Schwindlerinnen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Schwindlerinnen: Roman' von Kerstin Ekman
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Schwindlerinnen: Roman"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:449
Verlag: Piper ebooks
EAN:
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Rezensionen zu "Schwindlerinnen: Roman"

  1. Die Welt will belogen sein

    "Lillemor, ich finde nicht, dass du das veröffentlichen solltest", sagt der Verleger Max zu seiner fast 80jährigen Autorin, "es ist so ganz anders als das, was du sonst schreibst." Und drückt ihr den Packen Blätter in die Hand. - In einem stillen Winkel einer Bibliothek macht sich Lillemor neugierig ans Lesen. Denn das Manuskript - sie nennt es fortan "paperasse" (= Papierkram) - ist ihr tatsächlich völlig neu. Obwohl ihr Name draufsteht!

    Das Rätsel, worum es hier geht, ist schnell gelöst: Die gefeierte Autorin Lillemor hat selbst nie etwas geschrieben. Vor vielen Jahren hat eine Bekannte, die unattraktive, etwas klotzige Barbro, genannt Babba, sie darum gebeten, eine von ihr (Babba) geschriebene Erzählung unter ihrem (also Lillemors) Namen einzureichen. Aus dem kleinen Betrug am Anfang entwickelte sich eine gemeinsame Schriftstellerkarriere, die in der Folge in allen Stationen referiert wird. Wir lesen Barbros "paperasse" kapitelweise im Wechsel mit Lillemors Kommentaren. Die beiden haben einen Autorinnennamen geteilt, sind aber recht gegensätzliche Persönlichkeiten. Wie ein Kritiker bei Amazon anmerkt: glamourös die eine, ruppig und struppig die andere. Doch das ist zu simpel ausgedrückt. Ekmans Charaktere sind nicht aus einem Guss, sondern gebrochen, widersprüchlich und von Sehnsüchten erfüllt - das gilt auch für Barbro, die sich im Lauf des Romans als lebenskluge, leidenschaftliche Person erweist. Nun hat Babba in diesem Roman, den sie - erstmalig - auf eigene Kappe unter Lillemors Namen an einen Verlag gesendet hat, den langjährigen Betrug aufgedeckt. Selbstverständlich wird Lillemor damit konfrontiert; es ist ja ihr Name, der auf dem Manuskript steht. Aber mit dessen Veröffentlichung würde sie sich selbst entlarven. Was kann sie tun?

    "Es war eine Frau, die sah eine große, dicke Kröte, welche gebären sollte. Die Frau sagte: Soll ich kommen und dir helfen, wenn es soweit ist? Es war natürlich ein Scherz. Eines Tages aber wurde die Frau zu einer Höhle unter einem Stein gerufen. Sie half dem Geschöpf, das kaum eine Kröte war, gebären. Und sie bekam Silberlöffel."(S.407)

    Ekmans Roman ist kein Thriller; eine reißerische Wendung sollte man nicht erwarten. Doch die zwei teils mit-, teils nebeneinander gelebten Leben, die uns präsentiert werden, haben ihre eigene Dramatik. Auf über 400 Seiten werden nicht nur zwei Frauenleben ausgebreitet, sondern eine ganze Sozialgeschichte des Literaturbetriebs. Und auch - nicht zuletzt - des Lesens.
    "Babba, die sich mit Sune über Literatur streitet. Politisches Denken sei systematisch-analytisch und schließe verworrene und widersprüchliche Teile der Wirklichkeit aus, (...) sagte sie einmal. Systematisch denkende Menschen schrieben Bücher, die gejäteten Beeten glichen. Man bekomme keinen Arthur Rimbaud oder James Joyce in einer gerechten und rechtschaffenen Volksbildungskultur wie der unsrigen. (...) Er erwiderte, dass er Analyse einem noch so literaturfördernden Gedankenwirrwarr vorziehe. 'Wirrwarr hast du ja trotzdem schon', sagte Babba. 'Freilich ist er nicht so umfassend, sondern läuft wohl vor allem darauf hinaus, dass etliche Bücher aus der Schulbibliothek rausgeschmissen werden sollen. Das wird nicht mehr lange dauern." (S.413)

    Jeder Versuch, die Detailfülle dieses bewundernswerten Romans anzudeuten, wäre unzulänglich. Einer der Kritiker bei Perlentaucher beschuldigt Kerstin Ekman der Geschwätzigkeit, und daran ist durchaus etwas Wahres. Es ist wohl zu viel an gelebtem Leben, was wir hier erlesen sollen. Doch worauf würden wir verzichten wollen? Lillemors Pilzesuchen (einschließlich beinahe naturkundlicher Beschreibungen aller Waldpflanzen), die hinreißenden Episoden Babbas mit ihrem trollhaften "Spielmann" Lasse, Lillemors trinkfeste Mutter, die piefige Atmosphäre in der Schwedischen Akademie, in die Lillemor (sehr gegen ihren Willen) gewählt wird? Es wäre naheliegend, in dieser Paarung Lillemor als die Stärkere anzusehen, weil sie diejenige ist, die im Rampenlicht steht. Aber ist das korrekt?

