Solar: Roman (detebe)

Buchseite und Rezensionen zu 'Solar: Roman (detebe)' von Ian McEwan

Inhaltsangabe zu "Solar: Roman (detebe)"

Diskussionen zu "Solar: Roman (detebe)"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:416
Verlag: Diogenes
EAN:9783257241747
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Beinahe Alaska

Buchseite und Rezensionen zu 'Beinahe Alaska' von Arezu Weitholz
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Beinahe Alaska"

Diskussionen zu "Solar: Roman (detebe)"

Format:Taschenbuch
Seiten:192
EAN:9783442492633
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Rezensionen zu "Beinahe Alaska"

  1. 5
    15. Mai 2021 

    Ein stilles und poetisches Buch, das den Horizont erweitert...

    Die Ich-Erzählerin, eine Mittvierzigerin und Fotografin aus Berlin, begibt sich auf den Weg nach Alaska.

    Sie soll für einen Verlag Bilder von der Arktis machen und darauf die dortige Atmosphäre einfangen.

    Sie sitzt zunächst im Flugzeug über den Gletschern Grönlands und denkt an ihre Verluste, die sie in ihrem bisherigen Leben verkraften musste.

    Nach der Landung in „Nasser Sack“, einem kleinen Ort an der Südspitze Grönlands, geht sie über die Gangway an Bord des Passagierschiffes MS Svalbard, das sie und die anderen Kreuzfahrtteilnehmer in zweieinhalb Wochen nach Alaska bringen soll.

    Sie beobachtet die anderen Passagiere und lernt den ein oder anderen, darunter auch nervtötenden, Gesprächspartner kennen.

    „Sie drücken einen mit ihren luftdichten Wörtern und nahtlos aneinandergefügten Sätzen förmlich zu Boden, man kam nicht hoch, man konnte sich nicht rühren, keine Chance. Kein aber, kein ach, man hätte husten, röcheln, an Atemnot verenden können, sie hätten zumindest den Satz noch zu Ende geredet und einen dann vorwurfsvoll angesehen.“ (S. 52)

    Der ca. 70-jährige akkurate Herr Mücke war vor seiner Pensionierung Uhrmacher und Lehrer und ist seit dem Tod seiner Frau fast ständig auf Reisen.

    Lewis hat Krebs und wird bald sterben.

    George hatte schon drei Schlaganfälle und seine Frau Agnes legt Wert auf Butterkuchen um vier. Die Kreuzfahrt bekamen sie von ihren Kindern zum Hochzeitstag geschenkt. Kinder seien wirklich alles, betont George… und da war es wieder: das Kinderthema.

    Die Ich-Erzählerin wünscht sich, dass der eiskalte Wind an Deck ihren Schmerz und die quälenden Erinnerungen davonbläst.

    Schon bald steht der erste von vielen Landausflügen an.

    Mit einem Tenderboot geht’s, begleitet von Expeditionsleitern, zu mehr oder weniger bekannten, geschichtsträchtigen oder verlassenen, kargen, freundlichen oder unwirtlichen Orten.

    Zwischendurch geht’s mit dem Schiff immer weiter Richtung Alaska.

    Wir lernen weitere Kreuzfahrttouristen kennen, erleben Ausschnitte von Vorträgen über die Arktis oder die Inuit mit und lauschen Gesprächen zwischen Expeditionsteilnehmern.

    Wir haben Teil an den Gedanken und Beobachtungen der Ich-Erzählerin, entdecken Krabbentaucher, Schneegänse und Eissturmvögel und nähern uns so der Arktis.

    Es gibt auch viel Interessantes zu erfahren, wie zum Beispiel: „Perlerorneq – so nennen die Inuit die Winterdepression. Das Wort bedeutet: vom Gewicht des Lebens erdrückt werden.“ (S. 77)

    Und immer wieder begleiten wir die Ich-Erzählerin auf Exkursionen.

    Mit dem Boot vom Schiff aus durchs Meer zu beeindruckenden archaischen Orten wie Dundas Harbour oder Beechey Island, die ich natürlich googeln „musste“, weil Arezu Weitholz mich so neugierig gemacht hat.

