Der Wörterschmuggler

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Rezensionen zu "Der Wörterschmuggler"

  1. Spät zündende Rakete

    „[…] die Welt ist schließlich nichts weiter als eine große Bank der Gefallen, und ich habe dort was gut.“

    Ich bin ja bekennender Fan von Kurzgeschichten, (Kurz-)Prosa etc. Außerdem entdecke ich gerne außergewöhnliche Bücher und Autoren. Über Netgalley bin ich vor kurzem auf „Der Wörterschmuggler“ von Natalio Grueso aufmerksam geworden.

    Nun, nach Beendigung der Lektüre bin ich hin- und hergerissen. Zum einen konnte mich das Buch zum Schluss doch einigermaßen mitreißen, zum anderen musste es aber auch eine lange Durststrecke überwinden, um an den Punkt zu kommen, an dem ich meine Bewertung nach oben korrigiere.

    Das Buch besteht aus einer Story, in der mehrere Geschichten erzählt werden. Erst spät wurde mir als Leser klar, dass einzelne Episoden jeweils eine Lebensstation des Ich-Erzählers darstellen, der mit diesen zu Papier gebrachten Geschichten das Herz einer Dame erobern will. Nun, ob es gelingt, soll jede*r selbst herausfinden, der Interesse an teils poetisch formulierten Sätzen und Geschichten hat.

    „Vielleicht war das ja das große Übel unserer Zeit, dass alle sich berechtigt fühlen, über alles zu urteilen, über alles eine Meinung zu haben, ohne auch nur einen Bruchteil der Fakten zu kennen – […].“

    Man kann anhand meiner Rezension erahnen, dass ich immer noch nicht ganz über das Buch hinweg bin; vielleicht werde ich es bei Gelegenheit noch einmal in die Hand nehmen, um der Poesie zu „erliegen“.

    Jetzt reicht es allerdings nur zu 3,5 bzw. 4 Sternen.

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Reise im Mondlicht: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Reise im Mondlicht: Roman' von Antal Szerb

Inhaltsangabe zu "Reise im Mondlicht: Roman"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:272
EAN:9783423136204
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Das Licht der Toskana: Roman

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Rezensionen zu "Das Licht der Toskana: Roman"

  1. Neuanfang statt Ruhestand

    Susan, Julia und Camille sind drei Südstaaten Ladies, die sich bei der Besichtigung einer Senioren-Wohnanlage kennenlernen. Sie sind zwischen Ende Fünfzig und Mitte Sechzig und fühlen sich eigentlich zu jung für diese Lebensform. Aber Susan und Camille sind Witwen und Julia hat eben ihren Ehemann verlassen und sie sind alle unsicher, wie es weitergehen soll. Es entwickelt sich schnell eine harmonische Freundschaft und die drei Amerikanerinnen beschließen für ein Jahr eine Villa in der Toskana zu mieten um Abstand zu gewinnen.

    Kit Raines, eine erfolgreiche amerikanische Schriftstellerin sieht die Drei aus dem Wagen steigen und die Nachbarvilla betreten und damit beginnt das toskanische Abenteuer. Kit hat selbst vor 10 Jahren ihren Lebensmittelpunkt in die Toskana verlegt und sieht den neuen Nachbarinnen mit Spannung entgegen.

    Auch zu Kit entwickelt sich schnell eine tiefe Freundschaft, in der Sonne Italiens kommen die lange unterdrückten Talente der Frauen ans Licht, Camille beginnt wieder künstlerisch tätig zu sein, Julia beginnt ihrer Leidenschaft zum Kochen eine weitere Variante hinzufügen und hat schon Ideen für ein Kochbuch und Susan beginnt mit Antiquitäten zu handeln.

    Ein wenig erinnert das Buch an das eigene Leben der Autorin, sie hat selbst in den 90iger Jahren sich in ein toskanisches Haus verliebt, es renoviert und zum Mittelpunkt ihrer Romane und auch Filme gemacht. Die Geschichte ist in einer rosaroten zuckrigen Wolke eingehüllt, man fühlt sich sofort in die Landschaft versetzt. Gerüche, Farben, Aromen – das alles erzeugt eine geradezu sinnliche Atmosphäre. Dass es realitätsfern ist, von zu vielen Zufällen und Harmonie geprägt und dass es manchmal gar zu blumig in den Beschreibungen wird – geschenkt! Die Autorin kann ihre Leser verzaubern und sie für die Lesezeit in die Hügel der Toskana versetzen. Ich habe das Buch genossen, auch wenn ich mir manchmal etwas mehr echtes Leben und ein paar Schwierigkeiten gewünscht hätte.

    Eine unterhaltsame Geschichte, schön erzählt, die Sprache passt zum Sujet und ich denke auch zum angesprochenen Leserinnenkreis, die sicher in der zweiten Lebenshälfte stehen dürften.

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Den Himmel stürmen

Buchseite und Rezensionen zu 'Den Himmel stürmen' von Paolo Giordano

Inhaltsangabe zu "Den Himmel stürmen"

Gebundenes Buch
In dem Bestseller aus Italien porträtiert Paolo Giordano vier junge Leute auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Teresa kommt jede Sommerferien zu ihrer Großmutter nach Apulien. Eines Nachts beobachtet sie, wie drei Jungs, fast noch Kinder, heimlich in das Schwimmbad eindringen. Sie sind frei, voller Leidenschaft. Die nächsten zwanzig Jahre werden sie gemeinsam verbringen, einen Hof führen, dem Rhythmus der Natur angepasst, säen, ernten, zerstören, auf der fiebrigen Suche nach dem Feuer, das sie am Leben hält. Mit einer enormen Beobachtungsgabe schreibt Paolo Giordano über Beziehungen, über Menschen, die ihre Ideale leben. In ihrer Sehnsucht nach einer alternativen Welt sind sie zu allem bereit. Sie kennen keine Grenzen, sie wollen den Himmel stürmen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:528
EAN:9783498025335
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Die Einsamkeit der Primzahlen

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Einsamkeit der Primzahlen' von Paolo Giordano

Inhaltsangabe zu "Die Einsamkeit der Primzahlen"

Format:Taschenbuch
Seiten:368
EAN:9783499291289
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Herbstvergessene: Roman

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Rezensionen zu "Herbstvergessene: Roman"

  1. Interessanter Frauenroman mit kleinen Schwächen

    „Noch bevor ich näher darüber nachdenken konnte, sagte ich: ‚Meine Mutter hätte sich niemals umgebracht.‘“ (Zitat Seite 27)

    Inhalt:
    Seit zehn Jahren besteht der Kontakt zwischen Lilli Sternberg und ihrer Tochter Maja nur mehr aus Grußkarten zum Geburtstag und zu Weihnachten. Nun bittet Lilli ihre Tochter, zu ihr nach Wien zu kommen, sie müsse ihr etwas Wichtiges mitteilen. Als Maja eine Woche später in Wien vor dem Wohnhaus ihrer Mutter steht, ist diese tot, am selben Morgen von der Terrasse gesprungen. Für Maja passt das absolut nicht zum Charakter ihrer Mutter. Für das Begräbnis benötigt sie die Geburtsurkunde und das Geburtsdatum stimmt nicht mit der bisher bekannten Familiengeschichte überein. Dazu ein Foto, das die Großmutter Charlotte mit einem Baby zeigt, das nicht Lilli sein kann, und Maja beschließt, den Spuren nachzugehen, vorerst ohne genau zu wissen, wonach sie sucht.

    Thema und Genre:
    In diesem Familienroman geht es um den Umgang mit der Vergangenheit, um die Lebensborn-Kinderheime des Nationalsozialismus, vor allem aber um schwierige Mutter-Töchter-Beziehungen.

    Charaktere:
    Es ist ein Frauenroman, der von zwei Protagonistinnen erzählt wird. Charlotte, die Großmutter von Maja, muss sich den Gegebenheiten in der Lebensborn-Einrichtung fügen, bleibt jedoch aufmerksam und als sie eine gefährliche Entscheidung treffen muss, tut sie dies mit allen Konsequenzen. Maja dagegen wird durch Selbstvorwürfe, ihr Verhältnis zu ihrer Mutter betreffend, oft blockiert und ihre Recherchen und Erfahrungen machen sie nicht stärker, was logisch wäre, sondern eher unsicher und für eine Vierzigjährige erstaunlich hilflos.

    Handlung und Schreibstil:
    Die Geschichte wird in zwei Erzählsträngen erzählt: die Vergangenheit wird durch Charlottes Aufzeichnungen von ihrer Zeit in Hohehorst geschildert, wodurch sich auch die „Ich“-Form ergibt, während die Gegenwart aus der Sicht von Maja, somit ebenfalls in der ersten Person, wiedergegeben wird. Beide Erzählstränge wechseln einander ab. Die aktuelle Geschichte spielt vorwiegend in Wien und an der ligurischen Küste.
    Beide Handlungen sind packend aufgebaut, doch wird die Geschichte in der Jetztzeit zu oft mit vorausdeutenden Hinweisen abgebrochen, was die Spannung erhöht, aber leider den Lesefluss hemmt.

    Fazit:
    Die Handlungen der Protagonistin Maja sind nicht immer nachvollziehbar und ihre teilweise Hilflosigkeit nervt. Unterbrüche und Hinweise sollen die Spannung erhöhen, unterbrechen aber den Lesefluss. Sehr gut und stimmig ist dagegen der Erzählteil, der in der Vergangenheit spielt. Das macht das Buch insgesamt zu einem interessanten, lesenswerten Frauenroman.

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Acht Berge: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Acht Berge: Roman' von Paolo Cognetti
4.85
4.9 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Acht Berge: Roman"

Eine unerschütterliche Freundschaft. Ein Aufbruch ins Ungewisse. Die Sehnsucht nach Heimat

Wagemutig erkunden Pietro und Bruno als Kinder die verlassenen Häuser des Bergdorfs, streifen an endlosen Sommertagen durch schattige Täler, folgen dem Wildbach bis zu seiner Quelle. Als Männer schlagen die Freunde verschiedene Wege ein. Der eine wird sein Heimatdorf nie verlassen, der andere zieht als Dokumentarfilmer in die Welt hinaus. Doch immer wieder kehrt Pietro in die Berge zurück, zu diesem Dasein in Stille, Ausdauer und Maßhalten. Er ringt mit Bruno um die Frage, welcher Weg der richtige ist. Stadt oder Land? Gehen oder Bleiben? Was zählt wirklich im Leben?

Vor der ehrfurchtgebietenden Kulisse des Monte-Rosa-Massivs schildert Paolo Cognetti mit poetischer Kraft die lebenslange Suche zweier Freunde nach dem Glück. Eine eindringliche archaische Geschichte über die Unbezwingbarkeit der Natur und des Schicksals, über das Leben, die Liebe und den Tod.

