Das Buch des Totengräbers

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Rezensionen zu "Das Buch des Totengräbers"

  1. Ein Piefke in Wien

    Der ehemalige Untersuchungsrichter Leopolt von Herzfeldt hat kaum seine neue Stelle als Inspektor im Wiener Sicherheitsbüro angetreten, als er es mit einem mysteriösen Mordfall zu tun bekommt. Einem jungen Mädchen wurde die Kehle durchgeschnitten und brutal gepfählt. Mit seinen neumodischen Ermittlungsmethoden eckt er jedoch sofort bei seinen Kollegen an. Es bleibt nicht bei dem einen Mord und Leo erhält unerwartete Unterstützung von dem Experten in Todesursachen, dem Totengräber vom Zentralfriedhof Augustin Rothmayer. Zusammen machen sie sich auf Spurensuche und blicken bald in tiefste Abgründe.
    Oliver Pötsch nimmt uns mit auf eine Reise nach Wien ins 19. Jahrhundert. Mit seinem anschaulichen und fesselnden Schreibstil lässt er die glamourösen Gebäuden die lauschigen Gassen mit den gemütlichen Kaffeehäusern, aber auch das Milieu mit dunklen und gefährlichen Plätzen vor unseren Augen lebendig werden.
    Dank der akribischen Recherche des Autors wurden hier viele historische Geschichtsdaten, medizinischen Wissen und die damaligen Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei hervorragend in die Story eingearbeitet.
    Die Protagonisten wurden lebendig in Szene gesetzt. Besonders gefallen hat mir hier der Totengräber Augustin Rotenmeyer, ein müffelnder, komischer Kauz mit dem Herz am rechten Fleck.
    Ein süchtig machender Reihenauftakt für alle Liebhaber von historischen Krimis.

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  1. Leopold von Herzfeldt und der Totengräber ermitteln

    Cover:
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    Das Cover ist recht düster gehalten, aber mit der Kirche, dem Kreuz und von den Farben her passt es gut zu einem historischen Krimi und auch gut zum beschriebenen Inhalt. Es wirkt geheimnisvoll und hat mich sofort angesprochen.

    Inhalt:
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    Leopold von Herzfeldt kommt nach ein paar Jahren als aufstrebender Untersuchungsrichter in Graz nach Wien, um dort mit den neuen Methoden der Kriminalistik die Polizei bei ihrer Ermittlungsarbeit zu unterstützen. Kaum in Dienst, arbeitet er an dem Mord einer Dienstmagd mit, die gepfählt wurde und der leider noch weitere folgen werden. Mit seiner selbstbewussten Art wird er zudem als "Piefke" von den meisten Kollegen eher argwöhnisch beäugt und ihm die Ermittlungsarbeit erschwert. Doch die Polizeitelefonistin Julia Wolf sowie Totengräber Augustin Rothmayer helfen ihm unerwartet bei seinen Ermittlungen. Dabei geraten die drei nicht nur in die dunkelsten Abgründe Wiens, sondern auch in höchste Gefahr.

    Mein Eindruck:
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    Der Krimi ist von Beginn an spannend, aber auch gleichsam amüsant und lehrreich. Das liegt zum einen an den Mordfällen, zu denen sich im Laufe des Romans noch andere mysteriöse Ereignisse u. a. auf dem Friedhof gesellen und deren Puzzlestücke sich lange Zeit nicht zusammenfügen wollen. Der Leser tappt gleichermaßen wie Leo im Dunkeln und ermittelt an seiner Seite. Zwar hatte ich ein schlechtes Bauchgefühl den Täter betreffend, aber auf die finale Lösung wäre ich von alleine nie gekommen. Die letzten Teile fügen sich erst ganz am Ende in einem rasanten Showdown zusammen.
    Des Weiteren haben alle drei Protagonisten - Leo, Julia und Augustin - so ihre Geheimnisse aus der Vergangenheit, die sich erst im Laufe der Handlung offenbaren. Mir waren alle drei sympathisch und besonders bei Leo und Augustin ist es nicht gerade "Liebe auf den ersten Blick", sondern sie raufen sich nur sehr langsam als Ermittler zusammen und lernen die Qualitäten des jeweils anderen kennen und schätzen. Dies wirkte auf mich authentisch und die Dialoge der beiden haben mich des Öfteren zum Schmunzeln gebracht. Auch Leo und Julia nähern sich langsam einander an, was mir sehr gut gefiel. Beide sind für ihre Zeit sehr emanzipiert und brechen aus dem üblichen Klischee-Denken aus. Die Wissenschaft der Kriminalistik hat gerade erst begonnen und wie bei vielen anderen technischen Neuerungen der damaligen Zeit (z. B. Telefone, Fahrräder), wird auch dieser Veränderung im Allgemeinen skeptisch begegnet. Diese skeptische Stimmung wird im Roman immer wieder deutlich, ich konnte mir oft ein Schmunzeln nicht verkneifen. Generell gelingt es dem Autor sehr gut, den Flair der damaligen Zeit einzufangen, ich tauchte sogleich in diese Zeit ein. Besonders gefielen mir die Auszüge aus dem Totengräber-Almanach von Augustin Rothmayer in jedem Kapitel, die sich ähnlich lesen, wie Bücher von Gerichtsmedizinern oder auch von manchem Tatortreiniger. Ist nichts für empfindliche Gemüter, aber ich empfand es als lehrreich und gleichsam unterhaltsam.

    Fazit:
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    Spannend und lehrreicher Krimi mit skurril-sympathischem Ermittlertrio und Humor Toller Auftakt!

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  1. Ein Fall für Leopold von Herzfeldt

    Die Vorstellung, Totengräber zu sein, behagt mir selber so gar nicht. Da ist Augustin Rothmayer ganz anders. Seine Familie betreibt diesen Beruf schon seit einigen Generationen. Sie haben schon einige Verstorbene unter die Erde gebracht. Augustin Rothmayer lebt und arbeitet auf dem Wiener Zentralfriedhof im Jahre 1898. Abends, nach getaner Arbeit sitzt der alte Mann, mit seinem Kater Luzifer, in seiner warmen Stube und schreibt an einem Almanach der Toten. Seltsame Dinge gehen nach dem Tod mit den Menschen vor sich. So sorgen Krankheiten dafür, dass die Leichen nicht verwesen oder eine Pilzart, die in den Katakomben vorkommt, sorgt dafür, dass es so aussieht, als wäre der Boden voller getrocknetem Blut. Gruselige Vorstellungen. Aber der hochintelligente und seltsame Rothmayer, nimmt das alles sehr gelassen.

    Auf diesem Zentralfriedhof zu Wien, wird nun ein Leichnam zu Grabe getragen. Aufmerksam nimmt der Verstorbene seine Beerdigung wahr. Als dann die Erde, nach der Grabrede auf den Sarg fällt, ist der Tote sich sicher, die Männer kommen nachher und graben ihn wieder aus…

    Leopold von Herzfeldt kommt gerade erst aus Graz nach Wien. Er hat noch nicht seine Koffer ausgepackt, da bekommt er mit, dass sein neuer Vorgesetzter sich auf dem Prater befindet. Dort wurde die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Herzfeldt schnappt sich seinen Koffer mit den modernen Untersuchungsmethoden und findet sich an dem Tatort ein. Mit seiner piefigen Art und seinem Hochdeutsch, eckt er sofort bei seinem Vorgesetzten an. Aber die Untersuchungsmethoden sind interessant und obendrein hat er auch noch einen Fotoapparat dabei. Freunde macht er sich so nicht gerade.

    Die junge Frau bleibt nicht das einzige Opfer. Der Mörder sucht sich Dienstmädchen aus, schneidet ihnen die Kehle durch und pfählt sie mit einem Pflock aus Weißdorn. Herzfeldt wird allerdings auf den „uninteressanten“ Fall Bernhard Strauss angesetzt. Dabei trifft er auf den Totengräber und die Beiden erweisen sich als ein gutes Team. Leopold Herzfeldt versucht beide Morde aufzuklären…

    Der Roman „Das Buch des Totengräbers“
    Spannend! Wie es in einem guten Krimi Pflicht ist, kommt man immer wieder auf eine falsche Fährte. Dachte man noch eben, man hat den Fall aufgelöst, taucht ein neues Thema auf und alles andere war nur ein Bruchteil von dem eigentlichen Fall.

    Mit dem wiener Polizisten Herzfeldt wird man recht schnell warm und findet ihn sympathisch. Und der schrullige Totengräber ist einfach jede Seite wert. Augustin Rothmayer schreibt an dem Almanach und vor jedem neuen Kapitel bekommt man eine Kostprobe aus seinem Buch des Totengräber vorgelesen. Das Kauen und Schmatzen blieb mir dabei besonders in den Ohren hängen.

    Oliver Pötzsch hat schon viele historische Romane geschrieben. Sein Serie über die „Henkerstochter“ ist in 20 Sprachen übersetzt worden. Außerdem war er jahrelang Filmautor beim Bayerischen Rundfunk. Sein Roman „Das Buch des Totengräbers“ ist ihm auch wieder sehr gelungen.

    Hans Jürgen Stockerl liest
    Das Buch wird von Hans Jürgen Stockerl gesprochen, beziehungsweise vorgelesen. Er hat Schauspiel studiert und schon so manches Buch als Hörbuch gesprochen. Ich fand es einfach nur wunderbar, wie er den Wiener Dialekt den verschiedenen Figuren in den Mund gelegt hat. Dazu die etwas arrogante Sprache des Grazers, Leopold von Herzfeldt und die Worte des Totengräbers. Man merkt, dass der Sprecher auch schon so manches Hörspiel im Radio interpretiert hat. Seine Lesung ist einfach ein Genuss. Ich freue mich schon auf einen neuen Fall und hoffe, auch den von Jürgen Stockerl vorgelesen zu bekommen

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  1. spannend und atmosphärisch

    Leopold von Herzfeldt ist gerade zur Polizei nach Wien versetzt worden, als eine Frau mit durchschnittener Kehle aufgefunden wird. Am Tatort wendet er all das an, was er in seiner Zeit als Untersuchungsrichter in Graz gelernt hat und macht sich so bei den neuen Kollegen erstmal gleich unbeliebt. Daraufhin wird er auf einen weniger spektakulären Fall angesetzt, um erst einmal ruhig gestellt zu werden. Doch auch hier ergeben sich Ungereimtheiten und Leopold schafft es sich weiter unbeliebt zu machen.

    Oliver Pötzsch begibt sich mit seiner neuen Reihe ins Wien am Ende des 19. Jahrhunderts. Leopold von Herzfeld ist nicht der einzige Hauptcharakter, so lernen wir auch noch Augustin Rothmayer kennen, einen Totengräber auf dem Zentralfriedhof, der an einem Almanach für Totengräber schreibt. Und Julia Wolff, eine Telefonistin aus dem Polizeipräsidium, die so manches Geheimnis hat.

    Der Kriminalfall ist sehr verzwickt und es bleibt bis zur spektakulären Auflösung unklar, wie denn nun die einzelnen Todesfälle miteinander zusammenhängen. Pötzsch schafft es während der Ermittlungen eine unheimlich dichte Atmosphäre aufzubauen, die mich ein wenig an Babylon Berlin erinnert hat. Leopold steht mit seinen Ermittlungsansätzen ziemlich allein da und erhält von seinen Kollegen nur wenig Unterstützung. Dass er Jude ist, macht ihn bei einigen Kollegen noch unbeliebter, war doch der Hass auf Juden damals doch sehr präsent in der Wiener Gesellschaft. So bleibt ihm nur die Unterstützung von Julia und Augustin, der aber eigentlich nur seine Ruhe haben will.

    Das Buch besticht durch den Wiener Dialekt, der sehr geschickt eingesetzt wird und den ich beim Lesen direkt hören konnte. Das macht das Buch noch authentischer und ich fand den Einsatz auch genau richtig dosiert.

    Die Kapitel sind mit Auszügen von Rothmayers Almanach überschrieben, die einen Einblick in die Arbeit des Totengräbers bringen und in den Aberglauben, der damals noch bezüglich der Toten und vermeintlich Untoten herrschte.

    Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen, ich fand es durchgehend spannend und ich habe mit Leopold mitgefiebert und gelitten. Ich hoffe sehr, dass es um das Trio Leopold, Julia und Augustin noch weitere Fälle geben wird, ich würde gerne wissen, wie es mit den dreien weitergeht. Von daher kann ich das Buch nur empfehlen.

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  1. 4
    16. Jul 2021 

    Aus Graz

    Im Jahr 1893 kommt der Polizeiinspektor Leo von Herzfeldt aus Graz nach Wien. Und mit ihm kommen neue Methoden, von denen allerdings kaum jemand etwas wissen will. Gleich wird Leo zu dem Auffindeort eines Mordopfers gefunden. Dummerweise fängt er den Kollegen gegenüber an, zu dozieren, was dazu führt, dass er wieder im Präsidium zu Arbeiten eingeteilt wird, welche niemand sonst verrichten will. Um von Herzfeldt aus dem Weg zu haben, wird ihm der Auftrag erteilt in einem offensichtlichen Selbstmord zu ermitteln. Am Zentralfriedhof lernt Leo den etwas knurrigen Totengräber kennen, der ihm zu unverhofften Einsichten verhilft.

    Dieser Kriminalroman ist so aufgebaut, dass sich der Beginn einer Reihe vermuten lässt. Das wird auch bei einem Blick auf die Verlagsseite bestätigt. Inspektor Leopold von Herzfeldt musste aus Graz verschwinden, weil er seine Eltern sehr enttäuscht hat. Deshalb kann er von dort keine große Hilfe erwarten. Deshalb findet er sich in Wien in eher bescheidenen Verhältnissen wieder und hat nicht viel Unterstützung unter den Kollegen. Nur die Telefonistin Julia ist dem Kontakt nicht abgeneigt, doch auch sie ist zurückhaltend. Doch besonders dem Totengräber gegenüber benimmt sich Leo zunächst eher abweisend, obwohl dieser sich als intelligenter Denker erweist, der so manchen Hinweis zu geben vermag.

    Der Autor ist mit seinen historischen Kriminalromanen bekannt. Und auch mit dem Beginn dieser neuen Reihe ist ihm ein toller Wurf gelungen. Er versteht es einfach, authentische Charaktere zu in einem ebenfalls authentischen Umfeld zu entwickeln. Man fühlt sich in die Zeit versetzt und hat das Gefühl, dass man wirklich einen Einblick in die Lebensweise bekommt. Dazu werden Kenntnisse von dem eher im Verborgenen wirkenden Berufsstand des Totengräbers vermittelt. Ja, der Tod gehört zum Leben. Das sollte man nicht vergessen. Wenn man es dann noch mit einen intelligent verwickelten Fall zu tun bekommt, vergrößert das die Freude am Lesen zusätzlich. Hier wird ein sympathisches Team in einem interessanten Setting vorgestellt, welches man sich unbedingt merken sollte.

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  1. Wenn der Tod zum Leben erweckt

    !ein Lesehighlight!