    Und dann wurde das Eis zu dick, um weiter zu fahren…

    Arezu Weiholz formuliert in „Beinahe Alaska“ äußerst interessante Gedanken.

    Sie hinterfragt z. B. gängige Bezeichnungen: „Wieso überhaupt alleinstehend? Wieso nicht alleingehend oder alleinliegend oder alleinlaufend? Als stünde man die ganze Zeit herum, so alleine. Zu einem Paar würde ja auch keiner sagen: „Ach, Sie sind wohl zusammenstehend.“…“ (S. 16)

    Immer wieder stößt man auf wunderschöne, bildhafte und poetische Formulierungen:

    „Leise zog das Schiff durch den Fjord, wie ein Messer durch weiche Butter.“ (S.18)

    „Da war ein Glitzern und Funkeln, das die Sonne auf das Blau warf, Abertausend Diamanten, die das Meer in einen gigantischen Lurexteppich verwandelten.“ (S. 30)

    „An Deck klatschte mir eiskalter Wind wie ein feuchter Lappen ins Gesicht.“ (S. 38)

    Mir gefiel die eindrückliche Sprache der Autorin und ich staunte immer wieder über die schönen Bilder:

    „Es war unmöglich, über ein Manuskript zu reden. Wenn man darüber sprach, fiel es in sich zusammen wie ein Soufflé, das man zu früh aus dem Ofen genommen hatte. Ideen waren besonders zarte und zerbrechliche Geschöpfe.“ (S. 59)

    „Beinahe Alaska“ ist ein nur 186-seitiges ruhiges und tiefgründiges Werk, das weder mit Ernsthaftigkeit noch mit leisem Humor geizt und zum Mit- und Nachdenken anregt.

    Arezu Weitholz ist eine präzise Beobachterin und talentierte Erzählerin.

    Aufgrund der detaillierten und eindrücklichen Naturbeschreibungen sieht man die Landschaft vor sich und spürt die Kälte.

    Das leuchtende Weiß, die gefleckten und marmorierten Felswände, beeindruckende Wasserfälle, grellgrün leuchtendes Moos, Eisberge mit türkisen Streifen…

    Darüber hinaus war „Beinahe Alaska“ für mich eine lehrreiche Lektüre, denn ich entdeckte viel Neues und konnte es nicht lassen, immer wieder parallel dazu zu googeln.

    Ich empfehle diese „Reisebeschreibung“, in der es nicht in erster Linie um das Außen, sondern um das Innen geht, sehr gerne weiter.

    Es macht Freude, den Gedanken der Ich-Erzählerin zu dem, was sie auf der Expeditionskreuzfahrt sieht und erlebt, zu lauschen.

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Als ich noch unsterblich war: Erzählungen

Buchseite und Rezensionen zu 'Als ich noch unsterblich war: Erzählungen' von Christoph Ransmayr
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Als ich noch unsterblich war: Erzählungen"

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Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
Verlag: S. FISCHER
EAN:9783103976083
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Rezensionen zu "Als ich noch unsterblich war: Erzählungen"

  1. 5
    17. Mär 2024 

    Gedanklich und sprachlich ein Hochgenuss

    Ransmayr bündelt in diesem Erzählband 13 unterschiedliche Geschichten, die, wie es der Klappentext schon sagt, in die Welt hinausführen, aber auch wieder zurückführen in Ransmayrs Heimat.

    Alles an Ransmayrs Romanen und seiner Sprache ist kunstvoll. Jedes Wort, jeder Satz zeigt seinen kunstvollen und souveränen Umgang mit der Sprache. In diesem Band ist es zusätzlich noch die Anordnung der einzelnen Geschichten. Das Arrangement wirkt leichthändig, aber ist doch genau durchdacht.

