenen.

    Charaktere
    Es sind interessante Figuren, aber keine sympathischen. Der Vater, der sich dann mit seinen Söhnen beschäftigt, wenn er sie zu Wettkämpfen gegeneinander auffordert, die Mutter, die vor allem ihre Ruhe haben will und ihre Drinks. Die drei Brüder, die versuchen, einander Halt zu geben, besonders Benjamin und Pierre, während Nils, der älteste, sich meistens in seine eigene Welt zurückzieht.

    Handlung und Schreibstil
    Sehr interessant und speziell ist die Art des Autors, diese Geschichte zu erzählen. Im Mittelpunkt der aktuellen Handlung steht Benjamin, der mittlere der drei Brüder, doch auch diese Rahmenhandlung verläuft nicht chronologisch. Unterbrochen wird sie durch seine Erinnerungen, die dann anschließend ausführlich geschildert werden, nun ist die Vergangenheit aktuelle Jetztzeit, wobei sich immer wieder Abweichungen zwischen der Realität und seinen Erinnerungen ergeben. Wir erfahren ergänzende Details und die teilweise etwas andere Sichtweise seiner Brüder. Auch der klare Schreibstil ist sehr gut zu lesen. Dennoch konnte mich dieser Roman nicht überzeugen. Die interessante Art, die Geschichte dieser Familie in Fragmenten und Zeitsprüngen zu erzählen, wird aufgehoben durch fehlende Spannung und Tiefe. Die Konflikte und Problematik ergeben sich aus gefühlsmäßigen Befindlichkeiten und den damit verbundenen psychologischen Elementen. Ein überraschendes Detail gegen Ende der Geschichte erklärt zwar manches, kann aber die Ereignisse in der Vergangenheit nicht verändern.

    Fazit
    Eine bis zur Trostlosigkeit beklemmende Familiengeschichte, Episoden und Fragmente einer Kindheit und die Erinnerung daran.

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  1. 5
    11. Nov 2021 

    Ein Holzhaus am See...

    Nach zwei Jahrzehnten kehren die Brüder Benjamin, Pierre und Nils zum Ort ihrer Kindheit – ein Holzhaus am See – zurück, um die Asche ihrer Mutter zu verstreuen. Eine Reise durch die raue, unberührte Natur wie auch durch die Zeit. Im Kampf um die Liebe der Mutter, die abweisend und grob, dann wieder beinahe zärtlich war, haben die Jungen sich damals aufgerieben bis zur Erschöpfung. Heute fühlen sie sich so weit voneinander entfernt, dass es kein Aufeinanderzu mehr zu geben scheint. Und doch ist da dieser Rest Hoffnung, den Riss in der Welt zu kitten, wenn sie sich noch einmal gemeinsam in die Vergangenheit vorwagen. (Klappentext)

    Der Klappentext verrät im Grunde ausreichend, wovon dieser Roman erzählt. Abgesehen vielleicht davon, dass die Gegenwartsebene im Roman – in der die drei Brüder mit einer Urne durchs Land fahren, um die Asche ihrer Mutter an einem See zu verstreuen – dem wirklichen Leben des Autors entliehen ist. Die Rückblenden in die Vergangenheit seien dagegen fiktiv, so Alex Schulman in seinem Vorwort an den Leser / die Leserin. Der Roman insgesamt sollte in jedem Fall die gleiche Frage stellen wie der Autor, wenn er an seine Kindheit und an seine Brüder zurückdenkt: Was ist passiert?

    Der Antwort auf diese Frage nähert sich der Roman behutsam und allmählich an, wobei die Erzählstränge der verschiedenen Zeitebenen wunderbar ineinandergreifen und sich der Autor eines geschickten Schachzuges bedient. Der Gegenwartsstrang ist rückwärts gerichtet, wird in 2-Stunden-Schritten von hinten nach vorne erzählt, die Geschehnisse der Vergangenheit dagegen werden als Kontrapunkt chronologisch fortschreitend erzählt, so dass sich die Zeitebenen insgesamt aufeinander zu bewegen und sich oftmals ein Kreis schließt - Fragen, die sich beim Lesen stellen, werden kurz darauf wieder aufgelöst. Ein kunstvoll und originell konstruierter Roman, der mich allein vom Aufbau her schon begeistern konnte.

    Was sich hier auf der Steintreppe abspielt, das Weinen der drei Brüder, die geschwollenen Gesichter und all das Blut, ist nur der letzte Ring auf dem Wasser, der äußerste, der am weitesten vom Einschlagpunkt entfernt ist. (S. 13)

    Der Schreibstil ist ruhig und eindringlich, überaus bildhaft, stellenweise sehr poetisch und mit zahllosen Gefühlen zwischen den Zeilen behaftet. Die Charaktere werden eher spröde gezeichnet, und doch kann man erahnen, wie es den so unterschiedlichen drei Brüdern ergeht. Die drei Jungen sind in derselben Familie groß geworden, haben Ähnliches erlebt, und doch geht jeder anderes damit um: Benjamin fühlt sich für alles und jeden verantwortlich, versucht alles im Vorfeld auszuloten und wenn möglich zu entschärfen, Nils sieht weg und entfernt sich aus Situationen und schafft dadurch eine Distanz zu allem, Pierre ist oft hilflos und neigt eher zur Gleichgültigkeit und später zur Wut. Die drei sind jeder für sich einsame Trabanten, die gelegentlich versuchen aneinander Halt zu finden…Und abgesehen von den unsensiblen Eltern, die eher um sich kreisen als die drei Brüder wahrzunehmen und die den Wettkampf unter den dreien schüren, gibt es noch ein großes Tabuthema in der Familie, ein totgeschwiegenes Ereignis, dem der Leser / die Leserin erst ganz am Ende auf die Spur kommt. Der Einschlagpunkt, wenn man bei dem Bild aus dem Zitat bleiben will, der vieles zu erklären vermag und auch den Titel des Romans ins rechte Licht rückt…

    Ein leiser, oft melancholisch gehaltener Roman, der mit einem Schlag in den Magen endet, so habe ich es empfunden. Eine Erzählung von emotionaler Wucht, genial konstruiert und von auch weit über das Lesen hinaus anhaltendem Eindruck. Ein Roman, der mich vollkommen in den Bann gezogen hat und den ich mit einigem zeitlichen Abstand gerne noch einmal lesen möchte.

    Ein Jahreshighlight, für das ich nur eine dringende Leseempfehlung aussprechen kann…

    © Parden

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  1. Brüder zwischen Liebe und Hass

    Die Brüder Benjamin, Nils und Pierre kehren zum Sommerhaus ihrer Kindheit zurück, um den letzten Wunsch ihrer verstorbenen Mutter zu erfüllen. Ihre Asche soll dort verstreut werden. Doch die Zusammenkunft ist geprägt von Tränen und Gewalt. Was geschah vor gut 20 Jahren wirklich im Sommerhaus - und wie lässt sich damit leben?