    Kerstin Ekman heißt übrigens mit zweitem Vornamen Lillemor. Aus der Schwedischen Akademie, in die sie 1978 berufen wurde (für Autorinnen eine Seltenheit), zog sie sich 1989 wieder zurück. "Hast du noch nie was von Autofiktion gehört? Das ist doch der letzte Schrei", sagte Lillemor auf der letzten Seite zu ihrem Verleger Max.

    Vielleicht sollte man nicht unbedingt mit diesem Roman beginnen, wenn man vorher noch nie etwas von Kerstin Ekman gelesen hat. Ich habe sie durch den Krimi "Geschehnisse am Wasser" kennen gelernt und war begeistert von ihren lebendigen, widersprüchlichen Hauptfiguren, ihren Milieuschilderungen aus dem ländlichen Leben in Schweden und insbesondere ihren bildhaften Naturschilderungen. "Schwindlerinnen" zeigt sie erneut als großartige Charakterdarstellerin. Über den Anteil der Autofiktion in diesem Buch kann jede Leserin nach Lust und Laune spekulieren - sicher hat sie selbst viel Spaß daran gehabt

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Die Bäume: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Bäume: Roman' von Percival Everett
4.5
4.5 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Bäume: Roman"

USA, Anfang des 21. Jahrhunderts: Im Städtchen Money in den Südstaaten werden mehrere Männer ermordet: meist dick, doof und weiß. Neben jeder Leiche taucht ein Körper auf, der die Züge von Emmett Till trägt, eines 1955 gelynchten schwarzen Jungen. Zwei afroamerikanische Detektive ermitteln, doch der Sheriff sowie eine Gruppe hartnäckiger Rednecks setzen ihnen erbitterten Widerstand entgegen. Als sich die Morde auf ganz Amerika ausweiten, suchen die Detektive des Rätsels Lösung in den Archiven von Mama Z, die seit Jahrzehnten Buch führt über die Opfer der Lynchjustiz in Money. Eine atemberaubende Mischung aus Parodie und Hardboiled-Thriller, wie es sie bislang in der amerikanischen Literatur nicht gegeben hat.

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:349
EAN:
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Rezensionen zu "Die Bäume: Roman"

  1. 4
    26. Mär 2023 

    Rache!

    Eines schon mal gleich vorweg: solch ein Buch habe ich bislang noch nicht gelesen! Was wie ein hardboiled Thriller beginnt, entpuppt sich bald schon fast als Parodie, denn gerade zu Beginn gibt es sehr viele humorvolle Passagen, und später - ein Abgleiten über Horror in den magischen Realismus bis hin ins Surreale. Ein Genremix, der seinesgleichen sucht, hier aber rund um ein in den USA immer noch gerne totgeschwiegenes Thema ein dickes Ausrufezeichen setzt!

    "Eines gilt für jeden Weißen in diesem County: Wenn er nicht selber jemanden gelyncht hat, dann hat es jemand in seinem Stammbaum getan." (S. 125)

    Mississippi ist und war der wohl rassistischste Staat in Amerika. Hier hat der Hass auf Schwarze eine lange Tradition, war der Ku Klux Klan fest etabliert, Lynchjustiz an der Tagesordnung. Percival Everett siedelt seinen Roman mitten in Trumpland in dem kleinen Städtchen Money an, in dem es zu ersten unerklärlichen Morden an Weißen kommt. Das Entsetzen im Ort ist groß, zumal neben jeder Leiche noch der tote Körper eines schwarzen Jungen liegt, der dem 1955 gelynchten Emmett Till gleicht, der aber danach jedesmal wieder auf unerklärliche Weise verschwindet.

    Als dem Sheriffbüro zwei afroamerikanische Detectives zur Seite gestellt werden, fühlen sich die ortsansässigen Polizisten bevormundet, die Vorurteile Schwarz vs. Weiß funktionieren auf beiden Seiten. Doch auch wenn die Sheriffs in Money zurecht größtenteils rasch als rassistische Dumpfbacken entlarvt werden, können auch die schwarzen Detectives weitere Morde nicht verhindern. Und die erweisen sich nur zu bald schon als sehr inflationär...

    "Alle reden von Völkermord überall auf der Welt, aber wenn das Morden langsam stattfindet und auf hundert Jahre verteilt, nimmt es keiner wahr." (S. 347)

    Der Roman ist sehr dialoglastig, und so manchesmal entwickeln sich dabei regelrechte Scharmützel gespickt mit schwarzem Humor und Situationskomik. Dies nimmt der Ernsthaftigkeit des zugrundeliegenden Themas jedoch nichts von seiner Brisanz - eine eigenartig gelungene Mischung. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Roman auch der Namensgebung zu. Während die Namen der erwähnten schwarzen Toten offenbar einen traurigen Realitätsbezug haben (alles Lynchopfer der letzten Jahrhunderte), erweisen sich die Namen von Orten oder auch von weißen Personen als Fundgrube der Hintergründigkeit. So heißt beispielsweise die Vortortsiedlung in Money, in der das erste Mordopfer aufgefunden wurde und wo Menschen leben, die abfällig als "White Trash“ bezeichnet werden könnten, bezeichnenderweise "Small Chance", und die tumben Hilfssheriffs in Money - Dalroy Digby und Braden Brady - da ist die Anzahl der Gehirnzellen schon allein aufgrund der Namensgebung begrenzt. Der Autor hatte jedenfalls offenbar auch seinen Spaß beim Schreiben...