    Klappentext:
    „1893: Augustin Rothmayer ist Totengräber auf dem berühmten Wiener Zentralfriedhof. Ein schrulliger, jedoch hochgebildeter Kauz, der den ersten Almanach für Totengräber schreibt. Seine Ruhe wird jäh gestört, als er Besuch vom jungen Inspektor Leopold von Herzfeldt bekommt. Herzfeldt braucht einen Todes-Experten: Mehrere Dienstmädchen wurden ermordet – jede von ihnen brutal gepfählt. Der Totengräber hat schon Leichen in jeder Form gesehen, kennt alle Todesursachen und Verwesungsstufen. Er weiß, dass das Pfählen eine uralte Methode ist, um Untote unter der Erde zu halten. Geht in Wien ein abergläubischer Serientäter um? Der Inspektor und der Totengräber beginnen gemeinsam zu ermitteln und müssen feststellen, dass sich hinter den Pforten dieser glamourösen Weltstadt tiefe Abgründe auftun …“

    Geschichte und Krimi in einem? Genau das findet man hier und zwar so gut zusammen gesetzt, das man diesem Roman verfällt. Die Geschichte rund um Rothmayer und seine Arbeit auf dem Wiener Zentralfriedhof hat ein sprichwörtliches unheimliches Flair. Atmosphärisch, sehr gut getaktet und extrem gut verpackt hat hier Autor Oliver Pötzsch einen komplett runden und sinnigen Krimi verfasst. Mit einem sehr ausgeklügelten Spannungsbogen nimmt uns Pötzsch hier in die Welt der Untoten mit - denn wer gepfählt wurde, kann nicht ruhig unter der Erde weilen. Der Auftritt von Inspektor Leopold von Herzfeldt kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Rothmayer und er haben zwar nicht immer den gleichen Ton, aber dennoch verbindet sie ihr Drang der Aufklärung und aus den beiden wird ein festes Team - ob bewusst oder unbewusst, manchmal verbindet sogar der Tod. Oliver Pötzsch hat hier ein sehr feines Gespür bewiesen, den Ermittler von Herzfeldt in die Leserseelen der Menschen zu schleusen. Seine Wortwahl und sein Schreibfluss sind rund, bringen ein gewisses Flair und schaffen einfach einen Lesesog der besonderen Art!
    Ein wahrlich rundum gelungener Krimi mit authentischen Figuren, sehr gut erläuterten Fakten rund um den Tot, die Leichenstarre etc. (das muss schon erstmal verkraften beim lesen, aber besser hätte man sich in die noch lebende Leiche nicht hineinversetzen können!) und ein Spannungsbogen der extrem scharf gespannt wurde - so geht Krimi der Extra-Klasse!
    5 von 5 Sterne

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  1. ein gelungener Auftakt

    Inspektor Leo von Herzfeld wechselt aus dem kleinen Graz in die Großstadt Wien. Ob seiner neumodischen Ermittlungsmethoden, macht er sich in Wien nicht sonderlich beliebt, weder bei den Kollegen noch bei den Vorgesetzten. Ein Totengräber vom Wiener Zentralfriedhof entdeckt bei einer Leiche, es handelt sich um den toten Halbbruder des berühmten Komponisten Johann Strauss, Ungereimtheiten. Desweiteren wird die Stadt durch Morde an hübschen, jungen Dienstmädchen tyrannisiert. Haben die Fälle etwas miteinander zu tun? Kann sich Leo von Herzfeld in Wien etablieren oder muss er wieder zurück nach Graz und wieder kleine Brötchen backen?
    Wieder ein Buch in dem die Wiener Morbidität gut eingefangen wurde. Diesmal allerdings nicht durch einen Wiener, nein, nicht mal von einem Österreicher, sondern mit Oliver Pötzsch von einem Deutschen. Um es vorwegzunehmen, er hat es sehr gut gemacht.
    Oliver Pötsch ist durch seine historischen Bücher rund um die „Henkerstochter“ berühmt geworden. Seine bisherigen Bücher waren allesamt internationale Beststeller und wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt, deswegen hatte ich auch an dieses Buch große Erwartungen.
    Momentan sprießen die Krimis aus der Kaiserzeit aus dem Erdboden, scheinbar haben wir eine Sehnsucht nach der längst vergangen Zeit. Ich kann es gut verstehen. Ich selbst habe dieses Jahr schon einige Bücher aus dieser Zeit gelesen. Obwohl die Zeiten damals härter waren, waren sie vermutlich unbekümmerter, zumindest ist dies mein Eindruck.
    Natürlich wurde in diesem Krimi extrem viel Klischeehaftes verpackt, beginnend mit dem Zentralfriedhof, den etwas sonderbaren Totengräber, sowie die Wiener Mentalität, aber was soll ich sagen, es stört nicht. Ähnlich wie bei den Krimis von Alex Beer (die zeitlich etwas später stattfinden) fasziniert mich die Atmosphäre, die vom Autor geschaffen wurde. Man reist mehr oder weniger in das damalige düstere Wien, das auf der einen Seite mit unbeschreiblichen Reichtum glänzt, wo aber der Großteil der Bevölkerung in großer Armut lebt. Auch die neuesten Errungenschaften der Menschheit finden Platz in diesem Buch, wie zum Beispiel das Telefon, Fotoapparate sowie Autos. Ganz lustig zu lesen, wie die Bevölkerung mit den neuen Erfindungen umgegangen ist.
    Neben Leo von Herzfeld ist unbestitten der Totengräber August Rothmayer ein weiterer Star in diesem Buch. Zwar ein eigenartiger Kerl, aber auf seinem Gebiet ein Spezialist, eine Art Forensiker unter den Totengräber. In Ergänzung mit dem sympathischen, teilweise aber auch neben sich stehenden, Inspektor Leopold von Herzfeld bilden die beiden ein unbeschreibliches Ermittlerteam. Wenn auch zunächst ungewollt, arbeiten sie doch in weiterer Folge sehr gut zusammen. Als Leser kann man sich entscheiden, ob es eher ein Buch über den Inspektor oder ein Buch über den Totengräber ist. Aus meiner Sicht trifft beides zu.
    Dieses Buch war ein mehr als gelunger Auftakt zu einer hoffentlich herausragenden Krimireihe für alle Liebhaber der damaligen Zeit. Ich kann es kaum erwaten Teil 2 in Händen zu halten.

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  1. Der Tod geht um in Wien im Jahre 1893

    Der junge Inspektor Leopold von Herzfeldt kommt von Graz nach Wien zu seinem neuen Arbeitsplatz. Dort rasselt er schon vor Dienstbeginn mit seinen neuen Kollegen zusammen. Die Kriminalistik ist dort noch relativ unbekannt und Leopold eckt mit seinen Kenntnissen direkt negativ an. Sein neuer Vorgesetzter zieht ihn deshalb auch direkt vom Fall des Dienstmädchenmordes ab und betraut ihn mit einem Selbstmord. Er lernt dadurch Augustin Rothmayer kennen. Dieser ist Totengräber auf dem Wiener Zentralfriedhof und sehr belesen.
    Zusammen versuchen sie den Morden auf den Grund zu gehen. Hilfe bekommen sie noch von Julia, der Telefonistin im Kommissariat, die eines der toten Mädchen kannte. Wie verhält es sich mit dem Selbstmord? Hängt das alles zusammen?
    Auch wenn Leopold es sich nicht eingestehen will; er ist auf die Hilfe des Totengräbers angewiesen. Dieser hat mehr mit ihm gemeinsam als er anfangs dachte. Durch seine Kenntnisse über Tote kommen sie einem grausamen Geheimnis auf die Spur.
    Durch den fesselnden Schreibstil konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
    Immer wenn ich dachte; jetzt bin ich auf der richtigen Spur; wendete sich die Geschichte wieder.
    Wer keine Probleme mit ein paar gruseligen Details aus dem "Almanach für Totengräber" hat, wird hier mit einem spannenden Krimi belohnt.
    Freue mich auf eine Fortsetzung.

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  1. toller Krimi aus meiner Heimatstadt

    Tolles Cover - richtig passend für einen Krimi, und macht auch neugierig - das selbe gilt für den Titel.

    Wien - 1893.
    Der junge Inspektor Leopold von Herzfeldt ist frisch nach Wien gezogen, und beginnt die Ermittlungen in den Mordfällen mehrerer gepfählter Dienstmädchen. Schnell zieht er den Totengräber vom Wiener Zentralfriedhof als Experten hinzu.

    Der Schreibstil ist äußerst fesselnd, mit einem tollen Spannungsaufbau. Die Figuren sind sehr authentisch, und dank des lebendigen Schreibstils, wachsen sie auch schnell ans Herz.

    Eine Kombination aus Krimi und historischen Roman - das hat mir besonders gefallen, denn dadurch wurde das Buch äußerst interessant. Man erhält hier die Möglichkeit, ins historische Wien einzutauchen und erfährt auch viel über kriminalistische Methoden in der Vergangenheit.

    Meine Heimtatstadt ist Wien - und ich finde für jeden Wiener, der Krimis mag, ist das Buch eine Pflichtlektüre. Absolute Empfehlung von mir.

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  1. Gelungener Auftakt einer neuen Reihe

    Das Buch hat mich komplett in seinen Bann gezogen. Spannend von Anfang an, bin ich aufgrund des tollen und sehr anschaulichen Schreibstils in die Wiener Welt im Jahre 1893 eingetaucht. Der Wiener Dialekt der Figuren hat dazu beigetragen und die Geschichte noch authentischer wirken lassen.

    Der Kriminalfall ist gut konstruiert und spannend aufgebaut. Es gibt einige Aspekte, die ein Fragezeichen bei mir hinterließen, ich spekuliert habe und begierig war zu wissen, wie das zusammenhängt und wer hinter den grausamen Morden steckt. Ich hatte mal kurz einen kleinen Verdacht, den ich aber sofort wieder verworfen habe, mit dem ich aber richtig lag. Trotzdem sind die Ermittlungen in den Mordfällen nicht vorhersehbar. Spannend zu lesen sind auch die Anfänge der Kriminalistik, des Erstellen eines Täterprofils und die Wissenschaft des Spurenlesens am Tatort.

    Die Charaktere sind hervorragend ausgearbeitet, authentisch und größtenteils sympathisch. Der junge Inspektor Leopold von Herzfeld hat es bei der Wiener Polizei nicht gerade leicht, auch, weil er die Spuren am Tatort analysiert, was damals noch keine gängige Praxis war und er von seinen Kollegen kritisch beäugt oder belächelt wird. Hilfe bekommt er bei dem Totengräber Augustin Rothmayer, der ein wenig schrullig ist, aber sein Herz am rechten Fleck hat und vor allem einen tollen Humor. Ein nettes bzw. unappetitliches Extra sind die Auszüge aus seinem Almanach für Totengräber, an dem er schreibt und sein Wissen seiner Beobachtungen in seinem Beruf festhält.

    Fazit:
    Ich kann es nicht ganz genau beschreiben, aber das Buch hat das gewisse Etwas, das es für mich zu einem Highlight macht. Vielleicht ist es die Verbindung von spannendem Kriminalfall und den Anfängen der Kriminalistik, mit dem Charme von Wien, seinem Dialekt, den sympathischem Inspektor Leopold und dem schrulligen, aber sehr humorvollem Totengräber Augustin. Eine Empfehlung für alle Leser von Krimis oder historischen Romanen.

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  1. Die düsteren Seiten Wiens

    Wien 1893: Der junge Kriminalinspektor Leopold von Herzfeldt ist gerade erst von Graz nach Wien gekommen, als er es mit einem Fall zu tun bekommt, bei dem Dienstmädchen brutal gepfählt wurden. Herzfeldt hält viel von neuen Ermittlungsmethoden, doch nun braucht er die Unterstützung des Totengräbers Augustin Rothmayer, der auf dem Wiener Zentralfriedhof tätig ist und nebenbei noch einen Almanach für Totengräber schriebt.
    Ich mag die lebensfrohe Stadt Wien, die an allen möglichen Ecken Bezüge zur Vergangenheit zeigt und damit die Touristen anzieht. In diesem Roman habe ich es mit einer etwas düsteren Stadt zu tun bekommen, die eher abweisend und morbide ist.
    Die Charaktere sind gut und sehr individuelle beschrieben. In Graz hat Leopold Kriminalistik studiert und er ist von den modernen Methoden überzeugt. Doch damit kommt er bei seinen neuen Kollegen nicht gut an, auch stört es sie, dass er Jude ist. Er tut sich sowieso sehr schwer, im Team zu arbeiten. Augustin ist ein kluger Kopf, aber auch ziemlich kauzig. In ihm steckt mehr, als man auf den ersten Blick annehmen würde. Sein Wissen ist eine große Hilfe bei den Ermittlungen. Er weiß auch, dass die alte Methode des Pfählens die Untoten in den Gräbern halten soll. Das Ermittlerduo wider Willen wird unterstützt von der Telefonistin Julia Wolf, die ihren eigenen Kopf hat. Leopold muss sich mit Aberglauben und der Unterwelt von Wien auseinandersetzen und das Misstrauen gegenüber Neuem und schlamperte Arbeit machen es ihm auch nicht leicht. Aber auch er ist nicht unfehlbar und muss aus seinen Irrtümern lernen. Es wird lebensgefährlich für diese ungewöhnlichen Ermittler.
    Es ist interessant zu erleben, mit welchen Methoden damals ermittelt wurde. Aber der Fall an sich ist auch sehr spannend. Ich bin schon neugierig auf den nächsten Band, denn dieses spezielle Ermittlerteam hat mir sehr gut gefallen.

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  1. Ein facettenreicher historischer Kriminalroman aus Wien

    „Ein Totengräber und eine neugierige Zimmerwirtin als Ermittlerkollegen, dachte er. Fehlt nur noch ein Wiener Schrammelgeiger, dann ist das Panoptikum komplett.“ (Zitat Pos. 4596)

    Inhalt
    Schon bevor der neue Kollege aus Graz, der ehemalige Untersuchungsrichter Leopold von Herzfeldt, seinen Dienst als Inspektor der Wiener Kriminalpolizei offiziell angetreten hat, kommt er an seinen ersten Tatort, ein totes Dienstmädchen. Der jungen Frau war die Kehle durchgeschnitten worden und in ihrem Körper steckt ein spitzer Holzpfahl. Bald gibt es weitere Tote, immer nach dem gleichen Schema. Gleichzeitig macht der Totengräber Augustin Rothmayer den neuen Inspektor auf einige eigenartige Vorkommnisse im Zusammenhang mit dem Selbstmord von Bernhard Strauss, einem Halbbruder von Johann Strauss, aufmerksam und unterstützt ihn mit seinem unerschöpflichen Wissen im Zusammenhang mit dem Tod. Obwohl die Familie Strauss sofort interveniert und die Vorgesetzten Leo von Herzfeldt weitere Ermittlungen in diesem Umfeld verbieten, recherchiert dieser heimlich weiter. Ist es möglich, dass in Wien ein Vampirjäger sein Unwesen treibt und dass diese Fälle zusammenhängen?

    Thema und Genre
    Dieser erste Band der Totengräber-Serie ist ein historischer Kriminalroman mit Regionalbezug. Er spielt Ende des 19. Jahrhunderts in Wien.

