Das Buch Anderswo
Mia Corvere hatte es geschafft, sie hatte den Konsul Julius Scaeva erwischt. Und doch ruft sich eben dieser Julius Scaeva zum Imperator aus und hat nun alle Macht, Mia zu jagen. Der Tote war ein Doppelgänger. Und so steht Mia erneut vor ihrer größten Aufgabe, den Imperator zu stürzen. Mit auf den Weg nimmt sie den Sohn des Imperators, denn solange sie den Jungen hat, wird Scaeva alles daran setzen, dessen Leben zu schützen. Darauf baut Mia, auch dass dadurch ihr alter Lehrer geschützt ist. Viel Zeit bleibt ihr nicht, denn die nächste dunkle Nacht ist nah.
Wenn man die beiden anderen Bände jeweils als Hörbuch-Download genossen hat, erlebt man hier die Überraschung der Fußnoten, die ja kein Mensch braucht. Und auch wie die Namen buchstabiert werden, erschließt sich gelesen wesentlich besser. Mias letzter Weg zur Vereinigung der Vielen ist hart und lang. Wieder erlebt sie viele Kämpfe und muss große Gefahren bestehen. Auch emotional ist Mia Corvere außerordentlichen Belastungen ausgesetzt. Nicht in allem kann ihr die Ausbildung zur Assassine helfen, schließlich ist sie doch eine junge Frau, der die Familia über alles geht. Ihre treuen Weggefährten sind Stütze und Last zugleich.
Dieser Abschluss der Nevernight-Trilogie hat es wirklich in sich. Mia Corvere hat einiges zu überstehen. Sie stellt sich einer Aufgabe, von der man meint, sie kann unmöglich lösbar sein. Und wird das Ende so sein, wie es im ersten Band vorhergesagt wird? Nun, dass wird jeder Leser selbst herausfinden. Jay Kristoff jedenfalls erfreut sein Publikum mit einem fulminanten Finale und seine teils deutliche und provokante Sprache bildet eine erfreuliche Abwechslung zu etlichen eher zurückhaltenden Stilen. Und so ist man einer wahren Achterbahnfahrt ausgesetzt, aus emotionalen Szenen, witzigen Dialogen, grausamen Kämpfen und auch schrecklichen Verlusten. Irgendwie besteht man die Fahrt und ist beeindruckt von dieser ungewöhnlichen Reise in die Wahrnacht.
"Astrids Vermächtnis" ist der letzte Band aus der dreiteiligen Reihe des norwegischen Schriftstellers Lars Mytting. Leider, möchte man gleich einwerfen, denn diese Reihe kann einem sehr ans Herz wachsen.
Wir begleiten den Pfarrer Kai Schweigaard durch seine über 60jährige Amtszeit in der Gemeinde Butangen. Die Entwicklung, die die Figur bis zu diesem letzten Band mitmacht, ist sehr vielschichtig.
Der Band spielt in der Zeit der deutschen Besatzung Norwegens. Und die Deutschen wollen endlich die zweite der Schwesternglocken nach Dresden bringen. Astrid, die Tocher von Jehans und Kristine, den Hauptpersonen aus Band zwei, will dies mit der Hilfe von Kai Schweigaard verhindern. Ob dies gelingt, verrate ich natürlich nicht.
"Astrids Vermächtnis" hat noch einmal gut einhundert Seiten mehr als die ersten Bände. Ich hatte das Gefühl, der Autor wollte sich nicht so leicht von seinen Figuren trennen und hat deshalb noch etwas ausschweifender erzählt. Das liest sich teilweise etwas zäher als die Vorgänger Bände, aber dadurch auch intensiver.
Ich habe alle Bände sehr gerne gelesen. Die Landschaft- und Architekturbeschreibungen sind wirklich sehr eindrucksvoll und machen Lust auf Norwegen.
Auch dieses Buch kann ich einfach nur weiterempfehlen, aber man sollte definitiv erst die Vorgänger gelesen haben.
Ein Wunder war es nicht, dass der alte Pfarrer Kai Schweigard und Astrid Hekne eine besondere Nähe zueinander verspüren: Astrid ist die Enkeltochter seiner großen (wenn auch unerfüllten) Liebe mit gleichem Namen und sie hat außerdem noch großes Interesse an der Geschichte ihrer Vorfahren, wie z.B. der Hekne-Zwillinge Halfried und Gunhild, die an der Hüfte zusammengewachsen waren und vor ca. 300 Jahren einen wunderschönen, ausdrucksvollen Teppich webten. Die Glocken, die deren Vater nach ihrem Tod gießen ließ, spielen ebenso eine große Rolle.
Meine Sorge, ich könnte Wichtiges aus den ersten zwei Bänden dieser Schwesterglocken-Trilogie vergessen haben, erwies sich als unbegründet – wichtige Ereignisse wurden, mit neuen Details angereichert, aufgefrischt, so dass keine Wiederholungen entstanden, aber ich wieder auf dem aktuellen Stand der Ereignisse war. (Rein theoretisch könnte also der 3. Band allein gelesen werden, das wäre möglich, aber dem Leser entginge der Genuss der vorherigen 2 Bände. Und das wäre sehr schade!)