    "Die Überlebenden" ist der Debütroman des schwedischen Autors Alex Schulman. Es ist in jeder Hinsicht ein bemerkenswertes Debüt. Aufregend und klug ist die Komposition des Textes. In abwechselnden Kapiteln berichtet Schulman über die Vergangenheit und die Gegenwart, wobei die gegenwärtigen Kapitel zeitlich rückwärts erzählt werden. Komplex und herausfordernd, aber sehr gelungen, denn so gelingt es Schulman, nach und nach ein Bild aus allen kleinen Puzzleteilen zusammenzusetzen, dessen Wahrheit den Leser:innen durch Mark und Bein geht.

    Gleichzeitig entwickelt sich so beinahe ein zweigleisiger psychologischer Spannungsroman mit Cliffhangern, die erst klar werden, wenn man das nächste oder übernächste Kapitel gelesen hat.

    Genauso stark sind die Worte, die Schulman findet. Insbesondere in den Kindheitsepisoden entfalten sie eine enorme Kraft, die mich sehr berührt hat und für eine permanente Gänsehaut sorgte. Ob es die Naturbeschreibungen sind oder insbesondere die Gefühle der Jungen, die permanent zwischen Liebe und Hass, zwischen Zusammenhalt und Ablehnung changieren - Schulman kreiert hier einen Höhepunkt der Coming-of-Age-Literatur und Szenen, die man schwer vergisst und in ihrer Melancholie ein wenig an Stephen Kings "Die Leiche" (Film: "Stand By Me") erinnern.

    Auch die Figurenentwicklung überzeugte mich. Nicht nur die Brüder, auch die über weite Strecken versagenden Eltern sind fein und ambivalent gezeichnet. Wobei sich Schulman in erster Linie auf Protagonist Benjamin konzentriert und seine Empathie für diese Figur sich nahtlos auf mich übertrug. Nicht nur altersmäßig in der Mitte der Brüder, ist er es, der es sich zur Aufgabe macht, die Familie zusammenzuhalten. Und Benjamin ist es auch, der zwischen dem aufgeregt-aggressiven, vernachlässigten kleinen Pierre und dem desinteressiert-klugen großen Bruder Nils vermittelt.

    Seine erste kleine Schwäche zeigt der Roman ausgerechnet im Finale mit einer völlig unerwarteten Wendung, die ein wenig plötzlich und überkonstruiert wirkt. Dennoch schmälerte diese für mich nicht die herausragende Gesamtqualität des Buches.

    Für mich ist "Die Überlebenden" eines meiner Lesehighlights des Jahres - und ein sehr kluger und neuer Beitrag zur Coming-of-Age-Literatur.

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  1. Die Idylle trügt

    Ein Haus in Schweden mit direktem Zugang zum Wasser – wer träumt nicht davon? Die Brüder Benjamin, Pierre und Nils in dem Roman „Die Überlebenden“ von Alex Schulman haben das Glück – doch die Idylle trügt…

    In diesem Jahr scheinen Bücher, in denen (mindestens) ein Elternteil an Alkoholsucht leidet (und mit ihnen die Kinder), Hochkonjunktur zu haben. Denn dies ist bereits mein dritter Roman dieser Art. Nun gut, so lange sie alle auf so konstant hohem Niveau geschrieben sind…

    Die drei Brüder Benjamin, Pierre und Nils nehmen Abschied – von ihrer Mutter, deren Asche sie auf dem See verteilen, an dem das Ferienhaus ihrer Eltern steht und an dem sich vor Jahren Schreckliches ereignete. Was das ist, erfährt die geneigte Leserschaft aus der Erinnerung von Benjamin.

    Für den Part der Gegenwart hat sich Alex Schulman einen – wie ich finde – großartigen Kniff ausgedacht: er erzählt im 2-Stunden-Rhythmus die Geschichte rückwärts; die ersten Sätze eines „Zeitabschnitts“ sind die gleichen, die das Ende des nachfolgenden Zeitabschnitts „bilden“. Klingt verwirrend? Ist es zunächst auch, macht aber Spaß beim Lesen.

    Zwischen den Zeitabschnitten tauchen die Leserinnen und Leser dann tief ein in die Erinnerungen von Benjamin, die auch (teilweise) Dinge aus der Gegenwart aufgreifen. Peu à peu erhält man so ein umfangreiches Mosaik einer mit Widersprüchen ausgestatteten Jugend der drei Geschwister. Denn die (scheinbare) Idylle trügt…

    Am Ende explodiert dann leider eine in meinen Augen unnötige Dramatikbombe, die der Roman eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte. Allerdings ergibt sich damit (mit etwas Abstand gesehen) ein „rundes“ Bild bzgl. des Titels „Die Überlebenden“.

    Die schöne poetische Sprache will vermeintlich gar nicht so zur Dramatik der Geschichte passen – und doch kann man sich kaum von ihr lösen und man will einfach immer nur weiterlesen.

    Die schon angesprochene Bombe verhindert den 5* - so werden es sehr gute 4* für ein nachhaltiges Lesevergnügen, dass hiermit allen Leserinnen und Lesern anspruchsvoller und poetisch formulierter Literatur ans Herz gelegt wird.

    ©kingofmusic

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  1. Einfach nur wow!

    Covertext:

    „Nach zwei Jahrzehnten kehren die Brüder Benjamin, Pierre und Nils zum Ort ihrer Kindheit zurück – ein Holzhaus am See –, um die Asche ihrer Mutter zu verstreuen. Eine Reise durch die raue, unberührte Natur wie auch durch die Zeit. Im Kampf um die Liebe der Mutter, die abweisend und grob, dann wieder beinahe zärtlich war, haben die Jungen sich damals aufgerieben bis zur Erschöpfung. Heute fühlen sie sich so weit voneinander entfernt, dass es kein Aufeinander-Zu mehr zu geben scheint. Und doch ist da dieser Rest Hoffnung, den Riss in der Welt zu kitten, wenn sie sich noch einmal gemeinsam in die Vergangenheit vorwagen.“

    Das Kennenlernen der Protagonisten erleben wir durch einen sehr traurigen und eisigen Moment - den Tod der Mutter. Autor Alex Schulmann nimmt uns somit gleich und sofort mit in den traurigsten Moment mit hinein. Wir erleben die Protagonisten an der empfindlichsten Stelle.

