Kleine Wunder um Mitternacht: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Kleine Wunder um Mitternacht: Roman' von Keigo Higashino
3.25
3.3 von 5 (12 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Kleine Wunder um Mitternacht: Roman"

Es ist kurz vor Mitternacht, als drei junge Einbrecher in einen verlassenen Gemischtwarenladen eindringen, um nach ihrem Raubzug unterzutauchen. Doch Atsuya, Shota und Kohei wird keine ruhige Stunde bis zum Morgengrauen gewährt: Ein Brief wird von außen durch einen Schlitz in den Laden geworfen, obwohl in der Dunkelheit vor der Tür kein Mensch zu sehen ist. Als ihn die erstaunten Kleinkriminellen öffnen, beginnt eine unglaubliche Geschichte, die eine Nacht lang das Leben unzähliger Menschen verändern wird – und eigentlich begann sie vor über dreißig Jahren, als ein weiser alter Mann mit seinen Worten kleine Wunder vollbringen konnte.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:416
Verlag: Limes Verlag
EAN:9783809027102
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Rezensionen zu "Kleine Wunder um Mitternacht: Roman"

  1. Ein magisches, feines Lesevergnügen

    „Jedenfalls sind wir da in etwas Unglaubliches verwickelt. So eine Gelegenheit kriegt man nicht zweimal im Leben.“ (Zitat Seite 43)

    Inhalt
    Die drei Freunde Shota, Atsuya und Kohei sind in einem gestohlenen Auto unterwegs, als plötzlich die Batterie leer ist. Es ist zwei Uhr früh und Shota hat zuvor in der Nähe ein altes, leerstehendes Haus gesehen, wo sie sich verstecken können. Vor vielen Jahren war dieser Gemischtwarenladen als Kummerkasten bekannt. Wer am Abend einen Brief durch den Briefschlitz im Rollladen steckt, findet am Morgen eine Antwort im Milchkasten hinter dem Haus. Doch das können die jungen Einbrecher nicht wissen. Daher wundern sie sich zunächst, als plötzlich ein Briefumschlag durch den Briefschlitz geworfen wird. Nur ein Wort steht darauf „Mondhase“. Neugierig geworden, lesen sie den Brief und es wird für sie eine magische Nacht, in der mehr geschieht, als nur „kleine Wunder“.

    Thema und Genre
    Dieser Roman spielt in Japan. Es geht es Traditionen und Familie, um wichtige Entscheidungen und ihre Auswirkungen, um die manchmal eigenartigen Wege, die das Leben nimmt, nennt man es nun Zufall oder Schicksal.

    Charaktere
    Es sind unterschiedliche Charaktere, alte und junge, die uns in dieser Geschichte begegnen. Sie alle sind auf der Suche nach Antworten auf ihre kleinen und großen Fragen, von Schulnoten bis zu wichtigen Entscheidungen, die, einmal getroffen, das Leben verändern können.

    Handlung und Schreibstil
    Ausgehend von einer einzigen Nacht in der Gegenwart entwickelt sich eine magische Geschichte. Es sind klug und fein gesponnene Fäden, die sich langsam zu einem Ganzen mit überraschenden Zusammenhängen verbinden. Hier zeigt sich die Erfahrung des Autors von bekannten Kriminalromanen, denn auch in dieser völlig anderen Handlung geht es um Details und unvorhersehbare Wendungen. Die Sprache erzählt poetisch und in der Übersetzung bleiben die japanische Kultur und Denkweise erhalten.

    Fazit
    Eine poetische, einfühlsame Geschichte, die zum Nachdenken anregt und verzaubert.

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  1. Stille Post mit Zeitreise

    Nach einem Einbruch finden die drei jungen Männer Kohei, Shota und Atsuya in einem schon seit langem geschlossenen Gemischtwarenladen Unterschlupf für die Nacht. Dass es sich bei ihrem Versteck um einen ganz besonderen Ort handelt, bemerken die drei, als plötzlich ein Brief durch den Briefschlitz in den Laden flattert. Vor vielen Jahren als der Laden noch von seinem Eigentümer betrieben wurde hatte dieser eine Art Kummerkasten etabliert und der Briefverkehr scheint seit damals immer noch aufrecht zu sein.
    Der Japaner Keigo Higashino ist vor allem als Kriminalautor bekannt Sein Roman „Kleine Wunder um Mitternacht“ ist ursprünglich schon 2012 erschienen. Dieser war in Japan erfolgreich und wurde sogar verfilmt. Jetzt liegt das Buch in deutschsprachiger Übersetzung vor. Der Autor versetzt die Leserin an einen wundersamen Ort. In dem kleinen Laden gelten die Gesetze von Zeit und Raum nicht mehr und die drei jugendlichen (Anti)Helden geraten in eine magische Geschichte. Die Story ist hervorragend geplottet - das muss man dem Autor lassen. Trotz vieler Perspektivenwechsel und Zeitsprünge schließt sich letztlich der Erzählkreis und löst alle fraglichen Zusammenhänge auf.
    „Wann hat uns zuletzt jemand um Rat gebeten? Ach, stimmt ja, noch nie. Und wahrscheinlich kommt es auch in unserem Leben nicht wieder vor. Das ist unsere erste und einzige Chance. Ergreifen wir sie doch einfach, nur dieses Mal.“
    Es kommt, dass die drei eher tollpatschigen Kerle, in Schicksale eingreifen und zu guter Letzt… (das will ich nicht spoilern)
    Aber die Geschichte konnte mich einfach nicht einfangen. Zu vorhersehbar, zu schlicht, zu gefällig, mit zu süßlichem Unterton Der abgefahrene skurrile magische Realismus, den bei ich bei manchen japanischen Schriftstellern so sehr schätze, verkümmert hier zu einer Zeitreise mit stiller Post.

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  1. 3
    15. Jun 2021 

    zu bewegend, wenig inspirierend, aber phantastisch

    Keigo Higashino ist ein japanischer Autor, der für seine ausgefeilten Kriminalromane bekannt ist. Viele seiner Bücher sind international millionenfach verkauft worden. Mit seinem aktuellen Roman „Kleine Wunder um Mitternacht“ wagt er sich auf neues literarisches Terrain, das sich allerdings schwer kategorisieren lässt. Wir finden in diesem Roman Belletristik, Fantastik und vielleicht noch Spiritualität.

    Zumindest der Einstieg in dieses Buch lässt den Krimi-Autoren in Keigo Higashino erkennen.

    Im Mittelpunkt seines Romans steht ein kleiner, heruntergekommener Gemischtwarenladen in einer einsamen Gegend irgendeiner Stadt in Japan. Dieser Laden wird zum Unterschlupf für drei junge Einbrecher, die gerade einen Raubzug durchgeführt haben. Der Besitzer des Ladens ist bereits vor langer Zeit verstorben. Dennoch werden in dieser Nacht den 3 Einbrechern eigenartige Dinge widerfahren, die daran zweifeln lassen, ob dieser Laden tatsächlich verlassen wurde und gleichzeitig das Verständnis der Einbrecher von Zeit und Raum in Frage stellen.

    Der Roman beginnt mit dem Einbruch der Diebe in den Laden. Im weiteren Verlauf lernen wir unterschiedlichste Charaktere und ihre Geschichten kennen, deren einzige Verbindung in dem Laden und seinem ehemaligen und verstorbenen Besitzer bestand, der scheinbar die Anlaufstelle für die Probleme anderer Menschen war. Am Ende wird sich auflösen, wie die einzelnen Geschichten der unterschiedlichsten Menschen während unterschiedlichster Zeitspannen miteinander in Einklang zu bringen sind und was aus den Einbrechern werden wird.

    Der Verlag preist den Roman als „bewegend, inspirierend, phantastisch“ an. Es ist „ein Roman, der einfach nur glücklich macht“.

    Bewegend ist diese Geschichte definitiv. Leider aber auch zu bewegend. Die Charaktere in diesem Roman sind vom Schicksal gebeutelt. Anfangs mögen die Probleme dieser Figuren zunahe gehen. Doch mit der Zeit drückt der Roman zu sehr auf die Tränendrüse. Man erlebt quasi einen emotionalen Overflow, der mich am Ende nur noch kalt ließ.

    Dennoch kann ich nicht leugnen, dass dieses Buch mir einige schöne Lesestunden beschert hat. Gerade am Anfang erlebte ich die Phantasie des Autors, die er in diesen Roman hineinlegt, als magisch. Ich habe über die Wendungen in dieser Geschichte gestaunt wie ein Kind. Keigo Higashino beherrscht das Handwerk der Schriftstellerei par Excellence. Denn der Aufbau dieses Romans ist sehr ausgefeilt. Der Autor spielt mit unterschiedlichen Zeit- und Handlungsebenen und begibt sich in seiner Geschichte auf eine verwirrende Zeitreise zurück in die Zukunft.

    Mein Fazit:

    Der originelle Aufbau dieses Romans und die Fantasie des Autors haben mich begeistert, die Geschichten um die unterschiedlichsten Charaktere leider nicht: zuviele vom Schicksal gebeutelte Menschen und zuviele Lebensweisheiten, die der Autor mit diesen Geschichten verbunden hat.

    © Renie

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  1. 4
    23. Mai 2021 

    Kummerkasten...

    Erster Satz: „Es war Shotas Idee.“ (S. 5)

    Ich war doch etwas überrascht, als ich merkte, dass der Erzählstrang um die drei jungen Kleinkriminellen, die im Klappentext erwähnt werden, im Verlauf nicht konsequent verfolgt wurde. Er entpuppte sich vielmehr als Rahmenhandlung, was letztlich aber für mich passte.

    Im Mittelpunkt der Erzählung steht der kleine Gemischtwarenladen des alten Herrn Namiya, der nach dem Tod seiner Frau neuen Lebensmut gewann durch das Schreiben von Briefen. Das waren nicht irgendwelche Briefe, sondern Antworten auf anonym eingeworfene Schreiben von Menschen, die einen Rat suchten. Was im Grunde wie ein Spiel begann – anfangs gab es eher witzige und nicht ernst gemeinte Fragen von Kindern, auf die Herr Namiya dennoch ernsthaft antwortete – sprach sich bald herum. Und spätestens seit diese Besonderheit seines Gemischtwarenladens einen Zeitungsartikel wert war, war sie bald in der ganzen Stadt bekannt.

    Zunehmend erhielt Herr Namiya seitdem Post von Menschen, die sich in einer schwierigen Lebensphase befanden, eine Entscheidung treffen mussten aber nicht konnten, nicht mehr weiter wussten – und die sich von dem Ladeninhaber einen Rat erhofften, der sie weiterbringen würde. Die Briefe wurden unbeobachtet bei herabgelassenem Rollladen in den Briefschlitz des Geschäfts geworfen, die Antwort fanden die Schreiber am nächsten Morgen im Milchkasten hinter dem Haus.

    Das alles wissen die drei jungen Einbrecher jedoch nicht, als sie sich nach ihrem Raub in dem Laden verstecken. Schon seit Jahren liegt das Gebäude verlassen da, der Inhaber ist seit über 30 Jahren tot. Und doch… In jener Nacht werden gerade die drei Kleinkriminellen überrascht von eben solchen Briefen, die ihren Weg durch den Briefschlitz finden. Und sie lesen die Texte der Ratsuchenden – und antworten…

    Keigo Higashino präsentiert hier kapitelweise jeweils ein neues Schicksal, eine weitere Person, die sich mit ihrer Bitte um Rat an den Gemischtwarenladen des alten Herrn Namiya wendet – und wie sich durch die erhaltenen Ratschläge die vorgestellte prekäre Situation entwickelt. Dabei stehen die einzelnen Personen/Situationen anfangs losgelöst nebeneinander, und erst nach und nach zeigen sich neben der Gemeinsamkeit des Briefeschreibens noch andere Zusammenhänge. Der Autor verwebt dabei geschickt die verschiedenen Handlungsstränge und Zeitebenen – etwas, das der Gemischtwarenladen ebenfalls vermag. Hier kommt eine magische Komponente ins Spiel, die Zeitachsen von Gegenwart und Vergangenheit verschieben sich in dem Laden laufend. Es ist müßig zu versuchen, dahinterzukommen wie das funktioniert - man muss vermutlich den Kopf ausschalten, also nicht alles verstehen und nachvollziehen wollen, um den Roman wirklich genießen zu können. Phasenweise ist mir das gelungen.

