Lasst uns offen reden!

Buchseite und Rezensionen zu 'Lasst uns offen reden!' von Constantin Schreiber
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Lasst uns offen reden!"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:116
EAN:
read more

Rezensionen zu "Lasst uns offen reden!"

  1. Demokratie – unverzichtbar.

    Kurzmeinung: Sollte jeder lesen, der sich schon einmal über die Meinung eines anderen heftig aufgeregt hat!

    In diesem kurzen, leicht verständlichen Essay spricht Constantin Schreiber Sachverhalte an, die eigentlich selbstverständlich sind, die wir, als Demokratie, als zusammenlebende Gemeinschaft aber zu verlieren drohen. Und was ist das? Dass wir es nicht mehr aushalten, unterschiedliche Meinungen zu aktuellen und manchmal sogar brennenden Problembereichen zu haben. „Menschen sind zunehmend unfähig, Gespräche zu führen und Meinungen, die nicht der eigenen entsprechen, auszuhalten und zu tolerieren.“
    Die einen wollen diejenigen vom öffentlichen Diskurs ausschließen, die sich durch die „falsche“ Meinung disqualifiziert hätten – was nichts anders als eine diktatorische Bestimmung darüber ist, was richtig und was falsch sei sowie die Bestimmungs-Hoheit über den öffentlichen Raum beansprucht – und die anderen werden diffamierend und gewalttätig. Statt mehr Demokratie entsteht mehr Radikalismus, statt Kompromiss- und Gesprächsbereitschaft, Verhärtung, Verbitterung, Hass. Das muss aufhören!
    Es ist schwierig, wenn die eine Seite sich als so sensibel erweist, dass sie jede Kritik als Beleidigung versteht und bei abweichenden Meinungen mit diffamierenden Zuschreibungen nicht spart – islamophob, linksalternativ, rechts, etc. etc. - und die andere Seite so auftritt, als ob durch politisch abweichende Haltungen gleich ihr Leben bedroht würde und sie deshalb mit physischer Gewalt zurückschlagen müssten. Ein adäquater Dialog ist verloren gegangen – oder ist dabei, verloren zu gehen. Gut, seien wir ehrlich, das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Holen wir es wieder heraus, seien wir höflich zueinander! Höflichkeit ist irgendwie nicht in.
    Die Rolle des einzelnen, verschiedener Gruppierungen sowie die Rolle und Verantwortung der Medien, alles kommt zur Sprache. Das Integrationsparadox habe ich so verstanden: auf dem Weg zu einer offenen, liberaleren Gesellschaft werden sowohl die rechten wie die linken Ränder radikal. Und Radikalität können wir überhaupt nicht brauchen! Eine ausgewogene Berichterstattung, miteinander Reden und eine gewisse Resilienz (= das Aushalten anderer ohne sie zu verunglimpfen) sind Grundlagen der Demokratie. Selbst eine unvollkommene Demokratie ist besser als jede Diktatur, Autokratie und Totalitarismus.

    Fazit: Lesen. Geht schnell. Um die 100 Seiten. Auch gut zum Verschenken geeignet.

    Kategorie: Sachbuch. Öffentlicher Diskurs.
    Verlag: Hoffmann & Campe, 2024

 

Erste Hilfe für Demokratie-Retter

Buchseite und Rezensionen zu 'Erste Hilfe für Demokratie-Retter' von  Jürgen Wiebicke
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Erste Hilfe für Demokratie-Retter"

Format:Broschiert
Seiten:112
EAN:9783462007695
read more

Rezensionen zu "Erste Hilfe für Demokratie-Retter"

  1. Das „aristokratische“ Moment

    Kurzmeinung: Ein kleines Büchlein gegen Politikverdrossenheit. Sehr ermutigend!

