Besser allein als in schlechter Gesellschaft

Cover:
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Die Autorin blickt ernst und auch mit einem gewissen Stolz in ihrer Massai-Gewandung dem Leser entgegen. Das passt zu dem Titel sehr gut, dass ihr Platz bei den Massai ist. Sie gehört zu ihnen. Mich hat das Titelbild sehr angesprochen, denn es ist ungewöhnlich für eine Europäerin, einen solchen Schritt zu wagen.
Inhalt:
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Eigentlich wollte Stephanie Fuchs nur ein paar Monate Praktikum in Afrika machen, um ihr Studium der Fächer Biologie und Umweltschutz praktisch zu vertiefen. Ihr Ziel ist es, mehr über die Tiere und die Umweltgegebenheiten dort herauszufinden, um die Umwelt- und Tierschutz dort verbessern zu können. Doch dann trifft sie bei ihrer Arbeit auf den Massai Sokoine. Beide verlieben sich und trotz der kulturellen Differenzen wagen sie den Schritt zu heiraten und Stephanie zieht in sein Dorf in Tansania. Trotz vieler Problem lebt sie sich ein, bekommt mit Sokoine einen Sohn und lebt dort als Bestandteil der Dorfgemeinschaft. Von ihrem Leben dort und wie es dazu kam, erzählt sie in diesem Buch.
Mein Eindruck:
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"Ich wünschte, dass es anders gekommen wäre. Ich wünschte mir sehr, dass meine Mutter nicht krank gewesen wäre. Während ich von ihr Abschied nehme, gebe ich mir selbst ein Versprechen. Mein Leben nicht zu vergeuden, nicht zu verschenken, sondern seine Kostbarkeit zu spüren. In die Welt hinauszugehen und meine Aufgabe zu finden."
Ich liebe Geschichten aus anderen Kulturen und ein Leben bei den Massai fällt für mich so vollkommen aus meinem Komfortzonenbereich, dass ich erst recht neugierig auf diese Geschichte war. Mich hat der ehrliche, selbstkritische und teils auch humorvolle Stil der Autorin direkt gefesselt. Sie beschreibt ihre Selbstzweifel, auch das Thema Ehe betreffend, denn aus ihrer eigenen Familiengeschichte hat sie einige seelische Narben davon getragen. Doch trotz Bedenken, kultureller Unterschiede, einiger Krankheiten im Busch und Eheproblemen hält sie durch. Die Probleme des Klimawandels sind hier hautnah zu spüren und die Not schweißt sie mit Sokoine wieder zusammen. Sie hält durch, kämpft mit den Massai ums Überleben und auch für ein besseres Leben. Sie geht in die sozialen Medien, regt Projekte an, die zur Verbesserung der Lebensumstände der Massai beitragen und packt selbst mit an, wo sie kann.
"Es geht etwas Unschätzbares, Kostbares für immer verloren. Etwas, was man nie wieder zurückholen kann. Das will ich nicht miterleben und tatenlos dabei zuschauen.
Diesen Gedanken muss ich weit wegschieben. Nicht stehen bleiben, nicht in Angst erstarren. Aktiv werden, Lösungen finden. Es muss doch verdammt noch mal etwas geben, was ich tun kann. Ich werde hier nicht im Busch sitzen und zusehen, wie die Menschen und die Kultur, die ich lieben gelernt habe, zu Grunde gehen."
Man bekommt Einblicke in die guten, aber auch die schlechten Phasen, lernt viel über die Tierwelt Tansanias, das Leben der Massai und welche Auswirkungen der Klimawandel auf das Leben in Afrika hat. Das Buch regt zum Nachdenken an und dazu, sich selbst zu engagieren. Und es betont die Wichtigkeit von Toleranz gegenüber anderen Kulturen:
"In der westlichen Welt wird uns beigebracht, dass wir bewerten müssen, um zu verstehen. Aber eigentlich ist der einzige Weg zu verstehen, Fragen zu stellen und manchmal auch, Fragen offen zu lassen. Man muss nicht immer Antworten auf alles haben. Und meistens lernt man erst dann wirklich etwas. [...] Wir sind alle Menschen. Wir können alle voneinander lernen."
Vor allem aber sollte man die Hoffnung nie aufgeben, denn "Esepata" bedeutet Hoffnung in der Sprache der Massai.
