Das Weiße Schloss: Roman
Die Grays waren mal alteingesessene Gutsbesitzer, inzwischen sind sie nur noch eine abscheuliche, verstrittene Sippe. Die Geschwister kehren mit ihren Familien nur ungern an Weihnachten ins Elternhaus zurück, eigentlich nur, weil sie vom alten Gray Geld wollen. Was sie nicht wissen, dass er selbst durch Spekulationen total überschuldet ist. Die Söhne und Töchter sind einander in herzlicher Abneigung, bis hin zum Hass verbunden.
Dann stirbt Gray in der Weihnachtsnacht in seiner Bibliothek, es ist ein plötzlicher Tod. Der Leser wird Zeuge seiner Ermordung und der Versuche des Mörders seine Spuren zu verwischen. Im Gegensatz zu den Whodunit-Krimis stellt sich hier also nie die Frage nach dem Täter, sondern nach dem Auslöser der Tat. Die Autorin legt in ihrem Buch sehr viel Wert auf die psychologischen Gründe und ihrer Auswirkung. Ein jedes Familienmitglied und die Ehepartner werden beschrieben und analysiert, das wirkt fast wie eine Familienaufstellung. Weil oft auch die herrschenden Moralvorstellungen der Zeit einfließen, wirkt es in manchen Teilen ungewollt komisch und antiquiert. Dass einer der Schwiegersöhne Grays, Eustache Moore, ein windiger Spekulant, natürlich Jude ist und alle negativen Charaktereigenschaften diesem Umstand zugeschrieben wird, fällt unangenehm auf. Das ist dem Zeitgeist der 1930iger Jahre geschuldet, aber es bleibt ein schlechter Beigeschmack.
Natürlich sind die Bemühungen des herabgerufenen Kriminalbeamten nutzlos. Es bleibt einem Schwiegersohn Grays - übrigens mit seiner Frau die einzigen sympathischen Protagonisten - überlassen, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Ich verfolge seit einiger Zeit die Wiederentdeckung klassischer Krimis im Klett Cotta Verlag. Die liebevolle wertige Ausstattung lässt ein Sammlerherz höher schlagen. Diese Neuübersetzung hat mich allerdings nicht überzeugen können, auch wenn im Nachwort die euphorische Besprechung von Dorothy L. Sayers zitiert wird.
Kurz nach dem zweiten Weltkrieg werden die jugendlichen Geschwister Nathaniel und Rachel von ihren Eltern in der Obhut eines befreundeten Mannes zurückgelassen. Die Gewischter nennen ihn den Falter und er wird ihnen für eine Weile zum Familienersatz. In seiner Welt lernen sie auch den Boxer und seine Freunde kennen. Dieser scheint ein Schmuggler und Gauner zu sein, der ihnen besonders Nathaniel auf seinen Touren etliche Abenteuer verschafft. Doch wieso mussten die Eltern fort und wohin sind sie? Nathaniel macht sich viele Gedanken, zwar genießt er seine Jugend, aber irgendwie vermisst er seine Eltern doch.
Natürlich erzählen Eltern Kindern nicht alles. Manches wollen sie nicht sagen, manches dürfen sie nicht sagen. Doch so relativ sang und klanglos zu verschwinden, ist schon nicht einfach zu ertragen. Auch wenn sich der Falter und der Boxer bemühen, Nathaniel und Rachel gut zu betreuen, ist es doch etwas anderes als eine normale Familie zu haben. Oder ist es garnicht so schlimm? Schließlich war und ist es in England durchaus üblich, Kinder früh zur Schule zu schicken und in der Folge auch früh in Internate zu geben. Doch besonders für Nathaniel bleibt eine Lücke, die er in späteren Jahren füllen möchte. Seine unbekannten Eltern sollen zu solchen werden, die er kennt.
Im Krieg ist es das Wichtigste zu überleben, Gedanken an die Familie müssen häufig zurückstehen. Manches dient sicher auch dem Schutz der Lieben, für die es besser ist, nicht zu viel zu wissen. In diesem Buch ist es sehr fesselnd zu lesen, welche große Resilienz die Jugendlichen besitzen. Gleichzeitig staunt man über die Geschichte insbesondere der Mutter, dieses unbekannte Wesen. Gespannt verfolgt man, was Nathaniel als Erwachsener herausfindet, wie er aus Kleinigkeiten ein Bild zusammensetzt. Er wirkt eher verzeihend, während Rachel eher anklagt. Doch hat ihre Mutter eine Wahl gehabt? Das bleibt ungewiss, wie einige andere Kleinigkeiten. Normal vielleicht, wenn den Fragen erst Jahre später nachgegangen wird. Dennoch verschlingt man diesen Roman um ungewöhnliche Lebenswege von Eltern und Kindern, die sich unter dem Eindruck des zweiten Weltkrieges entwickelt haben.