    Generell ist diese komplette Story rund um die drei Brüder äußerst bewegend und emotional, denn das was wir Hörer hier dargeboten bekommen ist für viele mit Sicherheit erschreckend, weil sie es ebenso kennen oder erfahren haben. Wir erfahren durch den Sprecher, Fabian Busch, die wahrlich verzweifelte Suche nach Mutterliebe. Die Kinder haben sich danach verzehrt, aber sie immer nur häppchenweise oder manchmal auch gar nicht erfahren. Dieser ständige Kampf darum war schlussendlich ein Kampf aller drei Brüder eben um die Anerkennung und Liebe zur Mutter. Das dies auslaugt, ja sogar einem die komplette Energie rauben kann, erfahren wir hier sehr bewegend. Wie der Titel bereits verrät, sind sie Überlebende ihrer Familie. Nunmehr haben sie aber den Halt zueinander sogar verloren, die Kraft ist raus darum zu kämpfen, der Kampf füreinander ist gescheitert, sie entfremden sich. Als Hörer bekommt man dadurch eine gewisse Wut auf die Mutter, als wäre es die Rache aus dem Jenseits, der großer Lacher aus der Dunkelheit. Dass der Tod der Mutter aber dennoch eine gewisse Hoffnung dadurch mit sich bringt, wird hier äußert gekonnt und sensibel erzählt.

    Egal ob Autor oder Sprecher, diese Geschichte ist so tiefgründig, so bewegend, so…man muss tatsächlich aufpassen, nicht ständig selbst den eigenen Gedanken nachzuhängen die dabei entstehen. Ich denke, einige Hörer, oder auch Leser, werden sich hier drin wieder finden und sich ihren Teil dazu denken….Selten so ein emotionales und tiefgreifendes Hörbuch gehört, welches perfekt umgesetzt und interpretiert wurde. Hier stimmt von der Betonung bis hin zum Ausdruck wirklich alles. 5 von 5 Sterne

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  1. 5
    07. Okt 2021 

    Bullerbü ist anderswo

    Irgendwo in Schweden, ein Holzhaus am See - man könnte meinen, man sei bei Astrid Lindgren. In dieser Idylle verbringen die Eltern mit ihren drei Söhnen gemeinsam die Sommer, doch der Schein trügt.
    "Sie saßen immer nebeneinander, Schulter an Schulter, denn beide wollten aufs Wasser schauen. Die weißen Plastikstühle ins hohe Gras gebohrt, ein schiefer kleiner Holztisch, auf dem die fleckigen Biergläser in der Abendsonne glänzten. (...) Im Gras zwischen ihnen eine Kühltasche, die den Wodka bereithielt."
    Während Vater und Mutter sich dem Alkohol hingeben, überlassen sie ihre Söhne weitestgehend sich selbst. Was zu Beginn wie die unbeschwerte freie Kindheit dreier Jungen anmutet, ist deren teilweise verzweifeltes Bemühen, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu erlangen.
    Doch ich greife vor. Die Geschichte beginnt mit dem Erscheinen eines Polizisten, der wegen eines Notrufes bei diesem Holzhaus erscheint, wo er drei Männer vorfindet.
    "Sie weinen, halten sich im Arm. Sie tragen Anzug und Krawatte. Neben ihnen im Gras steht eine Urne."
    Es sind die drei erwachsenen Brüder, die den Wunsch ihrer kürzlich verstorbenen Mutter erfüllen wollen, ihre Asche an diesem See zu verstreuen. Ausgehend von dieser Szene geht Alex Schulman kapitelweise zurück in die Vergangenheit, abwechselnd mit Kapiteln aus der Kindheit der Jungen, die ihrerseits in die Zukunft führen bis zu dem Punkt, der den endgültigen Bruch der Familie bedeutet und wo die beiden Erzählstränge zusammenlaufen.
    Von Beginn ist die scheinbar so heile Welt eine trügerische, denn bereits im ersten Kapitel der Kindheit zeigt sich eine Gleichgültigkeit der Eltern, die sogar das Leben der Kinder gefährdet. Jeder der Jungen versucht auf seine Weise damit klar zu kommen: Nils, der Älteste, zieht sich fast vollständig von allem zurück; Pierre, der Jüngste, ist ständig rastlos und ungestüm; und Benjamin, der Ich-Erzähler, nimmt eine Beobachterposition ein, häufig mit dem Versuch zu vermitteln. Als ein Unglück geschieht, ist der letzte Zusammenhalt in der Familie dahin.
    Obwohl die Handlung eher ruhig verläuft, entsteht durch die Intensität von Schulmans Beschreibung der Lebenssituation der Jungen wie auch deren Erleben in der Natur und der Familie durchweg eine solche Spannung, die durchaus eines Kriminalromans würdig ist. Lediglich das Ende, das mit einer schockierenden Wendung aufwartet, hinterlässt einen etwas schalen Nachgeschmack - es wirkt etwas zu aufgesetzt, zu sehr à la Hollywood. Doch es ist nur ein kleiner Einwand bei diesem ansonsten anrührenden, hervorragend geschriebenen und auch psychologisch überzeugenden Buch.

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  1. "Der äußerste Ring auf dem Wasser"

    "Das Gewicht all dessen, was in diesem Moment passiert, ist groß, doch das meiste ist längst geschehen. Was sich hier auf der Steintreppe abspielt, das Weinen der drei Brüder, die geschwollenen Gesichter und all das Blut, ist nur der letzte Ring auf dem Wasser, der äußerste, der am weitesten vom Einschlagpunkt entfernt ist."

    Drei erwachsene Brüder dem Sommerhäuschen im Wald gefahren, an dem sie die Sommer ihrer Kindheit verlebt haben. Im Gepäck haben sie die Urne mit der Asche ihrer Mutter: es war deren letzter Wunsch, dass ihre Asche im nahe gelegenen See verstreut werden solle. Einen Tag lang halten sich die Brüder am See auf, erinnern sich an die gemeinsamen Ferien, ihre kindlichen Abenteuer und an die Eltern (der Vater verstarb noch vor der Mutter). Und es endet damit, dass sie sich prügeln.

    Der Roman "Die Überlebenden" hat zwei Zeitstränge. Einmal den Strang der Vergangenheit, in dem einzelne Kapitel aus dem Familienleben aufgeblättert werden: Die Sommer am See sind kein Idyll. Die Kinder sind sich selbst überlassen, während die Eltern - akademisch gebildet beide, aber Karriere haben sie anscheinend nicht gemacht - am Seeufer sitzend ununterbrochen trinken; meistens sind sie schon mittags blau. Bisweilen ruft der Vater zu gemeinsamen Unternehmungen auf, verliert aber schnell wieder das Interesse an den Kindern. Die Mutter ist launisch und unberechenbar; manchmal spielt sie sich als strafender Elternteil auf, dann wiederist ihr alles egal. Die Brüder suchen auf unterschiedlicher Weise damit fertig zu werden. Nils, der Älteste, zieht sich vor der Familie zurück, Pierre, der Jüngste, reagiert mit wachsender Wut und Gewaltbereitschaft. Das Sandwichkind Benjamin - aus dessen Sicht erzählt wird - sucht einen Mittelweg durch die die wechselnden Launen der anderen. Sich selbst überlassen stromern die Kinder allein im Wald herum, bis Benjamin durch einen Unfall an einem Trafohäuschen beinahe ums Leben kommt und bleibende Schäden davonträgt. Der andere Erzählstrang, der die Gegenwart mit der Urne am See wiedergibt, wird auf unkonventionelle Weise erzählt, nämlich von hinten nach vorne: das erste Kapitel gibt die Szene am Abend (mit der Prügelei) wieder, das letzte die frühen Morgenstunden davor.

