Der letzte Sommer in der Stadt: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der letzte Sommer in der Stadt: Roman' von Gianfranco Calligarich
4
4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der letzte Sommer in der Stadt: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:208
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442773176
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Rezensionen zu "Der letzte Sommer in der Stadt: Roman"

  1. 5
    23. Jan 2022 

    Bella Roma

    Inhalt:
    
Rom, die ewige Stadt, ist die Hauptdarstellerin des Romans „Der letzte Sommer in der Stadt“ von Gianfranco Calligarich, der bereits 1973 erstmals veröffentlicht wurde. Leo, mit dreißig Jahren noch jung, aber dem eigenen Empfinden nach schon ziemlich alt, verschlägt es dorthin, um seiner Heimat Mailand und seiner Familie zu entfliehen. Er ist ein Träumer und Tagdieb, ein Pseudo- Intellektueller mit Alkoholproblem, der den Frauen und dem guten Leben frönt, ohne ein konkretes Lebensziel vor Augen zu haben. Eines Tages schließlich trifft er die schöne aber flüchtige Arianna und verliebt sich in sie.

    Meine Meinung:
    Hach ja. Bereits die Leseprobe zu diesem Roman hat mich begeistert und das gilt stellvertretend für das ganze Buch. Selten erwähne ich in meinen Rezensionen die Optik eines Buchs, aber es muss einfach gesagt sein, dass ich das sonnengelbe Cover gepaart mit dieser nebulösen Schwarzweiß-Fotografie wirklich unwiderstehlich finde.
    „Der letzte Sommer in der Stadt“ ist eine Gesichte für Romantiker und Träumer. In seiner Atmosphäre und Bildsprache erinnert mich der Text an alte Kinofilme aus den Sechzigerjahren mit Romy Schneider oder Audrey Hepburn. Alles ist leicht und schwer zugleich, die Sonne brennt, das Leben flirrt, die Protagonisten schwimmen haltlos in der Geschichte und in ihrer Existenz, so wie in einem türkisblauen Swimmingpool. Jetzt werde ich selbst gleich rührselig romantisch und es fällt mir schwer, nüchtern zu rezensieren, ohne selbst ins Erzählen abzudriften. Aber genau das ist das Gefühl, das der Roman beim Lesen transportiert und ich habe es geliebt. Noch mehr hätte ich es wahrscheinlich geliebt, die Geschichte im Sommer oder (noch besser!) Im Urlaub zu lesen. Für diese Zeit ist es die allerbeste Lektüre, die ich mir vorstellen kann. Die sonnengetränkten Szenen, die der Autor zeichnet, kommen wahrscheinlich am besten zur Geltung, wenn es warm ist. Außerdem mochte ich die Art und Weise, wie er auf sehr sanfte und subtile Art, zwischenmenschliche Beziehungen einfängt und dabei einprägsame und gleichzeitig fast schon filmreife Charaktere zeichnet.

    Fazit:
    
„Der letzte Sommer in der Stadt“ macht mich sehnsüchtig. Sehnsüchtig nach Sommer und längst vergangenen Zeiten. Ich möchte auch gerne eine junge freie Frau in einem Rom sein, das es in dieser Form wahrscheinlich längst nicht mehr gibt, möchte meine Tage zwischen Lebenslust und Weltschmerz verbringen und das Leben mit vollen Händen ausschöpfen. Mit diesem Buch bin ich es wenigstens einen kurzen Augenblick lang gewesen. Es ist eine wunderschöne Zeitreise nach Italien.

  1. Kultstatus

    Vorab: Hier findet ihr keinen weiteren Hinweis auf den Inhalt des Buches.
    Es kommt schon mal vor, dass ich ein Buch das erste Mal in die Hand nehme und dann ungeplant auf einen Rutsch durchlese. Meist habe ich da zufällig zumindest etwas Zeit, sonst nimmt man auch kein Buch in die Hand, und das Buch ist entweder sehr spannend oder was überraschend Neues.
    Bei " Der letzte Sommer in der Stadt " von Gianfranco Calligarich ist alles anders.
    Schon das Cover hat eine magische Anziehungskraft. Dann die Information, dass es in der Versenkung verschwunden war, immer wieder vergriffen und wieder neu aufgelegt. Was hat dieses Buch?
    Eine magische Anziehungskraft. Vielleicht nicht für jeden Leser, aber kennt ihr die Zeit in eurem Leben, als Bücher eine sehr besondere Rolle spielten? Es gab Titel, die musste man gelesen haben. Darüber wurde diskutiert und geschrieben, noch bevor es leicht war per Internet sich auszutauschen. Wo war dieses Buch damals, warum habe ich zu meiner Schande noch nie etwas davon gehört?
    Fast in einem Rutsch durchgelesen, nur mit den notwendigsten Unterbrechungen, und es klingt nach, das Buch. Wird noch mal gelesen und sicher weitergereicht werden um unbedingt wieder zurückzukehren. Bücher haben eine grosse Bedeutung auch für die Hauptperson dieses Buches Leo Gazzarra, der immer mindestens zwei Koffer mitführt, Bücher von denen er sich wirklich nie trennen wird.
    Wer Bücher mit sogenanntem Kultstatus liebt, muss dieses Buch lesen!!

  1. Sommer in Rom

    Leo Gazarra kommt ursprünglich aus Mailand und entscheidet sich mit einem unterbezahltem Job als Journalist sich in Rom niederzulassen. Er wohnt in einfachen Hotels oder zieht in eine kleine Wohnung von Bekannten. Bald ist er seinen Job los, da das Magazin bankrott ist und er lebt ziellos vor sich hin. D.h. kein festes Einkommen, geht in Bars, um bekannte Menschen zu treffen und mit ihnen zu sprechen und liest ansonsten Bücher und lässt sich von anderen aushalten. Er lernt die genauso ziellose Arianna kennen. Sie studiert offiziell Architektur, aber eigentlich lebt sie auch ohne Ambitionen in den Tag. Sie ist sehr unstet im Wesen und sehr sprunghaft. Doch beide fühlen sich angezogen von einander.

    Ich fand die Leseprobe sehr ansprechend. Doch leider hat mich das Buch sehr enttäuscht. Es ist in meinen Augen belanglos. Wenig Handlung viel Atmosphäre, trotzdem bleiben alle beteiligten Personen blass und unglaubwürdig. Rom wird dabei sehr hübsch beschrieben. Vielleicht ist Rom der Hauptprotagonist des Buches? Wer weiß!

    Wie gesagt alles in allem eher enttäuschende Lektüre. Ich kann leider nicht verstehen warum das Buch ein Kultstatus haben sollte!

 

Kunstmomente: Wie ich sehen lernte

Buchseite und Rezensionen zu 'Kunstmomente: Wie ich sehen lernte' von Hanns-Josef Ortheil

Inhaltsangabe zu "Kunstmomente: Wie ich sehen lernte"

Format:Broschiert
Seiten:352
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442773008
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Seit er sein Leben mit einem Tier teilt: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Seit er sein Leben mit einem Tier teilt: Roman' von Bodo Kirchhoff
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt: Roman"

Vier Tage vor dem Höhepunkt des Sommers, dort, wo sich Louis Arthur Schongauer, einst düsterer Deutscher in Hollywood-Filmen, nach dem Tod seiner Frau zurückgezogen hat. Jetzt will er nur noch mit seiner Hündin leben, inmitten alter Oliven oberhalb des Gardasees. Doch dann strandet eine Reisebloggerin beim Wenden in seiner Zufahrt, und am nächsten Tag erwartet er eine Autorin, die ihn mit einem Porträt aus der Vergessenheit holen will: zwei Frauen mit Gespür für die Wunden in seinem Leben. Umso wichtiger wird ihm nun sein Tier, für das es nur ein Hier und Jetzt gibt … In Bodo Kirchhoffs neuem Roman geht es um die Sehnsucht nach dem Menschen, der uns erkennt, und die Abgründe, die sich auftun, wenn wir dieser Sehnsucht folgen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:384
EAN:9783423283571
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Rezensionen zu "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt: Roman"

  1. 4
    22. Jun 2024 

    der alte Mann und die Liebe

    Schauplatz des neuen Romans von Bodo Kirchhoff ist, wie schon in "Widerfahrnis" und in "Die Liebe in groben Zügen", Italien, dieses Mal Italien oberhalb des Gardasees, ein Haus von Olivenbäumen und Steinmauern umgeben mit Blick auf den See. Hierhin hat sich L. A. Schongauer, fast 75 Jahre alt und verwitwet, zurückgezogen. Einzige Mitbewohnerin ist seine junge Hündin.

    Es ist Hochsommer, kurz vor Ferragosto, dem 15. August, ein wichtiger Feiertag in Italien, der heißeste Tag des Jahres und Wendepunkt des Sommers zum Herbst hin. Die 24 jährige Reisebloggerin Frida strandet mit ihrem Wohnmobil in der Auffahrt zum Haus Schongauers und muß tagelang auf die Reparatur des fahruntüchtigen Fahrzeugs warten. Fast zeitgleich erwartet Schongauer die 49jährige Almut Stein, eine Autorin, der er eher unwillig ein Interview zugesagt hat.

    Schongauer bezeichnet sich selbst als knochigen Mann, älter als alt. Er, ein ehemaliger und eher unbekannter Filmschauspieler Hollywoods, möchte eigentlich nur seine Ruhe haben, zusammen mit seiner Hündin, einziger lebender Bezugspunkt nach dem tragischen Tod seiner Frau, einer berühmten Tierfotografin.

    Diese erwünschte Ruhe wird gestört durch die zwei Besucherinnen, die im Verlauf des Romans immer mehr von Schongauer "erwünscht" sind und ihn aus seiner Einsamkeit aufschrecken. Schongauer öffnet sich den beiden Frauen, insbesondere der Autorin Almut Stein, die ein Porträt über ihn plant und der er peu a peu seine Lebensgeschichte erzählt. Einst der attraktive Deutsche, der in Hollywood nur als Nebendarsteller böse Nazischergen darstellen durfte und seine erste große Liebe tragisch verlor, als er zum einzigen Mal den "Guten" in einem Film darstellen konnte. Seine zweite große Liebe, die berühmte Tierfotografin, befreite ihn von dem ungeliebten Job des "bösen Nazidarstellers". Jetzt, als Witwer, ist seine Hündin, so scheint es, die letzte Liebe seines Lebens.

    Was mir an diesem Roman wieder sehr gefallen hat, war die Art, wie Kirchhoff die typische Atmosphäre dieser wunderschönen Region Italiens beschreibt. Die Hitze des Hochsommers kurz vor dem Gewitter, "drückende Luft wie in Treibhäusern für empfindliche Pflanzen"; das Geräusch der Zikaden; die Vegetation aus Oliven- und Feigenbäumen, Zypressen, Rosmarin, Oleander; der stille See; eine Bootsfahrt zu einer einsam gelegenen Badestelle kurz vor den Felsen; Wetterleuchten und abrupter Wetterumschwung mit Sturm und Hagel.

    Der Roman ist voller Symbolik, z. B. das fast verlassenen Herrenhaus eines Grafen am Seeufer, sogar vom Weltall aus sichtbar, im Dunkel liegend, ein Totenreich. Die bildhafte Sprache ist melancholisch, teilweise philosophisch. Schongauer betrachtet, ausgelöst durch die Fragen Fridas und vor allem Almuts, rückblickend sein Leben. "Ein dumpfes Gefühl, dass etwas fehlt, etwas verpaßt zu haben im Leben, von dem man nur ahnt, dass es existiert ?": eine Frage die Almut aufwirft. Aber am liebsten würde Schongauer wie seine Hündin im Augenblick leben, losgelöst von der Vergangenheit nur noch sein pures Dasein wahrnehmen.

    Gegen Ende hatte der Roman einige Längen. Dennoch entfaltet er einen Lesesog, will der Leser doch endlich wissen, wie es mit dem alternden, von Herzschmerzen geplagten Protagonisten und seinem geliebten Tier weitergeht. Trotz des Sturms in der Mitte der Geschichte ist dies ein leiser Roman, schwermütig, altersweise und dennoch nicht hoffnungslos.

    Ich habe ihn gern gelesen und vergebe 4 Sterne.

  1. 4
    15. Feb 2024 

    Was bleibt noch?