    Lange Zeit lebt der Roman von der Spannung, wer oder was hinter den zunehmenden Morden steckt. Eine Rache-Gruppe? Radikale Hardliner? Die Auflösung ist - überraschend. Leider ließ der Roman mich jedoch zuletzt ratlos zurück. Sicher ein bewusst gewähltes Abgleiten ins Uferlose, das deutlich macht, wie viele unzählige schwarze (und asiatische!) Lynchofper es während der vergangenen Jahrhunderte gab und bis heute gibt. Die Anzahl der Morde hier übersteigt irgendwann jedoch das Fassungsvermögen. Für mich zerfaserte der Roman dadurch am Ende zu sehr, es gab kaum noch Zusammenhängendes, zwar einige Erklärungen, aber im Grunde keine Ermittlungen mehr, da zwecklos. Mehr kann ich dazu nicht erwähnen ohne zu spoilern, deshalb soll hier mein spontaner Gedanke nach dem Zuschlagen des Romans reichen: "Ja, und jetzt?!"

    Das soll aber nicht verleugnen, dass es sich hierbei um ein faszinierendes Leseerlebnis handelt, das gerade durch den so verrückten Genremix einen eigenartigen Sog entwickelt. Percival Everett gibt hiermit den zahllosen Opfern von willkürlicher und ungeahndeter jahrhundertelanger Lynchjustiz ein Gesicht - und weist dabei auch auf aktuelle Bezüge hin. Insofern ging sein Plan definitiv auf - und nicht von ungefähr landete der Roman auch auf der Shortlist für den Booker Preis 2022.

    Ein komplett anderer Roman, der Unterhaltung und Ernsthaftigkeit auf verblüffende Weise verbindet.

    © Parden

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  1. In den Abgrund hineinschauen

    "Ich hab über was nachgedacht, was ich lieber nicht getan hätte. Ich hab über die Lüge nachgedacht, die ich vor so vielen Jahren über diesen Nigger-Jungen erzählt hab." (S.16)

    Die Bemerkung von "Granny" Carolyn Bryant, die mit einem Elektrorollstuhl im Garten ihres Sohnes Wheat Bryant umherfährt, macht deutlich, wo wir uns befinden: im echten White Trash-Milieu von Money, Mississippi. Hier trinkt der seit langem arbeitslose Wheat eine Dose Bier nach der anderen und überlegt allen Ernstes, in seinem löchrigen Außenpool Schweine zu halten. Die fragwürdige Idylle findet schnell ein Ende. Kurz danach wird Wheat tot aufgefunden, mit einem Strang Stacheldraht um den Hals und abgerissenen Hoden. Die letzteren hält ein "schmächtiger Schwarzer" in der Hand, der ebenfalls tot und übel zugerichtet neben Wheats Leiche liegt.

    Für die Provinzpolizisten, die den Tatort aufnehmen, steht sofort fest: Der "Nigger" hat einen aufrechten weißen Bürger umgebracht. Kurz darauf verschwindet aber die Leiche jenes Schwarzen aus dem Obduktionsraum, um neben einem weiteren weißen Toten mit abgerissenen Hoden wieder aufzutauchen. Diesmal ist es J.J.Bryant, ein Schwager des ermordeten Wheat. Und wieder löst sich die mysteriöse dunkelhäutige Leiche danach in Luft auf.

    Auf die ersten Kapitel dieses Romans, die wie eine finstere Milieugroteske anmuten, kann man sich wenigstens teilweise einen Reim machen. Der wandelnde dunkelhäutige Tote gleicht Emmett Till, der 1955 im Alter von vierzehn Jahren in Money, Mississippi von mehreren Mitgliedern der Familie Bryant grausam gelyncht wurde; die alte Granny Carolyn, damals eine junge Frau, gab die Einpeitscherin. Die Umstände werden in unserem Buch kurz berichtet und sind auch im Netz nachzulesen. Weitere Morde häufen sich. Am Tatort jedes Mal ein dunkelhäutiger Toter mit den Hoden des gleichfalls toten Weißen in der Hand. Da die örtliche Polizei offenbar zu tumb ist, um damit fertig zu werden, treten zwei Ermittler namens Jim und Ed auf den Plan, beide vom Mississippi Bureau of Investigation und beide dunkelhäutig. Kurz darauf mischt sich auch das FBI ein in Gestalt von Herberta Hind, ebenfalls farbig. Dass diese drei einen anderen Ermittlungsansatz haben als die Redneck-Polizisten vor Ort, versteht sich von selbst. Insbesondere nehmen sie Kontakt auf zu der hundertfünfjährigen Mama Z, die eine Akte führt "über jede Person, die seit 1913 in diesem Land gelyncht wurde". Die Akten füllen ein ganzes Zimmer vom Boden bis zur Decke. Und dass es sich in der Regel um Morde an nichtweißen Personen, begangen von "aufrechten Weißen" handelt, versteht sich auch von selbst.