    Es ist schwierig, den Roman klar in ein Genre einzuordnen. Der doch recht einfache und teilweise ungeschliffene Schreibstil sowie die drei jungen Einbrecher legen ein Jugendbuch nahe – aber eben nicht nur. Der fantastische Anteil fließt hier ebenso mit ein wie der Ansatz eines „Wohlfühlbuchs“. Mich würde durchaus interessieren, weshalb der Autor, der bisher wohl nur intelligent konzipierte Kriminalromane schrieb, plötzlich auf die Idee kam, solch ein magisch angehauchtes Buch zu verfassen. Das meine ich nicht abwertend, sondern wirklich rein interessehalber.

    Ich denke, es ist wichtig, bei der Lektüre den asiatischen Hintergrund nicht zu vergessen. Dass die Charaktere trotz der Darstellung ihrer Lebensfragen/-krisen oftmals distanziert bleiben, dass einzelne Entscheidungen/Handlungsweisen auf eine*n (westlichen) Leser*in befremdlich wirken können, das alles hängt für mich mit der anderen kulturellen Einstellung zusammen – und ist insofern wieder authentisch.

    Wie immer kommt es bei der Bewertung des Romans auch darauf an, mit welchen Erwartungen man in die Lektüre gestartet ist. Aufgrund der Covergestaltung, des Titels und des Klappentextes habe ich – bis auf den magischen Anteil – durchaus etwas in der Richtung erwartet, was ich letztlich bekommen habe. Insofern empfand ich „Kleine Wunder um Mitternacht“ zwar nicht als ‚literarisch hochwertig‘, aber doch als einen Roman, der mir schöne Lesestunden bereiten konnte.

    Diejenigen, die einfach durch einen Wohlfühlroman ohne große Botschaft gleiten mögen und dabei auch vor dem magischen Aspekt nicht zurückscheuen, werden an dem Roman Spaß haben. Bei mir reichte es immerhin zu 3,5 Sternen, die ich hiermit gerne auf 4 aufrunde...

    © Parden

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  1. Briefe an Herrn Namiya

    Der Gemischtwarenladen von Yuji Namiya ist kein Geschäft wie jedes andere, denn der Inhaber verkauft nicht nur allerlei, sondern ist ein gefragter Ratgeber. Mithilfe von Briefen erbitten Menschen in Not bei ihm eine Lösung für ihre Probleme. Eines Nachts suchen die drei Einbrecher Atsuya, Shota und Kohei in dem Laden Unterschlupf und werden auf unerwartete Weise in diese Sache hineingezogen...

    „Kleine Wunder um Mitternacht“ ist ein Roman von Keigo Higashino.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus fünf Kapiteln. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven. Handlungsorte und -zeiten variieren ebenfalls. Die geschickt aufgebaute, komplexe Struktur des Romans hat mir sehr gut gefallen.

    In sprachlicher Hinsicht hat mich die deutsche Ausgabe leider enttäuscht. Der offenbar ohnehin recht einfache Stil des Originals wird durch eine in einigen Passagen missglückte Übersetzung gänzlich verschandelt. So entstehen mehrere Stellen, die sich nicht recht erschließen. Wobei: Interessanterweise spricht der Verlag gar nicht von einer „Übersetzung“, sondern einem „Übertragen ins Deutsche“. Zudem ist dem Korrektorat noch etliches durchgerutscht.

    Die Charaktere sind reizvoll ausgestaltet. Anders als der deutsche Klappentext vermuten lässt, stehen nicht nur die drei Kleinkriminellen im Vordergrund. Besonders sympathisch finde ich Herrn Namiya selbst, der jedoch relativ wenig Raum erhält. Zwar ist es bei dem Umfang an Personen nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Gut gefallen haben mir aber die vielen Verknüpfungen der Figuren untereinander.

    Die Grundidee des Romans finde ich sehr charmant. Inhaltlich geht es vor allem um persönliche Schicksale von Menschen, die sich in einem Dilemma befinden. Die geschilderten Fälle sind interessant und durchaus vielschichtig.

    Auf rund 400 Seiten bleibt die Geschichte kurzweilig und abwechslungsreich. Dazu trägt auch eine Komponente des magischen Realismus bei, die sich durch die gesamte Handlung zieht und nachvollziehbar ist. Dabei kommt der Autor zwar nicht an andere schriftstellerische Größen wie Haruki Murakami heran, hat mich mit der Umsetzung aber durchaus überzeugt. Weniger gelungen ist aus meiner Sicht dagegen das letzte Kapitel, das zuerst mit einer Wendung überrascht, dann aber ins Kitschige abgleitet.

    Das Cover ist ziemlich nichtssagend, aber hübsch. Der deutsche Titel ist nach meinem Verständnis nicht ganz korrekt.

    Mein Fazit:
    „Kleine Wunder um Mitternacht“ von Keigo Higashino ist ein unterhaltsamer und besonderer Roman, der jedoch nicht ohne Schwächen ist. Vor allem die misslungene Übertragung ins Deutsche schmälert den ansonsten positiven Gesamteindruck.

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  1. 3
    18. Mai 2021 

    Kummerkastenroman

    In Keigo Higashinos Roman “Kleine Wunder um Mitternacht“ geraten 3 jugendliche Kleinkriminelle auf der Flucht vor der Polizei in einen verlassenen Gemischtwarenladen, der ein Geheimnis birgt. Dieses erkennen die drei, als ihnen Briefe mit Bitten um persönlichen Rat durch den Briefschlitz des Ladens zugespielt werden. Sie kommen auf die Idee, diese zu beantworten, und treten damit das Erbe des früheren Ladenbesitzers an, der in diesem Laden einen in der Gegend bekannten „Kummerkastenonkel“ gespielt hat. Die Briefe, die Antworten und Rückantworten treten dann in dem Roman eine Reise durch Zeit und Raum an und treffen immer wieder in dem Laden bzw. bei deren Adressaten – den Ratsuchenden - ein. Im weiteren Verlauf des Romans verändert sich die Perspektive immer wieder und wir lernen als Leser und Leserinnen einige Ratsuchende kennen sowie auch den Ladenbesitzer und seine Familie. Über den gesamten Roman hinweg soll uns das Geheimnis um den Laden in Atem halten. Allerdings ging mir nach einiger Zeit dabei wirklich die Luft aus, denn die Schicksale und Probleme der Ratsuchenden und der durch die Briefe gegebene Rat waren dann doch ziemlich konventionell und gewöhnlich: da ist der Sohn eines Fischhändlers, der sich entscheiden muss zwischen einer Musikerkarriere und der Annahme des Erbes seines Vaters (die Übernahme des Fischladens). Da ist die Sportlerin, die sich entscheiden muss zwischen der Hingabe an den Sport und die Olympiavorbereitung und der Hingabe an den todkranken Freund.
    Alle in dem Roman geschilderten Schicksale sind einerseits mit dem Gemischtwarenladen verknüpft und andererseits irgendwie auch mit einem Kinderheim. Das bringt eine gewisse Spannung und zusätzliche interessante Punkte in das Buch mit ein.
    Als Fazit bleibt bei mir aber: Ich sehe 3 Punkte, an denen das Buch für mich gescheitert ist:
    1. Der Autor hat sich hier an einer komplexen Struktur aus Zeit- und Ortszusammenhängen versucht, in der er sich aber letztlich ziemlich verstrickt hat. Die Zeit- und Ortszusammenhänge erscheinen nicht immer korrekt und stimmig angelegt bzw. stimmen manchmal einfach nicht.
    2. Zudem passte für mich die Kombination aus Magie und simpelstem Realismus in den seichten Lebensgeschichten einfach nicht zusammen. Beides hat sich gegenseitig ausgeschlossen und konterkariert.
    3. Die Lebensgeschichten der Ratsuchenden sind allenfalls eines Kummerkastens in einer mittelmäßigen Illustrierten würdig und nicht eines Romans, der mit einer leicht phantastischen Geschichte überzeugen möchte.
    Das ergibt allenfalls 3 Sterne.

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  1. 2
    14. Mai 2021 

    Was für eine grottige Übersetzung!

    Keigo Higashino ist nicht nur in Japan, sondern auch in Deutschland als erfolgreicher Kriminalschriftsteller bekannt. Mit diesem Werk, das bereits 2012 in Japan erschienen ist und ein großer Erfolg war, der zweimal verfilmt wurde, bewegt er sich hingegen im Bereich Magischer Realismus.
    Drei junge Männer, die gerade einen Raubzug begangen haben, brechen in ein seit langer Zeit verlassenes Haus ein, um dort die Nacht zu verbringen. Doch ganz verlassen scheint es nicht zu sein, denn plötzlich werden Briefe durch einen Schlitz im Rollladen hindurchgeschoben. Darin bitten sie einen Herrn Namiya um Rat, doch der ist seit über dreißig Jahren tot, wie die drei Einbrecher herausfinden. Und noch merkwürdiger: Die Briefe scheinen ebenfalls in dieser Zeit geschrieben worden zu sein, aber wollen offenbar jetzt beantwortet werden. So beginnt eine außergewöhnliche Nacht …
    Diese Geschichte bildet den Rahmen für die nun folgenden Kapitel, in denen unter anderem die Lebensgeschichten der Ratsuchenden erzählt wird und was sie dazu bewogen hat, Herrn Namiya um Hilfe zu bitten. Gut gelungen sind die Perspektivwechsel, die nicht nur durch die Personen, sondern auch durch Zeitenwechsel entstehen. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Figuren erkennt man erst allmählich; wie beim Puzzeln fügen sich nach und nach die Teile zusammen. Geschickt gemacht!
    Wesentlich weniger erfreulich ist jedoch der Sprachstil des Erzählten. Das Ganze liest sich derart simpel und schlicht, als wäre es für LeseanfängerInnen gedacht. Nun gut, das Buch ist bereits älter und vielleicht hat der Autor es dem Thema angepasst. Allerdings sollte man wissen, dass die Übersetzung nicht aus dem Japanischen sondern aus dem Englischen erfolgt ist. Vergleicht man die englische Übersetzung mit der ins Deutsche übersetzten Version, kann man nur den Kopf schütteln. Dazuerfundenes und Sinnentstellendes gleich auf der ersten Seite – hier zwei Beispiele:

    Shota was the one who suggested the „handy shack“.
    „A handy shack? What the hell are you talking about?“ Atsuya towered over Shota, looking down at his petite frame and boyish face.

    Es war Shotas Idee. Er berichtete den Jungs, er kenne eine super Hütte, wohin sie sich dünnemachen könnten. „Wohin wir was?“ Atsuya musterte den immer noch kindergesichtigen Shota amüsiert, der selbst das Gegenteil von dünn war.

    „Sorry, guys.“ Kohei shrank back, hunching his large body, and cast a longing look at the worn-out Toyota Crown parked beside them. „I didn’t think the battery would die on us here, of all places. Not in my wildest dreams.“

    „Sorry, ihr beiden“, unterbrach Kohei. Er beugte sich über den klapprigen Lexus neben ihnen, der keinen Mucks mehr machte. „Aber wie kann denn die Batterie einfach plötzlich leer sein?“

    So kann ich letztlich nur vermuten, ob ich tatsächlich ein Buch von Keigo Higashino gelesen habe oder eher das, was sich die Übersetzerin dazu ausgedacht hat. Auf jeden Fall ist das Buch eine Enttäuschung: Die Idee dahinter und die Geschichten an sich sind nicht schlecht, aber was daraus gemacht wurde, lohnt nicht des Lesens.

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  1. Der magische Gemischtwarenladen des Herrn Namiya

    Der Japaner Keigo Higashino hat sich bisher als Autor von spannenden Kriminalromanen einen Namen gemacht. Mit diesem Wohlfühlbuch betritt er ein völlig neues Genre, in dem er sich gemäß Klappentext „völlig neu erfindet“.

