Italienische Reise
Im Jahr 1939 muss die elfjährige Hannah Rosenthal mit ihrer Familie aus Berlin fliehen, weil sie als Juden in ihrer Heimat, dem nationalsozialistischen Deutschland, in Gefahr sind. Ein Schiff soll sie nach Kuba bringen, doch nur wenige Passagiere dürfen die St. Louis dort verlassen. So wird auch Hannahs Familie auseinandergerissen, denn nur sie und ihre Mutter Alma dürfen einreisen.
Im Jahr 2014 sucht die elfjährige Anna Rosen nach den Wurzeln ihres Vaters, der bei den Terroranschlägen am 11. September ums Leben gekommen ist. Ein Brief ihrer Großtante gibt ihr erste Hinweise, aber auch neue Rätsel auf. Erst als sie zusammen mit ihrer Mutter von New York nach Kuba reist, um mehr zu erfahren, kommt sie der Geschichte ihrer Familie wirklich nahe.
„Das Erbe der Rosenthals“ ist der gelungene Debütroman des Autors Armando Lucas Correa.
Meine Meinung:
Erzählt wird die Geschichte aus einer ungewöhnlichen, interessanten Perspektive, nämlich der Sicht der beiden Mädchen, deren Kapitel sich jeweils abwechseln. Darüber hinaus ist das Buch in vier Teile untergliedert. Der Aufbau des Romans mit den unterschiedlichen Zeitebenen sorgt für Abwechslung und gefällt mir sehr gut. Der Autor beweist, dass er mit Sprache hervorragend umgehen kann. Der Schreibstil ist angenehm, gefühlvoll und dem Alter der Mädchen angepasst.
Ich konnte gut in die Geschichte reinfinden, die Seiten ließen sich flüssig lesen. Die Geschehnisse konnten mich schnell fesseln und berühren.
Mit Hannah und Anna stehen zwei sympathische Hauptprotagonistinnen im Vordergrund. Vor allem das Schicksal Hannahs ging mir sehr nahe. Anna bleibt dagegen etwas blasser.
Der tiefgründige Inhalt des Romans konnte mich absolut überzeugen. Die Handlung, bei der es vor allem um die Themen Verfolgung, Flucht, Liebe, Verlust, Überlebenswille und Hoffnung geht, finde ich sehr bewegend. Erschreckend aktuell erschienen mir viele der Geschehnisse im Roman.
Lobenswert ist auch, dass der Autor sich auf historische Begebenheiten stützt und ein geschichtliches Ereignis wieder in Erinnerung ruft, das bisher wenig bekannt ist und im Zusammenhang mit dem Holocaust nur selten Erwähnung findet: die Fahrt des Luxusliner St. Louis von Hamburg in Richtung Kuba mit jüdischen Emigranten im Mai 1939. Eindrucksvoll werden die historischen Hintergründe mit den abgedruckten Passagierlisten und Fotos dokumentiert. Dieses Zusatzmaterial ist ebenso ein Plus des Romans. Weitere Informationen sind im Nachwort erhalten, das die ausführliche Recherchearbeit des Autors belegt.
Das Cover finde ich sehr hübsch. Der deutsche Titel des Buches weicht zwar stark vom Original („The German Girl“) ab, ist aber durchaus passend.
Mein Fazit:
„Das Erbe der Rosenthals“ von Armando Lucas Correa ist ein äußerst lesenswertes, emotionales Familiendrama, das mich sehr berühren konnte. Ich kann den Roman wärmstens empfehlen.