    "Bäume" ist ein gallebitteres Buch voll grotesker Komik, das die Wurzel jeder Art von Rassismus gnadenlos aufzeigt: Dummheit. Die Redneck-Polizisten, für die eine schwarze Leiche am Tatort entweder "der Mörder" oder bloße Deko ist, der nicht totzukriegende Kuklux-Klan, der "orangefarbene" Präsident - alle werden in ihrer geistigen Begrenztheit nach Strich und Faden bloßgestellt. Demgegenüber steht eine nicht enden wollende Liste von Lynchmorden, die nie aufgeklärt wurden; abgetan als Selbstmorde oder Taten des aufrechten Volkszorns. Wer möchte, kann beim Lesen dieses Romans alle paar Seiten Namen von Ermordeten googeln - vermutlich sind amerikanischen Lesern und Leserinnen viele Namen geläufiger als uns.
    "Die Leiche von Julius Lynch (1913 in Hattiesburg, MS, an einem Baum hängend gefunden) wurde von seinem Bruder beansprucht. Es wurde niemand verhört. Es wurden keine Verdächtigen ermittelt. Es wurde niemand verhaftet. Es wurde niemand angeklagt. Es kümmerte niemanden." (S. 195)

    Zu Aufbau und Stil: Die Handlung wird in etwas über 100 meist kurzen und dialoglastigen Kapiteln Szene für Szene erzählt; der Sprachgebrauch ist schlicht und taff, dem Milieu angepasst. Die beinahe durchgehende Kameraperspektive - man könnte den Roman beinahe wie ein Drehbuch lesen - wirkt auf mich persönlich nach einiger Zeit etwas ermüdend (passt aber zu Thema und Setting). Die grimmige Lesefreude, insbesondere die Freude an der schwarzhumorigen Komik, die die meisten Mitgliedern der Leserunde bekundet haben, ist mir deshalb vielleicht zum Teil entgangen. Das ändert nichts an der Wichtigkeit dieses Buches, das thematisch bis ins Mark trifft, egal ob man in den Südstaaten der USA wohnt oder wo auch immer.
    Eine Auflösung der Mordfälle im Sinne eines Krimis sollte man nicht erwarten. "Bäume" ist weder ein Krimi noch eine Milieustudie im üblichen Sinn. Am ehesten könnte man wohl von Sozialgroteske sprechen. Wer sich auf rabenschwarze Art unterhalten und das rassistische Südstaatenmilieu gnadenlos überzeichnet dargestellt erlesen möchte, wird mit "Bäume" gut bedient. Es erinnert aber auch auf eindringliche Art an das, was niemals vergessen werden darf. Nietzsches berühmter Ausspruch vom Abgrund, der in den Betrachter zurückblickt, passte nie besser als auf dieses Buch. Unbedingt lesen!

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  1. Eine "Rachefantasie"

    Der Roman basiert auf einem historischen Fall: Im Jahr 1955 wurde der 14-jährige Emmett Louis Till, ein US-Amerikaner afroamerikanischer Abstammung, in Money, Mississippi vom Lebensmittelhändler Roy Bryant und dessen Halbbrunder J.W.Milam grausam ermordert, weil er angeblich Bryants Frau Carolyn „Bye, Babe“ gesagt und sie um die Taille gefasst haben soll.
    Der Tod des Jungen löste eine nationale Debatte über Rassismus in den USA aus, trotzdem wurden die beiden Mörder von einer aus weißen Männern bestehenden Jury freigesprochen. (Quelle Wikipedia).

    Everett lässt seine Handlung ebenfalls in Money spielen, Anfang des 21.Jahrhunderts, die einer der Protagonisten folgendermaßen beschreibt:
    "Wir sind hier nicht in der Großstadt. Wir sind hier noch nicht mal im einundzwanzigsten Jahrhundert. Wir sind ja kaum im zwanzigsten, wenn Sie verstehen, was ich meine."
    Ein Stadt, in der Rassismus auf der Tagesordnung steht und die Rednecks (im Sinne von konservativen Reaktionären) fast uneingeschränkt das Sagen haben.

    Carolyn Bryant, die Emmett Till beschuldigt hat, lebt tatsächlich noch als Granny C bei ihrem Sohn Wheat Bryant und seiner Frau Charlene.
    "Wheat war zurzeit arbeitslos, war ständig und immer zurzeit arbeitslos. Charlene wie oft und gern darauf hin, dass das Wort zurzeit ein Davor und ein Danach voraussetzte". (S.11)
    Gleich zu Beginn offenbart Carolyn, deren Identität im Verlauf des Romans offenbart wird, ihren Meineid: "Ich hab dem kleinen Kerl unrecht getan. Wie es geschrieben steht: Alles rächt sich früher oder später." (S.17) - und das wird es tatsächlich, darum geht es in diesem Roman, um Rache für die Opfer der Lynchjustiz.