    "Seit er sein Leben mit einem Tier teilt, denk Schongauer in schlaflosen Nächten sogar manchmal daran, dass er gern als dieses Tier auf die Welt gekommen wäre, nur mit dem Gedächtnis für Gut und Ungut, Freund oder Feind, und ohne Wissen um die Zeit." (S. 10)

    Besagtes Tier ist ein Hund, genauer gesagt eine Hündin, die L. A. Schongauer seinerzeit mit seiner mittlerweile vestorbenen Frau aus einem Haufen Asche gezogen hat und das seither aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Schongauer hat sich mit seinen fast 75 Jahren an den Gardasee zurückgezogen, wo er allein mit seiner Hündin lebt und kaum noch Kontakte pflegt. Doch er hat einer Autorin gestattet, ihn für einige Tage aufzusuchen, da sie ein Portrait über ihn schreiben will. Und unerwartet strandet ein Wohnmobil auf seinem Grundstück, defekt nach einem missglückten Wendemanöver. Schongauer gestattet der jungen Frau, einer Reisebloggerin, bis zur Reparatur ihres Gefährts auf dem Grundstück zu verbleiben.

    Das beschauliche Leben, in dem Schongauer sich in seinem Alterssitz eingerichtet hat, gerät nun zunehmend in Aufruhr. Die Fragen der Autorin bringen Dinge, die er lieber hatte vergessen wollen, wieder an die Oberfläche, sorgen für Unruhe und Abwehr. Seine Vergangenheit als Schauspieler in Hollywood - stets die Rollen des verkniffenen bösen deutschen Nazis -, die Frauen in seinem Leben, Unglücksfälle und das Bild, das er von sich selbst hat, all dies hinterfragt die Autorin. Obschon Schongauer oft nur knappe Antworten gibt, beschäftigen ihn die Fragen. Und die Frau, die sie stellt. Gibt es in seinem Alter noch einen Platz für Sehnsüchte?

    "...und fragt, ob es in seinem Leben eine Frau gegeben habe, eine Familie, ein Kind, ein Zuhause (...) Mehr als nur eine Frau, sagt er. Aber keine Familie. Ich bin kein Inhaber von Verwandtschaftsgraden, abgesehen von toten Eltern. Schlimm?" (S. 36)

    Einen leisen Roman präsentiert Bodo Kirchhoff hier, sprachlich und atmosphärisch sehr dicht. Träge fließen die Tage in der sommerlichen Hitze dahin, ebenso wie die Erzählung, doch so wie die Hitze sich zunehmend aufstaut bis hin zu einem großen Unwetter, so sehr brodelt es auch unter der Oberfläche in einer eigentümlich aufgeladenen Stimmung - ein Schwebezustand voller Andeutungen und halbgarer Wünsche, mehr Wehmut als Begehren. Das Schriftbild spiegelt das ineinander Fließende: alles geht ineinander über, es gibt kaum einmal Absätze, dafür komplexe und anspruchsvolle Satzkonstrukte ohne Kennzeichnung der wörtlichen Rede. Ein sehr konzentriertes Lesen ist da erforderlich.

    Ein Eintauchen in die Vergangenheit, das Sichstellen seiner Dämonen, der Trost des Tieres, das bedingungslos liebt, aufflackernde Sehnsüchte, die vielleicht nur Erinnerungen an längst vergessene Begegnungen sind, ein altersschwaches Herz, das die Endlichkeit begreiflich macht - viele angerissene Themen, zahlreiche Rückblenden und ein Blick auf das, was noch bleibt.

    "Zwei Möwen fliegen ihre Schleifen über dem Nachbargrund, auf dem bis vor kurzem für ein dort grasendes Pferd altes Brot über den Zaun geworfen wurde, auch von ihm. Inzwischen ist das Pferd geschlachtet, und sein Fleisch liegt in der Metzgerei des Orts als Schinken und dunkle Filets, aber die Möwen glauben immer noch an das Brot, wie er daran glaubt, vom Leben noch etwas abzubekommen, obwohl es eigentlich hinter ihm liegt." (S. 101)

    Melancholisch aber nicht kitschig kommt dieses Alterswerk mit autobiografischen Anklängen über die Liebe, das Leben und das Alter daher, nimmt einen mit in seinem trägen Fluss. Gefühle klingen leise an, Landschaftsbilder werden gemalt, am Ende wartet eine kleine Überraschung.

    In jüngeren Jahren hätte mich das Buch vermutlich nicht so sehr angesprochen, doch da sich Kirchhoff eher an eine etwas reifere Leserschaft wendet, hat mich der Roman sehr angesprochen. Ich wünsche ihm eine wohlgesonnene Leserschaft...

    © Parden

 

Malnata: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Malnata: Roman' von Beatrice Salvioni
3.15
3.2 von 5 (12 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Malnata: Roman"

Unter der sengenden Sonne der Lombardei im Jahr 1935 begegnet Francesca zum ersten Mal Maddalena, die von allen im Ort nur »Malnata« genannt wird: »Die Unheilbringende«. Francesca – zu Konformität und Gehorsam erzogen – ist sofort fasziniert von dem barfüßigen Mädchen, dessen Hände immer schmutzig sind, die Augen voller Trotz. Entgegen allen Warnungen freundet sich Francesca mit Maddalena an und lernt mit der Zeit, den Lügen der Erwachsenen zu misstrauen. Doch in einer Gesellschaft, die keinen Platz hat für weibliches Freiheitsdenken, ist jedes falsche Wort und jede unfolgsame Tat eine Gefahr … Ein aufsehenerregender, vom Feuilleton hochgelobter Roman über die Macht weiblicher Selbstbestimmung und eine Hymne an die Kraft der Freundschaft. Beatrice Salvionis Debüt sorgte nicht nur in Italien für große Aufmerksamkeit, wo es wochenlang auf der Bestsellerliste stand: »Malnata« wird in 35 Sprachen übersetzt.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
EAN:9783328602712
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Rezensionen zu "Malnata: Roman"

  1. 5
    10. Jul 2024 

    Unterhaltsame Schilderung über Freundschaft & Ignoranz

    Monza im Jahr 1935: Die elfjährige Francesca lebt als Einzelkind in einer tiefgläubigen, gutbürgerlichen Familie. Die wirtschaftliche Lage ist auch für ihre Eltern angespannt, man kann sich aber dennoch eine Haushälterin leisten. Vorherrschend im Umgang miteinander sind der Glaube an Gott, das eigene Prestige in der kleinstädtischen Gemeinschaft und das herrschende faschistische Regime. Auf der Suche nach sich selbst nimmt Francesca die ein Jahr ältere Maddalena wahr, die sie umgehend in den Bann zieht. "Malnata", wie sie die Bewohner:innen der Stadt nennen, die Unheilbringende, lehnt sich gegen die Regeln des guten Geschmacks auf. Sie ist unangepasst, macht was sie will und hat einige Anhänger, wenn auch nicht viele. Francesca sucht, gegen den Willen ihrer Mutter, die Nähe der unbeugsamen Malnata und findet sich durch sie ein Stück weit selbst. Bis es eines Tages zu einem schrecklichen Ereignis kommt.

    Zugegebenermaßen hatte ich zu Beginn Schwierigkeiten mit dem Erzählten. "Die" Malnata war mir anfangs wirklich unsympathisch, sie schien mir richtiggehend bösartig strotzend vor Trotz. Auch die Verhältnisse in Francescas Familie schienen mir unerträglich, war ihr Alltag doch geprägt durch Verbote und nicht vorhandener Zuneigung, was für die beschriebene Zeit wahrscheinlich gar nicht so ungewöhnlich war. Außerdem gab es Schilderungen über unbedarfte Tierquälerei, die ich nur schwer ertragen konnte.
    Doch irgendwann packte mich die Geschichte, die Lesenden erfahren mehr über die Hintergründe von Maddalena und Francesca schafft es, sich zumindest ein wenig aus ihrem goldenen Käfig zu befreien. Ich war zunächst etwas stutzig, da die anfänglich an den Tag gelegte Vehemenz von Francescas Mutter gegen die Malnata ziemlich rapide verschwand, was ich mir dadurch erklärte, dass diese ihre eigenen, außerehelichen Leidenschaften fand. Francesca schafft es eine tiefergehende Freundschaft mit Maddalena zu finden und steht sich doch ab und an mit Eifersucht und kindlichem Trotz im Weg. Gestört hat mich zu Beginn, dass immer von "der" Malnata die Rede war, je näher sich die beiden jedoch kommen, desto mehr wird Malnata zu Maddalena. Maddalenas Geschichte ist herzzerreißend - von der eigenen Mutter verstoßen und im wahrsten Sinne des Wortes ignoriert, hat sie doch eine liebevolle Umgebung durch ihre Verwandtschaft, die zu ihr steht und trotz offensichtlicher Armut durchwegs positiv durch den Tag schreitet. Bis zum Schluss ist nicht klar, ob Francesca mehr für Maddalena empfindet als bloße Freundschaft und dieses vage, undefinierte Liebe erklärt auch oftmals ihr zweischneidiges Verhalten.

    In der Geschichte gibt es zahlreiche Nebendarsteller:innen, die das Erzählte bereichern. Sei es die minderbewertete Haushälterin, die als einzige Erwachsene Francesca wirklich Zuneigung zukommen lässt, oder zwei Jungen, die die aufkeimende Freundschaft zwischen Maddalena und Francesca neidend stören wollen. Besonders die Verwandtschaft von Maddalena wird eingehender portraitiert, vor allem ihr Bruder Ernesto, der als überzeugter Kommunist schlussendlich doch in den Krieg ziehen musst, gibt seiner kleinen, ignorierten Schwester unglaublichen Halt. Die faschistische Gesellschaft wird thematisiert, auch wenn sie für die eigentliche Geschichte nur einen oberflächlichen Rahmen bietet. Nichtdestotrotz werden die gesellschaftlichen Verhältnisse und die daraus hervorkommenden Rollenbilder beschrieben. Etliche kritische Stimmen attestieren den beiden Hauptprotagonistinnen ein viel zu erwachsenes Verhalten, allerdings ist es meines Erachtens nicht möglich Präpubertierende der heutigen Zeit mit jener vor 90 Jahren zu vergleichen. Auch den Vorwurf, dass es bei den Charakteren nur Gut und Böse gibt, kann ich nicht teilen, weil ich finde, dass diese durchaus Wandlungen vollziehen und ich mir nach vielfacher Reflexion der menschlichen Verhaltensweisen nicht anmaßen möchte zu behaupten, dass ad hoc Reaktionen nicht möglich sind. (siehe dazu einige kritische Rezensionen dieses Romans) Besonders das Ende des Romans ist mutig und feministisch und durchaus überspitzt, aber es zeigt meines Erachtens, dass nur Zusammenhalt in einer Sache zum Erfolg führen kann.

    Mein Fazit: "Malnata" war für mich ein Roman, den ich nach anfänglichen Schwierigkeiten verschlungen habe. Besonders gefallen hat mir die Entwicklung der Hauptprotagonistin Francesca, da durchaus auch ihre unangenehmen Seiten thematisiert worden sind. Trotzdem es in der Geschichte doch einige Wiedersprüche gibt, macht für mich einen guten Roman aus, dass auch Unvorstellbares und nicht zu hundert Prozent Nachvollziehbares, das sich für eine Sache einsetzt - in diesem Fall die Überwindung von gesellschaftlich vorgegebenen Normen - zu einem runden Ende findet.

