Das späte Leben

Buchseite und Rezensionen zu 'Das späte Leben' von Bernhard Schlink
3.45
3.5 von 5 (16 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das späte Leben"

Martin, sechsundsiebzig, wird von einer ärztlichen Diagnose erschreckt: Ihm bleiben nur noch wenige Monate. Sein Leben und seine Liebe gehören seiner jungen Frau und seinem sechsjährigen Sohn. Was kann er noch für sie tun? Was kann er ihnen geben, was ihnen hinterlassen? Martin möchte alles richtig machen. Doch auch für das späte Leben gilt: Es steckt voller Überraschungen und Herausforderungen, denen er sich stellen muss.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:240
Verlag: Diogenes
EAN:9783257072716
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Rezensionen zu "Das späte Leben"

  1. 5
    05. Apr 2024 

    Über das Abschiednehmen

    „David, David.“ Er strich ihm über Kopf und Rücken, legte den Arm um ihn, zog ihn an sich. „Ich bin noch lange nicht tot. Und wenn ich sterbe und in den Himmel gehe, kommst du mit bis an die Tür, wir verabschieden uns, wie wir uns am Kindergarten verabschieden, und ich gehe rein…“ (78)

    Martin Brehm ist sechsundsiebzig als er von seinem Arzt die Krebsdiagnose gestellt bekommt. Nun weiß er, dass ihm nur noch wenige Monate zu leben bleiben. Auf diese schreckliche Nachricht reagiert er ziemlich nüchtern und scheinbar gefasst. Eine Chemotherapie lehnt er ab.
    Spätabend am Kamin, mit einer Flasche Wein, erzählt er seiner viel jüngeren Frau Ulla von der Diagnose. Sie ist zuerst erschüttert, dann überlegt sie, was sie noch gemeinsam unternehmen können. Wichtig wäre für sie, dass er dem sechsjährigen Sohn David, eine Botschaft hinterlässt.

    Tödliche Krankheit, eigentlich ein Todesurteil mit dem Martin sich arrangieren muss – das Thema des Romans ist ernst. Der Autor erzählt darüber sachlich, nüchtern, und dementsprechend ruhig und gelassen liest Ulrich Noethen es vor.

    Es fiel mir zuerst schwer, sowohl Martins Reaktion auf die Krebsdiagnose, wie auch seine weitere Vorgehensweise zu verstehen. Kurios fand ich Martins Brief an seinen Sohn, in dem er über philosophische Themen schreibt. Er hat ihn eigentlich für sich selbst geschrieben, und das merkt er schließlich auch.
    Doch wie sollte man die knappe Restzeit seines Lebens nutzen? Was kann man überhaupt noch tun, wenn die schleichende Krankheit an den Kräften zerrt? Wie kann man seine Liebsten darauf vorbereiten und vor den Folgen schützen?

    Es sind gravierende Fragen, auf die jeder von uns unterschiedlich antworten würde. Umso mehr war ich auf Martins Entscheidungen, auf seine Handlungen gespannt. Nicht immer konnte mich sein Verhalten überzeugen, aber es hat mich bewegt und nachdenklich gestimmt.

    Die empathische Art und Weise, mit der Ulrich Noethen, der Sprecher des Buches, es vorträgt, hat dazu beigetragen, dass ich beim Zuhören in die Geschichte versunken bin.
    Das Buch und Hörbuch sind wärmstens zu empfehlen.

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  1. 3
    09. Feb 2024 

    Zu viele Nebenthemen...

    Martin erfährt mit seinen 76 Jahren, dass sein Leben bald ein Ende haben wird: Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Wenige Wochen verbleiben noch, in denen er seine Dinge regeln kann, bevor die Krankheit nichts anderes mehr zulassen wird, als mit Medikamenten die Schmerzen möglichst erträglich zu gestalten. Die Schockwelle, die diese Nachricht in ihm verbreitet, hat Bernhard Schlink ausgesprochen glaubwürdig vermittelt, man ist beim Lesen gleichermaßen mitschockiert.

    Nun gilt es, diese Nachricht seiner Familie mitzuteilen - allen voran Martins 43jährigen Frau Ulla. Die reagiert jedoch erstaunlicherweise nur kurz betroffen und schaltet dann rasch in einen Aktionismus um, der mich zumindest verblüfft hat. Welche Reisen noch gemacht werden sollten z.B. und dass Martin ihrem gemeinsamen Sohn David, gerade einmal sechs Jahre alt, etwas hinterlassen soll, das ihm später vermitteln kann, wer sein alter Vater eigentlich war.

    Im Folgenden macht sich Martin Gedanken darüber, wie er den Rest seines nunmehr nur noch kurzen Lebens gestalten und was er seinem Sohn noch mitgeben will. Der Junge, der kurz vor dem Schuleintritt steht, ist noch zu klein, um das Weitreichende der Erkrankung seines Vaters wirklich erfassen zu können. Aber Martin möchte ihm Erinnerungen mitgeben, die David in seinem künftigen Leben ohne Vater begleiten können. Ein Komposthaufen als gemeinsames Projekt, eine gemeinsame Wanderung, ein langer Brief sind Teile dieses Plans.

    Der Umgang Martins mit seinem Sohn ist durchaus liebenswürdig, wirkt insgesamt jedoch sehr altbacken. So manches Mal fühlte ich mich an die durch die Medien bekannten Eltern von Kai Julius erinnert ( https://www.spiegel.de/video/spiege...gerschaft-statt-menopause-video-99... ), und ich musste aufpassen, diesen Roman nicht zumindest passagenweise als Persiflage zu lesen. Immerhin könnte Martin altersmäßig eher der Großvater von David sein als sein Vater, und so verhält er sich auch. Allein sein Ansinnen, David per Brief den emotionalen Wert einzelner alter Möbelstücke nahezubringen - eng verknüpft mit Martins eigener Familiengeschichte -, damit diese auch für David eine Bedeutung erhalten und er sie auch weiterhin bewahrt, erschien mir doch recht realitätsfern.

    Aber ja, es gibt solche Familienplanungen, ein sehr alter Vater, eine mittelalte Mutter, ein kleines Kind. Da ist dann vieles anders als in anderen Familien, und darum geht es hier ja in erster Linie auch nicht, also sollte man sich daran auch nicht weiter stören. Ebenso wenig wie an einigen medizinischen Fakten rund um das Thema Bauchspeicheldrüsenkrebs, die hier doch sehr vereinfacht werden und einer Realitätsprüfung vermutlich nicht wirklich standhalten könnten. Hier geht es in erster Linie darum, was die Gewissheit vom baldigen Tod Martins auslöst.

    Leider fokussiert sich Bernhard Schlink nicht auf diesen Prozess, sondern verliert sich immer wieder in Nebenthemen und Nebensächlichkeiten, so zumindest mein Empfinden. Zudem gelingt die Charakterzeichnung hier nur bedingt. Martin, der in Geschlecht und Alter dem Autor nahesteht, erscheint mir als Person noch am glaubwürdigsten, auch wenn er mir an der ein oder anderen Stelle zu gutmenschhaft agierte und mich sein ewiges Potenzgehabe zusehends nervte. Ulla dagegen wirkt wenig greifbar, sehr distanziert, als Mutter eher lieblos und wenig einfühlsam, und je nach Situation auch widersprüchlich - alles in allem leider sehr konstruiert.

    Das Ende dann konnte mich mit dem Roman versöhnen, weder Kitsch noch Abschweifungen, kein übermäßiges Drama aber dennoch berührend, die Szene verlassend, bevor Martin endgültig stirbt. Das hat mir gut gefallen.

    Alles in allem ein Roman mit Stärken und Schwächen, aber ganz gewiss nicht Schlinks bestes Werk.

    © Parden

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  1. Dem Tode geweiht

    Die Diagnose ist ein Schock: Der 76-jährige Martin Brehm, ein emeritierter Professor für die Geschichte des Rechts, hat Bauchspeicheldrüsenkrebs und nur noch wenige Monate zu leben, vielleicht ein halbes Jahr. Was kann er seiner 43-jährigen Frau Ulla, einer Künstlerin, und vor allem seinem erst sechsjährigen Sohn David hinterlassen? Wie gelingt es, das Leben loszulassen und die letzten Monate sinnvoll zu nutzen?

    „Das späte Leben“ ist ein Roman von Bernhard Schlink.

    Meine Meinung:
    Der Aufbau des Romans ist recht klassisch und gut durchdacht: Die insgesamt 55 kurzen Kapitel erstrecken sich über drei Teile. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge ausschließlich aus der Sicht von Martin. Die Handlung spielt an wechselnden Orten, vorwiegend in einer deutschen Stadt.

    Der von mir geschätzte Schreibstil mit seiner unaufgeregten, nüchternen und zugleich anschaulichen Art war mir aus früheren Romanen Schlinks vertraut. Diesmal hat mich die Sprache, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint, jedoch irritiert. Wörter wie „Kindergärtnerin“ (statt Erzieherin) und die Anrede mit „Mutter“ (statt „Mama“) sind mir negativ ins Auge gestochen.

    Drei Personen stehen im Mittelpunkt des Romans: Martin, Ulla und David. Der todkranke Protagonist weist offenbar mehrere Parallelen zur Biografie des Autors auf. Dennoch habe ich ihn nicht als sympathisch empfunden: Martins sehr abgeklärte, konfliktscheue und fast feige Art, sein teils übergriffiges Verhalten und seine schlechten Ausreden haben mich zunehmend genervt. Auch Ulla ist ein unangenehmer Charakter. Sie wirkt unterkühlt, egoistisch und etwas schablonenhaft. Gestört hat mich zudem das unreflektierte, klischeehafte Narrativ der Personenkonstellation: alter Mann mit sehr viel jüngerer Partnerin. Lediglich Sohn David hat mich als Figur überzeugen können.

