Fern vom Licht des Himmels

Tade Thompson, ein nigerianischer Psychiater und Schriftsteller, versucht sich in seinem neuen Buch „Fern vom Licht des Himmels“ an einem wilden Genre-Mix im Weltall. So handelt es sich hierbei meines Erachtens hauptsächlich um einen Science-Fiction-Roman, der eine Krimi-Geschichte erzählt und sowohl afrofuturistische, schaurige als auch mystische Elemente einbaut. Das ist ziemlich viel auf einmal und die Frage ist, ob Thompson dieses Jonglierkunststück auch hinbekommt.
Ein sogenanntes Siedlungsschiff namens Ragtime macht sich von der Umlaufbahn der Erde auf den Weg in ein fernes Sonnensystem, um den Kolonie-Planeten Bloodroot zu erreichen. Rund 1500 Passagiere befinden sich an Bord des von einer KI gesteuerten Raumschiffs in einem Schlafzustand, um die zehn Jahre Reisezeit unbeschadet zu überstehen. Eigentlich geht nie etwas schief, wenn eine KI ein Raumschiff befehligt, aber zur Sicherheit fliegt immer auch ein:e menschliche:r erste:r Maat mit, um im Fall der Fälle das Ruder übernehmen zu können. So wird Michelle „Shell“ Campion vor allen anderen aus dem Schlaf geholt und entdeckt, dass ca. 30 ihrer Passagiere ermordet wurden, während sie „schlief“. Der KI des Schiffs kann sie scheinbar auch nicht mehr trauen, so holt sie sich Hilfe von Bloodroot. Es wird der Ermittler Fin mit seinem Partner einem „Künstlichen“ auf die Ragtime geschickt, um herauszufinden, was dort los ist und ob weiterhin eine Gefahr besteht. Es gesellen sich noch weitere zusätzliche Passagiere zu der Truppe und es beginnt eine actionreiche Geschichte um dieses zusammengewürfelte Team, welches im Raumschiff nicht nur versucht den oder die Mörder:in zu finden, sondern auch zu überleben.
Der Roman ist ganz nach Tade Thompson Manier aufgebaut. Wie man es schon von der Wormwood-Trilogie kennt, nimmt der Autor seine Leserschaft an die Hand und begleitet in den Kapiteln durch eine personale Erzählweise wechselnde Charaktere. Damit niemand durcheinander kommt, sind die Kapitel mit dem Namen der beobachteten Person versehen. Durch kleinere Rückblenden erfährt man nach und nach mehr von den Personen und gleichzeitig erhöht sich von Kapitel zu Kapitel die Geschwindigkeit der Geschehnisse in der Erzähl-Gegenwart. Die Figuren erhalten durch die Rückblicke und Einblicke in ihre Gedankenwelt eine gewisse psychologische Tiefe, die mir aber im Vergleich zu den Figuren der Wormwood-Reihe etwas zu wenig ausgeprägt ist. Dieser Eindruck plus noch andere Faktoren lassen bei mir die Vermutung aufkommen, dass sich Thompson beim vorliegenden Roman während des Schreibens noch nicht so richtig klar darüber war, ob dies der Start zu einer weiteren Reihe werden sollte. Das wird meines Erachtens zusätzlich deutlich durch den Plot und die Aufklärung im Roman aufgeworfener Fragen. Gerade im letzten Drittel des Buches zieht der Autor die Erzählgeschwindigkeit massiv an, die Ereignisse überschlagen sich, man kommt kaum noch mit, sich das alles während des Lesens heranzuimaginieren, nur um dann auf wenigen Seiten den Sack zuzumachen, schnell jedem Charakter eine Abschlusssequenz zusammenzuschreiben und dann das Buch zu beenden. Mich hat das Buch irgendwie unbefriedigt zurückgelassen. Es wirkt wie ein Zwischending zwischen einem Stand Alone und dem Auftakt einer Serie. Man könnte sich sowohl mit ersterem abfinden, wäre aber auch nicht überrascht, wenn in einem Jahr der nächste Teil veröffentlicht werden würde.
Während mir die ersten zwei Drittel des Romans sehr gut gefallen haben, besonders die erneut eingewebten Themen, die heutzutage noch als gesellschaftskritisch vor allem im Bezug auf nigerianische Zustände einzuordnen sind, wie Homosexualität, Geschlechtsidentität und Kolonisation. Mir gefiel auch sehr, dass als Transitstation zwischen zwei Einstein-Rosen-Brücken eine vollständig von Nachkommen nigerianischer Raumfahrer:innen gegründete Raumstation mit mehreren Millionen Einwohnern eingeführt wurde. Dort wird auch noch Yoruba gesprochen und die Verwaltung liegt vollständig in der Hand dieser nigerianischen Nachfahren. Das Konzept erinnert an „The Expanse“-Ideen und könnte noch viel stärker thematisiert und ausgebaut werden, wird aber nur angeschnitten. Auch die psychologische Tiefe rückt mir ob der zunehmenden Action zum Ende hin etwas zu stark in den Hintergrund.