"Damit du mich nicht vergisst und ich in Gedanken bei dir bin, lies meine Briefe, die dir jeden Tag sagen, dass ich dich liebe. Damit du mich nicht vergisst und unsere Liebe niemals enden wird, überwinde ich jede Entfernung und halte für immer die Zeit an." (Auszug aus dem Buch)
Wir befinden uns im heutigen Zeitalter, wo es nicht mehr interessant ist, einander Briefe zu schreiben, sondern man dies alles über die neuen Medien macht. In Porvenir einem kleinen spanischen Dorf soll das Postamt geschlossen werden und Sara die Briefträgerin und alleinerziehende Mutter von drei Kindern, nach Madrid versetzt werden. Als die 80-jährige Rosa, ihre Nachbarin und fast wie eine Mutter zu Sara dies mitbekommt, hat sie einen Plan. Mithilfe einer Briefkette will sie versuchen Saras Arbeitsplatz zu erhalten. Deshalb schreibt sie einen Brief und erzählt ihr dort ihr innerstes Geheimnis und sendet es an das Haus, wo ihre ehemalige Freundin Luisa wohnte. Damit die Briefkette weitergeht, schreibt Rosa den Grund ihres Briefes und warum es wichtig ist diese Kette weiterzuführen. So nimmt die Briefkette ihren Lauf, ohne das Sara lange etwas ahnt, warum auf einmal mehr Briefe auszutragen sind.
Meine Meinung:
Ángeles Doñate ist mit diesem Buch eine wunderschöne, warmherzige Geschichte gelungen. Dieses Buch ist so realitätsnah wie es nur sein kann, den gerade in unserem Zeitalter sind Briefe immer mehr ins Hintertreffen gekommen. Kaum mehr jemand schreibt einen Liebesbrief, wenn dann eher eine Mail oder eine WhatsApp Nachricht. Die Briefe der Geschichte bringen einen Ball ins Rollen, der Menschen verbindet, Liebe entfacht, Sehnsüchte weckt und Träume verwirklicht. Auch die wunderschönen Zitate die, die Autorin mit einfließen hat lassen und die Erlebnisse der Personen, haben mich sehr berührt. Zitate wie z. B.: "Um einen guten Liebesbrief zu schreiben, musst du anfangen, ohne zu wissen, was du sagen willst, und enden, ohne zu wissen, was du gesagt hast." (JEAN-JACQUES ROUSSEAU) Vor allem die Geschichte um Alex und Alma hat mich am meisten bewegt, weil sie so schön, aber auch traurig war. Dieser gefühlvolle Roman handelt nicht nur von Liebe, nein auch Trauer, Krankheit, Träume, Sehnsüchte und Wünsche spielen eine große Rolle. Natürlich kann man nicht bei allen Personen in die Tiefe gehen, deshalb konzentriert sich dieses Buch intensiv auf ein paar wenige Personen. Auch das Cover mit der Frau auf dem Rad und dem Brief passt sehr gut. Ich danke NetGalley und dem Verlag, das ich dieses einmalige Buch lesen durfte und gebe 5 von 5 Sterne und eine Leseempfehlung.
Wer Lust hat, einmal weit über den Tellerrand hinauszublicken, sollte dieses überwiegend interessante und oft amüsante Werk lesen und sich in eine völlig andere Zeit und Kultur begeben.
Beim „Kopfkissenbuch“ wird der Leser von der einstigen Hofdame Sei Shōnagon 1000 Jahre zurückkatapultiert und in den Kaiserpalast Japans entführt.
Es handelt sich hier nicht um einen Roman, sondern um eine in Kapiteln gegliederte Aneinanderreihung von Listen, Erinnerungen und Gedanken der Autorin.
Sie vermittelt in einer Art Brainstorming tiefe Einblicke in den Palastalltag. Der Leser bekommt eine gute Vorstellung von den Gepflogenheiten bei Hofe, von der höfischen Etikette, von der Bedeutung von Gewändern und erlesenen Stoffen, von buddhistischen Vorträgen, von Dichtkunst und von Festtagen sowie von den Haltungen, Gedanken und Gefühlen der Menschen, die zu den sogenannten Ranghöheren im Palast gehörten.
Vor dem geistigen Auge entstehen lebendige Bilder, Szenen und Filme.