    Der Autor spart nicht mir symbolträchtigen Bildern. Dazu gehört das eingangs zitierte Bild der Wellenringe auf dem See, die sich vom Einschlag her nach außen ausbreiten, aber auch ein anderes, eine Bootsfahrt: Die Brüder erinnern sich, dass sie ein vor Jahren ausgelegtes Netz vergessen haben, und rudern hinaus, um es einzuholen. Darauf gefasst, dass sie Unmengen verrottete Fische nach oben holen werden, ziehen sie an der Schnur. "Wir müssen darauf gefasst sein, dass das jetzt ziemlich eklig wird." Doch bevor sie die Last des Netzes ans Licht gebracht haben, reißt die Schnur und der faulige Inhalt versinkt uneinholbar auf den Grund. Auf beinahe jeder Seite wird deutlich, in welchem Grade die drei "überlebenden" Brüder die traumatischen Ereignisse ihrer Kindheit zu verarbeiten suchen. Auch im Erwachsenenalter ist ihnen eine unbefangene, liebevolle Begegnung mit den Eltern nicht möglich gewesen; jeder trägt seine Kindheit wie eine Last. Andererseits ist die Erzählung durchsetzt mit kleinen, kostbar anmutenden Erinnerungen, wie Goldfäden in einem düsteren Gewebe - die Windbewegung in einem Birkenhain, Skitouren durch den verschneiten Wald, Blaubeerpflücken, die Begegnung mit einem Elch. Hier zeigt sich, bei aller Bedrückung durch das Leben in einem Alkoholikerhaushalt, die Resilienz, die Kinder aufbringen können (was wohlgemerkt keine Entschuldigung für die Eltern sein soll).

    Der Autor überzeugt mit einer einfühlsam erzählten, stimmungsvollen Familiengeschichte. Jedes Kapitel wirkt inspirierend, lädt zum Weiterdenken ein, lässt der Phantasie Raum. Das Buch hat mir hervorragend gefallen. Leider scheint in den letzten Kapiteln plötzlich ein Knalleffekt auf, der wohl mit der Absicht eingebaut wurde, alles noch einmal in einem neuen Licht erscheinen zu lassen, mir persönlich aber unnötig dramatisierend und reißerisch erscheint. Der Autor macht deutlich, in welch ungeheuerlichem Maße die ganze Familie die Vergangenheit verdrängt oder umgedeutet hat; andererseits tun sich durch die neue Lesart auch Widersprüche auf, die beim besten Willen nicht aufzulösen sind. Ich fand das seh schade um einen Roman, der bis dahin mit unaufdringlichem und einfühlsamem Erzählton uneingeschränkt überzeugt. Ein Punkt Abzug für ein sonst hervorragendes Buch.

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  1. Eine dysfunktionale Familie

    Benjamin, Nils und Pierre sind inzwischen erwachsen. Sie kommen nach zwanzig Jahren zurück an das Haus am See, um die Asche der Mutter zu verstreuen. Es war ihr letzter Wunsch. Hier im ehemaligen Sommerhaus der Familie treten die alten Konflikte zutage. So unterschiedlich die Jungen waren, so unterschiedlich sind auch ihre Erinnerungen an die dort verbrachten Sommertage.
    Der schwedische Autor Alex Schulmann wählte eine ungewöhnliche Art des Erzählens. Er beginnt in der Gegenwart und arbeitet sich mal zurück und dann wieder nach vorne. Erzählt wird aus der Sicht des Ich-Erzählers Benjamin. Es erschließt sich erst nach und nach, wie sich die Brüder langsam voneinander entfernten und wie ihr Leben durch die Vergangenheit geprägt wurde. Nun sind sie zurück an dem Ort der Kindheit und hoffen, dass sie wieder zu alter Vertrautheit finden.
    Es sind keine idyllischen Aufenthalte am See. Die Eltern kümmern sich wenig um die Jungen, sie haben mit sich selbst und dem Alkohol genug. Zwischendurch fordert der Vater sie, ohne sich für das Ende seiner initiierten Wettkämpfe zu kümmern. Mal ist er nett, dann aber wieder straft er die Jungen sehr hart. Die Mutter mischt sich nicht ein und ist ziemlich gefühlskalt. Die Jungen buhlen um ein wenig Zuneigung von ihr.
    Es ist eine bedrückende Geschichte, die manchmal schwer zu ertragen ist, und doch zieht sie einen in den Bann. Die Wendung, welche die ganze Tragik erste deutlich macht, hat mich überrascht.
    Ein ungewöhnlicher Roman, der erschüttert und noch lange nachhallt

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  1. 5
    01. Okt 2021 

    Idylle und Verwahrlosung

    In “Die Überlebenden” führt uns Alex Schulmann in eine Familie hinein, in der Idylle und Chaos so nah beieinanderliegen, dass oftmals Grenzen verschwinden und der Leser mit staunenden Ohren und Augen versucht, der Stimmung zwischen den Familienmitgliedern nachzuspüren. Das ergibt ein ganz besonderes und sehr intensives Leseerlebnis, das das Buch zu einer kleinen Leseperle werden lässt.
    Worum geht es:
    Eine schwedische Familie mit 3 Jungen verbringt regelmäßig ihre Ferien in einem Haus am See, in der einerseits eine schwedische Bullerbü-Idylle herrscht, in der andererseits aber auch immer ein Hauch von Verwahrlosung und mangelnder Elternaufsicht heraussticht. Die Jungen schwimmen, jagen, angeln, durchforsten die Wälder. Sie leben miteinander zwischen zutiefst brüderlichem Zusammenhalt und klarer Abgrenzung und Gruppenbildung. Sie bilden füreinander Rückhalt, aber gleichzeitig auch immer wieder unterschwellig eine gefährliche Rivalität. Diese unterschwellige Gefährdung aus der Idylle heraus ist eine Stimmung, die der Autor in dem Roman exzellent in Worte zu bringen vermag.
    In einer zweiten Zeitebene des Romans treffen wir die Brüder wieder, als sie im Erwachsenenalter an den Ort ihrer Sommerkinderferien zurückkehren, um dem überraschenden Wunsch der Mutter zu entsprechen und ihre Asche über dem See zu verstreuen. Ihr Verhältnis zueinander hat sich entwickelt aus beiden Elementen der Kindheit heraus. Zusammenhalt und Rivalität. Und immer ist da eine Erinnerung an ein unausgesprochenes Erlebnis, das damals vieles verändert hat und bis in die Erwachsenenzeit hinein seinen Nachhall hat.
    Die Erinnerungen an die Kindheit zeigen ein zerrissenes Familienbild:
    " Er und seine Brüder waren in einem Oberklassenhaushalt aufgewachsen, und doch unterhalb des Existenzminimums. Erzogen wie Adlige und darauf gedrillt, den Rücken stets gerade zu halten… Doch es gab kein Geld, beziehungsweise: Nur wenig davon wurde in die Kinder investiert. Die akademische Erziehung war ein halbherziges Projekt, mit Pomp und Getöse begonnen, aber nie zu Ende gebracht. “
    Als der Autor dem Leser dann zum Schluss an das im Roman immer wieder umkreiste, alles verändernde Erlebnis heranführt und das Rätsel auflöst, bringt das in Wirklichkeit wenig Neues in die Geschichte hinein. Ob dieser „Knall“ am Ende notwendig war, darüber mag man streiten. Für mich lebt dieser Roman aus der ganz besonders gestalteten faszinierenden und verstörenden Stimmung heraus (auch ohne diese „Auflösung“) und bekommt deshalb von mir gute 5 Sterne.