    Jürgen Wiebicke macht sich Sorgen. So wie wir alle, die wir die Demokratie als Rechtsstaat lieben und nicht nur als utopische Idee. Der Rechtsruck, der durch ganz Europa geht, der Schrei nach Autokratie ist immer dann am lautesten, wenn es Probleme gibt und keine schnellen Lösungen in Sicht sind. Sei trotzdem optimistisch, bittet Wiebicke.
    Ja, sagt Wiebicke, und wir nicken, denn wir wissen es, Demokratie ist langsam und kennt selten Schnellschüsse. Denn Demokratie ist das Aushandeln des besten Weges für möglichst viele. Demokratie ist anstrengend, denn sie verlangt es, einander auszuhalten und damit auch das Aushalten völlig anderer Meinungen und Ansichten. Aber wenn ich das öffentliche Vertreten fremder Meinungen unterbinde, dann unterbinde ich damit auch meine eigene Freiheit, denn morgen schon kann es sein, dass meine Meinung zu derjenigen zählt, die unbeliebt und unbequem ist. Demokratie ist meine Freiheit, ja, und gleichzeitig die Freiheit des anderen. Das vergessen heute viele, wenn sie in bestimmten Bereichen Leute mundtot machen wollen, Menschen, gewaltsam davon abhalten, Vorträge zu halten, etc. etc. Um die Freiheit eines anderen zu beschneiden, braucht es Fakten, nämlich Gesetzesverletzungen, Verletzt sein allein ist kein politisches Argument. Und wenn wir Menschen für ein Amt danach auswählen, ob sie nett sind, sympathisch wirken und zu unserer Blase gehören, anstatt danach, was auf ihrem Zettel steht, und in diesem Fall ist der Zettel das Parteiprogramm, dann ist die Demokratie schon fast am Ende.
    Das ist das eine. Demokratie erfordert Engagement und Mut und Resilienz. Ist eigentlich selbstverständlich. Einige wenige entschlossene Leute können ein Blatt wenden, nicht d a s Blatt, aber ein Blatt und Wiebke führt Beispiele dafür auf. Er nennt es, das „aristokratische Prinzip“. Letztlich hat Veränderung immer schon vor allem an einzelnen gelegen, die vorangehen. Die eine Idee haben, dafür brennen und andere dafür begeistern. Das war nie anders. Die Masse per se ist träge.
    Politikverdrossenheit und lauthalses Schimpfen auf die Menschen, die Politik machen, führt in die falsche Richtung. Wir leben, demokratisch gesehen, in den besten Zeiten ever. Natürlich läuft nicht alles rund. Man kann immer alles besser machen. Es hilft aber nichts, gleich alles niederzumachen und Demokratiepessimismus zu verbreiten. Wollen wir in Ungarn leben, in Russland, in China, in Nordkorea? Lebt es sich in einer Diktatur besser?
    Politikverdrossenheit plus die Sehnsucht nach einfachen überschaubaren Lösungen, spielen den Rechten in die Hände, die alles versprechen und nichts halten. Und auch den extremen Linken, die in einer Utopie leben. Einfache, überschaubare und einfache Lösungen sind in einer komplex gewordenen globalen Welt eine Illusion.
    Allerdings, warnt Jürgen Wiebke davor, nicht alles in den selben Topf zu werfen. Rechtskonservativ ist nicht rechtsextrem. Weder eine liberale noch eine konservative Einstellung sind zu verteufeln. Es wird Zeit, dass wir wieder Respekt für den politischen Gegner zeigen. Politische Gegner sind keine Feinde, sonden nur Menschen, die eine andere Einstellung haben. Mit einem politischen Gegner misst man sich auf einem bestimmten politischen Feld, das heißt, es geht um die Sache, das ist alles. Feindschaft ist persönlich. Und hat in der Politik und in der Gesellschaft nichts zu suchen.
    Jürgen Wiebicke schrieb 2017 ein ähnliches Büchlein: "Zehn Regeln für Demokratie-Retter" - inzwischen hat er die eine oder andere Meinung u.a. wegen des Erfolgs der AfD revidieren müssen.

    Fazit: Letztendlich muss man sich politisch und weltanschaulich auseinandersetzen, den Diskurs nicht aus Faulheit oder Wut verweigern und den Kopf aus dem Sand heben.

