Der erste Horizont meines Lebens: Roman
Mit ihrem Freund, dem Architekten Emil, ist sie seit neun Jahren zusammen. Nun ist er 40 und wünscht sich endlich Kinder und ein Haus. Doch auch mit Anfang 30 ist die Redakteurin eines Magazins nicht bereit dazu. Sie vermisst die Unbeschwertheit der ersten Beziehungsjahre, möchte lieber weiterhin viel reisen, bis spät abends arbeiten und die Nächte durchtanzen. Und sie pflegt eine Affäre mit dem Endvierziger Leo, der verheiratet ist. Als auch Emil fremdgeht und den Seitensprung beichtet, ergreift sie die Flucht...
„Unterwasserflimmern“ ist das Romandebüt von Katharina Schaller.
Meine Meinung:
Der Roman besteht aus vier Teilen, die wiederum in kurze Abschnitte gegliedert sind. Erzählt wird im Präsens und in chronologischer Reihenfolge in der Ich-Perspektive aus der Sicht der Protagonistin.
Der Schreibstil ist die wohl größte Stärke des Romans. Trotz einer meist sehr einfachen Syntax ist er eindringlich und atmosphärisch. Die Sprache ist sehr direkt, teilweise derb bis vulgär, aber auch authentisch.
Im Vordergrund steht die namenlose Protagonistin, eine junge Frau, mit der ich mich nicht identifizieren kann und die ich nicht als sympathisch empfunden habe. Sie wirkt allerdings lebensnah. Etwas gestört hat mich, dass sie einen solch unreifen und egoistischen Eindruck macht und im Laufe des Romans keine deutliche Entwicklung erkennen lässt. Zudem tauchen einige weitere Charaktere auf, von denen manche recht blass bleiben.
Inhaltlich geht es darum, dass viele junge Frauen gesellschaftlichen Ansprüchen und Vorstellungen wie Ehe und Mutterschaft nicht gerecht werden können oder wollen, dass sie sich durch Sexualität ausdrücken und dass auch andere Lebensmodelle in Ordnung sind. Diese Form der Gesellschaftskritik kann ich unterschreiben. Sie taucht viel zu selten in Romanen auf. Die Grundthematik halte ich daher für begrüßenswert. Deren Umsetzung hat mich jedoch nicht ganz überzeugt. Die Unentschlossenheit und das widersprüchliche Verhalten der Protagonistin verwässern den Ansatz sehr. Zudem habe ich den Eindruck, dass etwas dick aufgetragen wurde, indem die Protagonistin beinahe jede moralische Grenze überschreitet.
Und doch hat dieser Roman etwas, das mich gefesselt und mich fasziniert hat, so dass ich das Buch nur ungern zur Seite gelegt habe. Schon nach wenigen Sätzen entsteht ein Lesesog, der über die rund 230 Seiten nicht abgeschwächt wurde. Gut gefallen hat mir auch, dass es im letzten Teil noch zwei unerwartete Wendungen gibt, obwohl ich eine davon eher unglaubwürdig finde. Zur Geschichte passt es außerdem, dass am Ende noch ein paar Fragen offen bleiben.
Das moderne Cover gefällt mir optisch sehr gut. Das Motiv passt ebenfalls. Der prägnante und dennoch kreativ formulierte Titel ist eine gute Wahl.
Mein Fazit:
„Unterwasserflimmern“ von Katharina Schaller ist ein intensiver und ungewöhnlicher Roman mit einer interessanten Thematik, aber kleineren Schwächen. Alles in allem ein lesenswertes Debüt.
„Warum unser Blabla mehr als Hokuspokus ist?“ Der Journalist, Dolmetscher, Romanist und Sachbuchautor für Kinder und Jugendliche Nikolaus Nützel stellt sich dieser Frage über die Kraft der Sprache in diesem informativen, aufschlussreichen und durchaus anspruchsvollen Buch.
Sprache ist zauberhaft. Sprache ist wunderbar. Sprache ist nicht nur eine Aneinanderreihung von Worten. Sprache vermittelt Wissen. Sprache wächst. Sprache verändert sich. Sprache kann konstruiert werden. Sprache schafft Wirklichkeiten. Sprache kann sich von Region zu Region unterschiedlich anhören. Jugendsprache. Umgangssprache. Geheimsprache. Zeichensprache. Sprache kann der Schlüssel zu vielem sein. Sprache kann verschlüsselt sein. Sprache verbindet. Sprache trennt. Sprache ist Fluch und Segen. Sprache kann heilen, trösten, spotten, verletzen. Wir geben Sprache eine Deutungsrahmen. Lassen Sprache aus dem Rahmen fallen.
