Zwei Jahre Ferien (detebe)
Zweieinhalb Jahre Pandemiegeschehen ließen mich die Lektüre dieses Buches vor mir herschieben. Kann und sollte man eine Geschichte, in der es zu einer tödlichen Grippepandemie, Krieg und Ölknappheit kommt, wirklich lesen, während die Welt in genau diesen Endzeitszenarien gerade eben versinkt? Die Frage ist nicht global für alle Bücher, die diese Themen behandeln, zu klären. Für „Der Wal und das Ende der Welt“ jedoch kann ich sie für mich eindeutig beantworten: Ja! Es wäre sogar hilfreich gewesen dies schon viel früher zu tun. Aber warum?
John Ironmonger entwirft zwischen all den dystopischen Elementen seiner Geschichte ein zutiefst positives Menschenbild. Zu oft hören, sehen, lesen wir Szenarien, in denen vorhergesagt wird, dass der Mensch, wenn es hart auf hart kommen sollte, sich selbst am nächsten ist. Dass es zu Mord und Totschlag, Plünderungen, Vergewaltigungen usw. usf. kommen wird. In diesem Hoffnung gebenden Buch ist das anders. Die ein oder andere Komponente (Plünderung und Diebstahl) gibt es auch, aber nur am Rande und eher unerheblich. Hier geht es darum, wie ein Mann zusammen mit einer wohlgesinnten Dorfgemeinschaft es schafft, den Kollaps ausgelöst durch eine Kombination der oben genannten Szenarien zu überstehen. Wie man füreinander einstehen kann, ohne dass es innerhalb der Geschichte kitschig wirkt. Wie der Mensch zeigt, dass er letztendlich doch ein soziales Tier und gewillt ist, gemeinschaftlich eine Herausforderung zu bewältigen.
Geschickt webt Ironmonger dafür über zwei Figuren seines Ensembles Überlegungen aus der Philosophie sowie Religionswissenschaft zum Thema die Natur des Menschen in seinen Roman ein. Das wirkt niemals belehrend, sondern vielmehr wissenswert, wohldosiert und verständlich heruntergebrochen. Auch die entsprechenden herangezogenen wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen werden stets nachvollziehbar in die Geschichte eingebunden und erklärt. Sehr positiv hervorzuheben sind diesbezüglich die Anmerkungen des Autors im Appendix des Buches zu den Quellen, die mit weiteren wissenswerten Fakten angereichert sind.
Die Seiten dieses 480seitigen Romans fliegen nicht trotz sondern gerade aufgrund von interessanten Theorien, authentischer Menschlichkeit und knackig erzähltem Plot nur so dahin. Sprachlich ist der Text stets süffig und lesefreundlich gehalten. Rückblicke hin zu lebensgeschichtlichen Ereignissen des Hauptprotagonisten Joe sorgen für Abwechslung und ein vollständigeres Bild dieses Analysten aus London, welcher auf (gar nicht so wundersame Weise) am Strand eines kleinen Örtchens in Cornwall angeschwemmt wurde.
So viel darf zur Entwicklung der Geschichte verraten werden: Hier geht die Welt nicht in Verdammnis unter. Hier gibt es Hoffnung ob der Grundannahme eines Menschenbildes, welches Zusammenhalt deklamiert statt Vereinzelung und Egoismus. Und das ist etwas, was ich schon eher in dieser (aktuellen und wahrscheinlich leider nicht letzten) Pandemie gebraucht hätte. Übermäßig viele Dystopien hat der Mensch hervorgebracht. Es braucht auch mal, wenn nicht gleich eine eher unwahrscheinliche Utopie, dann doch ein Fünkchen Hoffnung.
Deshalb und aufgrund der oben genannten Punkte, gibt es von mir eine klare Leseempfehlung für diesen Roman, der zwar positiv angelegt ist, aber keine naive Happy-Go-Lucky-Geschichte darstellt und damit an massiv Glaubhaftigkeit gewinnt.