  1. Fehlende Grautöne

    Beatrice Salvionis Debütroman Malnata beginnt mit einer äußerst dramatischen Szene, die sofort emotional aufwühlt und Neugierde weckt. Gebannt und mit dem Gefühl, das Buch könnte sich zu einem Highlight entwickeln, tauchte ich in die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Mädchen ein.
    Schauplatz ist Monza, eine Stadt nördlich von Mailand, in der Lombardei im Jahr 1935.
    Die zwölfjährige Ich-Erzählerin Francesca wächst als einziges Kind in einer bürgerlichen Familie auf. Ihr Alltag ist durch rigide Regeln des Anstandes reglementiert. Auf den sonntäglichen Spaziergängen zur Kirche mit ihren Eltern hat sie Gelegenheit, einen Blick auf die gleichaltrige Maddalena zu erhaschen, die in Begleitung zweier Jungen am Flussufer spielt. Francesca ist fasziniert von diesem Mädchen, das sich allen einengenden Konventionen zu widersetzen scheint und von allen nur die „Malnata“ genannt wird. Sie ist eine Geächtete, ihr wird nachgesagt, Unglück zu bringen. Francesca fühlt sich magisch von diesem wilden Mädchen angezogen und ergreift schließlich eine sich ihr bietende Gelegenheit, Kontakt aufzunehmen. Die Mädchen freunden sich an und Francesca gewinnt dadurch Einblicke in das Leben einer ärmeren Familie aus der Arbeiterschicht.
    Der Autorin gelingt es, in einer leicht lesbaren Sprache, die Atmosphäre der Stadt und ihrer Bewohner:innen lebendig einzufangen. Patriarchale Strukturen, das Erstarken des Faschismus, religiöser Aberglaube und Scheinheiligkeit sind allgegenwärtig und beeinflussen das Verhalten und Denken der Menschen. Maddalena hat ein Gespür für Ungerechtigkeit und ist in der Lage, diese zu benennen. Sie wirkt dadurch zu Beginn des Romans klug und frühreif. Eine große Bedeutung kommt dabei ihrem älteren Bruder Ernesto zu, der sich als Kommunist mit gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten auseinandersetzt und häufig mit Maddalena über politische und gesellschaftliche Themen spricht. Während ich in der ersten Hälfte neugierig Anteil an der freundschaftlichen Entwicklung der Mädchen, ihren Streichen und ihrem Aufbegehren nahm, flachte mein Interesse mit fortschreitender Lektüre immer mehr ab. Die beschriebenen Szenen waren für mich zunehmend unglaubwürdig, Maddalenas Äußerungen und Handlungen nicht altersgemäß sowie unpassend für die damalige Zeit. Das patriarchale Umfeld und der Faschismus dienten nur noch als Kulisse für das Anliegen des Buches, eine Geschichte über weibliche Selbstbestimmung und Selbstermächtigung zu schreiben. Ich vermisste Grautöne in der Figurenzeichnung und einen plausiblen Fortgang dieser feministisch angelegten Coming-of-Age-Geschichte. Schade!
    Malnata wurde von Anja Nattefort ins Deutsche übersetzt.

  1. Geschichte zweier Mädchen, die gegen den Strom schwimmen wollen

    Italien 1935: Mussolini und die Faschisten sind an der Macht. Die 11jährige Francesca wächst in einer italienischen Kleinstadt auf. Nach dem Tod ihres Bruders bleibt sie allein zurück in einer kleinbürgerlichen Familie, die streng nach den Regeln des Faschismus und den Vorgaben der katholischen Kirche lebt. Von kleinauf wurde sie vor den Versuchungen des Teufels und den strengen Strafen Gottes gewarnt. Ihr wurde eingebleut, bloß nicht mit der Malnata herumzuziehen, die im Dorf als Unheilbringerin gilt. Doch für Francesca ist das Leben des barfüßigen Mädchens, das in schmutzigen Klamotten und mit trotzigem Gesichtsausdruck umherzieht sehr verlockend. Erst noch nähert sie sich Maddalena, wie das Mädchen richtig heißt, zögerlich und vorsichtig. Doch sie wird mutiger, als sie merkt, dass die angedrohten Strafen Gottes ausbleiben. Schon bald wird sie sehr einfallsreich, wenn es darum geht, sich von zu Hause loszustehlen, um verbotenerweise mit Maddalena und den Jungs Zeit verbringen zu können. Für sie ist es ein Abenteuer, Francesca dürstet es nach Leben. Nach und nach löst sich Francesca von den starren Ansichten ihrer Familie. Wie Maddalena erkennt sie die bröckelnde Fassade der Erwachsenenwelt und widersetzt sich zunehmend. Maddalena bringt kein Unheil, sondern hilft Francesaca mutiger zu werden.

    Beatrice Salvioni erzählt in ihrem gefeierten und in viele Sprachen übersetzten Roman von der Kraft dieser Mädchenfreundschaft. Zu Beginn des Romans fand ich das durchaus faszinierend und fühlte mich von Maddalena an Pippi Langstrumpf erinnert. Was sich in der ersten Hälfte sehr angenehm liest und fesselt, schwacht in der zweiten Hälfte des Buches leider deutlich ab. Hier nimmt die Geschichte eine Wendung, die mir persönlich als sehr konstruiert und unglaubwürdig erschien. Der Schluss hat es mir dann am Ende so richtig vermiest, so dass ich die Begeisterung für diesen Roman insgesamt gesehen leider nicht teilen kann.

    Die Thematik der Selbstermächtigung der beiden Mädchen finde ich zwar wichtig und lesenswert, allerdings in der konkreten Umsetzung leider misslungen. Das Buch wird sicher trotzdem seine Leserschaft finden.

  1. Ein Unterhaltungsroman in Schwarz und Weiß

    Italien präsentiert sich im Oktober 2024 als Gastland der Frankfurter Buchmesse, weshalb nun verstärkt Bücher aus diesem Land auf Deutsch erscheinen. "Malnata", der Debütroman der 1995 geborenen Beatrice Salvioni, erhielt in Italien große Aufmerksamkeit, wurde in viele Ländern verkauft, darunter Japan, die USA und Deutschland, wird als Fernsehserie verfilmt und soll fortgesetzt werden.

    Ein furioser Beginn
    Mit einem Paukenschlag eröffnet Beatrice Salvioni den Roman: In Monza, einer lombardischen Kleinstadt 20 Kilometer nordöstlich von Mailand, liegt am Ufer des Lambro ein toter junger Mann im Schlamm, darunter die zunächst namenlose 12-jährige Ich-Erzählerin, blutverschmiert und mit zerrissener Unterhose. Ein weiteres Mädchen, Maddalena, übernimmt beim Verstecken der Leiche das Kommando und schließt dem jungen Faschisten, der die Anstecknadel mit Trikolore und Rutenbündel am Revers trägt, die Augen. Es ist das Jahr 1936, Benito Mussolini (1883 – 1945) regiert seit 1922, seit Oktober 1935 führt das faschistische Italien einen völkerrechtswidrigen kolonialen Eroberungskrieg gegen das Kaiserreich Abessinien, das heutige Äthiopien.

    Eine Freundschaft über Gesellschaftsgrenzen hinweg
    Kein Jahr vor der dramatischen Szene am Lambro hatte die Freundschaft der beiden ungleichen Mädchen begonnen. Die Ich-Erzählerin Francesca ist das einziges Kind eines durch die amerikanische Bankenkrise gebeutelten Hutfabrikanten aus der Mittelschicht, einem politischen Mitläufer aus wirtschaftlichem Interesse, und einer vom Leben enttäuschten Mutter, die gute Manieren über Bildung und Schein über Sein stellt. Ihre Warnung vor „Gesindel“ wie Maddalena schreckt Francesca nicht. Sie fühlt sich magisch angezogen vom rebellischen, scheinbar angstfreien und respektlosen Verhalten des um ein Jahr älteren Mädchens aus der Arbeiter-Vorstadt, das Unglück bringen soll und daher nur Malnata, „die Unheilbringende“, genannt wird. Sehnsuchtsvoll beobachtet Francesca Maddalena und deren beiden Freunde, einen Faschisten- und einen Kommunistensohn, bei ihren wilden, unkonventionellen Spielen:

    "Ich beobachtete ihre Welt vom Rand aus. Und ich konnte es kaum erwarten, mich ganz hineinfallen zu lassen." (S. 62)

    Gegen alle Widerstände wird Francesca Maddalenas Freundin, stiehlt sich trickreich aus der strengen häuslichen Enge, begünstigt durch die Unaufmerksamkeit der mit sich selbst beschäftigten Eltern. Im Zusammensein mit Maddalena und ihrer Familie beginnt sie, die Scheinheiligkeit ihrer eigenen Welt zu begreifen, religiöse Heuchelei, patriarchale Strukturen und politische Verlogenheit.

    Fehlende Grautöne
    Das mitreißende erste Kapitel und der politische Hintergrund haben mich zunächst sehr für den Roman eingenommen. Ein wenig fühlte ich mich an Elena Ferrante und "Meine geniale Freundin" erinnert, doch bleibt "Malnata" mit seinen größtenteils statischen Charakteren ohne Grautöne leider wesentlich oberflächlicher, zu eindeutig verortet die Autorin ihre Figuren im Spektrum von Gut und Böse. Verlässt eine Figur trotzdem ihren vorgezeichneten Raum, wie der Obsthändler Tresoldi, wirkt die abrupte Verwandlung eher kurios als glaubhaft. Auch der spannende politische Kontext verblasst zusehends und wird zu einem immer bedeutungsloseren Hintergrundrauschen. Die im Vordergrund stehende Mädchenfreundschaft mit ihrem Aufnahmeritual, den Mutproben und kindlichen, oft jedoch keineswegs harmlosen Streichen taugt eher für einen Jugendroman, die altklugen Weisheiten aus Maddalenas Mund wirken aufgesetzt, die Handlung wird immer klischeehafter. Spätestens ab der Mitte hat mich das Buch daher verloren und mit dem melodramatischen Finale enttäuscht.

    Für mich ist "Malnata" Opfer der großen Worte seiner Werbekampagne, die einen feministischen Roman über die „Macht weiblicher Selbstbestimmung“ ankündigt, ein Versprechen, für dessen Einlösung es der Autorin an Mut fehlt. Wer einen nicht zu tiefschürfenden Unterhaltungsroman über eine ungleiche Mädchenfreundschaft sucht, könnte dagegen an "Malnata" Freude haben.