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  1. Ein Sommer, der alles verändert hat

    20 Jahre ist es her, dass ein Ereignis am Sommerhaus am See die Familie von Benjamin, Nils und Pierre erschüttert hat. Mehrere Wochen haben die drei Brüder in einer einsamen Gegend Schwedens mit ihren Eltern verbracht. Schon damals war ihre Kindheit nur auf den ersten Blick idyllisch. Nun, zwei Jahrzehnte später, haben sich die Brüder entfremdet. Doch ein Brief mit dem letzten Willen ihrer Mutter bringt sie dazu, zum Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Was ist damals passiert?

    „Die Überlebenden“ ist der Debütroman von Alex Schulman.

    Meine Meinung:
    Der Roman hat zwei Teile, die 24 Kapitel beinhalten. Es gibt zwei sich abwechselnde Erzählstränge. Die eine Ebene handelt von den jüngeren Ereignissen rund um den Tod der namenlosen Mutter. Dabei wird rückwärts im Präsens erzählt. Der andere Strang besteht aus Rückblicken in die entferntere Vergangenheit, vorwiegend den Erlebnissen während des Sommers vor 20 Jahren am Ferienhaus. Dieser ungewöhnliche Aufbau funktioniert sehr gut.

    Sprachlich ist der Roman sehr beeindruckend. Starke Bilder, gelungene Naturbeschreibungen und eine dichte Atmosphäre machen den unaufgeregten, aber zugleich intensiven Schreibstil aus.

    Die drei Brüder stehen im Fokus der Geschichte, wobei ein besonderes Augenmerk auf Benjamin liegt. Auch die Eltern spielen eine große Rolle. Die Protagonisten sind mir allesamt unsympathisch. Mehr noch: Vor allem das Verhalten der Eltern, aber in etwas abgeschwächter Form auch das der Brüder hat mich in vielen Szenen abgestoßen und befremdet.

    Inhaltlich bietet der Roman auf knapp 300 Seiten ein ganzes Spektrum an Problemen. Es geht um Alkoholismus, Vernachlässigung, Aggressionen, Krankheiten, Trauer, Einsamkeit, Schuld und derartiges mehr. Dargestellt wird eine durch und durch dysfunktionale Familie, in der die Kinder mit fragwürdigen Methoden um die Gunst der Eltern konkurrieren müssen. Auffällig ist die Abwesenheit von Liebe - einerseits zwischen Mutter und Vater, andererseits zwischen den Eltern und ihren Söhnen. Zudem geht es um einen dramatischen Vorfall, der die Familienmitglieder zusätzlich entzweit hat.

    In zweifacher Hinsicht schwächelt der Roman in meinen Augen. Zum einen bleiben auch nach dem überraschenden Ende, das ein neues Licht auf das zuvor Geschilderte wirft, zu viele Fragen offen. An einigen Stellen bleibt der Roman so vage, dass es mir schwergefallen ist, die Lücken mit eigenen Interpretationen zu füllen. Zum anderen schafft es die Geschichte trotz der heftigen Thematik erst im letzten Drittel, mich emotional wirklich zu bewegen. Über weite Strecken ist die Distanz zu den Charakteren leider zu groß. Das ist umso bedauerlicher, als der Autor in dem Buch seine eigenen Erfahrungen mit seinen Brüdern und seiner alkoholkranken Mutter verarbeitet hat.

    Warum auf dem Cover nur zwei statt drei Jungen abgebildet sind, erschließt sich mir auch nach der Lektüre nicht. Der deutsche Titel, der sich stark am schwedischen Original („Överlevarna“) orientiert, passt jedoch ausgesprochen gut.

    Mein Fazit:
    „Die Überlebenden“ von Alex Schulman ist ein aufrüttelnder Roman, der mich immer wieder fassungslos gemacht hat. Seine raffinierte Erzählkunst hat mich begeistert. Inhaltlich hat mich das Buch hingegen nicht gänzlich überzeugt.