    Die erste Geschichte „Als ich noch unsterblich war“ zeigt das Kind, für das das Sterben nur eine Eventualität ist, noch lange keine Realität. Das Kind legt aus den Buchstaben seiner geliebten Nudelsuppe auf dem Tellerrand das Wort MEER aus und ist fasziniert von der Vorstellung, dass in diesen wenigen Buchstaben, in diesem kleinen Wort eine ganze Welt von Vorstellungen eingefangen ist und dass er, der kleine Junge, diese Welt in der Hand hat. Die letzte Geschichte “Damen & Herren unter Wasser“ nimmt diese Anfangsmotive wieder auf und schließt den Reigen: hier geht es jetzt um die Realität des Todes und das Leben nach dem Tod, aber nicht im Himmel, sondern ganz konkret in den tiefsten Tiefen des Meeres. Und auch hier geht es das Wort und um Verständigung; ein zentrales Motiv der Geschichten. Im Erzählen wird die Sterblichkeit der Menschen aufgehoben, im Klang der Worte überdauert das Erzählte die Jahrhunderte, so wie die Zeichnungen der Steinzeitmenschen ihre Wirklichkeit an unsere heutige Wirklichkeit ankoppeln und so wie der irische Sänger in seinen Liedern die Geschichte von unzähligen Havarien lebendig erhält.

    Zwischen diesen beiden Geschichten spannt sich ein großer Bogen an Erzählungen. Der Erzähler nimmt seinen Leser mit um die halbe Welt. Immer aber zeigt sich Ransmayrs großes Verantwortungsgefühl der Schöpfung gegenüber, die Menschen eingeschlossen. Sehr bitter mutet einen daher ein Satz aus „Mädchen im gelben Kleid“ an: „Wer die Weißen nicht fürchtet, der kennt sie nicht.“ Sehr berührend ist auch die Geschichte „An der Bahre eines freien Mannes“, in der er seinem Vater ein Denkmal setzt: ein aufrechter Mann, der Gerechtigkeit verlangte und dafür auf öffentliches Ansehen und Status verzichtete.

    Mir persönlich hat die Geschichte „Floßfahrt“ sehr gut gefallen, in der der Autor von seinen Überlegungen zu seinem Roman „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ erzählt. Und überlegt, ob die Unwirtlichkeit des Franz-Josefs-Landes, die Schrecken des Eises und die Finsternis der Polarnacht nicht doch erstrebenswerter seien als der Kriegslärm. „Wie still, wie sanft und lichtdurchflutet musste in diesem Sommer 1915 die Abgeschiedenheit des Franz-Joseph-Landes wohl gewesen sein?“

    Fazit: Ein inhaltlich abwechslungsreicher Erzählband, jede Geschichte ein sprachlicher und gedanklicher Genuss!

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Brief an den Vater

Buchseite und Rezensionen zu 'Brief an den Vater' von Franz Kafka
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Brief an den Vater"

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Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:54
Verlag:
EAN:
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Rezensionen zu "Brief an den Vater"

  1. 4
    10. Jul 2015 

    Lebendiges Zeugnis...

    Der nie abgesandte Brief an den Vater (1919) gilt als Schlüssel zum dichterischen Werk Franz Kafkas (1883–1924). Dieses eindrucksvolle Zeugnis eines dramatischen Vater-Sohn-Konfliktes kann als ein ganz besonderes Dokument der Weltliteratur bezeichnet werden. Anklage und Selbstanalyse zugleich, vermittelt es dem Leser Einblick in das komplizierte Seelenleben des Autors. In eindringlichen Worten, denen man sich kaum entziehen kann, rechnet Kafka mit seinem autoritären Vater ab, der ihm so tyrannisch und übermächtig erschien...

    Kafka hat den in seiner Handschrift mehr als hundert Seiten langen Brief 1919 in einer Pension in Schelesen geschrieben. Er hat den Brief nie abgeschickt oder ihn dem Vater übergeben. Mit 36 Jahren hat er sich daran gemacht, in Form eines Briefes mit dem Vater 'Frieden zu schließen', den für sein gesamtes Leben so wichtigen Konflikt mit dem Vater schreibend zu bewältigen. Womöglich hatte der Brief seinen Zweck schon im Imaginären erfüllt: Im Bewusstsein, sich dem Vater einmal so vollständig wie möglich gegenüber zu erklären, sich überhaupt erklären zu können.
    Dabei versteht Kafka seine Darstellung niemals als bloße Anklage, sondern ist immer bemüht, auch die Schuldlosigkeit des Vaters festzuhalten. Zwei zu unterschiedliche Wesen, ein von Anfang an übermächtiger Vater, dem weder das Kind noch der erwachsene Mann ebenbürtig werden konnten - so hören sich seine Entschuldigungen an. Dennoch litt Franz Kafka Zeit seines Lebens unter dem Eindruck des Vaters, wovon der Brief das lebendigste Zeugnis gibt.