Sehr gelungen fand ich die Schilderungen des Autors, wie unterschiedlich Menschen mit der Herausforderung der deutschen Besatzung (ab April 1940) umgingen: angefangen beim norwegischen Widerstand (Gruppe um den Flößersohn mit Astrid), viele, die sich mit der Situation arrangierten, einige, die kollaborierten (leider auch ein Hekne-Familienmitglied) und dann diejenigen, die davon profitierten (Ola Mossen und seine 2 Söhne, bei denen mir sofort der Spruch ‚Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht‘ einfiel.) Wunderschön ist jedoch auch beschrieben, wie manche in diesen schwierigen Zeiten über sich hinauswachsen.
Ja, dieses Buch hat seine Längen und manche Szenen sind brutal, aber das war der Krieg! (Das kenne ich sehr gut aus Erzählungen meiner Eltern und Großeltern!) Ich bin überzeugt, dass dies auch die volle Absicht des Erzählers war, damit, wenn auch nur ansatzweise, die Hoffnung, das ganze Grauen müsse doch mal ein Ende haben, nachvollzogen werden kann.
All die Charaktere sind sehr treffend gezeichnet, ob es die willensstarke Astrid ist, der Pfarrer, der an seinem schlechten Gewissen wegen seines Verkaufs der alten Stabkirche leidet, den dienstbaren Geistern, wie z.B. dem alten Messner und seiner Frau, der Haushälterin im Pfarrhof, dem Kraftprotz Isum mit seinem Schwarzen und der ganzen Familie auf Butangen. (Wir erfahren sogar, wie es dem englischen Familienzweig während des Krieges erging.)
Den Überblick über die ganzen Figuren in den drei Bänden und die Zusammenfassung der historischen Ereignisse, beides am Ende des Buches, empfand ich als sehr hilfreich. Die Trilogie, übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel, begleitete mich seit Mai 2020 (TB-Ausgabe) und ich fühle ein wenig Wehmut aufsteigen – hat sie mir doch von Anfang an sehr gut gefallen und jetzt hat sie ein würdiges Ende gefunden. Ich kann nicht anders, als erneut 5 Sterne zu vergeben und sie allen zu empfehlen, die an wortgewaltigen und bildstarken Geschichten mit historischem Hintergrund interessiert sind.
Alle, die wie ich voller Begeisterung die ersten beiden Bände der Schwesternglockentrilogie gelesen haben, erwarteten sehnsüchtig das neue Buch des norwegischen Autors Lars Mytting, mit dem er seine Reihe um die Hekne - Schwestern und ihre Nachkommen beendet hat.
Es beginnt wie immer mit einem Rückblick ins frühe 17. Jahrhundert, zu jener Zeit, als die beiden Hekne- Schwestern lebten. Dabei wiederholt Mytting nicht nur Bekanntes, sondern fügt dem damaligen Geschehen neue Facetten hinzu. Dieses Mal geraten die Schwestern ins Visier der Kirche, die sie als „ Monstrum“ mit dem Teufel im Bunde wähnen.
Denn das Besondere an den Zwillingstöchtern Halfried und Gunhild war, dass sie an der Hüfte zusammengewachsen waren. Sie zählten zu den besten Weberinnen des ganzen Gudbrandstals und ihr Hauptwerk war jener legendäre Wandteppich, in den Prophezeiungen und das Ende des letzten Gemeindepfarrers hineingewebt wurden.
Dieser Pfarrer Kai Schweigaard tritt in allen drei Bänden auf und wird so zur zentralen Figur der Geschichte. Er kommt im ersten Band als junger fortschrittsgläubiger Pfarrer nach Butangen und verfügt, dass eine neue Kirche gebaut werden soll und lässt die alte Stabkirche von einem deutschen Architekturstudenten abbauen und nach Dresden versetzen. Aber schlimmer noch. Er veranlasst, dass die beiden Glocken, die den Schwestern zu Ehren gegossen wurden, getrennt werden. Dabei sollten sie zusammenbleiben, wie die beiden Schwestern, ansonsten drohe Unheil. Diese Schuld lastet schwer auf Kai Schweigaard.
Mittlerweile, wir sind im Jahr 1936, ist er ein alter Mann, der sich aber immer noch um seine Schäfchen kümmert. Eine besondere Verbindung besteht zum Hekne -Hof und hier vor allem zu Astrid. Sie ist die Enkelin jener Astrid, der großen, aber unerfüllten Liebe des Pfarrers.
Wie ihre Großmutter ist auch die junge Astrid eine selbstbewusste, starke Frau. Sie will genauso wenig wie ihr Bruder das väterliche Erbe antreten. Dabei haben es ihre Eltern mit sehr viel Pioniergeist und harter Arbeit zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Doch während ihr Bruder seine künstlerische Begabung entfalten möchte, strebt Astrid eine Ausbildung als Lehrerin an.
Allerdings werden die Pläne der Geschwister durch historische Umwälzungen zunichte gemacht. Im April 1940 marschieren deutsche Truppen in Norwegen ein und besetzen das Land.
Der Krieg kommt damit auch in das abgelegene Gudbrandstal. Und die SS-Organisation „ Deutsches Ahnenerbe“ interessiert sich für den mythischen Wandteppich und die in Butangen verbliebene zweite Glocke.