    Kategorie. Sachbuch. Politik
    Kiepenheuer & Witsch, 2024

 

Ungleich vereint

Buchseite und Rezensionen zu 'Ungleich vereint' von Steffen Mau
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Ungleich vereint"

Autor:
Format:Broschiert
Seiten:168
EAN:9783518029893
read more

Rezensionen zu "Ungleich vereint"

  1. Ost und West - eine Bestandsaufnahme

    Mein Hör-Eindruck:

    Steffen Mau legt mit diesem Hörbuch einen Essay vor, der sich mit einem Thema befasst, das alle angeht: Wie sieht 35 Jahre nach dem Mauerfall das Verhältnis Ost-West aus? Ist es tatsächlich so, dass der Westen die Norm ist und der Osten eine Abweichung von der Norm, mit gewissen Anpassungsschwierigkeiten? Dass also der Westen den Osten erfindet?

    Diese These vertritt Dirk Oschmann, und Mau möchte den Diskurs neu ordnen und stellt plakativ seine eigene These vor: Der Osten wird nicht vom Westen erfunden, sondern die Bundesländer der ehemaligen DDR haben tatsächlich ihre eigenen Strukturen – soziokulturell, politisch, demografisch und wirtschaftlich. Um das Fazit vorwegzunehmen: die meisten Spannungen, die sich in den Ost-Bundesländern beobachten lassen, stammen aus der DDR-Zeit und konnten aus verschiedenen Gründen bei der Transformation nicht gelöst werden.

    Mau beobachtet das Thema in einem sauber strukturierten Essay, und die Komplexität des Themas zeigt sich an den wiederholten Querverweisen. Seine Ausführungen sind auch für den soziologischen Laien immer verständlich.

    Eine Vielzahl von Faktoren prägt, so Mau, die ostdeutsche Identität. Als westdeutscher Leser lernt man, dass man mit schnellen Urteilen und Schuldzuschreibungen den Problemen nicht gerecht wird. Wieder einmal zeigt es sich: die Vergangenheit bestimmt die Gegenwart, und die Geschichtsvergessenheit unserer Tage führt zu verhärteten Verwerfungen.

    Besonders genau schaut Mau beim Demokratieverständnis hin. Die DDR wurde geschluckt, die westlichen Institutionen wurden einfach transferiert, ostdeutsche Impulse zur Neugestaltung wurden nicht beachtet – und damit wurden die Menschen ein zweites Mal entmündigt und nicht demokratisch aktiviert. In diese Lücke schiebt sich nach Maus Auffassung die AfD hinein; an diesem Punkt holt Mau zu einem Exkurs aus nicht nur über die Gefahr des schleichend wachsenden Rechtspopulismus, sondern auch über die aktuellen Wahlen. Dieser Blick auf die Tagespolitik führt einerseits vom Thema fort, aber andererseits ist es Mau ein Anliegen, die konkreten Auswirkungen seiner Thesen zur Diskussion zu stellen.

    Mau bleibt aber nicht bei der Diagnose stehen, sondern bietet auch eine Therapie. Er erinnert daran, dass der ostdeutsche Wunsch nach einer direkten Demokratie mit plebiszitären Elementen, wie er sich in den Straßendemonstrationen gezeigt hatte, bei der Transformation nicht berücksichtigt wurde. Daher schlägt er neue Möglichkeiten der politischen Partizipation vor: die Bürgerräte. In solchen Bürgerräten sieht er die Möglichkeit, die Bevölkerung an der politischen Willensbildung teilhaben zu lassen und damit den Populismus rechtsextremer Parteien einzudämmen. Eine faszinierende Idee, die in Pilotprojekten umgesetzt werden sollte!

    Fazit: Eine differenzierte Bestandsaufnahme, augenöffnend, anregend und wohltuend sachlich!

