Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens
Peter Wohlleben gab im letzten Jahr auf der Buchmesse ein Interview, das ich unbedingt hören wollte, da ich zuvor im Fernsehen eine Dokumentation zum geheimen Leben des Waldes gesehen hatte, die mich faszinierte. Im Interview stellte er sein neues Sachbuch vor und die Beispiele, die er daraus erzählte, schlugen mich in ihren Bann.
Auch deshalb, weil ich selbst im ländlichen Raum lebe, mitten im Naturpark Saar-Hunsrück - ein Gebiet mit großen zusammenhängenden Waldflächen. Gemeinsam mit der Familie nebst Momo, unserem schwarzen Labrador, wandern wir regelmäßig auf dem Saar-Hunsrück-Steig oder den dazugehörigen Traumschleifen oder streifen einfach durch den Wald. Da Spaziergänge zum alltäglichen Leben gehören, liegt mir der Wald sehr am Herzen, genau wie der ehemalige Förster Peter Wohlleben, der das Zusammenleben der Tiere und Bäume in der Natur erforscht hat und ganz in der Eifel eine Waldakademie leitet.
"Je intensiver man die Beziehungen zwischen den Arten beleuchtet, desto mehr wunderbare Dinge offenbaren sich. Ist die Natur nicht sogar noch viel komplexer als ein Uhrwerk? In ihr greift ja nicht nur ein Zahnrad ins andere, sondern alles ist auch noch untereinander vernetzt." (S.8)
An vielen Beispielen erklärt Peter Wohlleben verständlich und anschaulich, wie dieses Netzwerk der Natur funktioniert und welche großen Auswirkungen kleine Veränderungen nach sich ziehen können.
Ich möchte eines der Beispiele herausgreifen, um deutlich zu machen, dass es keine einfachen Zusammenhänge in diesem Netzwerk gibt.
Im Yellowstone-Nationalpark wurden im 19. Jahrhundert die Wölfe ausgerottet, in der Folge vermehrten sich die Hirsche so stark, dass diese die Flussufer kahl fraßen. Dadurch verödete das Land, es gab weniger Vögel und auch Biber, die auf Bäume am Flussufer angewiesen sind. Verödete Ufer bedeuten auch weniger Befestigung, so dass es zu Hochwasser und Erosionen kam.
1995 wurden Wölfe im Naturpark ausgesetzt, was eine Veränderung des Ökosystems nach sich zog.
Die Anzahl der Hirsche ging zurück und auch die Biber siedelten sich wieder an, die Überschwemmungen, die von ihren Dämmen verursacht werden, helfen den Bäumen in trockenen Monaten an Wasser zu kommen. Gleichzeitig vermehrten sich die Grizzlys, die im Herbst auf süße Beeren angewiesen sind, die ihnen aber von der Überpopulation an Hirschen "weggefressen" wurden.
Gleichzeitig lässt sich im Nationalpark noch ein anderes Phänomen beobachten. Dort haben wahrscheinlich Angler die "Amerikanische Seeforelle" eingeführt, die die ansässige "Cutthroat-Forelle" verdrängt, die von den Bären gerne gefressen wird. Da sie in kleinen Bächen laichen, sind sie für die braunen Jäger gut zu erreichen. Anders die Amerikanische Seeforelle, die ihre Eier am Seeboden ablegen, so dass die Bären hungrig bleiben, was dazu führt, dass sie verstärkt die Kälber der Hirsche ins Visier nehmen - im Gegensatz zu den Wölfen, die auch ältere Tiere jagen. Dadurch dass die Bären den Nachwuchs fressen, verändert sich die Altersstruktur der Hirschrudel.
"Der Fall zeigt noch einmal deutlich: Ökosysteme sind überaus vielschichtig, und Veränderungen betreffen niemals nur einzelne Arten. (...) Die große Uhr hat doch mehr Zahnräder, als bis heute bekannt ist." (S.24)
An vielen weiteren Beispielen zeigt Peter Wohlleben eindrücklich auf, wie kompliziert die Zusammenhänge im Ökosystem sind und dass das gut gemeinte Eingreifen des Menschen oft fatale Folgen haben kann.