    Inhaltlich spielen - neben einigen gesellschaftskritischen Anklängen - die großen Fragen eine wichtige Rolle: Was bleibt nach einem Leben zurück? Wie kann man loslassen? Wie kann man seine letzten Tage am besten nutzen? Was zählt am Ende noch? Allgemeingültige Antworten kann und will der Roman natürlich nicht geben.
    Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass mich die Geschichte stärker berühren kann. Das gelingt ihr jedoch nur in den allerletzten Kapiteln.

    Die Handlung ist in mehreren Punkten leider etwas realitätsfern und nicht besonders schlüssig. Positiv anzumerken ist aber, dass der Roman auf den rund 230 Seiten dank überraschender Wendungen durchaus kurzweilig und unterhaltsam ist.

    Das für den Verlag typische Cover mit dem Gemälde („Pool with Wheat Field“ von Melissa Chandon) erschließt sich nicht sofort, geht für mich jedoch in Ordnung. Den Titel halte ich für eine gute Wahl.

    Mein Fazit:
    Mit „Das späte Leben“ hat mich Bernhard Schlink in mehrfacher Hinsicht enttäuscht. Wegen sprachlicher Fehlgriffe und inhaltlich fragwürdiger Aspekte kann ich den neuen Roman leider nur bedingt weiterempfehlen.

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  1. Gezählte Tage

    Gezählte Tage

    "Eilte es jetzt, oder kam es jetzt nicht mehr darauf an?" (S. 9)

    Was, wenn der Gedanke an den eigenen Tod plötzlich konkret wird und die Tage gezählt sind? Maximal sechs Monate gibt der Hausarzt dem 76-jährigen Martin Brehm mit der Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Was tun mit den verbleibenden „guten“ Wochen, die der emeritierte Juraprofessor nüchtern auf zwölf schätzt?

    Seine über 30 Jahre jüngere Frau Ulla, eine bildende Künstlerin, nimmt die Nachricht erstaunlich nüchtern auf, für die Arztbesuche ihres Mannes scheint sie sich nie interessiert zu haben. Nach einem Augenblick der Empathie kehrt sie zu praktischen Überlegungen zurück:

    "Wenn du willst, gehe ich in den nächsten Wochen nicht mehr ins Atelier und in die Galerie. Ich kann mich auch um den Kindergarten kümmern, David hinbringen und abholen, und um alles andere." (S. 26)

    Keine Krankengeschichte
    Die Einschulung des sechsjährigen Sohns David wird Martin höchstwahrscheinlich nicht mehr erleben. Eine Chemo- oder gar experimentelle Therapie lehnt er ab, beschränkt sich auf Hausarztbesuche. Überhaupt wird der Krankheitsverlauf nahezu komplett ausgeblendet, was einerseits erfreulich, andererseits unrealistisch und bei der Tumorschmerztherapie mit Ibuprofen geradezu abenteuerlich ist.

    Ein Brief als Vermächtnis
    Auf Ullas Vorschlag beginnt Martin einen Brief als Vermächtnis an den Sohn, ähnlich wie in "Das Orangenmädchen" von Jostein Gaarder, einem meiner Lieblingsromane. Aber welch ein Unterschied! Während der leukämiekranke junge Vater dort seinem Sohn eine äußerst berührende Liebesgeschichte und einen bunten Strauß philosophischer Anregungen hinterlässt, die elf Jahre später den dann 15-Jährigen ins Herz treffen, schreibt Martin, wie er selbst erkennt, eher für sich. Seine Überlegungen zu Gerechtigkeit, Liebe, Religion, Arbeit und Tod sind oft Binsenweisheiten und sollen David auf die Linie des Vaters einschwören, anstatt ihn zu einem selbstständig denkenden Menschen zu machen. Gemeinsame Unternehmungen, als Erinnerungen für David gedacht, muten mit einer stundenlangen Wanderung des Todkranken, während der „Das Wandern ist des Müllers Lust“ gesungen wird, und dem Anlegen eines Komposthaufens seltsam altbacken und unrealistisch an. Ulla, die schwächste, für mich am wenigsten glaubhafte Figur, kritisiert denn auch Martins Einflussnahme auf die Zukunft des Sohnes, vergnügt sich jedoch mit ihrem Liebhaber, anstatt sich um ihre Familie zu kümmern. David ist deshalb für mich die wirklich tragische Figur: aufwachsend in einem Haushalt, in dem es nicht einmal einen Zeichenblock und Stifte gibt, alleingelassen mit Andeutungen von einem überforderten, viel zu alten und verkopften Vater und einer desinteressierten Mutter. Überhaupt ist in dieser Familie Kommunikation ein Fremdwort, nur der Sex klappt noch zu einer Zeit, als Martin längst starke Schmerzen hat.

    Das Beste kommt zum Schluss
    Teilweise versöhnt hat mich der berührendere dritte und letzte Teil dieses Romans über die letzten neun "guten" Wochen, in dem die durchgängig kurzen Kapitel als Zeitraffer fungieren. Als Martin die Verantwortung für Ullas und Davids Zukunftsgestaltung loslassen kann, verbringt die Familie entspannte, fast glückliche Tage am Meer:

    "Nur die Welt kam ihm abhanden. […] Aber vielleicht kommt nicht die Welt mir abhanden, dachte er, sondern ich bin es, der sich von der Welt verabschiedet." (S. 198/199)

    Insgesamt hat mich "Das späte Leben", der elfte Roman des 1944 geborenen Bernhard Schlink, mit seiner einfachen Sprache, unzeitgemäßer Wortwahl – wie „Kindergärtnerin“ anstatt „Erzieherin“ –, sachlichen Ungereimtheiten, einer aufdringlichen Konstruktion und schematischer Figurenzeichnung leider nicht dem fesselnden Thema angemessen erreicht. Ins Grübeln über eigenes Verhalten im Falle einer todbringenden Diagnose hat er mich trotzdem gebracht.

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  1. 3
    18. Jan 2024 

    Die Lebensspanne vor dem nahen Tod

    “Das späte Leben” ist die überschaubar kurze Lebenszeit, die dem Protagonisten des neuen Romans von Bernhard Schlink, Martin, noch bleibt nach seiner Krebsdiagnose. Wie leben mit diesem fatalen Wissen? Was tun? Und Wie umgehen mit den Menschen, die wichtig sind? Bei Martin sind das seine wesentlich jüngere Frau Ulla und ihr gemeinsamer sechsjähriger Sohn.
    Diese Situation ist keine unbekannte und besonders einfallsreiche für einen Roman. Deshalb habe ich mir von einem so guten Geschichtenerfinder und -erzähler wie Bernhard Schlink versprochen, dass ungewöhnliche, interessante Wendungen oder zumindest Erkenntnisse diesem Roman seine Würze geben.
    Doch leider bin ich dabei weitgehend enttäuscht worden. Martin versucht mit allen Mitteln, Spuren im Leben seines Sohnes zu hinterlassen, um von ihm nicht nur nicht vergessen zu werden, sondern auch Botschaften abrufen zu können, die er als lebendiger Vater ihm beim Erwachsenwerden mit auf den Weg gegeben hätte. Ein gemeinsames Gartenprojekt und ein Brief, den der herangewachsene Sohn irgendwann finden und lesen soll, sind für dieses Bemühen stehende zwei doch reichlich konventionelle Handlungsstränge. Und dann erfährt Martin auch noch von einem Geliebten seiner Frau und will auch noch diese Situation so beeinflussen, dass sie sich nach seinem nahen Ableben in seine Richtung bewegen wird. Zudem ist da noch eine offene Baustelle im Leben seiner Frau: der Vater, den sie nie kennengelernt hat. Und auch diese Baustelle versucht Martin noch schnell zu kitten und zu schließen.
    Ist all dies genug, um einen lesenswerten Roman zu schaffen? Meine Lektüre sagt mir: nein, das ist doch etwas mager und bekommt von mir leider nur magere 3 Sterne.

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  1. Martin und der Rest des Lebens

    Bernard Schlink lässt den 76 jährigen Martin durch die Handlung führen. Martin bekommt direkt zu Beginn des Romans die Schockdiagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Laut seinem Arzt bleiben ihm etwa 12 Wochen, in denen es ihm mal mehr, mal weniger gut gehen wird.
    Martin ist mit der deutlich jüngeren Ulla verheiratet und hat mit ihr einen gemeinsamen Sohn, David, der noch in den Kindergarten geht.
    Martin reagiert relativ nüchtern auf die Diagnose, unternimmt auch erstmal keine Versuche sich alternative Behandlungsmögljchkeiten aufzeigen zu lassen. Er will die ihm verbleibende Zeit mit Frau und Kind genießen, so weit möglich.
    Seine Frau ist zwar traurig, doch auch sie reagiert eher rational. David bekommt nur wenig gesagt, Martin bringt ihn weiterhin in den Kindergarten, das Leben läuft fast normal weiter, zumindest eine gewisse Zeit.
    Martin schreibt David einen Brief, den er als junger Mensch irgendwann lesen soll, dadurch seinen Vater besser kennenlernen.
    Dies ist nur ein Beispiel von den Dingen die Martin unternimmt. Er muss sich auch aber leider auch anderen Dingen stellen, die mit seiner Krankheit nichts zu tun haben, sondern mit seiner Beziehung.

    Der Roman dient der kurzweiligen Unterhaltung. Der Leser kann sich entspannt zurücklehnen und den letzten Hürden eines kranken Mannes folgen. Ob man dabei alles nachvollziehen kann steht allerdings nicht zur Debatte, denn der Autor hat den Fokus definitiv nicht in allen Punkten auf eine lückenlose Handlung gelegt. Einiges wird kurz abgehandelt, so die Krankheit und die Möglichkeiten zum Beispiel. Ihm geht es wohl nur darum aufzuzeigen, dass ein Mann am Ende doch loslassen kann und die letzten Tage zum inneren Frieden findet.
    Wenn man kein tiefgründiges Buch erwartet, ist man gut bedient. Es ist leicht und locker zu lesen. Der Schwerpunkt liegt bei Martin, nicht bei David und auch nicht bei Ulla, diese begleiten ihn zwar auf seinem restlichen Weg, aber es ist halt nicht ihre Geschichte.

