Léon und Louise: Roman
Katz und Maus war das erste Buch, das ich von Günter Grass gelesen habe und es ist immer noch eines meiner liebsten. Im Kern ist es eine tragische Coming of Age Story, die sich mit der Frage nach der Schuld an den großen Katastrophen, aber auch der am persönlichen Schicksal des anderen beschäftigt. Es geht um den Außenseiter Joachim Mahlke, der durch sein Äußeres zu Außenseiter gestempelt wird und versucht, durch besondere Leistun Anerkennung zu bekommen. Es geht viel um Dynamik unter Jugendlichen, aber auch um die Dynamik in der Gesellschaft damals, Danzig in den 40er Jahren.
Dabei ist Grass ein Meister der Formulierung durch seine wunderbare, bildhafte, bunte Sprache. Kaum ein Autor beherrscht es so durch Sprache ein Gefühl für die Protagonisten zu entwickeln und ihnen Tiefe zu geben. Und meiner Meinung nach hat es Grass auch in dieser Novelle perfektioniert. Mit viel Liebe zum Detail ohne überflüssige Worte auf nicht mal 300 Seiten schafft er eine Nähe zu Pilenz und Mahlke, die den Leser in seinen Bann zieht. Ehrlich, deutlich und bis an die Schmerzgrenze erfährt man die Wünsche, Hoffnungen und Leiden der Jungen und ihrer Zeit. Für mich ein großartiges Stück Zeitgeschichte.
Der Orient-Express – um kaum einen Zug ranken so viele Mythen wie um den legendären Luxuszug, der von 1883 an über Jahrzehnte Paris mit Istanbul (damals Konstantinopel) und anderen osteuropäischen Zielen verband. Der Orient-Express wurde gern als "König der Züge, Zug der Könige" bezeichnet. Die Reise im Orient-Express diente häufig als Inspiration zu verschiedensten Romanen und Verfilmungen, so auch bei dem Roman „Welt in Flammen“ von Benjamin Monferat.
Worum geht es in diesem Roman?
Es ist nicht irgendeine Reise, sondern die letzte Reise, auf die sich der Orient-Express begibt. Wir befinden uns im 2. Weltkrieg. Die Route des Orient-Expresses quer durch Europa wird aufgrund der Kriegswirren in Kürze eingestellt werden. Die Deutschen sind bereits in Frankreich einmarschiert und stehen kurz vor Paris. Am Bahnhof Gare de L'Est finden sich unzählige Charaktere ein, die die Fahrt im Orient-Epress aus den unterschiedlichsten Motiven antreten wollen.
"Alexej sah starr gegen die Wand, auf die hellen Einlegearbeiten im dunklen Holz, die in jedem der Abteile minimal variierten, jede von ihnen ein Kunstwerk für sich. Verziert und gekünstelt. Der letzte Überrest der in Todeskrämpfen zuckenden Alten Welt. Der Orient Express war in Bewegung, versuchte der Vernichtung zu entkommen, die über Europa hereinbrach." (S. 277)
In dem Zug befinden sich:
die Jüdin Eva, die diese Reise als letzte Chance ansieht, sich vor den Deutschen in Sicherheit zu bringen. Bis vor Kurzem war sie die Geliebte von Carol von Carpathien, einem Balkanfürsten, der sich mit seinem Tross ebenfalls im Zug befindet.
Carol von Carpathien, vertriebener König im Exil, der seine Geliebte Eva in Paris zurücklassen wollte, weil er seinen Königspflichten in seinem Land nachkommen muss. Die Chancen stehen gut, dass er den carpathischen Thron zurückgewinnt. Denn das Land steht kurz vor der Rückeroberung durch königstreue Gruppen.
die russische Adelsfamilie Romanow, vor einigen Jahren von den Kommunisten aus ihrer Heimat Russland vertrieben und seitdem ständig auf der Flucht, auf der Suche nach Asyl und nach neuer Macht.
der amerikanische Milliardär Paul, frisch verheiratet. Seine Ehefrau Vera ist deutlich jünger als er. Trotz Kriegswirren haben sich die beiden zu einer Lustreise im Orient-Express entschlossen.