    Unter mysteriösen Umständen werden nacheinander sowohl Junior Junior Milam, der Sohn J.W.Milams, als auch Wheat Bryant getötet. Neben ihren verstümmelten Leichen, denen die Hoden abgeschnitten wurden, liegt jeweils eine schwarze Leiche, die eben jene Hoden in den Händen hält. In beiden Fällen ist es derselbe Tote, der nach dem ersten Mord an Milam auf ungeklärte Weise aus der Gerichtsmedizin verschwindet.
    Der örtliche Sheriff Red Jetty ist nebst seinen wenig intelligenten Deputy Sheriffs Delroy Digby und Braden Brady mit den Morden überfordert, so dass sie Unterstützung vom MIB (=Mississippi Investigation Bureau) erhalten.
    Red Jetty Kommentar:
    "Großstadtbullen kommen hierher zum Arsch der Welt, um den Hinterwäldlern zu helfen. Keine Sorge. Ich bin nett zu den Scheißern." (S.37)

    Ed Morgan und Jim Davis, beide afroamerikanischer Herkunft, nehmen sich des Falls an und freunden sich mit Kellnerin Gertrude an, die zu Mama Z. führt. Welche Rolle spielt diese über 100 Jahre alte Dame, ebenfalls afroamerikanischer Herkunft, die in einem Archiv die Namen aller Opfer von Lynchmorden in den USA gesammelt hat?
    Das Morden oder besser gesagt, die Racheakte gehen weiter – und zwar nicht nur in Money, sondern in den gesamten Vereinigten Staaten, wobei die Opfer ausschließlich weiße Rassisten sind, denen allesamt die Hoden abgeschnitten werden und jeweils von einem Toten – afroamerikanischer, asiatischer oder indigener Herkunft in der Hand gehalten wird. Wer steckt hinter all diesen Rachemorden? Geht es nur noch um den Fall Emmett Till oder steht etwas größeres Ganzen dahinter? Woher kommen all die Toten?

    Der Roman hat mich über viele Seiten begeistert, v.a. durch den Aufbau in kurze, actionreichen Kapitel, seine besondere Sprache, in der die tumben Weißen gnadenlos mit Witz durch den Kakao gezogen werden. Die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Trumps, der ebenfalls einen satirisch überzeichneten Auftritt hat (der allerdings aus meiner Sicht weniger gelungen ist), werden in ihrer Dummheit, ihrem eingeschränkten Denken regelrecht vorgeführt, so dass man an vielen Stellen lachen muss. Das vergeht jedoch wieder schnell, wenn man sich die Lynchmorde und den alltäglichen Rassismus, unter dem Amerikaner:innen afroamerikanischer, aber auch asiatischer und indigenen Herkunft auch heute noch massiv leiden, vor Augen führt.

    Der Roman ist eine „Rachefantasie“ (Klappentext), die gegen Ende hin ins Magisch-Realistische übergeht. Der Schluss lässt mich als Leserin etwas ratlos zurück, aber vielleicht ist gerade das die Absicht des Autors, der auf drastische Art und Weise auf den Völkermord an Schwarzen, Asiaten und Indigenen in den USA aufmerksam machen will.

    Das ist ihm auf jeden Fall gelungen!

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  1. 5
    17. Mär 2023 

    Southern trees bear strange fruit

    Würde man einen cineastischen Vergleich zu diesem Buch ziehen wollen, könnten sich Leser:innen bei der Lektüre von „Die Bäume“ von Percival Everett auf einen wilden Genremix einstellen. Man nehme die Südstaaten-Atmosphäre der ersten Krimi-Serienstaffel von „True Detective“, inklusive der mysteriösen Mordfälle, und vermische dies mit dem bissigen Humor von Spike Lee-Filmen wie „Blackkklansman“ und deren immer vorhandenen, ernsten Anklage an den aktuellen US-amerikanischen Rassismus und der immer noch nicht aufgearbeiteten diesbezüglichen Historie. Man erhält einen vollkommen überraschenden, kreativen Roman, mit filmreifen Dialogen, interessanten Figuren und knallharter Sozialkritik.