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  1. 4
    29. Sep 2021 

    Zurück in die Vergangenheit

    Der schwedische Autor Alex Schulman ist in Deutschland bisher ein Unbekannter ( das dürfte sich nach diesem Roman ändern). In seiner Heimat hat er sich als Fernsehmoderator, Blogger und Schriftsteller einen Namen gemacht. Sein Memoir „ Glöm mig“ über seine alkoholkranke Mutter wurde 2017 in Schweden zum Buch des Jahres gewählt. „Die Überlebenden“ ist sein Debutroman.
    Drei Brüder treffen sich nach Jahren wieder am ehemaligen Ferienhaus der Familie, um den letzten Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen. Ihre Asche soll am Ufer des Sees verstreut werden.
    Dieser Erzählstrang, der in der Gegenwart spielt, wechselt kapitelweise mit dem Rückblick in die Vergangenheit. Damals verbrachte die Familie jedes Jahr den Sommer an ihrem abgelegenen Ferienhaus am See. Trotz der malerischen Landschaft ist es keine Idylle, die hier beschrieben wird. Beide Eltern sind Alkoholiker; sie verbringen ihre Tage trinkend mit Blick auf das Wasser. Die drei Jungs, die zu Anfang dreizehn, neun und sieben Jahre alt sind, bleiben meist sich selbst überlassen. Sie versuchen zwar immer wieder die Aufmerksamkeit der Eltern zu bekommen, doch das klappt oft nur kurz. Der Vater animiert die Söhne zu waghalsigen Unternehmungen, um gegenseitig in Konkurrenz zu treten, aber das Ergebnis interessiert ihn schon nicht mehr. Die Mutter ist launisch und unberechenbar, ihre Strafen sind grausam. Die Jungs entwickeln unterschiedliche Strategien, um mit der Situation klarzukommen. Benjamin, der mittlere der drei Brüder, hält sich ständig in der Nähe der Eltern auf, beobachtet und belauscht sie und registriert wie ein Seismograph deren wechselnde Stimmungen. Nils, der Älteste, sondert sich ab, blendet das Familienleben weitgehend aus, während Pierre aggressiv und brutal wird.
    Der Leser leidet mit den Kindern und ist entsetzt über das Verhalten der Eltern. Es gibt zwar unbeholfene Versuche von Vater und Mutter, Nähe herzustellen, aber meist sind sie viel zu betrunken, um ihrer Aufgabe als Eltern nachzukommen.
    Der Leser erfährt dies alles aus der Perspektive Benjamins und bekommt so einen tiefen Einblick in dessen Seele. Sein anfangs noch kindlicher Blick berührt und bewegt. Es liegt eine unterschwellige Trauer über allem. Irgendetwas muss geschehen sein, woran die Familie schließlich ganz zerbrochen ist. Weshalb sind sich die Brüder mit den Jahren so fremd geworden? Am Ende wartet der Autor mit einer unvorhergesehenen Wendung auf, die dem Leser erstmal den Atem nimmt. Doch dann fragt man sich, ob es diesen Schock überhaupt gebraucht hätte. Das Ganze lässt sich auch als die Geschichte einer dysfunktionalen Familie lesen.
    Aber unabhängig davon, wie man das Ende bewertet, ist Alex Schulman ein großartiger Roman gelungen.
    Seine Sprache überzeugt mit präzisen Schilderungen, einprägsamen Bildern und einem eigenen Rhythmus. Er schafft Spannung und eine eigentümliche Stimmung. Seine Figuren sind in ihrer Gebrochenheit glaubhaft, vielschichtig und psychologisch interessant.
    Besonders ist die Struktur des Romans. Während die Gegenwartsebene, der Tag der Urnenbeisetzung, rückwärts erzählt wird, sind die Kapitel, die in der Vergangenheit spielen, chronologisch angelegt, so dass sich beide Ebenen langsam annähern und treffen. Das erzeugt eine ungewöhnliche Dynamik.
    „ Die Überlebenden“ ist ein literarisch gelungener Roman über Verletzungen und Traumata in der Kindheit, die bis ins Erwachsenenalter weiterwirken. Dass nicht alle Fragen beantwortet werden und so Raum bleibt für eigene Interpretationen, beurteile ich im Nachhinein positiv. Das Ende ist versöhnlich.

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  1. Vom schwedischen Sommer.

    Kurzmeinung: Sehr naturnahe Schilderungen mit besonderen Stilmitteln. Like.

    In dem zweiten Roman von Alex Schulmann, wenn man die Veröffentlichung seiner Memoiren 2017 als ersten Roman wertet, widmet sich der Autor einer liebevollen, aber leicht dysfunktionalen Familie, die jeden Sommer in den Wäldern Schwedens Urlaub macht.

    Drei Jungs sind im Sommeridyll am Fluss mehr oder weniger sich selbst überlassen. Die Eltern vernachlässigen ihre Fürsorgepflicht und picheln sich jeden Tag einen, was sie ziemlich unberechenbar in ihren Reaktionen macht, aber den Kindern kann ja sowie so nichts passieren, im Nirgendwo ist keiner, der ihnen Böses will und die drei Jungs sind für ihr Alter ziemlich selbständig. Die einzige Gefahrenquelle sind eigentlich die Eltern selber.

    Im Nachhinein wird jeder der drei Jungs eine eigene Sicht auf das Sommeridyll und auf die Eltern haben. Denn nach deren Tod treffen sich die Brüder noch einmal am Sommerhaus, ringen gemeinsam, miteinander und gegeneinander, um die Deutungshoheit über ihre Kindheit und verstreuen die Asche ihrer Mutter.

    Der Kommentar:
    Der Roman „Die Überlebenden“ zeugt von großer Naturliebe und weist mancherlei bezaubernde Stilmittel auf. Die Sprache ist einfach nur wunderschön und der Ton des Buches ist eindringlich und sanft, melancholisch und nur ganz leise bedrohlich. Die Protagonisten sind phantasievoll und völlig kitschfrei entwickelt mit Liebe zum Detail. Man folgt dem Roman sehr gerne in den Wald hinein, geht mit zum Schwimmen im kalten See/Fluss und entdeckt mit den stromernden Jungs das Surren und Knistern der Stromleitungen, dem einzigen menschengemachten Geräusch im Wald. Am Schluss kommt der Autor mit einer großen Überraschung um die Ecke.

    Fazit: Ein wunderschöner Roman über eine dysfunktionale Familie. Wie es ist, im Dunstnebel alkoholisierter Eltern aufzuwachsen. Das Ganze hätte ganz wunderbar funktioniert, auch ohne dass der Autor seinen Roman mit einer thrillermässigen Überraschung aufpeppt. Sicherlich ist der Roman deshalb ein Bestseller, aber er schleudert den Roman ganz zum Ende hin doch noch in eine Ramschecke, wo er eigentlich nicht hingehört hätte. Dennoch bleiben vier Sterne übrig. Weil alles Übrige so genial ist. Er hätte aber fünf Sterne bekommen, wenn er bei der Sozialstudie geblieben wäre.

    Kategorie: Gute Unterhaltung
    Verlag:dtv, 2021

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  1. Familie kann man sich nicht aussuchen...

    Mir wurde so oft von diesem Roman vorgeschwärmt, dass ich mir nun auch eine Meinung bilden musste. Und ja ihr solltest dies auch tun.

    In der Geschichte geht es um die drei Brüder Nils, Pierre und Benjamin, deren Mutter gerade verstorben ist. Sie begeben sich mit der Urne zum Sommerhaus, der Ort ihrer Kindheit. Werden Erinnerungen wach? Und warum waren sie seit so langer Zeit nicht mehr dort?

    Der Roman schildert die Kindheit der Jungen über Rückblenden und die Gegenwart wird rückwärts erzählt, was ich als sehr besonders empfand und mir noch nie in ähnlicher Form begegnet ist.

    Bereits auf den ersten Seiten spürt man unterschwellig, dass in der Familie etwas passiert sein muss, was keiner je verdaut und verarbeitet hat. Das Geheimnis wird erst ganz zum Schluss geliefert und sorgte bei mir für enormes Erstaunen.

    Das Verhalten der Eltern hat mich am meisten bewegt, denn oft wollte ich sie schütteln, dass sie mal mehr für die Kinder und nicht nur etwas für sich tun.

    Die Brüder haben jeder für sich ihr Päckchen zu tragen. Ich hatte für jeden vollstes Verständnis und konnte mich gut einfühlen, einen Liebling unter den Dreien hatte ich jedoch nicht.

    Schulman zeigt sehr eindrücklich was Alkoholkonsum mit einer Familie machen kann und wie durch falsche Interpretation früherer Ereignisse Zwist unter Geschwistern entstehen kann. Nur weil man bei jemanden die Schuld vermutet, muss dies nicht stimmen.

