Der Kinderzug: Roman
Worum geht es?
Veit Kolbe wird im Russlandfeldzug 1943 schwer am Bein verletzt und ins Lazarett im Saargebiet geschickt. Nach seiner Rückkehr in die Heimat - Wien - wird er von seinen Erinnerungen heimgesucht und beschließt der Einladung seines Onkels, der am Mondsee, "Unter der Drachenwand" im Salzkammergut lebt und dort die politische Führung repräsentiert, zu besuchen.
Veits Vermieterin ist eine unfreundliche Frau, deren Mann, ein überzeugter Nationalsozialist, ebenfalls im Krieg ist, genau wie der Mann "der Darmstädterin" - Margot -, die im gleichen Haus wie Veit lebt, gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Lilo.
Im Dorf sind auch einige Mädchen aus Wien, die im Zuge der Kinderlandverschickung im Lager "Schwarzindien" gelandet sind. Die junge Lehrerin, die sie begleitet, verhält sich gegenüber Veit sehr zurückhaltend und abweisend. Unter den Mädchen ist Annemarie Schaller - Nanni - genannt, die Briefe von ihrem Cousin Kurti erhält, die, von der Lehrerin gelesen, großen Anstoß erregen. Offenkundig haben beide - die 13-Jährige und der 17-Jährige - eine Liebesbeziehung.
Der Roman spiegelt die Ereignisse des Kriegsjahres 1944 wider. Erzählt wird überwiegend aus der Sicht Veit Kolbes in Form von Tagebucheinträgen, die er während seines Aufenthaltes am Mondsee schreibt. Briefe von drei weiteren Figuren berichten von den Auswirkungen des Krieges in Darmstadt, Wien und in Budapest.
Margots Mutter schreibt aus Darmstadt, wo sie inzwischen ganz allein lebt. Ihr Mann ist in einem Vorbereitungslager, während ihre andere Tochter Bettine in Berlin als Schaffnerin arbeitet. Ihre Briefe haben einen typischen mütterlichen Ton, in die sich neben der Fürsorge um Margot und um ihre Enkeltochter auch offene Vorwürfe und Ermahnungen stehlen. Auf mich wirken sie sehr authentisch, wenn sie von ihren täglichen Sorgen und Ängsten erzählt, von denen, die gestorben sind, aber auch Klatsch und Tratsch verbreitet und ihre ältere Tochter bittet, die jüngere zur Räson zu bringen.
Die Briefe von Kurti an Nanni aus Wien sprechen von der Sehnsucht nach der gemeinsam verbrachten Zeit und von der Angst, in den Krieg geschickt zu werden. Eine Befürchtung, die sich bewahrheiten wird.
Bedrückend sind die Schilderungen des Juden Oskar Meyer, der unter verschiedenen Namen lebt und seine Erlebnisse in Wien bis zu seiner Emigration nach Budapest schildert. Die zunehmenden Demütigungen, die Hoffnung, es werde wieder besser, die Erkenntnis fliehen zu müssen - gemeinsam mit seiner Frau Walli und seinem Sohn Georgili. Ein weiteres Kind wird nach London geschickt und verbringt dort die Kriegsjahre.
In Veits Tagebucheinträgen spielt zudem Brasilianer eine große Rolle, er ist der Bruder der Vermieterin und hat lange Jahre in Rio de Janeiro verbracht, wohin er unbedingt zurückkehren möchte. Er betreibt eine Gärtnerei, in der sich Veit und Margot nach der Verhaftung des Brasilianers, der offen gegen den Führer Reden schwingt, näher kommen.
Hat diese Beziehung eine Chance? Muss Veit erneut in den Krieg zurückkehren, obwohl er von traumatischen Anfällen heimgesucht wird? Was wird aus Nanni und Kurt? Wird Oskar Meier mit seiner Familie den Einmarsch der Deutschen in Budapest überleben?
Bewertung
Eigentlich erzählt Arno Geiger nichts Neues. Was es an historischen Ereignissen über das Kriegsjahr 1944 zu berichten gibt, kennen wir alles. Dieses Mal erfahren wir etwas von einem Kriegsveteranen und einigen anderen Menschen, die lose mit ihm verbunden sind.
Und doch gibt der Roman Zeugnis vom Leben einzelner Menschen, das vom Krieg bestimmt wurde und die diesen niemals vergessen können. Am Ende reflektiert Veit darüber:
"Und ich wusste, dass ich tatsächlich und unwiderruflich in diesem Krieg bleiben würde. Egal, wann der Krieg zu Ende ging und was aus mir noch wurde, ich würde für immer in diesem Krieg bleiben, als Teil von ihm." (Kapitel 222)
Er trifft auf eine Gruppe von Zwangsarbeitern und ist nicht in der Lage ihnen zu helfen, da er kein Held ist, sondern einer, der den Krieg überleben will.