    Percival Everett schickt seine schwarzen Ermittler in das Pulverfass Mississippi, genauer in den Ort Money, um sie (zunächst nur) einen skurrilen Mord an einem weißen Redneck im White Trash-Stadtteil „Small Change“ untersuchen zu lassen. Dort wurde nämlich neben der Leiche des Weißen ebenso die Leiche eines unbekannten schwarzen Mannes gefunden. Für die Bewohner ist schnell klar: Nur der tote (!) Schwarze kann der Mörder des Weißen gewesen sein. Keine Frage, keine Logikfehler ersichtlich. Merkwürdig wird das Ganze zusätzlich dadurch, dass die Leiche dem in 1955 gelynchten Jungen Emmett Till stark zu ähneln scheint und - noch merkwürdiger - als die Leiche des schwarzen Jungen dann auch noch plötzlich verschwindet. Neben einer weiteren frischen Leiche eines Rednecks wieder auftaucht und gleich wieder verschwindet. Mit viel hintergründigem Witz entspinnt der Autor nun eine mysteriöse Geschichte, die sich mit der Historie der Lynchjustiz an afroamerikanischen und asiatischstämmigen Menschen in den USA sowie dem immer noch tief verwurzelten Rassismus zur heutigen Zeit beschäftigt.

    Wenn man Beschreibungen zu dem vorliegenden Roman liest, kann man kaum glauben, dass das zusammenpasst. Diese „Hommage an die Opfer der Lynchjustiz“ und „Rachefantasie“ soll „witzig, surreal und absurd“, ja eine Satire, sein. Funktioniert das denn? Kann man eine Satire auf dieses schreckliche Themengebiet schreiben? Und darf man das? Ja, Percival Everett kann und darf das. Das wird schon nach wenigen Seiten der Lektüre klar. Er entwirft mit wenigen Pinselstrichen vollkommen authentisch wirkende Charaktere, die stellvertretend für Typen bestimmter Personengruppen stehen können, und hier aufeinandertreffen. Diese packt er in ein Szenario, welches an sich schon ungewöhnlich ist: Schwarze Ermittler:innen bewegen sich im Milieu von (mehr oder nur geringfügig weniger) überzeugten Rassisten im diesbezüglich geschichtsträchtigen Südstaate Mississippi. Die Geschichte, so sehr sie auch zunehmend mit magischen Elementen spielt, basiert auf der realen, historischen Person Emmett Till sowie dessen Mördern und unzähligen weiteren Fällen brutalster Lynchmorde. Das ist eine heikle Konstruktion, aber dem Autor gelingt das Wagnis bravourös. Durch klugen Witz enttarnt er die Dummheit, die hinter dem tief verwurzelten Hass der Rassisten steckt und lässt diese gnadenlos auflaufen.

    Der Schreibstil Everetts ist knackig und flott. Die kurzen Kapitel lesen sich wie ein Pageturner fast von allein, die Dialoge sind rasant und einfach nur filmreif. Die Wortspiele und doppelten Böden in den Formulierungen laden dazu ein, das Buch im englischsprachigen Original zu lesen, denn nur dann kommt die sprachliche Raffinesse des Autors vollkommen zum Tragen. Leider schafft es die Übersetzung von Nikolaus Stingl nicht an den Originaltext heran. Manche Formulierungen sind entweder gar nicht übersetzt und nicht nachvollziehbar im Englischen belassen, andere werden wörtlich übersetzt und klingen dadurch einfach nur falsch. Hierbei handelt es sich um ein mir bekanntes Problem mit den Übersetzungen von Nikolaus Stingl. In allen Büchern, die ich in seiner Übersetzung gelesen habe/lesen musste, treten dieselben Probleme auf. Es wundert mich daher sehr, dass der Verlag weiterhin an ihm festhält, wird doch der Lesefluss durch seine merkwürdigen Übersetzungsentscheidungen mitunter sehr gestört. Zum Glück ist Herr Stingl nicht auf die Idee gekommen, den im Buch eingebunden Liedtext des Billie Holiday-Klassikers „Strange Fruit“, worauf sich auch der Titel dieser Rezension bezieht und welcher sich bildgewaltig mit den Opfern der Lynchmorde beschäftigt, zu übersetzen. Denn dieser Songtext kann seine erschütternde Kraft im vollen Umfang nur im englischen Original entfalten.

    Unabhängig von der Übersetzung, empfinde ich nur zwei Kapitel, in denen auch der damalige US-Präsident Donald Trump in persona auftritt, als kritikwürdig. Hat der Autor noch im vorherigen Kapitel Trump durch mehrere treffsichere, subtile Andeutung gekonnt aufs Korn genommen, wird er im nächsten Kapitel durch wirklich unterirdisch platten Klamauk vorgeführt. Fraglos animiert die reale Person zum gnadenlosen Bloßstellen. Aber wir alle wissen, dass es sich hier schon von allein um eine niveaulose Witzfigur handelt, weshalb mir dieser Klamauk ein etwas zu billiger und auch in den letzten Jahren einfach zu häufig ausgetretener Zug ist. Hier verlässt Everett sein ansonsten immer sehr hohes Niveau an messerscharfer Satire zugunsten einer zu simpel gehaltenen Parodie. Schade.

    Die mangelhafte Übersetzung möchte ich diesem ansonsten über weite Strecken grandiosen Werk nicht negativ anlasten und runde deshalb bei 4,5 Sternen auf die volle Punktzahl auf. Es handelt sich hierbei um einen absolut lesenswerten Roman, der durch seinen Stil und die abstruse Handlung überrascht. Fast erkennt man den Autor des Vorgängerromans „Erschütterung“ hier kaum wieder, was aber zeigt, dass er viele Spielarten beherrscht und für Überraschungen in der Zukunft sorgen kann. Eine klare Leseempfehlung für dieses „Highlight mit Abstrichen“!