 

Sohn der Hamas: Mein Leben als Terrorist

Buchseite und Rezensionen zu 'Sohn der Hamas: Mein Leben als Terrorist' von Mosab Hassan Yousef

Inhaltsangabe zu "Sohn der Hamas: Mein Leben als Terrorist"

Format:Taschenbuch
Seiten:304
Verlag: SCM Hänssler
EAN:9783775162319
read more
 

Über Tyrannei

Buchseite und Rezensionen zu 'Über Tyrannei' von Timothy Snyder

Inhaltsangabe zu "Über Tyrannei"

Format:Taschenbuch
Seiten:127
Verlag: C.H.Beck
EAN:9783406803642
read more
 

»Ich habe kein ›Klassenbewusstsein‹ – nur Menschenbewusstsein«

Buchseite und Rezensionen zu '»Ich habe kein ›Klassenbewusstsein‹ – nur Menschenbewusstsein«' von Gerhard Hochhuth

Inhaltsangabe zu "»Ich habe kein ›Klassenbewusstsein‹ – nur Menschenbewusstsein«"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:395
EAN:9783867324366
read more
 

Hundert Jahre Revolution

Buchseite und Rezensionen zu 'Hundert Jahre Revolution' von Orlando Figes

Inhaltsangabe zu "Hundert Jahre Revolution"

Format:Taschenbuch
Seiten:384
EAN:9783423349154
read more
 

Palestine in Israeli School Books

Buchseite und Rezensionen zu 'Palestine in Israeli School Books' von Nurit Peled-Elhanan

Inhaltsangabe zu "Palestine in Israeli School Books"

Format:Taschenbuch
Seiten:280
Verlag: I.B. Tauris
EAN:9781780765051
read more
 

Der Osten

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Osten' von Prof. Dr. Dirk Oschmann
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Osten"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
EAN:9783550202346
read more

Rezensionen zu "Der Osten"

  1. Absolute Leseempfehlung!

    Klappentext:

    „»Der Osten hat keine Zukunft, solange er nur als Herkunft begriffen wird.«

    Was bedeutet es, eine Ost-Identität auferlegt zu bekommen? Eine Identität, die für die wachsende gesellschaftliche Spaltung verantwortlich gemacht wird? Der Attribute wie Populismus, mangelndes Demokratieverständnis, Rassismus, Verschwörungsmythen und Armut zugeschrieben werden? Dirk Oschmann zeigt in seinem augenöffnenden Buch, dass der Westen sich über dreißig Jahre nach dem Mauerfall noch immer als Norm definiert und den Osten als Abweichung. Unsere Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft werden von westdeutschen Perspektiven dominiert. Pointiert durchleuchtet Oschmann, wie dieses Othering unserer Gesellschaft schadet, und initiiert damit eine überfällige Debatte.“