Er führt uns vor Augen, wie wenig wir eigentlich wissen, so ist das Leben im Grundwasser beispielsweise kaum erforscht und er weist ausdrücklich auf die Gefahren des Fracking hin, dessen Folgen seiner Meinung nach wir nicht abschätzen können:
"Auf solche rüde Eingriffe ist dieses Ökosystem nicht vorbereitet. Seine Eigenschaften sind ja die ewig gleichbleibenden Bedingungen und die extreme Langsamkeit." (S.52)
Der Fokus seiner interessanten Untersuchungen liegt auf dem Wald und seinen Bewohnern und dem Einfluss, den wir Menschen auf den Wald ausüben. Sei es die wirtschaftliche Nutzung, die Fütterung der Waldtiere oder die Folgen der Monokultur. An vielen Beispielen bringt er uns diesen Lebensraum näher und immer wieder gerät man ins Staunen darüber, wie gut die einzelnen Lebewesen und Pflanzen vernetzt sind.
Ein Kapitel widmet sich auch den Mythen, den einfachen Zusammenhängen wie die alten Bauernregeln, die Wohlleben ins Reich der Märchen verbannt.
Er räumt auch mit dem Mythos auf, dass wir mit Rettungsmaßnahmen für einzelne Tiere oder Pflanzen etwas Gutes tun würden:
"An den in den vorherherigen Kapiteln dargestellten Beispielen kann man gut erkennen, wie fragil das System ist und welche Folgen der Ausfall einer einzigen Art haben kann." (S.137)
"Anstatt hier und da einen Rettungsversuch in Form einzelner Bäume zu unternehmen, die vor der Holzernte verschont werden, sollten großflächige Areale komplett aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommen werden." (S.144)
Auch der Frage, was denn eigentlich Natur sei, widmet er sich.
Am Ende des Sachbuches steht das Klima und die Erderwärmung im Vordergrund. Wohlleben weist darauf hin, dass es vor allem die Geschwindigkeit ist, mit der sich die Kohlenstoffdioxidkonzentration verändert, die den Bäumen zu schaffen macht. Schwankungen hat es in der langen Erdgeschichte mehrere gegeben, doch der Eingriff des Menschen, die Industrialisierung hat diese torpediert.
"Höhere Temperaturen sind nicht grundsätzlich etwas Schlechtes, solange die Natur sich darauf einstellen kann." (S.155)
Auch Bäume wandern und können sich auf veränderte Temperaturen einstellen, aber sie brauchen Zeit dafür, die wir ihnen nicht geben.
Wohlleben stellt viele interessante Fragen, gibt Denkanstöße und bringt uns das geheimnisvolle Netzwerk der Natur näher.
Ein Muss für alle, die den Wald lieben und denen die "Natur" am Herzen liegt
Das Buch fand ich sehr interessant. Allerdings kam mir des Autors Öko-Weltbild stark vermenschlicht vor. Aber ich bin auch nicht vom Fach, und weiß nicht, ob ich mir darüber überhaupt ein Urteil erlauben darf. Aber ich kann mir nun mal sehr schwer vorstellen, dass z. B. Bäume und Pflanzen miteinander kommunizieren, einerseits, aber andererseits, so schreibt der Autor, kommunizieren sie eher auf einer feinstofflichen Art, und nicht wie wir Menschen über Wort und Gestik.
Zitat:
"In der Lebensgemeinschaft Wald sind es nicht nur Bäume, sondern auch Sträucher und Gräser, ja womöglich alle Pflanzenarten, die sich derart austauschen. Treten wir jedoch in die Feldflur, so wird das Grünzeug sehr schweigsam. Unseren Kulturpflanzen ist die Fähigkeit, sich ober- oder unterirdisch mitzuteilen, durch Züchtung größtenteils abhandengekommen. Sie sind quasi taub und stumm und werden dadurch zu einer leichten Beute für Insekten. Das ist einer der Gründe, warum die moderne Landwirtschaft so viele Spritzmittel einsetzt. Vielleicht können sich Züchter künftig ein wenig von den Wäldern abschauen und wieder mehr Wildheit und damit Geschwätzigkeit in Getreide und Kartoffeln einkreuzen." (2015, 18f)
Geschwätzigkeit unter den Pflanzen, damit habe ich irgendwie ein Problem, aber wahrscheinlich darf man das nicht so wortwörtlich verstehen. Weiter unten schreibt demnach der Autor, dass Bäume und Pflanzen über Gerüche, optisch und elektrisch kommunizieren.