    Dies ist der vierte Roman des Autors, den ich gelesen habe. Der Vorleser hat mir seinerzeit sehr gut gefallen, doch damit kann der neue Roman in meinen Augen nicht mithalten. Er ist aber dennoch lesenswert.

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  1. Warum nicht?

    Mit "Das späte Leben" legt Bernhard Schlink einen Roman vor, der mutmaßlich Fragen aufgreift, die ihn im Zuge des Älter-Werdens beschäftigen: Wie kann man mit der eigenen Endlichkeit umgehen? Wie die verbleibende Zeit sinnvoll nutzen, und gibt es vielleicht etwas in einem, was am Ende bleibt und der eigenen Sterblichkeit trotzt? Es sind Fragen, die uns alle früher oder später treffen. In Schlinks Geschichte ist dies der 76jährige ehemalige Professor Martin, der mit einer deutlich jüngeren Frau verheiratet ist und mit ihr einen gemeinsamen 6jährigen Sohn hat: David. Um ihn auf die Spur der letzten Fragen zu setzen, lässt Schlink seinen Hauptprotagonisten unheilbar an Bauchspeideldrüsenkrebs erkranken.

    Warum auch nicht. Im Leben, insbesondere so lang man mitten im Leben steht, werden letzte Fragen in unserer Gesellschaft oft verdrängt. Sterben und Tod, die Frage, was von einem bleibt, wenn man nicht mehr ist - all dies wird gerne in den Hintergrund gedrängt. Nie scheint der Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung damit "richtig", allzu oft kommt die Fülle des Lebens dazwischen. Dennoch kommt keiner von uns an der Thematik vorbei. Jeder wird früher oder später sterben, manch einen trifft es unvorbereitet; immer mehr Menschen leiden zuvor an ernsten Krankheiten, die sie "ausbremsen" und ins Nachdenken bringen.

    Ich kann gut nachvollziehen, dass der ins Alter gekommene Schlink sich vielleicht selbst mit den solchen Fragen auseinanderzusetzen beginnt und das Medium der Literatur, welches sein Sprachrohr ist, dazu nutzt, sich zum Thema zu sortieren. Ich habe das Buch grade wegen des Themas gewählt - auch wenn es kein Neues ist und ich von daher gar nicht die Erwartung hatte, von Schlink zu letzten Fragen etwas völlig Neues und Unerwartetetes zu lesen.

    "Von der Figurenkonstellation her, ist "Das späte Leben" wohl ein Gegenstück zu einem großen Erfolg"Der Vorleser". Hatten wir es in letzterem Roman mit dem Verhältnis zwischen einer älteren Frau und einem Jugendlichen zu tun, so finden wir in "Das späte Leben" die Konstellation spiegelverkehrt: der 76 jährige Martin ist mit einer deutlich jüngeren Frau liiert. Warum nicht. Es ist doch in der Realität auch so, dass das Alter zunehmend kein Hindernisgrund mehr für die Liebe zwischen zwei Menschen mit einem deutlichen Altersunterschied darstellt. Viele alternde Schriftsteller schreiben über eine neue Liebe, einen neuen Frühling im Alter. Warum nicht auch Schlink? Warum sollte man ihm dies vorwerfen?

    Die Geschichte ist aus der Perspektive des Hauptprotagonisten Martin geschrieben. Von ihm erfahren wir zunächst über eine bislang glückliche Ehe. Dann erhält er eines Tages völlig unverhofft die Tod bringende Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sein Arzt lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Lage ernst ist und Martin nicht mehr lange zu leben hat. Vielleicht ein halbes Jahr, vielleicht 12 Wochen. Die Diagnose stellt eine Zäsur in einer zuvor offenbar glücklichen Ehe dar. Es gilt zunächst für Martin, einen "günstigen Zeitpunkt zu finden, um Ulla und seinem Sohn David diese erschütternde Nachricht zu überbringen. Ulla reagiert nur kurz so, wie man es vielleicht erwarten würde: emotional. Martin genießt diesen kurzen Moment der Nähe, die warme Umarmung, die folgt. Doch dann schlägt Ullas Haltung in Richtung Pragmatismus um. Was will Martin noch unternehmen? Welche letzte gemeinsame Reise schwebt ihm vielleicht vor? Diese "abgeklärte", eher nüchterne Reaktion stößt manchem Lesenden sicher auf: Wo bleibt die mitfühlende, zutiefst traurige und verzweifelte Ehefrau, die ihren Gefühlen freien Lauf lässt? Ist sie nicht in der "Pflicht", mitfühlender zu reagieren? Wie gesagt ist die Perspektive die des Ehemanns selbst. Dies verstärkt wohl die Entstehung von Unmut in Bezug auf Ulla. Sie selbst kommt nicht zu Wort. Kein Wort von ihrer Seite, das ihr Verhalten verständlicher machen könnte. Und dann geht sie ausgerechnet in dieser Zeit, wo Martin sie so sehr brauchen würde, ein Verhälrtnis mit einem Anderen ein. In der Folge ist sie bei vielen Lesenden komplett untendurch. Moralische Verurteilung greift: So etwas tut man doch einfach nicht. Nicht, wenn der Partner den Tod vor Augen hat. Man könnte ja wenigstens warten, bis man für einen neuen Partner frei ist.

    Auch in anderer Hinsicht greift die moralische Klammer. Müsste Martin es nicht viel schlechter gehen? Warum kann der schwer kranke Mann seinen Alltag noch längere Zeit relativ unbeeinträchtigt weiter leben: sich um den Sohn kümmern, Verpflichtungen nachgehen, Sexualität ausleben? Warum hat er nicht mehr Beschwerden abgesehen von der Müdigkeit, die ihn zunehmend plagt? Warum hat er nicht mehr Schmerzen? Warum therapiert er Schmerzen im fortgeschrittenen Krebsstadium noch mit Ibuprofen? Warum ist seine Behandlung nicht mehr Thema? Wieso hat das Medizinische insgesamt lediglich eine Nebenrolle? Nun: warum nicht. Es geht Schlink m.E. NICHT um einen authentischen Einblick um den Umgang des Krebskranken mit seiner Diagnose an sich. Medizinische Fragen werden weitgehend ausgeblendet. Das mag Manchem unrealistisch scheinen gerade in Kombination mit dem allgemeinen Wohlbefinden Martins. Mancher sieht die Glaubwürdigkeit des Erzählten schwinden. Ich habe das selbst nicht so empfunden. Ich habe Schlinks Entscheidung, auf Martins letzte Fragen zu fokussieren, akzeptiert: Wie ein todgeweihtes Leben weiter leben und gestalten? Was mit der verbleibenden Zeit anfangen? Wie sie nutzen, um etwas Sinnvolles von Einem Selbst zu hinterlassen? Kann man auf diese Art dem Tod vielleicht ein Schnippchen schlagen? Im Leben eines Anderen weiterleben? Einfluss darauf nehmen? Das sind Fragen, die ich für wichtig halte, und ich habe Schlinks Gedanken dazu gerne gelesen. Für mich sind die Gedanken legitim. Für mich stellt sich nicht die Frage nach deren Richtigkeit oder Legitimität. Wir alle sind Individuen. Keiner weiß, wie er oder sie selbst in einer solchen Situation empfinden, denken, handeln würde. Und als PartnerIn einer todgeweihten Person - wie würden wir da reagieren? Auch das steht in den Sternen. Vielleicht wären wir in erster Linie einfach überfordert, so wie ich Ulla primär als völlig überfordert erlebt habe. Es hat sich zwar auch ein gewisses Unverständnis hinen gemischt, aber dies deswegen, da hier mit moralischen Urteilen gespielt wird. Ein Beziehungsbetrug angesichts der Situation als unverzeihlich gilt.

    Natürlich habe ich auch gestutzt, Krebsschmerzen mit Ibuprofen zu behandeln, etwa. Aber ich kann Schlink diesen und andere Schnitzer verzeihen. Ich spreche ihm nicht generell die Kompetenz ab, sich mit Krebsdiagonsen und deren Implikationen auseinanderzusetzen. Okay, er hat sich für diesen Roman dagenen entschieden. Ibuprofen gegen fortgeschrittene Tumorschmerzen? Das erscheint realitätsfern, ebenso wie der am Ende wie von Zauberhand auftauchende Hospizplatz. Real ist mit Komplikationen zu rechnen. Ich denke schon, dass Schlink das weiß und rühre daher nicht in diesen Schwachstellen herum. Sie sind vielleicht das Zünglein an der Waage, warum es den fünften Stern nicht gibt. Es liegt aber auch an der sprachlichen Darstellung insgesamt. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, auch und gerade weil es flüssig zu lesen ist. Schlink schreibt vergleichsweise einfach, ohne viel Schnörkel. In sprachlicher Hinsicht ist der Roman sicher nicht hervorstechend. Warum nicht. Ich finde das zwischendrin auch mal ganz angenehm: einen Roman zu einer interessanten Thematik zu lesen und zu tatsächlich zu verstehen, worum es geht. Das halte ich Schlink zugute. Ich kann das Buch auch weiter empfehlen, wenn man bereit ist, medizinische Aspekte weitgehend außen vor zu lassen und sich auf Schlinks Gedankenexperiment einzulassen. Etwas komplett Neues erfährt man vielleicht dennoch nicht. Aber man erkennt Sterbephasen wieder, wie Kübler-Ross sie beschriebenen hat, liest über allzu menschliche Gedanken, wie den, im Idealfall über den eigenen Tod noch Einfluss nehmen zu können. Wäre es nicht schön, durch ein Dauerabo für zukünftige Lektüren des Sohnemanns Sorge zu tragen? Frau und Kind bei einem Anderen gut versorgt zu wissen? etc. Es sind eigene Moralvorstellungen, die dies kritisch beleuchten. Im Roman wird dies durch Ehefrau Ulla gespiegelt, die Martin dafür kritisiert, weiterhin den Gang der Dinge steuern, Einfluss nehmen zu wollen. Noch ein Grund, diese Figur zu verteufeln, wie es scheint.