    Zunächst landen drei putzige Kleinkriminelle auf der Flucht in einen alten verlassenen Gemischtwarenladen, in dem sie die Nacht verbringen wollen. Schnell stellen sie aber fest, dass manches hier nicht mit rechten Dingen zugeht: Das Handy funktioniert nicht mehr und die Zeit scheint stillzustehen… Überrascht wird das Trio von einem emotionalen Brief, in dem eine junge Frau um Hilfe in einer schwierigen Situation bittet: Sie wurde für den Sommer für die Olympischen Spiele nominiert, möchte aber eigentlich ihren sterbenskranken Mann nicht alleine lassen und für ihn da sein. Der Brief ist an den ehemaligen Inhaber des Ladens, Herrn Namiya, gerichtet. Angesichts der Dringlichkeit des Anliegens beantworten die drei liebenswert-trotteligen Gauner den Brief. Es entsteht ein mysteriöser Schriftwechsel, der Fragen aufwirft und nicht auf derselben Zeitebene stattzufinden scheint…

    In den weiteren Kapiteln stehen andere Protagonisten Vordergrund, denen Herr Namiya durch seine schriftlichen Ratschläge in verschiedenen Situationen hilft, Lebensträume zu verwirklichen oder Konfliktsituationen zu meistern. Er tut das freundlich und mit gesundem Menschenverstand, was ihm viel Wertschätzung einbringt. Es obliegt den Adressaten, seine Briefe richtig auszulegen und zu interpretieren. Der Gemischtwarenhändler ist ein wahrer Sympathieträger.

    Die einzelnen Episoden sind zunächst nicht miteinander verknüpft. Mit zunehmender Lektüre werden die Zusammenhänge allerdings deutlich. Figuren tauchen wiederholt auf oder haben Bedeutung für andere. Anhand der Konzeption kann man schon erkennen, dass der Autor es gewohnt ist, verschiedene Handlungsfäden am Ende wieder miteinander zu verknüpfen, so dass sich ein stimmiges Ganzes ergibt. Allerdings ist manche Wendung schon sehr dramatisch, rührselig oder zufällig geraten. Die Plausibilitätskontrolle sollte man nicht ernsthaft durchführen, wir sind im Reich der Wunder – wie der Titel schon sagt.

    Die Geschichten lesen sich locker-leicht, das Buch hat nicht das Ziel, literarische Ansprüche zu befriedigen, es dient der reinen Unterhaltung. Die Dialoge sind spritzig, die Sprache konventionell und direkt. Schöne Formulierungen oder Beschreibungen sucht man vergeblich. Die Übersetzung erfolgte nicht vom japanischen Original, sondern auf Basis der englischen Ausgabe. Ob das eine Rolle für die fehlende sprachliche Raffinesse spielt, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen.

    Wer dieses Buch lesen möchte, sollte magischen und märchenhaften Momenten gegenüber aufgeschlossen sein, die Realität verschwimmt nämlich zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die verschiedenen Zeitebenen waren für mich eine Herausforderung. Nett ist in diesem Zusammenhang die Erwähnung von verschiedenen Musiktiteln, die dem Leser eine zeitliche Orientierung ermöglichen.

    Es war nicht mein Buch. Ich bin aber sicher, dass Leser, die reine Entspannung mit Wohlfühlfaktor suchen, ihre Freude an „Kleine Wunder um Mitternacht“ haben werden. Ich hatte sie nicht. Ich gebe dennoch drei Sterne, da ich mich selbst in der Verantwortung sehe: Das wunderschön gestaltete Cover sowie der Klappentext weisen ausdrücklich auf Art und Inhalt des Buches hin. Ich habe mich schlichtweg vergriffen.

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  1. Japanischer Wohlfühlroman

    Der Titel lautet „Kleine Wunder um Mitternacht“ und es handelt sich um eine Erzählung eines japanischen Autors. Wenn ihr keine Lust auf Kitsch, auf fantasievolle Lebensweisheiten habt, dann macht bitte gleich einen großen Bogen um dieses Buch. Wenn ihr aber auf japanische Literatur, auf einen erfrischenden Schreibstil steht, dann auf in den nächsten Buchladen und schnappt es euch.
    Die drei Freunde Atsuya, Kohei und Shota sind Kleinkriminelle. Nach einem Einbruch verstecken sich die drei Männer in einem alten verlassenen Laden. Dabei handelt es sich um Namiya´s Gemischtwarenladen. Dieser Laden ist jedoch nicht für sein ausgewähltes Sortiment bekannt, sondern für die Ratschläge die der ehemalige Besitzer an unzählige Ratsuchende erteilt.
    Die Geschichte beginnt relativ einfach, erinnert gar ein wenig an ein Jugendbuch. Die lockere Sprache der drei Jugendlichen verstärkt diesen Eindruck noch, doch mit Fortdauer der Erzählung werden die Zusammenhänge komplexer. Der Aufbau dieses Romans ähnelt einem Episodenroman mit unterschiedlichen Ratsuchenden, die aber gegen Ende geschickt zusammengeführt werden. Einiges ist in der Tat vorhersehbar, anderes war aber auch überraschend.
    Der Autor, der bis dato eigentlich für seine Krimis bekannt war, hat sich für eine leichte, flüssige Sprache entschieden, sodass die Seiten nur so dahin flogen. Literarisches oder gar poetisches sucht man in diesem Buch vergebens, aber nicht jedes Buch muss diesen Anspruch haben. Möglicherweise liegt es aber auch an der Übersetzung, da ich jedoch kein japanisch spreche, kann ich dies auch nicht beurteilen.
    Man sollte schon ein Fan der japanischen Literatur sein oder zumindest das eine oder andere Buch eines japanischen Autors gelesen haben. Ich persönlich finde, dass die japanischen Autoren einen eigenen Stil haben. Das Buch beinhaltet viel Herz und viel japanische Seele und Tradition.
    Ich habe das Buch im Rahmen einer Leserunde gelesen und die Meinungen gingen sehr weit auseinander. Einige konnten tatsächlich gar keinen Zugang zu der Geschichte finden, andere, mich eingeschlossen, waren hingegen restlos begeistert über die fantasievolle Umsetzung. Woran es genau liegt kann ich nicht sagen, aber ich mag Japaner und auch ihre Art, wie sie Geschichten erzählen. Für manche ist es Kitsch, für mich macht es das Buch und das Land von dem es handelt, authentisch.

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  1. Haut mich nicht um

    In "Kleine Wunder um Mitternacht" zeigt Krimi Autor Keigo Higashino eine andere Seite von sich. Drei jugendliche Einbrecher landen in einem verlassenen Gemischtwarenladen, um sich nach einem Raubzug zu verstecken. Unverhofft wird ein Brief durch einen Schlitz in den Laden geworfen, indem eine unbekannte Person den alten Ladenbesitzer Herr Namiya um Hilfe bittet. Die drei Jugendlichen beantworten den Brief, doch dies war nicht der Letzte...

    Ich muss sagen, dass mich das Buch nicht umgehauen hat. Die grundsätzliche Idee und die phantastischen Elemente fand ich prima. Auch möchte ich die unterschiedlichen Perspektiven in dem Buch, die durch den Autor geschickt miteinander verknüpft wurden.

    Die Charaktere fand ich sympathisch und nachvollziehbar. Mich haben persönlich die vielen exotischen Namen gestört, bzw. brauchte ich länger um die Namen im späteren Verlauf den Personen zuzuordnen, aber das ist so bei japanischen Schriftstellern.

    Ein Dorn im Auge war mit der Schreibstil. Zu plump, zu kurz, zu jugendbuchmäßig. Ich weiß nicht ob es daher kam, dass das Buch erst von japanisch auf englisch und dann ins deutsche übersetzt wurde, aber der Schreibstil hat echt Luft nach oben.

    Auch nicht so besonders gefallen hat mir der nicht vorhandene Spannungsbogen. Irgendwie war die Story nett, aber sie ist ohne Plot so dahin geplätschert. Zwischenzeitlich fand ich die Story auch etwas langweilig, obwohl die Weisheiten des Herrn Namiya durchaus Tiefgang hatten.

    In Summe ist es kein schlechtes Buch... aber eben ach kein Herausragendes.

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  1. Selbst magische Lädchen mag ich nicht.

    Drei Kleinkriminelle verschlägt es nach einer kopflosen Flucht nach einer relativ kopflosen Angelegenheit in die Außenbezirke eine Stadt, wo sie im verlassenen „Namiya Gemischtwaren“ unterkriechen. Von dort aus wollen sie sich am Morgen, wenn die Berufstätigen zur Arbeit fahren, im diesen Strom von Menschen mischen, untertauchen und entkommen. Dann merken sie, dass die Zeit stehen bleibt.

    Der Kommentar: Unversehends wie bei einem kleinen Wunder um Mitternacht bin ich mit den drei Jungs in einem Lädchenbuch gelandet. (Fast) jeder weiß, was ich von Lädchenbüchern halte. Aber wie gesagt, das Wunder um Mitternacht hat mich hierherverschlagen, es kann nicht freiwillig gewesen sein. Vielleicht war ich umnachtet. Oder wurde entführt. Jedenfalls. Hier sind wir.

    Das Lädchen ist ein besonderes Lädchen. Es ist ein Zeitsprunglädchen. Allerdings kann man nicht mitspringen, was nett gewesen wäre, man kann nur Briefe hin und herschicken. Ein magisches Lädchen eben. Laßt euch nicht nachts in eine Buchhandlung einschließen, wer weiß, was passiert!

    Lädchenbuch. Lebensberatung. Lebensberatung durch die Zeit hindurch. Hat was.
    Weil auf magische Weise Briefe mit Bitte um Lebensberatung ankommen, mischen die Jungs natürlich kräftig mit.

    Die Grundidee des Romans ist wirklich nett. Leider ist die Ausführung ein wenig, na ja, sagen wir, wirr. Wir wechseln mehrmals die Perspektive. Dabei hätten wir so gerne verfolgt, was die Jungs in der Zeit mit ihren Ratschägen so anrichten und die Zukunft verändern. Ist aber nicht.

    Fazit: Ein Lädchenbuch mit magischem Anreiz, der wegen übergroßer Langeweile leider schnell verfliegt.

    Kategorie: Lädchenbuch.
    Verlag. Limes, 2021

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  1. 4
    09. Mai 2021 

    Reopening

    Am 13. September wird Namiyas Gemischtwaren für eine einizige Nacht wiedereröffnet. Und davon wie es dazu kommt erzählt dieses Buch. Als die Frau von Herrn Namiya verstirbt verlässt ihn der Lebensmut. Er ist kurz davor aufzugeben. Eher aus Spaß beginnen die Kinder aus der Nachbarschaft, Herrn Namiya um Rat zu bitten. Der alte Herr blüht wieder auf und schon bald werden auf ernsthafte Fragen an ihn herangetragen. Herr Namiya widmet sich jeder Frage mit Liebe und Respekt. Und als viele Jahre später scheint sein Geist immer noch in seinem Laden zu wirken. Das bekommen drei junge Einbrecher zu spüren, die sich hier verstecken.

    Der Autor Keigo Higashino ist bisher eher mit seinen ausgeklügelten Kriminalromanen bekannt. Nun aber überrascht er mit einem Gesellschaftsroman mit einer leicht fantastischen Note. Das Buch beginnt in der Gegenwart in dem Moment, wo die Einbrecher den alten Laden erreichen. Dieser wirkt, obwohl schon lange geschlossen, noch sehr frisch. Sehr überrascht sind die jungen Männer als plötzlich ein Brief durch den Briefschlitz fällt. Sollen sie den Brief lesen oder gar beantworten? Und was ist mit dem alten Herrn, dem der Laden einmal gehört hat? Wird diese Nacht auch das Leben der drei Einbrecher verändern?