    4,5/5 Sterne

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Was wir sind: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Was wir sind: Roman' von Anna Hope
4.25
4.3 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Was wir sind: Roman"

Autor:
Format:Kindle Ausgabe
Seiten:369
EAN:
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Rezensionen zu "Was wir sind: Roman"

  1. Erwartung

    London Fields 2004, Lissa, Cate, Hannah, drei Frauen kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag. Sie lieben das alte Haus, in dem sie in Wohngemeinschaft leben. Lieben die Wochenenden im Park, lieben die Leichtigkeit ihres Lebens. Sie sind keine Mädchen mehr und noch weit entfernt, davon alt zu sein. „Sie haben noch Zeit zu werden, wer sie später einmal sein wollen.“
    Später einmal: Lissa sehnt sich nach Erfolgserlebnissen als Schauspielerin, hangelt sich von einem Vorsprechen zum Nächsten. Cate ist mit Sam verheiratet und seit kurzem Mutter. Sie hat London mit ihrer Familie verlassen, lebt nun in Canterbury. Sie schläft kaum, schafft den Alltag nicht. Ihr Muttersein erfüllt sie nicht. Hannah hingegen startet einen vergeblichen Versuch nach dem anderen, schwanger zu werden, ein Leidenszyklus, an dem ihre Beziehung mit Nathan zerbrechen wird.
    Die britische Autorin Anna Hope schreibt über drei Frauen, ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe. Was diese drei Frauen verbindet ist ihre Freundschaft und selbst diese ist immer wieder schweren Prüfungen ausgesetzt. Was diese Frauen trennt ist Kinderwunsch, Mutterschaft, beruflicher Erfolg: jede wünscht sich ein bisschen etwas vom Leben der anderen.
    „Expectation“ – Erwartung ist der Originaltitel dieses Buchs. Anna Hope schreibt in ihrem Roman „Was wir sind“ über Sehnsüchte, Träume, Hoffnungen und Ansprüche von Lissa, Cate und Hannah. Diese drei Protagonistinnen stehen stellvertretend für alle Frauen. In jeder Frau steckt wohl ein bisschen etwas von diesen dreien. Die Rebellionen und Illusionen der Jugend weichen Kompromissen. Erwartungen haben in der Realität nicht immer Bestand. Es sind oft sehr private Momente, an denen die Autorin uns teilhaben lässt und stellt ihre Protagonistinnen trotzdem nicht bloß. Nichts davon ist lebensfremd, gekünstelt, geschönt oder schnulzig.
    Was wir sind, ist nicht immer was wir waren. Was wir sind, ist niemals statisch. Was wir sind, ist was wir erleben, erfühlen, erfahren. Und das macht uns letztlich zu dem, wer wir sind.

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  1. 5
    01. Mär 2020 

    Uns war alles egal. Wir waren frei.

    Ein Buch über eine Frauenfreundschaft in London. Drei befreundete junge Frauen ziehen 2004 in der Mitte von ihren Zwanzigern gemeinsam in ein Haus an einem Park. Sie sind frei. Das Leben und seine Möglichkeiten liegen noch größtenteils vor ihnen. Alles ist möglich. Aber ist das wirklich so? Ist man wirklich jemals frei? Trägt nicht jeder von uns Wunden mit sich herum, die einen einfach nicht frei sein lassen? Bringt das Leben nicht auch Entscheidungen mit sich, die die eigene Freiheit einschränken? Und ist genau das immer schlimm? Die Handlung des Buches springt nach dem kurzen Intermezzo von 2004 auf das Jahr 2010 und zeigt, wohin es die drei Freundinnen verschlagen hat, zeigt, was mit ihnen passiert ist. Nachdem dieser Roman anfangs etwas langsam begann, ich mich schon fragte, ob ich das richtige Buch vor den Augen hatte, gewann das Buch langsam, aber stetig und immer mehr an Kraft. Ich fühlte mich beim Lesen wie in einem Sturm und bin restlos begeistert. Das Leben und was es mit diesen Frauen macht. ist einfach interessant und auch glaubhaft gestrickt. Ich finde mich in jeder der drei Frauen wieder, genauso wie ich auch bei jeder Frau Reibungspunkte finde. Die Handlung bleibt nicht auf das Jahr 2010 beschränkt, mäandert eher in den Leben der Frauen hin und her, zeigt wichtige Punkte in deren Leben auf. Ein wirklich interessantes Konstrukt! Ich bin richtig angeknipst! So drücke ich es immer aus, wenn mich ein Buch wirklich beschäftigt, wenn es mich erreicht. Jaaaa, genauso kann das Leben sein. Die Charaktere reißen mit, genauso, wie ich es mir anhand der Leseprobe gedacht hatte. Dieses Buch ist für mich ein 5 Sterne Kandidat. Die Art der Zeichnung der drei Charaktere verlangt das förmlich. Gegen Ende verändert sich das Buch noch einmal, wird noch intensiver und deutlich berührender. Ein Gefühlsorkan!!! Ein wunderbares Buch, ein 5 Sterne Buch, ein Buch, welches dringend gelesen werden sollte!!!