Format:Taschenbuch
Seiten:272
EAN:9783328103448
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Rezensionen zu "Acht Berge: Roman"

  1. 5
    03. Dez 2018 

    Ein Buch nicht nur über eine wahre Freundschaft

    Ein wunderschönes Buch über die Natur, über eine besondere Freundschaft zweier Jungen, über eine interessante Vater-Sohn-Beziehung und über die politische Lage Italiens.

    Gefreut habe ich mich zudem, dass ich tatsächlich eine Antwort zu Ferrantes Buch habe finden können, wo ich erst dachte, dass dies nur auf dem Umschlag steht, um die Leser*innen anzulocken.

    Daher möchte ich am Ende der Besprechung etwas über dieses Buch diskutieren, über die Antwort auf Ferrantes Werk, weshalb ich gezwungen sein werde, ein paar Details mehr anzubringen, bin aber trotzdem bemüht, nicht alles zu verraten.

    Die Handlung
    Die Handlung wird aus der Ich-Perspektive des Jungen namens Pietro Guasti erzählt. Seine Eltern, die aus dem ländlichen Veneto kommen, sind mit Anfang dreißig in die Großstadt Mailand gezogen. Veneto scheint wie ausgestorben zu sein, als hätten die Bewohner Landflucht betrieben, da die Gegend für Arbeitsplätze nicht mehr lukrativ genug war und die schlechte Infrastruktur die Wirtschaft noch weiter belastet hat. Erst viele Jahre später zog das Bergdorf durch attraktive Umbaumaßnahmen jede Menge Touristen an. Es gab kaum noch Einheimische.

    Pietros Vater ist eine Kriegswaise und von Beruf studierter Chemiker. Die Mutter ist gelernte Krankenschwester, in Mailand allerdings ist sie in einem sozialen Brennpunkt als Familienhelferin tätig.

    Pietro, Einzelkind, wurde Anfang der 1970er Jahre in Mailand geboren.

    Pietros Eltern fühlten sich in dem stickigen Mailand nicht wirklich wohl und vermissten ihre Berge in den Dolomiten. Daher verbrachte die Kleinfamilie die Ferien mehrmals im Jahr in dem kleinen Bergdorf Grana.

    Pietros Vater war Einzelgänger. Er fühlte sich wohl in der Natur, war immer froh, wenn er aus der staubigen Großstadt flüchten konnte. Zusammen mit seinem Sohn ging er in die Berge wandern und klettern.

    Das Bergdorf Grana wirkte wie eine Geisterstadt, verlassen und einsam, nur noch wenige Menschen sind geblieben.

    Pietro lernte in Grana einen gleichaltrigen Jungen kennen, Bruno Guglielmina, der auf der Weide Kühe hütete. Es war schwierig, sich Bruno zu näheren. Bruno war wie Pietros Vater Einzelgänger und schien keine Freunde zu haben. Bruno hatte mit der Schule abgebrochen ... un ist es Pietros Mutter, die es schafft, dass die beiden Jungen freundschaftlich zueinanderfinden. Allmählich fasst Bruno Vertrauen zu Pietro und dessen Familie …

    Durch Pietros Mutter Einfluss gelingt es ihr, dass Bruno wieder zurück in die Schule geht und wenigstens einen Hauptschulabschluss erwirbt … Später setzte sich die Mutter noch dafür ein, Bruno mit nach Mailand zu nehmen, damit er dort mit den höheren Schulen fortsetzen konnte… Das stieß nicht nur bei Pietro auf Widerstand, denn welches Recht hatten seine Eltern, Bruno von seinem Zuhause wegzuholen, wenn er doch glücklich war mit seinem Leben als Kuhhirten …

    Je älter Pietro wurde, desto kritischer ging er mit der Lebensweise seines Vaters um. Ständig hinterfragte er den Charakter und das Verhalten seines Vaters. Nach der Schule verließ Pietro das Elternhaus, denn er ertrug seinen Vater nicht mehr, der aus seiner Sicht nur auf seine Bedürfnisse bedacht war und völlig unprofessionell wirkte, wenn es sich z. B. um das Bergsteigen drehte. Jahre später erfuhr Pietro, dass sein Vater Bruno mit in die Berge genommen hatte ...

    Pietro geht seinen eigenen Weg, bricht mit der Uni ab, um sich auf eine längere Asienreise zu begeben, um die Himalaja zu besichtigen. Zehn Jahre lang hatte er keinen Kontakt mehr zu dem Vater. Als sein Vater schließlich früh an Herzversagen stirbt, reist Pietro wieder in die Heimat zurück. Durch seine Mutter erfährt er, dass der Vater immer um seinen Sohn besorgt war, und der Stress auf der Arbeit zermürbte ihn letztendlich. Um den Tod des Vaters besser verarbeiten zu können, begibt sich Pietro in den Bergen in seine Fussstapfen ...

    Nach zehn Jahren entsteht ein neuer Kontakt zu Bruno, der inzwischen eine Maurerlehre absolviert hatte, und dennoch die Absicht verfolgt, sich beruflich zu verändern, um einen ganz anderen Bereich zu betreten, der ihm trotzdem vertraut war.

    Die beiden Jungen, die zu Männern herangereift waren, kommen sich nach so vielen Jahren über den verstorbenen Freund und Vater wieder näher und setzen ihre außergewöhnliche Freundschaft fort.

    Pietro tritt ein Erbe seines Vaters an. In den Bergen hatte er ein Grundstück mit einer alten Ruine geerbt, auf dem für ihn ein Haus hätte entstehen sollen. Das hat der Vater aber nicht mehr geschafft, und nun fühlt sich Bruno verantwortlich, dieses Haus für Pietro zu bauen. Pietro schließt sich Bruno an, packt am Hausbau mit an und so kommen sich die beiden Freunde durch dieses gemeisame Handwerk näher.

    Ein intensiver Austausch über den verstorbenen Vater findet statt. Durch Brunos Schilderungen bekam Pietro ein ganz anderes Bild von seinem Vater. Während Pietro seinen Vater abgewertet hatte, wertete Bruno ihn wieder auf. Negative Charaktereigenschaften kamen von Pietro, die positiven von Bruno. Bruno schien Pietros Vater besser zu kennen als der eigene Sohn, vielleicht, weil sie beide seelisch verwandt waren; aber auch, weil sie in ihrer Biografie Gemeinsamkeiten aufzuweisen hatten …

    Bruno setzte seine beruflichen Pläne um, und machte sich zusammen mit seiner Partnerin, die er durch Pietro kennengelernt hatte, in der Landwirtschaft selbstständig. Leider scheiterten seine Pläne, obwohl er und seine Partnerin Lara über Jahre Tag und Nacht geschuftet haben. Lara verlässt ihn mit der gemeinsamen Tochter, weil sie ihn für dieses entsetzliche Desaster verantwortlich macht. Bruno war gezwungen, Insolvenz anzumelden … Bruno war nicht bereit, rechtzeitig alle Zelte abzubrechen, um woanders einen Neustart zu wagen. Bruno hat diesen beruflichen Verlust und den Verlust seiner kleinen Familie nur sehr schwer verkraftet und zog sich als Konsequenz noch weiter von der Außenwelt zurück. Auch mit Pietro war er nicht bereit, über seinen inneren Schmerz zu sprechen, und zog wie ein Eremit ein Leben in den Bergen vor.

    Zum Schreibkonzept
    Zwei schöne Zitate sind auf den ersten beiden Seiten namhafter Autoren zu lesen. Auf den folgenden Seiten findet eine kleine Einleitung zu der Familiengeschichte Guasti statt. Der Roman ist auf 245 Seiten in drei Teilen und zwölf Kapiteln gegliedert.
    Es ist ein ruhiger und dadurch auch ein sehr angenehmer Schreibstil.

    Cover und Buchtitel
    Ich wollte gerne das italienische Cover oben mitabbilden, war aber nicht nötig, da der deutsche Verlag das italienische Cover übernommen hat.
    Der Buchtitel: Zu Beginn des Romans dachte ich erst, dass diese acht Berge die Berge der Dolomiten darstellen würden. Ich habe mich aber geirrt. Sie führen in eine völlig andere Richtung, raus aus Veneto, raus aus Italien, raus aus Europa.

    Meine Identifikationsfigur
    Bruno war meine Identitfikationsfigur.

    Was ist die Antwort auf Ferrantes Werk?
    Die Antwort ist für mich eine politische. Als Pietro nach zehn Jahren wieder nach Italien zurückgekehrt war, war er verwundert, wie sehr seine Heimat heruntergewirtschaftet wurde. Er hat sein Land fast nicht wiedererkannt. Selbst sein studierter Vater bangte zu Lebezeiten um seine Anstellung als Chemiker in einer Fabrik, die über zehntausend Arbeiter beschäftigt hat, und auch sie alle besorgt um ihren Arbeitsplatz waren. Politische Unruhen und viele Arbeiterstreiks dominierten das Land. Nun war nicht nur der Süden Italiens von der krankhaften Wirtschaftskrise befallen, auch im Norden schlug sie wie ein Krebsgeschwür um sich ...

    Und im Fall Bruno? Ja, Bruno hat es schulisch nicht weit gebracht, und wenn Pietros Mutter nicht gewesen wäre, hätte er nicht einmal einen Schulabschluss geschafft. Solche schulischen Lebensläufe findet man auch bei uns in Deutschland, aber sie sind sowohl hier als auch dort nicht die Regel. Schulschwänzer findet man überall auf der Welt.
    Biografisch gesehen besaß Bruno zwar einen Vater, aber dieser Vater war kaum für seinen Sohn da. Der Vater verließ eines Tages Sohn und Frau, weil die Frau ihn nicht mehr etrug. Brunos Mutter war eine wortkarge Person, die sich tatkräftig um ihre Wirtschaft gekümmert hat. Über Probleme wurde in dieser Familie nicht gesprochen, man ertrug sie größtenteils jeder für sich stillschweigend ... Pietros Vater war für Bruno ein Vatersubstitut. Der Junge hat in diesem Mann alles gefunden, was er an seinem Vater vermisst hatte. Deshalb betrachte ich Bruno symbolisch als eine Halbwaise. Sicher hatte Bruno seinen Freund bewundert, auch, dass er in der Welt herumkam. Das hätte Bruno auch haben können, zusammen mit Pietro, aber er traute sich das nicht zu. Es fehlte ihm an Selbstbewusstsein, und so hielt er an alt Vertrautem fest ... Und gescheitert ist Bruno am Ende trotzdem. Wer es besser wusste, suchte mutig woanders einen Weg, um die Existenz zu bestreiten, wie es Pietros Familie und viele andere Menschen getan haben.

    Zur aktuellen politischen Lage
    Die italienische Regierung schafft es durch tiefverwurzelte Mafiöse Strukturen nicht, aus der Korruption rauszukommen. Lange, lange Zeit waren auch in Italien die Südländer*innen die Bösen, nun muss auch der Norden zusehen, wo er bleibt. Viele Akademiker*innen verlassen derzeit das Land, denn selbst mit einem abgeschlossenen Studium ist es schwer für einen jungen Menschen, in Italien Fuß zu fassen ...