„Die Zeit lief hier in einem anderen Tempo ab. Ein Mann konnte mit einem Glas Cider dasitzen und aufs Meer hinausblicken, und die Zeiger der Uhr drehten ihre Runden, und niemand rief seinen Namen.“ (Zitat Seite 96)
Inhalt
In dem kleinen Küstendorf St. Piran in Cornwall wird zuerst ein nackter Mann an den Strand gespült und später ein Wal, der in einer gemeinsamen Aktion gerettet wird. Joe Haak, der junge Mann, ist ein Banker aus London. Er hatte fünf Jahre lang an einem Datensystem gearbeitet, das nun in der Lage ist, weit genauer und umfassender als alle bisher bekannten Programme, anhand von unzähligen, auch kleinsten Details, die es laufend sammelt, bearbeitet und vernetzt, zukünftige Entwicklungen präzise vorauszusagen. Hier, in St. Piran, weiß niemand, wer er ist. Zu seinem Programm hat er immer noch Zugriff und eines Tages sieht er Hinweise auf höchst alarmierende Ereignisse. Kurz entschlossen kauft er große Mengen an Lebensmitteln und lagert diese. Kann ein Computersystem, bei aller Perfektion, auch die Komponente des menschlichen Verhaltens vorhersagen?
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Wirtschaftsdaten, Börsensysteme, eine Pandemie und den Zusammenhalt und das Miteinander der Menschen einer Dorfgemeinschaft.
Charaktere
Ein Fischerdorf in Cornwall mit schrulligen, liebenswerten Menschen, die auch in ihren Handlungen authentisch wirken. Joe Haak, Banker, Investment- und Computerspezialist, fühlt sich rasch als Teil dieser Dorfgemeinschaft und handelt sofort, als er die Zeichen einer weltweiten Krise erkennt.
Handlung und Schreibstil
Der Roman ist in einer leisen, poetischen Sprache geschrieben und es ist eine märchenhafte Geschichte, an welche sich alle Bewohner von St. Piran noch heute, Jahre später, erinnern und rückblickend schildern. Eine interessante Aktualität erhält dieser bereits im Februar 2015 erschienene Roman durch die Vorwegnahme einer Pandemie, wie wir sie in diesen Monaten tatsächlich erleben.
Fazit
Eine poetische, beinahe märchenhafte Geschichte von Menschlichkeit, Zusammenhalt und Hoffnung, die in einem kleinen Dorf an der Küste Cornwalls spielt.
St. Piran ist ein kleines verschlafenes Nest in Cornwall. Doch als eines Tages ein fremder Mann, nackt, fast tot, am Strand angespült wird, ändern sich die Dinge in diesem kleinen Dorf grundlegend.
Joe Haak wird von den Menschen in St. Piran gerettet, kurz darauf rettet Joe Haak mit den Einwohnern einen gestrandeten Wal. Joe wird in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Nach und nach erzählt der Autor, wie es Jo überhaupt in diese Ecke der Welt verschlagen hat. Als Mathematiker hat Joe für eine Bank ein Programm mit dem vielsagenden Namen Cassie entwickelt. Doch das Modellieren komplexer Systeme kann möglicherweise das Ende der Welt, wie wir sie kennen vorhersagen. Aber Menschlichkeit ist nicht unbedingt berechenbar. Ist das Leben tatsächlich ein Jenga Turm, der zusammenbricht, wenn ein entscheidendes Teil gezogen wird, drei Mahlzeiten von der Anarchie entfernt?
Muss man Thomas Hobbes Gleichnis vom Leviathan kennen, um diesen Roman zu verstehen? Ich denke nicht. John Ironmonger bedient sich der biblischen Elemente des Leviathans als Symbol für den nahenden Weltuntergang. Mit einem Wal beginnt alles hier in diesem Roman und mit einem Wal endet diese Geschichte auch. Es ist eine ganz seltsame Dystopie, die sich mit einer Dorfromantik vermischt. Weltuntergang mit Wohlfühlcharakter quasi. Nächstenliebe und Menschlichkeit ist ein wertvolles Gut. Doch wie realistisch ist ein Szenario wie dieses in einer Welt, in der Solidarität fast schon ein Fremdwort für unzählige kleine und große Ich-AG ist. So kommt mir diese Geschichte zu romantisch, zu idyllisch, zu kitschig vor, als dass sie mich wirklich nachhaltig beeindrucken konnte.