Astrid, die denselben Kampfgeist hat wie ihre Großmutter, engagiert sich schnell im Widerstand gegen die Besatzungsmacht. Sie setzt ihr Leben und das ihrer Familie aufs Spiel, indem sie Informationen sammelt und weiterleitet. Bis die Nazis ihr auf die Spur kommen. Um sie zu retten, greift der Pfarrer zu drastischen Maßnahmen. Das fällt ihm nicht leicht, verstößt er damit doch gegen seine Glaubensgrundsätze und riskiert nicht nur sein irdisches Leben.
Wieder verwebt Lars Mytting persönliche Schicksale mit historischen Gegebenheiten. Ist es am Anfang noch der Konflikt zwischen Tradition und Moderne, wie auch in den letzten beiden Romanen, so steht hier vor allem die Besatzungszeit und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung im Vordergrund. Mit Härte und Brutalität sorgen sie für eine Stimmung voller Misstrauen und Angst. Der frühere Zusammenhalt im Dorf ist dahin. Die einen schlagen sich auf die Seite der Besatzer, während andere voller Neid auf etwaige Günstlinge schauen. Wer sich auf die Seite des Widerstands stellt, muss sich permanent verstellen, muss auch seine Nächsten belügen, um diese nicht noch mehr in Gefahr zu bringen. Außerdem war niemand sicher, ob kein Verräter in den eigenen Reihen zu finden war. „ Der Krieg währte erst wenige Wochen, und wer im April noch ein Patriot war, war möglicherweise im Mai schon ein Verräter.“
Es gibt auch noch andere, die sich in den Dienst der Nazis stellen. Nicht weil sie deren Ideologie teilen, sondern weil sie vereint mit den Deutschen gegen die Bolschewiken kämpfen.
Lars Mytting hat auch in diesem Roman wieder glaubwürdige und komplexe Charaktere geschaffen. Es sind Menschen, die an den Herausforderungen, die das Leben an sie stellt, wachsen und reifen. „ Eins hat mich der Krieg gelehrt. Schwerter werden im Feuer geschmiedet und im Wasser gehärtet. Helden werden aus gewöhnlichen Menschen geschmiedet und härten tut sie das Unrecht.“ Andere wiederum sind voller Widersprüche, kämpfen mit sich und den Umständen, wie z. B. Tarald, Astrids Zwillingsbruder. Und der Leser lebt und leidet mit ihnen mit.
Doch neben der zeitgeschichtlichen Realität nimmt auch wieder der große Mythos um die Schwesternglocken und dem sagenhaften Wandteppich breiten Raum ein.
All das entfaltet Mytting mit seiner großen Sprachmacht. Bilderreich und detailliert entwirft er Szenen voller Atmosphäre und zieht so den Leser in seinen Bann.
Hat der Roman in der Mitte einige Längen, so gewinnt er gegen Ende hin wieder an Tempo und Spannung. Gekonnt führt der Autor die meisten Fäden am Ende zusammen. Dass hier ein paar Lücken bleiben müssen, ist der Fülle an Personen und Geschehnissen geschuldet.
Lobenswert ist der mehrere Seiten umfassende Überblick über die wichtigsten Figuren, Tiere und Gegenstände, die in allen drei Romanen eine wesentliche Rolle spielen. Ebenso die kurze Zusammenfassung über die historischen Hintergründe der deutschen Besatzung Norwegens; beides am Ende des Buches zu finden.
Auch wenn sich der Roman ohne Vorkenntnisse lesen lässt, empfehle ich die Bücher in ihrer Reihenfolge zu lesen. Erst dann wird man alle Zusammenhänge verstehen und kann völlig in diese Welt eintauchen.
Trotz kleiner Kritikpunkte halte ich „ Astrids Vermächtnis“ für einen würdigen Abschluss der Trilogie; Lars Mytting hat einen gewaltigen Teppich voller Bilder und Geschichten gewebt.
1936, im norwegischen Butangen: Die junge Astrid Hekne ist fasziniert von der Geschichte ihrer Vorfahren. Mehr als 300 Jahre sind mittlerweile vergangen, seitdem die an der Hüfte zusammengewachsenen Hekne-Schwestern Halfrid und Gunhild ihren legendenumwobenen Wandteppich gewebt haben sollen. Doch existiert dieser wirklich? Unbestritten ist die Existenz der Schwesterglocken, die an die beiden erinnern sollen. Noch immer läutet eine in Dresden, die andere befindet sich in der Kirche Butangens unter der Obhut von Pfarrer Kai Schweigaard. Doch aus dem nationalsozialistischen Deutschland mehren sich die Interessen, die Glocken in Dresden als ein Symbol der nordischen Kultur zusammenzuführen. Etwas, das Kai unter allen Umständen verhindern möchte...
"Astrids Vermächtnis" ist der dritte und letzte Teil der sogenannten "Schwesterglocken-Trilogie" von Lars Mytting, der jüngst in der deutschen Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel im Insel Verlag erschienen ist. Für viele Freund:innen der norwegischen Literatur düfte der Titel einer der meisterwarteten in diesem Jahr sein. In seiner Erzählweise und Struktur erinnert er an die beiden Vorgänger "Die Glocke im See" und "Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund", kann aber deren - allerdings auch überragende - Qualität nicht ganz halten.