    Die Mieten sind überteuert, und die Gehälter reichen nicht aus, sich ein eigenes Leben aufzubauen, und so bleiben viele junge Leute erstmal bei den Eltern wohnen, bis sie heiraten oder andere Lösungen, die ins Ausland führen, gefunden haben. Hier in Deutschland heißt es, die erwachsenen Kinder würden im Hotel Mama wohnen bleiben; ein Vorurteil, das nicht mehr aus den Köpfen zu bekommen ist. Ohne den Familienverband ist ein Leben in Italien nach wie vor sehr schwer aufrechtzuerhalten. Das Vertrauen zu den Politkern ist schon längst ausgespielt. Aber sie wählen diese Politiker, weil es keine anderen gibt. Viele verweigern die Wahl, gehen nicht mal mehr an die Wahlurne.

    Bruno und seine Partnerin haben gerackert und geschuftet und sind trotzdem auf keinen grünen Zweig gekommen.

    Derzeit haben die Italiener*innen rechts gewählt, mit der Hoffnung, dass die neue Regierung Arbeitsplätze schafft. Aber tief in ihnen drin, wissen sie, dass sich nichts an dieser maroden Regierung ändern wird, auch wenn die Gesichter im Parlament durch Versagen der Regierung ständig zu wechseln scheinen.

    Elena Ferrante hat die Politik in ihrem Buch völlig ausgeblendet. Ich habe nur den ersten Band gelesen, den ich dermaßen einseitig destruktiv erlebt habe, dass ich die Folgebände boykottieren musste. Ich habe mich gewundert, dass viele studierte Leser*innen hierzulande dieses Werk so hochgelobt haben. Mir fehlt dafür jegliches Verständnis. Ein Buch voller Klischees, voller Vorurteile, wieso finden das die Leser*innen in Deutschland gut? Würde man über Deutschland ein dermaßen einseitiges destruktives Bild abwerfen, da würde jeder Deutsche protestieren. Warum also so unkritisch Ferrante lesen? Ich kenne in Italien so viele Italiener*innen, die ehrlich und hart ihren Unterhalt bestreiten müssen und sie trotz der Armut ihre Kinder dennoch auf die höhere Schule schicken. Es sind viele freundliche und kinderliebende Menschen, die es nicht verdient haben, in der Literatur so abgedroschen zu werden. Keiner würde ihre Kinder aus dem Fenster werfen, wie Ferrante versucht, es uns glaubhaft zu machen. Böse Menschen gibt es überall auf der Welt, aber überall auf der Welt gibt es auch gute. Die Guten musste ich bei Ferrante mit der Lupe suchen und konnte auch mit der Lupe nicht wirklich fündig werden.

    Und wenn man nun beide Werke miteinander vergleicht, Cognettis und Ferrantes Werk, so hat Cognetti schlechter in der Punktevergabe abgeschnitten als Ferrante. Das gibt mir zu denken ...

    Mein Fazit
    Ich selbst fand das Buch richtig toll und freue mich dadurch, Paolo Cognetti kennengelernt zu haben; ein italienscher Autor, der sich wunderbar für mein Italien-Leseprojekt eignet. Ein Buch ohne Klischees und völlig frei von Stereotypen. Ich bin dankbar, dass Cognetti dieses Buch geschrieben hat.

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  1. 4
    19. Jul 2018 

    Weiter Blick

    Bereits als er noch ein Kind war nahm sein Vater ihn mit in die Berge. Er konnte nie schnell genug nach oben kommen. Pietro meint, jeder habe seine eigene Höhe. Sein Vater wollte immer ganz nach oben, während seine Mutter sich eher auf den Almwiesen wohl fühlte. Die ersten Urlaube aus Mailand heraus führten die Familie in einen halb verlassenes Bergdorf. Dort lernt Pietro den nur ein paar Monate älteren Bruno kennen. Der Bergbauernbub zeigt Pietro eine andere Welt. Und gemeinsam mit dem Vater besteigen sie so manchen Berg. Doch die Zeit macht vor den Kindern nicht halt und ihre Wege entwickeln sich in unterschiedliche Richtungen.

    Will der Vater durch die gemeinsamen Wanderungen mit seinem Sohn die Wanderungen ersetzen, die er mit dem früh verstorbenen Bruder seiner Frau unternommen hat? Ist er deshalb so rastlos? Pietro bleibt den Bergen immer verbunden, wenn auch auf andere Art und Weise. Zur Enttäuschung des Vaters bricht er sein Studium ab und wird Dokumentarfilmer. Sein Weg führt ihn dabei in die Bergwelten Nepals. Müsste sein Vater nicht so etwas wie Stolz empfinden. Sein Jugendfreund Bruno bleibt sehr heimatverbunden, neben seiner Arbeit als Maurer wird es sein Traum einen Bauernhof zu führen.

    Kann der weite Blick von einem Bergwipfel verbinden oder auch entzweien? Es scheint als wolle der Autor dieser oder einer ähnlichen Frage nachgehen. Soll Pietro einen verwaisten Platz einnehmen? Will der dem Vater entfliehen, indem er sich verweigert? Und kommt er doch nicht von den Bergen los? Und welcher Platz kommt Bruno zu, der doch so erdverbunden scheint. Ist er vielleicht der wahre Träumer? Manchmal ist eher der Weg das Ziel. Und so bleiben etliche Schwingungen zwischen den handelnden Personen der Interpretation des Lesers vorbehalten. Diese offene Schreibweise regt die Phantasie an und gibt dem Roman einen gewissen Nachhall. Die einfühlsamen Beschreibungen des kargen Lebens in den Bergen geben dem Buch jedoch seinen eigentlichen Gehalt.

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  1. Zwei unterschiedliche Lebenswege

    "Ihre ersten Berge, ihre erste große Liebe, waren die Dolomiten gewesen." (S.8)

    Den Roman habe ich mir in einer Buchhandlung in Brixen, Südtirol gekauft, zu Beginn des Skiurlaubs in den Dolomiten. Passende Lektüre für einen Urlaub in den Bergen, die auf mich eine genauso große Faszination ausüben, wie auf den Protagonisten Pietro.

    Worum geht es?
    Pietros Eltern leben in Mailand, kommen aber aus einem kleinen Bergdorf aus dem ländlichen Veneto. Sein Vater ist Kriegswaise und ein besessener Gipfelstürmer, der sich nur in den Bergen zuhause fühlt.

    "Meine Mutter, die ihn schon von klein auf kannte, erzählte, dass er schon damals auf niemanden warten wollte, so wild war er darauf gewesen, jeden einzuholen, den er vor sich hatte. Deshalb musste man gut zu Fuß sein, im in den Augen meines Vaters Gnade zu finden." (S.7)

    In Mailand hingegen ist er ein anderer Mensch, statt auf die Gipfel blickt er auf die Autobahn, so dass sich Pietros Eltern im Juli 1984 ein Haus in Grana mieten, das am Monte Rosa Massiv liegt, am Fuße des Grenon.
    Dort lernt Pietro den Kuhhirten Bruno kennen, der auch 11 Jahre alt ist. Sie freunden sich an und verbringen die folgenden Jahre jeden Sommer gemeinsam, erforschen den Wildbach, erkunden verlassene Ruinen und klettern an Berghängen, wobei Bruno stets vorne weg läuft.

    "Vermutlich war schon damals klar, dass ich ihm überallhin folgen würde." (S.29)

    Pietros Vater kann wegen seiner Arbeit immer nur für wenige Tage bleiben, doch seine Mutter blüht in Grana auf. Sie knüpft Freundschaften, liest, pflanzt Blumen und kümmert sich um das Haus - und sie stellt Nachforschungen zu Brunos Familie an, denn er lebt mit seiner Mutter alleine unter der Fürsorge seines Onkels.

    Blick auf den Sella-Stock, Südtirol
    In diesem ersten Sommer beschließt Pietros Vater, dass sein Sohn ihn auf seinen Bergtouren begleiten soll. Eine seltsame Erfahrung für den Jungen, dem der Gipfel nichts bedeutet. Sein Vater hingegen scheint ein anderer Mensch dort oben zu sein. Gemeinsam mit Bruno unternehmen sie auch eine Wanderung auf den Gletscher, auf dem Pietro höhenkrank wird. Statt der erwarteten Wut, reagiert sein Vater mit Angst und kehrt sofort um. Ein Ereignis aus seiner Vergangenheit scheint ihn zu verfolgen. Warum ist er so besessen davon, alle Berge zu erklimmen, abzuhaken auf einer riesigen Landkarte. Warum fühlt er sich nur auf dem Gipfel wirklich frei?

    Bruno wird Teil der Familie, mit seiner Wissbegierigkeit und Bewunderung für Pietros Vater wäre er der ideale Sohn gewesen. Die Familie unternimmt den Versuch, Bruno mit nach Mailand zu nehmen, damit er weiter auf die Schule gehen kann. Doch dessen Vater verhindert dies, so dass Bruno in den Bergen bleibt und Maurer wird, während die Freundschaft der beiden für eine lange Zeit unterbrochen wird.

    Sie finden wieder zueinander, als Pietros Vater stirbt und ihm ein "Haus" in den Bergen vermacht. Pietro bedauert, dass er seinen Vater Jahre zuvor abgewiesen hat und erkennt, dass er vieles mit seinem Vater gemeinsam hat.

    "Ich wusste nicht mehr, warum ich die Berge hinter mir gelassen, und auch nicht, was ich stattdessen geliebt hatte, als meine Liebe zu ihnen erloschen war. Aber wenn ich allmorgendlich schweigend aufstieg, war es so, als würde ich wieder meinen Frieden mit ihnen machen." (S.138)

    Er begibt sich auf Spurensuche und erfährt, warum sein Vater im Sommer die Berge bezwingen und seine Erinnerungen an Vergangenes auslöschen will.

    "Aber der Gletscher ist der Schnee vergangener Winter, die Erinnerung an einen Winter, der einfach nicht vergehen will." (S.148)

    Bewertung
    Der Roman erzählt die Geschichte zweier ungleicher Freunde. Während der eine sein Leben lang in dem kleinen Bergdorf bleibt, reist der andere in die fernen Bergwelten des Himalaya. Ihre unterschiedlichen Lebenswege spiegeln sich in einem tibetanischen Symbol, das ein alter Nepalese Pietro erklärt:

    "Für uns ist der Mittelpunkt der Welt ein sehr hoher Berg, der Sumeru, der wiederum von acht Bergen und acht Meeren umgeben ist. Das ist unsere Vorstellung von der Welt. (...) Wer hat mehr gelernt? Derjenige, der alle acht Berge gesehen, oder derjenige, der den Gipfel des Sumeru bestiegen hat?" (S.170)

    Die Frage, die man sich beim Lesen zwangsläufig stellt: Welcher Weg ist der bessere? Zu allen Bergen reisen oder den höchsten besteigen. Im eigenen Umfeld bleiben oder Unbekanntes entdecken. Der Roman gibt keine Antworten, sondern stellt viele existentielle Fragen, so dass mehr als nur eine gute Geschichte erzählt wird.