    Selbst nach über 30 Jahren Mauerfall sprechen wir immer noch von Ost und West. Der Ostdeutsche wird gern in gewisse Schubladen gepackt und ja, einige Ostdeutsche sehen sich auch gern darin. Autor Dirk Oschmann ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Uni Leipzig und hat eben dieses Buch verfasst. Der Titel ist recht eindringlich und als Frau, die eben im Osten geboren und aufgewachsen ist, empfand ich diese als unglaublich spannend. Nach beenden des Buches steht für mich definitiv fest: dieses Buch muss gelesen werden und es wird absolut den Weitblick dafür schärfen endlich aus diesem Schubladen-Denken zu entkommen. Oschmann zeigt auf, dass der Westen ebenfalls ein gewisses Klischeedenken mit sich trägt und dies gern mit dem Osten vergleicht. Fest steht, dass unsere Generation sowie die Nachkriegsgeneration zu einer Zeit groß geworden ist, als das Land von einem Weltkrieg wieder aufgebaut werden musste und kurze Zeit später sogar geteilt wurde. Wir waren alle gespalten damals und die Suche nach Heimat, nach Hier-gehöre-ich-hin fehlte bei allen! Wenn man so will wurde nicht nur die politischen Grenzen in Deutschland so neu definiert sondern auch der dort lebende Mensch. Ost und West war nun Realität und diese hielt 40 Jahre lang an. Genau dies bekommt man nicht so ohne weiteres aus den Köpfen der Menschen. Egal ob Ost oder West - diese Situation hat etwas mit uns allen gemacht! Dirk Oschmann packt das alles genau an dieser Wurzel an und zeigt, wie der Osten zu dem wurde, was irgendwie heute wie ein Damocles-Schwert imaginär immer noch über ihm schwebt. Der Ossi wird gern verurteilt aber es muss doch die Ursprungshandlung bzw. das Denken dessen beleuchtet werden warum er so handelt! Autor Dirk Oschmann beleuchtet eindringlich aber er gibt dem Osten dadurch auch keinen Freifahrtschein. Als Ost-Frau empfand ich das alles mehr als gerecht und keineswegs diffamierend. Einerseits ist es nicht nur die Ost-West-Denke sondern auch die Denke zwischen Männern und Frauen. Ost-Männer denken oftmals anders als deren Frauen und sehen das Vergangene auch anders. Im Westen sieht das nicht anders aus. Oschmanns Schreibstil ist eindringlich ja, aber auch oft schwer zu verstehen, da sein Ausdruck sowie seine Wortwahl doch recht wissenschaftlich sind. Nichtsdestotrotz ist bei langsamen Lesen oder Wiederholungen der Sinn schnell erkannt bzw. verstanden. Das trübte etwas den Lesefluss aber tat keinen Abbruch an der Qualität des Textes. Der Autor versucht sich als neutrale aber auch mahnende Stimme und es gelingt ihm von der ersten bis zur letzten Seite sehr gut.

    Fazit: Dieses Buch gibt genügend Denkanstöße und hallt unheimlich nach, diese Ost-West-Denke gründlich zu überdenken. Als Ost-Frau kann ich dieses Buch klar empfehlen und sagen: Wir sind ein Volk! 4 sehr gute Sterne dafür

  1. Längst überfällige Betrachtung der Wiedervereinigung...

    Dieses Buch hat eher zufällig den Weg zu mir gefunden, lag es schlichtweg in der örtlichen Bücherei aus und hat mein Interesse geweckt.

    Ich zähle sonst eher nicht zu den extrem politisch Interessierten, allerdings wenn es um Chancengleichheit, Fairness und ähnliches geht, dann bin ich an vorderster Fronst dabei. Dies jedoch meist im Kontext zu Feminismus und Rassismus. Mit meiner Ostidentität habe ich mich bisher als Jahrgang 1985 nicht beschäftigt, jedoch habe ich mich schon sehr oft gefragt warum meine westdeutschen Kollegen so viel selbstbewusster, redegewandter und ähnliches sind, obwohl sie keinen besseren Bildungsgrad haben. Erst durch dieses Buch wurde mir klar, dass es nicht nur an meiner ostdeutschen Erziehung liegt.

    Ich kann nicht gerade behaupten als ostdeutsche Frau benachteiligt zu sein, als Frau ja, aber nicht aufgrund meiner Herkunft. Natürlich wird man mitunter für den eigenen Dialekt belächelt und einmalig hatte ich eine diskriminierende Erfahrung während meiner Ausbildung in Niedersachsen, aber das hatte irgendwie etwas Normales und ich habe es nie in Frage gestellt, genauso wie ich lange nicht die Wiedervereinigung in Frage gestellt habe. Warum auch? Zählte meine Familie ganz und gar nicht zu den Wendeverlierern, genießt das Reisen und andere Goodies, die der Anschluss an die BRD gebracht haben und dennoch ist da so ein kleines Grummeln im Bauch, was ich nie benennen konnte.