Fazit:
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Eindrucksvolle Lebens- und Liebesgeschichte, die Einblicke in die Kultur der Massai gibt und die Auswirkungen des Klimawandels spürbar macht
Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag: eine Delegation der französischen Gewerbeaufsicht bereist im Jahre 1928 die Kautschuk-Plantagen der Firma Michelin. Es hatte einen Arbeiteraufstand gegeben, es gab gehäufte Selbstmorde und Fluchtversuche der „befreiten“ Vietnamesen, und die Gewerbeaufsicht will sich ein Bild verschaffen.
Das Bild, das sich ihnen bietet, ist an Menschenverachtung kaum zu überbieten: trostlose monotone Arbeitsbedingungen, drakonische Strafmaßnahmen und Folter, halbverhungerte Elendsgestalten. Die Delegation ist entsetzt und verfasst einen entsprechenden Bericht, „die Behörden sprechen ein paar Empfehlungen aus. Ihnen folgt weder Reform noch Verurteilung. In jenem Jahr erzielte die Firma Michelin einen Rekordgewinn von dreiundneunzig Millionen Francs“.
Damit benennt Vuillard gleich zu Beginn die Nutznießer der französischen Kolonialherrschaft in Indochina: die Industrie und auch die Banken.
Es geht in dem Buch um das Ende der französischen Kolonialherrschaft in Indochina, den heutigen Ländern Vietnam, Kambodscha und Laos. Vuillard zeigt auf, wie das Ende begann und wie die Tragödie von Dien Bien Phu das Ende besiegelte. Im Mittelpunkt stehen aber weniger die konkreten militärischen Ereignisse, sondern eher die Hintergründe, und die sind mehr als anrüchig. Der Autor hat genau recherchiert und führt die Schuldigen am Desaster vor: die Industrie und die Banken, die das Land ausbeuteten. Während in Frankreich noch das nationale Pathos hochkochte, war ihnen schon früh die Hoffnungslosigkeit der Lage klar. Sie räumten der französischen Armee – die zum überwiegenden Teil aus Vietnamesen und Kolonialsoldaten bestand – keine Chance gegenüber den Vietminh ein, trotz ihrer strategischen Überlegenheit, die die Vietminh durch hohen Personeneinsatz und hohe Motivation kompensierten. Daher brachten Wirtschaft und Banken ihre Investitionen frühzeitig in Sicherheit und fuhren zugleich hohe Gewinne ein, indem sie die Truppen weiterhin belieferten.
Vuillard beschreibt sehr launig eine Parlamentsdebatte, in der die Möglichkeit eines Verhandlungsfriedens voller Pathos und Empörung zurückgewiesen wird, um dann schließlich doch zur Erkenntnis zu kommen, dass man einen „ehrenhaften Abgang“ aus dem Indochina-Krieg versuchen müsse. Ein „ehrenhafter Abgang“, der mit -zigtausenden von Toten, Gefangenen und Verwundeten einherging.
Frankreich wurde unterstützt von den USA (Hintergrund: Koreakrieg, Blockbildung, Antikommunismus), und so schließt das Buch mit dem „ehrenhaften Abgang“ der Amerikaner aus Saigon: ein Desaster ohnegleichen.
Das Buch stellt uns also ein dunkles Kapitel der französischen Geschichte vor.
Vuillard schafft lebhafte Situationen, wenn er den Personen ihre Gedanken und Äußerungen zuschreibt, die sie so vermutlich nicht gemacht haben, aber gemacht haben könnten. Insofern ist sein Buch keine Dokumentation, sondern Belletristik.
Aber mir hat nicht alles gefallen. Trotz des packenden Themas und der spannenden Darbietung: muss das sein, dass der Autor mit blumigen Metaphern seinem Leser das Verständnis erschwert? Da regnet es Blütenblätter vom Himmel – wieso sagt er nicht, dass hier über 2000 französische Fallschirmjäger in Dien Bien Phu landen?
Dann wieder sind seine Ausdrücke alles andere als blumig, sondern einfach nur unangebracht und ordinär: „heiratete und machte ihr drei Bälger“. Ähnliche Textstellen finden sich immer wieder.
Vielleicht sollte man nicht zu streng sein. In Vuillards Sprache zeigt sich sein großes Engagement, seine Verachtung und seine große Wut auf die Machenschaften von Industrie und Banken bzw. auf den heutigen Kapitalismus.
Fazit: ein düsteres Kapitel der französischen Kolonialgeschichte. Informativ, aufrüttelnd und lesenswert!