Erstaunlich ist vor allem die strukturelle Ähnlichkeit zum "Rätsel": Einer Einführung über die beiden Urcharaktere Gunhild und Halfrid folgt ein langsamer, abermals hervorragend und farbenfroh erzählter Teil über das Erwachsenwerden der mittlerweile dritten Astrid Hekne und eine intensive Auseinandersetzung mit den weiteren zentralen Figuren. Mit der deutschen Besetzung Norwegens beginnt ein langer Teil, der an Tempo und Brutalität verständlicherweise zunimmt, ehe eine Art episch-poetischer Epilog "Astrids Vermächtnis" nach 650 Seiten zu einem halbwegs würdigen Ende bringt.
In der ersten Hälfte des Buches zieht Mytting einmal mehr alle Register seines erzählerischen Könnens. Ein zentrales Thema ist dabei erneut der Konflikt zwischen Tradition und Moderne, der sich wie ein roter Faden durch alle Teile der Trilogie zieht. Die Familie Hekne nimmt dabei eine Art Vorreiterrolle ein, die nicht von allen Dorfbewohner:innen gern gesehen wird. Gelungen ist Mytting zudem auch wieder die Figurenzeichnung. Die wohl spannendste Figur ist Astrids Bruder Tarald, die Mytting mit einer bemerkenswerten Ambivalenz ausstattet. Tarald ist eine sensible Künstlerseele, als angedachter Hoferbe aber ein Versager. Zudem bewegt er sich nahezu ständig auf dem schmalen Grat zwischen liebendem Bruder und potenziellem Verräter.
Während mich die erste Hälfte des Romans abermals komplett in ihren Bann ziehen konnte, kann die zweite Hälfte qualitativ leider nicht mithalten. Zwar ist der Widerstandskampf der jungen Astrid durchaus spannend erzählt, doch wirkt es so, als sollten unbedingt alle Figuren des Vorgängerbandes noch einmal auftauchen. Völlig aus dem erzählerischen Konzept bringen einen beispielsweise die Schwenke nach England, wo Astrids Onkel Victor und seine zwei Söhne Edgar und Alastair sich ebenfalls auf den Zweiten Weltkrieg vorbereiten. Der größte Kritikpunkt ist aber der Umgang mit der zentralen Figur der Trilogie: Kai Schweigaard. Schweigaard ist mittlerweile ein Greis, dessen Amtszeitsende nur durch den Ausbruch des Krieges verhindert wird. Mytting macht aus ihm eine Art Helden, was einerseits völlig in Ordnung ist, weil keine andere Trilogiefigur in der Gunst der treuen Leserschaft so weit oben stehen dürfte. Auf der anderen Seite ist dessen finale "Heldentat" zutiefst unmoralisch und wird dem Charakter nicht gerecht. Ein regelrechtes Ärgernis! Und auch andere Charaktere warten vergeblich auf ein würdiges Ende. So erfahren wir tatsächlich erst in einer Art Personenregister ganz am Ende des Buches, was beispielsweise aus Tarald geworden ist. Astrid Heknes Bruder ist in "Astrids Vermächtnis" eine durchaus bedeutsame Figur, die aber irgendwann einfach völlig aus der Handlung verschwindet.
So ist "Astrids Vermächtnis" in seiner Gesamtheit ein Roman, der die Fans der Schwesterglocken zwar nicht enttäuschen sollte, gerade im Vergleich zum "Rätsel auf blauschwarzem Grund" aber etwas hinter den Erwartungen zurückbleibt.
3,5/5
Dieses Buch hat mich sehr beeindruckt.
Zunächst einmal: Chapeau für die äußerst akkurate Recherche-Arbeit, mit der sich der amerikanische Autor den europäischen I. Weltkrieg erschließt, noch dazu die mehr als verwirrende Lage in den ethnisch durchmischten Grenzgebieten des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarns! Das wäre allerdings "nur" eine rein akademische Fleißarbeit, aber das Buch bietet sehr viel mehr.
Es geht um den I. Weltkrieg, der die Habsburger Monarchie und damit eine Ära beendete. Und wie das Buch diese Zeit erzählt, finde ich faszinierend. Es ist ein Abgesang, das schon, aber auf eine sehr indirekte Art und Weise. Hier gibt es keine Trauer über den Untergang einer Zeit, sondern der Autor lässt seinen Protagonisten Lucius, Medizinstudent und Sohn einer polnischen Adelsfamilie, klinisch-kühl die Dinge beobachten.
Und da gelingen dem Autor äußerst beeindruckende Bilder. So trifft sich z. B. der Vater des Lucius in seiner Paradeuniform, gestiefelt und gespornt, ordenbehängt, mit seinen Freunden, die ebenso verkleidet sind, in seinem eleganten Salon und sie spielen quasi den Krieg nach, beschwören die Pracht der polnischen Flügelhusaren, diskutieren die Truppenbewegungen und sind durchtränkt vom Bewusstsein ihrer Überlegenheit.
Krieg als Kostümball einer untergehenden Elite...
Oder der erste desillusionierende Kontakt Lucius mit der entsetzlichen Wirklichkeit des Krieges: er trifft auf einen der sog. "gueules cassées", einen Verwundeten mit einem weggeschossenen Kiefer - eine Vorwegnahme der Tatsache, dass bei der Unterzeichnung des Versailler Vertrages die deutsche Delegation an solchen Veteranen vorbeidefilieren musste, als Demütigung gedacht.