    Prof. Dr. Dirk Oschmann findet wahre Worte zu dem was die letzten 30 Jahre passiert ist und wie die Zurückhaltung und Bescheidenheit des Ostdeutschen nicht als etwas Positives gewertet wird, sondern als Makel, denn mit Durchsetzungsstärke hat dies nichts zu tun, wenn man nicht immer an erster Stelle ist und sich nimmt was man glaubt, dass einem zusteht. Dann gilt man schnell als schwach und obendrein dumm dazu. Und wie soll man mithalten können, wenn die finanzielle Situation für viele sehr unterschiedlich ist. Natürlich studiert es sich leichter und man entscheidet sich für einen Master, wenn die Eltern das alles finanzieren können anstatt dass man 3 Jobs neben dem Studium wuppen muss. Bessere Leistungen durch mehr Fokus auf das Wesentliche, das liegt in der Natur der Sache.

    Textlich hat sich das Geschriebene nicht ganz so leicht lesen lassen, weil Oschmann natürlich in erster Linie Professor ist und seine betroffenen Bereiche schildert und dennoch kann man dies gut auf sein eigenes Leben projizieren.

    Erst mit den Jahren und durch Lesen solcher Titel wird mir bewusst, dass im Alltag und in den Medien die Präsens ostdeutschen Denkens nicht auftaucht und einfach keine Rolle spielt. Und wird doch mal etwas erwähnt, so ist dies immer negativ. In meinem Umfeld habe ich zwar nahezu ausschließlich ostdeutsche Freunde, aber davon ist niemand fremdenfeindlich, dumm oder lebt an der Gesellschaft vorbei, so dass Aussprüche "Ossis sind alles Nazis und AFD Wähler" einfach traurig machen.

    Und trotz aller Diffamierung ist bei mir in manchen Bereichen die Faszination für das Ostdeutsche enorm, obwohl ich mich immer als Deutsche, nie als Ossi bezeichnen würde. Wenn ich in Berlin unterwegs bin und noch Reste sozialistischer Kunst sehe wie am "Haus des Lehrers" oder so, dann macht das etwas mit mir. Oder wenn ich alte Ostrezepte wiederverwende, auch dann spüre ich manches Mal mehr als bei weiten Reisen, nämlich eine gewisse Identität und auch Stolz, egal wie groß die Häme andernorts ist.

    Komplett unbekannt war mir jedoch, dass vor allem der ostdeutsche Mann teils mit enormen Problemen zu kämpfen hat, da er mitunter im Vergleich abgewertet wird. Das war mir nie bewusst und dennoch hätte es das sein können, schließlich sind alle wichtigen, bedeutenden Posten in der Firma, in der ich arbeite, nicht nur durch Männer besetzt, sondern durch westdeutsche Männer mit all ihrem Denken und ihren Erfahrungen.

    Fazit: Offen, schonungslos, das musste mal raus. Darf jeder mal als Denkanstoß lesen. Gelungen.

 

Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?

Buchseite und Rezensionen zu 'Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?' von Sineb El Masrar
3
3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?"

Format:Broschiert
Seiten:160
Verlag: Verlag Herder
EAN:9783451072321
read more

Rezensionen zu "Sind wir nicht alle ein bisschen Alman?"

  1. Mit Humor geht alles besser - auch Integration/Partizipation

    Kurzmeinung: Comedy ist es nicht gerade.

    Dieser Text ist ein bisschen was von allem. Ein bisschen Kolumnengequassel, ein bisschen Sprachwurzelsuche, ein bisschen Erfahrungsbericht, ein bisschen Pädagogik, erhobener Zeigefinger und ganz viel good will. Er hat humorvolle Anwandlungen, aber Comedy ist er nicht. Der Beitrag ist insofern dennoch zu begrüßen als er die Gehässigkeit und den Kampf aus der Integrations/Antirassimusdebatte zu nehmen versucht. Und mit Humor geht bekanntlich alles besser.
    Deutsch ist also das Kennen und wenn möglich Schätzen der Sonntagsklassiker Tatort und des ZDF-Langweilers Traumschiff und Rosamunde Pilcher-Verfilmungen. Haha. Obwohl Pilcher ja ziemlich britisch ist. Klar, ist nicht so ernst gemeint von Al Masrar.