    Der Schreibstil des Autors ist fesselnd, man fliegt nur so durch die Seiten. Die Kapitel sind angenehm lang, so dass sich auch spät abends gut nochmal ein paar Seiten lesen lassen.

    Fazit: Eine besondere Familiengeschichte, die mich berührt hat. Daher eine ganz klare Leseempfehlung von mir.

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  1. 5
    24. Sep 2021 

    Ein Funken Hoffnung

    In dem letzten Brief an ihre Söhne wünscht sich die Mutter, dass ihre Asche am Waldsee verstreut wurde; an dem Ort, an dem die Familie die größte Tragödie ihres Lebens erlebt hat. Es passierte vor zwanzig Jahren; seitdem waren Benjamin, Pierre und Nils nicht mehr dort gewesen. Die Tragödie hat damals die ganze Familie zuerst emotional und, später auch im wahrsten Sinne des Wortes, auseinandergebracht.
    Jetzt fahren die drei Brüder hin und wollen den letzten Wunsch der Mutter erfüllen. Nach und nach kommen die Erinnerungen an ihre Kindheit und an die Ferien am See zurück, an das tragische Ereignis, an die Zeit danach. Und zum ersten Mal sprechen die Brüder offen über das Erlebte miteinander.

    Die Ereignisse aus der Vergangenheit wurden aus der Perspektive von Benjamin erzählt. Nach und nach wurde es klar, was sich hinter dem idyllischen Bild einer Familie, die ihre Sommerferien am Waldsee verbringt, wirklich verbarg. Ich gewann den Eindruck, dass die Eltern vor allem ihre Ruhe haben wollten und ihre Freizeit mit einem enormen Alkoholkonsum begossen haben. Die Jungs konnten die Ferienzeit nach eigenem Ermessen gestalten. Von Zeit zu Zeit dachte sich der Vater besondere Aktivitäten für seine Söhne aus, wie zum Beispiel Wettschwimmen ohne Aufsicht, in dem dunklen, kalten See, wovor die Kinder richtige Todesangst hatten.

    Es tut fast weh den Erinnerungen von Benjamin zu lauschen. Die Brüder, damals 7, 9 und 13 Jahre alt, sind von Charakter her sehr unterschiedlich, aber alle drei lechzten nach Elternliebe und wollten um jeden Preis ihre Zuneigung gewinnen. Sie können einen nur leidtun, denn mit den seltsamen Erziehungsmethoden der Eltern musste jeder von ihnen allein zurechtkommen.

    Diese Geschichte, obwohl sehr ruhig, besonnen und gelassen erzählt, weckt starke Emotionen. Ich konnte das Verhalten der Eltern nicht begreifen; so wie sie ihre Kinder vernachlässigten, ihren Kinderseelen ständig Verletzungen zufügten - für mich einfach unfassbar. Dieses unreife Verhalten der Eltern hat die Zukunft der ganzen Familie gebrandmarkt.

    „Die Überlebenden“ ist ein außergewöhnlicher Roman, der von Anfang an fesselt, erschüttert und oft zu Tränen rührt. Eine tragische Familiengeschichte, die nachdenklich stimmt und zum Schluss ein Funken Hoffnung für eine friedliche Zukunft für die Überlebenden gibt.
    Absolut lesenswert!

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  1. Drei Jungen und ein Hund

    Manchmal sehe ich Dinge, die nicht da sind. Im Roman von Alex Schulman gibt es keine Berufe, dafür wird umso mehr geraucht. Freunde oder sonstige Besucher, bzw. andere Menschen, existieren auch nicht oder kaum. Also höchstens unwesentlich.

    Es gibt aber das Sommerhaus am See; Vater, Mutter, Benjamin, Pierre, Nils & Molly, den Hund.

    Benjamin ist die Hauptfigur, tritt aber nicht als Ich-Erzähler auf. Die Interaktion der Personen fand ich oft seltsam und dennoch nachvollziehbar.

    „Die Überlebenden“ beginnt mit dem Ende. Die Asche der Mutter soll unten am See beim Sommerhaus verstreut werden. Das war ihr letzter Wille und das stand in ihrem langen Abschiedsbrief. Zu dem Zeitpunkt lebte der Vater schon längst nicht mehr. Und die Brüder waren sich fremd geworden und hatten kaum noch Kontakt. Nun aber fahren sie gemeinsam, notgedrungen, wieder zum Ort ihrer Kindheit, wo sie zwanzig Jahre nicht mehr waren.

    Die ungeraden Kapitel mit Uhrzeit erschließen sich rückwärts im zwei-Stunden-Takt, im zweiten Teil sind sie gerade, aber immer noch rückwärts in die Vergangenheit gerichtet.

    In den Episoden dazwischen erleben wir besondere Vorkommnisse, zum Teil sehr intensive, auch sehr grausame, die kaum auszuhalten sind. Hier läuft das Geschehen vorwärts, es sind aber auch Erinnerungen eingestreut.

    Was machen drei Brüder und ein Hund da draußen an einem Sommerhaus am See? Sie schwimmen, sie laufen, sie angeln, sie gehen auf Erkundungstour in die umliegenden Wälder.

    Ein furchtbarer Unfall passiert, umrahmt von anderen Unfällen, die aber weniger schwerwiegend sind.

    Fazit: Ob der Trick, der hier angewandt wird, um dem Roman Leben und Intensität einzuhauchen, legitim ist, das mag jeder Leser individuell entscheiden. Ich jedenfalls war durchaus beeindruckt, hätte an ganz anderer Stelle Mystisches, Verdecktes vermutet. So vergebe ich verdiente vier Sterne.

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  1. Fällt ein Stein ins Wasser...

    Benjamin, Nils und Pierre, nach langen Jahren der Abwesenheit fahren die drei Männer zum letzten Mal zu ihrem ehemaligen Sommerhaus. Es war der letzte Wunsch ihrer Mutter, dass deren Asche dort am See verstreut wird. Die Brüder haben sich voneinander entfernt. An diesem Ort der Kindheit kommen sie wieder zutage: unverarbeitete Konflikte, ungesagte Erinnerungen.

    Der schwedische Schriftsteller Alex Schulmann erzählt in seinem Debütroman von den „Überlebenden“, von der Vergangenheit bis ins Heute und vom Heute in Rückwärtsschritten, bis sich jetzt und damals annähern.

    Wie wuchsen diese Jungs auf? Die Eltern waren Alkoholiker, Akademiker jedoch ohne jeglichen Ehrgeiz und Antrieb. Ein ständiges Schwanken zwischen dem Überschwang des Vaters und der herablassenden Gefühlskälte der Mutter. Es bahnt sich etwas in diesem letzten Sommer damals in dem roten Holzhaus am See. Etwas das so einschneidend ist, dass auch die schon längst erwachsenen Brüder davon zehren.