    Spielt Schlink nicht letztlich mit unseren Wert und Moralvorstellungen und versucht uns wie Marionetten zu Sympathien oder Antipathien zu drängen? Hat es funktioniert? Dann wäre dies doch vielleicht Schlicht positiv anzukreiden. Zumindest meine Meinung.

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  1. 3
    11. Jan 2024 

    Leider eine Enttäuschung

    Bernhard Schlink „ Das späte Leben“ ( 2024 )

    Der Protagonist, der 76jährige Martin Brehm, emeritierter Professor für Rechtsgeschichte, bekommt bei seinem Arztbesuch eine niederschmetterndeDiagnose gestellt : Bauchspeicheldrüsenkrebs in fortgeschrittenem Stadium. Ihm verbleibt noch ein halbes Jahr; mit etwas Glück ist die Hälfte davon einigermaßen erträglich.
    Die Gewissheit, dass der eigene Tod in nächste Nähe gerückt ist, verändert manches. Was tun mit der noch verbleibenden Zeit? Welche Dinge sollten noch geregelt werden?
    Bei seinen Überlegungen hat Martin seine wesentlich jüngere Frau Ulla im Blick und vor allem seinen erst sechsjährigen Sohn David . Was möchte er seinem Kind hinterlassen, dessen Lebensweg er nur kurz begleiten kann? Mit welchem Bild von sich will er im Gedächtnis seines Sohnes bleiben und welche wesentlichen Erkenntnisse will er ihm noch mitteilen ? „ Er wollte seinem Sohn mitgeben, was er ihm später nicht beibringen konnte.“
    Er beginnt, David einen langen Brief zu schreiben, über die großen Dinge des Lebens, über Gott, die Liebe, Arbeitsmoral und Gerechtigkeit. Im Blick hat er hier einen wachen gereiften Jugendlichen. Aber auch wenn man das berücksichtigt, sind die Briefe seltsam unpersönlich wenig geeignet, einen jungen Menschen anzusprechen.
    Außerdem schafft Martin durch gemeinsame Unternehmungen schöne Erinnerungen . Obwohl ihm dabei Zweifel kommen, ob seine Beweggründe so selbstlos sind. „ Warum sollte David sich an ihn erinnern? War es seine Eitelkeit, die nicht ertrug, dass er vergessen wurde? War es seine Eitelkeit, die nicht ertrug, dass er starb? Dass er getilgt wurde, zuerst aus dem Leben, dann aus dem Gedächtnis?“ Aber wichtig ist ihm, seinem Sohn die Gewissheit zu vermitteln, dass er geliebt wurde.
    Das alles mag noch nachvollziehbar sein. Auch wenn das Verhältnis zwischen Vater und Sohn etwas aus der Zeit gefallen zu scheint. Da wird bei der mehrstündigen Wanderung mit dem Sechsjährigen fröhlich „ Das Wandern ist des Müllers Lust“ gesungen, später legen die beiden gemeinsam einen Komposthaufen im Garten an. Und als zu „ Mutters Geburtstag“ ( in welcher Familie ist diese Anrede heute noch gebräuchlich ?) ein Bild gemalt werden soll, müssen erst Zeichenblöcke und Farbstifte gekauft werden.
    Befremdlich ist auch das Verhältnis zwischen den Eheleuten. Sehr gefasst nimmt Ulla die Diagnose ihres Mannes auf. Gleich ist sie mit Überlegungen zur Stelle, was man mit der verbleibenden Zeit Sinnvolles machen kann. Auf Vorschläge von Martin reagiert sie abweisend und hart. Eigentlich müsste man annehmen, dass sie nun jede freie Minute mit ihrem todkranken Mann verbringen will. Doch dem ist nicht so. Erst gegen Ende nimmt sie sich wirklich Zeit für ihn.
    Leider baut Schlink noch einige überraschende Wendungen in seinen Roman ein. Dabei hätte das Thema „ Konfrontation mit dem nahenden Tod“ genug Potential, um ein ganzes Buch zu tragen. Doch Schlink hat seinem eigenen Stoff nicht getraut und musste unbedingt zeigen, dass das Leben auch zum Ende hin noch Überraschungen bereithält. Das macht er aber wenig geschickt, so dass hinter der Handlung zu deutlich das Konstrukt hervorleuchtet. So wirkt vieles wie am Reißbrett entworfen und wenig dem Alltag nachempfunden.
    Auch mit seiner Figurenzeichnung konnte mich Schlink nur bedingt überzeugen. Martin ist die wohl gelungenste Figur im Roman. Mit ihm teilt der Autor nicht nur Alter und Profession, sondern auch Bildungshintergrund und Weltsicht. Allerdings scheinen beide wenig Berührungspunkte mit heutiger Lebenswirklichkeit zu haben. Der Umgang des alten Protagonisten mit seinem Sohn wirkt hölzern und unbedarft.
    Ulla dagegen ist kein glaubwürdiger Charakter. Anfangs sehr kühl und rational, mutiert sie gegen Ende zur fürsorglichen Ehefrau. Ihr Verhalten ist kaum nachvollziehbar, abstoßend in seiner Schroffheit und Ich- Zentriertheit. Liebe und Gefühle zwischen den Ehepartnern werden behauptet, aber nicht gezeigt.
    Und wenig glaubhaft ist auch der medizinische Aspekt im Roman. Martin, an einer tödlichen Krankheit leidend, ist lange Zeit noch fit genug für die täglichen Arbeiten, lange Wanderungen und regelmäßigen Sex. Schmerzen werden lange Zeit nur mit Ibophren bekämpft und am Ende steht der freie Platz im Hospiz. Das hat wenig mit der Realität eines Krebspatienten zu tun.
    Sicher, es ging dem Autor nicht um die Leidensgeschichte eines Todkranken, sondern um die Fragen, die am Ende des Lebens auftauchen ( wobei transzendentale Fragen ausgeklammert bleiben). Doch etwas Recherche in diesem Bereich hätten die Glaubwürdigkeit des Textes unterstützt.
    Sprachlich bewegt sich Schlink auf seinem gewohntem Niveau, zwar präzise, doch ansonsten eher karg und schlicht, ab und zu nahe am Kitsch.
    Trotz all dieser Kritikpunkte ist „ Das späte Leben“ ein unterhaltsamer und packender Roman. Martins langsamer Abschied vom Leben ging ans Herz. Wie die Welt um ihn herum an Bedeutung verliert, auf die wirklich wichtigen Menschen zusammenschrumpft, das ist glaubwürdig und berührend. Ich war froh, dass der Autor sich und uns die letzten Tage erspart hat.
    Wer über die Schwächen des Buches hinwegsehen kann, wird sich gut unterhalten fühlen und ein paar Gedanken daraus für sich mitnehmen können.

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  1. Ein überkonstruiertes Abschiednehmen

    Martin ist 76 Jahre alt. Sein Hausarzt diagnostiziert Bauchspeicheldrüsenkrebs mit maximal noch sechs Monaten Lebenserwartung. Martins Frau Ulla ist mehr als 30 Jahre jünger als er, beide haben den gemeinsamen sechsjährigen Sohn David. Es ist völlig einleuchtend, dass Martin diese Diagnose zum Umdenken zwingt, dass er sich grundlegende Gedanken darüber macht, was er Sohn und Ehefrau noch Gutes tun, was er ihnen noch geben oder vermitteln möchte. Irritierend ist jedoch von Beginn an die Art und Weise, wie insbesondere er und Ulla mit der Situation umgehen. Beide Eheleute erscheinen geradezu kalt in ihren Reaktionen. Man kann ihre Gefühle und Verhaltensweisen schwer nachvollziehen. Bereits auf die Mitteilung der Hiobsbotschaft reagiert Ulla völlig pragmatisch, der Dialog gestaltet sich hölzern gestellt. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, dass sich das Paar nahe oder vertraut ist - die permanente Erwähnung sexuellen Verlangens wirkt dadurch aufgesetzt und unnatürlich.

    Martin ist der, der sich um David kümmert, während Ulla als Künstlerin vermeintliche Überstunden in ihrer Galerie leistet. Doch als Vater wirkt Martin aus der Zeit gefallen. Es kommen ihm Dinge wie der Bau eines Komposthaufens, Besuche im Museum, ausgedehnte Wanderungen oder vierhändiges Klavierspiel in den Sinn, um sich mit seinem Sohn zu beschäftigen, während Stifte und Papier erst gekauft werden müssen – das Bildungsbürgertum lässt deutlich grüßen. Wenig hat das mit der heutigen Lebenswirklichkeit eines Sechsjährigen zu tun. Schließlich schreibt Martin einen Brief an David (posthum zu öffnen), in dem er über Leben, Liebe, Gott und Vergänglichkeit philosophiert. Diese Gedanken sind einerseits sehr berührend, andererseits driften sie in Sphären ab, die einem jungen Menschen kaum zugänglich sein dürften und dadurch erneut nicht authentisch sind.

    Im Zuge der weiteren Handlung ist dies mein Hauptkritikpunkt: Die Figuren wirken nicht echt. Sie interagieren völlig unglaubwürdig. Das an sich bedeutsame Thema, der Abschied vom Leben, wird mit allerlei Nebenhandlungen überladen. Dabei entwickelt sich Martin in seiner Gutmütigkeit fast zum Heiligen, während Ulla das Stereotyp der unzufriedenen, untreuen, pflichtvergessenen Frau abbildet. Um den kleinen Martin und seine existentiellen Ängste kümmert sich niemand so richtig. Daneben kann man diskutieren, ob die Härte des Krankheitsbildes zum Zustand des Kranken passt, der nicht nur wandert, gräbt und weite Strecken mit dem Auto zurücklegt, um verlorene Väter oder potentielle Stiefväter aufzuspüren, sondern gegen seine Schmerzen lediglich eine Ibuprofen einnehmen muss.