„Wenn Wörter etwas damit zu tun haben, wie wir denken und wie wir die Welt sehen und gestalten, sann sollten wir Wörter, die die Welt schlechter machen, einfach weglassen.“
Wir alle verwenden Sprache tagtäglich. Gehen wir sorgsam damit um.
Das Dorf der Kinder...
Die zwölfjährige Cristina kümmert sich um alles: Sie kocht, putzt, füttert die Hühner und Schweine und ist Elternersatz für ihre jüngeren Brüder. Die Geschwister leben in einem Dorf in Moldawien, während die Mutter in Italien fremde Kinder hüten muss und der Vater in Sibirien arbeitet. Dabei ist Cristina eigentlich in Cousin Lucian verliebt, träumt vom ersten Kuss und einer besseren Zukunft. "Das Warten ist wie ein kleines Tier, weder ein Haustier noch ein wildes Tier, mal brav und schläfrig, mal böse und entfesselt." Eine einprägsame Geschichte in starken Bildern, geschildert aus der Sicht von Kindern, die am Rande von Mitteleuropa alleine zurückbleiben. (Klappentext)
Zugegeben, dies ist nicht der erste Roman, den ich zum Thema einsam aufwachsender Kinder gelesen habe, deren Eltern in anderen Ländern arbeiten, um die Familie finanziell über Wasser halten zu können. "Wenn ich wiederkomme" von Marco Balzano beispielsweise befasst sich ebenfalls mit den psychischen wie sozialen Folgen dieser so besonderen Arbeits- und Lebenssituation.
In dem Roman von Liliana Corobca wird ausschließlich aus der Ich-Perspektive der 12jährigen Cristina erzählt, die sich in einem abseits gelgenen Dorf in Moldawien alleine um den Hof und die beiden jüngeren Brüder kümmern muss und nebenher zur Schule geht. Die Kindheit Cristinas ist längst vorbei, zum Spielen kommt sie nicht mehr, und auch bei den seltenen Treffen mit anderen Mädchen dreht sich alles um das Thema Hausarbeit und Erziehung.
Das Dorf wird auch "das Dorf der Kinder" genannt, weil viele in einer ähnlichen Lage sind wie Cristina und ihre Brüder. Die Eltern arbeiten alle in anderen Ländern, kommen ein oder zweimal pro Jahr nach Hause, um nach dem Rechten zu sehen, telefonieren ansonsten einmal pro Woche mit den Kindern, um sich über den Stand der Dinge zu informieren, und schicken ansonsten regelmäßig Geld. Die Solidarität im Dorf ist zudem nicht sonderlich hoch, jeder schaut nur bei sich und auf seine Vorteile, die anderen müssen sehen wie sie klar kommen. Selten bekommen Cristina und ihre Geschwister einmal ein paar Pfannkuchen oder ein Gläschen Marmelade geschenkt, meistens stiehlt man ihnen im Gegenteil noch Sachen vom Hof. Und niemand in Sicht, der sie utnerstützen oder ihnen helfen würde.
In lose aneinandergereihten Szenen erfahren die Lesenden von der Mühsal Cristinas, den alltäglichen Problemen, den Gefühlen, denen kein Raum gegeben werden darf - denn was bringen schon Tränen? - den oftmals gewaltvollen Erfahrungen der Dorfkinder bei prügelnden und meist besoffenen Vätern, wenn diese denn nicht in einem anderen Land leben, der schwerwiegenden Verantwortung für die kleineren Brüder, dem Wunsch, diese vor anderen Kindern beschützen zu können, dem Traum von einem besseren Leben, dem Wunsch, selbst noch einmal Kind sein zu dürfen, das sich Trost bei seiner Mutter suchen darf.
Und dennoch lässt sich Cristina das Träumen nicht nehmen, sie geht behutsam und rücksichtsvoll mit den Tieren um und versucht diese Haltung auch ihren Brüdern zu vermitteln, sie hegt die Hoffnung auf ein besseres Leben in einer liebevollen Ehe, sucht ihre Auszeiten und achtet die Schätze der Natur. Auch in solch einer vereitelten Kindheit gibt es den Wunsch nach einer positiven Zukunft, und das ist es, was Cristina aufrecht hält. So ist es nicht verwunderlich, dass hier im Roman zuletzt auch der magische Realismus Einzug hält: die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verwischen, werden zu einer natürlich empfundenen Wirklichkeit verschmolzen.
Das Buch vermittelt einen bildhaften Eindruck von den Lebensumständen Cristinas und all der Kinder, die vereinsamt und ohne Unterstützung im Alltag viel zu früh viel zu viel Verantwortung übernehmen müssen, weil ihre Eltern in anderen Ländern arbeiten um Geld für ihre Familie zu verdienen. Die Geschichte einer gestohlenen Kindheit in Moldawien - bedrückend und eindrucksvoll...
© Parden
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