    Wann immer ich mich den Werken Kafkas bislang gewidmet habe, gab ich letztlich entmutigt auf - vielfach fehlte mir schlichtweg der Zugang, das Verständnis. Dieser Brief verdeutlicht jedenfalls eines, nämlich wo die für Kafka so typische Atmosphäre existenziellen Ausgeliefertseins ihren Anfang nimmt: im Elternhaus. In dieser brieflichen Auseinandersetzung mit seinem Vater, in der Kafka auch schon dessen Entgegnungen antizipiert und wiederum hierauf eingeht, liegt ein Schlüssel zum Verständnis seines schriftstellerischen Werkes.
    Ein fiktiver Diskurs zwischen Vater und Sohn, der Kafka geholfen haben mag, seine Kindheit und Jugend Revue passieren zu lassen und letztlich auch aufzuarbeiten, der aber auch in jedem Fall dem Leser vor Augen führt, was Kafkas Werken zugrunde liegt. Ein beunruhigender aber aufschlussreicher Einblick...

    © Parden

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Drei Tage und ein Leben: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Drei Tage und ein Leben: Roman' von Pierre Lemaitre
4.6
4.6 von 5 (5 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Drei Tage und ein Leben: Roman"

Diskussionen zu "Solar: Roman (detebe)"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:271
Verlag: Klett-Cotta
EAN:
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Rezensionen zu "Drei Tage und ein Leben: Roman"

  1. Psychogramm

    Pierre Lematire schreibt gut, beklemmend, aber unaufgeregt, kein bisschen gruselig. Man kann dieses Buch unbesorgt zur Hand nehmen.

    Pierre Lemaitre ist ein in Frankreich sehr bekannter Autor, der 2013 mit „Au revoir là-haut“ gleich „Auf Wiedersehen da oben“ mit dem Prix Concourt ausgezeichnet wurde. Seine Figuren sind fein gezeichnete psychologische Porträts. So auch in „Drei Tage und ein Leben“, das das Leben von Antoine nachzeichnet, einem 12jährigen Jungen, der im Affekt einen sechsjährigen Nachbarsjungen, den kleinen Rémi, erschlägt. Das darf man verraten, denn das ist die Geschichte.

    Wer nun jedoch eine aufregende Jagd auf den Täter oder eine irgendwie rasant geartete Geschichte erwartet, der hat Pech gehabt. Der ganze Roman ist wie in Zeitlupe geschrieben. Langsam. Detailgetreu. Melancholisch. Aber nicht düster, man kann ihn leicht lesen. Eine tiefgründige Motivationssuche findet nicht statt und dennoch entwickelt sich dem Leser ein aufschlussreiches Psychogramm des jungen Antoine. Es entsteht natürlich auch das Bild des französischen Örtchens Beauval, samt seiner mehr oder weniger typischen Bewohner.

    Wem soll man sich als Autor mehr widmen, dem jugendlichen Straftäter und seiner Familie oder der Opferfamilie? Lemaitre wagt das Unerhörte, er fühlt sich in Antoine ein. Und dabei kommt Antoine nicht richtig gut weg. Aber auch nicht schlecht, er ist einfach das, was ein junger Mann ist: einer von uns, einer, der kein Held ist. Entweder lebt er mit der Schuld oder er stellt sich seiner Verantwortung. Er hat die Wahl und er muss die Konsequenzen tragen. Die tragische Kurzschlussreaktion Antoines hat nämlich weitreichende Folgen. Eine Entscheidung führt zur nächsten. So entsteht ein Leben, das Antoine nicht gewollt hat. Er ist es nicht allein, der Fehler macht. Seine Mutter und sein Arzt treffen ebenso weitreichende Fehleinschätzungen der Situation und was was daraus folgernd getan werden müsste. Alle meinen es so gut .... !