Insgesamt fand ich das Buch trotzdem gut, weil ich jetzt ganz anders durch den Wald gehe, versuche die Bäume und die Pflanzen etwas bewusster zu betrachten. Aber dass eine Wiese Schmerzen empfinden würde, wenn Tiere darauf weiden und die Halme fressen, kann ich schwer annehmen. Dann stimmt etwas mit der Schöpfung nicht, wenn die Nahrung immer damit verbunden ist, einem anderen Schmerzen zu bereiten ... Dann dürften wir Menschen auch kein Gemüse mehr essen. Der Autor sagt zwar nicht, dass das verboten ist, dass man sich versündigt, aber er appelliert darauf, dass der Mensch dies mit mehr Ehrfurcht tun sollte. Ob das der Pflanze hilft, wenn wir uns bei ihr entschuldigen, dass wir sie essen, wir Menschen und Tiere, wo sie doch lieber am Leben bleiben möchte …
Die Frage, ob Bäume und Pflanzen intelligente Wesen seien, wurde anhand einer Studie bejaht. Die Intelligenz sei über verschiedene Anlagen und über Moleküle gesteuert. In der Wurzelspitze würden sich gehirnähnliche Strukturen befinden, die denen von Tieren ähneln.
Interessant fand ich zudem die Beschaffenheit von Waldhonig. Die Bienen würden Blattlausfäkalien benutzen.
Zitat:
"Sie saugen die süßen Tropfen ein, transportieren sie zum Bienenstock, würgen sie dort wieder hervor und verarbeiten sie dann zu dunklem Waldhonig. Er ist bei Käufern sehr begehrt, obwohl er mit Blüten absolut nichts zu tun hat."
Mehr möchte ich nun nicht verraten. Ich kann das Buch auf jeden Fall an alle Naturinteressierte weiterempfehlen. Ob man nun an diese Theorien glaubt, oder nicht glaubt, etwas bleibt trotzdem hängen. Man macht sich Gedanken, und versucht die Bäume etwas anders zu betrachten und wahrzunehmen, wobei ich persönlich nie daran gezweifelt habe, dass Bäume, wenn sie gefällt werden, dabei nichts spüren würden. Nur mit dieser übertriebenen Vermenschlichung habe ich meine Probleme.
Ich werde wohl nicht drumherum kommen, mich noch näher mit dieser Thematik zu befassen.
sehr informativ
Dieses Buch durfte ich als Hörbuch genießen und es hat mir richtig gut gefallen. Ich musste zwischendurch immer mal wieder Pausen einlegen, da mein Gehirn irgendwann genauso löchrig war wie die erwähnten Schwämme und mir von den vielen Fachbegriffen der Kopf schwirrte. Doch die Übersicht, die dieses Buch bietet, ist klasse. Die gesamte Erdgeschichte , und das ist ja doch ein recht langer Zeitraum, ist gut beschrieben und ich finde, die Sprecherin hat das Buch sehr gut sprachlich umgesetzt. Sie hat es tatsächlich geschafft durch Betonungen ein wenig Spannung in dieses Sachbuch zu sprechen und die Stimmlage fand ich recht angenehm.
Ich mag gerne Bücher , die mir etwas erklären, ohne belehrend zu wirken und mir Inhalte übersichtlich darstellen. Deshalb kann ich dieses Buch auch nur sehr lobend jedem ans Herz legen, der gerne gut gemachte Sachbücher liest. Wobei ich als kleinen Hinweis geben mag, dass das Hörbuch zwar super ist, ich aber dennoch das geschriebene Wort vorziehen würde. Hier haben mir Bilder, Hinweise und Pausen gefehlt. Trotzdem volle Punktzahl danke für dieses tolle Buch.