    Neben der Freundschaft steht die schwierige Vater-Sohn-Beziehung im Mittelpunkt. Pietro macht sich Vorwürfe, da er den Vater zurückgewiesen hat - ein Verhalten, das zum Erwachsen werden dazu gehört. Doch die beiden gehen nicht mehr aufeinander zu - bis es zu spät ist? Wann ist es Zeit, den ersten Schritt zu tun? Wie gehe ich mit der Schuld um? Eine Frage, der sich Pietros Vater zeitlebens stellt, warum will ich hier nicht verraten.

    Mich hat dieser Roman nicht nur bewegt, weil ich die Faszination für die Berge teile, sondern weil er zwei Lebensweisen und -einstellungen gegenüberstellt, ohne diese zu bewerten. Und man sich zwangsläufig die Frage stellt, welchen Lebensweg man selbst eingeschlagen hat und ob dies der richtige gewesen ist.

    "Wenn man noch jung ist, kann man vielleicht noch umsatteln. Aber irgendwann muss man in sich gehen und sich eingestehen: Das kann ich, und das kann ich nicht." (S.238)

    Ein Roman, für den man Muße braucht - ein klare Lese-Empfehlung!

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  1. 5
    28. Okt 2017 

    Ein schönes Buch über die Liebe zu den Bergen.

    Inhalt: Pietro und Bruno sind beste Freunde, die in den Bergen aufgewachsen sind. Während der eine den Drang verspürt, die Welt zu bereisen, verlässt der andere sein Tal nie. Wer von den beiden macht das Richtige? Was bedeutet Glück? Was Schicksal? Das Buch verfolgt Pietro und seinem unsteten Leben, wie er immer wieder zu Bruno zurückkehrt und die beiden Welten, Weltansichten aufeinanderprallen.
    Persönlich gefällt mir das Buch deshalb so gut, weil die Natur der Berge so wunderbar beschrieben wurde. Aber auch der Versuch heute als Bergbauer zu überleben und das Bedürfnis, in einem fremden Land Fuß zu fassen, sind alles Dinge, mit denen ich selbst konfrontiert war und bin. Wer aber nicht wie ich in den Bergen aufgewachsen ist und sich derart in die beiden Freunde hineinversetzen kann, wird wohl dem Buch nicht so viel abgewinnen. Vielleicht täusche ich mich da aber auch. Vielleicht ist diese Bergwelt derart exotisch, dass sie wieder interessant wird. Denn beschrieben wird sie wunderbar. Genauso wie die – traurige? – Veränderung dieser in den letzten 40 Jahren.
    Auch wer schon immer mal wissen wollte, wie die Arbeit eines Hirten funktioniert, wie man auf 2.000 Meter Höhe ein Haus baut, wie Käse produziert wird oder wo ein Fluss entspringt, der sollte hier mal reinschauen. Alles wird so gut erklärt, als wäre man selbst dort und schaut zu.
    Es ist ein ruhiges Buch, das gemächlich dahintreibt wie der kleine Bergbach und dem Leser genug Zeit lässt, selbst über die Fragen des Lebens nachzudenken. Ich habe es dennoch an einem Wochenende verschlungen, so gut hat es mir gefallen. Das Buch wird aber auch von einer interessanten Spannung angetrieben, da man schon wissen möchte, was aus den Beiden wird. Die Frage nach dem Glück muss am Ende aber jeder für sich selbst beantworten.
    Fazit: Sehr zu empfehlen.

    Hier geht es zum Originaltext und weiteren Rezensionen: https://meinekritiken.com/2017/10/28/buch-cognetti-paolo-acht-berge/

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  1. Geschichte einer Männerfreundschaft vor beeindruckender Kulisse

    Angezogen hat mich dieses Buch nicht zuletzt seiner optischen Schönheit wegen: Wenn man den Roman fertig gelesen hat, ist das Cover nicht nur schön, sondern auch absolut passend gewählt.

    Es geht im Kern um die lebenslange Freundschaft von Bruno und Pietro. Beide freunden sich im Bergdorf Grana an, in dem Bruno zu Hause ist und Pietro regelmäßig seine Sommerferien verbringt. Was als gemeinsames abenteuerliches Erkunden der Umgebung beginnt, begleitet die Freunde das ganze Leben lang.
    Sie verlieren sich auch für einige Jahre aus den Augen, ein Todesfall bringt sie als Erwachsene jedoch wieder zusammen, die einmal geschaffene Freundschaftsbasis hält den Widrigkeiten des Lebens stand. Ohne viele Worte versteht und respektiert man sich.

    Es geht aber auch um Lebensentwürfe, Vaterbeziehungen, Familie und Heimat in diesem Roman.

    Der Ich-Erzähler ist Pietro. Auch wenn er in der Stadt aufgewachsen ist, verbindet ihn schon früh eine ganz besondere Beziehung zu den Bergen, sie lassen ihn nicht los, auch wenn er in die Welt hinausgeht. Bruno wird seine Heimat indessen nie verlassen.

    „Acht Berge“ ist ein ruhiges Buch. Beeindruckend die Sprachgewalt, die die Welt der Berge wunderbar beschreibt. Auch Charaktere und Beziehungen sind treffend dargestellt.

    Mich hat das Buch restlos überzeugt.

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  1. Grandios

    Den Vater haben die Berge nie losgelassen, aber er hatte eine besondere Art sie zu erobern, gar zu bezwingen. Er schaute beim Gehen nicht nach rechts oder links, er machte keine Pausen, er hatte nichts als den Gipfel im Blick. Sobald Pietro alt genug ist, wird er vom Vater mitgenommen, die Touren länger und härter und die Höhenkrankheit, die ihn überfällt, übersieht der Vater meist.
    So hätte Pietro nie die Berge lieben gelernt, wenn nicht die Mutter gewesen wäre. Sie ist eine Frau, die die Mitte liebt, sie braucht keine Gipfel, es genügen ihr die Almen und die Bergdörfer. Grana wählt sie als sommerliches Feriendorf aus, sie mieten eine Wohnung und verbringen viele herrliche Wochen dort, auch wenn der Vater oft nur kurze Zeit aus Mailand kommen kann. Dort lernt Pietro auch Bruno kennen. Der Bub lebt als Hütejunge bei seinem Onkel, der Vater ist ein meist abwesender gewalttätiger Säufer, die Mutter hat sich ganz in sich zurückgezogen.
    Zwischen Bruno und Pietro entwickelt sich eine Freundschaft, die ohne viel Worte auskommt. Sie vertrauen einander, sind fast Brüder im Geist und wenn der Sommer endet, gehen sie auseinander und wissen doch, dass sie bald wieder zusammen sein werden.
    Viel später haben sich die Lebenswege endgültig getrennt, Pietro hat mit seinem Vater gebrochen und sein Studium aufgegeben. Er reist als Dokumentarfilmer ruhelos um die Welt. Bruno ist im Tal geblieben. Das Angebot der Gualdis, Bruno nach Mailand zur Ausbildung mitzunehmen, hat der Vater und auch der Onkel verhindert. Als Maurer verdient Bruno nun gutes Geld, aber es ist nicht der Weg, den er sich erträumte.
    Der Tod von Pietros Vater bringt die zwei wieder zusammen, eine Almhütte sollen sie als Rückzugsort wieder aufbauen, das Grundstück bekommt Pietro mit dieser Bitte vererbt. In diesem Sommer werden die zwei wieder eins. Eine Männerfreundschaft, innig und vertrauensvoll, trotz unterschiedlicher Lebenswelten eine Einheit.
    Eine Freundschaft, die über viele Jahre und Unterbrechungen felsenfest bleibt, die Beschreibung der Landschaft und der Bergwelt, die mich tief beeindruckt hat und dazu die Figuren Bruno, Pietro und die Eltern Gualdi, die mich berührten, das alles hat mir dieses Buch sehr ans Herz wachsen lassen. Dabei wird nicht verschwiegen, dass es die Bergwelt der Kinder nicht mehr gibt, Straßen haben die Täler durchzogen und Skilifte die Berghänge erobert. Die Gefahren lauern nicht mehr nur in Gletscherspalten, sondern in einer Welt, in der Berge zum Erlebnisfaktor geworden sind. Das müssen auch Bruno und Pietro schmerzhaft erfahren.
    Es gibt nicht viele Bücher, die in ihrer Einfachheit grandios sind. Für mich zählen die „Acht Berge“ von Paolo Cognetti dazu. Das Buch lässt mich berührt, traurig und gleichzeitig auch glücklich zurück und ich weiß, dass ich es noch oft zur Hand nehmen werde. Ich bedaure nur, dass ich mit meinen Worten diesem Roman nicht gerecht werden kann.

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Im Tal des Vajont

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Die Kinder des Borgo Vecchio

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Kinder des Borgo Vecchio' von Giosuè Calaciura
3.2
3.2 von 5 (11 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Kinder des Borgo Vecchio"

Irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind und das Gesetz der Straße gilt: Hier wachsen Mimmo, Cristofaro und Celeste auf. Sie haben Träume und Hoffnungen, obwohl ihnen der kindliche Blick längst abhanden gekommen ist. Mimmos Vater, der Fleischer des Viertels, betrügt seine Kunden mit einer präparierten Waage. Cristofaros Vater, ein Trinker, schlägt seinen Sohn jeden Abend. Und Celestes Mutter Carmela, die Prostituierte des Viertels, schickt ihre Tochter auf den Balkon, wenn sie ihre Freier empfängt. Die drei Kinder haben ein Idol: Totò, Ganove, der besser schießt als jeder andere. Sie wollen so sein wie er, sie wissen nicht, dass auch Totò von einem anderen Leben träumt ...

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:160
Verlag: Aufbau Verlag
EAN:9783351037901
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Rezensionen zu "Die Kinder des Borgo Vecchio"

  1. 3
    04. Sep 2019 

    Grausam und schön

    Der Roman "Die Kinder des Borgo Vecchio" von Giosuè Calaciura steckt voller Rätsel. Eines der leichteren Rätsel sind Schauplatz und Zeitpunkt der Handlung:
    Schauplatz ist ein Dorf irgendwo in Italien - enger kann ich ihn nicht eingrenzen. Das Geschehen muss irgendwann in den letzten Jahren stattgefunden haben, zumindest gab es bereits moderne Errungenschaften wie das Handy. Und den Euro gab es vermutlich auch schon.

    Das Zusammenleben in diesem Dorf ist von Grausamkeit und Unbarmherzigkeit geprägt. Insbesondere die Kinder haben unter diesem Leben zu leiden. Wahrscheinlich sind sie sich dessen gar nicht bewusst, kennen sie doch nichts anderes als dieses Leben.

    Wer mit seiner Kindheit so richtig in die Sch… gegriffen hat, ist Cristofaro, der sich jeden Tag aufs Neue fragen muss, ob er die nächste Nacht überleben wird. Als persönlicher Prügelknabe des eigenen Vaters, der seinen Sohn jeden Abend zusammenschlägt, wie andere die Nachrichten im Fernsehen ansehen, sind die Überlebenschancen für ihn sehr gering.