    Klar, kein Krimi, aber doch eine äußerst spannende Geschichte um die Ratschläge eines alten Herrn, der unerwartet das Leben vieler Menschen beeinflusst. Nicht immer wird sein Rat genau befolgt, doch immer bewirkt er etwas zum Positiven. Der alte Herr Namiya schreibt mit dem Herzen und auch wenn sie ihn nie gekannt haben, so fühlen die drei Eindringliche auch seinen liebevollen Geist. Mit diesem herzerwärmenden Roman berührt Keigo Higashino seine Leser. Gerade in der heutigen Phase möchte man manchmal in eine schönere Welt entfliehen und sich mit positiven Vibes umgeben. Dieser wunderbare Roman bietet dazu die beste Gelegenheit. Man taucht ein, fühlt mit den Protagonisten und schließt das Buch mit Sonne im Herzen.

    4,5 Sterne

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Ich bin ein japanischer Schriftsteller: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Ich bin ein japanischer Schriftsteller: Roman' von  Dany Laferrière

Inhaltsangabe zu "Ich bin ein japanischer Schriftsteller: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:200
Verlag:
EAN:9783884236284
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64

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Rezensionen zu "64"

  1. 4
    21. Jan 2019 

    Deutscher Krimipreis International 2019

    Mikamis Tochter ist verschwunden, sie haderte mit ihrem Aussehen, das nach ihrem Vater kommt. Als Pressesprecher bei der Polizei setzt Mikami alles in Bewegung, um seine Tochter zu finden. Er ist überzeugt, dass die drei Schweigeanrufe, die er und seine Frau bekommen haben, von ihr getätigt wurden. Die Suche nach der Tochter lenkt Mikami nicht von der Arbeit ab, als noch relativ neu eingesetzter Pressesprecher muss er bei den Presseleuten einige Schwierigkeiten überwinden. Und nun wird auch noch der Besuch eines hohen Beamten aus Tokio angekündigt, der den Vater eines Entführungsopfers aufsuchen will. Ein seit vierzehn Jahren ungelöster Fall, der von Verjährung bedroht ist.

    Mikami ist wie zerrissen, eigentlich möchte er sich nur um die Suche nach seiner Tochter kümmern. Immerhin hat er hier seine gesamte Kollegenschaft hinter sich. Doch auch die Arbeit fordert seine volle Aufmerksamkeit. Besonders den Besuch gilt es vorzubereiten. Der Vater des vor Jahren entführten und zu Tode gekommenen Mädchens scheint allerdings kein großes Interesse haben, den Polizeioberen zu empfangen. Er scheint das Vertrauen in die Polizei verloren zu haben. Die Überzeugungsarbeit, die Mikami leistet, fruchtet nur in geringem Maß. Misstrauisch geworden, beginnt Mikami zu untersuchen, weshalb der alte Mann so reagiert. Er ahnt nicht, was er damit lostritt.

    Gerade beendet, schon bekommt dieser Roman den deutschen Krimipreis 2019 in der Sparte International verliehen. Eine Ehrung, die diesem umfangreichen Werk wohl zusteht. Der japanische Autor entführt einen in den Moloch der japanischen Polizeiverwaltung. Wie kann das spannend sein, könnte man sich fragen. Nun, nach der Lektüre wird es keinen Zweifel mehr geben, dass sich hinter einer eher trockenen Thematik eine fesselnde Geschichte verbergen kann. Die Verwaltungsstrukturen, die inneren Zwänge, das Hadern Mikamis damit, seine Sorge um die Tochter, die ihn so Manches ertragen lässt, was er unter anderen Umständen wohl verweigern würde. An die Art, wie die Ränkespielchen innerhalb der Verwaltung dargelegt werden, mag einem zunächst etwas sperrig vorkommen, doch schon nach wenigen Kapiteln ist man gefangen genommen und die fast 800 Seiten sind wie im Flug gelesen.

    4,5 Sterne

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In Liebe, Dein Vaterland II: Der Untergang

Buchseite und Rezensionen zu 'In Liebe, Dein Vaterland II: Der Untergang' von Ryū Murakami
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "In Liebe, Dein Vaterland II: Der Untergang"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:504
EAN:9783902711809
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Rezensionen zu "In Liebe, Dein Vaterland II: Der Untergang"

  1. 5
    20. Aug 2020 

    dystopisch, satirisch, spannend

    Bis ins Jahr 1945 war die koreanische Halbinsel über 100 Jahre lang eine Kolonie Japans. Koreaner waren während dieser Zeit für die Besatzer Menschen zweiter Klasse und sind es leider bei vielen Japanern heute noch. In dem zweiteiligen Japan-Nordkorea Epos "In Liebe, dein Vaterland" von Ryū Murakami wird der Spieß umgedreht und Nordkorea ist plötzlich die Macht, die eine japanische Halbinsel besetzt und deren Bevölkerung in die Unterwerfung zwingt.
    In Anbetracht der Historie und dem schlechten Ruf, den Nordkorea in der Welt hat, wäre dies ein Schreckensszenario, das man sich durchaus vorstellen könnte, und das der Autor in seinem Zweiteiler genüsslich inszeniert hat.
    In dem ersten Teil "In Liebe, dein Vaterland I. Die Invasion", den ich vor ein paar Monaten gelesen habe, konzentriert sich die Handlung auf die unmittelbaren Anfänge der Besatzung von Fukuoka durch eine militärische Eliteeinheit Nordkoreas. Nach einem offenen Ende dieses Teils, war ich natürlich gespannt, wie die weitere Entwicklung in Fukuoka sein würde. Und wie das bei Mehrteilern so ist, fragt man sich natürlich, ob die Fortsetzung genauso gut wie der erste Teil ist. Soviel vorweg: Der 2. Teil steht dem 1. Teil in nichts nach.
    Eine nordkoreanische Militärtruppe besetzt also die japanische Halbinsel Fukuoka. Sie errichtet hier ihr Hauptquartier und bildet gleichzeitig die Vorhut für weitere 120.000 nordkoreanische Soldaten, die sich auf dem Seeweg nach Japan befinden.

    "Die Nordkoreaner schienen überhaupt sehr darauf zu achten, keine Ressentiments bei der Bevölkerung zu schüren. Nicht dass sie Waisenhäuser gestiftet, älteren Bürgern über die Straße geholfen oder Unkraut im Park gejätet hätten, doch beispielsweise achteten sie strikt darauf, ihr Lager sauber zu halten. Außerdem waren sie höflich und verstießen nie gegen die guten Sitten."

    Zu Beginn des zweiten Teils "Der Untergang" erleben wir, dass mittlerweile der Alltag in Fukuoka eingekehrt ist. Die Bevölkerung ist bemüht, sich mit den Besatzern zu arrangieren. Bis auf wenige Ausnahmen in der Bevölkerung haben die wenigsten jedoch Grund, sich über die Nordkoreaner zu beschweren, sind diese doch ausgesprochen höflich und zurückhaltend im Umgang mit den Einheimischen - vorausgesetzt, dass man nach nordkoreanischen Regeln spielt. Der Feind scheint nicht Nordkorea sondern die eigene Regierung zu sein. Denn durch den fehlgeschlagenen Versuch der Regierungsbehörden, einen versteckten Angriff auf die Besatzer zu wagen, mussten Menschen sterben, darunter viele Einheimische.
    Daraufhin wird man vorsichtig bei der Wahl der Mittel. Wer will schon Schuld am Tod der eigenen Landsleute haben? Die japanische Regierung stellt Fukuoka zunächst unter Blockade. Flug- und Schiffsverkehr sowie jeglicher Warenverkehr werden eingestellt. Da es keine Alternativen für die Bewohner der isolierten Halbinsel gibt, lassen sich die Einheimischen auf Geschäftsbeziehungen mit den nordkoreanischen Besatzern ein. Denn diese müssen die Versorgung und Unterbringung der 120.000 Soldaten organisieren, die in Kürze eintreffen werden.

    "Wieviele Handys würden sie wohl benötigen, wenn die 120.000 eintrafen. Bei der schwächelnden Wirtschaft Fukuokas würden sich eine Menge Händler die Hände reiben. 120.000 Zuwanderer würden die Nachfrage enorm steigern."

    Nicht alle Einwohner Fukuokas wollen die Besatzung der Nordkoreaner hinnehmen. Und hier begegnen mir meine persönlichen Helden aus dem ersten Teil wieder: Eine Gruppe von Aussenseitern will den Kampf gegen die feindlichen Besatzer aufnehmen, wobei die Bezeichnung "Aussenseiter" nur eine harmlose Vorstellung über diese Gruppe suggeriert. Tatsächlich handelt es sich um Soziopathen, vorwiegend in jugendlichem Alter, die durch die direkte oder indirekte Beteiligung an unvorstellbar brutalen Verbrechen und den daraus resultierenden Konsequenzen eine sehr spezielle Kindheit verbracht haben. Das Verrückte an Murakamis Darstellung der einzelnen Charaktere dieser Gruppe ist, dass man trotz der individuellen Vorgeschichten ein hohes Maß an Empathie für diese Charaktere entwickelt - zumindest für die Jüngeren unter ihnen. Dies liegt nicht nur daran, dass sie als Underdogs dem nordkoreanischen Feind die Stirn bieten wollen. Tatsächlich stellt der Autor Ryū Murakami das Menschliche dieser Charaktere in den Vordergrund. Letztendlich haben wir es hier mit jungen Menschen zu tun, die ihre Kindheit unter extrem schlechten Bedingungen verbracht haben, und die als "Problemkinder" von der Gesellschaft ins Abseits gestellt wurden. Nun haben sie sich in Fukuoka zu einer Gruppe zusammen gefunden, in der ihre persönliche Geschichte und Herkunft nur eine untergeordnete Rolle spielt. Hier steckt also hinter jedem Charakter ein Schicksal. Und genau das stellt Murakami in den Vordergrund.

    "Endlich hatten sie ein äußeres Ziel, auf das sie all die zerstörerische Energie richten konnten, die in ihnen schlummerte. Woher dieser Drang zur Zerstörung kam, war unklar, aber Mori wusste, dass alle hier davon beherrscht waren."

    Ryū Murakami schreibt nicht nur Romane, sondern er ist auch Regisseur und Drehbuch-Autor. Das merkt man diesem Buch an. Genau wie der 1. Teil ist "Der Untergang" unglaublich spannend und bietet genügend Potenzial, um einen Actiothriller daraus zu drehen. Der Sprachstil des Japaners ist dabei sehr visuell. Er lässt Bilder im Kopf des Lesers entstehen, die streckenweise sehr drastisch sind. Wie sich das für einen guten Actionstreifen gehört, knallt und scheppert es, dass es eine wahre Wonne ist. Explosionen, Schießereien, Blut und reichlich Tote und Verletzte ... hier hat Murakami alles in seinem Buch untergebracht, was das Action-Thriller-Herz begehrt.

    Dennoch sollte man nicht den Fehler begehen, diesen Roman auf Action, Mord und Totschlag zu reduzieren. Denn, genau wie der erste Teil, ist dieser Roman mehreren Genres zuzuordnen. Er ist eine anspruchsvolle Dystopie, die sich mit einer nahen Zukunft beschäftigt. Er ist Satire, die sich die japanische Gesellschaft vorknöpft und er ist Politthriller. Und auch hier gilt: Fiktion und Realität liegen sehr dicht beieinander.

    Leseempfehlung!