    Den Erkenntnis-Zugewinn, den mir „Sind wir nicht alle ein bisschen Alman“ vermittelt, ist, dass es für die nachrückenden Generationen von Migranten nicht mehr so einfach ist, sich gefühlsmäßig „zurück“ zu wünschen ins Heimatland ihrer Eltern/Großeltern. Und wenn doch, ist es entweder nostalgisch oder unehrlich bis unvernünftig. Denn sie sind, mögen sie meckern so viel sie wollen, längst angekommen und haben „dort“ zwar noch Würzelchen, sind aber längst eine Art Alman. Und Alman ist eben divers. In jeder Hinsicht. Manche sind so und manche sind so. Und „dort“ gelten sie längst als Fremdgewächse.
    Natürlich nimmt Sineb Al Masar in ihrem Text auch ein paar mehr oder weniger verrückte Verschwörungstheorien aufs Korn, solche wie die des heimlich angestrebten Bevölkerungsaustauschs und wendet sich auch ernsten Themen wie dem zunehmenden Antisemitismus sowie dem Israelbashing zu und kritisiert das Wahlverhalten der Menschen, die zwar in Deutschland leben, aber mit ihrem Wahlverhalten sich nachhaltig in das Leben dem Menschen z.B. in der Türkei einmischen, ohne dass sie selber von den Konsequenzen betroffen sind. Findet sie blöd. Ich auch.

    Manche früher vorherrschende deutsche Unsitten in Punkto Nichtgastfreundlichkeit mögen einem heute noch das Herz brechen, vor allem, wenn es sich gegen Kinder richtet. Aber diese Unsitten gehören der Vergangenheit an, auch „die Deutschen“ lernen dazu.
    Die Klassifizierung in „Identitäts-Almans“, „Pionier-Almans“, „Phobie-Almans“, „Nudisten-Almans“ und „Postdemokratie-Almans“ ist ein bisschen lustig.

    German-Angst und Kaffeeklatsch, Jogginghose, Pünktlichkeit, Vereinsmeierei, Ehrenamt und Modelleisenbahn und das geliebte Automobil, bescheiden oder protzig – für alles gibt es kurze Einlassungen. Warum auch nicht? Ist es vielleicht sogar das Auto, das uns alle miteinander verbindet? „Autovernarrte finden sich in allen Gruppen und sie sind so alman, wie Alman Autovernarrtheit symbolisieren kann. Es wird geschwärmt, gepflegt, aufgepimpt, gekauft und gefahren, was das Zeug hält. Während Hassan klischeehaft mit seinem tiefergelegten 3-er-BMW-Verbrennungsmotor durch die Stadt röhrt, rast Mareike mit dem SUV zum nächsten Freizeittermin ihrer Kinder.“ In diesem Zusammenhang finde ich die Seitenhiebe auf die Klimakleber erheiternd; aber ich halte es wie die (meisten) Chinesen und fahre Rad. Mir sind insofern Klimakleber wurscht. Ich male ein Plakat „Autobahnen zu Fahrradwegen“. Bitte, Last Generation, macht alle mit, dann werdet ihr mir sogar sympathisch. Aber fliegt nicht heimlich nach Bali. Weil das aus eurem Engagement pure Heuchelei macht.

    Fazit: „Sind wir nicht alle ein bisschen Alman“ ist kein tiefschürfendes Buch. Es macht auf lustig, ist es auch gelegentlich, aber nicht oft, schlägt häufig ernste Töne an. Es ist insofern wertvoll, indem man sich einmal mit Vorurteilen oder Nichtvorurteilen gegenüber dem Mitmenschen und deren Ursachen beschäftigen kann, ohne gleich ein Universitätsstudium zu durchlaufen, um dem Text folgen zu können. Ich fürchte nur, diejenigen, die die Lektüre dringend bräuchten, werden es nicht lesen. Humor hin, Humor her. Zu seiner Verteidigung kann man noch sagen: das Buch ist schön kurz.

    Kategorie: Sachbuch. Sort of.
    Verlag: Herder, 2023

 

Seiten