Der Autor schreibt selbst in seinem Nachwort, dass es sich nicht um eine Space Opera handelt und vorerst (!) als Stand Alone angelegt ist. Somit muss ich damit arbeiten, was mir der Autor in diesem Buch erzählt und das ist mir insgesamt etwas zu wenig, wenn auch gleichzeitig auf der Plotebene sehr – vielleicht zu – viel.
Insgesamt konnte mich der Roman über weite Strecken sehr gut unterhalten und ist einfach durch die kurzen, gut strukturierten Kapitel ein absoluter Pageturner. Mir wurde es zum Ende hin einfach etwas zu viel von allem, weshalb ich dem Buch sehr gute 3 Sterne gebe und es durchaus für eine kurzweilige (Hard) Science-Fiction-Lektüre empfehlen kann.
3,5/5 Sterne
Auf den ersten Blick richtig schön anzusehen ist diese Hardcover-Ausgabe der sechsteiligen Comic-Heft-Reihe „Origins. Cross Cult hat mal wieder einen hochwertigen Sammelband geschaffen. Das Artwork - nicht nur des Covers – kann überzeugen, vieles andere an diesem Buch allerdings leider so gar nicht.
Der Plot von „Origins“ ist schnell erzählt: Die Menschheit gibt es seit rund 1000 Jahren schon nicht mehr auf der Erde, da eine von den Erfindern unerwartet ausufernde KI damals beschlossen hat, dass die Erde ohne Menschen besser dran ist. Es gibt aber noch einige verstreute Roboter alter Baureihen, die nicht zur KI gehören und seit Jahrhunderten darauf warten, endlich wieder den Menschen zu Diensten sein zu können. Eine Androidin (Chloe) erschafft aus der alten DNA ihres menschlichen Schöpfers einen neuen Menschen (David). Sie zieht ihn auf und er wird zum neuen Messias, der – Jesus gleich – die versklavten Roboter zu befreien und eventuell eine neue Menschheit zu erschaffen. Zwischendrin wird viel gekämpft und wieder geflüchtet und wieder gekämpft.
Ganz klar: Dieser Comic lebt von den Zeichnungen Jakub Rebelkas. Diese sind manchmal fein und detailreich, manchmal grob und ungeschliffen, und erzeugen eine großartige Atmosphäre für diese Geschichte. Beim Colorieren hat wohl Patricio Delpeche mitgeholfen. Zwei Leute für das Design, keine Frage alles top. Aber was die drei Personen, die den Plot „geschaffen“ haben und die eine Person, die den Text geschrieben hat, hier aus die Welt losgelassen haben, ist nichts als 08/15-tausendmal-gelesen-Inhalt. Der Plot wird mit aller Macht vorangetrieben, da sind Charakterzeichnungen scheinbar nicht nur zweitrangig sondern vollkommen obsolet geworden. Die Figuren bleiben holzschnittartig und können in keinster Weise überzeugen. Die Dialoge sind mittelmäßig und meist wird nicht die Empfehlung befolgt: „Show, don‘t tell“ sondern das genaue Gegenteil scheinbar angestrebt. So werden wilde (übrigens vollkommen unzusammenhängend plötzlich eintretende) Actionszenen durch scheinbar ganz ruhige Chloe-erklärt-die-Welt-Kommentare aus dem Off begleitet. So etwas Merkwürdiges habe ich selten erlebt. Man hat das Gefühl, sowohl zu viel als auch zu wenig zur Geschichte und zu den Figuren zu erfahren. Begleitet wird die Messias-Geschichte unterschwellig stets durch (meine Vermutung) ständige Anleihen in der Bibel. Da wird der Erlöser wiedergeboren, die „Israeliten“ (aka Roboter) aus der Versklavung in Ägypten geführt und eine unbefleckte Empfängnis gibt es dann auch noch. David sieht auch zunehmend optisch wie Jesus aus. Das ist alles viel zu überfrachtet für den massiv verkürzt erzählten Plot. Hier fehlt die erzählerische Balance in der Geschichte.
Zum Schluss kann man resümieren, dass das Buch wirklich schön anzuschauen ist, die Geschichte aber nicht nur nichts Neues bieten kann sondern auch noch unterdurchschnittlich gut erzählt wird. So rettet Jakub Rebelka dieses Buch, welches für mich bei 2,5 Sternen liegt, noch gerade so mit seiner sehr guten Illustrationsarbeit auf 3 Sterne. Man sollte also nicht zu viel erwarten. Ich empfehle hier eher zum Thema die „Descender“/ „Ascender“-Reihe. Wer diese Reihen schon kennt, sollte keinesfalls zu „Origins“ greifen. Nur vollkommene Neulinge auf dem Gebiet könnten „Origins“ noch etwas Positives abgewinnen können.
Noch immer weilt der argentinische Doktorand, dessen Vorname mit einem G beginnt, in England. Und wieder sucht er Rat bei Professor Arthur Seldom und kommt so in Berührung mit der Lewis-Carroll-Bruderschaft, deren Mitglied Seldom ist. Seldoms ehemalige Studentin Kirsten Hill ist zufällig auf einen Hinweis zu Carrolls Tagebüchern gestoßen, der als verschollen galt. Die junge Frau ist sehr aufgeregt, denn dieser Hinweis lässt Lewis Carrolls Wirken in einem anderen Licht erscheinen. Seldom und sein Doktorand wollen Kirsten überzeugen, dass sie sie an ihrem Wissen teilhaben lässt.