Ein besonders beeindruckendes Bild ergibt sich, als Lucius auf der Suche nach seiner Liebe das polnisch-russische Kriegsgebiet durchstreift: zerstörte Dörfer, in denen sich die Natur wieder ihr Recht holt, vereinzelte Bewohner, misstrauisch und feindselig, und mitten in der Verwüstung und Zerstörung der kurze Blick auf einen einzelnen K.u.K.-Soldaten zu Pferde, in voller farbenprächtiger Montur, regungslos, wie aus der Zeit gefallen - klarer kann man das Nebeneinander von Glanz und Gloria einerseits und der Kriegswirklichkeit andererseits kaum wiedergeben.
Kleine Beobachtungen, fast in Nebensätzen untergebracht, runden das Bild: die Dekadenz der Oberschicht, die sich nach wie vor den Champagner aus dem (feindlichen) Ausland schicken lässt, während vor den Toren ihrer Paläste die Kriegsveteranen und hohläugige Kinder betteln -die menschenverachtende Behandlung traumatisierter Soldaten - das Kriegsgewinnlertum in der Oberschicht - der sprichwörtliche Undank des Vaterlandes - aber auch menschliche Wärme über die Fronten hinweg.
Mir hat die Sprache besonders gut gefallen. Sie passt zu dem Medizinstudenten, zu seiner wissenschaftlich-distanzierten Weltsicht. Die Sprache klagt niemals an und ergreift mit der Zeichnung der Figuren keine Partei. Sie bleibt durchgängig eher chronikartig berichtend, unterkühlt wie Lucius, aber gerade in dieser Unterkühlung entfaltet sie ein enormes emotionales potential - so wie Lucius auch, der alles in Bewegung setzt, um seine Liebe zu finden.
Ein sehr schönes Lese-Erlebnis.
Fleur ist eine junge Frau, wie am liebsten nicht wahrgenommen wird. In ihrer Wohnung hinter den Computerbildschirmen fühlt sich die Datenforensikerin wohl, denn da kommt ihr niemand zu nahe. Dann erfährt sie, dass ihr leiblicher Vater ihr ein Erbe hinterlassen hat, das Haus ihrer französischen Großmutter. Sie selbst ist unsicher, ob sie das Erbe annehmen soll, ihre Mutter ist absolut dagegen. Doch egal wie sie sich entscheidet, sie muss den Notar aufsuchen und so macht sie sich zusammen mit ihrem Bruder Max auf den Weg. Fleur hat schlimme Erinnerungen an das Haus der Großmutter in Echternach, doch Max bedrängt sie, sich das Haus einmal anzusehen. Dort findet Fleur etwas, dass sie dazu bringt, ihrer Familiengeschichte nachzugehen. Unterwegs trifft sie überall auf die Geschichte der Bestie des Gévaudan.
Dies ist mein erstes Buch von Nina Blazon, mit dem sie mich vom ersten Moment an gefesselt hat.
In ihrer jetzigen Familie gibt es ein Thema, über das nicht gesprochen werden darf und das ist Maurice Durand und die Zeit, als Fleurs Mutter mit ihm verheiratet war. Daher weiß auch Max nicht, was wirklich geschehen ist. Doch obwohl er einige Jahre jünger ist als Fleur, hat er immer gespürt, dass da etwas war und daher drängt er Fleur, sich mit ihrem Erbe zu beschäftigen. Für Fleur ist das alles zu traumatisch, doch dann entdeckt sie etwas, das sie dazu bringt, sich mit ihren Vorfahren auseinanderzusetzen. Während sie in Frankreich nach ihren Wurzeln sucht und so einige Entdeckungen macht, muss auch Max herausfinden, wie sein Leben verlaufen soll und fährt dafür nach Berlin.
In Frankreich begegnet Fleur dem geheimnisvollen und selbstbewussten Tomé und seinen Wölfen. Er hilft ihr bei ihren Nachforschungen und dabei fliegen Funken. Aber da ist auch noch der einfühlsame Pierre, der Fleur zeigt, dass der Wald nicht bedrohlich ist. Fleur will das Geheimnis ergründen, das Irène d’Apcher vor vielen Jahren gehütet hat. Was sie dann herausfindet, verändert ihr Leben grundlegend.
Eine wundervolle Geschichte, die bis zum Schluss spannend bleibt und einige Überraschungen bietet. Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen.
Erst einmal vorweg: das Cover finde ich persönlich eines der schönsten, die mir je untergekommen sind. Es passt wie die Faust aufs Auge zum Inhalt des Buches und deutet zugleich darauf hin, dass wir uns hier im Bereich der griechischen Mythologie bewegen. Absolut gelungen!
Die Geschichte rund um Psyche und Eros ist mir bislang vollkommen fremd gewesen, aber nach diesem Roman hat man nicht nur einen tollen Einblick in das Leben der beiden Protagonisten, sondern auch in das zeitliche Geschehen rundherum bekommen. Wer sich mit der griechischen Mythologie auskennt, wird sich jedoch auf den ersten hundert Seiten vermutlich zu Tode langweilen. Mich hat die lange Einführung aber nicht gestört, da die Geschichten der wichtigsten Götter knapp und übersichtlich aufbereitet werden. Dennoch beginnt die eigentliche Geschichte erst nach Seite 100 und so braucht es doch ein wenig, bis die Spannung steigt.