  1. 3
    03. Jun 2024 

    Starker Einstieg, schwach im Abgang

    Italien ist Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse und deshalb erscheinen vermehrt Übersetzungen aus diesem Land. So auch der Debutroman der 29jährigen Autorin Beatrice Salvioni, der in seiner Heimat vom Feuilleton gefeiert wird.
    Die Geschichte spielt in der Lombardei Mitte der 1930er Jahre. Hier wächst die elfjährige Ich- Erzählerin Francesca als Einzelkind in einer gut bürgerlichen Familie auf. Die Atmosphäre im Haus ist frostig, der Vater oft abwesend und schweigend, die Mutter mit sich selbst beschäftigt. Francesca steckt in einem Korsett aus Regeln und Verboten.
    Da wundert es wenig, dass sie sich von der ein Jahr älteren Maddalena angezogen fühlt. Ein wildes, eigensinniges Mädchen, das sich oft am Fluss herumtreibt. In ihrem Gefolge zwei Jungs, die ihr bedingungslos gehorchen; der eine Sohn eines Kommunisten, der andere der Sohn des hochrangigen Faschisten am Ort.
    Francesca tut alles, um von Maddalena akzeptiert und anerkannt zu werden. Und das, obwohl alle vor ihr warnen. Denn Malnata, „ die Unheilbringende“, wie sie genannt wird, geht der Ruf voraus, dass sie Schuld trägt an seltsamen Unglücksfällen in ihrem Umfeld. Die frommen Frauen schlagen bei ihrem Anblick das Kreuzzeichen, Männer spucken vor ihr aus.
    Maddalena scheint das angeblich nicht zu berühren. Sie steht über dem Geschwätz der Leute und behauptet stolz, vor nichts und niemand Angst zu haben.
    Die beiden ungleichen Mädchen freunden sich an, entgegen gesellschaftlicher Unterschiede. Während Francescas Eltern sich trotz wirtschaftlicher Krise noch eine schöne Wohnung mit Dienstmädchen leisten können, teilt sich Maddalena ihr Zimmer im sechsten Stock eines Mietshauses mit ihren älteren Geschwistern.
    Maddalena verkörpert all die Eigenschaften, die Francesca haben möchte. Sie will nicht weiter „ als stilles und wohlerzogenes Mädchen“ gelten. Sie will so selbstbewusst und selbstbestimmt durchs Leben gehen wie die Freundin. Durch Maddalena beginnt sie die bisherigen Grundsätze in Frage zu stellen, Grundsätze, die Elternhaus, Kirche und der faschistische Staat vorgeben.
    Der Roman ist in erster Linie die Geschichte einer Mädchenfreundschaft, mit allem, was dazugehört, Misstrauen, Eifersucht, Mutproben usw. Doch aus den z.T. kindischen Streichen wird irgendwann blutiger Ernst.
    Davon erfährt der Leser schon in der Eingangsszene, die ein Jahr später verortet ist. Francesca liegt blutverschmiert am Ufer des Lambro, über ihr ein toter Mann. Gemeinsam mit Maddalena verstecken sie die Leiche unter Zweigen.
    Ein wahrhaft drastischer Einstieg, der die Neugier des Lesers weckt. Was ist hier tatsächlich passiert und wie konnte es dazu kommen?
    Über weite Strecken kann die Autorin die Spannung halten.
    Ebenso gelingt es ihr, gerade zu Anfang, die Stimmung und Atmosphäre der Stadt einzufangen, die verschiedenen Gesellschaftsschichten, das Gerede der Leute, der zur Schau getragene Katholizismus.
    Im Hintergrund ist auch die angespannte politische Lage spürbar. Es ist das Jahr 1935, in dem italienische Truppen in Abessinien einmarschieren. Während die einen diesen Eroberungskrieg bejubeln, fürchten andere die Folgen des Krieges. Anders als der Sohn eines hochrangigen Parteimitglieds erhält Maddalenas Bruder den Einberufungsbefehl. Frauen spenden ihre goldenen Eheringe für den Sieg. Es gibt in der Stadt begeisterte Mussolini-Anhänger, opportunistische Mitläufer wie Francescas Vater und Widerständler.
    Da wir aber alles nur aus dem Blickwinkel einer Heranwachsenden sehen, kann die Autorin bei diesem Thema nicht in die Tiefe gehen.
    Doch vor allem kann sie nicht die Versprechungen der Eingangsszenen einhalten. In der Beziehung zwischen den Mädchen war wenig Entwicklung zu beobachten. Francescas Gefühle grenzen an Hörigkeit, bis fast zum Ende bleibt sie in der unterlegenen Position. Öfter legt die Autorin den Mädchen Sätze in den Mund, die unmöglich von Zwölfjährigen sein können.
    Beatrice Salvioni wollte augenscheinlich einen feministischen Roman schreiben über weibliche Selbstermächtigung und Selbstbestimmung, gegen männerdominierende Strukturen. Die Protagonistinnen wehren sich gegen ein Rollenbild, das ihnen vorgelebt wird, gegen sexuelle Übergriffe, die alltäglich sind. „ Eine erwachsene Frau zu sein, bedeutete, einem Mann, wenn er sagte: „ Du gehörst mir“, in die Augen zu sehen und ihm zu antworten: „ Ich gehöre niemandem.“ Das sind die Überlegungen Francescas und das ist die „ Botschaft“ des Romans.
    Allerdings wird dieses Statement in eine etwas platte und unglaubwürdige Geschichte gepackt. Die Nebenfiguren sind beinahe allesamt sehr eindimensional; hier gibt es kaum Grautöne.
    Und das Ende des Romans war ärgerlich. Fährten, die anfangs gelegt wurden, verliefen in eine ganz andere Richtung, Figuren machten plötzlich und ohne ersichtlichen Grund eine radikale Kehrtwende und das melodramatische Ende wurde ziemlich schnell abgehandelt.
    Wer bei Literatur Wert legt auf differenzierte Figurenzeichnung und eine in sich schlüssige Geschichte, wird das Buch enttäuscht beiseite legen.
    Ich würde den Roman auch nicht Jugendlichen zur Lektüre empfehlen, obwohl er sich vom Sujet her anbieten würde. Denn zum einen sollten im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur die gleichen Kriterien für Qualität gelten, zum anderen eignen sich die beiden Hauptfiguren nicht zur Identifikation.

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    03. Jun 2024 

    Der Roman kann nicht überzeugen.

    Malnata, ein junges Mädchen aus der Via Marsala, hat den Ruf, Unglück zu bringen. Wer sie bei ihrem richtigen Namen Maddalena ruft, dem bringt sie Unheil, denn sie hat den Teufel im Leib.
    Mit ihren tiefschwarzen Haaren, ihren leuchtenden dunklen Augen und ihren schlanken, flinken, nackten Beinen, stets in Lumpen gekleidet und mit abgetragenen Schuhen, ist sie das exakte Gegenteil von Francesca. Kaum ein Jahr jünger als Maddalena, stammt sie aus gutem Haus, ihr Vater, ein Geschäftsmann und die Mutter, ein ehemaliger neapolitanischer Bühnenstar, und besticht durch ihre Schönheit und ihrem stets tadellosen Auftreten. Es sind schwierige Zeiten in Italien, der Duce und die Faschisten regieren und der Afrikakrieg steht vor der Tür.
    Die unterschiedlichen Mädchen freunden sich an, trotz des Widerstandes von Francescas Mutter. Schnell entwickelt sich eine Abhängigkeit zwischen beiden, besonders Francesca bindet sich an Maddalena, die so viel mehr Stärke und Durchsetzungsvermögen zeigt.

    Meine persönlichen Leseeindrücke
    Das Buch erinnert mich an „Arminuta“, wenngleich es sich inhaltlich und vor allem stilistisch beachtlich unterscheidet. Mit Vorschusslorbeeren begrüßt, habe ich mich auf dieses Buch richtig gefreut und wurde sehr enttäuscht. Die Geschichte, vielleicht als Jugendbuch geeignet, entpuppt sich als schlecht inszenierter Mailänder Gesellschaftstratsch, voll mit irrsinnigem Aberglauben und Romanfiguren, die von Anfang an steife, vordefinierte und klischeehafte Rollen einnehmen.
    Besonders gestört hat mich der geschichtliche Bezug zum Faschismus, der kaum mehr als eine Randhandlung einnimmt und der eigentlichen Geschichte keine Bedeutung gibt. Es fehlt eine deutlichere Verbindung, eine Bedingung, die den Ablauf der Geschichte nur zu dieser Zeit hätte geschehen lassen können; kurzum, es fehlt an allen Ecken und Enden die Zwangsläufigkeit. Der Versuch, in Malnata eine Widerstandsfigur gegen die gesellschaftlichen Strukturen und den Faschismus darzustellen, ist kläglich gescheitert. Dafür ist ein Mädchen auch die denkbar schlechteste Besetzung.
    Der Roman kann nicht überzeugen. Das Ende mit seiner melodramatischen Abschlussszene wirkt entsetzlich kitschig und unglaubwürdig.

    Fazit
    Nach anfänglichen Schwierigkeiten und einem Mittelteil, der mich mit Hoffnung füllte, endete die Geschichte einer Mädchenfreundschaft in (leider) typisch italienischer Melodramatik.
    Von Anfang an störten mich die klischeehaften Romanfiguren, der zeitliche Bezug zum Faschismus, der wohl als Aufmacher herhalten musste, und eine Mädchenfreundschaft, mit leicht lesbischen Andeutungen. Eine Jugendliche als Widerstandsfigur zur damaligen Gesellschaft und politischen Führung zu stilisieren, ist der Autorin nicht gelungen. Vielmehr schwappt die Handlung zum Ende hin ins Unrealistische, Obszöne.

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    30. Mai 2024 

    Hanni & Nanni in Mussolinis Italien

    Der hochgelobte Erstling von Beatrice Salvioni geht los mit einem Prolog wie ein Paukenschlag, nimmt das Ende des Romans teilweise vorweg und gibt damit ein spannendes Rätsel auf. Und genauso fesselnd geht es zunächst weiter.

    Die rebellische 12jährige Maddalena probt den Aufstand im faschistischen Italien zur Zeit des Abessinienkrieges. Man sagt ihr nach, dass sie den bösen Blick hat und Menschen verhexen kann. Francesca, die gleichaltrige Tochter eines Hutfabrikanten, von Haus aus sehr restriktiv und lieblos erzogen, fühlt sich von der Lebendigkeit der „Malnata“ unwiderstehlich angezogen. Die beiden werden Freundinnen gegen alle Widerstände. Die Familien und gegensätzlichen Milieus der Mädchen werden gut gezeichnet, ebenso das politische Klima, das Anpassung und Mitläufertum fördert.

    Im Lauf des Romans hat mich die Autorin jedoch verloren. Ich habe Grautöne vermisst, Täter- und Opferrollen der Figuren sind klar verteilt. Der kindliche Sound gerät Salvioni zunehmend viel zu erwachsen, ihre Figuren verlieren ihre Glaubwürdigkeit, vor allem, weil die Autorin sie je nach dramaturgischem Bedarf handeln lässt und nicht nach ihrer inneren Logik, die bald auf der Strecke bleibt. Zwei Zwölfjährige sollen mit gedankenlosen Streichen, die in erster Linie denen schaden, die es gut mit ihnen meinen, zu feministischen, gar antifaschistischen Rebellinnen stilisiert werden. Das funktioniert vor allem deshalb nicht, weil sich die Handlung, die aus Francescas Ich-Perspektive heraus geschildert wird, bald nur noch um die innere Dynamik der Mädchenfreundschaft dreht. Der historische Hintergrund wird dadurch zur bloßen Folie – Faschismus light, Zeitgeschichte, die nicht weh tut.

    Und so geht es weiter. Der Abessinienkrieg dient als Kulisse für eine tragische Liebe, der Sohn eines einflussreichen Faschisten gibt den gutaussehenden Bösewicht, ein Autorennen soll das Kolorit der Rennstadt Monza beschwören; das Rennfahreridol Hans Stuck, als mäusegesichtig verleumdet, muss als Sinnbild des hässlichen Deutschen herhalten.

    Der Roman will eine Geschichte über weibliche Selbstermächtigung sein. „ Eine erwachsene Frau zu sein, bedeutete, einem Mann, wenn er sagt: Du gehörst mir, in die Augen zu sehen und ihm zu antworten: Ich gehöre niemandem.“ Eine klare feministische Positionierung – aber traut man diesen Satz in seiner gedanklichen und rhetorischen Klarheit einer Zwölfjährigen zu?

    Die Lösung des Rätsels, das der Prolog aufgibt, ist allzu bald klar, der Spannungsbogen hängt ab etwa der Mitte des Romans durch. Diesen Mangel des Plots versucht Salvioni auszugleichen, indem sie die Mädchen überflüssige Streiche begehen, die Protagonistin auf frühere Entwicklungsstufen zurückfallen und bisherige Hassfiguren abrupt wie Menschenfreunde handeln lässt. Mangelnde Sachkenntnis lässt eine ganze Szene fragwürdig erscheinen – die, weil funktionslos, ohnehin besser gestrichen worden wäre.

    Zum Ende hin gleitet der Roman in Melodram und Kitsch ab. Die Autorin kann sich offensichtlich nicht entscheiden: Will sie den Aberglauben als Ursache von Maddalenas Ausgrenzung verdammen, oder will sie ihr paranormale Fähigkeiten zuschreiben? Will sie Maddalenas Unschuld bewahren, oder soll sie sie aufgrund der Ereignisse verlieren? Ist Francescas Angepasstheit bedingt durch äußeren Zwang, oder ist sie tatsächlich feige? Die Autorin eiert entschlusslos herum, was dem Roman endgültig den Biss nimmt.

    Wirklich schade - etwas mehr schriftstellerische Courage und Stringenz (und vielleicht ein strikteres Lektorat) hätte aus diesem Jugendroman Literatur machen können.

  1. Eine Mädchenfreundschaft umgeben von Faschismus und Aberglauben

    Fulminant wird die Handlung durch den Prolog eröffnet. Eine (noch) namenlose Ich-Erzählerin wird von ihrer mutigen Freundin aus nahezu auswegloser Lage gerettet. Der Übeltäter ist anschließend tot. Ausgehend von dieser dramatischen Szene wird der Beginn einer ungleichen Mädchenfreundschaft geschildert. Die „Malnata“, was so viel wie „die Unheilbringende“ bedeutet, stammt aus einer bitterarmen, schicksalsgebeutelten Familie. Sie ist etwa zwölf Jahre alt, raubeinig und unangepasst. Sie sagt, was sie denkt, spielt mit Jungen am Fluss und gilt als „enfant terrible“ der italienischen Stadt Monza am Lambro. Die Erwachsenen schreiben dem Mädchen alle üblen Vorurteile zu, inklusive der Fähigkeit, Menschen zu verfluchen oder zu verhexen. Man erzählt sich blutige Schauergeschichten, die Malnata ist der Sündenbock schlechthin.