    Auch Handlung und Dialoge wirken steif, gewollt und entsetzlich konstruiert. Ich könnte zahlreiche Beispiele nennen, würde dann aber zu viel vom Plot preisgeben, der zweifellos hier und da Überraschungen parat hält. Allerdings erwartet den Leser im Kern nichts wirklich Neues. Man hat derlei Filme schon oft im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm gesehen. Genau hier würde ich „Das späte Leben“ auch verorten: Es bietet die perfekte Vorlage für ein emotionales Drehbuch. Durch die plakative Figurengestaltung könnten sich die Schauspieler wunderbar entfalten. Einer literarisch kritischen Analyse hält der Roman indessen nicht stand.

    Dennoch habe ich das Buch nicht ungern gelesen. Das Ende gestaltet Schlink versöhnlich, die letzten Tage des Protagonisten erspart er seiner Familie und dem lesenden Publikum. Anstelle dessen gibt es atmosphärische Szenen am unendlichen Meer... Allen unheilbar an Krebs Erkrankten wäre ein ähnliches Ende zu wünschen. Ich empfehle das Buch, das ich klar dem Unterhaltungsgenre zuordne, nur bedingt weiter, bin aber davon überzeugt, dass echte Schlink-Fans auch diesen Roman sehr mögen werden. Man spürt den typischen Schlink-Sound und wer es vermag, sein Hauptaugenmerk auf das Schicksal Martins zu richten, ohne sich vom ärgerlichen Drumherum ablenken zu lassen, kann der Geschichte gewiss mehr abgewinnen. Sie liefert definitiv Anregungen, um sich mit der Vergänglichkeit des Lebens auseinanderzusetzen.

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  1. Verschenkte Zeit

    „Das späte Leben“ ist ein später Roman von Bernhard Schlink, der sich großen Fragen widmet: wie lebt ein Mensch in dem Bewusstsein des herannahenden Todes, was will er hinterlassen, was möchte er noch erreichen.

    Wer nun die Hoffnung hat, dass es Schlink gelingt, diesen existenziellen Themen neue Perspektiven abzutrotzen, innovative Blickwinkel aufzuzeigen oder sie zumindest auf literarischer Ebene bereichernd zu verhandeln, wird leider enttäuscht werden. „Das späte Leben“ ist trotz des gewichtigen Sujets und des Tragik versprechenden Handlungsrahmen nie mehr als eine oberflächliche, belanglose und leider auch recht abgedroschene Auseinandersetzung mit dem Ende des Lebens. Alles, was hier verhandelt wird, besonders auch im Hinblick auf die Beziehung zur dreiundreißig Jahre jüngeren Frau, ist altbekannt; das einzig Überraschende ist wahrscheinlich die Tendenz zum sprachlichen Kitsch und Handlungs-Klischee, die ich so nicht in einem Schlink-Roman erwartet hätte und welche leider mitunter zu unfreiwilliger Komik führt.

    Hinzu kommt die wenig überzeugende Figurenkonzeption. In Schlinks Roman sind alle Frauen gefühlskalt, distanziert und emotionslos. Selten habe ich eine Figur nach einer lebensverändernden Mitteilung so unvermittelt zur Tagesordnung übergehen sehen wie die Ehefrau Ulla. Die Nachricht, dass ihr Mann unheilbar krank ist und bald sterben wird, löst bei ihr kaum etwas aus, schluchzen sieht man sie meist nur, wenn es um den im Kindesalter verlorenen Vater geht. Der Protagonist Martin hingegen, der sich langsam vom Leben verabschieden muss, ist äußerst positiv gezeichnet, er ist überaus tolerant, liebenswürdig und großzügig und will seine Frau und seinen Sohn trotz aller Widrigkeiten gut versorgt sehen, vor einem klärenden Gespräch schreckt er allerdings zurück. Überhaupt leidet das gesamte Buch unter gestörter Kommunikation. Außer abgegriffenen Liebesschwüren und gegenseitigen Vorwürfen findet keine richtige Konversation statt. Nähe wird in diesem Roman überwiegend durch sexuelle Aktivität generiert, selbst drei Seiten vor Schluss als der Krebs sein Endstadium erreicht hat, geht es nochmal zur Sache.

    Neben den Schwächen in der Figurenzeichnung und dem Handlungsaufbau zeichnet sich der Roman durch seine feste Verankerung in einem überzeichneten Bildungsbürgertum und der damit einhergehenden Entfremdung von der heutigen Lebenswirklichkeit aus. Dies tritt besonders in der Vater-Sohn-Beziehung zutage, die der Text aber leider sehr zentral setzt. So unternimmt Martins sechsjähriger Sohn David, der noch den Kindergarten besucht, mit dem Vater mehrstündige Wanderungen auf denen „Das Wandern ist des Müllers Lust“ gesungen wird, am Wochenende werden dem Kind Gemälde in der Kunstgalerie erklärt und als für Ulla ein Geschenk gemalt wird, wird David mit dem Satz „Kein Wort an Mutter“ zur Verschwiegenheit verpflichtet. Dies alles mutet doch sehr altbacken, antiquiert und aus der Zeit gefallen an, gepaart mit den philosophischen Briefeinschüben zu Gerechtigkeit, Liebe und Gott kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Roman trotz der Bedeutung seiner grundlegenden Frage kaum Relevanz fürs Heute hat.

    Ich kann den Roman leider nicht weiterempfehlen: er verbirgt eine mögliche Bedeutsamkeit hinter zu viel Unausgegorenem, Wirkung entsteht eben nicht nur aus der Schwere eines Themas heraus – dieses ist hier im Gegenteil eher ein weiteres Manko, denn so kann man „Das späte Leben“ auch nicht als „unterhaltsam“ bezeichnen.

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  1. Was bleibt, wenn man gestorben ist?

    Gedanken über die letzten Tage nach einer niederschmetternden Krebs-Diagnose, distanzierte Darstellung in einfacher Sprache - 3,5 Sterne

    Wie würdest du mit der Diagnose umgehen, dass du maximal nur noch ein halbes Jahr zu leben hast?! Natürlich kann es darauf keine Antwort geben, wenn man es nicht selbst erlebt hat und auch Martin, der diese niederschmetternde Nachricht bekommt, weiß es nicht. Zwar ist er 76 und damit dem Tod sowieso näher als jemand mit 66, 56 oder 46. Aber die Gewissheit schafft schon einen anderen Rahmen für die restliche Zeit. Bei Martin kommt erschwerend hinzu, dass er eine sehr viel jüngere Frau und einen sechsjährigen Sohn hat, David. Die Diskussion darüber, ob das verantwortungsvolles Verhalten war, sei mal beiseite gestellt. Ebenso unbeachtet lassen sollte man die medizinischen Fakten, weil es darum nicht geht.

    Was also soll Martin mit diesen restlichen Wochen machen, von denen er höchstens zwölf noch einigermaßen normal leben kann bevor der Bauchspeicheldrüsenkrebs seinen unguten Verlauf nimmt? Sein pragmatische Frau Ulla hat gleich Vorschläge zur Hand: welche Reise kann man noch machen, was für ein Video sollte er für den kleinen Sohn besprechen? Sie weint zwar ein bisschen, wirkt aber ansonsten sehr gefasst um nicht zu sagen: unrealistisch distanziert. Das hat möglicherweise seine Gründe, wie wir später erfahren.

    Jedenfalls verfolgen wir Martins Gedankenweg zur Bewältigung dieser Diagnose. Auch er hat einige Ideen, die sich aber aus einfachen Alltäglichkeiten ergeben, wie z.B. mit dem Sohn zusammen einen Komposthaufen anlegen oder eine Wanderung mit Übernachtung im Hotel zu machen. Auch die Anregung, ihm etwas Gedankliches zu hinterlassen greift er auf, was auf den Leser aber ziemlich abgehoben und nicht für ein Kind geeignet erscheint: Gedanken zu Liebe, Gott, Religion etc., wohl eher für sich selbst geschrieben.

    Zwischendurch ereignen sich Dinge, die Ulla richtig unsympathisch wirken lassen und letztendlich sah es für mich als Leserin so aus, dass die Personen unrealistisch wirken, besonders Martin, der Gute, der nichts wirklich übel nimmt und alles versteht. Am Ende schafft er es, eine Entscheidung zur Entlastung der Familie zu treffen, alles loszulassen, Verpflichtungen und Ansprüche an sich selbst. Bei einem letzten Urlaub am Meer genießt er dankbar die kleinen Dinge des Lebens, das, was er hat und was er als Geschenk ansieht. Alles in allem ist das eine ziemlich unrealistische Personendarstellung. So viel Distanz, Selbstbeherrschung und Coolness ist unwirklich, soll aber vielleicht ein Idealbild vorstellen, dem man sich annähern könnte.

    Die Sprache ist schlicht, ohne Bilder oder Metaphern, und weist manchmal klischeeartige Äußerungen auf ('Hab' dich lieb'). Allerdings mag das die Eigenart der beschriebenen Familienmitglieder sein, die kaum Gefühle zeigen können und ist vielleicht eine vom Autor so gewollte Darstellung.

    Ich habe es gerne gelesen, denke aber, es wird aus den oben genannten Gründen keinen bleibenden Eindruck hinterlassen und wird für mich das (zweite und) letzte Buch des Autors bleiben.

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  1. 3
    07. Jan 2024 

    Enttäuschend

    Auf den Autor Bernhard Schlink bin ich durch die Verfilmung seines Romans "Der Vorleser" aufmerksam geworden. Dieser Roman, den ich nicht gelesen habe, war ein Welterfolg und da mir die oskarprämierte Verfilmung sehr gefallen hat, nahm ich also an einer Leserunde zu Schlinks neuestem Roman "Das späte Leben" teil.