Psyche und Eros selbst sind zwei absolut toll ausgearbeitete Protagonisten, die ich beide ins Herz geschlossen habe, auch wenn ich mit Psyche zunächst warm werden musste. Dies liegt aber schlicht und ergreifend daran, dass sie nicht die typische Prinzessin ist, sondern andere Interessen zeigt. Die Beiden zusammen sorgen auch für reichlich Humor, womit ich in einem solchen Buch eher weniger gerechnet habe, doch die Abwechslung gefällt mir ausgezeichnet. Nun kommt aber der große Kritikpunkt: auf emotionaler Ebene hat mich die Beziehung der Beiden nicht abgeholt. Mir fehlte es an Beschreibungen der Gefühle. Die Vergleiche waren zwar sehr bildlich, doch bei einem Vergleich wie „selbst der Speichel auf ihrem Kissen schien mir süßer als der köstlichste Honig“ werden bei mir keinen Emotionen angesprochen. Für Eros‘ Perspektive ist dies nicht sonderlich nachteilig, da er zunächst alles auf den Fluch schiebt, doch bei Psyche hätte ich mir dies schon gewünscht. Dennoch fiebert man einem Happy End entgegen, da die Beiden ganz offensichtlich nicht ohne einander können, auch wenn ich vergeblich auf die spannungsgeladenen Seiten am Ende gewartet habe. Man kann nicht behaupten, dass es keine Spannung gab, aber es war nun einmal auch nicht so, als hätte ich mich nicht mehr von dem Roman losreißen können.
Positiv hervorzuheben sind jedoch noch der Schreibstil und die verschiedenen Charaktere. Der Schreibstil ist angenehm und erzählt die Geschichte so flüssig, dass das Lesen ein Genuss wird, auch wenn mir, wie bereits erwähnt, ein wenig Emotionen und Spannung gefehlt haben. Mit den zutiefst unterschiedlichen Göttern und Menschen ist zudem für Abwechslung gesorgt, wobei so manche Überraschungen, aber auch Enttäuschungen den ganzen Roman zu einer tollen Unterhaltung gemacht haben.
Abschließend lässt sich somit festhalten, dass ich das Buch durchaus gerne gelesen habe, Psyches und Eros‘ Geschichte interessant und gut recherchiert aufbereitet fand, auch wenn es zwei Kritikpunkte gibt. Nichtsdestotrotz ist es eine gelungene Reise in die griechische Mythologie, die mich gut unterhalten hat.
Mir hat das Buch gut gefallen. Bei einer Neuerzählung einer Sage besteht ja doch ein bisschen die Gefahr, dass es am Ende so klingt wie ein aufgehübschter Wikipediaartikel. Das ist hier zum Glück nicht passiert, die Autorin hat für mich aus einer eigentlich kleinen und in eine andere Geschichte eingebettete Erzählung eine tolle und interessante eigenständige Geschichte gemacht. Eros und Psyche stehen deutlich im Vordergrund, doch verschiedene Götte und ihre Beziehungen zueinander werden ebenso eingebettet. Die Dynamik der einzelnen Geschichtenteile passt gut zusammen und es macht nicht nur Spaß Psyche beim Aufwachsen und während ihrer Ausbildung zu begleiten, sondern auch die unterschiedlichen Streitereien der Götter untereinander zu verfolgen. Mythos und Romantik passen hier sehr gut zusammen und werden modern und aus neuen Blickwinkeln erzählt.
Es ergibt für mich insgesamt ein rundes und stimmiges Gesamtbild. Es war unterhaltsam und ja, durchaus auch spannend zu lesen. Es hat tatsächlich mehr Tiefe, als man auf den ersten Blick annehmen würde, das war eine angenehme Überraschung für mich. Ich finde, es ist Luna McNamara durchaus gelungen etwas Neues aus etwas Altem zu machen.
Psyche ist prophezeit worden, dass sie eine große Heldin werden wird. Das Problem besteht darin, dass das für Frauen im antiken Griechenland viel herausfordernder ist als für Männer. Vor allem wenn man den vernichtenden Blick der Göttin Aphrodite auf sich zieht. Diese beauftragt den Gott Eros, Psyche mit einem Fluch zu belegen. Sie soll sich in die erste Person, auf die ihr Blick fällt, verlieben, um dann für immer von ihr getrennt zu werden. Aus einem Missgeschick heraus verletzt sich Eros an dem Pfeil selbst und verliebt sich unsterblich in Psyche. Jetzt stellt sich die Frage, wie man den Fluch einer Göttin brechen kann.
Das Buch konnte mich persönlich sehr begeistern. Es ist meiner Meinung nach eine ausgezeichnete Mischung aus Mythen, Fantasy und Liebesgeschichte. Ich hätte auch nicht gedacht, dass es mir die Liebesgeschichte so antut. Mir hat aber total gefallen, welchen Blick Eros auf Psyche hatte und wie sich die Beziehung zwischen den beiden entwickelt hat. Außerdem fand ich es es ausgezeichnet, dass Eros kein so seltsamer Machotyp war.
Ich fand den Blick auf das Heldentum spannend, auch wenn es nichts ganz Neues war. Es wird die Frage aufgeworfen, ab wann Monster als Monster gesehen werden und dass die Geschichte von den Gewinnern geschrieben wird und welche moralischen Fragen sich daraus für Psyche ergeben.
Die Art und Weise, wie Sterbliche zu Göttern kontrastiert werden, fand ich sehr gelungen. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden dabei interessant betrachtet.
