Tecumah und der Orca
1998 erschien T.C.Boyles Roman „América“, der heute so aktuell ist, dass man sich bei der Lektüre die Augen reibt über die Verwunderung, wie das schon vor 20 Jahren geschrieben werden konnte.
Der Roman schildert das Aufeinandertreffen und das Leben in der USA der reichen Vorstädte von Los Angeles und zwar in abwechselnder Sichtweise von Oben und Unten.
Oben lebt in Arroyo Blanco Delaney, ein freischaffender Autor mit seiner kleinen Familie in einem Haus, dessen Garten er gegen das Einbrechen der Natur in seine funktionierende Harmonie immer mehr abzugrenzen und zu schützen versucht. Zwar schreibt er über die möglichst unberührte Natur seine Artikel und ist von ihr begeistert, besteht aber darauf, ihr zwar nahe sein zu wollen, aber selbst und klar Grenzen gegen sie zu setzen. Und so ist der Garten bald mit einem 2,50 m-hohen Zaun gegen den Angriff von Coyoten geschützt.
Unten leben Amèrica und ihr Freund Candido, die als illegale Einwanderer aus Mexiko auf der Straße bzw. in der Natur leben. Amèrica ist hochschwanger, was die Dramatik ihres ungeschützten Daseins mit der tagtäglichen illegalen Suche nach Arbeit und Geld bzw. Nahrung deutlich erhöht.
Beide Welten stoßen zu Beginn es Romans unabsichtlich aufeinander, als Delaney Candido mit seinem Auto anfährt. Von da ab ist für Delaney die Existenz dieser Unten- deutlich präsent geworden. Das Fremde dringt immer massiver in seine heile Welt ein. Coyoten und Mexikaner sind dabei zwei unterschiedliche, aber gleich ungebetene Eindringlinge. Er ringt um eine Haltung dazu, um die Möglichkeit der Abgrenzung, ohne damit seine liberale Gesinnung und Haltung allzu stark verlassen und verletzen zu müssen. Doch geht das? Das ist eine schwer zu schaffende Gradwanderung.
„Ist dir überhaupt bewusst, was du da redest? Einwanderer sind der Lebenssaft dieses Landes – wir sind eine Nation von Einwanderern, und keiner von uns würde heute hier stehen, wenn’s nicht so wäre.“
Schweren Herzens akzeptiert er so den Plan der Bürgerschaft von Arroyo Blanco, eine Mauer mit einem bewachten Tor um das Viertel zu bauen. Und weiß doch nicht so genau, ob er damit eher das Fremde von außen aussperrt, oder sich selber einsperrt.
Und im Grunde seines Herzens weiß er immer, dass es falsch und gegen seine Überzeugung ist, wie gehandelt wird:
„Einen kurzen Moment lang, als er draußen gestanden und dem jungen Latino die Schlüssel gegeben hatte, war er von dem zutiefst beschämenden Impuls einer rassistischen Wut durchzuckt worden, …. die sämtlichen Überzeugungen widersprach, die er sein Leben lang gehegt hatte.“
Und doch findet die Abgrenzung fast zwangsläufig in immer stärkerem Maße statt.
Aber der Roman wirft auch die Frage auf: Wer ist hier eigentlich der Fremde? Der reiche Weiße, der nur mit Mühe und vielen technischen Klimmzügen in dieser wüstenhaften Natur Kaliforniens überhaupt überleben kann oder die Tiere und Menschen aus dem Süden (Mexiko) , die viel besser und ohne viele Hilfestellungen dieser Umwelt gewachsen scheinen.
Fazit:
Es ist ein zutiefst verstörendes Buch über das Eindringen des Fremden in die Welt, das sowohl im heutigen Amerika als auch bei uns die Diskussion um die Abgrenzung zum Fremden bereichern kann.
Ich war und bin beeindruckt und vergebe eine Leseempfehlung mit 5 Sternen.
1995 wurde dieses Buch geschrieben, doch würde man es heute veröffentlichen, hätte vermutlich niemand Zweifel daran, dass es ein höchst aktuelles Werk ist. Denn nichts, absolut nichts hat sich seitdem verändert. Stattdessen existiert dieses beschriebene Szenario mittlerweile ebenso bei uns, wenn auch vielleicht noch nicht in dieser extremen Form.