    Während es in "Der Vorleser" anfangs um die Liebesbeziehung eines Jugendlichen zu einer zwei Jahrzehnte älteren Frau geht, ist der Protagonist in "Das späte Leben" mehr als 30 Jahre älter als seine Ehefrau. "Der Vorleser" basiert auf umfangreichen historischen Recherchen. Der vorliegende Roman wirkt dagegen konstruiert und teilweise schlecht recherchiert, dazu später.

    Der eremitierte Hochschullehrer Martin Brehm ist 76 Jahre alt und unheilbar an Krebs erkrankt. Ihm bleiben nur noch wenige Monate. Er ist mit der 43jährigen Ulla verheiratet. Sie haben einen gemeinsamen sechsjährigen Sohn. Wie verarbeitet Martin nun die Gewissheit des unmittelbar bevorstehenden Todes, wie soll das Leben für seine Ehefrau und vor allem für seinen Sohn ohne ihn weitergehen ? Wie soll er die verbleibende Zeit nutzen, wie seinem Sohn in Erinnerung bleiben ? Körperlich ist Martin bis zum letzten Drittel des Romans noch fit, kann sogar noch Wanderungen mit dem Sohn unternehmen, kochen, reisen, ist sexuell aktiv. Er beginnt, einen Brief an den Sohn zu schreiben, den dieser in einigen Jahren als Erinnerung an den verstorbenen Vater lesen soll.

    Dieser Roman liest sich, auch wegen der kurzen Kapitel, gut. Leider hat mich die Sprache Schlinks überhaupt nicht erreicht. Seltsam aus der Zeit gefallene Formulierungen und Beschreibungen haben dazu beigetragen. Die Figuren agieren wie in einem Setting, das vor zwanzig, dreißig Jahren angesiedelt ist. Der Schreibstil ist sachlich und nüchtern, was auch dazu führte, dass mich die Geschichte nicht berühren konnte. Zudem waren einige Dinge m. E. unglaubhaft dargestellt. Beispielsweise werden Martin Medikamente verschrieben, von denen schon der medizinische Laie ahnt, dass sie einem Krebspatienten nicht helfen werden. Zu lange bleibt Martin körperlich relativ unbeeinträchtigt von der Krankheit. Das erscheint schlecht recherchiert und somit unglaubhaft.

    Martin beschließt, um die Familie zu entlasten, seine allerletzten Tage in einem Hospiz zu verbringen. Die Suche nach diesem Hospiz ist kein Problem. Nicht nur insofern merkt man dem Roman an, dass dem akademisch ausgebildeten und in wohl situierten Verhältnissen lebenden Autor die eigene Lebenswirklichkeit als sozialer Hintergrund für den Roman gedient hat. Die Figur der noch relativ jungen Ehefrau wirkt wie ein Konstrukt aus dem Elfenbeinturm des wohlsituierten Akademikermilieus und scheint zudem wenig zeitgemäß. Martin lernt seine Ehefrau als Studentin kennen, "sie wollte geheiratet werden", schließt ihr Kunststudium nur auf Martins Drängen hin ab und stellt eigene Bilder in einer Galerie aus. "Sie brauchte nicht zu arbeiten", Martins Einkommen, seine Pension als Hochschullehrer reichte und sie erwartete das Erbe des mütterlichen landwirtschaftlichen Betriebs. Der Sechsjährige redet sie mit "Mutter" an und während einer Wanderung stimmen Vater und Sohn das Lied "Das Wandern ist des Müllers Lust" an. Nein, das kann ich mir alles so nicht vorstellen und erneut wirkt die Geschichte auf mich konstruiert. Auch der Brief an den Sohn wirkt inhaltlich arg verkopft und als Lektüre für einen Teenager, als solcher soll der Sohn ihn einmal lesen, ungeeignet.

    Positiv hervorzuheben sind die tiefgründigen Momente im Roman. So reflektiert Martin beispielsweise, dass die Jahre mit ihm und die Erinnerung an die Jahre mit ihm für seinen Sohn ein Grundstock an Gewissheit werden sollten, dass er, der Sohn, geliebt wurde. Das fand ich schön. Auch zu tiefgründigen Gedanken zu Gott, Gerechtigkeit, Vergänglichkeit, Alter und Liebe hat die Lektüre angeregt. Die schlüssige Verbindung dieser Gedanken zur erzählten Geschichte ist dem Autor leider nicht gelungen. Das liegt m. E. daran, dass Schlink sich damit hauptsächlich im Brief an den Sohn auseinandersetzt, was wiederum seltsam verkopft und ohne echte Ansprache an den Sohn anmutet. Martin scheint hier eher mit sich selbst zu monologisieren. Das letzte Kapitel, in dem die Familie ruhige, glückliche Tage an der Ostsee verbringt, waren berührend geschildert und hat mir am besten gefallen.

    Letztendlich hat mich der Roman jedoch enttäuscht, weil er mich bei den angeschnittenen Themen nicht wirklich mitnehmen konnte. Dennoch, die Leserunde hat mir großen Spass gemacht und allein dafür hat sich die Lektüre gelohnt ! Ich vergebe knappe 3 Sterne.

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  1. Ein ernstes Thema, einfühlsam und positiv erzählt

    „Nein, für das Leben lässt sich keine Bilanz ziehen. Man macht dies und macht das, und am Ende war’s ein Leben. Mehr ist es nicht.“ (Zitat Seite 162, 163)

    Inhalt
    Der Jurist Martin Brehm ist sechsundsiebzig Jahre alt, als erfährt, dass er an Krebs in einem fortgeschrittenen Stadium erkrankt ist und ihm maximal noch ein halbes Jahr bleibt. Seit zwölf Jahren ist er mit der wesentlich jüngeren Künstlerin Ulla verheiratet und David, der gemeinsame Sohn, ist erst sechs Jahre alt. Welche gemeinsamen Erinnerungen kann er seinem Sohn hinterlassen, was kann und sollte er noch regeln und wie will er die nächsten Wochen für sich selbst gestalten?

    Thema und Genre
    In diesem Roman geht es um Beziehung, Familie, Liebe, um das Abschiednehmen am Ende eines Lebens, um das Schaffen von gemeinsamen Erinnerungen und vor allem geht es darum, loszulassen.

    Charaktere
    Martin Brehm blickt auf ein erfolgreiches Leben zurück, das von der Kindheit an davon geprägt ist, die Erwartungen zu erfüllen. Manchmal wurde er für kaltblütig gehalten, weil seine Gefühle sich immer erst mit einer gewissen Verzögerung einstellten. Seine Diagnose sieht er sachlich und die Situation wird für ihn rasch alltäglich.

    Erzählform und Sprache
    Martin steht im personalen Mittelpunkt des Geschehens und der Problematik, es ist seine Geschichte, die hier erzählt wird, seine Gedanken, Empfindungen und Überlegungen. Wir tauchen in seine Erinnerungen ein und sind gespannt auf seine Reaktion auf eine überraschende Entdeckung. Interessant ist es, Martins eigene Veränderung, die er in diesen Wochen durchläuft, mitzuerleben. Der Schriftsteller Bernhard Schlink erzählt auch diese Geschichte in seiner leisen, poetischen und präzisen Sprache.

    Fazit
    Eine einfühlsame Geschichte über die Entscheidung, wie ein Mensch die letzten Wochen seines Lebens selbstbestimmt verbringen will. Trotz des ernsten Themas ist es eine positive Geschichte, deren psychologische Elemente zum Nachdenken darüber anregen, wie man sich selbst in dieser Situation und mit diesem Wissen um die kurze, noch verbleibende Lebenszeit, entscheiden würde.

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  1. Der Tod kann nicht erlebt werden

    Spät wird Martin, Juraprofessor, Vater - erst mit 70 Jahren. Seine Frau Ulla ist Mitte 40.

    "Die zwölf Jahre seit der Hochzeit waren gute Jahre. Sie kauften ein kleines Haus mit Garten am Rand der Stadt. Ulla schloss das Studium ab, verlegte sich ganz aufs Malen, fand ein Atelier und eine Galerie, in der sie ausstellte und immer wieder aushalf, und bekam vor sechs Jahren David. Er lehrte bis siebzig an der Universität und schrieb danach weiter, wandte aber immer mehr Zeit an David und an den Garten und ans Kochen. Er nahm das Leben mit Ulla, dem Sohn und den verbliebenen Tätigkeiten als Geschenk, dem man nicht ins Maul schaut." (S.24)

    Doch jetzt ist diese Zeit vorüber, denn Martin leidet an Bauchspeicheldrüsenkrebs - unheilbar. Ihm bleibt ohne Therapie noch maximal noch ein halbes Jahr
    Ein Kritikpunkt in der Leserunde war die mangelhafte Recherche und infolgedessen die fehlende Expertise im medizinischen Bereich. Von der Tatsache, dass alle Entscheidungen vom Hausarzt gefällt werden, Therapiemöglichkeiten nur unzureichend diskutiert werden bis hin zur fragwürdigen Medikation bei Krebs - all das interessiert Schlink offenkundig nicht, zerstört jedoch die Glaubwürdigkeit der Geschichte.
    Ihm geht es ausschließlich darum, wie ein alter Mensch reagiert, im Angesicht dessen, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Was soll er seinem Sohn mit auf den Weg geben, was möchte er hinterlassen? Kann er seinen Lebensweg überhaupt noch beeinflussen? Oder muss er das Leben loslassen?
    Schade, dass er das Klischee des alten Mannes mit jüngerer Frau bedient hat. Kann man nicht auch das Bedürfnis haben, seinen Enkeln etwas hinterlassen zu wollen?

    Die Reaktion seiner jüngeren Frau auf seine Diagnose mutet seltsam kühl und unempathisch an, sofort gerät sie ins Tun:
    "Was willst du jetzt machen?" (S.26)
    Sie wird als pragmatisch, nüchterne Frau beschrieben, die ohne Vater aufgewachsen ist. Er habe die Familie verlassen, als sie noch sehr klein gewesen sei, berichtet Ulla Martin und betont gleichzeitig, dass sie keinen Vaterersatz gesucht hat. Trotzdem begibt sich Martin auf die Suche nach Ullas Vater? Ist es der Wunsch Gutes zu tun, noch ein letztes Mal Einfluss zunehmen oder ist es übergriffig, dies ohne ihr Wissen zu tun?