    Der Autor stellt Antoine Courtins Leben in drei Zeitabschnitten vor. Diese Abschnitte tun dem Roman gut, denn gerade, wenn man anfängt, ein wenig die Geduld mit dem jungen Antoine zu verlieren, verlässt man ihn und findet ihn in einer anderen Lebensphase wieder. Das ist am interessantesten!

    Lemaitre führt uns vor Augen, wie Menschen wirklich sind und handeln. Man kann die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Figur stellen. Sind da nicht Brüche, unlogische Beobachtungen und Einschätzungen? Ja. Aber so sind Menschen, genau so, sie sind nicht die rational gesteuerten Lebewesen wie es u.a. der Humanismus uns verkaufen will.

    Sprachlich gibt es manchmal Sätze, die ein wenig seltsam sind, daran merkt man, dass es bei der Übersetzung hin und wieder hapert. Das rechne man nicht dem Autor zu. Deshalb gibt es keinen Punktabzug. Selbstredend ist der Roman vollständig phrasenfrei. Die Übersetzung ist jedoch nicht schlecht, sogar sehr gut, aber hin und wieder, meine ich, bei einer komplizierten Passage den Zeitdruck zu fühlen, der dann doch dazu führt, es bei einer nicht ganz geglückten Formulierung zu belassen.

    Fazit: Psychogramm eines Unglücks und eines Menschenlebens, mit hohem Glaubwürdigkeitsfaktor gezeichnet, das mir sehr gut gefallen hat und das trotz der bedrückenen Thematik gut zu lesen ist.

    Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
    Verlag: Klett-Cotta, 2017

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  1. 5
    01. Mai 2020 

    Psychologisch interessant und unglaublich packend

    Mich hat der letzte Roman von Pierre Lemaitre " Wir sehen uns dort oben", für den er 2013 den Prix Concourt erhielt, völlig begeistert. So war ich gespannt auf sein neues Buch " Drei Tage und ein Leben" und ich wurde nicht enttäuscht.
    Der französische Autor erzählt die Geschichte chronologisch in drei Zeitabschnitten. Es beginnt am Tag vor Weihnachten im Jahr 1999. Hauptfigur des Romans ist Antoine, der zu Beginn 12 Jahre alt ist. Er lebt mit seiner Mutter- der Vater hat die Familie schon vor Jahren verlassen- in einer Kleinstadt in Frankreich. Etwas frustriert baut er allein an einer Baumhütte, seine gleichaltrigen Freunde spielen lieber mit der nagelneuen PlayStation. In einem Anfall von Wut schlägt er den kleinen Nachbarjungen mit einem Stock und muss dann voller Entsetzen feststellen, dass er den 6jährigen getötet hat. In seiner Panik versteckt er die Leiche im Wald. Bald wird im Ort eine große Suchaktion gestartet. Alle wollen der verzweifelten Familie des vermissten Kindes beistehen. Der Leser ist nun ganz nah bei dem jugendlichen Mörder. Er erlebt seine Verzweiflung, seine Reue, aber auch seine Angst vor der Entdeckung. Was soll er tun? Soll er sich stellen? - Das kann er seiner Mutter nicht antun. Er plant seine Flucht und verwirft die Idee wieder. Soll er sich umbringen? - Der Versuch schlägt fehl. Da kommt ihm die Natur zu Hilfe. Ein Jahrhundertsturm legt das ganze Dorf lahm und hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Alle sind danach mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt, die Suche nach dem Kind wird zweitrangig.
    Zwölf Jahre später kehrt Antoine auf einen Besuch in seinen Heimatort zurück. Er studiert mittlerweile Medizin und hat eine attraktive Freundin. Die Angst vor der Entdeckung und seine Schuldgefühle haben ihn nie verlassen. Aber es ist ein ganz anderer Fehltritt, der ihm schließlich zum Verhängnis wird.
    Und am Ende der Geschichte überrascht der Autor den Leser nochmals mit einer neuen Wendung.
    Pierre Lemaitre hat hier einen psychologisch interessanten und unglaublich packenden Roman vorgelegt. Mit viel Einfühlungsvermögen, aber trotzdem nüchtern beschreibt er die seelischen Nöte seines Protagonisten. Ihm geht es nicht darum, die Motive hinter der Tat zu erklären, sondern zu zeigen, wie jemand mit so einer Schuld weiterlebt. Auch die Atmosphäre im Ort, die Beziehungen der Bewohner untereinander werden genau eingefangen.
    Dieses Buch habe ich in kürzester Zeit gelesen und es beschäftigt mich noch immer.
    Von mir gibt es also eine unbedingte Leseempfehlung!