"Schade, dass das, was hinter mir liegt, nicht geändert werden kann. Was ich in den vergangenen sechs Jahren begriffen habe, ist, dass die Weisheit hinter mir hergeht und selten voraus. Am Abend kommt sie und sitzt mit am Tisch, als unnützer Esser." (Kapitel 222)
Im Laufe des Hörens kommen einem die einzelnen Figuren näher, da wir von ihren Gedanken und Ängsten erfahren, beginnt man sie und ihr Handeln zu verstehen. Dadurch dass Geiger den jungen Kurti von seinen Ängsten schreiben lässt, die alte Mutter von ihrer Einsamkeit in Darmstadt, den Kriegsveteranen von der Panik, in den Krieg zurück zu müssen, und Oskar Meyer von der Verzweiflung, seine Familie nicht schützen zu können, erhalten wir ein weites Spektrum dessen, wie der Krieg das Schicksal des Einzelnen bestimmt.
Der Roman zeigt das alltägliche Leben, wie Arno Geiger in einem kurzen Interview sagt, interessiere ihn "das Individuum in seiner Einzigartigkeit, mit seiner eigenen Geschichte, seinen eigenen Gefühlen." Er stellt sich die Frage: "Wie fühlt es sich an, im fünften, sechsten Kriegsjahr zu leben?"
Inspiriert wurde sein Roman von Briefen aus dem Lager "Schwarzindien", von Behördenbriefen und Elternbriefen, das "hat alles in Gang gesetzt."
(Quelle: Hanser-Verlag)
Auch wenn die Handlung manche Längen aufweist und dahin "plätschert", berühren diese Einzelschicksale, die insgesamt sehr authentisch wirken, so dass der Roman für mich ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen ist.
Gemeinsam mit Literaturhexle habe ich festgestellt, dass ich den Roman allerdings lieber gelesen hätte. Der Hauptsprecher Torben Kessler ist leider der schwächste Sprecher, während die Briefe sehr überzeugend gelesen werden. Aber auch die sprachlichen Feinheiten und Formulierungen gehen beim Hören ab und an verloren, was in diesem Fall sehr schade ist, so dass ich eine klare Lese-Empfehlung aussprechen möchte.
Egidius Arimond: Imker, Epileptiker, als „unwertes Leben“ und „Volksschädling“ immer in Lebensgefahr. Die Euthanasie droht, die Zwangssterilisierung wurde ihm schon angetan, der parteigläubige Apotheker knöpft ihm horrende Summen für seine Medikamente ab.
Egidius ist Flüchtlingshelfer, weil er das Geld für seine Medikamente verzweifelt braucht. Schon länger ist er gezwungen, mit immer niedrigeren Dosierungen auszukommen, doch das rächt sich. Immer mehr Anfälle, immer mehr Stürze, immer deutlicher spürt er, wie die Epilepsie sein Gehirn verwüstet. Aber auch wenn Egidius sich selber ganz ungeschönt als Helfer aus Notwendigkeit und Eigennutz beschreibt, ahnt der Leser doch, dass ihm seine menschliche Fracht keineswegs egal ist.
Seine Methode ist so einfach wie genial: niemand wundert sich, wenn ein Imker Bienenstöcke transportiert, daher karrt er die Flüchtlinge in solchen, ausgeklügelt umgebaut, zum vereinbarten Ziel nahe der belgischen Grenze. Doch so erfolgreich diese Methode auch ist, endet nicht für jeden Flüchtling das Martyrium mit der Flucht. Da spielen sich Tragödien ab, bei denen man kaum weiß, ob man weinen soll oder sich übergeben vor Ekel über die menschliche Grausamkeit.
Egidius‘ Epilepsie wird zum Spiegelbild des Kriegs, der immer wütender tobt, je deutlicher sich die drohende Niederlage abzeichnet.
Die Fronten verschieben sich, Bündnispartner lassen Deutschland im Stich, die Bevölkerung zweifelt mehr und mehr am Endsieg, und Egidius kämpft auf vielen Ebenen um seinen Verstand und sein Leben.
Was ihm noch ein wenig Freude schenkt, sind zahlreiche Frauengeschichten. Dass aufgrund Egidius‘ Sterilisation keine Gefahr besteht, einem heimkehrenden Gatten ein Kuckuckskind erklären zu müssen, kommt ihm hier zugute – doch er begibt sich in Gefahr, als er eine Affäre mit der Gattin eines ranghohen Offiziers beginnt.