    © Renie

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Sweetest Fruits: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Sweetest Fruits: Roman' von Truong, Monique

Inhaltsangabe zu "Sweetest Fruits: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:347
Verlag:
EAN:9783406750748
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Die unheimliche Bibliothek

Buchseite und Rezensionen zu 'Die unheimliche Bibliothek' von Murakami, Haruki
4.35
4.4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die unheimliche Bibliothek"

Format:Taschenbuch
Seiten:64
EAN:9783832162931
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Rezensionen zu "Die unheimliche Bibliothek"

  1. Traum oder Wirklichkeitt

    Inhalt
    Eine Bücherei an einem unbekannten Ort zu einer unbekannten Zeit. Ein Junge betritt die Bücherei, um seine ausgeliehenen Bücher fristgerecht dort abzugeben. Er äußert den Wunsch, noch ein wenig nach weiterem Lesestoff zu stöbern. Die Frau an der Theke nennt ihm die Zimmernummer 107 im Untergeschosses der Bibliothek, wo er sich melden soll, damit sein Bücherwunsch herausgesucht werden kann. Er trifft in dem Raum. Auf einen seltsamen Bibliothekar, der ihn, statt in den Lesesaal zu bringen, durch ein dunkles Labyrinth unterhalb der Bücherei führt und ihn in ein Verlies einsperrt. Er soll solange dortbleiben, bis er die von ihm ausgesuchten Bücher gelesen hat und auswendig kann. Er wird von einem kleinen Mann in der Gestalt eines Schafes, dem „Schafsmann“ angekettet, der ihn während seines Aufenthalts dort versorgt. Ein hübsches junges Mädchen steht ihm ebenfalls sehr freundlich zur Seite, das zwar stumm ist, aber mit Gesten sich verständigen kann. Im Laufe der Zeit gewinnt er das Vertrauen der beiden und sie planen gemeinsam die Flucht aus der seltsamen Bücherei.

    Sprache und Stil
    Die Kurzgeschichte wird aus der Sicht des Jungen beschrieben. Dieser betritt die Bücherei mit neuen Lederschuhen, die auf dem Linoleum „ein seltsames Klackern“ hervorrufen. Er hat das Gefühl, als würde er nicht selbst laufen, sondern es wäre jemand anders.

    „Wie immer war es sehr still in der Bibliothek. Meine nagelneuen Lederschuhe riefen ein seltsames Klacken hervor, als ich über das graue Linoleum ging.“ (S.5)

    Die Merkwürdigkeiten steigern sich allmählich weiter. Die Frau an der Ausleihe ist neu und liest ein Buch, wobei es den Anschein hat, als ob sie mit dem linken Auge die linke und mit dem rechten Auge die rechte Seite des Buches lesen würde.

    Schließlich erreicht die Unheimlichkeit ihren Höhepunkt, als der alte, sonderbare Mann ihn durch ein Labyrinth führt und in ein Verlies einsperrt. Dort wird er von ungewöhnlichen, aber keinesfalls unfreundlichen Gestalten versorgt. „Der Schafsmann“ klärt ihn auf, warum er eingesperrt wurde.

    „Nachdem der Junge das Wissen der Bücher in seinem Gehirn vollgestopft hat, will der alte Mann ihm das vollgestopfte Gehirn aussaugen, weil es dann angeblich sehr delikat und reichhaltig ist.“ (S. 27)

    Der Autor Murakami setzt in seiner Kurzgeschichte das Labyrinth als Metapher ein.

    „Das Labyrinth in der Literatur dient als ein verbreitetes Motiv für ein schwieriges, unübersichtliches und dunkles Problem.“
    (Quelle: vgl .https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-476-00091-0_290.pdf, 30.07.2021.)

    Mit dem Begriff „Labyrinth“ lassen sich zudem auf Anhieb vielerlei Assoziationen verbinden. In der Vielgestaltigkeit zeigt das Symbol „Labyrinth“ einen ambivalenten Charakter auf: Tod, Leben, Angst, Chaos, Gefahr, Suche, Geborgenheit, Überwindung und vieles mehr. Das Ziel, die Mitte des Labyrinths zu erreichen, ist nur über einen Weg möglich und dieser führt nicht direkt dort hin, sondern über Wendungen und Umkehrungen.
    Auch in der Kurzgeschichte versucht der Junge sein Ziel zurück zu erreichen. Er muss den Weg, so wie er hineingekommen ist, wieder zurückgehen. Die beiden Gestalten, der „Schafsmann“ und das Mädchen, helfen ihm. Doch er merkt, dass er in Welten eintaucht, die er nicht sehen kann. Die Grenzen zwischen Dingen, Menschen und Orten verschwimmen.
    Sind der Schafsmann und das Mädchen eine Person? Hat er nur geträumt?

    „«Das war ich, den du gesehen hast, kein schönes Mädchen».“ (S.35)

    Murakami lässt offen, ob es nur ein Traum war oder Realität. Am Ende ist der Junge alleine.

    „Keine Mutter, kein Star, kein Schafmann, kein Mädchen.“ (S.63)

    Die Erzählung von Haruki Murakami wird durch Illustrationen, die in schwarz, gold und beige gehalten sind, in einen mysteriös-klaren Stil unterstützt. Umgesetzt wurden diese Zeichnungen von der Berliner Zeichnerin Kat Menschik.

    Fazit
    Die unheimliche Bibliothek von Haruki Murakami ist surreal, verstörend und von überbordender Fantasie. Der Leser wird buchstäblich in die kafkaeske Erzählung entführt. Mit einfachen Worten schafft Murakami eine Welt, die auf den ersten Blick normal erscheint, doch bereits nach kurzer Zeit die Frage aufwirft, was ist Wirklichkeit und was ist Traum. Fragen bleiben offen: Wohin soll das Labyrinth im Keller der Bibliothek tatsächlich führen? Warum will der Junge etwas über Steuereintreibung im Osmanischen Reich lesen? Warum wollen Bibliotheken das Wissen, was sie verleihen, wieder zurückhaben? Wer ist der Schafsmann? Wer ist das Mädchen?
    Murakami gibt keine Antworten auf diese Fragen. Die Interpretation bleibt dem Leser überlassen.
    Obwohl die Kurzgeschichte „Die unheimliche Bibliothek“ auf den ersten Blick einfach erscheint, gerät der Leser doch in ungeahnte Tiefen. So wie der Junge es ausdrückt:

    „Deine Welt, meine Welt und die vom Schafsmann. Es gibt Orte, an denen sie sich überschneiden.“ (S. 37)

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  1. 4
    26. Apr 2020 

    Ein gruseliges Lesevergnügen

    Wer das dünne Büchlein öffnet, landet in einem Alptraum bzw. in einem gleichermaßen poetischen wie verstörenden Horrormärchen, das mit fabelhaften Zeichnungen von Kat Menschik illustriert wird.

    „Die unheimliche Bibliothek“ hat mich rasch in ihren Bann gezogen. Ich las dieses Werk mit fantastischen und unlogischen Elementen in einem Zug und war am Ende fasziniert und gleichzeitig etwas ratlos.

    Über den Inhalt möchte ich nicht allzu viel verraten - das würde das schaurige Lesevergnügen mindern.
    Nur soviel: ein Junge, der eigentlich nur ein Buch in einer Bücherei ausleihen will, landet in einem gruseligen Kellerverlies. Dort erlebt er schaurige Geschehnisse und trifft auf skurrile Gestalten.

    Murakami gelingt es, mit einer einfachen und schnörkellosen Sprache, eine dichte, düstere und unheimliche Atmosphäre zu schaffen. Vor dem geistigen Auge spielt sich ein Film ab, in den man emotional hineingezogen wird.

    Ein echtes Lesevergnügen, wenn man sich darauf einlässt.

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  1. 5
    30. Okt 2017 

    Düster-heitere Geschichte mit toll passenden Illustrationen

    Ein Junge gibt zwei Bücher in der Bibliothek ab, die er bereits von vorhergehenden Besuchen kennt und möchte sich ein neues ausleihen. Dazu sucht er einen alten Herrn auf, der ihm zwar weiterhilft, ihn jedoch in einem Labyrinth unterhalb der Bibliothek einkerkert. Zwar sind die Überlebenschancen düster, doch die Verpflegung ist überraschend gut. Und der merkwürdige Schafsmann sowie das wunderhübsche stumme Mädchen, die sich um ihn kümmern, scheinen ihm wohlgesonnen.
    Es ist mein erster Marukami, den ich hiermit gelesen habe und die Geschichte hat mir sehr gefallen. Zwar ist der Text recht schlicht gehalten, doch dies entspricht durchaus dem Stil eines ca. 12jährigen, dem ungefähren Alter des Protagonisten. Rätselhaft sind die Dinge, die sich in der Bibliothek abspielen ebenso wie die Personen, die dort auftreten und die begleitenden Illustrationen sind bestens dazu geeignet, diesen Effekt zu verstärken. Da sich nichts von allem aufklärt und alles unergründlich bleibt, empfinde ich diese Erzählung als durchaus geeignet zum wiederholten Lesen.
    Der Preis mag happig erscheinen für 30 min Lesezeit. Aber die Gestaltung des Büchleins ist überdurchschnittlich: gedruckt auf hochwertigem Papier, was den Illustrationen geschuldet sein mag.
    Fazit: Wer schöne Geschichten und schöne Bücher mag, liegt hier richtig.

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Nagasaki, ca. 1642: Novelle

Buchseite und Rezensionen zu 'Nagasaki, ca. 1642: Novelle' von Wunnicke, Christine
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Nagasaki, ca. 1642: Novelle"

Format:Broschiert
Seiten:96
Verlag:
EAN:9783946334705
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Rezensionen zu "Nagasaki, ca. 1642: Novelle"

  1. 5
    25. Apr 2020 

    Völkerverständigung der besonderen Art

    "Kommt man in der einen Welt nicht auf seine Kosten, dann eben in einer anderen."
    (aus "Candide oder der Optimismus" von Voltaire)

    Einer, der in der einen Welt nicht auf seine Kosten kommt, und daraufhin sein Glück in der anderen Welt sucht und hoffentlich findet, ist Abel van Rheenen, ein Niederländischer "Dolmetsch".

    Wir schreiben in etwa das Jahr 1642 und befinden uns in Nagasaki. Vor kurzem ist das Handelsschiff "Middelburg", das unter der Flagge der niederländischen Ostindien-Kompanie die Weltmeere umsegelt, hier eingetroffen. An Bord befindet sich Abel, ein junger Holländer, der die japanische Sprache einigermaßen beherrscht. Daher soll er bei den ersten Kontakten zu den Japanern als Übersetzer fungieren. Die Holländer haben ein Auge auf die kulturellen Errungenschaften sowie exotische Handelsware der Japaner geworfen. Je wertvoller und exotischer desto besser. Im Gegenzug wollen Sie ihre eigenen europäischen Waren in Japan an den Mann bringen. Unter dem Deckmantel der Völkerverständigung versuchen sie herauszufinden, welche Vorteile sie aus den Japanern herauskitzeln können. (Der Gedanke der Überlegenheit gegenüber anderen Kulturen geisterte auch damals schon durch die Köpfe der Europäer.) Doch in den Japanern der Zeit um 1642 haben sie ihre Meister gefunden. Die gehen sehr clever mit den merkwürdigen Europäern um, geben nur ein Mindestmaß von sich Preis und halten die Europäer an der kurzen Leine, ohne dass ihnen dies auffällt. Doch einer von ihnen ist nicht auf den Kopf gefallen: Abel, der Dolmetsch. Er ist ein cleveres und neugieriges Kerlchen, das verstehen will, wie die Japaner "funktionieren". Seinen Lehrmeister findet er dabei in dem Samurai Seki Keijiro, aktueller Inspektor des Handelsstützpunkts in Nagasaki und bekannter japanischer Schwertkämpfer a. D.

    "Seit gut zwanzig Jahren hatte Keijiro keinen Haarschneider empfangen, da er dies, wie so vieles, nicht nötig hatte. Er trug seine Haare, wie Haare nun einmal wuchsen, und wenn alles ins Gesicht hing, drehte er einen neuen Knoten, und wenn sie zu lang wurden, schnitt er sie ab. Er sah aus wie ein Räuber. Und jung, sagten die Mägde. So gut erhalten, der edle Herr Seki, wie eingelegter Rettich. Kaum grau auf dem Kopf mit siebenundfünfzig Jahren, und steht da wie ein Birkenbaum, obwohl er immer nur sitzt."
    Dieser Samurai ist ein sehr spezieller Charakter. Er ist faul. Jede überflüssige Bewegung kostet ihn Überwindung. Am liebsten hat er seine Ruhe. Er hat etwas von einer tyrannischen Diva. In seinem Haushalt, in dem er mit Frau, Schwiegervater und Bediensteten lebt, zittern die Menschen vor seinen Launen und versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen.
    Sein Verhalten ändert sich, als er Abel begegnet. Der quirlige und neugierige Niederländer weckt sein Interesse und seine Lebensgeister. Denn er bietet Abwechslung zu seinem Alltag als pensionierter Samurai. Und so lernen sie gegenseitig voneinander. Denn wir haben es mit zwei Figuren zu tun, die sich zwar über die Merkwürdigkeiten der anderen Kultur wundern, aber wissbegierig genug sind, diese Eigenarten verstehen zu wollen.