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  1. Kindermörder. Mörderkind.

    "Innerhalb weniger Minuten hat sein Leben die Richtung geändert. Er ist ein Mörder. Doch die beiden Bilder passen nicht zusammen, man kann nicht zwölf Jahre alt und ein Mörder sein."
    (Zitat)

    Ein einziger Moment der Wut. Ein Schlag, der unglücklich trifft. Schon ist ein junges Leben beendet, ein anderes wird nie wieder dasselbe sein.

    Das Lesen dieses Buches schmerzt, auch wenn der Autor sich weder zu rührseliger Effekthascherei noch Überdramatisierung hinreißen lässt. Es schmerzt, weil man die Geschehnisse durch die Augen des 12-jährigen Antoine sieht, der in jeglicher Hinsicht ein guter Junge ist: er liebt seine Mutter, der Nachbarshund ist sein allerbester Freund und er lässt es sich gutmütig gefallen, dass der 6-jährige Rémi ihm ständig hinterherläuft. Man möchte diese Unschuld bewahren und ahnt doch, dass es damit bald vorbei sein wird.

    Oder?

    Das ist eine der großen ethischen Fragen des Buches: hat seine Tat Antoine von einem Moment zum anderen zu einem bösen Menschen gemacht, unwiderruflich? Für ihn selber gibt es da gar keinen Zweifel. Seine Angst treibt ihn dazu, die Tat zu vertuschen, und dennoch sehnt er sich verzweifelt danach, erwischt zu werden. Seine innere Zerrissenheit und seine emotionale Qual sind schwer zu lesen, denn Antoine ist so furchbar allein damit und doch selber noch ein Kind.
    Kindermörder. Mörderkind.
    Das Verschwinden des kleinen Rémi mobilisiert im Dorf einiges an Hilfsbereitschaft, bringt aber auch schwelende Konflikte zum Vorschein – und diese Erschütterung des Status Quo ist erst der Anfang.

    Der Autor zeichnet seine Charaktere mit leichtem Pinselstrich und doch treffend. Am bestechendsten fand ich die Charakterisierung von Antoines Mutter, die ihrem Sohn vorlebt, dass man Konflikte am besten einfach totschweigt. Und nicht nur das: sie verbiegt sich die Wirklichkeit, bis sie zu dem passt, was sie glauben will, und das zum Teil bis ins Extrem. Da wundert es wenig, dass Antoines Lösungsstrategie hauptsächlich daraus besteht, abzuwarten und im Stillen zu erdulden.

    Antoine selber ist herzzerreißend in seiner Not, deswegen konnte ich das Buch buchstäblich nicht weglegen, ohne zu wissen, wie es nach diesen drei dramatischen Tagen mit seinem Leben weitergehen würde. Um kurz nach 3 Uhr morgens habe ich das Buch schließlich beendet, nicht nur müde, sondern auch emotional erschöpft.

    Spannend ist die Geschichte, gar keine Frage. Aber es gibt einen deutlichen Bruch zwischen den besagten drei Tagen und dem Rest von Antoines Leben, und nach diesem Bruch ist das Buch in meinen Augen deutlich schwächer als davor.