    Charaktere
    Die Figur des Leopold von Herzfeldt überzeugt als Ermittler, denn wir erleben hier einen Menschen im Graubereich mit einigen Geheimnissen in seiner Vergangenheit. Brillant in seinen Kombinationen, setzt er die neuesten technischen Ermittlungsmethoden ein, ist engagiert und hartnäckig, aber auch unangepasst, ein Einzelgänger, der sich an die starre, behäbige Beamtenmentalität der Wiener mit ihren Vorurteilen nicht gewöhnen kann und dem es schwerfällt, sich Vorgesetzten unterzuordnen. Ihm zur Seite, oder eher gegenüber, steht der Totengräber Augustin Rothmayer, ein Nachfahre des berühmten Wiener Augustin, der seine jahrelangen Erfahrungen und interessierten Beobachtungen in einem „Almanach für Totengräber“ niederschreibt. Zunächst hält Leo von Herzfeldt den schroffen Urwiener mit Schlapphut, der Mozarts Requiem summt, für einen Spinner, doch er muss seine Meinung ändern.

    Handlung und Schreibstil
    Die Ereignisse finden im Oktober 1893 statt und enden mit einem Epilog Anfang November 1893. Dieser straffe Zeitrahmen erhört die Spannung. Jedes Kapitel beginnt mit einem Auszug aus dem „Almanach für Totengräber“ und bietet interessante, durchaus makabre Informationen über die medizinischen Kenntnisse jener Zeit, vor allem im Zusammenhang mit dem Tod und den damit verbundenen Riten und Aberglauben.
    Der Autor lässt seine Hauptfigur Leopold von Herzfeldt erst zu Beginn der Handlung von Graz nach Wien übersiedeln. Dies gibt ihm die perfekte Möglichkeit, uns beim Lesen auf die damalige Situation, Alltag, Örtlichkeiten und Menschen in Wien durch die Beobachtungen und Gedanken des Wien-Neulings blicken zu lassen, was diese Schilderungen authentisch, lebendig und unterhaltsam macht. Denn durch Leo werden wir sofort in die typischen Kaffeehäuser und einfachen Beisln versetzt, auf die prächtige Ringstraße und in die Armut und das Elend der Außenbezirke. Der Adel und das wohlhabende Bürgertum tanzen Walzer, die einfachen Leute vergnügen sich im Prater und zu Schrammelmusik. Strizzis und Verbrecher findet man überall. Wir erleben auch die Anfänge des bekannten Wiener Zentralfriedhofs, der erst zwanzig Jahr zuvor eröffnet worden war.

    Fazit
    Dieser spannende historische Kriminalroman spielt 1893 in Wien und zeigt ein sehr gut und umfassend recherchiertes Bild der berühmten Stadt zwischen Tradition und beginnender Moderne Ende des 19. Jahrhunderts. Originelle Figuren und eine gute Prise Humor vollenden das unterhaltende Lesevergnügen.

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Adas Raum: Roman

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Rezensionen zu "Adas Raum: Roman"

  1. 3
    03. Apr 2024 

    Das Armband

    Im Jahr 1459 stirbt Adas kleiner Sohn kurz nach der Geburt. Er soll seinen Totenritus bekommen. Im Jahr 1848 trifft Ada King auf Charles Dickens, was nicht schlimm wäre, gäbe es nicht einen Mr. King. Im Jahr 1945 versucht Ada in Nordhausen zu überleben. Und irgendwann ist Ada in Berlin. Dort hat sie es nicht leicht bei der Wohnungssuche. Zum Glück hat sie einen britischen Pass und eine Schwester, die ihr hilft. Und immer wieder taucht das Armband auf, dass die Jahrhunderte ebenso überdauert wie eine Form von Ada.

    Diese ungewöhnliche Geschichte erzählt von verschiedenen Adas, die aber doch irgendwie die selbe Ada sind. In allen Formen ist Adas Leben nicht leicht. Sie erfährt viel Leid und hin und wieder glückliche Momente. Und auch das Armband durchreist die Zeit. Es will behütet werden. Fast wie das verstorbene Kind. Was für Zeiten sind es, in denen Ada landet? Die Zeit der Kolonialherren, die Zeit der ersten Sozialkritik, die Zeit des Krieges, die Zeit des heutigen Berlins, in der auch nicht eitel Sonnenschein herrscht. Eine abenteuerliche Seelenreise durch verschiedene Zeitalter.

    Das Cover dieses Buches ist in seiner Schlichtheit ein echter Hingucker, auch wenn man vielleicht etwas länger überlegt, kaufen oder nicht, landet es schließlich doch im eigenen Bücherschrank, Die Handlung des Romans ist ein wenig schwierig nachzuvollziehen. Auch wenn sich die unterschiedlichen Zeitebenen deutlich getrennt aneinanderreihen, fehlt etwas der rote Faden. Wieso taucht Ada immer wieder auf und was genau sind die Inkarnationen des Dings, wieso gibt es sie? Natürlich wäre der Gedanke schön, es sei eine Art Schutz. Doch würde es dann gute Arbeit leisten? Dennoch ist die Erzählung interessant. Gerne folgt man Ada von Ghana über London nach Deutschland, wo sie schließlich in Berlin landet. Zwar fühlt man sich so als habe man den Sinn nicht richtig erfasst, aber von der Story war man gefesselt und schließt den Roman in gutem Einvernehmen.

    3,5 Sterne

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  1. Komplex, auf bestmögliche Art überraschend

    Handlung

    1459 verliert Ada ein Baby im westafrikanischen Totope. 1848 ist sie Ada Lovelace und bricht durch eine Affaire aus dem Käfig ihrer Ehe aus. 1945 existiert sie (Leben mag ich es kaum nennen) im Lagerbordell eines KZs. 2019 ist Ada hochschwanger, hat in Berlin jedoch Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, denn sie ist schwarz.

    Immer ist sie Ada, von Reinkarnation zu Reinkarnation erlebt und erleidet und erkämpft sie sich das Leben. Kolonialismus, Rassismus, Sexismus, sie erlebt den ganzen Reigen der schändlichen Ismen. Mal rebelliert sie, mal erduldet sie schweigend, doch immer sind ihre Erlebnisse von einer rohen Authentizität und regen die Leser:innen zum Nachdenken an.

    Wer spricht hier? Schnell begreifst du beim Lesen, dass es nicht Ada ist, die die Geschichte erzählt, auch wenn sie immer im Mittelpunkt der Geschehnisse steht.

    Es ist eine Wesenheit, die hier spricht, die Ada von Reinkarnation zu Reinkarnation begleitet und selber so gerne ein Mensch wäre, jedoch immer wieder nur als Gegenstand existiert. Sie ist der Reisigbesen, mit dem Ada in Westafrika geschlagen wird. Der Türklopfer, der den Liebhaber kommen und gehen sieht. Das KZ-Zimmer, erfüllt von unermesslichem Leid. Der Reisepass, der ein neues Leben verspricht.

    Und obwohl diese Wesenheit sieht, mit welchem Schmerz und welchem Kampf das Leben verbunden ist, sehnt sie sich danach, es selber zu erleben.

    Sprechende Gegenstände, das klingt gewöhnungsbedürftig, womöglich sogar nach Disney. Vielleicht graust es dir bei dem Gedanken, siehst du vor dem inneren Auge schon singende Teekessel. Dazu kommt noch, dass die Wesenheit, die ihnen innewohnt, in stetem Dialog mit einem Gott steht, der mit einer amüsierten Distanz auf das Leben schaut, die Ereignisse locker-flockig kommentiert und dabei auch schon mal ‘berlinert’.

    Nein, liebe:r Leser:in, geh noch nicht, schlag das Buch nicht zu schnell zu!

    Ich verspreche dir: das ist weder verkitscht noch pseudoreligiös; es ermöglicht der Autorin, ihre Geschichte zugleich hautnah und mit eíner erwägenden Distanz zu erzählen, mit einer unglaublichen Klarheit. Es ist zutiefst originell, bricht die Geschichte immer dann auf, wenn es nötig ist, um den Leser:innen mehr Raum für Reflektion zu geben. Das Leichte, das Schwere, das ist in jeder Schleife in Balance.

    „Die Zeit war jedenfalls gekommen, um Ada daran zu erinnern, dass alle Wesen – vergangene, gegenwärtige und zukünftige – in Verbindung miteinander sind, dass wir es immer waren und immer sein werden. Die Botschaft kann erdrückend sein, wenn mensch meint, sie zum ersten Mal zu hören. Wir wollten Ada damit nicht überrumpeln. Wir wissen ja, dass sie am Ende ihres Lebens zunächst immer eine Runde Abstand braucht.“

    Und so hangelst du dich von Leben zu Leben…

    Ich konnte mich der Geschichte nicht entziehen. Sie hielt mich auf jeder einzelnen Seite gepackt mit ihrer intelligenten Schreibweise, ihrer unterschwelligen Spannung, ihrem klaren Blick auf eine Frau, die sich quasi häutet und wandelt und doch im tiefsten Inneren immer den selben Funken Leben in sich trägt. Das ist frisch und berührend und mit jeder Drehung der Schraube wieder überraschend.

    Um Ada herum wandelt sich auch die Welt. Mit jedem Perspektivenwechsel fällt der Blick auf gesellschaftliche Veränderungen und zugleich eine ungemein persönliche Lebenswirklichkeit. Immer zieht sie das Trauma all ihrer Leben, das zugleich das kollektive Trauma vieler Frauen ist, hinter sich her wie einen vielgestalten Schatten, das Miasma einer erschütternden Grausamkeit. Das wird so meisterhaft wie subtil in Worte gefasst. Die Gewalt, die Ada unweigerlich in jedem Leben begegnet, wird nicht geschönt, doch für die Leser:innen durch gekonnte Verfremdung erträglich gemacht.

    Überhaupt verzichtet Otoo auf den moralischen Zeigefinger, das hat der Roman gar nicht nötig. Sie traut der:m Leser:in offenbar zu, eigene Schlüsse zu ziehen und eigene Urteile zu treffen; sie gibt ihr:m nur das nötige Rohmaterial an die Hand.

    Andere Charaktere sind eher Statisten in Adas Leben, doch du erkennst: einige davon sind Schlüsselfiguren in ihrer Existenz, auch sie werden in diversen Rollen wiedergeboren. Dieser hier, der war doch im letzten Leben noch ihr Bruder? Ah, da ist wieder der Mann mit der Narbe… Zu verfolgen, welche Menschen und fundamentale Erlebnisse immer wieder auftauchen, in vielfacher Gestalt, das erfordert aufmerksames Lesen – und das ist Vergnügen, keine lästige Pflicht.

    Ein goldenes Armband kommt in jeder Schleife aufs Neue vor; die Wesenheit hält es für ihre Aufgabe, dieses in ganz bestimmte Hände zu bringen und sich damit die Menschwerdung zu verdienen. Ein Leitmotiv, dessen Bedeutung immer wieder neue Facetten zeigt – das wird so innovativ und gekonnt eingesetzt, wie Otoo die ganze Erzählung gestaltet.

    Ach, hier möchte ich schon aufhören, auch wenn ich noch so viel sagen könnte… Aber dies ist ein Buch, dass jede:r selbst für sich entdecken sollte, ohne zu viel Vorwissen oder fremde Interpretation. Lass es auf dich wirken, lass es nachhallen, vergiss erstmal die Meinung anderer Menschen.

    Fazit

    1459, 1848, 1945, 2019: wir folgen Ada in vielen Reinkarnationen (“Schleifen”) durch die Jahrhunderte. Sie ist jedes Mal wieder eine andere und doch im Kern die gleiche Ada. Sie erlebt alle Aspekte des Lebens, des Frauseins; mal kämpft sie ums bloße Überleben, mal um persönliches Glück, oft um Gleichberechtigung, immer um Selbstbestimmung – um Raum für ihre Existenz.

    Und das erzählt Otoo auf eine Art, die so originell ist, dass man aufhorcht, vielleicht erstmal skeptisch die Augenbraue hochzieht. Hier werden Grenzen überschritten oder neu definiert, darauf musst du dich erstmal einlassen. Aber das lohnt sich, denn “Adas Raum” ist ein literarisches Abenteuer, ein sprachliches Fest! Ein Debüt mit erzählerischer Wucht und doch feiner Subtilität.

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  1. Eindringlich, aber teilweise zu konstruiert

    „Die neuen Grenzen wirkten fließend, mehrdeutig, und als sie nicht mehr zu gebrauchen waren, verpufften sie. Sie wurden gegen andere Grenzen ausgetauscht.“ (Zitat Position 1701)

    Inhalt
    Ada ist verzweifelt, als ihr Kind im März 1459 kurz nach der Geburt stirbt. Das besondere Perlenarmband, das sie ihrem toten Sohn mitgeben will, macht sich auf eine eigene Reise durch die Jahrhunderte. Es kommt zur Wissenschaftlerin Ada Lovelace, die im März 1848 mit ihrem besonderen Freund Charles Dickens mathematische Formeln diskutiert, während ihr Gatte in Paris weilt. Im besonderen Block 37 im KZ Mittelbau-Dora ist Ada im März 1945 so oft im selben Zimmer, dass es den Namen „Adas Raum“ trägt und in genau diesem Zimmer liegt das Perlenarmband plötzlich auf dem Boden. Ada, Augusta Adaune Lamtey, ist dreiundzwanzig Jahre alt, als sie 2019 aus Ghana nach Berlin kommt, um hier zu studieren. Sie wohnt bei ihrer jüngeren Halbschwester, ist aber auf Wohnungssuche, freut sich auf ihr Baby. In einem Ausstellungskatalog entdeckt sie das Foto eines ungewöhnlichen Armbandes, dreiunddreißig Perlen, Fünfzehntes Jahrhundert, Westafrika, und damit schließt sich das Netz aus Schicksalsschleifen.

    Themen und Genre
    Der Roman handelt von Frauen, Frauen als Mütter, Freundinnen und Schwestern, auch im übertragenen Sinn. Themen sind Gewalt, Unterdrückung, Diskriminierung, aber auch Stärke, Zusammenhalt und die Suche nach Unabhängigkeit.

    Charaktere
    Ada, das ist die Summe aus vier Adas in vier unterschiedlichen Epochen, sie steht für die Summe von möglichen Frauenleben im Lauf der Geschichte. Die Übergänge erfolgen rasch, manchmal innerhalb eines Satzes, und so erfahren wir durch das jeweilige Umfeld und die Situation zwar mehr über die entsprechende Ada, gleichzeitig bleibt sie dadurch als Figur auf Distanz.

    Handlung und Schreibstil
    Die vier Geschichten, in deren Mittelpunkt jeweils eine Ada steht, spielen in unterschiedlichen Jahrhunderten, wobei die Grenzen fließend sind. Die Autorin selbst spricht von Schleifen und ähnlich verknüpfen sich einzelne Situationen, um sich dann, oft mitten im Satz, wieder zu lösen und in die nächste Episode in einem anderen Jahrhundert zu gleiten. Nur das etwas wirre und sehr konstruierte Ende überzeugt mich nicht, Schleifen sind luftig und in Bewegung, wenn man sie bewusst verknüpft, verlieren sie die Leichtigkeit. Die Grundzüge des Settings bleiben in allen vier Geschichten ähnlich, Hausnummern, wie Personen, familiäre Beziehungen und Namen. Lässt die Autorin zunächst jede Ada in der Ich-Form erzählen, wechselt sie rasch zu einem zeitlosen, geistigen Erzähl-Ich, das zu einzelnen Gegenständen wird und so die Ereignisse als Kehrbesen, Türklopfer oder Reisepass schildert, versucht, das Geschehen zu lenken und allwissend kommentiert. Dieses im philosophischen Sinn übergeordnete geistige Ich hat durchaus auch Humor, was zu skurrilen Dialogen führt. Die klare, gerade Sprache des Romans schildert und kann alles zwischen sehr kurzen und eindrucksvoll langen Sätzen, auch Metaphern werden bewusst eingesetzt.