Die Sprache ist knapp, unaufgeregt, sachlich, gelassen.
Das entspricht sicher Egidius‘ Naturell , aber es wirkt auch nüchtern, sogar in grauenhaften Situationen geradezu emotionslos. Man weiß natürlich, dass dem nicht so ist – dass Egidius das Herz rast, dass er Todesangst aussteht, dass er schier verzweifelt am Verfall seines Gehirns. Aber man bleibt als Leser meines Erachtens immer etwas auf Abstand und damit ein stiller Beobachter, der nicht in die Geschehnisse involviert ist.
Das Buch erfordert eine gewisse Mitarbeit, um Leerstellen zu füllen und Emotionen zu ergänzen. Das lohnt sich mit Sicherheit, aber manchmal hätte ich mir dann doch einen etwas unmittelbareren Zugang zu Egidius Gefühlswelt gewünscht. In manchen Passagen wird das Tempo auch eher schleppend und der Spannungbogen sinkt deutlich ab.
Egidius Arimond gab es übrigens wirklich, auch wenn Norbert Scheuer hier keine rein faktische Biographie schreibt, sondern einen fiktionalisierten Roman.
Überzeugend ist die Symbolkraft, mit der übergroße Konzepte abgebildet werden auf das Leben im Allerkleinsten.
Wie schon erwähnt, ist Egidius‘ Epilepsie ein deutliches Bild für die Brutalität des Krieges, aber jedes Ding und jedes Ereignis wird zum Symbol. Im Surren der Bienen hallt das Röhren der Jagdflugzeuge wider; das Sterben der Drohnen und Arbeiterinnen, die für das Überleben des Volkes nicht mehr gebraucht werden, wird zum Sinnbild für das Sterben der Menschen. Erschreckend ist ein beiläufiger Satz, in dem Egidius berichtet, er habe die Bienenkönigin töten müssen, denn es schade dem Guten, der die Schlechten schont – eine unschöne Parallele zur nationalsozialistischen Gesinnung.
Scheuer macht das mit leichter Hand, ohne dem Leser die Vergleiche platt vor Augen zu halten. Er sagt nie: das bedeutet das, oder dies steht für jenes. Hier ist wieder die Mitarbeit des Lesers gefragt ist, und das ist gut so.
Interessant ist auch, dass eine Verbindung geschaffen wird zwischen dem Jahr 1944 und dem Mittelalter.
Denn Egidius stellt Nachforschungen an zum Leben seines Ahnen, des Benediktinermönches Ambrosius. Der litt nicht nur an einer Krankheit, bei der es sich wahrscheinlich um Epilepsie handelte, sondern er war Imker und legte im Jahr 1492 Grundlagen für die Erforschung der Bienenzucht. Insofern war er ein Mensch, in dem Egidius sich wiederfindet, und dessen Leben ihn ablenkt von dem Grauen um ihn herum.
Die Passagen, in denen es um Ambrosius‘ Leben geht, lesen sich wie ein Historienschmöker: Der junge Mönch war Teil eines Trosses, der das Herz des angesehen verstorbenen Gelehrten Nikolaus Cusanus über die Alpen bringen sollte, und Ambrosius war es auch, der eine geniale Möglichkeit fand, das Herz vor der Verwesung zu retten.
Egidius‘ Nachforschungen zu Ambrosius und die Notizen, die er sich zu seiner Arbeit als Flüchtlingshelfer macht, werden zu seinem Lebenselixier. Sie sind das Einzige, was ihm noch bleibt.
Fazit
Im Jahr 1944: der Imker Egidius Arimond ist Epileptiker und wird von den Nazis daher als Parasit betrachtet. Um sich die Medikamente leisten zu können, die für ihn lebensnotwendig sind, beginnt Egidius damit, für gutes Geld Flüchtlinge in umgebauten Bienenkästen zur belgischen Grenze zu bringen.
Das Leben schreibt mal wieder die unglaublichsten Geschichten, denn Egidius Arimond gab es tatsächlich. Norbert Scheuer hat aus den wahren Ereignissen eine überaus symbolträchtige Fiktion gemacht, die den Wilhelm Raabe Literaturpreis sicher verdient hat. Allerdings ist dies kein Roman, in dem man ohne Weiteres abtauchen kann – der Autor gibt Egidius eine sehr sachliche, nüchterne Stimme, die eine gewisse Distanz aufbaut.