    Für mich liegt das vor allen an Antoine. Als Kind war er ein starker, wenn auch tragischer Charakter, aber ich hatte im zweiten Teil den Eindruck, dass seine Tat ihn in gewisser Weise in seiner charakterlichen Entwicklung gehemmt hat. Als Erwachsener kam er mir schwach vor, selbstsüchtig, unentschlossen, und das machte es schwer für mich, weiter so viele Emotionen in seine Geschichte zu investieren wie zuvor. Auch das Ende hatte für mich einen mehr als bitteren Beigeschmack – nicht so sehr wegen dem, was geschieht, sondern wegen dem, was stattdessen hätte geschehen sollen.

    Der Schreibstil hat mir überwiegend gut gefallen, auch wenn mir die Gedanken des 12-jährigen Antoine manchmal zu erwachsen für sein Alter schienen. Pierre Lemaitre schreibt meist ruhig, gelegentlich nüchtern, manchmal poetisch, aber er bleibt immer ganz nahe dran an seinem Protagonisten, so dass man auch aus eher schlichten Worten die Emotionen herauslesen kann.

    Fazit:
    Ein kurzer Moment der Wut führt zur Tragödie, und der 12-jährige Täter schweigt. Und schweigt. Und in diesem Schweigen verfolgt der Leser, was weiter geschieht. Pierre Lemaitre erzählt weder reißerisch noch sensationsheischend, und dennoch entwickelt die Geschichte eine dramatische Sogwirkung.

    Der erste Teil des Buches ist dicht geschrieben, wirft viele ethische Fragen auf und durchleuchtet ganz nebenher die sozialen Strukturen eines kleinen Ortes. Aber vor allem wird dieser Teil getragen von seinem überzeugenden Protagonisten, dem 12-jährigen Antoine. Der zweite Teil ist für mich deutlich schwächer, denn der erwachsene Antoine ist in gewissem Sinne nur noch ein Schatten seiner selbst.

    Zusammenfassend würde ich sagen, dass ich es auf keinen Fall bereue, das Buch gelesen zu haben, dass aber der zweite Teil nicht ganz halten kann, was der erste verspricht.

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  1. Wie eine Tat im Affekt ein Leben voller Schuld bestimmt

    An einem Tag im Dezember 1999 verschwindet im französischen Dorf Beauval der sechsjährige Rémi. Mit einer großen Aktion wird nach dem vermissten Jungen gesucht. Am dritten Tag zwingt ein schwerer Sturm die Einwohner des Ortes in ihre Häuser. Nur der zwölfjährige Antoine, der mit seiner Mutter in der Gemeinde lebt, weiß, was wirklich passiert ist: Er hat das Kind im Affekt durch den Schlag mit einem Stock getötet, weil er wegen des plötzlichen Todes eines geliebten Hundes außer sich war. Antoine entschließt sich, zu schweigen und die Tat zu vertuschen. Er hat Angst davor, entdeckt zu werden. Doch wie lässt es sich mit dieser schweren Schuld leben? Und wird man ihm auf die Schliche kommen?

    Mit „Drei Tage und ein Leben“ schildert Pierre Lemaitre eine beklemmende und tiefgründige Geschichte eines sehr jungen Mörders.

    Meine Meinung:
    Die Handlung spielt in drei unterschiedlichen Jahren. Erzählt wird mit Zeitsprüngen erst aus dem Jahr der Tat, also 1999, und später aus den Jahren 2011 und 2015. Die Geschichte beginnt mit einem langsamen Erzähltempo. Die Spannung steigert sich aber allmählich, als es zu dem tragischen Ereignis kommt.

    Mir hat der leise, aber dennoch eindringliche Schreibstil des Romans sehr gut gefallen. Dem Autor gelingt es, eine intensive, etwas düstere Atmosphäre zu schaffen. Berühren konnte mich das Buch aber nicht zuletzt wegen des Inhalts. Trotz der grausamen Tat schaffte der Autor es, dass ich – vor allem anfangs - Mitgefühl für Antoine entwickeln konnte. Auch die übrigen Personen des Buches wie die Bewohner des Dorfes werden authentisch geschildert.