    Die aus dem Bürgertum stammende, behütet und doch lieblos aufgewachsene Ich-Erzählerin Francesca fühlt sich von diesem Mädchen magisch angezogen. Allen Widerständen zum Trotz freunden sich die beiden Mädchen an, deren Gegensätze offensichtlicher nicht sein können. Die unbändige Malnata, die eigentlich Maddalena heißt, rühmt sich, vor nichts Angst zu haben. Sie ist kritisch, hinterfragt den Aberglauben und die Vorurteile der Erwachsenen, widersetzt sich jedem Rollenbild, das für Mädchen dieser Zeit gilt. Mental unterstützt wird sie von ihrem großen Bruder Ernesto. Dies alles fasziniert Francesca: „Ich beobachtete ihre Welt vom Rande aus. Und ich konnte es kaum erwarten, mich ganz hineinfallen zu lassen.“ (S.62)
    Durch die Augen der Erzählerin lernen wir nicht nur Maddalena mit ihrer Familie, sondern auch die Bewohner des Ortes kennen. Es gibt treue Mussolini-Anhänger, Mitläufer und Widerständler. Die politisch angeheizte Stimmung am Vorabend des Abessinienkrieges 1935 wird zwar transportiert, bildet aber insgesamt nur ein beständiges Hintergrundrauschen. Im Zentrum stehen Maddalena und Francesca. Für letztere eröffnet sich mit der Freundschaft zu der Außenseiterin eine neue, lebendige Welt. Sie genießt Kameradschaft sowie abenteuerliche Unternehmungen.

    Der Roman wird weitgehend chronologisch erzählt. Bis man am dramatischen Ende ankommt, das mit dem Prolog bereits vorweggenommen wurde, haben die beiden Protagonistinnen manches Abenteuer zu bestehen, sich gegen manche Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen. Bezeichnend ist, dass alle Erwachsenen böse sind, was auch für deren indoktrinierten Abkömmlinge gilt. Die Bürger leben in einer Welt des Scheins, verurteilen willkürlich und verharren in stereotypen Gesellschaftsbildern. Die beiden Mädchen suchen ihre Freiräume, lehnen sich gegen das misogyne Umfeld auf. Immer wieder wird die Freundschaft auf die Probe gestellt. Francesca kann ihre Erziehung nicht völlig hinter sich lassen, ihre ambivalente Gefühlswelt wird jedoch stellenweise sensibel und einfühlsam geschildert.

    Insgesamt ist mir der Romanverlauf zu grob geraten. Insbesondere zum Ende hin kann ich weder die Entwicklung noch die Handlungsweisen einiger Figuren nachvollziehen. Für mein Empfinden gibt es zu viele Brüche und Widersprüche zu vorangegangenen Schilderungen. Die Autorin arbeitet mit Klischee behafteten Charakteren und ebensolchen Szenen. Sie will die Befreiung und den Weg in die Selbstbestimmung der beiden Heldinnen beschreiben. Auf dem Weg dorthin kommt es zu sexuellen Übergriffen und gewalttätigen Konflikten, bei denen es weder an Melodramatik noch an reichlich fließendem Blut fehlt. Hier wird definitiv mehr Wert auf äußeres Geschehen als auf Tiefe gelegt, kuriose Wendungen sollte man nicht hinterfragen.

    Ich halte „Malnata“ für einen einigermaßen Plot getriebenen Unterhaltungsroman, der einer kritischen Analyse schwer standhält. Wer gerne feministisch geprägte Entwicklungsromane liest, sollte hier zugreifen. Der Roman dürfte dann keine Langeweile aufkommen lassen, er liest sich flott. Das Buch könnte auch sehr gut bei jugendlichen Leserinnen ankommen.

    Hohe literarische Ansprüche erfüllt es indessen nicht. Ich bin die falsche Leserin für dieses Buch, das „einen von Feuilleton hoch gelobten Roman“ versprach. Daher nur eine eingeschränkte Leseempfehlung.

  1. Dunkle Pippi Langstrumpf mit Hang zur Melodramatik

    Monza, 1935: Während sich Italien unter der Diktatur Mussolinis in dunklen Zeiten befindet, fühlt sich die elfjährige Francesca unverstanden. Ihre Mutter begegnet ihr mit Lieblosigkeit und Verboten, ihr Vater verfällt in eine fast sprachlose Gleichgültigkeit. Da wirkt es fast wie ein Wunder, dass sich plötzlich dieses wilde Mädchen für sie zu interessieren scheint, das immer mit zwei etwas älteren Jungen am Ufer des Lambro spielt. Der Name des Mädchens ist Maddalena, doch wird sie von allen im Ort nur "Malnata" genannt - die "Unheilbringende". Allen Warnungen der Erwachsenen zum Trotz freundet sich Francesca mit der "Malnata" an. Eine Entscheidung, die ihr junges Leben komplett auf den Kopf stellt...

    "Malnata" ist der Debütroman von Beatrice Salvioni, der jüngst in der deutschen Übersetzung aus dem Italienischen von Anja Nattefort bei Penguin erschienen ist und laut Klappentext in Italien noch vor Erscheinen "zu einem literarischen Ereignis" und mittlerweile in 35 Länder verkauft wurde. Hohe Vorschusslorbeeren, denen der Roman leider nur zu Beginn gerecht wird.

    Denn der Anfang des Buches ist hochdramatisch und berührend. Ich-Erzählerin Francesca wird im Prolog von ihrer Freundin Maddalena offenbar gerade noch vor einer Vergewaltigung gerettet. Im Rückblick erzählt uns Francesca, wie es zu dieser Situation, vor allem aber zu der unerschütterlichen Freundschaft mit der "Malnata" kommen konnte. Salvioni zeichnet in dieser Phase authentisch und zärtlich, wie sich die beiden Mädchen langsam annähern und unter welchen gesellschaftlichen Anfeindungen insbesondere Maddalena zu leiden hat. Die abergläubische Welt der Erwachsenen macht sie für mehrere Unglücksfälle in ihrer unmittelbaren Umgebung verantwortlich. Es ist bezaubernd, wie feinfühlig Salvioni sich den beiden Hauptfiguren widmet. Dabei gelingt ihr der Spagat, die aufgeladene Atmosphäre des Faschismus hintergründig darzustellen, ohne die Perspektive der Kinder zu verlassen. Die "Malnata" selbst wirkt dabei manchmal wie eine dunkle Pippi Langstrumpf, die mit ihren nicht ganz harmlosen Streichen eine Art freiheitlicher Kontrapunkt zur faschistischen Welt der Erwachsenen darstellt. Die kindlichen Szenen am Fluss, die Mischung aus Unschuld und Härte, erinnern in ihren besten Momenten ein wenig an den legendären "Club der Verlierer" aus Stephen Kings "Es".

    Leider gelingt es Salvioni jedoch nicht, diese Szenen zu einem glaubwürdigen Roman weiterzuspinnen. Die Figuren lassen Grautöne vermissen, nahezu alle lassen sich spielend leicht in "Gut und Böse" eingruppieren. Die Erwachsenen sind mit Ausnahme von Francescas Haushaltshilfe Carla menschlich allesamt eine Katastrophe, vor allem die Elternfiguren aller Kinder versagen komplett. Ein regelrechtes Ärgernis ist aber die Glorifizierung der Maddalena. Während die Faszination, die sie auf ihre Freundin aus dem gut-bürgerlichen Haushalt ausübt, zwar authentisch und verständlich wirkt, hat die Figur in ihrer Konzeption so große Schwächen, dass eigentlich nicht einmal Francesca darüber hinwegsehen könnte. So verbreitet die "Malnata" eine erwachsene Weisheit nach der anderen, scheitert aber selbst im zwischenmenschlichen Bereich, indem sie den wenigen ihr wohlgesinnten Menschen großen Schaden zufügt. Beispielsweise durch völlig unsinnige Mutproben, die von der Autorin offenbar nur eingeführt wurden, um den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Oder durch Unstimmigkeiten, in denen Salvioni die Mädchen genau so abergläubisch handeln lässt, wie es die von ihnen verachteten Erwachsenen eigentlich tun würden. Vollends an Glaubwürdigkeit verliert "Malnata", wenn gegen Ende des Buches eine von den Kindern leidlich gepiesackte Figur einen Sinneswandel um 180 Grad vollzieht und sich plötzlich als Hilfsbereitschaft in Person präsentiert.

    Eine weitere Schwäche ist die Melodramatik des Textes, die mit fortschreitender Lektüre immer stärkere Züge annimmt und die Kitschgrenze zumindest streift, wenn nicht gar überschreitet. Schicksal reiht sich an Schicksal, die Verehrung Francescas für ihre Freundin nähert sich der Hörigkeit an. Gewalttaten der "Malnata" wie beispielsweise das Blutigschlagen des Kopfes der Sitznachbarin in der Schule auf den Tisch werden als Lappalie abgetan, Tierquälereien als Mittel zum Zweck nicht einmal hinterfragt. Bedauerlich ist auch, dass der Roman kaum noch Überraschungspotenzial hat und sich die Figuren mit Ausnahme der Ich-Erzählerin wenig entwickeln. So ist beispielsweise äußerst früh zu durchschauen, wer hinter der anfangs erzählten versuchten Vergewaltigung steckt.

    Letztlich endet das "literarische Ereignis" eher als halbgare Mischung aus Coming-of-Age- und Jugendroman, die ihr anfängliches Potenzial zunehmend verspielt, indem sie - und damit Autorin Salvioni - falsche Entscheidungen trifft und die letzte Konsequenz vermissen lässt. Schade.

  1. Mädchenfreundschaft – zwischen Abhängigkeit und Selbstbestimmung

    Freundschaft zweier ungleicher Mädchen in Monza/Norditalien zur Zeit des italienischen Faschismus unter Mussolini

    Es beginnt dramatisch mit der versuchten Vergewaltigung der zwölfjährigen Francesca, der ihre Freundin Maddalena zu Hilfe kommt und es endet mit einem Toten. Die genauen Umstände erfahren wir später.

    Zuerst tauchen wir in die Geschichte dieser beiden Mädchen ein. Monza, nördlich von Mailand im Jahre 1935 zur Zeit Mussolinis: eine religiös geprägte heuchlerische Spießergesellschaft so wie die Familie von Francesca, die rigide erzogen wird und der ständig vor Augen gehalten wird, was ein Mädchen alles nicht darf. Da wundert es nicht, dass sich Francesca von Maddalena angezogen fühlt, einer Gleichaltrigen, die so ganz anders ist. Sie kommt nicht nur aus einer niedrigeren Gesellschaftsschicht, sondern sie gibt sich auch rebellisch und unabhängig. Ihr Ruf ist schlecht und sie wird von allen 'Die Malnata' genannt (schlecht/böse geboren). Sie gilt als Unheilbringerin, manchen sogar als Hexe, als eine, die anderen Unglück und Tod bringen kann.

    Francesca erkennt in ihr eine Unabhängigkeit und eine Selbstbestimmung, die sie für sich selber auch gerne hätte, so dass Maddalena ihr Vorbild wird. Sie lässt sich von ihr beeinflussen und zu Aktionen überreden, die ihr eigentlich verboten sind.

    Der Hintergrund, der sich bis in den Alltag der Menschen auswirkt, ist interessant: der Personenkult um den 'Duce', die Indoktrination der jungen Menschen, die imperialistischen Kolonialbestrebungen, der Beginn des Abessinienkrieges, der viele junge Männer das Leben kosten wird. Das tritt allerdings im Verlauf der Geschichte mehr und mehr in den Hintergrund; die anfängliche Spannung lässt nach und es findet wenig Entwicklung statt. Das Verhalten der Personen wird zunehmend unglaubwürdiger mit Wechseln in Einstellung und Verhalten, die nicht oder nicht einleuchtend erklärt werden. Auch erscheinen die beiden Mädchen in dem, was sie äußern und denken älter als sie sind, was mit dem tatsächlichen Verhalten kontrastiert. Dazu kommt eine zunehmend melodramatische Ausdrucksweise und eine Personendarstellung, die schablonenhaft wirkt.

    So wird die anfangs vielversprechende Geschichte eher zu einem leicht trivial klingenden Jugendroman, der nicht gehalten hat, was anfangs versprochen wurde. Zumindest wurde die Entwicklung von Francesca für mich nicht glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt.