    Fazit
    Ein Roman mit zeitlos aktuellen, politischen und sozialkritischen Themen, geschrieben in einer klaren, geraden Sprache. Unterschiedliche interessante Erzählformen schildern ein ebenso vielschichtiges Bild von Frauenschicksalen. Doch dieses deutlich ambitionierte Bemühen im Sinne der Kriterien der zeitgenössischen Literaturwissenschaften wird für mich teilweise zu offensichtlich und der Roman dadurch zu konstruiert – diese Perfektion ist zu gewollt, es fehlt die Seele.

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Sparring Partners: John Grisham

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Der Wendepunkt: Ein Lebensbericht

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Rezensionen zu "Der Wendepunkt: Ein Lebensbericht"

  1. Vielseitig und zeitlos interessant, auch sprachlich großartig

    „Jeder Augenblick, den wir durchleben, verdankt dem vorangegangenen seinen Sinn. Gegenwart und Zukunft würden wesenlos, wenn die Spur des Vergangenen aus unserem Bewußtsein gelöscht wäre.“ (Zitat Seite 25)

    Thema, Genre und Inhalt
    Ein Lebensbericht, das Tagebuch eines intensiv gelebten Künstlerlebens ist in seiner Gesamtheit noch wesentlich mehr. Diese Autobiografie ist ein eindrückliches, differenzierendes und in seiner Vielseitigkeit umfassendes Bild der Zeit.
    Ein kurzer Prolog schildert kurz die Familie Mann und ihr Umfeld bis zu jenem 18. November 1906, an dem Klaus Heinrich Thomas Mann geboren wurde. Ab hier schreibt Klaus Mann chronologisch, beginnend mit der Kindheit, daran anschließend die Zeit des ersten Weltkrieges und die Jahre danach. Wir erleben den Wunsch des jungen Klaus Mann, Schriftsteller zu werden, seine Liebe zur Literatur und zum Theater, seinen ersten Aufenthalt in Paris und die Atmosphäre dieser Stadt, die ihn sofort und für immer anzieht. Klaus Mann ist ein Suchender, der schon früh die gesellschaftspolitischen Entwicklungen, besonders in Deutschland, sehr kritisch und besorgt beobachtet. Diese Sichtweise teilt er mit seiner Schwester Erika und so ist klar, dass sein Lebensweg ins Exil führt. Die nachfolgenden Kapitel sind intensive Zeitdokumente der Situation der Emigranten, besonders der Künstler, die einander in den jeweiligen Städten weiterhin in Künstlerkreisen treffen. Klaus Mann führt der Weg während dieser ersten Jahre der Verbannung aus Deutschland nach Amsterdam, Paris, Nizza, Zürich, dazu kurze Reisen nach Wien und Moskau. Wie auch seine Schwester Erika hält er Vorträge gegen Krieg und Faschismus, zunächst in Europa, dann in Amerika. Das zwölfte und letzte Kapitel „Der Wendepunkt“ umfasst die Jahre 1943 bis 1945 und schildert die Ereignisse dieser Jahre ausschließlich in Briefen von und an Klaus Mann, der die letzten Kriegsjahre als Mitglied der amerikanischen Armee in Italien erlebt.
    Neben den Ereignissen und persönlichen Erlebnissen schildert Klaus Mann seine eigenen Gedanken und Eindrücke, seine Hoffnungen, seine Zweifel. „Die Veränderungen, die nach dem Wendepunkt kommen, mögen zunächst nicht sehr drastisch sein, werden es aber im Lauf der Zeit, immer drastischer, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr: im Guten oder im Bösen. Ich prophezeie, daß wir um 1965 eine Welt haben werden, die sehr viel schlechter sein wird als die heutige – oder entschieden besser.“ (Zitat Seite 695)

    Fazit
    Diese beeindruckende Autobiografie, auch sprachlich großartig, ist ein intensiver, zeitlos aktueller Blick auf die Geschichte und Menschen dieser Zeit und gleichzeitig ein interessantes Bild der Kunst- und Kulturszene.

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Das mangelnde Licht

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Rezensionen zu "Das mangelnde Licht"

  1. Intensiv, facettenreich, bewegend

    „Ich spürte, dass dieser Moment magisch war, und das nicht, weil etwas im eigentlichen Sinne Besonderes geschah, sondern weil wir in unserem Zusammenhalt eine unzerstörbare Kraft bildeten, eine Gemeinschaft, die vor keiner Herausforderung mehr zurückschrecken würde.“ (Zitat Seite 10)

    Inhalt
    Die Fotografie aus dem Jahr 1987 ist das einzige Bild, auf dem sie zusammen zu sehen sind, jung, voller Hoffnung auf die Zukunft. Es ist der Nachmittag vor ihrem großen Abenteuer, denn in der Nacht brechen sie durch ein Loch im Zaun in den Botanischen Garten ein. Damit ist die Freundschaft Dina, Keto, Ira und Nene, vier Mädchen aus dem Sololaki-Viertel, einem der buntesten Stadtteile von Tbilissi, endgültig besiegelt und die Lebensgeschichten scheinen untrennbar miteinander verbunden, bis Dinge passieren, die auch ihre Freundschaft zerstören. Erst 2019, viele Jahre später, treffen drei von ihnen in Brüssel wieder zusammen, als eine Retrospektive des fotografischen Gesamtwerkes von Dina eröffnet wird. Dina, die bekannte Fotografin, Ketos beste Freundin, fehlt. Sie ist tot, doch in ihren Bildern lebt sie weiter. Für Keto, Nene und Ira wird dieser Abend ein langer Weg zurück in die Vergangenheit, durch die Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, an Dina, zurück zu den Ereignissen, die ihr Leben für immer geprägt haben, verbunden mit der wechselvollen Geschichte von Georgien. Zu viel ist geschehen, mit diesen Erinnerungen ist keine intakte Gegenwart möglich, oder doch?

    Thema und Genre
    Dieser Roman ist die Geschichte Georgiens in den politisch unsicheren Jahren der Umbrüche, Aufstände, Gewalt. Gleichzeitig ist es die Geschichte einer Generation, deren Leben durch diese Jugendjahre für immer geprägt wird. Themen sind Freundschaft, Träume und Liebe, aber auch Macht, Gewalt und Verlust. Es geht um traditionelle gesellschaftliche Strukturen, das Patriarchat der Vätergeneration, das von den Brüdern der vier Freundinnen in Bezug auf das Wertesystem übernommen wird, obwohl die jungen Männer selbst, zornig und selbstbewusst, aus genau diesem System ausbrechen wollen.

    Charaktere
    Dina war schon als Kind unangepasst und rebellisch, Ira dagegen vernünftig und pragmatisch, besorgt, die vorsichtige, romantische Nene zu beschützen. Keto, als Kind angepasst und zurückhaltend, war schon immer die ausgleichende Schlichterin zwischen Dinas Freiheitsdrang, Iras Vernunft und Nenes Träumereien. Die Autorin hat ein unglaubliches Einfühlungsvermögen für jede einzelne der zahlreichen Figuren, die in dieser Geschichte leben, für ihre Konflikte, Überzeugungen, Zweifel und Gefühle.

    Handlung und Schreibstil
    Die Handlung beginnt im Jahr 1987 in Tbilissi, verläuft jedoch nicht chronologisch, sondern in Episoden, an die sich die Ich-Erzählerin Keto bei ihrem langsamen Rundgang durch die Austellung und beim Betrachten der einzelnen Fotografien erinnert. So erfahren wir die prägenden Erlebnisse und Ereignisse im Leben der vier Frauen, die, wie sie selbst feststellen, in den ersten fünfundzwanzig Jahren ihres Lebens mehr erlebt haben, als die meisten Menschen nicht einmal in einem gesamten, langen Menschenleben. Der zweite Handlungsstrang umfasst diesen einen langen Abend in Brüssel im Jahr 2019 und verläuft chronologisch. Nino Haratischwili ist eine wunderbare Erzählerin mit einem offenen, genauen Blick auf die Geschichte ihres Geburtslandes Georgien, vor allem aber auf die Menschen. Besonders ihre Frauenfiguren sind, bei allen Zweifeln, starke Frauen, die in einem von männlicher Gewalt und Konflikten dominierten Umfeld in den späten Jahren des 20. Jahrhunderts ihren eigenen Weg gegen alle Widerstände gehen.

    Fazit
    Ein großartiger Roman, bewegend, episch, facettenreich und packend, auch die Sprache zieht uns sofort in den Bann der Geschichte und lässt uns nicht mehr los. Ich habe mit dem Hörbuch begonnen, dann jedoch auf Grund der eindrücklichen Sprache und Komplexität der Geschichte diese im Buch weitergelesen. So kann ich auch das Hörbuch empfehlen, gelesen von Simone Kabst, deren angenehme Stimme und einfühlsame, lebhafte Art zu lesen ebenfalls überzeugen.

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Dracula

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Dunkelblum: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Dunkelblum: Roman' von Eva Menasse
4.85
4.9 von 5 (14 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Dunkelblum: Roman"

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Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:528
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442772810
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Rezensionen zu "Dunkelblum: Roman"

  1. 3
    28. Feb 2023 

    Kleinstadt

    Lowetz kehrt nach dem Tod seiner Mutter zurück in die Kleinstadt Dunkelblum, um zu entscheiden, was mit seinem Elternhaus geschehen soll. Noch ist Sommer und er genießt die Tage. Er hat ja noch Zeit. Zur gleichen Zeit erscheint auch ein Fremder in der Stadt, der im Hotel ein Zimmer nimmt. Es ist das Jahr 1989 und man spürt schon die Veränderung in den Osteuropäischen Ländern. Lowetz erfährt, dass seine Mutter Informationen über die kleine Stadt und ihre Einwohner gesammelt hat. Die Zeit zum Ende des zweiten Weltkriegs hat sie besonders interessiert. Doch die Notizen sind verschwunden.

    So ein friedlicher Ort. Und plötzlich kommen Fremde oder ehemalige Kinder der Stadt zurück. In Dunkelblum gerät einiges in Aufruhr, was eigentlich unter dem Deckel bleiben soll. Sind da gegen Ende des Krieges nicht einige Menschen umgekommen? Sind nicht ein paar Nazis auf die Füße gefallen, weil sie sich die Wahrheit so zurecht gebogen haben, wie es günstig war? Und was kann auf dem alten überwucherten Judenfriedhof zutage kommen, der gerade von Studenten freigelegt wird? Lowetz überlegt, was seine Mutter recherchiert haben könnte. Aus was für einem Ort kommt er überhaupt? Und was für Namen murmelt die alte Agnes vor sich hin?

    Dunkelblum könnte überall sein. In welchen Städten wird denn noch nach der Vergangenheit gesucht? Nötig und sinnvoll wäre das sicher noch häufiger. Doch auch die Dunkelblumer beschäftigen sich nicht aus eigenem Antrieb mit der Chronik ihres Ortes. Im Jahr 1989 ist eher eine Zeit des Aufbruchs als eine der Rückbesinnung. Die Grenzen öffnen sich, da will niemand rückwärts denken. Und Hinweise, die es gibt, werden nicht gesehen. Beinahe als sollten die zu unrecht davongekommenen wieder durch die Maschen schlüpfen. Etwas kommt aber doch heraus und viele im Ort stecken wieder den Kopf in den Sand. Vieles in diesem Roman wird nur angedeutet, da ja wie immer nicht offen geredet wird. Ob einem als Leser das so gut gefällt, muss man entscheiden. Vielleicht würde man lieber deutlich lesen, was damals geschah und wer beteiligt war. So waren es irgendwie alle und der ganze Ort hat sich schuldig gemacht. Auch wenn man sich mit der behäbigen Erzählung ein wenig schwer tut, so handelt es sich doch um einen Roman, den es schon längst hätte gegeben haben sollen.

    3,5 Sterne

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  1. Hervorragend

    Herbst 1989, kurz vor dem Fall des Ostblocks. In Dunkelblum, einem kleinen Ort an der östrreichisch-ungarischen Grenze, wird ein Skelett gefunden. Schnell werden unliebsame Erinnerungen an das Kriegsende 1945 wach, da damals ein furchtbares Verbrechen in dem kleinen Ort stattgefunden hatte. Das anschließnede kollektive Schweigen hat es für immerhin 40 Jahre geschafft, die Erinnerung zu verdrängen, doch nun kommt alles um so eruptiver an die Oberfläche. Durch das Dorf geht ein Riss, vor allem die älteren Bewohner möchten nicht an die unliebsamen Vorgänge erinnert werden, zumal die damals Verantwortlichen weitgehend ungeschoren davon gekommen sind. Doch einige Jüngere streben nach Aufklärung, der Riss geht sogar durch einzelne Familien.

    "Dunkelblum" ist nach "Vienna" der zweite Roman aus der Feder Eva Menasses, den ich gelesen habe, und ähnlich wie beim ersten Mal bin ich schwer beeindruckt von der fesselnden Erzählkraft dieser österreichischen Autorin. Es gelingt ihr auf höchst ansprechende Weise, das aktuelle Geschehen von 1989 mit Episoden aus der Vergangenheit zu verbinden, was durchaus einen tiefen Einblick in die Mentalität der Österreicher vermittelt.

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  1. Geheimnis? Nie gehört!