Was für ein Buch! Es sieht recht harmlos aus, ist aber etwas ganz besonderes und auf ganzer Linie umwerfend.
Hier liest man das Tagebuch von Egidius Arimond, der erzählt, wie er das letzte Kriegsjahr in Kall, in der Eifel, erlebt hat. Das bislang weitgehend vom Krieg verschonte Eifelstädtchen gerät 1944 zunehmend in die Schusslinie. Für Egidius wird es immer schwieriger, an seine Medikamente zu kommen, womit er in Gefahr gerät, als Epileptiker aufzufallen. Es ist auch kaum noch möglich, jüdische Flüchtlinge zur Grenze zu bringen, ohne erwischt zu werden. Er wahrt den Schein, versorgt hingebungsvoll seine Bienen und sitzt auf einer Zeitbombe.
Es ist erstaunlich, wie eigentlich einfache Sprache so eindringlich sein kann. Egidius neigt nicht zu großen Gefühlsausbrüchen, sagt, wie es ist, beschönigt nichts, beobachtet genau. Er ist ein Held aus der Not heraus, auch das macht er klar, trotzdem rettet er Leben, während ihm das Wasser bis zum Hals steht. Man muss sehr aufmerksam lesen. Vieles wird nur angedeutet, bisweilen steht eine ganze Geschichte im Nebensatz. Das ist eindrucksvoll und elegant.
Besonders tragisch ist hier zu sehen, wie jemand zunehmend verzweifelt in seinem Heimatort sitzt und darauf wartet, vom Feind gerettet zu werden, ein Mann, der mal ein angesehener Lehrer war, bis das Regime die Standards änderte.
„Winterbienen“ ist ein sehr besonderes Buch, das auf höchst ungewöhnliche Art eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt. Es führt den Leser behutsam mitten hinein in das Grauen. Es ist auf schlichte Art poetisch, fast puristisch, essenziell und damit umso treffender. Das Grauen braucht keine Schnörkel.
Lesetipp
Michaela Küpper erzählt in ihrem 339 Seiten langen Roman einfühlsam und atmosphärisch von der zunächst für 3 Monate lang geplanten Kinderlandverschickung im zweiten Weltkrieg.
Ein Thema, das mir bislang in Büchern nicht begegnet ist und mir gänzlich unbekannt war.
Ein Thema, das bisher in der Öffentlichkeit vllt. zu wenig Beachtung fand und schon deshalb so bedeutsam ist, weil es nicht nur den geschichtlichen Horizont erweitert, sondern auch zum Nachdenken anregt.
Zum Nachdenken z. B. darüber, wie Prägungen in der Kindheit transgenerationale Dynamiken erzeugen, die in der künftigen Gesellschaft im Großen und Kleinen eine bedeutsame Rolle spielen.
Zunächst kurz zum Inhalt:
Beim Aufschlagen des ersten Kapitels befinden wir uns im September 1945 in Bayern auf dem Kronenhof, einem Hotel, in dem die Amerikaner ihr Quartier aufgeschlagen haben. Wir treffen dort die 24-jährige Lehrerin Fräulein Barbara Salzmann und ihre zwölf 14jährigen Schülerinnen im Teenageralter. Sie werden dort bis zu ihrer Heimreise beherbergt. Es geht ihnen den Umständen entsprechend gut. Die Amerikaner sind freundlich, machen Faxen mit den Mädels und schenken ihnen „chewinggum“. Das Ende des Krieges. Das Ende einer Odyssee.
Aber ist das Grauen tatsächlich vorbei? Erst am Ende des Buches bekommen wir die Antwort. Erst am Ende des Buches schließt sich der Kreis. Dieses erste Kapitel endet nämlich mit einer Detonation, mit einer Stichflamme, mit tintenschwarzen Rauchwolken und mit den schrillen Schreien von Mädchen.
Ab dem zweiten Kapitel begleiten wir die Protagonisten auf ihrer mühsamen und unheilvollen Reise ausgehend von Essen quer durch Deutschland.
Der Leser bekommt auf dieser Reise einen eindrücklichen Einblick in die „vorsorgliche Umquartierung“ zum Schutz der Kinder vor Luftangriffen und er bekommt eine Vorstellung davon, wie es den Kindern in den strikt nach Geschlechtern getrennten Lagern ergangen ist.
Trotz des tiefen Eintauchens in das Kapitel Kinderlandverschickung, wird nebenbei und drumherum viel Zeitgeschehen vermittelt.