O wie Offenbarung des Bösen, V wie Vergebung
Während der norwegische Literaturzug mit dem Kronprinzenpaar und zahlreichen Autoren, unter ihnen auch Simon Stranger, seinem Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse entgegenrollte, habe ich mit großer Anteilnahme Strangers Holocaust-Roman "Vergesst unsere Namen nicht" gelesen. Inspiriert vom Stolperstein für den Urgroßvater seiner Frau in Trondheim, hat er mit Familienangehörigen gesprochen, Handlungsorte aufgesucht und in Archiven recherchiert. Trotzdem ist sein Buch ein Roman, denn nicht alles ließ sich rekonstruieren und Lücken galt es mit Fantasie zu füllen.
J wie Jude
Einer jüdischen Tradition gemäß stirbt ein Mensch zwei Mal: wenn das Herz aufhört zu schlagen und wenn sein Name zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird. Genau wie der Künstler Gunter Demnig mit den von ihm erdachten Stolpersteinen möchte auch Stranger diesen zweiten Tod hinausschieben. „A“ bis „Z“ sind die 26 Kapitel überschrieben, jeder Buchstabe liefert Stichwörter, die sich zuletzt wie ein Puzzle zur ganzen Geschichte zusammenfügen.
S wie Stolperstein
Die Familie von Hirsch Komissar, dessen Stolperstein in Trondheim liegt, kam nach den Judenprogromen in den 1880er-Jahren aus Russland nach Norwegen. In Trondheim führte er ein Bekleidungsgeschäft. Am Tag der Besetzung Norwegens durch die Wehrmacht floh Hirsch Komissar mit seiner Frau und den drei Kindern nach Schweden, kehrte aber kurz darauf wieder zurück. Am 12.01.1942 wurde er verhaftet, zeitweise im Lager Falstad gefangen gehalten und am 07.10.1942 hingerichtet. Dass sein Sohn Gerson später zusammen mit seiner Frau Ellen und den beiden Töchtern, eine davon Strangers Schwiegermutter, ausgerechnet in das Haus zog, in dem so viele Gefangene der norwegischen Gestapo gefoltert und ermordet wurden, mutet angesichts dieser Familiengeschichte unglaublich an.
R wie Rinnan
Noch mehr als dem Opfer widmet sich Simon Stranger einem Täter, dem norwegischen Gestapo-Vertrauten Henry Oliver Rinnan (1915 – 1947), 1945 einer der meistgesuchten norwegischen Kriegsverbrecher. Beim Prozess gegen die sogenannte „Bande“ trug er die Nummer eins am Revers und ein Gutachten bescheinigte ihm große Intelligenz, Anomalien im Gefühlsleben und eine eigentümliche Macht über seine Mitmenschen. Erstaunt war ich, dass Rinnan, so wie Stranger ihn beschreibt, keinerlei politische Überzeugungen hatte. Triebfeder für seinen Verrat an Widerstandskämpfern und Juden sowie für erbarmungslose Folterungen, Gewaltexzesse und Tötungen im sogenannten „Bandenkloster“ waren Machtstreben und Eitelkeit dieses ob seiner geringen Körpergröße mit tiefen Minderwertigkeitskomplexen behafteten Mannes.
M wie Machtlosigkeit
Ganz besonders interessant fand ich Strangers Gedanken zum Entzug der Menschlichkeit durch die Täter:
"Allen, die ermordet werden, muss die Menschlichkeit genommen werden… Alles, was an Persönlichkeit erinnert, muss verschwinden, um zu verhindern, dass die Henker sich in den Gesichtern ihrer Opfer selbst wiedererkennen. Diese notwendige Distanz ist die Voraussetzung. Ohne sie ist der nächste Schritt unmöglich, er wäre wie ein Angriff auf das eigene Spiegelbild."
Z wie Zukunft
Warum wurde in der Familie von Strangers Frau Rikke zu den Ereignissen des Krieges meist geschwiegen? „Es war der Wunsch zu vergeben und weiterzugehen… Dass wir etwas ändern können, das ist der Weg in die Zukunft.“ Und doch ist es wichtig, diesen Teil der Geschichte lebendig zu halten, nicht nur, um den zweiten Tod der Opfer hinauszuzögern, sondern auch, um der neuen Rechten entgegenzutreten und Außenseiter nicht zu Tätern werden lassen. Das Buch von Simon Stranger ist ein wertvoller Beitrag dazu.
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