    Dennoch habe ich die Geschichte anfangs ganz gerne gelesen und sie mag ihre LeserInnen finden, denen die Unabhängigkeitsbestrebungen eines jungen Mädchens imponieren.

  1. Gescheiterter Versuch in die Moderne zu kommen.

    Kurzmeinung: Unschuldige Heldinnen sind einfach nicht mein Ding.

    Handlung: Zwei vorpubertäre Mädchen aus unterschiedlichen Schichten stammend, freunden sich gegen den Widerstand ihrer Eltern in den Zeiten von Italiens Faschismus miteinander an.

    Der Kommentar und das Leseerlebnis:
    Man fühlt sich mit dem Roman „Malnata“ wohl. Man könnte ihn in der Hängematte lesen. In Italien mit einem Glas Wein in der Nähe. Obwohl „Malnata“ die Dramatik des Lebens nicht verschweigt, ist die Atmosphäre trotz eines ganz anders gearteten Prologs, der hervorragend, gefährlich, bedrohlich und blutig ist, entspannt. Prolog und Rest des Romans klaffen weit auseinander. Der Spannungsbogen, den der Prolog aufbaut, hält nicht bis zum Ende. Ja, das krasse Gegenteil ist der Fall. Bildlich gesprochen, bläst die Autorin einen Luftballon auf und sticht dann mit der Nadel hinein. Wo es dramatisch ist, wird es gleich melodramatisch.

    Der Roman versucht zeitgenössische Linien, zum Beispiel weibliches, sexuelles und politisches Erwachen bis hin zum physischen Widerstand, scheitert aber an mangelndem Wagemut der Autorin, diese Linien auch konsequent bis zu einem bitteren Ende zu führen. Sie lösen sich in Wohlgefallen und reinen Herzen auf. Wobei die reinen Herzen nicht wirklich rein sind, wenn man die Details betrachtet, die Kinder haben durchaus hässliche Gedanken und ergehen sich in kindischen Untaten. Aber im Resultat wird ihre Unschuld bewahrt. Das ist das Problem dieses Romans. Er führt nicht aus, was er im Ansatz verspricht. Stereotype und plakative Figuren erinnern an einen Jugendroman „von früher“. Malnata fungiert nämlich wie ein Jugendroman "mit einem Schuss Faschismus". Dafür ist der Roman ganz nett. Mehr aber eben nicht.

    Fazit: Liest sich leicht und flockig, denn Schreiben kann die Autorin durchaus, es ist der Plot, der zu hinterfragen ist, insgesamt ist das Gebotene aber viel zu brav, zu plakativ und oberflächlich, um moderne oder anspruchsvolle Literatur zu sein. Als Jugendroman immer noch geeignet, den Faschismus wenigstens in Eckdaten ansatzweise abzubilden.

    Kategorie: Leichte Unterhaltung
    Verlag: Penguin, 2024

  1. Was für eine großartige atmosphärische Geschichte

    Schwer lag er auf ihr, die Augen glasig. Er hatte sein Knie zwischen ihre Oberschenkel gerammt. Hinter ihm sah sie Malnata, die wollte, dass er aufhörte und tat, was getan werden musste …

    Die junge Francesca, fast noch ein Kind, lehnt sich jeden Sonntag über die Brüstung und sucht das Flussufer nach ihr ab, sieht, wie sie mit nackten Füßen und schmutzigem Rock mit den beiden Jungs über die Kiesel läuft und wäre so gerne ein Teil von ihr.

    Wenn die Malnata in ihren ausgetretenen Sandalen an ihnen vorbei über das Kopfsteinpflaster von Monza schlurfte, mit erhobenem Kinn und in Begleitung von zwei älteren Jungen, beeilen sich die Frauen das Kreuz zu schlagen und ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, und die Männer spucken auf den Boden. S.22

    Die Maddalena hat den Teufel im Leib sagt man, man sieht es am Sturm in ihren Augen. Alle nennen sie Malnata, was Unglück bedeutet, denn genau das macht sie, Unglück über die Menschen bringen, die ihr nah sind.

    Als Francescas kleiner Bruder starb war die Mutter unglücklich, aber davor war sie es auch. Sie stand auf der Bühne kurz bevor sie Francescas Vater kennenlernte, glaubte, er würde eine große Schauspielerin aus ihr machen. Nachdem sie ihm zwei Kinder geschenkt, die er sich gewünscht hatte, war ihr Gesicht, der Bauch und die Hüften breiter geworden. Jetzt lässt sie sich vom Signore Colombo tief in die Augen schauen, wenn sie Sonntags die Messe besuchen, der mit dem Automobil und der Parteizugehörigkeit.

    Vater sprach kaum noch mit ihr. Sie lebten stumm beieinanderher und hielten Abstand wie zwei alte Hunde auf dem selben Hof, die schon lange kein Interesse mehr am Duft des anderen haben. S. 43

    In der Schule muss Francesca jeden Morgen den Duce ehren. Sich wie die anderen neben ihren Stuhl stellen, den Arm ausstrecken und die Hand, in Richtung Mussolinis Bild recken. Manche Mädchen haben ein Foto von ihm im Pult, das sie verstohlen anlächeln.

    Fazit: Was für eine gut erzählte atmosphärische Geschichte. Dank Beatrice Salvioni war ich 1935 in Monza, habe die Bewohner kennengelernt, den Zwist, die soziale Ungerechtigkeit, den Hang zu Aberglauben und Verteufeln. Es ist die Zeit der Faschisten, die Zeit in der Männer sich ungestraft nehmen können was sie wollen, weil sie die Krone der Schöpfung sind, als eine elfjährige unbeugsame, charakterstarke und wütende Protagonistin eine Freundin findet. Beide schon jung von ihren Müttern gebeutelt, geben sich gegenseitig Halt und Stärke in einer bösartigen Welt. Die Autorin hat so viele Gefühle in mir geweckt, dass ich das Buch nur als Glanzstück bezeichnen kann. Trotz der schwierigen Themen ist es mit großer Leichtigkeit zu lesen. Chapeau!

 

Bergland: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Bergland: Roman' von Jarka Kubsova
4.75
4.8 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Bergland: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:288
EAN:9783442493548
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Rezensionen zu "Bergland: Roman"

  1. Eindringlich und sehr gelungen

    Inhalt: Die "Innerleit-Rosa" bewirtschaftet in den Vierzigerjahren auf 1670 m Höhe allein einen Bergbauernhof. Ihre Familie wird durch den Krieg zerstört und aus ihrer Ehe bleibt nur ihr Sohn. Hart und einsam ist der Kampf mit der Natur, den Rosa auf sich nimmt. Traditionen sind ihr wichtig und der viel gerühmte Fortschritt, den ihr Sohn Sepp so gern durchsetzen möchte, ist ihr ein Dorn im Auge. Jahre später hat der Tourismus auf dem Hof Einzug gehalten und Rosas Enkel Hannes und dessen Frau müssen sich anderen, aber genauso harten Herausforderungen stellen.
    Jarka Kubsova, bekannt durch Sachbücher und Reportagen hat ihren ersten Roman veröffentlicht. Deutlich spürbar ist, wie intensiv sie sich auf dieses Bergabenteuer vorbereitet hat. Man fühlt sich sofort mitten im Geschehen und sieht die Natur und die darin hart arbeitende Rosa vor sich. Besonders die Naturbeschreibungen die ans Herz gehen und nachspürbar sind, haben mir besonders gefallen.

    "Mit zunehmender Kälte stellten die kleinen Pflanzen das Wachstum ein, zitterten in dem heulenden Wind, der jetzt wieder über die Kämme strich und vor dem sich aes Schwache beugen musste. In Rosa stieg die Furcht vor dem nahenden Winter auf, weil im Winter das Hofherz langsamer schlug."
    Drei Generationen werden im Wechselspiel der Perspektiven dargestellt. Rosa ist ein sehr starker Charakter, der sich trotz aller Widrigkeiten durch Krieg, Tod und Unerfahrenheit nicht davon abhalten lässt, den Bergbauernhof durchzubringen. Zwei Generationen später kämpft Franziska auf dem "Innerleit-Hof" darum, den Standard als Ferien-Bauernhof aufrecht zu halten. Wie hart es ist, die pure Landlust für Feriengäste vorzuspielen, wird hier schonungslos und offen wiedergegeben. Die vermeintliche Idylle entpuppt sich als fast unmöglich umzusetzende Vorgabe des Bauernverbands.

    Frauen stehen in diesem Roman im Vordergrund. Mal als hart arbeitende Bäuerin, mal als Familien- und Vermietungs-Managerin, die auf die eine oder andere Weise an ihre Grenzen gelangen. Man spürt, wie zerrissen die Frauen sind und wie viel ihnen abverlangt wird.

    Besonders die aktuelle Zeitschiene, die den Ferienbauernhof betrachtet, stimmt sehr nachdenklich. Der Einblick hinter die Kulissen der vermeintlichen Landidylle zeigt, welche hohen Kriterien an einen touristisch genutzten Bauernhof gestellt werden. Die Verbindung zur Großmutter mit ihrer naturbelassenen Acker- und Gemüsebewirtschaftung zeigt einen neuen Weg auf, der Hoffnung auf ein neues Zeitalter gibt. Sanfter Tourismus, der teilnimmt und nicht zerstört.

    Für mich ein Lesehighlight.

  1. Über das Leben in den Bergen

    Heimat, Tradition, Familie sind Werte, die sich in der heutigen Zeit altmodisch und überkommen anhören. Dass dem nicht so ist, beschreibt die Autorin Jarka Kubsova in ihrem Debütroman, der 2021 erschien. Sie erzählt die Geschichte mehrerer Generationen des Innerleit-Hofes in den Südtiroler Alpen. Anfang der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts ist die junge Rosa keinesfalls dafür vorgesehen, einmal den Bauernhof zu übernehmen, doch ihre als ihre beiden älteren Brüder in den Krieg ziehen, sieht auch der Vater keine andere Möglichkeit mehr, als seine Tochter in die Geheimnisse der Landwirtschaft einzuweihen. Der Vater stirbt über dem Kummer über den Tod seines Ältesten und somit bewirtschaftet Rosa von nun an allein den Hof. Die Geschichte von Rosa wechselt sich ab mit der von Franziska, die zeigt, dass das Leben auf einem Bergbauernhof auch zu der heutigen Zeit kein Zuckerschlecken ist. Dem Druck zwischen den Vorgaben der Agrarbehörde und aber auch der Tourismusvereinigung, aufgerieben zwischen Familien- und Hofarbeit muss sich Franziska auch irgendwann beugen.
    Das Buch erzählt ruhig und unspektakulär die Geschichte der beiden Frauen und ihrer Familien. Die Sprache empfand ich als einfach, aber es passte gut. Zwischenzeitlich war es mir schon fast zu ruhig, aber zum Ende hin gewinnt die Geschichte nochmal an Kraft. Die Autorin lebte selbst einige Monate auf einem Bauernhof in Südtirol und bringt diese Erfahrung sehr gut in das Buch ein. Dass der Fortschrittsglaube vor allem der 70er Jahre, der über die abseits gelegenen Bergdörfer hinwegfegte, nicht immer nur Gutes brachte, wissen wir heute nur zu gut. Früher war nicht alles schlecht und die Besinnung auf das Wissen unserer Vorfahren kann helfen, in der schnelllebigen Zeit zur Ruhe zu finden und Kraft zu sammeln.
    Ein schöner und moderner „Heimatroman“, der ohne Kitsch vom harten und einfachen, aber durchaus bereichernden Leben in den Bergen erzählt.

  1. Tirol, unsere Liebe.

    Kurzmeinung: Muss man gelesen oder gehört haben! Mein Lesehighlight 2022

    In dem Roman „Bergland“ von Jarka Kubsova, steht die Natur im Vordergrund. Die Geschichte spielt in Südtirol auf einem Hof namens Innerleit, dieser befindet sich haarscharf an der Anbaugrenze. Oberhalb des Hofes gibt es nur noch wildes steiniges Bergland. Das Panorama ist gewaltig. 