    "Im Borgo Vecchio wusste man, dass Cristofaro jeden Abend das Bier seines Vaters weinte. Wenn die Nachbarn nach dem Abendbrot vor dem Fernseher saßen, hörten sie sein Jaulen, das sämtliche Geräusche des Viertels verschluckte. Sie drehten den Ton leiser und lauschten. Anhand der Schreie konnten sie erahnen, wo die Faust zuschlug, harte, treffsichere Hiebe."

    Vielleicht geht es Celeste sogar noch schlimmer als Cristofaro. Als Tochter der Dorfhure erhält sie von klein auf Anschauungsunterricht in Sachen Liebespraktiken, in dem sie bei jedem „Termin“ ihrer Mutter auf den Balkon verbannt wird, wo sie durch ein Guckloch live und in Farbe mitbekommt, wie ihre Mutter für den Unterhalt der Familie sorgt. Zumindest muss Celeste nicht um ihr Leben bangen wie Cristofaro, ganz sicher aber um ihre Zukunft.
    Dann haben wir noch Mimmo, der relativ unbehelligt von seinem Vater vor sich hin lebt. Der Vater ist der Metzger im Dorf und verwendet viel Zeit darauf, seine Kunden zu betrügen. Da bleibt keine Zeit für einen Sohn, der wahrscheinlich nicht ganz richtig im Kopf ist.
    Das Vorbild und der Held der Kinder ist Totó, Dorfganove, vor dem jeder im Dorf Respekt hat, denn er ist derjenige mit der Knarre. In den Fantasien der drei Kinder wird Totó zum Retter von Cristofaro.

    Jetzt komme ich zu den großen Rätseln dieses Romans.
    Gibt es eine Handlung in diesem Roman? Nicht wirklich. Bestenfalls geht die Handlung in die Richtung, dass es mit Cristofaro und seinem prügelnden Vater nicht weitergehen kann wie bisher. Der rote Faden in diesem Buch läuft darauf hinaus, dass sich unter der Gluthitze der Sonne Italiens etwas anbahnt, was auch immer das sein wird. Man ahnt nur, dass der Ganove Totó dabei eine Rolle spielen wird.

    Aber tatsächlich ist die Handlung Nebensache. Denn der Autor hält den Leser durch ausufernde Symbolik und Metaphern auf Trab. Die ersten Seiten faszinieren durch den eindringlichen Sprachstil des Autors. Sofort denkt man an die Anmerkung einer italienischen Tageszeitung zu diesem Roman: "Eines der schönsten und grausamsten Bücher des Jahres". Diese Behauptung möchte man zunächst gerne unterschreiben. Doch es dauert nicht lange, da stolpert man über die ersten religiösen Ansätze und findet sich in einem Buch wieder, das sich eng an der biblischen Geschichte orientiert. Je bibelfester der Leser ist, um so besser wird er mit diesem Buch zurechtkommen. Mich haben die spirituellen Verbindungen überfordert, daher war ich sehr dankbar, dieses Buch in einer Leserunde bei Whatchareadin gelesen zu haben. Zum Einen war ich nicht allein mit meiner Ratlosigkeit, zum Anderen gab es Teilnehmer in der Leserunde, die ein fundiertes religiöses Wissen hatten und daher mit ihren Erklärungen ein wenig für Erleuchtung sorgen konnten.
    Ich kann nur mutmaßen, dass der Autor aufzeigen will, dass in der Religion Gut und Böse sehr dicht beieinander liegen. Über meine Spekulation lässt sich jedoch streiten – wie die Leserunde gezeigt hat.

    "Der Brotgeruch zog über den Platz und machte den abendlichen Eifer der in Marktkisten gepferchten Zitrusfrüchte zunichte, die eine letzte Duftspur in der Nacht hinterlassen wollten, er zerstörte die Illusion von Frühling, die sich im duftenden Geheimnis der Frangipaniblüten verbarg, vereinnahmte die Kreuzungen und machte sich in den Gassen und Tavernen breit, auf dass niemand seiner Umarmung entkäme."

    Bei aller Verwirrung, was die religiöse Symbolträchtigkeit dieses Buches angeht, möchte ich jedoch betonen, dass der Sprachstil von Giosuè Calaciura für vieles entschädigt hat. Denn Schreiben kann der Mann. Er vermittelt Gefühle und Stimmungen, die bis ins Mark gehen. „Die Kinder des Borgo Vecchio“ ist kein Wohlfühl-Buch. Stattdessen wird man mit einer Grausamkeit konfrontiert, die an die Nerven gehen kann. Die Welt im Borgo Vecchio ist schrecklich. Aber Schrecken übt Faszination aus, insbesondere wenn er dermaßen poetisch beschrieben wird, wie Giosuè Calaciura es getan hat. Grausamkeit und Schönheit liegen sehr dicht beieinander.

    Eine Leseempfehlung wage ich nicht auszusprechen. Denn dieses Buch ist ein symbolträchtiges Experiment, das den Leser (heraus)fordert. Daher sollte man sich als Leser auf einiges gefasst machen. Bei dem einen wird es gut ankommen. Bei dem anderen wird es für Irritationen sorgen. Ich liege irgendwo dazwischen.

    © Renie

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  1. Grausam und schön

    Dicht und voller Poesie das Elend übertünchend schickt der italienische Autor Giosuè Calaciura in seinem Buch „Die Kinder des Borgo Vecchio“ den Leser in das Armenviertel von Palermo, irgendwann in der jüngeren Vergangenheit. Märchenhaft und Symbolträchtig setzt er Ungerechtigkeit, Armut und Trostlosigkeit gekonnt in Szene, emporgehoben von kleinen Freuden, die wie ein plötzlich auftauchender Sonnenstrahl am Wolkendrohenden Himmel Schönheit auch unter all dem Dreck und Gestank vermuten lassen und manchmal fast biblisch wirken.

    Mimmo, Cristofano und Celeste fristen ein bedauernswertes und tristes Dasein im Borgo Vecchio, wo alle Träume im Schmutz erstickt sind, Armut und Gewalt das Leben bestimmen und Willenlosigkeit dem Ausbruch aus all dem Elend vereitelt. Die Kinder hegen dennoch heimliche Träume und vergöttern den Gauner Totò, weil er märchenhaft schnell alle austrickst, der Obrigkeit entkommt wie der Wind und scheinbar jenseits aller Grenzen agiert.
    Die brutale Wirklichkeit fängt sie immer wieder ein, wenn Cristofano von seinem Vater allabendlich geprügelt wird und alle Nachbarn sein Schreien überhören, wenn Celeste Tage und Nächte auf dem Balkon verbringen muss weil ihre Mutter, die Prostituierte des Viertels, sich um Freier kümmert und die Tochter aussperrt und wenn Mimmos Vater, der Fleischer des Viertels, der Aufschneider und Betrüger, die Armen noch mehr ausnimmt. Wenn hingegen allabendlich der Brotduft durch das Viertel zieht, glätten sich alle Wogen des Tages, märchenhaft fühlt man sich beim Lesen, und kann dabei das Brot fast selbst riechen.

    In der Gemeinschaft findet jeder seinen Platz, egal ob mit aller Brutalität oder voller Güte. Wenn Cristofano allabendlich verdroschen wird ist das sein Schicksal und das seines Vaters, vorgezeichnet und unabweichbar beide aneinander bindend.
    Die drei Kinder geben sich gegenseitig Halt, und obwohl sie der Kralle des Elends scheinbar nicht entkommen können, versuchen sie immer wieder, den Kreislauf zu durchbrechen.

    Der Roman, der 2017 mit dem Premio Volponi ausgezeichnet wurde, besticht durch die grandiose poetische Sprache, mit der Bilder lebendig werden, mit dem Zwingen des Lesers, den Blick nicht abzuwenden von fast nicht auszuhaltender und nebenbei erzählter Not und Gewalt. Und die Geschichte kommt trotz des Elends oft märchenhaft und leichtfüßig daher. Man bekommt neben dem Zoom auf die Armut ein Gefühl für die Gelassenheit, die die Menschen das alles ertragen lässt.

    Vieles wirkt vorsinnflutlich, anderes modern und dem Zeitgeist entsprechend. Es passieren wunderliche Dinge, die an Märchen erinnern, und symbolträchtige Ereignisse lassen an einen alttestamentarischen rachsüchtigen Gott denken. Grausamkeiten werden oft wie nebenbei angesprochen, finden manchmal keine direkte Erwähnung, fast ignorant steigt der Autor darüber hinweg, und sie wirken dadurch umso eindringlicher, weil sie so sehr zum alltäglichen Leben gehörend wirken.

    Das Buch hat mich angezogen und abgestoßen zugleich, und ich kam mir manchmal wie in einer surrealen Italienischen Oper festsitzend vor. Sprachlich absolut fesselnd und grandios ist es ein grausam schönes Buch, das sich in der Kitschecke ebenso bedient wie im Alten Testament, das Brutalität durch ständige abscheuliche Beschreibung aufzeigt, und ein fast opulentes opernhaftes Ende kann nicht trösten, will es auch nicht.
    Ich habe mich schwer getan mit der Bewertung, mich letztlich für vier Lesesterne entschieden.

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  1. Gut und Böse, und dazwischen

    Mimmo, Cristofaro und Celeste sind die Kinder des Borgo Vecchio. Es ist ein Armenviertel, irgendwo in einer italienischen Stadt, vermutlich im Süden, am Meer. Es ist eine zeit- und ortlose Geschichte irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg.
    Mimmo, der eigentlich Domenico heißt und Cristofaro sind die besten Freunde, Celeste ist die Tochter der Prostituierten und Mimmos Angebetete. Im Borgo leben kleine Ganoven, wie Mimmos Vater, dem es eine diebische Freude bereitet, seine Kunden um ein paar Gramm Mortadella zu betrügen, üble Schläger, wie Cristofaros Vater, der seinen Sohn immer wieder übelst zurichtet. Aber auch Toto, der Räuber ist dort zu finden. Um diesen jungen Mann ranken sich Heldenlegenden, der aber auch nur von einem besseren Leben träumt.
    Die Kinder des Borgo Vecchio von Giosuè Calaciura sei „Eines der schönsten und grausamsten Bücher des Jahres“. Grausam ist es tatsächlich, und auch ein wenig seltsam. Voller religiöser Anspielungen, sehr bildhaft und stark überzeichnet. Es ist archaisch und poetisch, die Palette des Unerträglichen reicht von roher Gewalt bis pseudokatholischem Kitsch. Die Handlung verläuft sehr szenisch. Wie mit einer Kamera folgt man den Menschen des Borgo Vecchio durch die Gassen. Unglaublich realistische Beschreibungen der Örtlichkeiten wechseln mit fantastischen, nahezu magischen Episoden ab. Die erzeugten Stimmungswechsel sind bemerkenswert und herausfordernd.
    Das Buch erinnert an eine italienische Oper, viel mehr noch an die Karikatur einer italienischen Oper. Mir war die Dramatik in diesem Roman zu überfrachtet und der Interpretationsspielraum zu groß, um umfassend begeistert sein zu können.