    Die abwechselnd vorwärts und rückwärts gerichteten Kapitel lassen eine gewisse Dynamik entstehen. Die endgültige Tragweite und Tragik des Geschehenen entfalten sich erst auf den letzten Seiten.

    „Das Gewicht all dessen, was in diesem Moment passiert, ist groß. Doch das meiste ist längst geschehen. Was sich hier…abspielt…ist nur der letzte Ring auf dem Wasser, der am weitesten vom Einschlagpunkt entfernt ist.“

    Wenn ein Stein ins Wasser fällt, sehen wir auf der Oberfläche noch einige Zeit die Kreise, die der Einschlag mit sich zieht. Doch der Stein selbst liegt schon lange verborgen am Grunde des Sees.

    Habe ich zunächst noch überlegt, worauf der Autor eigentlich mit seiner Geschichte hinauswill, was das Besondere - abgesehen von der Komposition der Erzählung, die fand ich von Anfang an genial - an dieser Geschichte sein sollte, kommt eine völlig überraschende Wendung, die alles in ein anderes Licht rückt.
    Ein großartiges Manöver, das nur ein Risiko mit sich bringt: beinahe hätte mich der Autor ab der Hälfte des Buches verloren.

    „Die Überlebenden“ ist also kein Buch für Ungeduldige. In diesem Buch über Familie, Zusammenhalt und Schuld läuft es am Ende auf eines hinaus: Versöhnung.

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  1. Lebenslange Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Liebe

    Alex Schulman, geboren 1976 in Schweden, ist in seiner Heimat als Journalist, Autor mehrerer autobiografischer Bücher über seine Familie, Blogger, Podcaster und aus Fernsehen und Radio sehr populär. Sein Romandebüt "Die Überlebenden" war in seinem Heimatland ein großer Erfolg, wobei schwedische Leser Teile seiner Familiengeschichte in dieser fiktionalen Erzählung wiederfinden.

    Drei Brüder
    Zu Beginn eine filmreife Szene: Drei Männer in schwarzen Anzügen und Krawatten sitzen in einer Juninacht auf der Steintreppe vor einem abgelegenen, verwitterten roten Sommerhaus am See und halten sich weinend im Arm. Neben ihnen steht die Urne mit der Asche ihrer Mutter, die sie nach deren letztem Willen im See verstreuen sollen. Benjamin, der mittlere der Brüder, hat die Polizei und einen Krankenwagen gerufen, denn kurz zuvor hätten sich Nils, der ältere, und Pierre, der jüngste, fast totgeschlagen. Was ist geschehen?

    "Was sich hier auf der Steintreppe abspielt, das Weinen der drei Brüder, die geschwollenen Gesichter und all das Blut, ist nur der letzte Ring auf dem Wasser, der äußerste, der am weitesten vom Einschlagpunkt entfernt ist." (S. 13)

    Eine außergewöhnliche Struktur
    Alex Schulman erzählt den Roman konsequent aus Benjamins Sicht. In zwei Teilen, untergliedert in insgesamt 24 Kapitel, wechseln sich zwei Zeitebenen ab. In der Gegenwartsebene wird der Tag der Urnenbeisetzung im Zweistundenrhythmus rückwärts erzählt. Dazwischen gibt es Episoden aus der Kindheit, später aus dem jugendlichen und dem Erwachsenenleben der Brüder, durch Schlüsselwörter verzahnt. Beide Ebenen nähern sich kontinuierlich an, bis sie zuletzt verschmelzen.

    Bei den Erlebnissen im ersten Teil aus dem letzten Sommer am See sind die Brüder dreizehn, neun und sieben Jahre alt. Die idyllische Umgebung steht in diametralem Kontrast zum überwiegend düsteren Alltag einer dysfunktionalen Familie, in der die Kinder nur selten die ersehnte Aufmerksamkeit und Liebe der Eltern erhalten. Vom Alkohol vernebelt demonstrieren die Eltern meist Desinteresse, sind launisch und unberechenbar, verhängen sadistische Strafen und riskieren leichtfertig das Leben ihrer Kinder. Krassestes Beispiel dafür ist ein vom Vater ausgerufener Schwimmwettbewerb, bei dem die Brüder fast ertrinken, die Eltern sich jedoch inzwischen ins Haus zurückgezogen und die drei vergessen haben.

    Unterschiedliche Strategien
    Benjamin ist der sensibelste unter den Brüdern, der Familienseismograf, der die Stimmungen präzise auslotet und sogar vorhersieht. Nils, begabt und Hoffnungsträger der Eltern, zieht sich so weit als möglich in seine eigene Welt zurück. Pierre wird mit den Jahren brutal und aggressiv nach außen, behält aber wie die anderen einen weichen, verletzlichen Kern.

    Das fehlende Puzzleteil
    Alex Schulman geht in "Die Überlebenden" den Fragen nach, wie es zur Entfremdung der Brüder kommen konnte und was das Leben in einer dysfunktionalen, von Schweigen bestimmten Familie auslöst. Selten hat mich ein Roman auf den letzten Seiten derart überrascht wie dieser, obwohl ich beim Lesen von Beginn an eine unerklärliche Unruhe verspürte. Erst ganz zum Schluss wurde mir klar, dass ein fehlendes Puzzleteil dafür verantwortlich war.

    Diese genial angelegte Wendung, die gekonnte Verzahnung der Zeitebenen, die erschütternden Kindheitserlebnisse und die stark verdichtete, mit beklemmenden Bildern unterlegte Erzählweise werden mir dauerhaft im Gedächtnis bleiben. Ich freue mich auf weitere Romane von Alex Schulman!

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  1. spannendes Familientrauma

    Das Cover ist unscheinbar - mein Interesse würde es nicht wecken.

    In "Die Überlebenden" finden nach dem Tod ihrer Mutter die drei Brüder Benjamin, Pierre und Nils wieder zueinander. Der letzte Wille der Mutter ist es, dass ihre Asche am Ufer des Sees verstreut wird, an dem die Familie früher viele Sommer verbracht hat. Zusammen schwelgen sie in den Kindheitserinnerungen und denken an alte Zeiten. Nach und nach erfährt man, was passiert ist in der Vergangenheit, und warum die Brüder keinen Kontakt mehr zueinander hatten. Eine Familiengeschichte die nachwirkt.
    Der Schreibstil ist toll und lässt sich super lesen - durch die Zeitwechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit wird ein Spannungsbogen aufgebaut, und man fliegt nur so durch die Zeiten. Erzählt wird das Buch aus der Sicht von Benjamin - dem mittleren Bruder. Man erhält somit auch einen sehr persönlichen Einblick in die Geschichte.
    Inhaltlich ist das Buch sehr emotional - und beschäftigt auch nach dem Lesen noch.

    Das Buch konnte mich absolut überzeugen und hat mich gefesselt - von mir gibt es eine Empfehlung für alle, die gerne Familienromane lesen.

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