Boyle beschreibt in einem Zeitraum eines halben Jahres die Leben zweier Familien, die unterschiedlicher kaum sein könnten, obwohl die räumliche Distanz zwischen ihnen nur gering ist. Delaney, "liberaler Humanist ohne Verkehrssündenregister...", lebt in einer komfortablen Vorortwohnanlage von Los Angeles irgendwo in den Bergen, zusammen mit seiner Frau, deren Sohn, zwei Hunden und einer Katze. Cándido hingegen kam drei Wochen zuvor mit seiner jungen Frau aus Mexiko auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. Nun hausen sie unweit von Delaneys Vorortsiedlung in einem Canon in einem behelfsmäßigen Unterschlupf und versuchen, genügend Geld zu verdienen um sich eine Wohnung leisten zu können. Die Wege der Beiden kreuzen sich, als Delaney Cándido anfährt, ihn mit 20$ 'abfindet' und danach versucht, mit seinem schlechten Gewissen klar zu kommen.
Boyle zeigt hier kein Schwarz-Weiß-Schema auf, sodass man vielleicht mit der einen Seite mitleidet und der anderen ihr Unglück gönnt. Delaney, der klar der Bevorzugte ist, ist kein schlechter Mensch. Er wie auch seine Frau denkt liberal, ist umweltbewusst, voller Mitgefühl für die Armen dieser Welt, Mitglied beim Kinderhilfswerk undundund. Doch als seine Prinzipien herausgefordert werden und er ungewollt direkt in Kontakt mit den Armen dieser Welt gerät, sind seine Angst und Verunsicherung größer als die Standhaftigkeit seiner Werte. Sind die Mexikaner nicht doch alle Verbrecher? Verdrecken sie nicht die Natur, verstoßen immer wieder auf's Neue gegen Gesetze? Je öfter er mit diesem Anderen konfrontiert wird, desto größer wird die Furcht. Und seine Wut über die Widersprüchlichkeit seines Denkens und Handelns steigt und sucht sich ein Ventil...
Aber auch die bedauernswerten Mexikaner sind nicht nur bemitleidenswerte Menschen, denn wie überall auf der Welt gibt es hier ebenso Kriminelle, die nicht dabei zögern, auch noch den Ärmsten ihr letztes Hab und Gut zu rauben. Dennoch wird klar: Wer nichts hat, muss nicht nur um Arbeit betteln, sondern tagtäglich um sein Leben kämpfen. Denn selbst die Natur stellt sich den Menschen in den Weg...
Es ist ein unglaublich gutes, aber dennoch äußerst deprimierendes Buch, denn es zeigt den Zustand unserer Welt überdeutlich: Die Wohlhabenden wollen wohlhabend bleiben und bis auf mehr oder weniger größere Almosen nichts davon abgeben. Und die Armen, die sich ebenfalls etwas mehr Wohlstand wünschen, müssen dafür ihr Leben auf's Spiel setzen.
Nicht viele Menschen hinterfragen ernsthaft, warum die Kuhmilch eine derart privilegierte Stellung in unserer Ernährung einnimmt. In vielen anderen Kulturen oder Weltregionen wird Milch im Erwachsenenalter kaum bis gar nicht konsumiert - und die dort Lebenden haben zum Teil sogar mit weniger Erkrankungen (Osteoporose, Herz- und Kreislauferkrankungen, Übergewicht, zu hohe Cholesterinwerte, ...) zu tun. Uns wird (durch die Werbung und Lebensmittelindustrien) immer wieder propagiert, dass Milch unersetzlich und essenziell ist, um gesund zu bleiben und alle für uns wichtigen Nährstoffe zu erhalten. Dass dem aber gar nicht so ist, verdeutlicht Alissa Hamilton in diesem Buch sehr gut. Hinter all diesen Lobgesängen auf die Milch steht vor allem die Milchindustrie und die dazugehörigen Lobbyisten, die mit der "reinen", weißen Flüssigkeit selbstverständlich jede Menge Umsatz machen wollen. Zu glauben, dass die Menschen, die mit der Milch ihr Geld verdienen, nur das Beste für uns wollen, ist irrig.
~ Ja, die Knochen brauchen Kalzium, um stark und gesund zu bleiben. Ja, in der Milch ist Kalzium enthalten. Nein, unsere Knochen sind nicht auf das in der Milch enthaltene Kalzium angewiesen, um stark und gesund zu bleiben. ~
(S. 185)
Wenn man bedenkt, wie viel Milch den Amerikanern (und dieses Buch ist ziemlich amerika-lastig) von den verantwortlichen Stellen empfohlen wird und wie krank die US-Bürger sind, fragt man sich doch, was hier hinter verschlossenen Türen in Wahrheit besprochen wird ... So auch die Autorin von »Die Milch macht's!«.