    Die Geschichte setzt früh an, lange vor dem Zweiten Weltkrieg und schildert anhand der Bergbauern die schmerzhaften Veränderungen Tirols im Laufe seiner Geschichte. Ob Tirol zu Italien oder zu Deutschland gehören soll, ist den dort lebenden Bauern im Prinzip egal, wenn nicht entweder die einen oder die anderen einem vorschreiben wollten, welche Sprache man zu sprechen hat oder andere unerfüllbare Ansprüche stellen. 

    In der Nähe des Innerleit, in Sichtweite, aber eben nicht direkt nebenan, liegen die anderen Höfe. Man ist Nachbar, wenn man die Rauchfahne des anderen Gehöfts sehen kann. Jeder kämpft ums Überleben. Jeder hilft jedem. Das ist selbstverständlich. Dennoch wird das Leben immer problematischer zu bewältigen, denn vor dem Zweiten Weltkrieg hatte man wenigstens noch die Männer.

     Ja, das Leben war hart, aber regelmässig. Die Bauern kannten sich aus mit dem Wetter, der Saat, dem Vieh. Das Vieh lebte draussen. Es hatte noch ein Leben, das so genannt werden konnte. Das sollte sich später leider ändern. Denn irgendwann wird auch der Innerleit von der Moderne eingeholt. Auf den Hof kommen Maschinen, die Tiere sind keine Geschöpfe mehr, sondern Lieferungsprodukte, barbarisch geht der Mensch mit dem Vieh um, der Tourismus entwickelt sich, einerseits wird das Leben leichter, aber andererseits entstehen neue Zwänge. Und die Seelen verkümmern. 

    Der Kommentar. 
    Wie Jarka Kubsova diese Zusammenhänge schildert und organisch eins aus dem anderen entwickelt anhand ihrer knorrigen Figuren, allen voran der starken Rosa, der Bäuerin, der nach dem Tod ihrer Brüder das Hoferbe zugefallen ist, das ist schon stark. Sowohl die wunderschöne Sprache wie auch die Geschichte selbst, sind von eigenartigem Zauber: man sieht die Natur, man leidet im Winter und freut sich an den wenigen Freuden der Bergbauernkinder, man ist dabei, wie dem konservativen Vater endlich klar wird, dass er Rosa besser miteinbezogen hätte im Vermitteln der bäuerlichen Weisheiten als sie ein Kind war, wie er es mit den Buben machte, die einen Rechen in die Hand gedrückt bekamen, kaum, dass sie laufen konnten und bei allen seinen Tätigkeiten an seiner Seite waren. Er hat nur noch wenig Zeit, bevor er abtritt, das fühlt er. Und der Junge kommt nicht wieder. Wie lange er auch wartet. Die spärliche Zeit, die ihm bleibt nutzt er, um mit Rosa über sein Land zu gehen und sie zu unterweisen. „Hier musst du das pflanzen, bevor du das machst, dort musst du dies und das berücksichtigen“. Nichts wird aufgeschrieben, aber Rosa wird sich erinnern. Denn bald gehört ihr der Hof. Und Rosa wird außerdem, weil sie nicht nur stark, sondern auch intelligent ist und einen besonderen Bezug zur Natur hat, man nennt es Heimatliebe und Erdverbundenheit, neue Entdeckungen machen und neue Wege gehen. Wege, die von der dritten Generation zögerlich wiederentdeckt werden. Wenn man endlich, endlich, die Nachhaltigkeit von früher mit der Moderne verbindet. 

    Das Zusammenwirken der kargen Natur und der kargen Menschen, ihre Nöte, ihre Herzensangelegenheiten, die sie immer dem Hof unterodnen mussten, das Zerstören der Natur und die Kritik am Bergtourismus, dies alles zusammen, hat mich nachhaltig beeindruckt, sogar mitgenommen. Gelesen wird der Roman im Hörbuch auch wunderbarst von Britta Steffenhagen. 

    Fazit. Ein Bauernroman, der spielend leicht eine Brücke von Alt nach Neu schlägt und keineswegs dem Klischee des alten Heimatromans zugeordnet werden kann. 

    Mein Lesehighlight 2022, eine dicke Leseempfehlung! 

    Kategorie: Roman. Mit Anspruch.
    Verlag: Der Hörverlag, 2021
    Goldmann, 2021

  1. Ein Meisterwerk!

    !ein Lesehighlight 2021/2022!

    !eine zeitlose Geschichte, die fest in meiner Bibliothek verankert sein wird!

    Klappentext:

    „Südtirol in den vierziger Jahren: Im abgelegenen Tiefenthal staunen selbst gestandene Bauern, als ihnen eine junge Frau vormacht, wie man einen Hof ganz alleine durchbringt. Rosa heißt die Frau, die die Natur versteht und lenkt, als habe sie nie etwas anderes getan. Mit aller Macht stemmt sie sich gegen den Fortschritt, der ihr kleines Reich in den Bergen bedroht.

    Zwei Generationen später sind Rosas Enkel Hannes und seine Frau Franziska auf Feriengäste angewiesen, um den Hof zu halten. Als nach einem Unglück ihre Zukunft auf dem Spiel steht, erweist sich Rosas Vermächtnis als aktueller denn je.“

    Es gibt manchmal Bücher die muss ich mehrfach lesen um für mich selbst zu erfahren ob sie beim nächsten Mal wieder so begeisternd sind wie zu Beginn. Dieses Buch hier gehört dazu. Ich heule jedes Mal an der selben Stelle wahrlich Rotz und Wasser, lache immer an den selben Stellen und denke mir, immer an den selben Stellen: Genau so war es und so wird es kommen. Dieses Buch ist grandios, ein Meisterwerk, denn es ist nicht das was der Buchtitel erstmal erahnen lässt. Hier wird keine Bergdoktor-Idylle vorgegaukelt, hier wird kein Heimatroman erzählt, hier wird die Vergangenheit mit der Gegenwart und der Zukunft beleuchtet. Eine große Gabe der Autorin, diese Zeiten so genau zu betrachten und sie zu analysieren. Hier wird Klartext geredet, hier wird keine heile-Welt vorgespielt, hier geht es um genau das Bild, was vielen von uns verloren gegangen ist.

    Erzählt wird zu Beginn in zwei Generationszeiten und ab der Hälfte des Buch bis zum Schluss sogar in drei. Macht das Sinn? Und ob. Auch hier mal wieder ein Buch wo man genau lesen muss, sich Namen merken muss, Obacht geben muss, das man nicht vom Berg fällt, weil er immer steiler wird beim lesen. Als Leser ist man hier stiller Beobachter. Zuerst erfahren wir die Geschichte von Franziska und dem dem Innerleit-Hof. Wir erlesen ihre Arbeit, ihr Seelenleben, ihre verhasste und doch geduldete „Liebe“ zu „goldenen Küken“. Ferienvermietung, Kinder, Tiere, Alm, harte Zeiten. Auf dem Hof lebt auch Franziskas Schwiegervater Sepp…seine bzw. die Geschichte seiner Mutter Rosa ist der feste, dicke rote Faden und um diesen winden sich Hannes und Franziska mit ihren Kindern und dann später auch eben Sepp. Der Wechsel zwischen damals und heute wirkt zu Beginn völlig normal, so wie man das aus einer der unzähligen geschönten Landhauszeitungen kennt. Doch schnell merkt man als Leser, die Vergangenheit ist immer präsent, zeigt sich überall, manchmal muss sie halt erst wieder entstaubt werden. Alles von damals ist nicht immer schlecht gewesen und das Heute und die Zukunft versichern uns auch nicht immer das gelbe vom Ei. Man muss als junger Mensch Erfahrungen machen. Das hat Rosa gemacht, Sepp ebenfalls und Hannes und Franzi taten dies ebenfalls. Drei Generationen haben gelernt, dass das von damals alles Hand und Fuß hatte und die Zeit und die Technik damals ebenfalls das erreicht hat, um zu Leben mit dem was notwendig war. Hart war es damals, hart ist es heute. Wir sind unser eigener Schmied des Glücks und dürfen auch gern das vergangene aufleben lassen und uns zu Nutze machen. Reden hilft gegen Kummer. Auch das war damals schon so, nur muss man die Zähne erstmal dafür auseinander bekommen….klappt aber irgendwann…

    Kubsova‘s Schreibstil ist für diese „Geschichte“ perfekt gewählt. Kurz, prägnant, klare Worte ohne Geschwurbel. Sie ist treffsicher in allem und zeigt, man benötigt nicht immer Phrasen oder Schöngerede um zu verstehen. Dieses Buch beschäftigt mich schon lange und ist ein echter Schatz der Erzählkunst. Ich hoffe das von der Autorin noch mehr kommt! Der Roman könnte auf den Halligen „spielen“, in alten Dörfern in Bayern oder dem Erzgebirge, er könnte überall dort spielen, wo die Zeit sich mit der Natur verklebt hat und untrennbar geworden ist - ein gewaltiges und großartiges Buch! 5 von 5 Sterne und eine klare Leseempfehlung!

 

Touchdown: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Touchdown: Roman' von  John Grisham

Inhaltsangabe zu "Touchdown: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:368
Verlag: Heyne Verlag
EAN:9783453406285
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Vivaldi und seine Töchter: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Vivaldi und seine Töchter: Roman' von Peter Schneider

Inhaltsangabe zu "Vivaldi und seine Töchter: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:288
Verlag: btb Verlag
EAN:9783442771745
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Gloria!: Ein Papst-Krimi

Buchseite und Rezensionen zu 'Gloria!: Ein Papst-Krimi' von Johanna Alba
4
4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Gloria!: Ein Papst-Krimi"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:368
EAN:9783499257551
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Rezensionen zu "Gloria!: Ein Papst-Krimi"

  1. 4
    25. Mär 2023 

    Papst Petrus II. und die Reliquien...

    Eigentlich ist Papst Petrus II. bekannt für seine unermüdlich gute Laune. Doch im Moment gibt es wenig, worüber sich der sonst so lebens-lustige Römer freuen könnte: Es ist Fastenzeit – ein willkommener Anlass für Schwester Immaculata, Haushälterin Seiner Heiligkeit, ihn auf Diät zu setzen. Und ohne Caffè und Cornetti ist Petrus nur ein halber Papst. Erst als beim Frühjahrsputz eine Kiste mit Knochen gefunden wird, bessert sich die päpstliche Laune: Handelt es sich um die Gebeine des heiligen Petrus? Auf der Karfreitagsprozession will der Papst die Reliquien präsentieren. Aber dann fällt ein Schuss, eine Frau stürzt in die Katakomben, und statt des Heiligen-Schädels hält Petrus eine billige Kopie in den Händen. Doch wer immer hinter dem Anschlag steckt – er hat seine Rechnung ohne den Papst und dessen legendäre Spürnase gemacht! (Klappentext)

    Ich habe mir sechs Jahre Zeit gelassen, bevor ich nach "Halleluja!" nun zum zweiten Band der augenzwinkernden Krimireihe rund um Papst Petrus II. griff. Zuweilen verliere ich Reihen einfach ungerechtfertigterweise aus den Augen...

    Schwester Immaculata, die Haushälterin des Papstes, und Padre Francesco, sein Privatsekretär, putzen im Flur der toten Päpste - und dabei entdeckt Francesco eine versteckte Kiste. Darin: menschliche Gebeine und ausreichend Indizien, die darauf hindeuten, dass es sich hierbei um die sterblichen Überreste des heiligen Petrus handeln könnte. Doch als der Papst bei der von zahllosen TV-Kameras verfolgten Karfreitagsprozession den Schädel präsentieren will, hält er plötzlich nur eine Fälschung in den Händen. Außerdem schießt während der Prozession jemand auf die Gruppe um den Papst, und die päpstliche Fotografin fällt in die Katakomben und ist anschließend verschwunden. Das Verwirrspiel nimmt seinen Lauf...

    Unterstützt von seinem Privatsekretär Francesco und seiner hübschen adligen Pressesprecherin Giulia nimmt der Papst hinter den Kulissen selbst die Ermittlungen auf. Dabei stoßen sie auch auf das miese Geschäft mit den Reliquien, und selbst die Stadtverwaltung scheut sich nicht vor einem Ausverkauf der Republik: immerhin gilt es, die immensen Staatsschulden zu tilgen! Das Geschäft mit dem Jenseitsversprechen läuft jedenfalls gut - und je mehr sich jemand zeitlebens zuschulden hat kommen lassen, desto höher könnte der Preis ausfallen für eben ganz besondere Reliquien...