    Diese Geschichte erinnert mich an einen Schelmenroman im Stile eines "Der abenteuerliche Simplicissimus"(ET 1668; Autor: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen), der in etwa zur gleichen Zeit spielt wie Christine Wunnickes Roman. Tragik und Komödie liegen hier dicht beieinander. Generell scheint "Nagasaki, ca. 1642" eine Geschichte der Kontraste zu sein. die japanische Kultur trifft auf die europäische Kultur; Jung trifft auf Alt; Moral trifft auf "Unsittlichkeit" (gemessen an den damaligen moralischen Grundsätzen).
    Christine Wunnicke schildert diese Kontraste mit einem Augenzwinkern. Ihre Charaktere bewegen sich dabei an der Grenze zur Skurrilität. Sie sind nicht ernst zu nehmen. Kraft ihrer Funktionen und Ämter wird ihnen zwar von ihren Mitmenschen ein gewisses Maß an Respekt gezollt, doch tatsächlich stolpern sie von einem Fettnäpfchen ins andere. Das ist sehr lustig und macht das Aufeinanderprallen der Kulturen zu einem großen Spaß.

    "'Wer mag Huren nicht?', fragte Abel. 'Aber sie sind nicht unbedingt meine ... Benehmens-Bewunderungen, Nachahmungsangelegenheiten, meine ...'
    'Vorbilder', seufzte der Inspektor."

    Mein Fazit:
    Ein sehr originelles Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft, in dem das Aufeinanderprallen zweier Kulturen in sehr amüsanter Weise erzählt wird. Pointe folgt auf Pointe. Fettnapf folgt auf Fettnapf. Man kommt aus dem Grinsen nicht mehr raus. Nur schade, dass dieses Buch nur etwas mehr als 100 Seiten hat. Von dieser Art humorvoller historischer Geschichte hätte ich einiges mehr vertragen können.
    Leseempfehlung!

    © Renie

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Das Seidenraupenzimmer: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Seidenraupenzimmer: Roman' von Murata, Sayaka
5
5 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Seidenraupenzimmer: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
Verlag:
EAN:9783351037932
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Rezensionen zu "Das Seidenraupenzimmer: Roman"

  1. Sehr krass!

    Ich war nicht im entferntesten darauf vorbereitet, auf welche Abgründe Sayaka Muratas Geschichte unaufhaltsam zusteuert. Ich Erzählerin Natsuke steht bereits als Kind im Schatten ihrer Schwester Kise, die talentierter ist, viel besser mit den gesellschaftlichen Normen und Anforderungen zurechtkommt, von den Eltern gelobt und verhätschelt wird. Natsuke hingegen wird häufig getadelt, gedemütigt, nicht ernst genommen. Halt findet sie in ihrer Fantasiewelt - sie ist ein „Magical Girl“, das gemeinsam mit ihrem Stoffhasen Pyut, der eigens vom Planeten Pohapipinpopopia geschickt wurde, die Erde vor bösen Mächten beschützen soll. Sehr gut versteht sich Natsuke mit ihrem Cousin Yu, den sie einmal im Jahr anlässlich des Ahnenfestes im Hause ihrer Großmutter trifft. Die beiden Außenseiter - Cousin Yu hält sich für einen Außerirdischen - verstehen sich blendend. Sie beschließen, immer füreinander da zu sein und geben sich das Versprechen unter allen Umständen zu überleben.
    Natsuke wird von ihrem Lehrer sexuell missbraucht - ihre Mutter glaubt ihr nicht; Natsuke muss sich selbst helfen. Während der Missbrauch durch den Lehrer abgetan wird, kommt es zum Skandal als Yu und Natsuke nackt in einer intimen Situation erwischt werden - die Kinder erhalten ein sofortiges Kontaktverbot, werden fortan überwacht und werden sich erst zwei Jahrzehnte später als Erwachsene wiedersehen.
    Der Druck, eine gute Arbeit zu finden, zu heiraten und Nachwuchs zu zeugen, ist für Frauen und Männer in der japanischen Gesellschaft immens. Um die Familie zu beruhigen und sich selbst ein Stück Freiheit zurückzuerobern, heiratet Natsuke schließlich einen Mann, der - genau wie sie - weder eine Liebesbeziehung, noch heiraten oder Kinder bekommen möchte.
    20 Jahre nachdem Natsuke das letzte Mal im Haus ihrer Großmutter war, reist sie mit ihrem Ehemann dorthin, um ein wenig Urlaub zu machen. Dort treffen die beiden auch auf Yu. Die gemeinsame Zeit im Haus, in dem sich einst auch Seidenraupen verpuppten, läutet einen Prozess der Befreiung von den Fesseln der Gesellschaft ein. Radikal erzählt Sayaka Murata wie sich die drei Außenseiter ihr selbstbestimmtes Leben Schritt für Schritt zurückerobern, sich von allen Regeln zu lösen beginnen und dabei selbst vor dem größten Tabu menschlichen Zusammenlebens keinen Halt machen. Es ist zutiefst verstörend und nur schwer erträglich dieser Metamorphose zu folgen. Murata beschreibt diesen Prozess schonungslos und rechnet mit der japanischen Gesellschaft ab. „Das Seidenraupenzimmer“ steckt voller Symbolik, physischer und psychischer Gewalt; die Kritik an der Gesellschaft vermittelt sich sehr eindringlich und mit großer Wucht. Die Geschichte wird mir definitiv im Gedächtnis bleiben.

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  1. Beklemmende Thematik großartig umgesetzt

    Die Kindheit der kleinen Natsuki ist geprägt von Lieblosigkeit, Demütigungen, psychischen und physischen Übergriffen. Allein gelassen mit ihren Sorgen und Ängsten, fühlt sie sich nur im Haus ihrer Großeltern sicher, hoch oben auf dem Berg, ihrer wahren Heimat viel näher. Verständnis bringt ihr allein ihr Cousin Yu entgegen, mit dem sie sich in kindlichen Fantasien gegen eine feindliche Welt verbündet.
    Zwanzig Jahre später findet Natsuki mit ihrem Ehemann vor gesellschaftlichen Repressalien und den Gespenstern der Vergangenheit abermals Zuflucht im alten Farmhaus, bereit, einer surrealen Wirklichkeit die Stirn zu bieten.

    Mit der Geschichte der kleinen Natsuki hat Sayaka Murata einen ebenso verstörenden wie aufrüttelnden Roman vorgelegt. Von Kindheit an erfährt das Mädchen von ihren Eltern und ihrer Schwester so wenig emotionale Wärme, dass sie meint, von einem fernen Planeten zu stammen, und gar nicht zu dieser Familie zu gehören.
    In ihrem Erwachsenenleben behält Natsuki ihre ablehnende Haltung gegenüber gesellschaftlicher Zwänge bei. Die Ehe ist ihrer Ansicht nach nichts anderes als eine Fabrik, in der Menschen produziert werden, um die Art zu erhalten. Wie einst die Seidenraupen verkriechen sich Natsuki und ihr Ehemann gemeinsam mit Yu schließlich im alten Haus der Familie. Von den Forderungen einer feindlichen Übermacht in die Enge gedrängt, finden sie sich in einer Realität wieder, in der nichts mehr unmöglich erscheint.
    Es ist wahrlich keine leichte Kost, die Sayaka Murata ihrem Publikum anzubieten hat. Die anfangs noch leisen Töne werden mit fortschreitender Handlung immer rauer, steigern sich von sexuellem Missbrauch über Mord bis zu einem gewaltigen, in Kannibalismus gipfelndem Crescendo.
    Die Autorin versteht ihren Hörern die düstere und feindliche Atmosphäre, in der sich die auf vielerlei Art missbrauchte Natsuki befindet, das Gefühl von Einsamkeit und Ausweglosigkeit ganz großartig zu vermitteln. Um den sich immer mehr in die Enge getriebenen Protagonisten gerecht zu werden, setzt sie Stilmittel ein, die in ihrer Absurdität und Skurrilität an Aussagekraft kaum zu überbieten sind. Der grenzenlosen Fantasie der Autorin sei an dieser Stelle ebenfalls höchster Respekt gezollt.
    Die letzte der rund 5 ½ Hörbuchstunden ist zugleich die anstrengendste und schwierigste, die die volle Konzentration des Zuhörers erfordert. Nicht genug kann in diesem Zusammenhang die Leistung der Sprecherin Vera Teltz gewürdigt werden, die dem Roman eine ungeheure Intensität verleiht. Mit großem Einfühlungsvermögen interpretiert sie die unterschiedlichen Stimmungen sämtlicher Protagonisten. Das Äußerste an Konzentration und Intonation verlangt sie sich jedoch ab, wenn sie dem Hörer den Namen von Natsukis Heimatplaneten „Pohapipinpopopia“ stakkatoartig so lange entgegenschleudert, bis man meint, die wie aus einem Maschinengewehr abgefeuerten Salven nicht mehr länger ertragen zu können.
    Erschöpft habe ich das Ende dieses außergewöhnlichen Romans erreicht, der sich mit vielen universal gültigen Themen auf ganz und gar ungewohnte Weise befasst, und den ich ganz gewiss nicht so bald vergessen werde.
    Sayaka Murata ist eine Autorin, deren Sogwirkung ich mich nicht entziehen kann, und die ich bestimmt im Auge behalten werde.

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  1. 5
    15. Jun 2020 

    Ein brillanter Mix aus Realem und Fantastischem.

    „Sich den außerirdischen Blick herunterladen, um zu sehen, wie die Welt wirklich ist“ - ein brillantes Werk, in dem real Mögliches und Phantastisches gekonnt vermischt werden!

    Die Ich-Erzählerin Natsuki ist zu Beginn des 256-seitigen Romans 11 Jahre alt.
    Mit ihren Eltern und ihrer zwei Jahre älteren Schwester Kise fährt sie wie jeden Sommer zum Ahnenfest (Obon-Fest) zu den Großeltern, die in den Bergen von Akishina wohnen. Dort wird sich die Verwandtschaft väterlicherseits treffen.

    Schon im Auto verspürt Natsuki Vorfreude auf ihren geliebten Cousin Yu.

    Der Leser wird im Folgenden mit einem rührenden und herzerwärmenden Rückblick der beginnenden Liebe zwischen Natsuki, einem „Magical Girl“ und Yu, einem „Außerirdischen“, überrascht.

    Natsuki fühlt sich ihrer Familie nicht wirklich zugehörig. Ihre Mutter, die ihre Schwester Kise bevorzugt, ist desinteressiert, verständnislos und behandelt Natsuki lieblos und abfällig.

    Es ist eine große Wiedersehensfreude, als sich Natsuki und Yu in dem Bergdorf endlich wieder treffen. Sie hatten große Sehnsucht nacheinander.

    Im Haus ihrer Großeltern bewohnt Natsuki das Seidenraupenzimmer, den Raum, in dem früher Seidenraupen in Bambuskörben gezüchtet worden waren.

    Vor dem Abschied, der verfrüht stattfindet, weil Kise krank wird, „heiraten“ Natsuki und Yu auf dem Friedhof, weil sie in dem Bündnis ein Gegengewicht zu ihren jeweiligen Familien sehen, in denen sie sich nicht wohl fühlen.

    Natsuki und Yu flüchten sich in eine sichere und glückliche Phantasiewelt, weil die reale familiäre Welt so herzlos und kalt ist: der Ausserirdische Yu und das Magical Girl Natsuki finden als verheiratetes Paar die Sicherheit und Geborgenheit, die ihnen fehlt und nach der sie sich sehnen.

    Wieder zu Hause in Chiba, einer japanischen Großstadt in der Nähe von Tokio, denkt Natsuki seltsam distanziert, entmenschlicht und nüchtern-biologisch über die Menschheit, Paare, Familiengründung und Kinder nach.