    Klappentext:

    „Auf den ersten Blick ist Dunkelblum eine Kleinstadt wie jede andere. Doch hinter der Fassade der österreichischen Gemeinde verbirgt sich die Geschichte eines furchtbaren Verbrechens. Ihr Wissen um das Ereignis verbindet die älteren Dunkelblumer seit Jahrzehnten – genauso wie ihr Schweigen über Tat und Täter. In den Spätsommertagen des Jahres 1989, während hinter der nahegelegenen Grenze zu Ungarn bereits Hunderte DDR-Flüchtlinge warten, trifft ein rätselhafter Besucher in der Stadt ein. Da geraten die Dinge plötzlich in Bewegung: Auf einer Wiese am Stadtrand wird ein Skelett ausgegraben und eine junge Frau verschwindet. Wie in einem Spuk tauchen Spuren des alten Verbrechens auf – und konfrontieren die Dunkelblumer mit einer Vergangenheit, die sie längst für erledigt hielten.“

    Autorin Eva Menasse nimmt den Leser hier mit nach Dunkelblum - ein Ort, in dem ein dunkles Geheimnis von allen gehütet wird…Das dieses Geheimnis irgendwann bricht und an die Oberfläche will, ahnt man und man verfolgt diese Geschichte sehr genau. Menasse hat einen speziellen Sprachstil und Ausdruck. Ich persönlich mag dies sehr und find dies zu ihrer Geschichte mehr als passend, aber ich denke, es wird Leser geben, die sich damit schwer tun. Eva Menasse beleuchtet hier wieder ein Stück Weltpolitik und hält mit vielen Fakten auch einfach nicht hinter‘m Berg. Die Art und Weise wie sie die Bewohner zeichnet und wie sie dieses Geheimnis eingewoben hat, ist großartig. Hier geht es um Schuld und Sühne, um Schweigen und die Frage, ob dies so richtig war und gerechtfertigt. Dieses Geheimnis sitzt auf den Seelen der Dorfbewohner wie ein Fluch und die langsame Auflösung, nicht nur beim Leser, bringt ein gewisses Bild, ein gewisses Licht ins Dunkel. Der Spannungsbogen ist hier enorm und hat mich echt begeistert. Hier steht: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen - was ich nicht sage, kann niemand kennen und wissen, was ich nicht weiß, können andere auch nicht wissen. Dunkelblum nimmt einen ein und man muss gewaltig aufpassen, nicht in die Fänge der Dorfbewohner zu gelangen…Denn hier stellt sich die Frage, was passiert wohl wenn das Geheimnis gelüftet wird?? Ach ja! Welches Geheimnis? Haben Sie etwas von einem Geheimnis gelesen? Doch nicht in Dunkelblum!

    Ich vergebe 5 von 5 Sterne.

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  1. Die langen Schatten der Vergangenheit

    Die österreichische Kleinstadt Dunkelblum an der Grenze zu Ungarn im Sommer 1989: Auf den ersten Blick ist es nicht ersichtlich, aber ein furchtbares Verbrechen verbindet die älteren Einwohner des Ortes. Bisher haben sie darüber den Mantel des Schweigens gelegt. Doch jetzt, während gleich hinter der Grenze Hunderte Flüchtlinge aus der DDR warten, taucht ein rätselhafter Fremder in der Kleinstadt auf und setzt mit seinen Fragen einiges in Gang. Auf einer Wiese wird ein Skelett gefunden, eine junge Frau verschwindet. Die langen Schatten der Vergangenheit holen die Einwohner ein…

    „Dunkelblum“ ist ein Roman von Eva Menasse.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus drei Teilen, die wiederum in jeweils 17 Kapitel mit einer angenehmen Länge untergliedert sind. Erzählt wird aus einer auktorialen Perspektive, die sich hervorragend für diese Art von Geschichte eignet.

    Atmosphärisch stark ist der Schreibstil des Romans. In sprachlicher Hinsicht beweist die Autorin ihr schriftstellerisches Talent. Jeder Satz sitzt, jedes Wort wirkt wohl bedacht. So ist beispielsweise der Ortsname nicht zufällig gewählt. Etwas schwer habe ich mich allerdings mit dem österreichischen Vokabular getan. Zwar gibt es ein Glossar der Austriazismen. Das Hin- und Herblättern ist jedoch ein wenig nervig. Mit der Zeit gewöhnt man sich beim Lesen an die entsprechenden Wörter.

    Die Handlung spielt sich überwiegend in der Kleinstadt und der näheren Umgebung ab. Auf den Innenklappen ist ein beschrifteter Ortsplan von Dunkelblum abgedruckt. Dieses sinnvolle Extra hilft bei der Orientierung.

    Die Charaktere sind mit viel psychologischer Tiefe ausgestaltet. Fast jeder scheint ein Geheimnis zu haben, was die Figuren interessant macht. Dennoch wirken die Charaktere nicht überzeichnet, sondern durchaus authentisch. Vor allem zu Beginn ist das umfangreiche Personal des Romans recht unübersichtlich. Um besser in die Geschichte zu kommen, hätte ich mir eine Personenliste gewünscht. Mit der Zeit legt sich aber die Verwirrung.

    Inhaltlich ist der Roman erstaunlich komplex und facettenreich. Sehr gekonnt hat die Autorin ein beeindruckendes Netz aus Verbindungen geflochten, in dem sie sich bis zum Schluss nicht verheddert. Fast alle losen Fäden sind am Ende miteinander verknüpft. Eins fügt sich schlüssig zum anderen. Zwar bleiben noch einige wenige offene Fragen. Dass der Roman aber damit Interpretationsspielraum lässt, passt nach meiner Ansicht sehr gut zu der Geschichte.

    Thematisch geht es vor allem um Kriegsverbrechen und Vergehen während der Naziherrschaft, über die die Einwohner von Dunkelblum schweigen. Dort leben sowohl Opfer als auch Täter. Hintergrund des Romans ist eine wahre Begebenheit: das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern im Ort Rechnitz. Ein wichtiges Sujet, das dafür sorgt, dass das Buch noch länger bei mir nachhallen wird.

    Obwohl dies zunächst nach ernster, schwerer Kost klingt, gelingt es der Autorin, mit bissigem Humor ein wenig Leichtigkeit in den Roman zu bringen und ein besonderes Lesevergnügen zu schaffen. Auf den rund 500 Seiten entstehen kaum Längen. Die Geschichte hat mich zunehmend für sich eingenommen.

    Das kunstvolle Cover ist etwas nichtssagend, aber nicht unpassend. Der prägnante und naheliegende Titel gefällt mir.

    Mein Fazit:
    Auch wenn es Eva Menasse ihren Leserinnen und Lesern nicht ganz einfach macht, ist ihr Roman „Dunkelblum“ unbedingt lesenswert. Eine ausgeklügelte, vielschichtige und sprachgewaltige Lektüre, ein Lesehighlight 2021.

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  1. Phänomenologie des Schweigens

    Als „letzte hochtrabende Führerbunker-Phantasie“ (S. 259) plante das Oberkommando der Wehrmacht den sogenannten Südostwall als Bollwerk gegen die Rote Armee von den Weißen Karpaten bis an die Drau. Unter den zum Bau Zwangsverpflichteten waren 30.000 bis 40.000 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter, von denen viele bei Massenhinrichtungen am Kriegsende starben. Traurige Berühmtheit erreichte das Massaker von Rechnitz, bei dem in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 während eines Festes der Nazi-Kollaborateurin Gräfin Margit von Batthyány, geborene Thyssen, etwa 200 jüdische Zwangsarbeiter erschossen wurden. Im Gegensatz zu anderen Orten wurde das Rechnitzer Massengrab nie gefunden und die unerhörten Vorkommnisse wurden Stoff verschiedener Filme, Sachbücher, Romane und Theaterstücke.

    Basierend auf den historischen Fakten hat die 1970 in Österreich als Tochter eines jüdischen Vaters geborene Eva Menasse ihren Roman "Dunkelblum" konzipiert. Die fiktive Kleinstadt im österreichischen Burgenland direkt an der ungarischen Grenze war bis zum Brand des Schlosses 1945 gräflicher Familiensitz. Im alten Teil von Dunkelblum, den Nikolaus Heidelbach im Vor- und Nachsatz illustriert hat, scheint die Zeit still zu stehen:

    "Ohne großen Dekorationsaufwand hätte man hier Filme drehen können, die die lang vergangenen Zeiten zeigten." (S. 29)

    Ruhestörungen
    Eine Idylle ist Dunkelblum jedoch keineswegs:

    "In Dunkelblum lastete es von unten." (S. 44)

    "Wo man in Dunkelblum mit dem Fingernagel kratzt, kommt einem eine Schandtat entgegen." (S. 371)

    Das Schweigen, das so lange ein „gedeihliches Zusammenleben“ (S. 326) garantierte, gerät im Spätsommer 1989 bedrohlich ins Wanken: Ein Fremder kommt und stellt unangenehme Fragen, langhaarige Wiener Studierende der Zeitgeschichte restaurieren den verwahrlosten jüdischen Friedhof, der Stadel der argwöhnisch beäugten Bio-Winzerfamilie Malnitz brennt ab, der homosexuelle Außenseiter Rehberg recherchiert für eine Ortschronik derweil seine Helferin Eszter Lowetz überraschend verstirbt, Drohbriefe kursieren, über ein Ortsmuseum und die Wasserversorgung wird gestritten, Flocke Malnitz, die in alten Geschichten „stierlt“, verschwindet spurlos, die Grenze zu den „Drüberischen“ wird plötzlich durchlässig und bei Grabungen nach Quellen taucht eine alte Leiche auf. Das alles stört die beinahe vergessene „lokale Schicksalsbestie“ in ihrem „Dornröschenschlaf“ (S. 15) und bringt den Interimsbürgermeister Koreny ins Grübeln:

    "Er hatte nicht geahnt, wie wenig es brauchte, um alles miteinander zu verknüpfen. Nur ein bisschen Phantasie und es pickte zusammen, Phantasie funktionierte offenbar wie Mörtel oder Montagekleber, sogar das Abgelegenste fügte sich ein. Wo hinein? In eine jahrzehntelange Verschwörung des Grauens." (S. 441)

    Nicht das Massaker steht im Mittelpunkt dieses herausragenden Romans, sondern das Schweigen danach:

    "Und daher ging es quasi direkt nach den alten Römern mit den Russen weiter, mit der erbärmlichen, demütigenden Nachkriegszeit […] Vom Leid, der Not und den Verbrechen gegen die Mädchen und Frauen erzählten die Alten so bereitwillig, wie sie vom unmittelbaren Davor schwiegen." (S. 196)

    Ein Lesehighlight 2021
    In kurzen Kapiteln stehen unzählige verschiedene Figuren im Mittelpunkt, was mich ohne Personenregister (dafür mit Glossar der Austriazismen) sehr gefordert hat: Nazis, wie der Stratege Dr. Alois Ferbenz und der gefürchtete Schläger Horka, Mitläufer, Profiteure der Arisierung jüdischen Eigentums wie die Hotel-Besitzerin Resi Reschen, Rückkehrer wie der Jude Antal Grün, Opfer von Fememorden und Täter. Zusammen mit der schwarzhumorigen Erzählweise begeisterten mich jedoch genau diese Vielstimmigkeit der filigran gezeichneten, oft ambivalenten Figuren und der historische Hintergrund. Warum dieses pralle Kleinstadtpanorama nicht zur engsten Auswahl für den Deutschen Buchpreis 2021 gehört, ist mir rätselhaft.

    Am Ende finden die Fäden höchst gekonnt zusammen – aber halt:

    "Das ist nicht das Ende der Geschichte." (Schlusssatz S. 512)

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  1. 5
    17. Okt 2021 

    Dunkelblum ist überall

    Und schon wieder ein Buch über die Nazivergangenheit - hat man doch bereits -zigmal gelesen, mag so Manche/r denken.
    Aber dieses Buch ist etwas Besonderes und unbedingt lesenswert, auch wenn der Inhalt vielleicht nicht ganz so überraschend sein mag.

    Dunkelblum ist eine fiktive Kleinstadt in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Ungarn, dort "wissen die Einheimischen alles voneinander, und die paar Winzigkeiten, die sie nicht wissen, die sie nicht hinzuerfinden können und auch nicht einfach weglassen, die sind nicht egal, sondern spielen die allergrößte Rolle: Das was nicht allseits bekannt ist, regiert wie ein Fluch."
    Meist sind es Dinge aus der Vergangenheit, damals als der Horka der Schrecken des Ortes war. Während der Naziherrschaft konnte dieser ohne Folgen seinen sadistischen Neigungen nachgehen und als die Russen das Sagen hatten, brachte er es sogar zum Polizeichef. Doch nun, es ist 1989, beginnt die junge Generation sich für längst Vergangenes zu interessieren: Die jüngste Tochter des Biobauern plant mit dem Dorfchronisten ein Heimatmuseum und beginnt, unangenehme Fragen zu stellen. Und aus der Hauptstadt reisen Studierende an, um den örtlichen jüdischen Friedhof zu restaurieren. Als auf einer Wiese ein Skelett gefunden wird und die Presse davon Wind bekommt, wird das Interesse an Dunkelblums Vergangenheit immer größer, die wider Willen der BewohnerInnen deutlich bis in die Gegenwart reicht.

    Eva Menasse präsentiert uns hier eine Vielzahl von Menschen eines Ortes, die aufgrund ihrer Herkunft alle miteinander verbunden sind, im Guten wie im Schlechten. Einen solchen Mikrokosmos zu entwerfen haben bereits Andere vor ihr gemacht (beispielsweise Juli Zeh in Unterleuten oder Raphaela Edelbauer in Das flüssige Land), doch nicht mit derart feinen Verflechtungen innerhalb eines sozialen Netzes und ebenso wenig mit diesem wundervoll schwarzhumorig-ironischen Tonfall.
    "Unserer Frau Balaskó hat sie gesagt, sie sucht nach Dunkelblumer Kriegsverbrechern, stell dir das vor, Kriegsverbrecher, bei uns! Das Mädel ist Anfang zwanzig, früher haben sich die jungen Leute für was anderes interessiert, für Tanzen und Flirten . . .".

    Auch wenn die Geschichte auf der des realen Ortes Rechnitz beruht, ist es keine Aufarbeitung der dortigen Geschehnisse. Es geht um den Umgang mit der Vergangenheit Jahrzehnte danach: Verdrängung, Rechtfertigung, Verleugnung ... Und was mit den Menschen geschehen ist und geschieht, wenn sich die Wahrheit ans Licht drängt. Ein grandioses Buch!

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  1. 5
    16. Okt 2021 

    Kollektives Schweigen

    Dunkelblum ist eine fiktive Kleinstadt im Burgenland, an der österreichisch-ungarischen Grenze. Hier brodelt es im Sommer 1989.
    Es beginnt damit, dass sich ein fremder Herr aus Boston im Hotel Tüffer einquartiert und unbequeme Fragen nach einem Massengrab stellt, in dem ermordete jüdische Zwangsarbeiter liegen sollen.
    Außerdem hat sich eine Gruppe Wiener Studenten - Hippies - im Ort eingefunden, um den alten, verwahrlosten jüdischen Friedhof zu restaurieren.
    Der örtliche Reisebüroleiter Rehberg, der sich als Hobbyhistoriker mit der Geschichte des Ortes beschäftigt, plant mit der umtriebigen, jungen Lehrerin Flocke ein Heimatmuseum. Nicht alle sind darüber begeistert. Gibt es doch Jahre, über die der Mantel des Schweigens gelegt wurde und keiner sollte ihn lüften.
    Im übrigen haben die Bürger momentan ganz andere Sorgen. Der noch amtierende, nun aber todkrank in der Klinik liegende Bürgermeister hat der Gemeinde einen Vertrag mit dem Wasserwerk eingebrockt. Dabei wollen einige, allen voran der Bauer Faludi, autark bleiben. Auf der Suche nach dem möglichen Standort eines Wasserturms wurde nun aber ein menschliches Skelett ausgegraben.
    Und große weltpolitische Geschehnisse machen auch vor Dunkelblum nicht Halt. Der Ostblock zerfällt, Flüchtlinge drängen sich an der ungarisch-österreichischen Grenze.