Formal besteht das Buch aus 3 verschiedenen, nicht chronologisch geordneten, sich abwechselnden Arten von Kapiteln:
-Auflistungen konkreter Dinge
-Abschnitte, in denen sie Gedanken und Meinungen anhand von Beispielen kundtut
-Kapitel, in denen sie Erlebnisse schildert.
Die Auflistungen fand ich nur mäßig interessant und deshalb langweilten sie mich. Zum Teil war es da dann auch unnötig, zu den Anmerkungen nach hinten zu blättern, weil sie keine besonders erhellende Aussage hatten.
Es waren dies z. B. Auflistungen von Bergen, Schluchten, Brücken, Kräutern, Blumen, Tieren, Bäumen...Diese Listen überflog ich irgendwann nur noch recht oberflächlich.
Die nach dem gleichen Schema aufgebauten Abschnitte mit Überschriften wie „Bange Gefühle“, „Gegensätzliches“, „Was mit den Erwartungen nicht im Einklang steht“, „Unausstehliches“, „Worüber ich mich totärgern könnte“... interessierten, faszinierten und amüsierten mich nicht zuletzt deshalb, weil so viele Parallelen und Überlappungen zwischen heute und damals festzustellen waren.
Um einen Eindruck von diesen Abschnitten zu vermitteln, zitiere ich im Folgenden ein paar Kostproben:
„Bange Gefühle weckt auch ein Kleinkind, das noch nicht reden kann, wenn es sich trotzig gebärdet und schreit, ohne sich auf den Arm nehmen zu lassen.“
„Ein Besucher, der genau dann kommt, wenn ich dringende Dinge zu erledigen habe, und dann endlos daherschwatzt ist sehr unangenehm!“
„Wenn mir bei einem Brief, ganz gleich ob ich ihn von mir aus oder als Antwort auf einen erhaltenen Brief verfasst habe, der eine oder andere viel treffendere Ausdruck erst einfällt, wenn ich ihn schon abgeschickt habe - dann könnte ich mich totärgern. “
Die Kapitel, in denen Sei Shōnagon Erlebnisse an ihre Zeit als Hofdame erinnert und beschreibt, haben mich gefesselt und begeistert.
Das Werk ist in gut lesbarer, flüssiger, lebendiger einfacher und direkter Sprache geschrieben, wobei die verschiedenen Rangbezeichnungen und japanischen Namen sowie das Hin- und Herblättern zu den meist hilfreichen, aber bisweilen überflüssigen Anmerkungen am Ende des Buches, die Lektüre immer wieder ins Stocken bringen.
Die selbstbewusste, ca. 30jährige Autorin ist eine äußerst interessante Frau, die scharfsinnig beobachtet, kein Blatt vor den Mund nimmt und schreibt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Sie hat klare Prinzipien, unumstößliche Ansichten und unverrückbare Meinungen.
Sie hat zu wirklich allem etwas zu sagen, ist schlagfertig und gewitzt.
Manchmal musste ich wegen der herablassenden, unsensiblen Art der Autorin und der damaligen höherrangigen Hofleute schlucken.
Nicht selten musste ich schmunzeln und ab und zu war ich, wie bereits oben erwähnt, gelangweilt.
Die konservative und traditionsbewusste Autorin war Tochter eines Lyrikers und hatte nicht nur eine Vorliebe, sondern ein herausragendes Talent für Wortspiele und Gedichte.
Im damals beliebten Stehgreifdichten war sie äußerst bewandert.
Sie war sehr modebewusst und extrem belesen.
Sehr interessant und hilfreich für ein besseres Verständnis sind Nachwort und Glossar.
Summa summarum:
Ich bin froh, dass ich mir dieses Werk vorgenommen habe, weil ich japaninteressiert bin, viel Neues gelernt habe und überwiegend recht gut unterhalten wurde.