Alissa Hamilton erzählt uns hierin erst mal kurz die Geschichte und Entwicklung der Milch, erklärt, wie man sie im Laufe der Zeit verändert hat, gibt uns zu verstehen, dass sie eben nicht unverzichtbar ist und es dafür ganz viele (um einiges bessere) pflanzliche Alternativen gibt, die weitaus gewinnbringender für unseren Körper sind und zusätzlich noch weniger Kalorien beinhalten. Und was Hamilton hierin auch tut: sie klärt uns über die sogenannte Laktaseimpersistenz auf, von der (meiner Ansicht nach) auch viele Menschen ein falsches Bild haben. Weiters, und das war wiederum für mich hochinteressant, deckt die Autorin in vorliegendem Buch (auf sehr indirekte Art und Weise) auf, wie wir alle manipuliert werden, wenn es darum geht, uns gewisse Lebensmittel als "gesund" zu verkaufen. Geradezu skandalös fand ich den einen oder anderen Absatz zu diesem Thema. Aber skandalös ist sie ja meistens: die Wahrheit, die keiner wahrhaben will.
~ In der Mischung und der richtigen Kombination liegt der Schlüssel zur Perfektion. So wie kein einzelner Mensch auf allen Gebieten Hervorragendes leisten kann, so kann kein Lebensmittel jedem Menschen alles bieten. ~
(S. 188)
Streckenweise war mir »Die Milch macht's!« leider zu wissenschaftlich geschrieben. Vom Verständnis her hat es bei mir nicht gehapert, das meine ich nicht, mir kam es nur manchmal so vor wie eine Studie, die ich lesen muss, denn da waren dann diese langen Würste von Nennungen gewisser Organisation, Einrichtungen, Institutionen und Ärzten, Wissenschaftlern und nicht zu vergessen: Zahlen, ganz viele Prozentzahlen waren hier zu finden. Wenn man sich dann noch hinten den Anhang mit den Quellenangaben, der sich über 30 Seiten erstreckt, angesehen hat, ist klar, warum das Ganze ... aber man sieht daran natürlich auch, dass der Inhalt akribisch recherchiert wurde, was ja eindeutig ein Pluspunkt sein sollte. Bei einem Sachbuch dieser Art sollte man auch nichts anderes erwarten.
Ziemlich am Ende des Buches finden sich dann noch 35 Rezepte, in denen die Autorin vielseitige und nährstoffreiche Produkte vorstellt, die man statt der Milch benutzen kann, da sie eben viel gewinnbringender für unseren Körper sind.
Für mich sind die Rezepte eher nichts. Die meisten davon sind zwar eh vegan, aber ich bin einfach eher ein Mensch, der nach Gefühl, spontan und nach Lust und Laune kocht oder zubereitet. Ich mag vorgegebene Rezepte nicht so gerne. Meistens kaufe ich einfach alles ein, was ich finde und als gesund erachte und haue in meinen Topf ganz bunt gemischt das hinein, was ich gerade will und gut finde. Heraus kommen dabei eigentlich immer ganz köstliche (und vor allem immer andere!) Gerichte. Sowas wie ein Rezept braucht die Janine also nicht unbedingt. :P
~ Milcherzeugnisse sind in der Tat unersetzliche Quellen für essenzielle Nährstoffe - und zwar genau jene Nährstoffe, mit denen wir übersättigt sind: Kohlenhydrate, Fette und Salze. ~
(S. 300)
Wer nun auch neugierig geworden ist und wissen will, was hinter unseren ach so tollen Milchprodukten tatsächlich steckt und sich von einer teilweise etwas wissenschaftlichen Schreibweise nicht abschrecken lassen will/kann, dem kann ich »Die Milch macht's!« absolut empfehlen, denn die Erkenntnisse, die man daraus gewinnt, sind für jedermanns gesundheitliche Zukunft Gold wert!
Kein Flipper und Free Willy, aber...
Eine Geschichte über das Volk der Makah.