    Es sind sehr viele Handlungsstränge und ein großes Aufgebot an Figuren, die Eva Menasse hier gekonnt zusammenführt und die der Leser erst einmal im Blick behalten muss.
    Über allem liegt eine düstere Grundstimmung des Misstrauens und des Schweigens. Etwas Schreckliches muss damals geschehen sein, kurz vor Kriegsende. Doch die Alten, die davon wissen müssen, wollen nicht darüber reden oder verlieren sich in Andeutungen. Jeder hat seine ganz eigenen Gründe dafür.
    „ Man wünschte Gott, dass er nur in die Häuser sehen könnte und nicht in die Herzen.“ Die Autorin aber lässt den Leser tief in die Herzen und in die Köpfe der Dunkelblumer blicken. Nach und nach erschließen sich ihm die Geheimnisse, die Verbindungen, die Abhängigkeiten der Figuren. Und die meisten Fragen werden beantwortet:
    Welche Rolle spielte damals der heute noch hoch angesehene Alois Ferenz, der sich in einem Videointerview mit einer jungen Filmemacherin als unbelehrbarer Nazi entlarvt?
    Wer war Horka, der „ Schwarze Mann von Dunkelblum“, der Mann fürs Grobe?
    Wie wurde aus dem ehemaligen Dienstmädchen Resi die Wirtin des Hotels Tüffer?
    Was hat den Hotelgast nach Dunkelblum geführt?
    Eine Leerstelle im Roman bleiben aber die Geschehnisse in jener Nacht, als die Zwangsarbeiter ermordet wurden.
    Eva Menasse benennt die Täter und erzählt von den Opfern. Manche sind beides. Es sind schreckliche, grausame Geschichten, die hier zutage kommen, aber auch anrührende.
    Dabei bezieht sich die Autorin auf ein tatsächliches historisches Ereignis, das Massaker von Rechnitz. ( Österreichischen Lesern wird das ein Begriff sein, deutschen Lesern nun auch.) In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945, die Nacht auf Palmsonntag, wurden nach einem Fest auf Schloss Rechnitz an die 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordet und vergraben. Das Massengrab wurde bis heute nicht gefunden. Rechnitz war aber kein Einzelfall. Hier im Burgenland ließ die deutsche Wehrmacht kurz vor Kriegsende noch den sog. Südostwall als Schutz vor der heranrückenden Roten Armee errichten. Dazu wurden 30.000 ungarische Juden als Zwangsarbeiter verpflichtet. Ähnliche Verbrechen wie in Rechnitz gab es an ca. 120 Orten entlang des Walls.
    Dunkelblum steht stellvertretend nicht nur für Rechnitz, sondern für alle Orte, an denen es solche Massaker gab.
    Eva Menasse geht es in ihrem Roman aber nicht um das damalige Morden, sondern um das jahrzehntelange Schweigen darüber. Was macht so etwas mit den Menschen innerhalb einer Gemeinschaft? Wie lebt man weiter mit den eigenen Verstrickungen oder mit dem Wissen um die Taten anderer? Ist ein Zusammenleben nur möglich, wenn man verdrängt, vergisst?
    Die Autorin ist zu bewundern, wie souverän sie alle Fäden in der Hand hält und wie virtuos der Roman aufgebaut ist. Es gibt drei große Teile, mit jeweils 17 relativ kurzen Kapiteln. Die Gegenwartsebene im Jahr 1989 wechselt mit Rückblicken und Erinnerungen bis in die 1930er Jahre. Es gibt einen auktorialen Erzähler, der von einer Figur zur nächsten wechselt. Der Erzähler ( und somit der Leser ) weiß oftmals mehr als die jeweilige Figur.
    Anfangs stellt das Buch einige Anforderungen an den Lesenden. Es ist nicht leicht , den Überblick zu bewahren. ( Ein Personenregister wäre hilfreich gewesen, zusätzlich zum Stadtplan auf der Umschlagsinnenseite.) Doch mit der Zeit gewinnen die Figuren an Profil. (Man fühlt sich wie ein Zugezogener in dieser Kleinstadt, der nach und nach vertrauter wird mit den Bewohnern hier. ) Es sind nur wenige, die sich eindeutig in Gut und Böse einteilen lassen. Es sind zutiefst menschliche Personen , stimmig in ihrer Vielschichtigkeit.
    Was diesen Roman zu einer wahren Lesefreude macht, trotz des beklemmenden Themas, ist die Sprache der Autorin. Sie lehnt sich in der Satzstellung, im Rhythmus und in vielen Ausdrücken an ihrer österreichischen Muttersprache an. ( Im Anhang findet sich dazu ein Glossar der Austriazismen.). Das trägt zusätzlich zur Authentizität der erzählten Geschichte und der Personen bei. Auch der leicht humorige Unterton macht den Inhalt erträglicher . Dabei findet die Autorin großartige Bilder und Metaphern: „ In Dunkelblum haben die Mauern Ohren, die Blüten in den Gärten haben Augen, sie drehen ihre Köpfchen hierhin und dorthin, damit ihnen nichts entgeht, und das Gras registriert mit seinen Schnurrhaaren jeden Schritt.“
    „ Dunkelblum“ ist ein Roman, der eine Zweitlektüre erfordert. Erst dann werden sich alle Andeutungen und Bezüge so richtig erschließen.
    Eva Menasse ist eine wahre Meisterin ihrer Zunft. Sprach- und stilsicher, brillant komponiert, thematisch relevant ist „ Dunkelblum“ eines der herausragenden Romane in diesem Bücherherbst ( völlig unverständlich, warum es das Buch nicht auf die Longlist geschafft hat). Eine absolute Leseempfehlung!
    „ Die Gruppe ist stärker als ein einzelnes Gewissen, aber vielleicht ist es auch andersherum: Der große, aufrechte, komplexe Mensch, die Krone der Schöpfung, ist so entsetzlich schwach im Gegensatz zur Gruppe, wehrlos ist er, wie ein vom Baum gefallenes Blatt.“

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  1. Vergangen, vergessen - wieder auferstanden

    Dunkelblum ist eine kleine, österreichische Stadt an der Grenze zu Ungarn und wir schreiben das Schicksalsjahr 1989. Es könnte ein idyllischer Sommer sein, doch Unruhe macht sich breit. Nicht nur der Besucher, der aufgetaucht ist und Fragen stellt, oder die Studenten aus dem fernen Wien, die unaufgefordert beginnen den verwilderten jüdischen Friedhof freizulegen, sondern auch ein schwelendes Wasserbauprojekt, dass dem Interimsbürgermeister Ärger mit den Großbauern einbringt, lassen das Herannahen eines geschichtlichen Großereignisses in den Hintergrund treten. Hinter der Grenze sammeln sich DDR-Flüchtlinge und wollen über Österreich in die BRD.

    Flüchtlinge? Ja, mit Flüchtlingen hatte man es schon mal zu tun, damals, als das Österreich-Ungarische Reich zerplatzte und die Menschen sich entscheiden mussten, auf welche Seite sie gehörten. Darüber sprechen die Alten in Dunkelblum noch und denken mit Wehmut an das Schloss, dass ihre Stadt einst zierte und sie mit Bedeutung füllte. Aber alles was danach kam, warum das Schloss abbrannte, dass es nicht nur Flüchtende, sondern auch Zwangsarbeiter gab, die den Verteidigungswall gegen die Russen bauen sollten, daran wollen sie nicht erinnert werden. Jeder hat da so seine eigene Wahrheit, aber vor allem seine eigenen Geheimnisse, wie sie ihre Geschicke gelenkt haben, oder ihnen der Zufall wohlgesonnen war, wenn das von jüdischen Besitzern eiligts verlassene Hotel in den eigenen Besitz überging, einfach so.

    Aber nun wird an allen Ecken gerüttelt und der Streit mit der Wasserbehörde verlangt nach einer Erklärung, warum man nicht die eigenen Wiesen aufbuddeln sollte. Immerhin wird eine Leiche gefunden, unvollständig. Die fehlenden Puzzleteile tauchen in den Dunkelblumer Stuben auf, dafür gibt es andere Stücke, die der Leiche eine flasche Identität geben. Warum?

    Eva Menasse erschafft mit ihrem Roman Dunkelblum ein Kaleidoskop einer Stadt, die nur den äußeren Anschein der Verschlafenheit erweckt. Sie lässt jeden einzelnen Dunkelblumer antreten und sich in die Angelegenheiten verstricken, die sich alle zur gleichen Zeit kumulieren. Der eine versucht seine Vergangenheit zu finden, andere tappen ahnungslos in den Sumpf einer Geschichtsdokumentation über die Stadt, wieder andere legen Grabmäler frei, die sogleich beschmiert werden und die latente Gesinnung der Mitbürger offenbaren. Und dann verschwindet auch noch ein junges Mädchen.

    Eva Menasse trägt mit ihrem atmosphärisch dichten Roman zur Erinnerungskultur unserer Nachbarn bei und erzählt eine, in ihren Grundzügen wahren Geschichte von der Suche nach Massengräbern von Zwangsarbeitern, die man aushalten muss, mit der man sich aber auch versöhnen kann, weil endlich erzählt wird, was lange tabu war. Weil vieles, was in Dunkelblum geschah, so, oder so ähnlich, tausendfach geschah und niemand mit dem Finger auf andere zeigen kann. Und man hält es aus, weil Menasse eine talentierte Erzählerin ist, die keinen ihrer Protagonisten vergisst, keine Handlung versanden lässt und kleine Überraschungen für den aufmerksamen Leser im Text bereithält. Sie hat mich mit ihrer Schreibkunst überzeugt und ist in meinen persönlichen Olymp der Lieblingsschriftstellerinnen aufgestiegen.

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  1. Ein sehr geistreiches und wichtiges Werk

    Ein sehr geistreiches und wichtiges Werk

    1989, ein kleines Städtchen namens Dunkelblum, dient als fiktive Vorlage um über das Massaker in Rechnitz zu berichten, dass während des Naziregimes 1945 an jüdischen Zwangsarbeitern verübt wurde.
    Eva Menasse zeigt anhand des Verhaltens der Bewohner wie leicht es ist, solche dunklen Taten zu vergessen, sie soweit zu verdrängen, als ob nichts geschehen wäre.

    Das Werk bietet dem Leser eine enorme Anzahl an Personen, die ebenso vielen kleinen Geschichten aufwarten. Geschichten, die erst nach und nach zusammenfließen und ihre Wichtigkeit enthüllen. Gerade zu Beginn der Lektüre beschleicht einen direkt das Gefühl, dass jeder im Dorf etwas zu verheimlichen hat. Dadurch wird eine Atmosphäre aufgebaut, die sich nur schwer beschreiben lässt. Bei mir löste es zum einen aus, dass ich auf der Hut war, zum anderen traute ich erstmal keinem über den Weg.
    Als ich dann nach und nach alle Bewohner von Dunkelblum näher kannte, sie besser zuordnen konnte, passierte gleichzeitig mehr. Die Andeutungen verdichteten sich, es gab konkretere Vermutungen worin das Geheimnis des Städtchens liegen könnte.
    Als sich die Überlegung zu einer Grabung auf einer nahegelegenen Wiese immer mehr verdichtete und eine Leiche ausgegraben wurde, hatte ich meinen roten Faden.
    Doch dieser rote Faden wurde von Frau Menasse erst über viele Umwege entknotet.
    Ich werde hier bewusst nicht die einzelnen Personen vorstellen, damit ließe sich wahrscheinlich in einer Rezension schlecht etwas anfangen. Aber sie sind es trotzdem, die die Geschichte tragen, denn mir wurde klar, dass auch schweigen sehr aussagekräftig sein kann. So aussagekräftig, dass diese Stadt es über Jahre tatsächlich geschafft hat, ein schlimmes Ereignis auszuradieren. Es war soweit hinten in den Köpfen der älteren Bewohner verborgen, dass die Jungen gar nicht mehr auf die Idee kamen es anzurühren, auch wenn die Hinweise auf der Hand lagen.
    Erst als ein Mann in die Stadt kommt, der lange Zeit nicht dort war, und viel Leid aus eben diesem verborgenen Winkel aufzuarbeiten hat, und eine Dunkelblumerin, die eher forsch veranlagt ist die richtigen Fragen stellt, kommt alles ins Rollen.

    Diese Geschichte hat mich komplett überzeugt. Der Sprachstil der Autorin ist wunderbar. Die Idee, eine Stadt und ihre Bewohner als Schauplatz gegen das Vergessen zu rüsten, in meinen Augen genial. Die Komplexität ist enorm, und ich habe immer noch das Gefühl, dass sich mir manche kleinere Anekdoten und Zusammenhänge entgangen sind. Wenn Sie dieses Buch lesen sollten, was ich Ihnen nur ans Herz legen möchte, ein kleiner Tipp! Alles hier ist wichtig, auch wenn es noch so banal erscheinen mag. Eine nicht funktionierende Ladenklingel kann mehr sein als nur ein defektes Gerät.

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  1. Das tosende Dunkelblumer Schweigen

    Es passiert einiges 1989, was die Bewohner von Dunkelblum beunruhigt. Sie hatten schon immer ihre Probleme mit den Drüberen und nun sammeln sich erneut hinter der Grenze Flüchtlinge. Außerdem taucht ein Fremder auf, der überall Fragen stellt, und dann gibt es noch die Differenzen zum Thema Wasserversorgung. Zu allem Übel kommen dann noch junge Menschen, die den verschlossenen und verwahrlosten „dritten Friedhof“ in Ordnung bringen wollen. Die Bewohner von Dunkelblum waren in stiller Übereinkunft davon ausgegangen, dass niemand an der Vergangenheit rührt, doch nun kommen die Erinnerungen hoch.
    Dunkelblum ist ein fiktiver Ort mit fiktiven Bewohnern, der in der Nähe zur ungarischen Grenze angesiedelt ist, genau in dem Teil des Burgenlandes, wo sich in den letzten Kriegstagen das Massaker von Rechnitz zugetragen hat.
    Eva Menasse hat es mir am Anfang nicht leicht gemacht mit ihrem Roman, denn es gibt reichlich Personen und sie springt zwischen den Personen und den Zeiten hin und her. Es taten sich unzählige Fragen auf und sobald sich eine beantwortet hatte, gab es weitere Fragen. Doch je länger ich gelesen habe, umso mehr konnte sie und die Dunkelblumer mich packen. Die Autorin fabuliert mit Lust und legt so viele Fäden aus, dass man sich wundert, wie daraus am Ende etwas Ganzes entstehen kann. Doch diese Zweifel sind nicht angebracht, denn der Autorin gelingt es vorzüglich diese losen Fäden zu verknüpfen.
    Die Figuren sind sehr gut und facettenreich gezeichnet. Auch wenn die Dunkelblumer nicht unbedingt sympathisch sind, so sind sie doch menschlich, denn jeder hat wohl seine hellen und seine dunklen Seiten. Die, welche die Vergangenheit miterlebt haben, sind wahre Meister im Verdrängen, Vergessen und Vertuschen. Dabei wissen nicht alle, was da wirklich geschehen ist, das wissen laut Eva Menasse nur „alle Beteiligten gemeinsam“. Doch ihnen allen ist gemein, dass sie an der Vergangenheit nicht rühren wollen. Gleichwohl erfahren wir Leser, was geschehen ist, wie man sich schuldig gemacht oder weggesehen hat, wie man eingesteckt und ausgeteilt hat, wie dies so zurechtgerückt wurde, dass das Leben weitergehen konnte, als sei nichts geschehen.
    Die Atmosphäre in Dunkelblum ist ziemlich düster und die Geheimnisse sind es auch.
    Ich bin froh, dass mich meine Anfangsschwierigkeiten mit „Dunkelblum“ nicht abgeschreckt haben, denn dieser Roman ist wirklich ein Highlight und er schreit förmlich danach, nochmal gelesen zu werden, weil es in dieser komplexen Geschichte sicherlich noch einiges zu entdecken gibt.