    Der Leser lernt schließlich Natsuki’s Lehrer Herrn Igasaki kennen, der ein allzu großes Interesse an ihr hat und er erfährt, wie gemein Natsuki von ihrer aggressiven Mutter und von ihrer verzogenen und hysterischen Schwester behandelt wird.

    Gedanken an und Vorfreude auf Yu, den sie beim nächsten Ahnenfest wieder treffen wird, trösten und beruhigen sie:
    „Aber meine Liebe zu ihm hielt mich aufrecht. Der Gedanke daran wirkte wie ein Schmerzmittel.“ (Kindle, Kapitel 2, Position 597)

    Natsuki schlängelt sich durch ihre Welt, indem sie nüchtern und sachlich über die Realität denkt, sich emotional in ihrer Phantasiewelt einkuschelt und lernt, ihren Körper zu verlassen.
    Ein „Magical Girl„ zu sein und „zaubern“ zu können hilft ihr, den Alltag zu meistern.
    Ihre Phantasie gibt ihr Mut, Kraft und Erklärungen, die sie dringend braucht, um alles durchzustehen.

    Zeitsprung, 23 Jahre später:

    Inzwischen ist Natsuki 34 Jahre alt und mit Tomoobi verheiratet. Das Paar lebt recht zurückgezogen und führt eine respektvolle, gleichberechtigte, aber distanzierte Beziehung.
    Natsuki hat für sich endlich eine Möglichkeit gefunden unabhängig und frei zu leben - eine unbedingte Notwendigkeit nach ihrer schwierigen und belastenden Biografie.

    Eines Tages entscheiden sich Natsuki und ihr sonderbarer Mann Tomoobi für eine Reise nach Akishina. Sie wollen einige Zeit im Haus der inzwischen verstorbenen Großeltern verbringen. In dem Haus, in dem nun Yu wohnt...

    Vor dem Hintergrund an Abwertungen, Lieblosigkeiten und Grenzüberschreitungen verwundert es nicht, dass Natsuki eine ausgeprägte Selbstwertproblematik hat und sich als Versagerin fühlt.
    Es ist nachvollziehbar, dass sie sich deplatziert und überflüssig fühlt, dass sie ihren Gefühlen nicht traut und an sich zweifelt und dass sie sich an einen anderen Ort - nämlich auf den Heimatstern ihres außerirdischen Ehemanns Yu - wünscht.
    Psycho-logisch ist auch, dass sie, weil sie ihrem „Sein“ keinen Wert beimisst, bestrebt ist, ihre vermeintlichen Funktionen als Mitglied der Gesellschaft perfekt zu erfüllen, um wenigstens über dadurch erhaltene Wertschätzung eine Existenzberechtigung zu haben, einen Platz in der Welt zu finden und ihr inneres Gleichgewicht zu stabilisieren.

    Erleichternd und wohltuend lesen sich Passagen, in denen Oma, Onkel, Freundin oder Lehrerin dem Mädchen Freundlichkeit und Wohlwollen entgegenbringen.

    Es ist interessant, einen Einblick in einen japanischen Alltag und in den Brauch des alljährlich stattfindenden Ahnenfestes zu bekommen, an dem, ähnlich wie an Allerheiligen, der Toten gedacht wird.

    Von der kulinarischen Gepflogenheit, in Sojasoße zubereitete Heuschrecken zu essen, zu erfahren, ist gleichermaßen interessant wie befremdlich. Sie sollen wohl knusprig und süß schmecken ;-)
    Misosuppe und Sobanudeln erscheinen da schon vertrauter.

    Es war auch interessant, etwas über Seidenraupen zu erfahren und immer mal wieder über typische Begriffe wie Hikikomori oder Kotatsu so stolpern, die ich dann recherchierte, um sie mir wieder klarer ins Gedächtnis zu rufen.

    Es geht in dem Roman um erschwerte Entwicklungsbedingungen (abwertende, desinteressierte, verständnislose gewalttätige Eltern, Mobbing, Missbrauch) und welche Folgen sie nach sich ziehen können.
    Es geht um Macht und Ohnmacht, um Normen, Tabus und Rollenklischees, um Erwartungsdruck, Anpassung und Unterwerfung, sowie um Funktion und Wert des Menschen.
    Und es geht um Strategien, all das auszuhalten:
    Funktionieren, gehorchen und sich anpassen, emotional abstumpfen, rebellieren, sich auf ein freudiges Ereignis in der Zukunft freuen, zaubern und sich wegbeamen.

    Sayaka Murata konfrontiert den Leser nicht nur mit der Macht des Staates, der Gesellschaft, der Familie, der Eltern und mit der Ohnmacht und dem Ausgeliefertsein der Kinder, sondern auch mit der familiären und elterlichen Einmischung ins Leben der erwachsenen Kinder.

    Kann man sich heimlich durch vorgetäuschte Anpassung dieser Macht entziehen?
    Sollte man sich unterwerfen und mitspielen oder aktiv und offen aufbegehren und seinen eigenen Weg gehen?

    Die Autorin hat all diese Themen in eine packende Geschichte eingebettet und mit wunderbaren Metaphern und Begrifflichkeiten versehen.

    Sie löst mit ihrer Geschichte Empörung und tiefes Mitgefühl, ungläubiges Staunen, Verwunderung, Ekel, Gänsehaut, Entrüstung und Wut aus.

    Es ist ein beklemmender und gleichzeitig fesselnder Roman.
    Man möchte das Buch zuschlagen und gleichzeitig weiterlesen.

    Es ist, wie auch schon „die Ladenhüterin“ ein brillantes ernsthaftes, aufwühlendes und beklemmendes Werk, das mich aufgrund der scharfsinnigen Beobachtung, der psychologisch treffenden, realitätsgetreuen und tiefgründigen Beschreibungen, der leicht und flüssig zu lesenden, bildlichen und wuchtigen Sprache und dem fesselnden Inhalt absolut überzeugte.

    Um eine Vorstellung davon zu geben, wie eindrücklich und intensiv sie schreibt, möchte ich einen kurzen Absatz zitieren:
    „Aber da ich mein Herz abgeschaltet hatte, spürte ich nichts und wartete still, dass die Zeit verging. Wie in einer in der Erde vergrabenen Zeitkapsel eingeschlossen, ertrug ich alles reglos, so gelang es mir, mit knapper Not, mein Leben für die Zukunft zu bewahren.“ (Kindle, Kapitel 2, Position 706)

    M. E. weist die Autorin mit ihrem Werk implizit auf die Notwendigkeit und Bedeutsamkeit hin, immer wieder mal einen Schritt zurückzutreten und die Dinge aus einer gewissen Distanz bzw. mit anderen Augen - z. B. mit den Augen eines Außerirdischen zu betrachten. Nur dann ist es möglich, den Kurs zu verändern und wirklich seinen eigenen Weg zu erkennen. Sie weist wiederholt darauf hin, versäumt aber auch nicht, darüber nachzudenken, dass es sich möglicherweise einfacher lebt, wenn man sich unreflektiert anpasst und so in das „Spiel der Gesellschaft“ eingetaucht ist, dass man gar nicht mehr auf die Idee kommt, die Regeln zu hinterfragen.
    Eigenverantwortlichkeit und Freiheit kann schwieriger sein, als Funktionen zu erfüllen und Befehlen zu gehorchen, denn Rollen, Funktionen und Befehle können Halt geben. Ohne sie kann man den Boden unter den Füßen verlieren. Im folgenden Satz wird das wunderbar zum Ausdruck gebracht:
    „Ich habe zwar meine Freiheit bekommen, aber ich bin so schlecht darin, frei zu sein. Anders als bei einem Befehl gibt es keinen Wegweiser.“ (Kindle, Kapitel 6, Position 2685)

    Die Autorin zeigt m. E. indirekt auch auf, dass weder totale Unterordnung und Selbstaufgabe noch Anarchie anzustreben sind.

    Gegen Ende würden manche Leser sicherlich sagen, dass die Geschichte abgedreht, irreal und fantastisch wird und dass die Phantasie mit Sayaka Murata durchgegangen ist. Aber ich las diese Stellen als große und eindrückliche Metapher.

    Mein Votum:
    Absolute Leseempfehlung für Leser, die auch vor ernsthaften, beklemmenden und empörenden Geschichten, die aufwühlen und nachwirken, stellenweise ins Phantastische oder Absurde abdriften und Thriller- bzw. Horrorelemente enthalten, nicht Halt machen.
    Sayaka Murata präsentiert mit dem „Seidenraupenzimmer“ keine leichte Kost.

    Deshalb sehe ich, was das Lesepublikum betrifft, Einschränkungen, die ich an dieser Stelle unbedingt erwähnen möchte:
    Labile oder zart besaitete Menschen sollten sich gut überlegen, ob und wann sie den Roman lesen wollen, da es schockierende, eklige, makabre und brutale Stellen gibt, die, weil es eben weder Krimi noch Thriller ist, besonders nahe gehen.

    Meines Erachtens ist das Werk aufgrund der Triggergefahr nicht für Menschen mit Missbrauchserfahrung geeignet.

    Wenn jdm gar nichts mit phantastischen Gedankenspielen anfangen kann, ist das Buch vielleicht auch nicht das Richtige, weil gegen Ende so Einiges absurd und abgedreht erscheint, wenn man es nicht als große, gelungene Metapher oder Gedankenexperiment liest.

    Für alle Anderen, die sich auf das Abenteuer dieser Lektüre einlassen, wird es ein großes Lesevergnügen sein!

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Die Ladenhüterin: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Die Ladenhüterin: Roman' von Murata, Sayaka
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Die Ladenhüterin: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:145
Verlag:
EAN:9783746636061
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Rezensionen zu "Die Ladenhüterin: Roman"

  1. Der Konbini als Zufluchtsort

    Die Ich-Erzählerin Keiko Furukaro hat autistische Züge. Ihr fällt es schwer, die Gefühle ihrer Mitmenschen, aber auch ihre eigenen wahrzunehmen und zu deuten. Bereits in der Kindheit führt dies zu Irritationen und Zwischenfällen, da Keiko sich ganz anders als von ihr erwartet verhält. Als Keiko merkt, dass sie nicht in die Gesellschaft passt, zieht sie sich zurück und vermeidet dadurch unangenehme Situationen. Während ihrer Studienzeit beginnt sie in einem Konbini, einem 24 Stunden lang geöffneten japanischen Lebensmittelmarkt, als Aushilfe zu arbeiten. Alle neuen Angestellten erhalten eine Schulung. Erstmals erhält sie klare Anweisungen für ihr Verhalten gegenüber Kunden sowie für alle anfallenden Tätigkeiten. „Zum ersten Mal wurde mir ein normaler Gesichtsausdruck und eine normale Art zu sprechen beigebracht“ (S. 18). Rückblickend setzt Keiko ihren ersten Arbeitstag im Konbini mit ihrem ersten Geburtstag gleich: ihrem ersten Tag als normales Mitglied der Gesellschaft. Die klaren Regeln geben ihr Sicherheit, sie hat endlich einen Platz gefunden, arbeitet 18 Jahre gewissenhaft dort und imitiert immer wieder Ausdrucksweisen, Tonfall und Kleidungsstil ihrer Kolleginnen, um als normal zu gelten. Anfänglich reagiert Keikos Umfeld erfreut auf ihre Tätigkeit, die ein Stück weit Normalität bedeutet. Mit zunehmendem Alter stellt sich für Keiko aber erneut ein großes Problem: Als japanische Frau sollte sie längst verheiratet und auch nicht mehr in einem Aushilfsjob tätig sein. Als ein anderer Außenseiter in ihr Leben tritt, keimt der Gedanke einer Zweckehe auf, um endlich den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen und wieder in Ruhe leben zu können. Was dann passiert ist an Skurrilität kaum zu überbieten und öffnet den Blick auch für die in Japan geltenden Konventionen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Rollenerwartungen an Frauen und Männern in unterschiedlichen Lebensabschnitten.
    Die Autorin schreibt nüchtern, klar und emotionslos. Dadurch fällt es schwer, eine Bindung zu den Figuren aufzubauen. Der Schreibstil passt aber sehr gut zu Keiko, die selbst nicht in der Lage ist, emotionale Beziehungen zu ihren Mitmenschen zu knüpfen. Äußerst glaubwürdig und präzise beschreibt Sayaka Murata den Konbini als einzigen Ort, an dem Keiko ihren Platz gefunden hat. Ich lese das Buch auch als Satire auf die japanische Gesellschaft, in der soziale Angepasstheit ein hohes Gut ist.
    Die Ladenhüterin ist eine besondere, subtile, gesellschaftskritische, stellenweise äußerst bizarre Erzählung, bei der ich innerlich häufig nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen konnte. Dafür und dass mir Keiko und ihr Konbini bestimmt lange im Gedächtnis bleiben werden, vergebe ich gerne fünf Sterne.