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  1. Eine Kindheit in Borgo Veccio

    Der Handlungsfaden, der dieses schmale Büchlein durchzieht, ist schnell erzählt: Die im Titel erwähnten "Kinder des Borgo Veccio" sind unter anderem Mimmo, Cristofaro und Celeste. Mimmos Vater ist der Metzger des Viertels, der seine Kunden mittels einer gefälschten Waage betrügt. Cristofaros Vater ist dem Alkohol verfallen und verprügelt Cristofaro jeden Abend. Celestes Mutter ist Prostituierte. Wenn sie ihre Freier empfängt, muss Celeste auf dem Balkon ausharren – bei jedem Wetter.

    Es scheint als könnten die drei Kinder ihrem Schicksal nicht entfliehen. Die Schranken ihrer sozialen Herkunft sind hoch und unüberwindlich. Dennoch haben sie Hoffnungen und Träume, die aber teils wenig kindlich sind. Cristofaro überlegt gemeinsam mit Mimmo, wie man den im Viertel bekannten Kriminellen Toto dazu bringen könnte, Cristofaros Vater zu erschießen. Mimmo pflegt ein lahmes Pferd namens Nana und hofft, dass Nana eines Tages ein Rennen gewinnen wird. Celeste entflieht zumindest für einen Nachmittag ihrem Exil vom Balkon und darf auf Nanas Rücken durch das Viertel reiten.

    Dies alles wird vom Autor gekonnt in Szene gesetzt. Die Bilder des Viertels Borgo Veccio und seiner Bewohnern steigen mühelos vor dem inneren Auge auf. Die Beschreibungen erreichen teils fast poetisches Niveau. Dadurch kommen die nonchalant eingestreuten, im Viertel allseits begangenen Grausamkeiten umso drastischer zum Ausdruck.

    Trotz der schönen Worte konnte ich mit diesem Buch am Ende nicht viel anfangen. Die Geschichte selbst hat viel Potential, wirkt aber extrem reduziert. Hieraus hätte man viel mehr machen können. Stattdessen wird vieles nur angedeutet oder in Metaphern verkleidet. Wir haben daher in der Leserunde viel gedeutet und eine Menge religiöser Bezüge hergestellt. Alle Mühe der Überlegung hat jedoch zu keinem schlüssigen Gesamtkonzept geführt. Das ist schade, lässt es mich doch als Leser ratlos und mit dem Eindruck zurück, das Buch nicht richtig verstanden zu haben. Daher gibt es von mir in diesem Fall nur drei Sterne.

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  1. 3
    27. Jul 2019 

    Grausam in Sepia

    Im Borgo Vecchio wachsen Mimmo, Cristofano und Celeste auf. Mit ihren Eltern haben sie es alle nicht leicht. Mimmo muss damit klarkommen, dass sein Vater, der Fleischer, ein Betrüger ist. Cristofano wird regelmäßig verprügelt. Und Celeste ist diejenige, die Stunden auf dem Balkon verbringt, während ihre Mutter als Dorfhure ihren Lebensunterhalt verdient. Wie gerne würden die drei auf der Sonnenseite aufwachsen, doch das ist ihnen nicht vergönnt. In Ermangelung einer Persönlichkeit, die wirklich etwas geleistet hat, nehmen sie sich den schnellsten Ganoven des Viertels zum Vorbild.

    Das kann nicht in der heutigen Welt angesiedelt sein, denkt man, wenn man von dem Leben der drei Kinder liest. Doch irgendwie scheint die Zeit im Dorf stehen geblieben zu sein. Eigentlich, meint man, sollten Kinder heutzutage nicht mehr so behandelt werden, sollte es so hoffnungslose Orte nicht mehr geben. Jemand, der Italien bereist hat, kann das vielleicht besser beurteilen. Alle drei Kinder hadern mit ihrer Welt, Mimmo, der lieber bei dem Pferd Nana ist als bei seinem betrügerischen Vater, Celeste, die gerne lernen würde und doch auf dem Balkon gesperrt wird und am meisten Cristofano, der jeden Abend hoffen muss, mit dem Leben davon zu kommen. Was bleibt ihnen anderes als ihr Hoffnung auf den schnellsten Ganoven zu setzen?

    Auch wenn das Buch nur 160 Seiten hat, so ist es doch ein recht schwerer Brocken. Die Sprache ist eindringlich und wortgewaltig, gleichzeitig auch eingängig und schmeichelnd. Hier ist dem Autor große Kunst gelungen. Schwieriger ist es dagegen an der Handlung Gefallen zu finden. Eltern, die ihre Kinder nicht schützen. Kinder, die schlimmste Not leiden und denen nicht geholfen wird, obwohl alle wissen, was geschieht. Große Hoffnungslosigkeit, Armut herrschen. Einen Ausweg scheint es nicht zu geben. Und wenn sich doch ein Weg auftut, hat auch dieser einen zu hohen Preis. Ein Buch, das zwar nachdenklich macht, aber auch eines in das zu viel depressive Stimmung hineingepackt wurde.

    Auch wenn das Buch einem vielleicht seine Handlung zumutet, ist es doch sprachlich von herausragender Kunst.

    3,5 Sterne

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  1. Die Gräuel der Welt geballt und poetisch in Szene gesetzt.

    In seinem Roman „Die Kinder des Borgo Vecchio“, der im Juli 2019 im Aufbau Verlag erschien, stellt Giosuè Calaciura auf knapp 160 Seiten die Erbarmungslosigkeit der Welt am Beispiel des alten palermischen Stadtviertels „Borgo Vecchio“ dar. Im Jahre 2017 erhielt der Autor für dieses Werk den „Premio Volponi“, einen italienischen Literaturpreis, der für besonderes bürgerliches Engagement verliehen wird.
    Menschen, die im Borgo Vecchio leben, haben es schwer im Leben. So auch Mimmo, Cristofaro und Celeste, die schon in jungen Jahren vom Leben gebeutelt sind, von ihren Eltern geschlagen und vernachlässigt werden. Doch trotz allem träumen sie von einer besseren Zukunft und erhoffen sich Hilfe von Totò, dem Verbrecher und vermeintlichen Halbgott des Viertels. Doch sie ahnen nicht, dass auch er von einer besseren Welt träumt …
    Das Borgo Vecchio selbst ist als Mekka des Bösen und der Grausamkeit dargestellt: Kleine, verwinkelte Gassen bieten eine Zuflucht für Kriminelle. Die Bewohner/innen verschließen ihre Augen vor der Brutalität von Cristofaros Vater und rotten sich nur zusammen, wenn die Ordnungshüter versuchen, das Chaos in den Griff zu bekommen. Behinderte werden wie Vieh gehalten, ja selbst der Geistliche des Viertels macht, gezwungen oder nicht, gemeinsame Sache mit den Ganoven. In dieser Welt aufzuwachsen, verlangt den Jugendlichen viel ab, doch nehmen sie kleine Attraktionen zum Anlass, der Welt zu entfliehen, z.B. das Auftauchen des abgehalfterten Pferdes Nanà, das als erfolgreiches Rennpferd Glanz in dieses Leben bringen soll; auch an anderen Stellen wird deutlich, dass die Kinder nicht von Grund auf schlecht sind. Leider macht das Schicksal den Einwohner/innen, teilweise selbst verschuldet (wenn Totò z.B. die Hure Carmela und ihre Tochter Celeste mittels Hochzeit aus dem Elend herausholen will, das neue Leben aber mithilfe von Diebstählen beginnen will), teilweise aber auch ohne eigenes Zutun, immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Und auch wenn das Buch selbst keine befriedigende Lösung der Torturen bietet, erscheint am Ende ein kleiner Hoffnungsfunke, wenn auf der Flucht im „Osten der (…) morgendliche Schimmer eines neuen Tages zu sehen“ ist.
    Zart besaitete Leser/innen werden beim Lesen wahrscheinlich das eine oder andere Mal an ihre Grenzen stoßen, wenn z.B. Nanà die Rennen nur gewinnt, weil ihr Besitzer ihr vorher einen „rosenförmigen Dornensporen (…) in den Anus rammte“. Jedenfalls steht die bildhafte, ja poetische Sprache, der sich der Autor bedient, wenn er z.B. den Brotduft durch das Viertel ziehen lässt, in einem eklatanten Gegensatz zum Geschilderten selbst; dieses macht einen großen Teil des Reizes dieses Werkes aus und lässt die Brutalität umso abscheulicher erscheinen.
    Fantasie, Traum, Realität, Rückblenden und fantastische Elemente, die als Metaphern zu verstehen sind, wechseln einander ab und fordern von Leserinnen und Lesern viel Konzentration, um dem Geschehen folgen zu können. Auffällig und ebenfalls eine Herausforderung sind die zahlreichen biblischen und christlichen Motive sowie Symbole, die den gesamten Roman durchziehen; von ihnen sollen hier nur das Judas- oder Schutzmantelmadonna-Motiv, Oster- und Weihnachtssymbolik sowie die „sprechenden“ Namen der Protagonist/innen als die Bekanntesten Erwähnung finden.
    Ob die Welt wirklich so bestialisch ist oder sein muss, wie über weite Strecken dargestellt, und ob der Mensch nicht doch das Seinige dazutut, wie an manchen Stellen zu erahnen ist, ist eine Frage, die sich beim Lesen dieses Romans immer wieder stellt. Auf jedem Fall ist es dem Autor sehr eindrucksvoll gelungen, mich wieder einmal zum Nachdenken über das Böse in der Welt und die Hoffnung zu bewegen. Von mir erhält das Buch vier von fünf Lesesternen, allerdings sollte man sich beim Lesen der Schwere der Lektüre bewusst sein. Ein Buch, das einige Ansprüche stellt, jedoch auch viel zu sagen hat.

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  1. Ein Ort voller Sünder

    In dem kleinen Viertel Borgo Vecchio an der Küste, irgendwo in Italien, wachsen Cristofaro, Celeste und Domenico, der von allen nur Mimmo genannt wird, auf. Die drei Kinder stehen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, haben ihren kindlichen Blick jedoch schon länger verloren. Giovanni, Mimmos Vater, ist der Metzger des Viertels. Er betrügt seine Kunden mit einer manipulierten Waage. Cristofaros Vater, ein notorischer Säufer, ist sogar noch schlimmer: Er verprügelt seinen Sohn jeden Abend heftig. Und auch Celestes Mutter, die Prostituierte, ist für ihre Tochter kein gutes Vorbild. Während sich Carmela um ihre Freier kümmert, muss die Schülerin bei Wind und Wetter auf dem Balkon ausharren. Doch die drei Freunde setzen ihre Hoffnungen in Totò, den Berufsganoven mit der Pistole…

    „Die Kinder des Borgo Vecchio“ ist ein Roman von Giosuè Calaciura.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus sieben Kapiteln unterschiedlicher Länge. Erzählt wird aus einer allwissenden Perspektive. Immer wieder gibt es Rückblenden, die nicht sofort als solche zu erkennen sind. Genaue Orts- und Zeitangaben fehlen, was die Einordnung des Romans erschwert. Insgesamt funktioniert der Aufbau jedoch gut.