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  1. "Gott hat es zusammen mit dem Teufel gebaut zur Mahnung" (9)

    Eine dunkle Welt offenbart sich den Leser*innen zu Beginn des Romans. "Dunkelblum", der Name ist Programm, denn in dem Dorf im Burgenland, das ganz nahe an der ungarischen Grenze liegt, verbirgt sich ein Geheimnis aus der NS-Zeit.

    "Das, was nicht allseits bekannt ist, regiert wie ein Fluch." (9)

    Der Roman wartet mit einer Fülle von Figuren auf, die man erstmal überblicken muss:
    Die Grafen und die alte Gräfin, die längst verschwunden sind, nachdem ihr Schloss zerstört und abgebrannt ist.

    "Seit die Grafen ihre Gruft vier- und damit ihren Exodus besiegelt hatten, war die Zeit im Grunde stehengeblieben." (12)

    Vor allem bei den Alten, die den Krieg noch mit erlebt haben, allen voran der Alt-Nazi Dr. Alois Ferbenz, der mit den Heuraffl-Brüdern, mit Bernecker, dem geflickten Schurl und dem jungen Graun jeden Tag im heruntergekommenen Hotel Tüffer trinkt, das die Reschen Resi von der jüdischen Familie übernommen hat, als diese den Ort verlassen musste.

    "Die Geschichten des Ortes sedimentierten in der alten Frau Reschen wie in einer unzugänglichen Mine. Was sie aufnahm, blieb drin, es wurde dort handlich und glänzend und von ihr gelegentlich in Ruhe betrachtet." (164)

    Da gibt es Antol Grün, den Greißler (=kleiner Lebensmittelhändler), der von Ängsten geplagt wird und der den Fremden, der seit kurzem im Hotel wohnt, überall Fragen stellt und Holzkästl mit sich führt, noch von früher kennt. Der Fremde will, dass die Toten bestattet werden können und die ewige Ruhe haben.
    Welche Toten? Wer ist der Fremde? Woher kennt Antol ihn?

    Während des Lesens werden zahlreiche Fragen aufgeworfen, unablässig stellt man Hypothesen auf, um sie zu verwerfen oder sie bestätigt zu sehen. Es ist ein sehr aktiver Leseprozess, der fordert, gleichzeitig aber auch einen Sog erzeugt, weil man hinter die Geheimnisse dieses Ortes und die der Menschen blicken möchte.
    Mit dem Fremden trifft gleichzeitig Lowetz wieder in Dunkelblum ein, dessen Eltern gestorben sind und der entscheiden muss, was mit seinem Elternhaus geschieht. Seine Mutter ist von drüben, eine Ungarin, und das Haus liegt im alten Teil von Dunkelblum, das
    "war eine Welt für sich, unübersichtlich, labyrinthisch, im Sommer lauschig und kühl. Man konnte ihn als unheimlich empfinden, wie einen traumhaften Irrgarten, imstande, einen zu verschlingen, aber eben so sehr als Zuflucht, wo niemand einen finden konnte, der nicht von hier war." (32)

    Lowetz Haus steht neben dem von Fritz, der im Endkampf um Dunkelblum verletzt wurde, und dessen Mutter Agnes 1956 wahnsinnig geworden ist, vom „Ungeheuer“, das sich wieder regte. Und wieder erwacht der mörderische Lindwurm aus seinem Dornröschenschlaf, denn an der Grenze warten Menschen aus der DDR, die in den Westen wollen, im Sommer 1989.

    Zudem arbeiten plötzlich junge Leute auf dem jüdischen Friedhof von Dunkelblum, dessen Existenz man gerne vergessen würden. Ein Störfaktor ist auch Flocke, die jüngste Tochter vom Malnitz, die auf einer Gemeinderatssitzung dem designierten, überforderten Bürgermeister Koreny vorschlägt ein Grenzmuseum zu eröffnen. Eine Rolle spielt der Reiseunternehmer Rehberg, der von Ferbenz Leuten in der Vergangenheit tyrannisiert wurde und an einer Ortschronik schreibt. Geholfen hat ihm dabei Lowetz Mutter, die plötzlich verstorben ist. Ein Zufall? Und wo sind die Unterlagen, die sie gesichtet hat?

    Man hat das Gefühl alles hängt mit allem zusammen und wie ein Spinnennetz ziehen sich die Abhängigkeiten durch Dunkelblum. Auch die, die dieses Geflecht teilweise durchschauen oder etwas wissen wie die alte Graun bleiben stumm.

    "Sie stimmte in das tosende Dunkelblumer Schweigen mit ein." (255)
    "Sie hatte sich damals nicht getraut. Sie wollte nicht die Einzige sein. Sie kannte die Machtverhältnisse, alle kannten sie." (249)

    Eine mächtige Figur der Vergangenheit ist Horka, einst die rechte Hand des Dr. Ferbenz.
    "Der Horka war der Schwarze Mann von Dunkelblum" (74), er steht stellvertretend dafür, dass die Verbrechen nach dem Kriegsende nicht abrupt geendet haben.

    "Die bösen Nazis brachten weiterhin ungestört die guten Nazis um und alle möglichen anderen auch. Allein im ersten Jahr nach Kriegsende waren es mindestens drei Morde, der Radfahrer in den Weingärten, eine Schießerei an der Grenze, bei der offenbar ein missliebiger Zeuge umgebracht worden war." (250)

    Die metaphorische Sprache, die Anspielungen, die geheimnisvollen Andeutungen, die düstere Atmosphäre verführen von Beginn an weiterzulesen und fast glaubt man, man habe einen Krimi vor sich. Doch Menasse geht es weniger darum, das Geheimnis dieses Ortes öffentlich aufzudecken, ein Ort, der tatsächlich an der ungarischen Grenze existiert und in der sich ein schreckliches Verbrechen zugetragen hat.
    Ihr geht es um die Psychologie der Menschen, die bereit sind, dieses Geheimnis zu bewahren, die Machtstrukturen akzeptieren, es dulden und gutheißen, dass die Nazi-Schergen auch nach dem Krieg weiterhin ihr Unwesen treiben können und größtenteils unbehelligt bleiben.

    "Dunkelblum" muss man zweimal lesen, um alle Bezüge und Hinweise zu entschlüsseln. Beeindruckend, wie Menasse alle Fäden in der Hand hält und mutig, letztlich nicht alles eindeutig aufzuklären und einige Fragen in der Schwebe zu lassen. So ist man als Leser*in selbst gefordert, die Leerstellen zu füllen.

    Ein Roman, der einen so schnell nicht loslässt und den ich uneingeschränkt weiter empfehlen kann.

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  1. Lebendiges Diorama von der Grenze

    "Die ganze Wahrheit wird, wie der Name schon sagt, von allen Beteiligten gemeinsam gewusst. Deshalb kriegt man sie nachher nie mehr richtig zusammen. Denn von jenen, die ein Stück von ihr besessen haben, sind dann immer gleich ein paar schon tot. Oder sie lügen, oder sie haben ein schlechtes Gedächtnis."

    Dunkelblum ist eine fiktive Kleinstadt im österreichischen Burgenland, nahe der ungarischen Grenze. Durch diese Grenznähe hat der Ort seit jeher eine bewegte Vergangenheit. "Drüben" nennt man Ungarn, "drüberisch" die Sprache, die viele Dunkelblumer noch beherrschen, obwohl sie seit Jahren unpopulär geworden ist. Wir befinden uns im Jahr 1989, die Grenze zum Ostblock beginnt durchlässig zu werden, die Öffnung zeichnet sich ab. Es gibt ein Grafenschloss in Dunkelblum, das längst abgebrannt ist, nur ein Turm und die Gruft stehen noch, die Grafenfamilie kommt selten zu Besuch vorbei. Es gibt drei Friedhöfe, darunter einen vergessenen und vernachlässigten jüdischen, der von einigen Studenten aus der Hauptstadt wieder in Ordnung gebracht werden soll. Ein Fremder kommt mit dem Zug angereist, um zwei alte Frauen aufzusuchen, die er von früher kennt - und um vergessene Gräber zu finden. Und der junge Lowetz, der schon lange aus Dunkelblum abgehauen ist, kommt zurück, um das Haus seiner verstorbenen Mutter auszuräumen. Es passiert vieles gleichzeitig, was die Vergangenheit des kleinen Ortes aufrührt.

    Die Autorin stellt nicht geringe Anforderungen an die Leserschaft. Das Personal ist unübersichtlich, eine Menge Namen tauchen auf. In mehr oder weniger ungeordneten Zeitsprüngen wird die Vergangenheit des Ortes miterzählt. Die den aktuellen Dunkelblumern vorhergehende Generation vermehrt die Personenliste noch. Eine große Anzahl von Einzelschicksalen wird ausgebreitet. Es ist bewundernswert, wie Eva Menasse alle Fäden ihrer Erzählung straff und kontrolliert in der Hand hält, aber jene Fäden bilden ein vielfach verfitztes buntes Knäuel. Zum Glück ist Frau Menasses Stil leicht, treffend und von trockenem Humor. Jede der handelnden Personen tritt mit ihren Eigenarten plastisch hervor, ist einfühlsam charakterisiert, so dass jeder sein Gesicht bekommt. Motoren des Geschehens sind vor allem der junge Lowetz, der nach den Papieren seiner toten Muttere Eszter sucht, eine "goscherte", d.h. vorlaute jüngste Tochter eines ansässigen Weinbauern namens Flocke Melnitz, der Ladeninhaber Antal Grün, der wegen seiner jüdischen Herkunft aus Dunkelblum vertrieben wurde und zurückkehrte, um den Laden seiner Mutter wieder zu öffnen, und der wenig beliebte und vom Leben enttäuschte Reisebüroinhaber Rehberg, der Vergangenheitsforschung betreibt.

    In immer neuen und bewegten Szenen schält die Autorin die Vergangenheit nach und nach ab wie die Schalen einer Zwiebel. Es ist bewundernswert, welche Vielzahl an Einzelereignissen (die dann doch wieder alle zusammenhängen) sie auffächert und mit neu geschaffenen Verbindungen immer wieder neu beleuchtet. Unter den vielen Verbrechen der Jahre vor Kriegsende gibt es eines, das einer großen Feier im Grafenschloss folgte und von dem alle damals lebenden Dunkelblumer wissen, das aber beharrlich vertuscht werden soll, und diese Vertuschung zieht immer neue Übeltaten nach sich bis in die Gegenwart der achtziger Jahre. Der große erleichternde Knall, der nach Krimiart alles auflöst, bleibt aus. "Das ist nicht das Ende der Geschichte" stellt die Autorin im letzten Kapitel fest. Es ist eine interessante Eigenart dieses Romans, dass am Ende die Leser mehr wissen als die Personen - eben deshalb, weil, wie Menasse schreibt, die "ganze Wahrheit" immer von vielen Beteiligten gemeinsam gewusst wird, und jeder weiß nur ein Stück von ihr.

    "Dunkelblum" ist ein Buch, das gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Natürlich ist es, muss man feststellen, das x-te Vergangenheitsbewältigungbuch. Das aber auf eine Art und Weise frisch und neu geschrieben ist, wie man es nicht kennt. Obwohl es von finsteren Zeiten handelt, von Verbrechen und Vertuschen übelster Sorte, ist "Dunkelblum" kein schwieriges und bedrückendes Buch. Bringt man die nötige Aufmerksamkeit beim Lesen mit, ist es sogar - in bestem Sinne - unterhaltsam, weil die Autorin mit stilistischer Anmut und Feinheit das Dunkle und Schwere der Handlung mildert. Es gibt in Dunkelblum Verbrecher und Unbelehrbare, Mittäter und Mitläufer, Mitwisser und - immer noch - Opfer. Doch unter den Hauptpersonen gibt es nur wenige, für die man nicht irgendwie Verständnis aufbringen könnte, so menschlich und humorvoll schildert die Autorin ihre Eigenheiten und Schicksale. Ganz, ganz große Erzählkunst in einem unbedingt preiswürdigen Buch. Ich würde gern sechs von fünf Punkten geben!

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  1. Eine jahrzehntelange Verschwörung des Grauens

    „In Dunkelblum haben die Mauern Ohren, die Blüten in den Gärten haben Augen, sie drehen ihre Köpfchen hierhin und dorthin, damit ihnen nichts entgeht, und das Gras registriert mit seinen Schnurrhaaren jeden Schritt.“

    Schon mit diesem ersten Satz wird die Atmosphäre in der fiktiven Kleinstadt Dunkelblum sehr gut umrissen, einem Ort, der im Burgenland direkt an der ungarischen Grenze liegt. Dieser Grenze, die den Ort seit Jahrzehnten isoliert, wird Ende August 1989 wieder Leben eingehaucht. Der eiserne Vorhang bröckelt, zunächst kommen nur einzelne DDR-Flüchtlinge, später strömen die Trabbis hindurch gen Westen. Während sich also Weltgeschichte in Dunkelblum ereignet, wird der Ort zur gleichen Zeit mit seiner lange zurückliegenden Vergangenheit konfrontiert.

    Dunkelblum ist ein Mikrokosmos. Nicht nur der Name klingt düster. Von Beginn an ist klar, dass hier etwas Schlimmes geschehen ist, was weitere Akte von Misstrauen, Unrecht und Intrigen nach sich zog. Alles beginnt damit, dass nach Wasseradern für die örtliche Wasserversorgung gesucht wird und dabei die Überreste einer vor mindestens 40 Jahren getöteten Person zutage treten. Das weckt Erinnerungen im Dorf. Bereits seit Längerem gibt es Pläne, ein kleines Heimatmuseum zu gründen, wofür schon Dokumente, Erinnerungen und Ausstellungsstücke gesammelt wurden. Nicht jeder Bewohner befürwortet dieses Projekt, es existiert sogar offener Widerstand dagegen. Gerüchte gibt es genug. Nun kommt auch noch ein Fremder in den Ort, der ebenfalls unbequeme Fragen stellt und sich für verschwundene Juden sowie den seit Jahrzehnten verwahrlosten jüdischen Friedhof interessiert, in dem zu allem Überfluss neuerdings junge Leute aus der Stadt arbeiten und Grabsteine freilegen, um „die unendlich langsame Zerstörungskraft der Vegetation“ zu stoppen. Dazu kehrt auch noch ein Sohn nach langer Zeit Heim - eigentlich um das Elternhaus zu verkaufen, aber dann entwickelt sich für ihn doch alles ganz anders.