1984, die Welt, wie wir sie kennen, existiert nicht. Drei große Machtblöcke, Ozeanien, Eurasien und Ostasien stehen in ständigen Krieg gegeneinander. Ozeanien ist ein totalitärer Überwachungsstaat. Winston Smith, der dort in Landebahn 1 (ehemals London) lebt ist Mitglied der äußeren Partei. An seinem Arbeitsplatz im Ministerium für Wahrheit berichtigt er Tag für Tag Zeitungsberichte, um die Vergangenheit den gegenwärtigen Zuständen anzupassen.
In Winston Smiths Welt ist nichts privat. Jeder Vorgang wird über allgegenwärtige Teleschirme beobachtet. Der Große Bruder sieht alles, hört alles. Und doch kann er sich seinen Erinnerungen nicht entziehen. Er beginnt an der Partei, am Programm zu zweifeln. Er beginnt heimlich, in einem toten Winkel, Tagebuch zu führen. Er fängt eine verbotene Liebesbeziehung zu Julia an, will sich mit ihr einer Untergrundbewegung anschließen. Winston fasst Vertrauen zu O’Brian, einem Mitglied der inneren Partei. Ein folgenschwerer Fehler.
„Krieg ist Frieden“, „Freiheit ist Sklaverei“ „Unwissenheit ist Stärke“: euphemistische Parolen beeinflussen das Denken. Schon der Wunsch zum Widerstand ist ein Gedankenverbrechen.
„Es gab kein Entrinnen. Nichts gehörte einem, bis auf die paar Kubikzentimeter im eigenen Schädel.“
Doch Schlafanzug, Isolationshaft, Dauerverhöre, physische und psychische Folter können auch dieses Innerste nehmen.
„Neusprech“, „Doppeldenk“, die Veränderbarkeit der Vergangenheit sind nicht unbedingt Erfindungen Orwells, rhetorisch bestens geschulte Demagogen, die neue Wahrheiten schaffen, gab es und wird es immer geben. Heute hören wir Begriffe wie „alternative facts“ und „fake news“. Die neuen Medien, sozialen Netzwerke und das Leben in der Blase bieten dafür eine hervorragende Spielwiese.
1984 war die erste Dystopie, die ich vor Jahrzehnten, noch zu Schulzeiten gelesen habe, und sie hat bis heute nichts an ihrem Schrecken und ihrer Aktualität verloren. George Orwell hat dieses Werk schon Ende der 1940er Jahre geschrieben und schon damals wie heute bleibt 1984 ein eindringliches Gleichnis und Mahnmal gegen Diktatur und Überwachung.
Thriller oder nicht?
Tom ist ein junger Familienvater und recht erfolgreich in seinem Beruf als Übersetzer. Nach einem Streit mit seiner Frau macht sich Tom eines Morgens zu spät auf den Weg zu einem Auftrag - und gerät in einen Autounfall. Dann wird alles schwarz um ihn. Als er wieder zu sich kommt, befindet er sich im Krankenhaus. Und kann sich nicht mehr bewegen - kein einziger Muskel seines Körpers gehorcht ihm noch. Locked-In-Syndrom, so lautet die Diagnose - eingeschlossen im eigenen Körper. Obschon Tom bei Bewusstsein ist und versucht sich bemerkbar zu machen, erkennt die Umwelt zunächst nichts davon. Toms Verzweiflung wächst stündlich...
Endlich wird deutlich, dass Tom auf bestimmte Reize reagiert. Er lässt sich auf eine riskante Hirnoperation ein, weil es danach möglich sein könnte, dass er über computergesteuerte Signale einen Teil seiner Muskelfunktionen zurück erhält. Mühsame Therapien und kleinste Fortschritte folgen - eine zermürbende Zeit für Tom. Seine Familie sieht er nur am Wochenende, und die Zweifel wachsen, ob seine Ehe unter diesen Voraussetzungen noch eine Zukunft hat. An manchen Tagen fällt es Tom schwer, nicht zu verzweifeln.