    Besonders beeindruckt am Roman hat mich das sprachliche Ausdrucksvermögen des Autors. Die nur rund 150 Seiten sind gespickt mit ungewöhnlichen Sprachbildern, mit allerlei Metaphern und Symbolen, die für eine dichte, fast schon greifbare Atmosphäre sorgen. Poetisch und intensiv mutet der Schreibstil an. Mit wenigen Worten und auf nahezu brillante Weise gelingt es Calaciura, sehr vieles zu transportieren. Dies ist eine der Stärken des Romans. Allerdings erfordert er ein aufmerksames und sorgfältiges Lesen.

    Mit Mimmo, Cristofaro und Celeste stehen drei junge, interessante Charaktere im Vordergrund. Schon nach wenigen Seiten habe ich mit den sympathischen Protagonisten mitgelitten, die noch Träume und Hoffnungen haben, obwohl sie in einer grausamen Umgebung leben müssen. Weniger überzeugt haben mich die Nebenfiguren, die teils klischeehaft, teils stark überzeichnet wirken.

    Apropos Übertreibungen: Auch inhaltlich habe ich mich mit der Geschichte schwergetan. Viele der Schilderungen gleiten ins Pathetische, Karikaturenhafte, übermäßig Dramatische und immer wieder auch ins Surreale ab. Trotz der dargestellten Ungerechtig- und Grausamkeiten konnte mich der Roman daher leider nur wenig berühren. An einigen Stellen habe ich die Geschichte stattdessen als skurril und sogar (ungewollt?) komisch empfunden.

    Gut gefallen hat mir, dass hier und da Gesellschaftskritik durchscheint. Unklar bleibt jedoch auch nach den letzten Seiten die (moralische) Botschaft des Ganzen. Ebenso wenig hat sich mir der Sinn der unnötig zahlreichen Bibelbezüge und religiösen Passagen erschlossen.

    Nicht richtig zuordnen kann ich auch das Cover der gebundenen Ausgabe, da ich nicht verstehe, wen die drei Jungen darstellen sollen. Rein optisch gefällt es mir allerdings. Der deutsche Titel ist eine erweiterte Version des italienischen Originals („Borgo Vecchio“).

    Mein Fazit:
    „Die Kinder des Borgo Vecchio“ von Giosuè Calaciura ist ein wort- und bildgewaltiger Roman, dessen sprachliche Versiertheit besonders ist. Leider lässt mich die Geschichte, die dem Leser einiges abverlangt, in Bezug auf den Inhalt jedoch ein wenig ratlos zurück, sodass ich das Buch nur bedingt empfehlen kann.

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  1. 3
    22. Jul 2019 

    Sprachlich brillant...

    Selten lässt mich ein Roman derart zwiegespalten zurück. Ich nehme es dem Autor nicht übel, dass Gewalt und Brutalität sich durch die Erzählung winden und den Bewohnern des heruntergekommenen Stadtviertels gelegentlich die Luft zum Atmen nehmen. Denn das ist die Realität dieser Menschen, j eder arrangiert sich hier mit dem ihm zugewiesenen Schicksal, von Geburt an festgelegt und scheinbar ausweglos. Wer in diesem Viertel lebt, muss sich den Gegebenheiten anpassen - das lernen schon die Kleinen.

    Ich finde es ganz im Gegenteil faszinierend, wie es Giosuè Calaciura gelingt, mit seiner bildhaften Sprache beinahe eine Poesie der Grausamkeit zu kreieren - der Schreibstil ist für mich eine große Stärke des Romans und konnte mich bis zum Ende begeistern. Doch bei aller Begeisterung und dem Schaffen einer sehr intensiven Atmosphähre, die gezeichnet ist von Resignation und Grauen, durchbrochen nur von kleinen Lichtblicken und zaghaften Hoffnungsfunken, erscheint die Schilderung der Szenerie auch vollkommen übertrieben, so dass manches gar ins Karrikaturhafte abgleitet.

    Dies ist vom Autor sicher so gewollt und nicht am Ziel vorbeigeschossen, doch hört meine Zuversicht an dieser Stelle auch gleich wieder auf. Denn was der Autor wirklich gewollt hat, habe ich bis zum Schluss nicht verstanden. Ein irgendwie zeitloses Viertel einer nicht näher zu verortenden Stadt am Meer hat er gezeichnet, verhaftet dabei aber nicht in der Realität, sondern lässt immer wieder auch surreale Szenen einfließen, die sprachlich durchaus außergewöhnlich sind, mir aber die Botschaft dahinter nicht preisgaben.

    Überhaupt haben mich viele Bilder, Metaphern und Andeutungen einerseits fasziniert, andererseits aber auch ratlos zurückgelassen. Anspielungen auf die Bibel und die christliche Religion, den naiven Glauben und die Bigotterie durchziehen die Erzählung und lassen eine Symbolik erahnen, die mich beim Lesen überforderte. Das Ganze wirkt wie eine sprachlich brillante Parabel, deren Bedeutung sich mir leider nicht wirklich erschloss. Und das ist es, was ich übelnehme - ich habe von einer vielschichtigen Erzählung nur die oberste Fassade gesehen, die anderen Schichten zwar erahnt, doch leider nur bruchstückhaft wahrgenommen.

    In der Leserunde zu dem Roman kam es zu lebhaften Diskussionen mit diversen Interpretationsansätzen, die mich teilweise staunen ließen. Staunen auch darüber, wie verschieden man einen Roman lesen kann. Doch die geschilderte Ratlosigkeit erfasste letztlich jeden Teilnehmer der Runde, und bei aller Faszination über den Schreibstil bleibt für mich das Fazit:

    Ich hätte gerne mehr und tiefer verstanden...

    © Parden

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  1. Auf der Suche nach Erlösung

    Im Süden Italiens, in einem heruntergekommenen Stadtviertel, dem Borgo Vecchio wachsen die Kinder Mimmo, Cristofaro und Celeste auf. Es ist keine behütete Kindheit, ganz im Gegenteil, das Kindsein durften die Kinder nie erleben. Zu hart ist der Überlebenskampf, zu sehr haben sie die Bewohner mit ihrer Lage abgefunden. Mimmos Vater betrügt die Kunden seiner Metzgerei mit einer präparierten Waage, der Vater von Cristofaro prügelt seinem Sohn allabendlich die Seele aus dem Leib und Celeste, die Tochter der Ortsprostituierten verbringt die meiste Zeit des Tages auf dem Balkon, wohin sie ausgesperrt wird, wenn die Mutter ihre Freier bedient.
    Das hat die Kinder zusammengeschweißt und ihr Held heißt Totò, ein Straßenräuber, der den Gesetzeshütern immer ein Schnippchen schlägt. Sie wollen werden wie er: unabhängig, stark und frei.

    Der Roman hat mir einiges abverlangt. Die wort- und bildgewaltige Sprache ist faszinierend, die fast beiläufige Schilderung von Gewalt, Gefühllosigkeit und Brutalität gegen Menschen und Tiere verstörend. Immer wieder mischen sich Realität und Phantastik, so bleibt die Zeit der Handlung im Dunkeln, manches mutet sehr gegenwärtig an, anderes verweist in eine archaische Welt. Nicht nur die Kinder, auch Celestes Mutter und Totò suchen eine Erlösung, ein anderes freies Leben und doch liegt das Scheitern schon in den Anfängen.

    Alle Bewohner des Borgo haben sich mit den Zuständen arrangiert, so lebt der Bodensatz der Gesellschaft seit Jahrhunderten und so wird es bleiben. Wenn Cristofaro allabendlich unter den Schlägen seines Vaters schreit, drehen die Nachbarn das Radio lauter und seufzen ergeben. Wenn Celeste in Hitze oder Regen auf dem Balkon ausharrt, wundern sie Leute nur, dass sie unverdrossen in ihrem Schulbuch liest. Aber hat nicht zu viel Bildung und Wissen schon immer ins Verderben geführt?

    Einen großen Raum nehmen Symbolik und religiöse Metaphern ein, die mir einerseits zu viel waren und anderseits nicht immer ganz verständlich. Aber was bleibt, ist ein Buch, das berührt und verstört und mich durch die Sprache gefesselt und gleichzeitig durch manche Schilderung auch abgestoßen hat.

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  1. Zwischen Schmerz und Poesie

    Der Borgo Vecchio ist ein Viertel gemäß Klappentext „irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind …“. Hier leben die drei Kinder, die im Mittelpunkt dieses kleinen, aber intensiven Romans stehen. Mimmo ist der Sohn des Metzgers Giovanni, dessen Waage die Kunden stets um ein paar Gramm betrügt. Celeste ist die Tochter der gut frequentierten Prostituierten Carmela. Celeste muss immer, wenn ihre Mutter Kundschaft hat, auf dem mitunter kalten, unwirtlichen Balkon ausharren – oft stundenlang. Cristofaro hat es am schlechtesten getroffen: Sein betrunkener Vater schlägt ihn regelmäßig dermaßen unkontrolliert, dass allgemein klar ist, dass der Junge dieses Martyrium nicht dauerhaft aushalten kann. Doch weder seine Mutter noch die Bewohner des Borgo schreiten ein:

    „Im Borgo Vecchio wusste man, dass Cristofaro jeden Abend das Bier seines Vaters weinte. Wenn die Nachbarn nach dem Abendbrot vor dem Fernseher saßen, hörten sie sein Jaulen, das sämtliche Geräusche des Viertels verschluckte. Sie drehten den Ton leiser und lauschten.“ (S. 7/8)

    Mimmo und Cristofaro sind enge Freunde. Der Held ihrer Kindheit ist Toto, der Räuber. Im Geheimen sinnieren sie darüber nach, wie viel Geld sie für einen Auftragsmord an Cristofaros Vater aufbringen müssten, den Toto für sie erledigen soll. Der Räuber wird für sie zum Wahrzeichen einer möglichen Befreiung.

    „Toto kannte weder Regeln noch Grenzen, denn alles, was er am Tage stahl, wurde des Nachts wieder verprasst, für ihn hatten sich die Pforten der Hölle bereits geöffnet. All das klang für Cristofaro und Mimmo weit weniger bedrohlich denn verheißungsvoll“. (S. 74)

    Toto ist also kein Robin Hood, wird aber im Zuge der Geschichte mit übermenschlichen Eigenschaften ausgestattet dargestellt, die ihn zunächst unverletzbar erscheinen lassen.