    Reichlich unrealistisch aber durchaus amüsant zu lesen gestalten sich die Ermittlungen, wobei es nur selten wirklich spannend wird. Jedenfalls ist es ein Vergnügen, dem unkonventionellen und zutiefst menschlichen Papst und seinen Begleiter:innen dabei zuzusehen. Der Schlagabtausch zwischen Petrus II. und der gestrengen Schwester Immaculata bietet dabei noch zusätzlichen Unterhaltungswert. Der Papst weiß das Leben zu genießen und schleicht sich immer wieder inkognito aus dem Vatikan, um in seiner Lieblingstrattoria zu speisen und damit dem eher frugalen Speiseplan Immaculatas zu entkommen. Und es gibt für Petrus II. nichts Schöneres als seine rasanten (und waghalsigen) Autofahrten quer durch Rom - während die Autobesitzerin um ihr Fahrzeug wie ihr Leben fürchtet.

    Der Fall selbst bietet eine Vielzahl möglicher Motive und Hintergründe, und es bleibt lange arg verworren, bis sich einzelne Aspekte auflösen. Das Ende selbst ist dann (zu) rasch abgehandelt, wobei ich den Ereignissen nicht vollkommen folgen konnte - auch nicht nach wiederholtem Lesen. Aber der Fall ist gelöst, und es bleibt abzuwarten, wie sich die Charaktere (und ihre Beziehung untereinander?) noch entwickeln werden.

    Band 3 wird sicher noch folgen...

    © Parden

 

Die Sirene: Erzählungen

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Sirene: Erzählungen' von Giuseppe Tomasi di Lampedusa

Inhaltsangabe zu "Die Sirene: Erzählungen"

Format:Taschenbuch
Seiten:288
EAN:9783492315517
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Der Leopard: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Leopard: Roman' von Giuseppe Tomasi di Lampedusa
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Der Leopard: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:400
EAN:9783492059848
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Rezensionen zu "Der Leopard: Roman"

  1. Ein historisches Meisterstück

    "Der Leopard" (italienischer Originaltitel: "Il Gattopardo") ist ein Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, der 1958 posthum veröffentlicht wurde. Der Roman ist ein klassisches Werk der italienischen Literatur und bietet einen detaillierten Einblick in die soziologischen und -politischen Veränderungen im Sizilien des 19. Jahrhunderts.

    Die Geschichte spielt auf Sizilien während der Zeit des Risorgimento, der Bewegung zur Einigung Italiens, in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Roman beschreibt den Niedergang des sizilianischen Adels und die aufkommende bürgerliche Klasse.
    Die Hauptfigur des Romans ist Don Fabrizio Corbera, Fürst von Salina. Er ist ein stolzer und alter Aristokrat, der mit Wehmut die Veränderungen um sich herum beobachtet.
    Die Handlung setzt im Jahr 1860 ein, als Garibaldis Truppen auf Sizilien landen. Dies markiert den Beginn eines tiefgreifenden politischen Wandels. Don Fabrizio ist sich der Unvermeidlichkeit dieser Veränderungen bewusst, begegnet ihnen jedoch mit Skepsis.

    Der Fürst ist das Oberhaupt einer großen Familie, in der sein geliebter Neffe Tancredi Falconeri eine besondere Rolle spielt. Tancredi schließt sich den Truppen Garibaldis an und symbolisiert die neue Generation, die sich den veränderten Zeiten anpasst. Tancredi verliebt sich in Angelica Sedàra, die Tochter eines wohlhabenden, jedoch nicht adeligen Bürgermeisters. Ihre Beziehung steht symbolisch für den Übergang von der alten Aristokratie zu einer neuen Gesellschaftsordnung. Die politischen Veränderungen nehmen ihren Lauf. Don Fabrizio wird ein politisches Amt angeboten, das er jedoch ablehnt. Er erkennt, dass seine aristokratische Welt im Niedergang begriffen ist und die neuen Machthaber seine traditionellen Werte kaum teilen. Ein zentrales Ereignis des Romans ist der Ball im Salina-Palast, der den Höhepunkt der alten Welt darstellt, der kurz vor ihrem Untergang steht. Während des Balls reflektiert Don Fabrizio über die Vergänglichkeit der Macht und den einstigen Glanz der Aristokratie.

    Der Roman endet mit dem Tod von Don Fabrizio Corbera, im Jahr 1883. Er stirbt im Bewusstsein, dass seine Ära vorbei ist und die Welt sich ohne seinen Einfluss weiterdreht.

    Der historische Kontext von "Der Leopard" ist authentisch, aber die einzelnen Figuren und ihre Geschichten sind erfunden, wenngleich sie stark von realen Personen und Ereignissen beeinflusst sind. Die Hauptfigur, Don Fabrizio Corbera, Fürst von Salina, ist zwar eine fiktive Figur, jedoch stark inspiriert von Lampedusas eigenem Urgroßvater.

    Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“ zeichnet sich durch eine besonders sorgfältige und kunstvolle Sprache aus. Diese Sprache trägt maßgeblich zur Atmosphäre und Tiefe des Werks bei.
    Lampedusa verwendet eine poetische, bildhafte Sprache, um die sizilianische Landschaft, die prachtvollen Paläste und die emotionalen Zustände seiner Figuren zu beschreiben. Diese poetische Qualität schafft eine eindringliche und lebendige Welt, die den Leser unmittelbar in die Zeit und den Ort des Geschehens versetzt. Beispiele hierfür sind die detailreichen Naturbeschreibungen, die oft metaphorisch die Zustände und Veränderungen der Charaktere und der Gesellschaft reflektieren.

    „Aber der Garten, eingeengt und fast zerdrückt von seiner Umfriedung, strömte Gerüche aus, die ölig, fleischlich und leicht faulig rochen wie die von den Reliquien gewisser Heiliger abgesonderten aromatischen Säfte. Die Nelken übertrumpften mit ihrem Pfeffergeruch den protokollarischen Duft der Rosen und den ätherischen der Magnolien, die schwer gebeugt in den Ecken standen, und dazwischen war auch das feine Aroma der Minze spüren, vermischt mit dem kindlichen der Akazie und dem süßlichen der Myrte, während aus dem Zitrusgarten jenseits der Mauer ein erotischer Hauch von ersten Orangenblüten herüberschwappte.“

    Der Roman ist durchzogen von Metaphern und Symbolen, die tieferliegende Bedeutungen transportieren. Ein bekanntes Beispiel ist der Leopard selbst, der das Wappen des Hauses Salina ziert und den Stolz und den Niedergang der sizilianischen Aristokratie symbolisiert.

    Die Dialoge sind präzise und oft mit subtilem Humor und Ironie durchzogen. Sie spiegeln die verschiedenen sozialen Schichten und die jeweiligen Charaktereigenschaften der Figuren wider. Der Fürst von Salina, ein komplexer Charakter, wird durch seine Dialoge und inneren Monologe als nachdenklicher, melancholischer und zugleich scharfsinniger Beobachter seiner Zeit dargestellt.

    Das Titelbild zeigt einen Leoparden, der halb sichtbar ist und nach links aus dem Bild verschwindet.

    Anmerkungen zum Roman, zur Übersetzung, zu einzelnen Stellen sowie eine Inhaltsangabe vervollständigen das Werk.

    Fazit
    "Der Leopard" ist ein bemerkenswertes Werk, das sowohl als historischer Roman als auch als philosophische Meditation über Wandel und Vergänglichkeit beeindruckt. Lampedusas Fähigkeit, komplexe Charaktere zu erschaffen und die tiefgreifenden sozialen Veränderungen der Zeit zu erfassen, machen den Roman zu einem unverzichtbaren Klassiker der italienischen Literatur.
    Die Sprache in „Der Leopard“ ist ein Schlüsselelement, das die Atmosphäre, die Charakterzeichnung und die thematische Tiefe des Romans prägt. Durch seine meisterhafte Sprachkunst schafft Lampedusa ein Werk von großer literarischer Bedeutung und bleibender Schönheit.
    Das berühmte Zitat von Tancredi aus dem Roman "Il Gattopardo" an seinen Ziehvater Fürst Fabrizio lautet:

    "Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern."

    Dieses Zitat fasst eine zentrale Erkenntnis des Romans zusammen und illustriert die paradoxe Natur des Wandels und der Beständigkeit in einer sich verändernden Gesellschaft.

    Der Roman hat mich so sehr begeistert, dass ich ihn definitiv noch einmal lesen werde. Es steckt so viel darin.

  1. Opulentes Meisterwerk, Klassiker der Weltliteratur

    Weltklassiker. Nicht nur die fremde Welt Siziliens und des siz. Adels, auch eine bildhaft poetische Sprache und kluge, zeitlose Gedanken.

    Ich muss keine Rezension schreiben und eigentlich wollte ich das genießen. Aber ich tu's nun doch, 'zu Ehren' von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Das mag jetzt theatralisch klingen, aber er hat es verdient, auch wenn er es nie lesen wird. Tragischerweise hat er auch den großen Erfolg seines einzigen Romans nicht erlebt, sondern ist vorher gestorben. Zweimal wurde sein Manuskript von renommierten italienischen Verlagen abgelehnt, aber dann wurde es auf Anhieb ein Klassiker der Weltliteratur.

    Was ist denn nun so Besonderes an diesem Buch, das kaum Handlung hat und wo es um eine längst vergangene Zeit geht, die des Niedergangs einer ganzen Gesellschaftsklasse, des Feudaladels auf Sizilien? Es beginnt in unruhigen Zeiten um 1860, als der Revolutionär Garibaldi auf der Insel landete und es um ein einiges Italien geht.

    Hauptperson ist der löwenhafte Fürst Fabrizio, der den Leoparden im Wappen hat. Daneben lernen wir seine Familie und seinen Neffen Tancredi kennen, der die schöne Angelica heiraten wird. Diese ist die nicht standesgemäße Tochter eines Bürgermeister in Donna Fugata, wo sich der Sommersitz der Fürstenfamilie befindet. Als eine Art Gegenspieler repräsentiert er eine aufsteigende Klasse von neureichen Profiteuren, wo Geld gleichbedeutend mit politischem Einfluss ist. Der Name zählt weniger, man brauchte Geld, 'Geld, um Stimmen zu kaufen...' (88).

    Dies zeigt sehr deutlich, warum es sich um einen Klassiker handelt, denn die Mechanismen der Macht, der Politik, der Gesellschaft sind immer die gleichen.

    Natürlich werden entsprechende Gedanken geäußert und Gespräche geführt – wobei sich der Fürst des Niedergangs seiner Gesellschaftsschicht und seiner Familie deutlich bewusst ist, aber es sind keine langweiligen gesellschaftspolitischen Gespräche, sondern Tomasi erzeugt eine ganz besondere Stimmung, eine überbordende Symphonie der Sinneseindrücke: die Natur, die sizilianische Landschaft, das Essen, das Wetter. Über allem hängt eine leicht morbide Melancholie. Und man kann sicher sein, dass alles eine symbolische Bedeutung hat, dass die vielen Metaphern nicht zufällig gewählt wurden. Das sagt Tomasi selber; dennoch muss man nicht alles verstehen wollen, sondern kann es einfach intuitiv auf sich wirken lassen.

    Es gibt auch humorvolle und sarkastische Untertöne und drastische Beschreibungen. Viele Gedanken sind in bildhafte Worte verpackt:

    'Ärgernisse, die wie Ameisen hervorgekrochen waren' (117), in einem Brief 'Tinten- und Gefühlsschnörkel' (122), Tänzer 'wie schwarze Krähen'. Es gibt eine Sterbeszene, die den hochgelobten Klassikern der Welt in nichts nachsteht.

    Damit will ich es gut sein lassen; ich könnte noch lange von diesem Roman schwärmen, dessen Zauber mich nach ein paar Seiten des Einlesens wieder eingefangen hat und der mir bei diesem zweiten Lesen noch mehr Genuss als beim erstenmal bereitet hat.

    Wer Freude an Klassikern hat, an schöner Sprache, an Nachdenkenswertem, wer keine 'Action' braucht, dem kann man dieses Buch wärmstens empfehlen.

    P.S. Bemerkenswertes Cover: der Leopard verschwindet aus dem Bild...

 

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