    Ulla bringt Martin auf die Idee, David einen Brief zu schreiben, der wortwörtlich von Gott (und der Welt) handelt. Es geht um sein Verhältnis zur Religion, um die Gerechtigkeit der Liebe, um einen gerechten Gott.
    Zunächst ist dieser Brief sehr unpersönlich, es scheint fast so, dass Schlink seine persönliche Meinung zu diesen Themen im Roman hinterlassen möchte.
    Allerdings wird Martin bewusst, dass er mit dem Brief David auch eine Gewissheit mitgeben will:
    "Die Jahre mit ihm und die Erinnerung an die Jahre mit ihm sollten für David ein Grundstock an Gewissheit werden, dass er geliebt war. Er sollte sich jetzt als kleiner und später als großer Mensch nicht anstrengen müssen, um sich angenommen und aufgehoben zu wissen. Die Gewissheit, geliebt zu sein, sollte bei den Anstrengungen des Lebens beflügeln, nicht Belohnung für sie sein." (93f.)
    Auch in seinem Handeln wird dieses Bestreben offensichtlich. Martin nutzt die Zeit mit seinem Sohn intensiv, er unternimmt eine Wanderung, legt gemeinsam mit ihm einen Komposthaufen an, kümmert sich um ihn, allerdings bereitet er David kaum auf seinen bevorstehenden Tod vor, auch Davids Mutter tut dies nicht.
    Zugute halten muss man dem Protagonisten, dass er am Ende die gemeinsame Zeit am Meer ausklingen lässt, intensive Tage mit seiner Familie verbringt, das Leben laufen lässt. Und auch die Leser:innen werden auf den letzten Seiten etwas versöhnt. Das Ende Martins erspart uns der Autor glücklicherweise.

    Während man Martins Verhalten, aus dessen personaler Perspektive die Handlung geschildert wird, teilweise nachvollziehen kann, ist Ullas Handlungsweise oft nicht verständlich. Ob es ihre Reaktionen auf Martins Brief, den sie wie selbstverständlich liest, noch seine Vorschläge in Bezug auf David noch ihre Verhaltensweisen außerhalb ihrer Familie sind, die Figur wirkt nicht authentisch und nicht in sich schlüssig.

    Insgesamt fällt meine Bewertung für einen von mir sehr geschätzten Autor eher bescheiden aus. Der Roman liest sich gut - aber ist das ein Qualitätsmerkmal? Es sind sehr viele Wendungen, die ebenfalls in dieser Dichte unglaubwürdig sind.
    Schlink hätte sich auf das Thema des herannahenden Todes und den Fragen konzentrieren sollen, was bleibt von mir, was möchte ich hinterlassen, kann ich das Leben meiner Lieben noch lenken oder muss ich es loslassen. Wenn es in den Szenen und in Martins Gedanken darum geht, zeigt der Roman seine Stärke.

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  1. 4
    06. Jan 2024 

    Ans Meer

    Mit 76 Jahren bekommt Martin überraschend eine Krebsdiagnose. Der Arzt macht ihm in aller Offenheit keine Hoffnungen. Martin bleiben nur noch wenige Monate, nicht einmal ein Jahr. Doch zunächst geht es Martin genauso wie vorher, wenn nur die Müdigkeit nicht wäre, die ihn manchmal unvorbereitet trifft. Nun muss Martin sich mit seinem nahenden Tod beschäftigen, aber auch mit dem Leben, das ihm noch bleibt. Martins Frau Ulla ist erheblich jünger als er. Zwar war sie nicht seine Studentin, aber als sie sich kennenlernten war sie Studentin und er Professor. Die beiden haben einen knapp sechsjährigen Sohn, den Martin regelmäßig vom Kindergarten abholt.

    Wie lange noch? Wie lange noch kann Martin David abholen? Wie lange noch wird er mit Ulla verheiratet sein? Wie lange noch wird er die Sonne genießen können? Viele wie lange noch, die Martin durch den Kopf gehen. Wie geht Ulla mit seinem baldigen Ableben um? Was wird mit David sein, wenn er ohne Vater aufwachsen muss? Überraschend gibt es auch noch Neues, was Martin erfahren muss oder darf. Und einige Unternehmungen, die er mit Ulla und David schon lange mal wieder machen wollte, können in Angriff genommen werden. Ist das alles überhaupt wahr? So schlecht geht es ihm gar nicht.

    Immerhin hat Martin ein erfülltes Leben, doch hätte man ihm ein längeres Leben gewünscht. Leider ist manchmal nicht so einfach mit der Wunscherfüllung. Nicht alles läuft wie man möchte. Doch so eine Diagnose. Das ist hart. Dabei wirkt Martin trauernd um das, was er nicht mehr erleben kann. Dennoch ist er nicht wehleidig, er nimmt seine tödliche Erkrankung wie sie kommt. Er versucht, möglichst lange seinen normalen Alltag zu erleben. Er versucht sich und seinen Lieben möglichst viele freudige Momente zu erhalten. Mit einigen unerwarteten Situationen muss er sich auseinander setzen. So wie ihm normalen Leben, in dem nicht dieses Damoklesschwert über ihm hinge. Behutsam und sanft nähert sich Bernhard Schlink seinem Thema. Der Autor selbst in einem ähnlichen Alter schreibt sehr nahegehend wie er sich vorstellt, wie es ist mit dem nahenden Tod konfrontiert zu sein. Tatsächlich so würde man es sich wünschen, das Schicksal annehmend, noch das Beste draus machend. Wie es wirklich wird, kann man zum Glück nicht sagen. Das wird wohl sehr individuell sein. Dieser Roman ist sehr berührend. Ein hervorragender Schriftsteller, dessen Gedanken bei diesem Hörbuch ebenso hervorragend und nachdenklich vorgebracht werden von Ulrich Noethen.

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  1. Was bleibt, wenn man selbst nicht mehr da ist?

    Schlink ist für mich schon seit Jahren ein Autor, der kurzweilig und so enorm klug unterhält, dass ich gar nicht groß den Klappentext vorab lesen mag, sondern einfach zum Buch greife.

    In der Geschichte geht es um den 76 Jahre alten Martin, der nur noch wenige Wochen zu leben hat. Wie soll er damit umgehen, wo er doch einen sechsjährigen Sohn hat und seine Frau Ulla auch mehr als 30 Jahre jünger ist? Was bleibt, wenn er nicht mehr ist? Wie will er die letzten Tage seines Lebens verbringen?

    Der Autor selbst ist Ende 70 und wer wenn nicht er hat die Lebenserfahrung und das Alter, um sich über den Tod Gedanken zu machen? Und er tut dies auf so eindrückliche Weise, dass ich teils Freude beim Lesen empfand, teilweise aber auch nah am Wasser gebaut war.

    Das Besondere ist hier, dass die Paarbeziehung sehr real beschrieben wird. Es gibt nun mal nicht jeden Tag eitel Sonnenschein und die Versuchungen der Welt sind manchmal stärker als die Moral.

    Die Briefe, die Martin seinem Sohn hinterlassen möchte, haben mich berührt und natürlich stellt man sich immer wieder die Frage, was man selbst hinterlassen würde. Bliebe etwas in der Welt von einem zurück oder ist man mit dem Sterben auch gänzlich von der Welt verschwunden?

    Die Vater- Sohn- Beziehung habe ich als sehr innig empfunden. Ich mochte, dass Martin seinen Sohn David nicht dazu nötigt der starke Junge sein zu müssen, sondern das auszuleben was ihn erfüllt und glücklich macht.

    Im Buch habe ich mir wieder diverse kluge Sätze markiert. Schlink hat für mich einfach etwas Lebenskluges und Weises an sich, da kann man als junger Mensch nur von profitieren.

    Fazit: Wenige Worte, die wieder sehr viel Emotionen transportieren. Klare Leseempfehlung!

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Aus der Zeit fallen

Buchseite und Rezensionen zu 'Aus der Zeit fallen' von David Grossman
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Aus der Zeit fallen"

Format:Taschenbuch
Seiten:128
EAN:9783596031535
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Rezensionen zu "Aus der Zeit fallen"

  1. Ein Meisterwerk trotz seiner Tragik!

    !ein Lesehighlight 2023!

    Klappentext:

    „Totenklage und Hymnus auf das Leben zugleich

    Ein Mann streift klagend durch die Stadt, trauernd um seinen toten Sohn. Andere Leidtragende schließen sich ihm an. Zusammen bilden sie einen vielstimmigen Chor, der all die Fragen besingt, mit denen Verstorbene ihre Angehörigen zurücklassen. David Grossman, einer der bedeutendsten Autoren Israels, legt einige Jahre nach dem Tod seines eigenen Sohnes im Libanonkrieg sein wohl persönlichstes Buch vor.“

    Ein kleines Buch mit einer gewaltigen Geschichte die einen berührt und unweigerlich gefangen nimmt. Grossmann erzählt hier seine ganz persönliche Geschichte und ja, sie ist mehr als schwer erträglich. Wer sich mit Trauerbewältigung ein wenig auskennt weiß, man muss diesem ganzen Elend Luft machen und es von der Seele lassen. Entweder schreiben, heraus brüllen oder mit jemanden sprechen der Ahnung von der Materie hat. Grossmanns Geschichte ist unglaublich berührend und durch seine lyrische und poetische Sprache einfach ein Genuss trotz der traurigen Hintergrundes. Grossmann und seine Familie sind nicht allein mit der Trauer und genau das erzählt er brillant mit dem Auftritt des Chors. Ein Buch bei denen mir die Worte förmlich fehlen….

    Als Fazit kann ich klar sagen: es ist mir unbegreiflich wieviel Emotionen, sprachliche Brillanz und dieses bittere Thema Tot in dieses dünne Büchlein passte. Dieser Autor hat ein Meisterwerk verfasst, welches eine Art Umarmung an alle ist, die einen geliebten Menschen verloren haben. Wenn ich könnte, würde ich gern mehr als 5 Sterne vergeben.