    All diese Entwicklungen rühren an den Grundfesten der Dorfbewohner. Es gibt eine Allianz der Alten, der Wissenden, die sich in einem einig sind, nämlich dass man über bestimmte Ereignisse, die sich rund um das Kriegsende 1945 und darüber hinaus zugetragen haben, den Mund halten muss. Zahlreiche Andeutungen legen nahe, dass damals eine Massenerschießung von jüdischen und unliebsamen Zwangsarbeitern stattgefunden haben muss. Wer ist dafür verantwortlich, wer ist dahinein verstrickt, wen trifft die Schuld, wen belastet vielleicht sein Gewissen? Gab es in Folge sogar Vergeltungsmaßnahmen, um Mitwisser zum Schweigen zu bringen?

    Eva Menasse entfaltet eine finster-spannende Atmosphäre, führt den Leser zurück in die Kriegs- und Nachkriegsjahre. Sie erzählt von jüdischen Familien, die den Ort auf verschiedene Art verlassen haben und ihre Habe zurücklassen mussten, sie erzählt von Nazis und Mitläufern, von Tätern und Opfern, sie entrollt tragische Familienschicksale voller Vertreibung, Leid, Trennung und Tod, sie lässt das Kriegsende mit dem barbarischen Einfall der russischen Armee nicht aus.

    Am Anfang fühlt man sich angesichts der vielen Figuren noch leicht überfordert. Dieses Gefühl lichtet sich jedoch schnell. Die Haupt- und Nebencharaktere werden mit (Lebens-) Geschichten gefüllt, wodurch sie sich leichter einprägen lassen. Eins kommt zum anderen. Der Roman gleicht einem vielschichtigen, ineinandergreifenden Puzzlespiel. Es tauchen immer mehr Fakten, Vermutungen und Erinnerungen auf, die sich langsam zu stimmigen Bildern zusammensetzen. Nichts geschieht zufällig, alles hat Kalkül. Dabei geht es am Ende nicht mehr primär um das Massaker selbst, sondern vielmehr um die Konsequenzen, die sich daraus ergeben haben.

    Trotz des grundernsten Themas ist es ein Genuss, diesen Roman zu lesen. Es ist Eva Menasse gelungen, zutiefst menschliche Charaktere zu erschaffen. Die wenigsten sind schwarz oder weiß, sondern haben viele Facetten. Auch die Täter haben ihre ureigenen Beweggründe für das (amoralische) Verhalten, sie kommen zu Wort, dürfen sich rechtfertigen. Der Leser darf ihnen in die Seele schauen, er ist bei wesentlichen Gesprächen und Ereignissen dabei, darf wie die zu Anfang zitierten Blüten und Gräser hören, sehen und empfinden. Die Autorin beschreibt ihr Dunkelblum teilweise auch mit trockenem, bitter-subtilem Humor, das Lachen darüber bleibt zumeist aber im Halse stecken. Es gibt eine wertende, allwissende Erzählinstanz, die die Figuren samt ihrer Geheimnisse kennt. Als Leser nimmt man großen Anteil an den Geschehnissen in turbulenten Zeiten. Man verurteilt die massive Wand aus Verdrängen, Lügen und Schweigen, freut sich über deren Aufweichung durch die engagierte junge Generation.

    Die stilistische Raffinesse kann man gar nicht genug rühmen. Nicht nur inhaltlich ist dieser Roman so perfekt komponiert und strukturiert, dass sich die ausgelegten Fäden zum Ende finden und gekonnt verzahnen. Auch sprachlich ist Dunkelblum ein großer Wurf. Es gibt eindrückliche Sprachbilder, fantasievolle Wortkreationen und tiefgängige Formulierungen zu entdecken. Menasse ist eine Geschichtenerzählerin erster Güte, eine wahre Wortakrobatin. Der Roman ist in österreichischem Sprachduktus verfasst, teilweise auch mundartlich, immer zur jeweiligen Figur passend. Im Anhang findet man ein siebenseitiges Glossar der Austriazismen, das man jedoch nur vereinzelt wirklich braucht, vieles erschließt sich von selbst.

    Für mich ist Dunkelblum ein 6-Sterne-Buch, dem ich riesigen Erfolg wünsche. Es setzt sich gekonnt mit der österreichischen Verdrängungsgeschichte auseinander, beleuchtet viele persönliche Schicksale und hat reale Vorbilder. Das Vergangene kontrastiert dabei eindrucksvoll mit der Gegenwartshandlung von 1989. Der Roman ist auf eine beeindruckende Weise hochkomplex und verträgt auch eine wiederholte Lektüre.

    Ein Highlight des Jahres! Dringende Lese-Empfehlung!

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  1. Die Geschichte von Dunkelblum

    Kurzmeinung: Dicke Leseempfehlung! Mein Lesehighlight 2021.

    Im Zweiten Weltkrieg gab es auch in Dunkelblum jüdische Zwangsarbeiter. Diese sind wie durch Zauberhand verschwunden. Wo sind ihre Leichen verscharrt? Die alten Dunkelblumer wissen Bescheid. Aber keiner machts Maul auf. Trotzdem kommen eines Tages Einzelheiten ans Licht und versetzen die Alten in Angst und Schrecken. Was wird noch heraus kommen? Besonders die Rotensteinwiese ist ein heißes Pflaster. Der Bürgermeister wird angewiesen, er möge Grabungen und Bebauungen dort unbedingt verhindern.

    In dem oberflächlich betrachtet beschaulichen Dorf brodelt es unter der Oberfläche. Gerüchte. Alte Gschichten. Ungeklärtes Verschwinden Missliebiger. Schlecht vertuschte Strafaktionen. Von der NSZeit spricht man kryptisch. Man ist homophob, antisemitisch bis in die Knochen und xenophob bis ins Mark. Da kommt eine Jugendgruppe ins Dorf, die den jüdischen Friedhof renoviert. Jahrzehntelang hat niemand mehr diesen „dritten Friedhof“ betreten. Und nun stehen dessen Tore plötzlich offen und die Existenz dieser toten Juden sickert wieder ins öffentliche Bewusstsein. Und im Wasserstreit drohen Bohrungen. Und wo? Auf der Rotensteinwiese. Ausgerechnet. Um Himmels Willen!

    Der Kommentar:
    In ihrem neuen (2021) Roman „Dunkelblum“ schreibt Eva Menasse gegen die österreichische Geschichtsvergessenheit an. Eigentlich gegen die österreichische Geschichtsverdrängung bezüglich der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Das hat auch Raphaela Edlelbauer in ihrem Roman „Das flüssige Land“ gemacht, der Roman schaffte es auf die Long/Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019. Wo auch Eva Menasses Roman „Dunkelblum“ 2021 hingehört hätte! Warum stehen dort eher alberne Titel wie Identitti, Drei Kameradinnen und Die Nibelungen?

    Welchen der beiden vorgenannten Romane man vorzieht, „Dunkelblum“ oder „Das flüssige Land“, um noch einmal in die Hintergründe der Gräuel des Zweiten Weltkrieges einzusteigen, ist eindeutig Geschmacksache. Für mich ist Edelbauers Roman zu kafkaesk und zu unbestimmt geblieben, geisterhaft sogar, ich brauche etwas Handfesteres. Ich mag deshalb ungleich mehr, was Eva Menasse macht: Sie verortet ihren Roman mutig im Realen! Zwar nennt sie keinen Klarnamen, aber wer sich eine Karte vornimmt, identifiziert Ross und Reiter schnell.

    Fazit: Geschichtsaufarbeitung auf höchstem Niveau. Eva Menasse ist eine große Erzählerin, die alles kann: Eine Sprachvirtuosin und Komponistin ohnegleichen. Ich empfehle diesen Roman von ganzem Herzen. Mein Lesehighligt 2021!

    Kategorie: Belletristik. Historischer Roman.
    Verlag: KiWi, 2021

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Sieben Helden für Penelope

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Rezensionen zu "Sieben Helden für Penelope"

  1. Jeder braucht einen Helden

    "In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden." (Joh. 16,33)
    Texas 1892:
    Die als Waise aufgewachsene Penelope erhält bei der Schauspielerin Narcissa LaBelle eine Anstellung. Mit ihr und einer Schauspieltruppe bereisen sie das Land. Um nicht bei den Männern aufzufallen, versteckt sich Penelope unter einfachen, farblosen Kleidern. Doch dann passiert eines Tages doch ein Missgeschick, bei dem Penelope durch ihre Schönheit die Aufmerksamkeit von Mr. Billings erlangt. In Madame LaBelles Eifersucht beschließt sie, Penelope von ihrem Helfer töten zu lassen. Doch statt sie zu töten, setzt Mr. Hunt sie in der Wildnis aus, wo sie wenig später durch Zufall vom Texas Ranger Titus Kingsley gerettet wird. Kurzerhand bringt er die schwache junge Frau zu seinem Großvater auf die Diamond D Ranch. Umgeben von sieben freundlichen Großvätern wird Penelope wieder aufgepäppelt und kann sich wieder am Leben freuen. Noch ahnt sie nicht, dass ihre Widersacherin auf der Suche nach ihr ist.

    Meine Meinung:
    Das strahlende Cover mit dem gelben Rock passt gut zum Inhalt der Geschichte. Es ist eine schwere Zeit, in der Penelope lebt, besonders wenn man als Waisenkind aufgewachsen ist und keinerlei Familie hat. Die Arbeit bei Madame LaBelle ist sicher nicht das, was Penelope erwartet hat. Doch sie ist froh, überhaupt eine Anstellung zu haben. Niemand ahnt, dass Madame LaBelle neben ihrer Schauspielerei über noch weitere Talente verfügt, um dabei reiche Verehrer auszunehmen. Penelope hingegen versucht ihre Schönheit unter einfachen Kleidern zu verbergen, um ja nicht bei den Männern aufzufallen. Wäre da nicht dieser eine Moment, als sie dem netten Texas Ranger mit seinem verletzten Hund begegnet. Doch dann ist sie Schneiderin Mildred beim Ändern eines Kleides für die Madame behilflich und das Unheil nimmt seinen Lauf. Der warmherzige Liebesroman spielt mitten mit Wilden Westen und hat Ähnlichkeiten mit dem Märchen "Schneewittchen und die sieben Zwerge"von den Gebrüdern Grimm. Nur diesmal sind es keine sieben Zwerge, sondern sieben freundliche Großväter, die ihren Lebensabend auf der Diamond D Ranch fristen. Titus Großvater, der nach einem schweren Schicksalsschlag seinen Doktorberuf an den Nagel gehängt hat, erwirbt diese Ranch für seinen Lebensabend. Er konnte ja nicht ahnen, dass immer mehr ehemalige Viehtreiber eine Bleibe bei ihm suchen, bis das Haus mit sieben Personen voll war. Inzwischen hat jeder einzelne dieser Großväter, der seine ganz eigene Geschichte mitbringt, seinen individuellen Job auf der Ranch. Da ist so eine junge Schönheit wie Penelope, ein wirklicher Sonnenstrahl und eine Überraschung für diese Männer. Während Ranger Titus seiner Arbeit nachgeht und eine Diebesserie aufklären soll, ahnt er nicht, in welcher Gefahr die Großväter und vor allem Penelope schweben. Die individuellen, unterschiedlichen Charaktere der Großväter sind hier sehr gut ausgearbeitet. Zusammen mit der zurückhaltenden, lebenslustigen und freundlichen Penelope ergibt es eine geniale Gemeinschaft. Nicht nur das Setting gefällt mir, sondern außerdem der Glaube, der für viele der Großväter genauso so wichtig ist wie für Penelope und Titus. Gleichwohl schwärmt sie für den fürsorglichen, kühnen Ranger, dessen Herz für Tiere schlägt und gleichzeitig so verschlossen gegenüber Frauen ist. Madame LaBelle dagegen ist eine eifersüchtige, frustrierte, falsche Schlange, die Männer um den Finger wickelt oder ausnutzt. Wer gerne einmal Schneewittchen in einem neuen Kostüm mitten im Wilden Westen erleben möchte, der ist bei diesem Buch goldrichtig. Die Herzlichkeit Penelopes und dieser besonderen Großväter hat es mir besonders angetan und erzählt dieses alte Märchen ganz neue Weise und von mir gibt es dafür 5 von 5 Sterne.

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Tödlicher Duft

Buchseite und Rezensionen zu 'Tödlicher Duft' von René Anour
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Tödlicher Duft"

Das sonst so verschlafene Grasse ist in Aufruhr: Eric Sentir, Erfinder betörender Düfte für den renommierten Parfümeur Fragonard, wird tot aufgefunden. Seine Leiche schwimmt in einem Bottich seiner eigenen Kreation, inmitten blutroter Kamelienblüten. Und das ausgerechnet sonntags, wenn Louis Campanard sich in Ruhe seinem Lavendelgarten widmen möchte. Der erfahrene Commissaire beschließt, die Polizeipsychologin Linda Delacours aus Paris zu holen und undercover in die geheimnisvolle Welt der Duftkreation einzuschleusen. Um den Fall aufzuklären, müssen die beiden ihr ganzes Können aufwenden – und geraten dabei selbst ins Visier des Täters.

Autor:
Format:Broschiert
Seiten:400
Verlag: Heyne Verlag
EAN:9783453428805
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Rezensionen zu "Tödlicher Duft"

  1. Ein unschlagbares Team

    In der berühmten Parfümerie Fragonard wird der „König der Düfte“ Eric Sentir tot aufgefunden. Seine Leiche schwimmt in einem Bottich mit blutroten Kamelien Blüten. Commissaire Louis Campanard übernimmt mit Hilfe des jungen Polizisten Pierre Olivier die Ermittlungen. Um in die geheimnisvolle Welt der Düfte abtauchen zu können, holt sich Campanard Unterstützung durch die Polizeipsychologin Linda Delacours, die sich Undercover auf die Suche nach dem Mörder machen soll. Wird dieses Ermittlertrio den Täter stellen können?

    Tödlicher Duft ist der erste Teil von Renè Anour’s Provence-Krimireihe. Der Autor entführt uns in das beschauliche französische Städtchen Grasse und verwöhnt den Leser mit einer malerischen Kulisse.

    Die Ermittlungen wurden mit einem fesselnden Schreibstil spannend erzählt, doch auch der Humor kam dabei nicht zu kurz. Verschiedene Hinweise, aber auch falsche Fährten laden hier zum Miträtseln ein.

    Campanard ist ein etwas schrulliger Ermittler mit einem Faible für grellbunte Hawaiihemden und einer Abneigung gegenüber Autos. Jedoch sollte man ihn nicht unterschätzen, denn er kann knallhart ermitteln. Der junge Polizist Pierre ist ein liebenswerter Charakter, über den wir allerdings noch nicht viel erfahren.

    Durch die Undercover-Arbeit von Linda Delacours bekommt der Leser eine Vielzahl an interessanten Informationen aus der Welt der Düfte. Die drei zusammen ergeben ein sympathisches und unschlagbares Ermittlertrio und ich bin schon sehr gespannt auf ihren nächsten gemeinsamen Fall und auf ihre weitere persönliche Weiterentwicklung.

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Mental Voodoo: Gedichte (Poesie Dekolonie)

Buchseite und Rezensionen zu 'Mental Voodoo: Gedichte (Poesie Dekolonie)' von Logan February

Inhaltsangabe zu "Mental Voodoo: Gedichte (Poesie Dekolonie)"

Format:Taschenbuch
Seiten:243
Verlag: Urs Engeler
EAN:9783907369166
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