ein amerikanischer Student mit deutschen Wurzeln (wobei die Wurzeln tiefer gehen als vermutet)
ein Engländer, very British, den man sich auch gut in einem Agatha Christie Film vorstellen kann
ein russischer Student
französische Diplomaten
ein Vertreter des Vatikans
ein Yogi
Ein Teil der Personen hat die Reise in Paris angetreten. Einige Personen steigen erst im Verlauf der Reise quer durch Europa hinzu. Tatsächlich sind einige der an Bord befindlichen Passagiere in der Geheimdienstbranche tätig: Russen, Engländer, Franzosen, Deutsche in geheimer Mission … nahezu jede europäische Organisation ist hier vertreten. Und alle verfolgen die unterschiedlichsten Verschwörungspläne. Manchmal lassen sich diese Pläne miteinander in Einklang bringen. Doch meistens sind sie kontrovers und sorgen für „Sprengstoff“.
"Niemand in diesem Zug war, was er zu sein schien, ganz gleich wie harmlos er wirkte." (S. 224)
Als Leser bekommt man es mit den verschiedensten Erzählperspektiven zu tun. Ein großer Teil der vorkommenden Protagonisten erzählt die Geschichte aus eigener Sicht. Dadurch kommt es zu ständigen und kurz aufeinanderfolgenden Wechseln zwischen den Perspektiven. Die Handlung erhält somit einen Sog, der den Leser förmlich mitreißt. Dabei ist die Spannung von der ersten Seite an sehr hoch und wird im Verlauf der Geschichte noch gesteigert.
Der Roman steckt zudem voller Überraschungen. Die Handlungsverlauf nimmt häufig Wendungen an, an die man im Traum nicht gedacht hat. Manchmal wirken diese Wendungen konstruiert und künstlich herbeigeführt. Aber das verzeiht man gern, weil dies der Spannung und Unterhaltung keinen Abbruch tut. An den spannendsten Stellen gibt es öfter einen fiesen Cut, im Sinne von "Fortsetzung folgt". Aber "fies" natürlich deshalb, weil die Spannung so extrem hoch ist und man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht. Natürlich wird der Handlungsfaden ein paar Seiten weiter wieder aufgenommen ;-)
Alles in allem lässt sich dieser Roman mit seinen mehr als 750 Seiten als echten Schmöker bezeichnen, den man nicht aus der Hand legen möchte.
"'Europa fliegt uns um die Ohren, und Sie machen sich noch immer Gedanken, ob wir pünktlich sind?'" (S. 621)
Dieser Roman unterhält nicht nur durch seine Spannung sondern auch durch das große Stück Zeitgeschichte, das hier vermittelt wird. Die letzte Fahrt des Orient-Express findet vor dem Hintergrund des politischen Chaos statt, das seinerzeit in Europa und dem Rest der Welt geherrscht hat. Das fundierte Wissen, das Benjamin Monferat zum Zusammenspiel zwischen den einzelnen Beteiligten unterschiedlicher politischer Gesinnung vermittelt, ist exzellent recherchiert. Gleichzeitig gewährt er dem Leser die Möglichkeit, in die faszinierende Welt des Orient-Expresses abzutauchen. In der Autorenbeschreibung im Klappentext findet sich der Hinweis, dass Monferats Großvater während des Dritten Reiches an dem Bau von Luxuswaggons beteiligt war. In der Familie scheint es also eine Affinität zur Eisenbahn zu geben. Diese Affinität kommt in diesem Roman deutlich zum Ausdruck. Die Beschreibung der technischen Gegebenheiten und der Abläufe in der Arbeitsroutine im Orient-Express wirken sehr authentisch. Zudem gibt es Beschreibungen zum Streckenverlauf, die fast schon etwas Romantisch-Nostalgisches haben.
Darüberhinaus war Monferats Großvater im Widerstand gegen das deutsche Regime tätig. Die eine oder andere Erinnerung an diese Zeit hat mit Sicherheit ihren Weg in diesen Roman gefunden.
Fazit:
Dieser Roman ist sehr spannend und kurzweilig. Im Mittelpunkt stehen die Charaktere mit ihren unterschiedlichsten Schicksalen. Die Fahrt im Orient-Express zu wählen, um diese Charaktere miteinander zu verknüpfen ist eine großartige Idee, die von Benjamin Monferat auch hervorragend umgesetzt wurde. So ist ihm mit diesem Roman eine großartige Mischung aus Historienroman und Thriller gelungen, die fesselnde Unterhaltung garantiert.