4,5 Sterne
"Geschwister sind die schönste Erinnerung an die eigene Kindheit, man teilt viele Geheimnisse mit ihnen"
Ärztin Katharina Kuhlmann (Rina) ist viel zu selten auf der Insel Rügen um ihre Oma Annie zu besuchen. Doch diesmal hat sie sich endlich vorgenommen ihre zwei Wochen Urlaub zusammen mit Daniel auf Rügen zu verbringen. Sie freut sich schon auf Sonne, Strand, Erholung und Omas leckeren Karamellbonbons. Den nach einer Affäre Daniels mit einer Kollegin im Krankenhaus sind sie für einen Neuanfang nach Berlin gezogen. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse, Daniel der erst verspätet ankommt, überrascht Rina mit einem Heiratsantrag. Jedoch Rina kann seine Affäre einfach nicht vergessen und auch nicht Ja sagen. Im Gegenteil nach einem Gespräch trennen sich beide einvernehmlich, zu groß sind inzwischen die Kluften geworden. Als am nächsten Morgen dann auch noch Oma Annie zusammenbricht und einen Herzstillstand hat, ist Rina total verzweifelt. Im Krankenhaus verständigt sie sofort ihre Schwestern Pia und Jana die sich schnellstens auf den Weg zu ihr machen. Den Oma Annie ist der einzige Halt der drei Schwestern, die vor 16 Jahren nach einem tragischen Unfall ihre Eltern verloren haben. Plötzlich steht das Leben der Schwestern Kopf, sie müssen nun versuchen Oma Angelegenheiten zu meistern, in der Hoffnung, dass es ihr bald besser geht. Die "Drei Schwestern für Oma" wie sie sich fortan nennen kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur das in Omas Vergangenheit führt.
Meine Meinung:
Dies war mein erstes Buch der Autorin, aber sicher nicht mein letztes. Mit viel Liebe zum Detail erzählt hier Anne Barns von geschwisterlichem Zusammenhalt, der mich tief bewegt hat. Das wunderschön gestaltete Cover macht schon Appetit auf das Buch. Der Schreibstil ist sehr gut, flüssig und an einigen Stellen sehr emotional. Ich fieberte und litt mit den Schwestern mit, als sie um das Leben ihrer Oma bangen und so kullerte auch bei mir die eine oder andere Träne. Auch die medizinischen Details hat die Autorin sehr gut recherchiert und umgesetzt. Genauso wie die Gegebenheiten auf der Insel Rügen, die mich sofort an unseren Urlaub dort erinnert haben. Eingeteilt in 27 Kapiteln und mit sehr schönen Rezepten am Ende, die allesamt auch im Buch erwähnt werden. Da gibt es dann Omas herrliche Karamellbonbons in versch. Sorten, Eistee, Ofenfleisch..... die allesamt von der Autorin selbst erprobt wurden. Und die nur darauf warten vom Leser ebenfalls getestet zu werden. Auch die Charaktere sind alle sehr gut gelungen, warmherzig und sympathisch. So viel es mir auch nicht schwer mich gleich mit der Geschichte anzufreunden und wohlzufühlen. Dabei hat mich der Plot so gut unterhalten, dass ich regelrecht traurig gewesen bin, als das Buch zu Ende war. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass es noch weiter geht, da ich zu gerne erlebt hätte, wie die weitere Zukunft der drei Schwestern aussieht. Wer also ein Buch sucht für ruhige Urlaubstage oder um mal abzuschalten, dem kann ich dieses hier nur empfehlen. Von mir bekommt es 5 von 5 Sterne.
Natürlich soll für die Abifeier der Tochter Nora alles nach deren Wunsch laufen. Es ist ihr großer Tag. Doch so einfach ist es nicht, die Eltern sind geschieden. Alex, der Sohn, ist bei der Mutter Bea geblieben und hat den Kontakt zu seinem Vater abgebrochen. Der Vater ist nach Hamburg gezogen, wohin ihm Nora gefolgt ist. Bei Johanna, deren Sohn Tobias ebenfalls in dem Abi-Jahrgang ist, handelt es sich um die Freundin von Noras Vater. Auch Johanna ist geschieden. So ein mittleres Familiendurcheinander, da wird es schon schwierig auch nur die Tischordnung so hinzubekommen, dass alle zufrieden sind.