    Obwohl der Täter schon vom ersten Kapitel an klar ist, ist der Roman fesselnd und besonders aus psychologischer Sicht sehr interessant. Daher habe ich gespannt weitergelesen, obwohl der Inhalt nur schwer aufzunehmen und zu verdauen war. Gut gefallen haben mir auch die unerwarteten Wendungen.

    Gestört haben mich letztlich nur einige Kleinigkeiten. Die Übersetzung ins Deutsche wirkte auf mich an einigen Stellen holprig bis leicht fehlerhaft. Meinen Lesefluss ein wenig ausgebremst hat außerdem der Tempuswechsel zwischen dem ersten und zweiten Kapitel.

    Mein Fazit:
    Es handelt sich um ein ungewöhnliches Buch, das aufwühlt und nachdenklich macht. Obwohl oder gerade weil es keine leichte Kost ist, ist die Geschichte lesenswert. Ein Roman, der sicher noch eine Weile bei mir nachhallen wird.

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  1. 5
    28. Sep 2017 

    Eine Tragödie nicht ohne Humor

    Ein 12jähriger bringt aus Schmerz und Verzweiflung unbeabsichtigt einen Sechsjährigen um. Unentdeckt geblieben verfolgt ihn diese Tat sein weiteres Dasein und bestimmt schlussendlich seinen Lebensweg.
    Diese vergleichsweise dürftige Handlung umfasst grob 250 Seiten, wobei die ersten 170 dem verhängnisvollen Unglück und den darauffolgenden drei Tagen gewidmet sind, in denen die Suche nach dem kleinen Jungen erfolgt. Überwiegend wird aus der Sicht des 12jährigen Antoine erzählt, der hin- und hergerissen ist zwischen dem Wunsch, sein Gewissen zu erleichtern und der Angst, als Mörder entlarvt zu werden und somit seiner Mutter das Herz zu brechen. Auch als Lesende erlebte ich ein Wechselbad der Gefühle: voller Empathie für den 12jährigen, dessen Handlungen ich durchaus nachvollziehen konnte. Dann die widersprüchliche Furcht, er könnte erwischt werden (denn das sollte er doch auch - oder nicht?) und immer wieder die Hoffnung, irgendwie würde Alles wieder gut werden. Pierre Lemaitre beschreibt Antoines Innenleben so detailliert und ausdrucksvoll, dass ich mit ihm fürchtete und hoffte und litt, wie beispielsweise während seiner 'Krankheit': "Die Flutwelle bildete sich tief unten im Magen und fuhr mit einem heftigen Schwall durch ihn hindurch, zermalmte ihm die Nieren und explodierte in seiner Kehle, während es ihn buchstäblich aus dem Bett riss."
    Obwohl sich dies nun nicht gerade nach einer kurzweiligen Lektüre anhört, habe ich mich beim Lesen dennoch immer wieder amüsiert. Denn stets auf's Neue blitzt ein feiner Humor auf, mit dem Lemaitre liebevoll die französische Provinz beschreibt, wie etwa kurz nachdem ein schwerer Sturm das kleine Dorf in großen Teilen zerstört hat: "In den Gärten und im Schutt der verwüsteten Häuser fand man mitunter eine Babywiege, eine Puppe, eine Brautkrone und andere kleine Dinge, die Gott taktvoll platziert zu haben schien, um zu zeigen, dass man bei Ihm alles auf einer höheren Ebene sehen muss. Der junge Pfarrer war zweifellos sehr damit beschäftigt, seinen Schäfchen im Departement zu erklären, dass das, was ihnen widerfuhr, eigentlich eine gute Sache sei - da hatte er sich was vorgenommen ...".
    Eine tragische Geschichte, die aber durchaus ihre humorvollen Seiten hat, nicht zuletzt auch durch die absolut nicht vorhersehbaren Wendungen, die sich in Antoines Erwachsenenleben noch ereignen. Und ein Buch, in dem die Schuldfrage von Beginn an eindeutig geklärt ist, was aber nicht daran hindert, dem Täter ungeteilte Sympathie entgegenzubringen.

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