© Renie
1940 in Paris, der Orient-Express startet zu seiner vorerst letzten Fahrt. In seinen eleganten Schlafwagen und dem Speisewagen sind unterschiedlichste Gäste unterwegs. Angefangen bei König Carol von Karpatien bis zu Ingolf Helmbrecht, einem Deutschen, der nicht so deutsch erscheint. Unterschiedlichste Menschen auf einer gemeinsamen Reise unter der Bedrohung durch die Deutschen, die zu Beginn des Krieges alle Macht in Europa innehaben. Sogar Wagen der deutschen Bahn werden im Laufe der Reise an den Zug gehängt und so ist der Feind außerordentlich nah. Geheime Pläne werden geschmiedet, Komplotte vorbereitet, der Versuch von Rettungsaktionen gestartet. Doch die Reise steht unter keinem guten Stern, etliche wohl gemeinte Aktionen drohen schief zu gehen.
Eine Welt zwischen den Welten, in der sich Menschen treffen, die sich sonst kaum je begegnen würden, kaum je begegnen möchten. Nahezu jeder scheint neben dem offensichtlichen noch andere Ziele zu verfolgen. Während der Kriegswirren, die in Europa herrschen, bildet der Zug auf seiner Fahrt zu Beginn fast eine friedliche Sonderzone, der der Krieg draußen nichts anhaben kann, auch wenn er natürlich viele der Handlungen bestimmt. Vieles ist da nicht so wie es scheint, vermeintlich harmlose Reisende entpuppen sich als gefährlicher als es die täuschend echt zur Schau gestellte Maske vermuten lässt.
Gemächlich beginnt der Zug seine Fahrt, nimmt Geschwindigkeit auf, wird schneller bis er schließlich kaum noch zu stoppen ist. Und so ähnlich könnte man auch den Gang der Geschichte beschreiben. Verwickelt und immer wieder überraschend bietet sie dem Leser eine beeindruckende letzte Fahr auf dieser Strecke. In Teilbereichen an geschichtliche Wahrheiten angelehnt entwickelt sie sich zu einem Lehrstück über einen kleinen Ausschnitt des Krieges. Empfehlenswert ist auch ein Besuch auf der liebevoll gestalteten web-site zu dem Buch. Der Abschluss wirkt dabei fast wie ein Neubeginn.
Die Hörfassung des Romans wird mitreißend vorgetragen von Oliver Rohrbeck, der den handelnden Personen eine Stimme gibt. Die Ausstattung des Hörbuchs umfasst eine wunderbar gestalteten Folder, in dem die Route des Zuges, die Wagenaufteilung und die handelnden Personen vorgestellt werden.
»Lesen verdirbt den Charakter« und »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« sind Leitsätze der Großeltern - kleiner Leute - für die Erziehung von Lore, die mal was Besseres werden soll. Je mehr sie aber behütet wird, umso mehr strebt sie >overkieksch< ein eigenes Leben an, Krieg und Nachkrieg bestimmen den Alltag der Heranwachsenden und lehren sie, dass auch der Satz der Vatergeneration »Mit den Wölfen muss man heulen« falsch ist. Sie bricht aus der vorgegebenen Welt aus; engagierte Lehrer und geliebte Gedichte helfen ihr auf der Suche nach dem eigenen Weg.
Fast jede Nacht heulten die Sirenen. Großmutter riss das Kind mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Lore sollte übereinander anziehen, was sie besaß: zwei Leibchen, zwei Kleider, den Wintermantel. Vor Müdigkeit zitternd, manchmal den großen Puppenjungen im Arm, folgte sie der Großmutter in den Keller.
Ich lese ja gerne auch abseits des Mainstreams, und so griff ich zu, als ich zufällig auf dieses Buch stieß. Die Epoche zur Zeit des Nationalsozialismus interessiert mich nach wie vor, und da mein Vater im selben Jahr geboren wurde wie die Autorin, wurde ich neugierig. Kindheiten sind kaum miteinander vergleichbar, auch wenn sie sich in derselben Zeit vollziehen. Doch gibt es für diese Epoche sicher oftmals Parallelen - wie beispielsweise eine strenge Erziehung, ein Aufwachsen ohne Vater, da dieser an der Front, in Gefangenschaft oder gefallen war, karge Zeiten, in der der Hunger regierte, usw.