Das Buch konnte mich persönlich vollkommen abholen. Es war witzig, spannend und die Liebesgeschichte war genau meins.
Kurzmeinung: Eigentlich lese ich SF / Dystopie sehr gerne ...möchte man doch wissen, wie die Welt der Zukunft aussieht.
Die Zukunft sieht laut Gaudé so aus: verschuldete Staaten werden von Großkonzernen aufgekauft und als Mülldeponien benutzt und verseucht. Griechenland war der Anfang. Bangladesh soll folgen.
Es sind also nicht mehr Staaten, die um Einfluss und EinflussSpähren kämpfen, sondern zwei Großkonzerne. Ausserdem gibt es keinen Klassenkampf mehr, diese Zeiten liegen weit hinter uns, obwohl die Klassenkämpfe (angeblich) schlimm und hart waren, haben die Menschen inzwischen resigniert und es akzeptiert, dass sie in drei Klassen aufgeteilt leben.
Es gibt drei Zonen, die erste ist eine superprivilegierte für einige wenige Auserwählte, die zweite ist die der Supereichen und die dritte die für die Abgehängten.
Und was passiert? In Zone 3 geschieht ein Mord und ein Team aus Zone 2 und Zone 3, Frau und Mann, gehen den / die Mörder jagen.
Der Kommentar:
Obwohl Laurent Gaudé sich reichlich Mühe gibt, eine rasante Szene darzustellen, was auch weitgehend gelingt, mit kurzen Sätzen und vielen Dialogen, das Buch ist nicht langweilig geschrieben, gibt er sich mit der Ausgestaltung (s)einer Welt in der Zukunft leider nicht viel Mühe. Viel mehr als bereits oben angerissen, erfährt man nicht. Davon ist noch einiges abgekupfert, eine Welt in Zonen/Distrikten ist nicht neu, der Handel mit Unsterblichkeit auch nicht.
Nun, es muss nicht immer neu sein, aber es muss mehr Butter bei die Fisch. Man möchte mehr über das Gesellschaftssystem erfahren, mehr darüber, wo die Politiker geblieben sind, vielleicht sogar, wie es dazu gekommen ist, dass die Konzerne die Macht übernommen haben. Waffen, Kriege? Das alles spart sich Laurent.
Wenn die Kriminalgeschichte wenigstens noch irre spannend wäre. Aber das ist sie nicht.
Oder wenn die Ermittler mehr Gesicht bekämen. Aber auch die Ermittler sind nicht viel mehr als Skizzen. Und die Ermittlungen sind langweilig, man marschiert von A nach B und zurück. Viel mehr passiert nicht, geschweige denn, dass das Geschehen gesellschaftliche Umwälzungen in Gang setzen würde. Da und dort wird es brutal - was dazu führt, dass der Roman für noch ungenügender wahrgenommen wird.
Fazit: Gute Ansätze. Erstaunlich, dass der Autor trotz der Magerkeit der Story sie leicht lesbar und rasant schleift, aber es fehlt trotzdem bedenklich an Inhalt und Phantasie. Gerade bei einer Dystopie interessiert doch das Setting. Die Welt der Zukunft muss detailreicher sein, die Figuren weniger plakativ.
Kategorie: SF /Dystopie
Verlag: Dtv, 2023
In „Hund 51“ bekommen wir eine Welt präsentiert, die mindestens dreißig Jahre in der Zukunft liegt, denn der Hilfspolizist Zem Sparak musste vor dreißig Jahren mit Mitte Zwanzig aus seinem Heimatland Griechenland fliehen, als dieses nach seiner staatlichen Insolvenz von dem Megakonzern GoldTex übernommen und in eine Müllhalde umgewandelt wurde. Nun lebt er in einer Megacity mit dem Namen Magnapolis, welche ein Konglomerat aus Ex-Bürgern verschiedenster Nationen zu sein scheint. Die Stadt ist in verschiedene Zonen (von Zone 1 für die absolute Reichen-Elite über Zone 2 für die Bessergestellten über Zone 3 für die ärmlichen Malocher) eingeteilt und Sparak lebt und arbeitet in Zone 3 als sogenannter „Hund“, denn er spürt kriminellen Fährten nach. Für die Ermittlungen zu einem brutalen Mordfall muss er nun mit Salia Malberg, einer Kommissarin aus Zone 2, zusammenarbeiten. Er entspinnt sich eine verstrickte Ermittlung, die sie bis in die höchsten Kreise Magnapolis‘ führt.
Bei dem Roman „Hund 51“ weiß man irgendwie nie so richtig, mit was man es hier eigentlich zu tun hat. Ist es ein Krimi oder eine Dystopie? Kann es auch beides sein? Ich denke, es hätte beides und darüber hinaus auch noch gut werden können, wenn der Autor nicht aus beiden Genres die absoluten Standards abgespult hätte.