    Ein wenig Freude zieht in das Leben der Kinder ein, als Giovanni das lahme Pferd Nana mitbringt, das später für ihn Rennen laufen und Geld einbringen soll. Die Jungen nehmen sich der Pflege des Tieres an und beziehen auch Celeste mit ein, die froh ist, auf diese Weise dem Balkon zu entkommen. Der Stall wird ein Zufluchtsort, das Pferd zum verständigen Vertrauten. Mimmo verliebt sich zärtlich in Celeste.

    Das Borgo Vecchio ist eine heruntergekommene, freudlose Gegend, seine Bewohner sind gefühlsarm und hart. Es werden Episoden geschildert, die unglaublich brutal und trostlos sind. Sie wären in einer zivilisierten Gesellschaft so nicht vorstellbar. Immer wieder geht es um Sünde, um Strafe und Vergebung, die in biblischen, alttestamentarischen Ausmaßen über die Menschen kommen. Dem gegenüber stehen aber immer wieder herausragend poetisch formulierte Absätze, die einen Kontrast dazu bilden:

    „Im Spinnennetz des Brotduftes blieb auch der heimkehrende Werftarbeiter hängen, (…). Als der Brotduft ihn erreichte, verwechselte er ihn mit dem Duft des Meeres, denn dort, wo das Ende der Straße zerflirrte und sich in blendendem Dunst verlor, sah er sich in einer Ahnung von Zukunft auf dem höchsten Deck eines frisch vom Stapel gelassenen Schiffes stehen, (…). (S. 48)

    Toto, der Räuber nimmt im Zuge der Geschichte eine zentrale Rolle ein. Man wird als Leser immer wieder verunsichert, was real, was Traum oder gar Magie ist. Was ist Legende, was Wahrheit? Es gibt zahlreiche Bilder und Anspielungen. Wer gerne tüftelt und recherchiert, kommt voll auf seine Kosten. Zum Ende hin nimmt der Roman Fahrt auf, es kommt zum Showdown Gut gegen Böse. Langeweile gibt es nicht.

    Dennoch blieb ich persönlich nach der Lektüre etwas ratlos zurück. Ich hätte so gerne gewusst, was der Autor, der schließlich einen wichtigen italienischen Literaturpreis gewonnen hat, mit diesem Werk aussagen will. Geht es ihm um das Anprangern von sozialen Missständen? Wie sind die zahlreichen biblischen Anspielungen zu verstehen? Wurde die Brutalität im Borgo Vecchio bewusst überzeichnet und wenn ja, warum? Vielleicht fehlen mir hier einfach profunde Kenntnisse über Italien und seine Schattenseiten.

    Das Buch ist sprachlich und inhaltlich nicht einfach und sicher etwas für diesbezügliche Gourmets. Mich konnte es nicht vollkommen überzeugen, doch habe ich seine Stärken durchaus zu schätzen gewusst.

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  1. Unschuldig geboren und zu Sündern geworden

    "Der erstrebenswerteste Zustand, meinte der Sündige, wäre der Tod, denn dann könnte man keine Sünden mehr begeh(r)en." (Wolfgang J. Reus)
    Enge Gassen, Wäsche die von den Häusern im Wind flattern, der Geruch nach gebratenem Fleisch oder Brot und Stimmengewirr. Dies ist die Welt von Borgo Vecchio in der Mimmo, Cristofaro und Celeste zu Hause sind. Hier leben eine Vielzahl von Menschen in Armut oder von der Hand in den Mund. So auch Celestes Mutter Carmela, die sich mit Prostitution ihren Unterhalt verdient. Da ihre Wohnung jedoch zu klein ist, muss sie ihre Tochter jedes Mal auf den Balkon schicken, wenn ein Freier kommt. Mimmos Vater ist der Fleischer des Viertels, er betrügt gerne seine Kundschaft, in dem er seine Waage manipuliert. Cristofaros Vater hingegen ist ein Trinker, der regelmäßig jeden Abend seinen Sohn verprügelt. Alle wissen davon, doch keiner tut etwas dagegen. Doch alle drei haben etwas gemeinsam, sie himmeln Totó an einen Ganoven, der so schnell rennt, dass ihn die Polizei nicht schnappen kann. Und er kann besser mit der Pistole umgehen als manch anderer.

    Meine Meinung:
    Das blasse braune Cover mit dem Mann und den zwei Jungen, die wie ich vermute, Spaghetti tragen, passt hervorragend zu dieser Geschichte. Bisher hatte ich noch nie etwas von diesem italienischen Autor aus Palermo gelesen. Er erhielt jedoch für dieses Buch den Premio Volponi, den italienischen, nationalen Literaturpreis für bürgerschaftlichen Engagements. Der Schreibstil ist nicht immer einfach gewesen. Wo ich anfänglich recht schnell gefangen von seinen Schilderung war, wurde dies im Laufe der Geschichte immer schwieriger. Giosuè Calaciura hat eine sehr eigenwillige, bildhafte, fantasievolle Schreibweise, bei der die Dramaturgie bis ins Bodenlose fiel und die mich bei einigen Szenen fraglich zurückließ. Im Nachhinein kann ich hier nur meinem Verständnis zu dieser Geschichte hier berichten, also was ich aus diesem Buch herauslesen konnte. Mit der Geschichte um das Dorf Borgo Vecchio, das es in Wirklichkeit nicht gibt, stellt der Autor eine Art Sündhaftigkeit der Menschen, Religiosität und Erlösung dar. Dabei spielt und wirft er teils mit Worten um sich, wo ich danach regelrecht sprachlos war und ich sofort einige Bilder vor Augen hatte. Dagegen gab es dann jedoch Szenen, die ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Zum Beispiel redet Mimmo mit seinem Pferd Naná, das der Vater vor dem Tod der Schlachtbank gerettet hat. Das wäre ja noch gar nicht so grotesk, doch das dieses Pferd auch noch antwortet, bzw. es so dargestellt wird, fand ich dann doch ein wenig skurril. Die Sündhaftigkeit des Dorfes hingegen stellt der Autor hier allerdings sehr gut dar. Dabei ging es um die Todsünden, wie Betrug, Lüge, Ehebruch, Mord, Prostitution, Diebstahl, Ausschweifung (Alkohol), Neid bis hin zum Verrat wie wir es schon von Judas her kennen. Kaum jemand aus diesem Dorf erschien mir, ohne Sünden zu sein. Wie es ja auch schon in der Bibel steht, das niemand ohne Sünde sein werde. Und so erkannte ich in diesem Buch anhand dieser Andeutungen schon einen gewissen roten Faden, den der Autor hier dem Leser mit der Sündhaftigkeit der Menschheit nahebringen wollte. Leider jedoch muss man vieles selbst aus diesem Text heraus interpretieren, da es durch den Autor selbst, lediglich bei Andeutungen und Metaphern blieb. Und so wurde diese anfänglich schöne Geschichte mit der Geburt von Mimmo für mich zu einer wahrlich schweren Geburt. Den dieses Buch liest man nicht ebenso mal nebenher. Nein man muss hierbei schon wirklich ganz bei der Sache sein, damit man auch versteht, was der Autor hier dem Leser mitteilen möchte. Zu guter Letzt blieben wegen der Kürze des Buches auch noch die Charaktere recht oberflächlich. Den bei gerade mal 160 Seiten kann man die Vielzahl der Personen, die diese Geschichte ausmachen, nicht ausführlich darstellen. Das hingegen war natürlich sehr schade, da ich gerade dadurch auch vieles nicht nachvollziehen konnte. Alles in allem sicher eine literarische Besonderheit, die mich jedoch nicht so ergreifen konnte, wie ich gehofft hatte. Deshalb von mir nur 3 von 5 Sterne.

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Der Sommer mit Pauline: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Sommer mit Pauline: Roman' von Ivan Calbérac
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Sommer mit Pauline: Roman"

"Wahrscheinlich ist Liebe genau das: die Antwort auf alles."

Es ist fast Sommer und Émile ist zum ersten Mal richtig verliebt. In die charmante Pauline aus seiner Schule, mit der er über Filme, Tennishelden und übers Leben reden kann. Wenn sie lächelt, geht die Sonne auf. Als Pauline Émile nach Venedig einlädt, wo sie in einem Jugendorchester Geige spielt, kann er sein Glück kaum fassen. Doch die Eltern und der ältere Bruder wollen ihn begleiten - im Wohnwagen, in dem die Familie übergangsweise lebt. Eine Abenteuerreise beginnt, an deren Ende Émilie ein anderer und sein Blick auf die Welt ein neuer ist. Dieser humorvolle Roman übers Erwachsenwerden und die Magie der ersten großen Liebe trifft einen mitten ins Herz.

Der Buchhändlerliebling aus Frankreich vom Drehbuchautor von "Frühstück bei Monsieur Henri"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:240
Verlag: Blumenbar
EAN:9783351037765
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Rezensionen zu "Der Sommer mit Pauline: Roman"

  1. Die erste Liebe

    Émile hat sich verliebt. Pauline ist sehr hübsch, charmant und sie schwärmt für Tennis und Filme genau wie er. Für Émile ist diese erste Liebe wie ein Traum, auch wenn Pauline aus einer ganz anderen Gesellschaftsschicht stammt. Während er mit seiner schrägen Familie in einem Wohnwagen lebt, bis es endlich zum Hausbau reicht, wohnt Pauline in einer eleganten Villa. Dann lädt Pauline ihn nach Venedig ein, dort hat sie mit ihrem Jugendorchester einen Auftritt. Èmiles Freude bekommt einen jähen Dämpfer, als seine Eltern und sein älterer Bruder beschließen mitzufahren und im Wohnwagen Urlaub zu machen.

    Es gibt Situationen, da sind einem Jugendlichen die Eltern einfach nur peinlich, auch wenn man sie von Herzen liebt. Und Èmiles Eltern bieten jede Menge Anlass für peinliche Augenblicke. Da ist sein Vater, ein Vertreter und sein aufgesetzter Verkäuferoptimismus, und seine Mutter, die bequeme, zur Schlampigkeit neigende Kleidung liebt und aus unerfindlichen Gründen darauf besteht Èmiles Haare regelmäßig zu blondieren. So gerät die Reise naturgemäß zu einem Desaster für den Jungen. Aber das Gefühl, zum ersten Mal verliebt zu sein, kann ihm niemand mehr nehmen.

    Die Geschichte ist liebenswert und warmherzig, durchzogen von einer bittersüßen Melancholie und immer wieder aufgelockert durch irrwitzige Situationskomik. Sicher will der Autor junge Erwachsene ansprechen, aber ich denke eher, dass es LeserInnen anspricht, die sich wehmütig an ihre eigene Jugendzeit erinnern.

    Es wird mit dem Satz beworben „Der Buchhändlerliebling aus Frankreich“. Das kann ich mir gut vorstellen und passt auch zu meiner Einschätzung. Ein zauberhafter kleiner Roman, typisch französisch, da werden auch Enttäuschungen mit Esprit beschrieben. Eine schöne, melodische Sprache macht diesen Roman sehr charmant und sommerlich leicht.

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