Doch hat er plötzlich noch ein ganz anderes Problem. Er hört unvermittelt Töne in seinem Kopf, später auch noch eine Stimme. Verliert er jetzt zu alledem auch noch den Verstand?! Als diese Stimme ihm mitteilt, dass sie aus der Zukunft zu ihm spricht, hofft Tom, dass niemand merkt, dass er am Abgrund des Wahnsinns steht. Doch die Versprechungen der Stimme sind enorm verlockend. Sollte es tatsächlich möglich sein, dass Tom, so wie die Stimme es ihm zusichert, in einer anderen Zeit in einem Klon seines Körpers ein anderes Leben führen kann - ein Leben ohne Behinderung? Er lässt sich auf das Wagnis ein - und überschreitet damit mehr als eine Grenze...
"Ein Wissenschaftsthriller, der die heutigen Möglichkeiten der Technik und der Medizin konsequent weiterdenkt" - so verspricht es der Klappentext.
Tatsächlich bietet dieser Roman ein interessantes Gedankenexperiment, wobei das Locked-in-Syndrom eine zentrale Rolle spielt. Eine akribische Recherchearbeit des Autors ist hier erkennbar, was dieses Syndrom anbelangt, und Martin H. Wilhelm, selbst Mediziner, führt schlüssig und eindringlich vor Augen, was solch ein Zustand für den Betroffenen bedeutet - und für seine Angehörigen. Die Verzweiflung, das Hoffen, die Ungeduld, das Gefühl der Aussichtslosigkeit, der Abschied von Lebensplänen... All dies wird für den Leser nahezu spürbar.
Die Ausblicke in die Möglichkeiten von Technik und Medizin sind gleichzeitig spannend und gruselig - weil nicht ganz unvorstellbar. Wer weiß schon, welche Fortschritte in absehbarer Zeit möglich sind? Den Sprung in die Zukunft sehe ich hierbei nur als Mittel zum Zweck, um diese etwaigen Möglichkeiten auszuleuchten - wirkliche Science Fiction stelle ich mir anders vor. Interessant und wichtig finde ich hier, dass der Autor mit seinem Protagonisten diese Fortschritte durchaus auch hinterfragt. Ein Weiterleben in Klonen würde Unsterblichkeit bedeuten. Für wen? Und zu welchem Preis? Und welche Unruhen würden entstehen, wenn man diese Möglichkeit nicht allen Menschen zugänglich macht? Philosophische Anklänge, die im Roman nicht dominieren, aber doch nachdenklich machen. Wieder einmal die Frage: darf alles sein was möglich scheint?
Genau diese benannten Fragestellungen stecken letztlich auch hinter dem Thrilleranteil, der sich für mein Empfinden jedoch lediglich auf das letzte Viertel des Romans beschränkt, was für mich nicht ausreicht, um von einem wirklichen Spannungsbogen oder von einer durchgehenden Spannung im Roman zu sprechen. Der Begriff 'Wissenschafts-Thriller' scheint für mich insofern falsch gewählt.
Der Spannungsteil war in meinen Augen noch dazu recht unspektakulär und konnte mich leider nicht überzeugen. Während sich der Autor in den vorhergehenden Abschnitten Zeit bei der Erzählung ließ, um die Problematiken und Fragestellungen ausreichend auszuleuchten, überstürzten sich im letzten Teil die Ereignisse, und insgesamt wirkte die Handlung für mich zu bemüht konstruiert und teilweise für auch nicht nachvollziebar. Der Roman musste irgendwie zu einem Ende geführt werden. Für mich letztlich ernüchternd - und ein wenig fühlte ich mich da einfach im Regen stehen gelassen...
Da ich aber abgesehen von der Frage 'Thriller oder nicht' den Roman mit großem Interesse gelesen habe, würde ich hier gerne 3,5 Sterne vergeben, die ich nun auf 4 Sterne aufrunde, denn Martin H. Wilhelm präsentiert dem Leser letztlich etwas, über das es sich nachzudenken lohnt.
© Parden
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