Und jetzt bin ich froh, dass ich es beendet habe und dass ich es beiseite legen und mich wieder einem „richtigen Roman“ zuwenden kann.
Wenn jemand zeitlebens nicht erkannt werden wollte...
Als Georges Simenon in seine Heimatstadt Lüttich kommt, um seine einundneunzigjährige Mutter während ihrer letzten Tage zu begleiten, richten sich im Krankenhauszimmer zwei Augen von verwaschenem Grau auf ihn. »Warum bist du gekommen, Georges?« So beginnt ein letztes, regloses Duell zwischen Mutter und Sohn. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen war das Leben der Mutter geprägt von Entbehrungen und Enttäuschungen, von unbedingtem Aufstiegswillen, von Sorgen um ihr Auskommen und ihre Außenwirkung. Das Verhältnis zu ihren zwei Ehemännern war kühl, den Ruhm des Sohnes wusste sie nicht zu würdigen. Nie war er gut genug. Haben sie einander je verstanden, haben sie sich je geliebt? Drei Jahre nach ihrem Tod schrieb Simenon seiner Mutter einen Brief. Es ist sein wohl bedeutendster autobiographischer Text, ein schmales Buch von gewaltiger Wirkung.
"Meine liebe Mama, es ist nun etwa dreieinhalb Jahre her, dass Du einundneunzigjährig gestorben bist, und vielleicht lerne ich Dich erst jetzt allmählich kennen. Ich habe meine Kindheit und meine Jugend im selben Haus wie Du verbracht, mit Dir, und als ich Dich verließ, um nach Paris zu gehen, im Alter von etwa neunzehn Jahren, warst Du für mich noch immer eine Fremde."
Was haben sich Mutter und Sohn zu sagen gehabt? Offenbar nicht viel, nur Oberflächliches, eine gespielte Liebe, wie Simenon es hier offenbart. Zeitlebens hat der Sohn seiner Mutter nicht genügt, viel Verletzendes ist wie im Nebensatz gefallen, die Mutter lebte ihr Leben ganz nach eigener Fasson. Dieser Brief ist der Versuch, im Nachhinein die Person der Mutter zu erfassen, sie, die zeitlebens nicht erkannt werden wollte.
Überspannt ist wohl der Ausdruck, der einem einfällt, wenn man über die Mutter und ihre Eskapaden liest. Es liegt in der Familie, eine Schwester der Mutter wurde in die Psychiatrie eingeliefert, eine andere erlag dem Alkohol. Simenon meint hierzu: "Du warst, wie Dein Vater, wie die meisten Deiner Geschwister, mit einem gewissen Hang zur Schwermut auf die Welt gekommen, heute würde man es als neurotisch bezeichnen."
Trotz aller Offenheit und auch der Schilderung heftiger Szenen scheint der Brief tatsächlich eher eine Annäherung an die Mutter zu sein denn eine Abrechnung. Es scheint um ein Verstehenwollen zu gehen. Weshalb sich Simenon letztlich entschieden hat, diesen Brief zu veröffentlichen, sei einmal dahingestellt. Vielleicht sah er sich in der Nachfolge des berühmten Franz Kafka mit seinem "Brief an den Vater"?
"Denn dieses Lächeln, in das sich auch Melancholie und Resignation mischten, kenne ich seit meiner Kindheit. Du hast das Leben ertragen. Gelebt hast du es nicht."
In jedem Fall scheint mir dieser Brief eine legitime Möglichkeit Simenons, mit der Vergangenheit abzuschließen und sich mit ihr zu versöhnen. Für den Leser bietet das Werk einen interessanten Einblick hinter die Fassade des smarten Vielschreibers und seinen Hang zu meist unverbindlichen Affären - abgesehen von seinen drei Ehen.
Wer sich für solche Hintergründe des Vaters der Kommissar Maigret Krimis interessiert, dem sei das schmale Büchlein empfohlen.
© Parden