Tatsächlich bietet diese Biografie einen interessanten Einblick in eine recht einsame Kindheit in der Uckermark zwischen 1934 und 1952, wobei die Zeitgeschichte immer auch eine Rolle spielte. Erzählt wird hier v.a. zu Beginn aus einer eher kindlichen Perspektive, die das gesellschaftliche Geschehen noch gar nicht einordnen kann und es kritiklos hinnimmt. Nur die Auswirkungen der gesellschaftlichen Entwicklung auf die Familie und die engere Nachbarschaft werden beobachtet und geschildert. Lore wächst jedoch heran - und mit ihr der Widerspruchsgeist. Die wie in Stein gemeißelten Erziehungs-Dogmata boykottiert das Mädchen immer wieder und nimmt dafür auch in Kauf, irgendwie nirgendwo richtig dazu zu gehören.
Nicht immer chronologisch und auch oft wenig zusammenhängend, reiht die Autorin einzelne erinnerte Episoden aneinander. Hier hätte ich mir manchmal größere zusammenhängende Abschnitte gewünscht, denn oft genug wurde ich recht abrupt aus einer Szene herausgerissen ohne damit gerechnet zu haben. Insgesamt jedoch habe ich mir ein recht umfassendes Bild dieser Kindheit machen können, v.a. auch im Zusammenhang mit dem damaligen Zeitgeschehen. Und tatsächlich schweiften meine Gedanken oftmals ab zu meinem Vater und dessen Erzählungen aus dieser Zeit.
Lonny Neumann versäumt es nicht, einen Brückenschlag in die jüngere Vergangenheit zu machen und die Schicksale einzelner Familienmitglieder weiter zu verfolgen. Dies rundet die Erzählung zusammen mit den plattdeutschen Einschüben und den zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos in meinen Augen gelungen ab.
Die Geschichte einer Kindheit in schwierigen Zeiten - Biografie und Zeitgeschichte in einem. Sehr persönlich und authentisch.
© Parden
Eine charmante Liebesgeschichte und ein historisches Zeitbild
„Da haben wir uns ein paar Jahre lang ziemlich nah beieinander die Hintern plattgesessen. Das nennt man Pech.“ (Zitat Seite 135)
Inhalt
Der junge Morseassistent Léon Le Gall ist siebzehn Jahre alt, als er Louise Janvier im Frühling 1918 kennenlernt. Pfingsten 1918 hat er drei Tage dienstfrei und er fährt mit ihr an den Ozean. Auf der Heimfahrt geraden sie in einen Angriff der Deutschen, Léon wird schwer verletzt und er erhält die Nachricht, Louise habe nicht überlebt. Auch Louise sagt man, dass Léon tot sei. 1928 begegnen sie einander zufällig in Paris wieder, doch Léon ist inzwischen mit Yvonne verheiratet und Vater, obwohl er nie aufgehört hat, an Louise zu denken.
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um eine große Liebe, die sich durch ein ganzes Menschenleben zieht, die durch schicksalshafte Ereignisse jedoch nur heimlich gelebt werden kann, mit jeweils jahrelangen Unterbrechungen. Es geht um Familie, Verantwortung und Entscheidungen. Gleichzeitig ist dies die Geschichte Frankreichs während der beiden Weltkriege.
Erzählform und Sprache
Es ist der Enkel von Léon Le Gall, der die Lebensgeschichte seines Großvaters schildert, aktuell beginnend mit den Ereignissen vom 16. April 1986, an dem eine Frau eine Fahrradklingel in den Sarg seines Großvaters legt. Von hier aus schwenkt die Geschichte direkt in die Vergangenheit und beginnt mit dem Tag, an dem der junge Léon dieses besondere Mädchen mit der gepunkteten Bluse zum ersten Mal sieht. Von da an zieht sich diese besondere Liebesgeschichte durch das ganze Leben von Léon und Louise und wird durch Details aus der großen Familie Le Gall auch zu einer Generationengeschichte. Die fiktiven Ereignisse fügen sich in die historischen Fakten ein, besonders in die Zeit der beiden Weltkriege und damit verbunden, das Leben in Paris während der deutschen Besatzung. Die Sprache erzählt eindrücklich, einfühlsam, doch immer mit leichtem Humor und niemals kitschig.
Fazit
Eine ungewöhnliche, mit charmanter Leichtigkeit erzählte Liebes- und Lebensgeschichte, deren Ereignisse eingebettet sind in den realen historischen Hintergrund Frankreichs im 20. Jahrhundert.
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