Zum zweiten Mal haben Arthur Seldom und sein Doktorand und Chronist es mit einem ungewöhnlichen Fall zu tun, den sie nur mit logischem Denken lösen können. Die Lewis-Carroll-Bruderschaft will die Tagebücher des bekannten Autors neu auflegen. Schwebt Kirsten nach ihrer Entdeckung vielleicht in Gefahr. Die Bruderschaft ist jedenfalls in Aufruhr, schließlich muss sie möglicherweise ihr Bild des Autors überdenken. Die Mitglieder wollen Kirsten Hill überzeugen, ihr Wissen zu offenbaren. Hill jedoch will etwas eigenes veröffentlichen. Als es zu Todesfällen kommt, wird die Situation immer brenzliger. Seldom und der Doktorand suchen nach den entscheidenden Spuren.
Um Lewis Carrolls Buch „Alice im Wunderland“ und sein frühes Interesse an Fotografie spinnt der Autor eine ungewöhnliche Kriminalgeschichte. Professor Arthur Seldom und sein Doktorand versuchen sich gegenseitig zu überflügeln mit ihren logischen Gedankengängen. Dass es dabei für die Leser sehr interessant und spannend wird, ist keine Frage. Man erfährt mehr über Carrolls vielschichtige Persönlichkeit und auch einiges über die skurrile britische Gesellschaft, in der eine Bruderschaft sich der Forschung über den Autor verschrieben hat. In eher ruhiger Weise verläuft die Handlung, fesselt aber dennoch. Immer neue Geheimnisse gilt es zu entdecken und Rätsel zu lösen. Seldom und sein Doktorand bilden ein überzeugendes und sympathisches Team.
Rasanter Weltraum-Sci-Fi-Krimi
„Fern vom Licht des Himmels“ heißt der neueste Roman des Schriftstellers Tade Thompson, der in London geboren, in Nigeria aufgewachsen und zum Studium nach Großbritannien zurückgekehrt ist. Ich habe ihn durch die bereits erschienen ersten zwei Bände der Wormwood-Trilogie „Rosewater“ in diesem Jahr kennen und schätzen gelernt.
Michelle „Shell“ Campion, Tochter eines berühmten Astronauten, der seit seiner letzten Mission im Weltraum als verschollenen gilt, erhält unmittelbar nach Abschluss ihrer Ausbildung den ersten großen Auftrag. Sie soll Siedler von der Erde zur Weltraumkolonie Bloodroot bringen. Das dafür vorgesehene Raumschiff „Ragtime“ wird von einer künstlichen Intelligenz gesteuert, so dass Shells Position eher symbolischer Natur ist. Sie muss keinerlei Aufgaben bewältigen, sondern lediglich an Bord sein, weil die Gesetzte die Anwesenheit eines menschlichen Captain vorschreiben. 10 Jahre lang soll die Reise dauern, die sie und die Passagiere schlafend in Kapseln verbringen werden.
Als Shell planmäßig aus ihrem Kryoschlaf erwacht, stellt sie fest, dass 31 Passagiere aus ihren Kapseln verschwunden sind, die KI alles andere als zurechnungsfähig ist und ein Wolf durch das Schiff streift. Ein abgesendeter Notruf lässt zunächst den Ermittler Rasheed Fin und seinen Partner Salvo, einen Androiden, herbeieilen. Kurze Zeit später erreichen noch der Gouverneur der nahe gelegenen Lagos-Raumstation und seine Tochter die Ragtime.
Gemeinsam versuchen sie zu ergründen, was geschehen ist und wer dahintersteckt. Als immer mehr Systeme ausfallen, sich unvorhergesehene Zwischenfälle häufen, ist nicht nur das Leben der Ermittler, des Gouverneurs und seiner Tochter, sondern auch das von Shell und den andern Passagieren in Gefahr.
Fern vom Licht des Himmels entwickelt von Anfang an einen großen Lesesog. Der Roman steckt voller schräger, verrückter Einfälle und unvorhergesehener Wendungen, denen ich gerne gefolgt bin. Auch die Figurenzeichnung, die sehr unterschiedlichen Charaktere, mochte ich gerne. Ab der Mitte klären sich viele Fragen dadurch, dass geschichtliche Hintergründe und die Täterperspektive einfließen. Hier geht das für Thompson so typische sprunghafte, rasante Erzähltempo zuweilen auf Kosten der Ausführlichkeit und Tiefe. Dass so viele Themen nur kurz angesprochen wurden, fand ich persönlich schade.
Dennoch ist Fern vom Licht des Himmels ein unterhaltsamer, spannender, actiongeladener, einfallsreicher Weltraumkrimi mit Pageturnerqualität und Tade Thompson ein Autor mit ganz eigenem Stil, auf dessen weitere Werke ich mich freue.
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