Beim Lesen des Titels mag einem zunächst einmal die eigene Abi-Fete in Erinnerung kommen. Aus einer langweilig klassisch normalen Familie stammend, ist einem das Gedankenchaos des Autors zwar etwas fremd. Mit dem Gedanken, dass man es in dieser Situation vielleicht einfacher gehabt hat, liest man mit Empathie, welche Überlegungen Patchworkeltern anstellen, um ihren Kindern ein schönes Fest zu bereiten, ohne sich selbst dabei völlig zurückzunehmen. Fast strategisch mutet die akribische Planung an. Nichts soll dem Zufall überlassen werden und eine gewisse Erleichterung ist zu spüren, wenn die Erkenntnis aufkommt, dass es halben Elternteilen auch noch schlimmer ergehen kann. Es keimt die Hoffnung, man könne als Großfamilie etwas mehr zusammenwachsen.
Nicht unbedingt alles kann man nachvollziehen, wenn man die Familiensituation nicht aus eigener Erfahrung kennt, dennoch liest man von vorausplanenden Paar des Autors und seiner Johanna mit Interesse und Erstaunen. Nicht ganz präzise kann man den Erzähler einschätzen, versucht er doch so viel, um das Verhältnis zu seiner Ex-Familie auf eine freundschaftliche Ebene zu bringen, scheint es später doch so als würde er es wegen einer Banalität wieder aufs Spiel setzen. Seine abgeklärte Partnerin wirkt da wesentlich cooler. Und wie es manchmal so ist, machen die Kinder manchmal einen erwachseneren Eindruck als die Großen.
Ein unterhaltsames kleines Buch um die Probleme von Patchworkfamilien, deren Mitglieder sich vielleicht manchmal genau die richtigen Gedanken machen, die Probleme aber manchmal auch als schwerwiegender erscheinen lassen als sie auf einen Außenstehenden wirken.
eine Dystopie, die keine ist
Vor 30 Jahren wurde Louise Brown, das erste Kind aus der Retorte, geboren. Seitdem sind Millionen von Kindern weltweit mit Hilfe der Reproduktionsmedizin auf die Welt gekommen. Allein hier in Deutschland kommen jedes Jahr zwischen zehn- und 13tausend Kinder zur Welt, die außerhalb des Mutterleibs gezeugt wurden. (Quelle: Deutschlandfunk, 2016)
Was vor 30 Jahren für eine Sensation gesorgt hat, ist heutzutage Alltag geworden. Die Möglichkeiten, den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen, sind vielfältig geworden.
Eine dieser Möglichkeiten bietet die Grundlage für Christian Dittloffs Dystopie "Das Weiße Schloss", indem ein Ehepaar von einer Leihmutter ein Kind austragen lässt. Die Vermittlung dieser Leihmutter ist durch die fiktive Institution "Das Weiße Schloss" erfolgt. Hier müssen sich Eltern "bewerben", um den Service, den "Das weiße Schloss" bietet, in Anspruch zu nehmen. In diesem Institut erfolgt die ärztliche Betreuung. Gleichzeitig lebt hier die ausgewählte Leihmutter während der Schwangerschaft - zusammen mit zahlreichen anderen Leihmüttern. Denn das Geschäft boomt.
"'Auf dem Weißen Schloss sind wir uns darüber im Klaren ..., dass wir mit jeder Empfängnis vor einer wichtigen und komplexen Aufgabe stehen. Die assistierte Empfängnis und die Tatsache, dass das Kind der intendierten Eltern durch eine Tragemutter zur Welt gebracht wird, die es sogar im Alltag erzieht, löst traditionelle Familiengrenzen auf. ... Es ist ein Balanceakt zwischen sozialer Fremdheit und biologischer Nähe.'"
Der Roman begleitet das Ehepaar Ada und Yves von den ersten Kontakten zum Weißen Schloss bis hin zum Ende der Schwangerschaft.
Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Dazu gehören sowohl jegliche ärztliche Leistungen im Rahmen der Leihmutterschaft als auch die Vermittlung von Leihmüttern. Ganz anders in Ländern wie Russland, Thailand und Teile der USA. Doch der Roman spielt in Deutschland, in naher Zukunft. Wer es sich leisten kann, leistet sich eine Tragemutter des Weißen Schlosses, inklusive Rundum-Sorglos-Programm, das eine perfekte Schwangerschaft garantiert, ohne dass (Mutter) Ada die Unannehmlichkeiten, die mit einer Schwangerschaft verbunden sind, erdulden muss. Gleichzeitig wird den Eltern auch die Unannehmlichkeiten der Kindererziehung abgenommen. Denn die Leihmutterschaft hört nicht mit der Geburt auf. Das Kind wird von der Leihmutter großgezogen. Ada und Yves werden die Entwicklung ihres Kindes aus der Ferne begleiten. Gelegentliche Besuche und E-Mails werden sie auf dem Laufenden halten.
Dadurch kommen sie in den Genuss, ihr bisheriges Leben weiterzuleben und sich gleichzeitig Eltern nennen zu dürfen.
"'Es wird ein großartiges Kind. Und immer wenn wir es besuchen, können wir es lieben. Wir können gute Eltern sein.'"
Ada und Yves repräsentieren einen Teil der Gesellschaft, welcher jegliche Fremdbestimmung ablehnt und in dem Konsum, Vergnügen und Egoismus den größten Teil des Lebens ausmacht.
Ada arbeitet in einer Behörde, die sich mit der Auswahl und Bewertung neuer Mitglieder der Gesellschaft befasst. Wer in Deutschland einreisen möchte, wird auf Herz und Nieren geprüft. Nichts bleibt verborgen. Die Qualifikationsvoraussetzungen sind sehr anspruchsvoll und von elitärem Denken bestimmt. Auf diesem Weg hat sich Ada ihren Partner ausgewählt: Yves, ein Bildhauer aus Frankreich. Man wird den Eindruck nicht los, dass sie ihn als schmückendes Beiwerk zu ihrem Leben ansieht. Ada gibt den Ton vor. Ihr Anspruch ist, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Fremdbestimmung ist ihr ein Gräuel. Sie will sich ihre Einzigartigkeit bewahren.
Ein Kind ist für sie ein Statussymbol und Luxus. Es ist ein "Nice-to-have", darf aber keine Einfluss auf das bisherige Leben nehmen. Insofern bietet "Das Weiße Schloss" den richtigen Service.
"Sie wollte keine Liebe spüren, die größer war als die Liebe zu sich selbst."
Der Roman "Das Weiße Schloss" ist eine Dystopie, die erschreckend nah an der Gegenwart ist. Man vergisst schnell, dass es sich hierbei um eine Zukunftsvision handelt. Denn die Episoden des Alltags, die hier geschildert werden, finden sich auch in unserer Gegenwart wieder und dürften dem dem Leser daher nicht fremd sein. Fast wird man ein bisschen eingelullt: ein Ehepaar mit Kinderwunsch, Arbeitsalltag, Freizeitvergnügen, das Prozedere der Reproduktionsmedizin sowie Schwangerschaft (viele Leser werden hier keine Erfahrungen haben, aber dennoch sind die Vorgänge nachvollziehbar)
Doch dann gibt es diese Momente in dem Roman, die einen beim Lesen zusammenzucken lassen und deutlich machen, dass doch nicht alles so normal ist, wie es scheint. Dazu trägt auch der nüchterne und emotionslose Sprachstil von Christian Dittloff bei.
Anfangs hatte ich meine Schwierigkeiten mit diesem Sprachstil. Das Buch lässt sich nicht flüssig lesen. Teilweise wirken Textpassagen sperrig. Daher benötigt man viel Ruhe für dieses Buch. Erst dann lernt man den eigenwilligen Sprachstil schätzen. Denn die Emotionslosigkeit spiegelt die Stimmung dieses Romanes perfekt wider. Elternschaft hat im wirklichen Leben ganz viel mit Gefühl zu tun. Doch die Gefühle finden in der Elternschaft um "Das Weiße Schloss" nicht statt. Hier steht die Reproduktionsmaschinerie im Vordergrund und Eltern, die sich bestenfalls Gefühle gegenüber sich selbst erlauben.
Fazit:
Eine Dystopie, die irgendwie keine ist. Denn dafür sind die Überschneidungen zu unserer Gegenwart zu gravierend. Ein hochinteressantes Thema! Leseempfehlung!
© Renie
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