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Der Friedhof lebt!

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Rezensionen zu "Der Friedhof lebt!"

  1. Der Friedhof als Naturoase

    Dieses Sachbuch beinhaltet fünf Kapitel davon ist das vierte Kapitel noch zusätzlich unterteilt. Die vielen und unterschiedlich großen Bilder sind meiner Meinung nach sehr schön anzuschauen und haben zum Teil auch einen romantischen Flair an sich. In diesem Buch geht es nicht um den Tod oder den Religionen sondern um die Natur, den Tieren und Pflanzen auf dem Friedhof. Man glaubt gar nicht wie artenreich und vielfältig ein Friedhof sein kann. Die Autorin listet unter anderem aus ihrer Sicht die paradiesischen Friedhöfe und Bestattungswälder in den unterschiedlichen Regionen auf zudem Friedhöfe mit wilden Tieren. In diesem Buch ist ein Friedhofsvokabular vorhanden bei dem ich viel wissenswertes und interessantes lesen konnte z. B. über die verschiedenen Bestattungsarten über Ruhefristen bis hin zur Urne. Aber das Hauptthema ist die Natur und so konnte ich mir ein sehr gutes Bild davon machen was so alles auf einem Friedhof wächst und gedeiht. Dabei ist der Schreibstil sehr ruhig. Ich nahm mir immer ein Kapitel vor denn der Leser muss nicht unbedingt dieses Buch Kapitel für Kapitel lesen. Die Autorin erläutert wie man naturnahe Grabstätten erschaffen oder den Naturschutz auch auf dem Friedhof anwenden kann. Für Naturliebhaber ist dieses außergewöhnliche Buch sehr aufschlussreich und inspirierend zugleich. Die Autorin erklärt wie Ökologie und Pietät zusammenpassen und hinterfragt auch schon mal die gängigen Ordnungsvorschriften. Dieses Buch ist meiner Ansicht nach ideen - und abwechslungsreich zudem ist es sehr detailliert und aufschlussreich geschrieben. Ich persönlich war positiv überrascht und sogar erstaunt über die Ruheoasen mitten in unseren Städten. Ich vergebe für diesen Naturführer der viel wissenswertes beinhaltet sehr gerne fünf Sterne.

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Augustblau

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Malinverno oder Die Bibliothek der verlorenen Geschichten

Buchseite und Rezensionen zu 'Malinverno oder Die Bibliothek der verlorenen Geschichten' von Domenico Dara
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Malinverno oder Die Bibliothek der verlorenen Geschichten"

Format:Broschiert
Seiten:416
EAN:9783462005813
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Rezensionen zu "Malinverno oder Die Bibliothek der verlorenen Geschichten"

  1. Für Freunde besonderer Literatur

    REZENSION – Es sind die einfachen, unscheinbaren Menschen in den kleinen kalabrischen Städtchen, die das literarische Universum des italienischen Schriftstellers Domenico Dara (52) abbilden. Spielten die ersten zwei Romane „Der Postbote von Girifalco“ und „Der Zirkus von Girifalco“ noch in seinem dörflichen Geburtsort, verlegte der Autor den Handlungsort seines dritten, im Juli im Verlag Kiepenheuer & Witsch veröffentlichten Romans „Malinverno, oder Die Bibliothek der verlorenen Geschichten“ in das fiktive kalabrische Städtchen Timpamara – einen jener Orte, „an denen der Geist der Literatur in der Atemluft liegt“. Hier leben die Menschen von und mit der Literatur, seitdem hier im 19. Jahrhundert die erste Papierfabrik Kalabriens entstand. In Timpamara benennt man sogar die Kinder nach literarischen Figuren oder Schriftstellern.
    Unzählige Seiten alter Bücher werden täglich bei der Papierpresse aufgewirbelt und fliegen durchs Dorf: "Überall in Timpamara, auf Fensterbrettern und Bänken, auf Kofferräumen und Müllsäcken, ja sogar auf den Hüten der Damen, konnte eine Seite aus einem Roman landen. Wenn sie jemand aufhob, sie las, und wenn sie ihm nicht gefiel, warf er sie nicht weg, sondern legte sie irgendwo ab, im Blumenkasten auf dem Bürgersteig oder, mit einem Stein beschwert, auf einer Stufe, damit jemand anderes sie aufhob..."
    „Malinverno“, betitelt nach Astolfo Malinverno, dem hinkenden Bibliothekar des Ortes, ist eine sehr empathisch geschriebene Geschichte um die Liebe zur Literatur, zur Heimat und zu den dort lebenden Menschen, über deren Leben und Schicksale uns der junge Bibliothekar erzählt. Manches schmückt er auch gern aus: „Die Details habe ich hinzugefügt, denn es war immer schon mein Laster, Geschichten, Wörter und Träume um die Leute herum zu bauen.“ Malinverno ist ein begeisterter Geschichtensammler und Erzähler, also die Idealbesetzung für die Bibliothek.
    Doch eines Tages beauftragt ihn der Bürgermeister, auch noch den Friedhof zu übernehmen, was Malinverno zunächst beunruhigt: „Mit Veränderungen war ich noch nie gut zurechtgekommen, … darum versuchte ich, mich auf die einzige mir bekannte Art abzulenken. Ich holte 'Madame Bovary' aus der Tasche.“ Erst allmählich kann sich der Bibliothekar mit seinem Zweitjob als Friedhofswärter anfreunden: „Mein Hände öffneten die Tür der Bibliothek und das Tor zum Friedhof, sie ordneten die Bände auf den Regalen und die Blumenkränze, schrieben etwas ins Ausleih- und ins Sterberegister. Aber es gab noch einen anderen Grund, der die beiden Welten miteinander verband: Für mich waren und sind diejenigen Bücher vollkommen, die mit dem Tod des Protagonisten enden.“
    Als er ein namen- und datenloses Grab mit dem Foto einer bildschönen Frau entdeckt, verliebt er sich in dieses Bildnis, das ihn an Gustave Flauberts Figur Emma Bovary erinnert. Mysteriös wird es, als eines Tages eine Frau namens Ofelia auf dem Friedhof erscheint, die das genau Abbild dieser Fotografie ist: „Herausgetreten aus der Fotografie und vor meinen Augen Mensch geworden.“ Die Grenzen zwischen Literatur und Wirklichkeit scheinen sich aufzulösen. Als dann noch ein geheimnisvoller Unbekannter auf dem Friedhof erscheint, nimmt Domenico Daras Geschichte nach etwas zu langer Anlaufphase langsam Fahrt auf und auch an Spannung zu: Friedhofswärter Malinverno beginnt, den geheimnisvollen Vorgängen auf den Grund zu gehen.
    „Malinverno“ ist ein poetisch-romantischer Roman, in dem sich der Autor in leichter Sprache und mit Verweisen auf Werke klassischer Literatur mit dem Leben, der Liebe und dem Tod befasst. Seinen Protagonisten Astolfo Malinverno – diese Figur muss man einfach ins Herz schließen – nutzt er geschickt als Medium. „Malinverno, oder Die Bibliothek der verlorenen Geschichten“ ist vor allem für Freunde besonderer Literatur ein empfehlenswertes Buch.

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Schura

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Die Bosheit: Roman

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Rezensionen zu "Die Bosheit: Roman"

  1. 4
    18. Sep 2023 

    Nur ein Unfall?

    Auf dem Heimweg hört Mikael die Sirenen. Und je näher er dem Haus kommt, desto lauter werden sie. Was also zunächst nur ein leichtes Unbehagen ist, wird schnell zu einer grausamen Gewissheit. Seine Frau Bianca wurde angefahren und das von einer Nachbarin. Dabei wollte sie nur schnell mit dem Rad in den Laden, um etwas Käse zu besorgen. Bei aller Sorge ist Mikael erstmal froh, dass die Helfer so schnell da waren. Wie konnte es zu dem Unfall kommen? Die Polizei beginnt mit den Ermittlungen und versucht, zu eruieren, wie es war seit Mikael, Bianca und die beiden Kinder in die beschauliche Nachbarschaft gezogen sind.

    Ein Stand Alone ist doch auch mal was Schönes. In diesem Thriller geht es um nachbarschaftliche Bande und auch die Beziehungen in den einzelnen Familien. Mikael und Bianca wollen einen Neuanfang wagen. Jacqueline, ein ehemaliges Modell, und ihr Sohn Fabian hatten auch einen Grund für den Umzug von Amerika nach Schweden. Ola musste eine heikle Situation überstehen. Und Gunbrit und Åke, ein älteres Ehepaar, wissen einiges über die Nachbarn, was sie gerne weiter erzählen. Bestens geeignet sind dazu die in gewissen Abständen organisierten Nachbarschaftsfeste.

    Dieses ungekürzte Hörbuch hat insofern etwas besonderes, da es von drei Sprechern vorgetragen wird. Durch die gekonnten Lesungen von Sandrine Mittelstädt, Julian Mehne und Dirk Petrick wird das Hörerlebnis wahrscheinlich wesentlich intensiver, als wenn sich nur ein Sprecher des Buches angenommen hätte. Positiv kann hervorgehoben werden, dass am Anfang eines Kapitels immer gesagt wird, ob es vor dem Unfall angesiedelt ist oder danach.

    Spannend ist es, zu hören wie sich die Beziehungen in den Familien und zwischen den Nachbarn im laufe der Zeit entwickeln. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die unglücklich laufen, oder auf den ersten Blick harmlose Entscheidungen, die nachher eine fatale Auswirkung haben. Und so bleibt man am Ball, hat das Buch in relativ kurzer Zeit gehört, weil man wissen will, ob es einen nachvollziehbaren Grund für den Unfall gibt.

    Ein fesselnder Thriller, da hat sich der Autor ein paar Fiesheiten ausgedacht, die manchmal nicht ganz leicht verdaulich sind.

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