Der Krimi-Anteil, der im Verlaufe des Romans immer mehr die Überhand gewinnt, ist mit klassischen Rollen, klassischen Dialogen und auch einem klassischen Plot bestückt. „Klassisch“ meint hier „wie ein 08/15-Krimi“, denn es gibt die etwas abgehalfterten, mit seinem Leben hadernden Altermittler, die junge, ambitionierte Jungermittlerin aus besseren Kreisen, dialoglastige Sequenzen, in denen Überlegungen zum Tathergang usw. diskutiert werden, Guter-Cop-böser-Cop-Verhöre, politische Verstrickungen, die wahnwitzige, bis schlecht nachvollziehbare Zusammenhänge zwischen den Taten und zwei konkurrierenden Politikern offenlegen. Letztlich ein einfacher Spannungsbogen von „Wer war es?“ und „Warum?“. Allerdings interessierte mich die Auflösung zuletzt kaum noch, da ich den ganzen politischen Intrigen nicht mehr so recht folgen konnte.
Der Dystopie-Anteil beschreibt vor allem in der ersten Hälfte des Romans eine Szenario, dass hinlänglich aus anderen Werken bekannt ist und ein wenig bis stärker an „Bladerunner“ etc. denken lässt. Wir erfahren durch Rückblicke nur sehr spärlich, wie es eigentlich zum Bankrott und dem Komplettverkauf eines ganzen Landes an einen Konzern kommen konnte. So richtig klar werden die Hintergründe bis zum Schluss nicht. Da bleibt Gaudé recht oberflächlich und auch an den Standards des Genres verhaftet. Es gibt wieder einmal die Zonen, die Arm und Reich voneinander trennen, es gibt Gesundheitsimplantate, die ein längeres Leben versprechen, was aber nur den Reichen zugänglich gemacht wird. Ironischerweise begeht Gaudé den Fehler, dass selbst in 2055 (oder später, wir bekommen keine Zeitangabe im Buch) noch Polizeiakten und ähnliche Unterlagen in Papierform existieren… Und das, wo wir doch jetzt schon kaum noch Papierakten in Krankenhäusern usw. führen. Nun denn, es zeigt, dass der Autor eher mit simplen Ideen glänzt statt mit einem durchdachten Worldbuilding dieser Zukunftswelt.
Ich hatte ehrlich gesagt, nicht so viel Krimi und mehr Dystopie erwartet. Sprich, ich hätte gern mehr über diese zukünftige Welt erfahren und hätte nicht die ganzen politischen Verwicklungen und Intrigen zum Schluss noch gebraucht. Die beiden Hauptfiguren sind zwar gut skizziert, aber auch dort hätte es noch mehr psychologische Tiefe geben können. Während mich der Roman größtenteils mit seiner soliden Schreibe gut unterhalten, manchmal vielleicht etwas verwirrt hat, finde ich das Ende allerdings nicht sonderlich gelungen. Um es deutlicher zu sagen: Das Ende ist hanebüchen, nicht nachvollziehbar und lächerlich, wenn es nicht so ernst wäre. Es hat mich einfach nur noch aufgeregt und verärgert, ob seiner fehlenden Glaubhaftigkeit.
Zuletzt könnte man konstatieren, dass zwar die Idee gar nicht schlecht ist, einen Krimi-Plot mit einer Dystopie zu koppeln, manchmal es aber auch einfach gut ist, entweder das eine oder das andere zu machen, dafür dann aber auch kreativ und ausgegoren.
2,5/5 Sterne
Unsterblich
Er ist unsterblich, dass heißt, wenn er irgendwie stirbt, ist er bald wieder da. So hat er Jahrtausende miterlebt und nichts vergessen. Von allen, die ihn kennen wird er „B“ genannt. Zwar will er nicht sterben, aber er will sterblich sein. Viele haben über die vielen Jahre schon versucht, ihm dazu zu verhelfen. Alle sind sie gescheitert. Das US-Militär hat ihm ein Angebot gemacht, ihm bei der Beantwortung der Fragen zu helfen. Nach und nach ergeben sich tatsächlich einige Spuren. Doch verfolgen einige hier auch ihre eigenen Ziele.
Im Regal fällt das Buch sofort auf durch das farblich auffällig gestaltete Cover und natürlich die Namen der Autoren. Wobei vorher nicht unbedingt bekannt sein muss, dass Keanu Reeves in Verbindung mit den BRZRKR-Comis (Berserker) und einer Serie in diesem Universum steht. China Mièville steht für Science Fiction oder Fanstasy. Das ist eine tolle Mischung, die ein bemerkenswertes Buch hervorbringen kann. Die Idee eines B, der nach seiner Geschichte sucht, der Sterblichkeit erreichen will, ist sehr ansprechend. Auch das Hörbuch mit den unterschiedlichen Sprechern klingt vielversprechend. Leider kann man die Geschichte nur als Hörbuch nicht vollständig erfassen. Zu elegisch sind einzelne Passagen und zu gering sind die Hinweise gestreut, so dass man es irgendwie nicht richtig schafft, den roten Faden zu finden. Vielleicht funktionieren Hörbuch und Buch im Zusammenhang besser, dann besteht die Möglichkeit nachzulesen oder zurück zu blättern, wenn man nicht sicher ist, ob man alles richtig erfasst hat. Beim Download eines Hörbuch ist leider auch kein Booklet vorhanden, mit dem einiges erläutert werden könnte. Dennoch sind einige Passagen mitreißend geschrieben bzw. vorgetragen und zum Ende hin bekommt man doch den Hauch einer Ahnung. Auch die tollen Sprecher reißen einiges heraus. Im Ergebnis bleibt allerdings der Eindruck, dass man nicht alles erfasst hat, was natürlich auch an der eigenen mangelnden Aufmerksamkeit liegen kann.