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  1. Reichlich Stoff zum Nachdenken

    Die Mittdreißigerin Keiko Furukura arbeitet seit 18 Jahren als Aushilfe in einem 24-Stunden-Supermarkt. Schon als Kind fühlte sie sich als Außenseiterin, da sie nicht dasselbe empathische Empfinden wie ihre Mitschülerinnen an den Tag legen konnte. Um nicht aufzufallen, verhält sich Keiko sehr ruhig, knüpft keine Freundschaften, hat keine Beziehungen und nimmt auch nicht am gesellschaftlichen Leben teil. Sicher fühlt sie sich nur auf ihrem Arbeitsplatz mit seinen vorgegebenen Phrasen und Verhaltensweisen.
    Ihr neuer Kollege Shiraha bringt Keiko auf die Idee, ihrem Leben doch noch eine andere Richtung zu geben.

    Geschichten von Außenseitern fesseln mich so gut wie immer, und so hat mich auch dieser Roman von Anfang an in seinen Bann gezogen. Wie sich eine junge Frau den Erwartungen der Gesellschaft (und sicher nicht nur der japanischen) entzieht, hat mir außerordentlich gut gefallen.
    Keiko ist eine sehr sympathische Protagonistin, der es lediglich am Mut fehlt, ihren Aushilfsjob aufzugeben. Wie dieses Berufsleben beschrieben wird, hat mich fasziniert und erinnert auch ein wenig an eine große westliche Handelskette. Sicher ist es in Japan noch extremer, wo die Angestellten zum Morgenappell antreten und die Kunden begrüßen müssen, als wären sie gern gesehene Verwandte. Dennoch hat mich der Roman immer wieder sehr stark auch an uns bekannte Gesellschaftsstrukturen erinnert. Wer kennt nicht die Fragen besorgter Familienmitglieder, warum die Heirat oder der Kindersegen ausbleibe. In Japan dürfte dieser Druck noch wesentlich höher sein, gilt man doch nur dann als nützliches Mitglied der Gesellschaft, wenn man einen guten Job hat oder verheiratet ist, am besten beides.
    Keiko kann sich diesem Druck sehr lange entziehen, sie lebt für ihren Job, schläft und isst ausreichend, um nicht krank zu werden und ihren Dienst stets ordnungsgemäß versehen zu können.
    Auch der Eintritt Shirahas in ihr Leben verläuft anders, als man es üblicherweise gewohnt ist. Wie sich die beiden begegnen ist ebenso überraschend wie Keikos Vorschlag ihrem neuen Kollegen gegenüber.
    Die Sprecherin Bettina Storm hat wirklich großartig gelesen. Sehr einfühlsam den innersten Gedanken Keikos nachspürend, konnte sie deren antrainiertes Auftreten im Supermarkt ebenfalls überzeugend vermitteln.
    Das Ende hat mir ebenfalls sehr gut gefallen, für mich eine in sich stimmige, abgerundete Geschichte, die viel Stoff zum Nachdenken bereithält.

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  1. 4
    04. Mär 2020 

    Die wahre Bestimmung

    Schon als Kind war Keiko anders, sie nahm es schon damals allzu wörtlich. Fand sie einen toten Vogel, dachte sie, er könne zum Verzehr geeignet sein, während ihre Schwester das Tierchen ehrenvoll bestatten wollte. Und so zieht es sich durch ihre Kindheit und Jugend. Ihr Studium schafft Keiko zwar mit Ach und Krach, aber einer richtigen Anstellung fühlt sie sich nicht gewachsen. Ihr Aushilfsjob in einem Convenience Store einem sogenannten Konbini ist wie eine Offenbarung. Endlich hat sie ein Vorbild im Verhalten ihrer Kollegen und ein Handbuch, endlich fällt sie nicht mehr auf.

    Doch in diesem berührenden kleinen Roman bleibt es nicht lange bei dem angenehmen Leben im Konbini. Mit Mitte dreißig hat Keiko ihre Aushilfsstellung immer noch inne und wieder fällt sie auf. Normale junge Frauen haben in dem Alter eine ordentliche Arbeit, Hobbys, eine Familie. Keiko beginnt zu überlegen, wie sie ihre Situation verbessern könnte. Vielleicht bietet der neue Mitarbeiter, der ihr irgendwie ähnlich zu sein scheint, die Rettung.

    In diesem kurzen Hörbuch/Büchlein steckt eine ganze Menge. Wie engstirnig ist die Gesellschaft - und das ist hier sicherlich nicht viel anders als in Japan - wenn sie eine junge Frau wie Keiko nicht einfach so sein lassen kann wie sie ist. Augenscheinlich hat Keiko eine Art autistische Störung, die sie zwar ganz gut funktionieren lässt, sie aber doch von denen unterscheidet, die sich als normal bezeichnen. Gut kann man Keikos Erleichterung nachempfinden als sie endlich im Konbini angekommen ist und ihre Bestimmung gefunden zu haben scheint. Warum verlangt ihre Familie von ihr, normal zu werden. Warum lassen ihr die Kollegen nicht einfach ihren Job? Wie traurig, dass sie darüber nachdenken muss, etwas an ihrem Leben zu ändern, um nicht mehr aufzufallen. Und mit ihrem männlichen Gegenpart findet sie tatsächlich einen, neben dem sie wie ein Ausbund an Normalität wirkt. Am Ende befreit sich Keiko von allen Konventionen und geht mit Freude und Erleichterung ihrer waren Bestimmung nach.

    Ein gefühlvoller kleiner Roman, der einem vor Augen hält, dass Menschen grundsätzlich so genommen werden sollten wie sie sind.

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Kopfkissenbuch (Manesse Bibliothek, Band 14)

Buchseite und Rezensionen zu 'Kopfkissenbuch (Manesse Bibliothek, Band 14)' von Sei Shonagon
3
3 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Kopfkissenbuch (Manesse Bibliothek, Band 14)"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:736
EAN:9783717524885
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Rezensionen zu "Kopfkissenbuch (Manesse Bibliothek, Band 14)"

  1. 3
    10. Feb 2020 

    Unterschiedliche Wirkungen, gemischte Gefühle...

    Wer Lust hat, einmal weit über den Tellerrand hinauszublicken, sollte dieses überwiegend interessante und oft amüsante Werk lesen und sich in eine völlig andere Zeit und Kultur begeben.

    Beim „Kopfkissenbuch“ wird der Leser von der einstigen Hofdame Sei Shōnagon 1000 Jahre zurückkatapultiert und in den Kaiserpalast Japans entführt.

    Es handelt sich hier nicht um einen Roman, sondern um eine in Kapiteln gegliederte Aneinanderreihung von Listen, Erinnerungen und Gedanken der Autorin.

    Sie vermittelt in einer Art Brainstorming tiefe Einblicke in den Palastalltag. Der Leser bekommt eine gute Vorstellung von den Gepflogenheiten bei Hofe, von der höfischen Etikette, von der Bedeutung von Gewändern und erlesenen Stoffen, von buddhistischen Vorträgen, von Dichtkunst und von Festtagen sowie von den Haltungen, Gedanken und Gefühlen der Menschen, die zu den sogenannten Ranghöheren im Palast gehörten.
    Vor dem geistigen Auge entstehen lebendige Bilder, Szenen und Filme.

    Formal besteht das Buch aus 3 verschiedenen, nicht chronologisch geordneten, sich abwechselnden Arten von Kapiteln:
    -Auflistungen konkreter Dinge
    -Abschnitte, in denen sie Gedanken und Meinungen anhand von Beispielen kundtut
    -Kapitel, in denen sie Erlebnisse schildert.

    Die Auflistungen fand ich nur mäßig interessant und deshalb langweilten sie mich. Zum Teil war es da dann auch unnötig, zu den Anmerkungen nach hinten zu blättern, weil sie keine besonders erhellende Aussage hatten.
    Es waren dies z. B. Auflistungen von Bergen, Schluchten, Brücken, Kräutern, Blumen, Tieren, Bäumen...Diese Listen überflog ich irgendwann nur noch recht oberflächlich.

    Die nach dem gleichen Schema aufgebauten Abschnitte mit Überschriften wie „Bange Gefühle“, „Gegensätzliches“, „Was mit den Erwartungen nicht im Einklang steht“, „Unausstehliches“, „Worüber ich mich totärgern könnte“... interessierten, faszinierten und amüsierten mich nicht zuletzt deshalb, weil so viele Parallelen und Überlappungen zwischen heute und damals festzustellen waren.
    Um einen Eindruck von diesen Abschnitten zu vermitteln, zitiere ich im Folgenden ein paar Kostproben:

    „Bange Gefühle weckt auch ein Kleinkind, das noch nicht reden kann, wenn es sich trotzig gebärdet und schreit, ohne sich auf den Arm nehmen zu lassen.“

    „Ein Besucher, der genau dann kommt, wenn ich dringende Dinge zu erledigen habe, und dann endlos daherschwatzt ist sehr unangenehm!“

    „Wenn mir bei einem Brief, ganz gleich ob ich ihn von mir aus oder als Antwort auf einen erhaltenen Brief verfasst habe, der eine oder andere viel treffendere Ausdruck erst einfällt, wenn ich ihn schon abgeschickt habe - dann könnte ich mich totärgern. “

    Die Kapitel, in denen Sei Shōnagon Erlebnisse an ihre Zeit als Hofdame erinnert und beschreibt, haben mich gefesselt und begeistert.

    Das Werk ist in gut lesbarer, flüssiger, lebendiger einfacher und direkter Sprache geschrieben, wobei die verschiedenen Rangbezeichnungen und japanischen Namen sowie das Hin- und Herblättern zu den meist hilfreichen, aber bisweilen überflüssigen Anmerkungen am Ende des Buches, die Lektüre immer wieder ins Stocken bringen.

    Die selbstbewusste, ca. 30jährige Autorin ist eine äußerst interessante Frau, die scharfsinnig beobachtet, kein Blatt vor den Mund nimmt und schreibt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Sie hat klare Prinzipien, unumstößliche Ansichten und unverrückbare Meinungen.

    Sie hat zu wirklich allem etwas zu sagen, ist schlagfertig und gewitzt.
    Manchmal musste ich wegen der herablassenden, unsensiblen Art der Autorin und der damaligen höherrangigen Hofleute schlucken.
    Nicht selten musste ich schmunzeln und ab und zu war ich, wie bereits oben erwähnt, gelangweilt.

    Die konservative und traditionsbewusste Autorin war Tochter eines Lyrikers und hatte nicht nur eine Vorliebe, sondern ein herausragendes Talent für Wortspiele und Gedichte.
    Im damals beliebten Stehgreifdichten war sie äußerst bewandert.
    Sie war sehr modebewusst und extrem belesen.

    Sehr interessant und hilfreich für ein besseres Verständnis sind Nachwort und Glossar.

    Summa summarum:
    Ich bin froh, dass ich mir dieses Werk vorgenommen habe, weil ich japaninteressiert bin, viel Neues gelernt habe und überwiegend recht gut unterhalten wurde.
    Und jetzt bin ich froh, dass ich es beendet habe und dass ich es beiseite legen und mich wieder einem „richtigen Roman“ zuwenden kann.

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