    Ein Buch über eine Frauenfreundschaft, klug, gefühlvoll, stürmisch. Man kommt beim Lesen ins Sinnieren, zieht Vergleiche, resümiert. Ein kraftvolles Buch, ein wichtiges Buch, ein wunderbares Buch mit recht real gezeichneten Charakteren und den Dingen, die das Leben uns mitgibt. Unbedingt lesen!!!

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  1. Glücklich sein

    Hannah, Cate und Lissa kennen sich aus dem Studium und sind die Protagonistinnen dieses Romans. Mit Mitte dreißig stehen die Drei an ganz unterschiedlichen Punkten. Hannah liebt ihr Leben und das Leben mit Nathan, doch alles scheint wertlos ohne ein Kind. Cate ist nach der Geburt ihres Sohnes nach Canterbury gezogen und hat das Gefühl, sich mehr und mehr selbst zu verlieren. Und Lissa steht nach einer schwierigen Beziehung auf der Schwelle zu ihrem Traum.

    Fazit: Die Geschichten der drei Frauen wirken beim Lesen sehr bedrückend, da niemand in seiner Situation glücklich ist. Man liest darüber, wie die drei verzweifelt versuchen etwas zu ändern, was zunächst nicht zielführend ist. Das Ende hat mir persönlich gar nicht gefallen, da es unwirklich scheint und nicht zum Buch passt - es ist einfach eine zu plötzliche Wende in der Geschichte.
    Das Buch hat mich aber gut unterhalten - sehr spannend geschrieben mit interessanten Geschichten. Definitiv ein Buch, welches auch zum Nachdenken anregt.

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  1. 5
    10. Feb 2020 

    Drei Frauen von heute

    Der Roman beginnt mit einer kleinen Szene im Jahr 2004. Die drei Freundinnen Cate, Hannah und Lissa, alle drei Ende Zwanzig, leben gemeinsam in einer WG in London Fields. Es ist eine gute Zeit für sie, alles scheint ihnen offen zu stehen. „ Das Leben ist immer noch formbar und voller Potenzial. ... Sie haben noch Zeit zu werden, wer sie später einmal sein wollen.“
    Dann macht das Buch einen Sprung ins Jahr 2010. Für die Frauen hat sich seitdem einiges verändert.
    Hannah hat einen befriedigenden und gut bezahlten Job in einer Stiftung und ist mit ihrer großen Liebe Nathan verheiratet. Zum perfekten Glück fehlt nur das gewünschte Baby. Hannah hat sich so in ihren Kinderwunsch verbissen und schöpft alle Möglichkeiten der modernen Medizin aus, um endlich schwanger zu werden. Dabei gerät ihre Ehe in eine bedrohliche Krise.
    Cate dagegen lebt mittlerweile mit ihrem Mann Sam und dem Baby im eigenen Haus in Canterbury. Aber die junge Frau ist mit den neuen Aufgaben völlig überfordert, fühlt sich einsam in der fremden Umgebung und von ihrem Mann nicht verstanden. Cate schlittert zusehends in eine Depression.
    Auch bei Lissa hat das Leben nicht die erhoffte Entwicklung genommen. Aus der erträumten Schauspielkarriere ist nichts geworden. Sie muss sich stattdessen mit diversen Jobs über Wasser halten. Das Vorbild ihrer Mutter, einer Künstlerin und feministischen Aktivistin, ist eher Belastung als Hilfe.
    Alle drei Frauen sind an einem Punkt ihres Lebens angelangt, wo sie sich fragen müssen, was aus ihren Wünschen und Hoffnungen geworden ist. Dabei wird ihre jahrelang Freundschaft in Frage gestellt. Gefühle wie Neid auf das scheinbar bessere Leben der anderen belasten die Beziehung. Jede kann nur noch wenig Verständnis für die Probleme und Sorgen der anderen aufbringen.
    Anna Hope erzählt uns diese Geschichte in wechselnden Perspektiven und auf verschiedenen Zeitebenen. Das ist aber nie verwirrend, sondern macht die unterschiedlichen Standpunkte und Gefühle der Frauen für den Leser erfahrbar. Durch Rückblenden in die Vergangenheit, in die Kindheit und Jugend der Frauen, wird so manches Verhalten verständlich.
    Die Figuren sind glaubwürdig und authentisch, ihre Gedanken , Handlungen und Reaktionen nachvollziehbar.
    „Was wir sind“ ist ein wunderbar erzählter Roman über Frauen von heute; eine Generation, die glaubt, alles haben zu können, was sie sich wünscht: Karriere, Partnerschaft und Kind und die an ihren hohen Erwartungen scheitern muss.
    Ein kluger, einfühlsamer Roman, dem ich viele Leser wünsche.

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