Die Makah, so zeigt es eine Seite dieses Kinderbuches, lebt im Nordosten der USA, im Bundesstaat Washington. Es ist "das Volk, das an den Felsen und bei den Seemöwen lebt". (wiki)
Von denen hatte der Bücherjunge noch nichts gehört und gelesen bis zur Messe BuchBerlin im November 2019. Da traf er wieder einmal auf eine liebe Freundin, den Kerstin Groeper hatte auch auf dieser Messe ihren Stand.
* * *
"Tecumah lebte mit seinem Stamm der Makah weit oben im Norden, direkt am ewigen blauen Wasser. Die Makah lebten und jagten hier schon seit Generationen. Sie waren geschickte Jäger und Fischer und die Frauen sammelten Beeren, Früchte und Muscheln." Sie lebten in Langhäusern und jagten in langen Booten Wale. Tecumah ist noch kein Jäher, er ist ein Junge. Aber die Knaben müssen ja von den Jägern lernen und diesmal darf er mit auf das große Wasser.
"Tecumah suchte in der Entfernung den Rauch der Plankenhäuser. Er konnte sie nur noch schwach in der Ferne erkennen. Auch die bewaldeten Hügel waren nur noch wie im Nebel zu sehen. Doch die Männer paddelten weiter auf das Meer hinaus, bis vom Ufer nichts mehr zu sehen war. Irgendwo da draußen würden sie auf die Wale stoßen!
Geduldig warteten die Jäger ab. Sie hatten ihre Harpunen dabei, mit denen sie den Wal jagen wollten. Tecomah kam es wie eine Ewigkeit vor. Am Horizont zogen bereits erste Gewitterwolken auf. Am Morgen war davon noch nichts zu sehen gewesen. Die See wurde unruhiger und die Jäger warfen sich besorgte Blicke zu. 'Wir sollten umkehren!', schlug ein erfahrener Jäger vor. Auch Tecumah sehnte sich zurück an das warme Feuere der Plankenhäuser seines Dorfes. Der Wind ließ ihn frösteln und Wasser spritzte über den Rand des Kanus und durchnässte ihn. Waren die Geister ihnen nicht wohlgesonnen?"
* * *
Es scheint ein Kreuz zu sein mit den sogenannten Kinderindianerbüchern. Während man uns Deutschen eine besondere Indianeraffinität nachsagt, woran ein gewisser Karl May nicht ganz unschuldig ist, gehen Bücher über die indigenen Völker Amerikas, nicht so sehr gut. Das ist verblüffend, denn beim googeln kommt man auf eine Vielzahl von Bildern und Verweisen.Am meisten scheint dies Kinderbücher zu betreffen. Kerstin Groeper erzählte mehrfach davon, dass Mütter zum Beispiel zurück schrecken, wenn von der Jagd die Rede ist und die Indianerkinder lernen erst kleines und dann größeres Wild zu erlegen. Diese Praxis erscheint wohl nicht mehr zeitgemäß und zu brutal.
Doch kann ich mich nicht erinnern, in den Büchern des Traumfängerverlages jemals grausame Jagdszenen gelesen zu haben. Auch nicht bei Liselotte Welskopf-Henrich, die mit ihren Büchern über die Söhne der Großen Bärin und deren Nachkommen Generationen von Lesern mit den Prärieindianern bekannt machte. Ohne die Jagd hätten die Stämme nicht existieren können, und die Kinder der Jäger mussten sehr hart lernen, um dem rauhen Leben zu trotzen.
Vielleicht wurde auf dem Literaturmarkt der kleine Sioux YAKARI übermächtig, der mit den Tieren sprechen kann, dessen Geschichten aber das wirkliche Leben kaum wiederspiegeln.
Im Traumfängerverlag finden sich heute dagegen Kinderbücher, Jugendromane und Bücher für Erwachsene, in denen profunde Kenner die Geschichte der verschiedenen Stämme erzählen. Es stimmt, ohne Kämpfe und Kriege unter den Stämmen zu erwähnen, ist der Blick in deren Geschichte kaum möglich und sicherlich ist für Kinderbücher eine gewisse Erzählweise geboten.
TECUMAH UND DER ORCA ist so ein Buch und nein, es ist keine FLIPPER- oder Free Willy Geschichte, obwohl, ein bisschen davon finden wir auch im Buch von Marcel Schmäling, der, das sei hier erwähnt, der Sohn von Kerstin Groeper ist, deren Wissen um die indianischen Völker sehr umfassend ist.
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Der Bücherjunge