Der Roman von Michaela Küpper ist berührend, aber zu keinem Zeitpunkt rührselig oder gar kitschig. Er ist in einer schönen Sprache geschrieben und enthält treffende Bilder und Beschreibungen.
Unterhaltsam, fesselnd, eindringlich, kurzweilig und ausdrucksstark sind weitere Adjektive, die mir zu dem Buch einfallen.
Besonders gefielen mir die Wechsel der Perspektiven und Erzählweisen, sowie das Fokussieren unterschiedlicher Erzählstränge.
Jedes Kapitel stellt eine andere Person, deren Gedanken, Gefühle und Erleben in den Mittelpunkt: Mal die Lehrerin Barbara, die sich um die Mädchen kümmert, mal die vorlaute Gisela oder die schüchterne Edith, deren jüngere Schwester, mal Karl aus dem Jungenlager.
Mal lesen wir einen unverkrampft, wortgewandt und offen geschriebenen, z. T. gewitzten Tagebucheintrag von Gisela, mal erzählt uns ein allwissender Erzähler von den Geschehnissen.
Auf diese Weise wird der Roman beeindruckend abwechslungsreich und kurzweilig.
Die Geschichte beginnt gemütlich, gemächlich, interessant und unterhaltsam. Im Verlauf gelingt es der Autorin dann, die Spannung zu steigern und man fliegt neugierig, gespannt, manchmal verwundert, atemlos, bedrückt, empört oder erschüttert durch die Seiten.
Man hält die Luft an, wenn man miterlebt, wie der kleine Otto fast ertrinkt und wenn der Direktor des Lagers einen Brief aus der Heimat öffnet, bevor er ihn dem Mädchen übergibt, an das er adressiert ist. Und man atmet erleichtert auf, wenn Otto gerettet wird und in dem Brief keine Hiobsbotschaft enthalten ist.
Man kann nur staunen, wenn man liest, dass es viele der Kinder kaum erwarten können, sich im Kriegsdienst und an der Front nützlich zu machen und dass diejenigen, die das nicht wollen, als Muttersöhnchen, Feiglinge und Drückeberger verachtet werden.
Man beginnt, sich Sorgen um Rudi, den verhaltensauffälligen, intelligenzgeminderten, vllt sogar geistig gestörten Sohn der Wirtin und um die kleine Edith, eine Bettnässerin, zu machen und man bangt mit den Protagonisten, wenn plötzlich Mädchen verloren gehen oder verschwinden.
Michaela Küpper schafft es scheinbar mühelos, die Veränderung der Atmosphäre zu vermitteln. Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit zu Beginn, als die Kinder sich darauf freuen, eine schöne Zeit in einer Art Ferienlager zu verbringen. Dann eine zunehmende Ernüchterung: Heimweh, Angst um die Angehörigen zu Hause, Angst um ihr eigenes Leben.
Die Kinder sind so tapfer und für die Lehrerin Barbara ist es eine große und schwere Herausforderung, ihnen Halt und Trost zu geben bei all den schmerzlichen Erlebnissen und Nachrichten von daheim.
Trotz allem Ernsten und Bedrückenden gibt es auch immer wieder Momente zum Schmunzeln und Augenblicke einer Normalität, die die schreckliche Kulisse des Krieges kurz in den Hintergrund treten lassen.
Herzerwärmend zu lesen sind Episoden, in denen man von freundlichen Menschen und vom Mut und der Hilfsbereitschaft mancher Zeitgenossen liest und erschütternd sind solche, in denen man Eigennutz, Selbstsucht und krimineller Energie begegnet.
Beeindruckend ist es, vom großen Engagement und hohen persönlichen Einsatz der Lehrerin Barbara zu lesen, die mit der Übernahme der vollen Verantwortung für ihre Schülerinnen eine denkbar schwierige Aufgabe zu meistern hatte.
Informativ und klar erzählt die Autorin mit einer angemessenen und ausgewogenen Mischung aus Sachlichkeit und Emotionalität von einer Unternehmung, die anfangs als Schutzmaßnahme für die Kinder und vordergründig zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung des Schulunterrichts aber hintergründig zur Vermittlung ideologischer Werte, Indoktrination und Manipulation gedacht war, die aber letztlich dazu führte, dass tausende von Kindern den Krieg fernab von Familie und Freunden verbringen mussten, in den Wirren des Krieges vergessen wurden oder weitgehend sich selbst überlassen worden sind.
Der Roman ist von Anfang an richtig gut und er wird im Verlauf sogar noch besser.
Ein Must read!
Noch ein Tipp am Ende: es lohnt sich, das informative und interessante Nachwort zu lesen!
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