Die Bibliothek von Edinburgh

Cormoran Strike ist gerade zu Besuch bei seiner Familie in Cornwall, als er von einer Frau angesprochen wird, die ihn bittet, ihre Mutter, Margot Bamborough, ausfindig zu machen, die 1974 unter mysteriösen Umständen verschwand. Strike hatte es noch nie mit einem Cold Case zu tun, geschweige denn mit einem, der bereits vierzig Jahre zurückliegt. Doch trotz der geringen Erfolgsaussichten ist seine Neugier geweckt, und so fügt er der langen Liste an Fällen, die er und seine Arbeitspartnerin Robin Ellacott gerade in der Agentur bearbeiten, noch einen hinzu. Robin selbst hat mit einer hässlichen Scheidung und unerwünschter männlicher Aufmerksamkeit zu kämpfen – und dann natürlich mit ihren Gefühlen für Strike… Strikes und Robins Nachforschungen zu Margots Verschwinden führen sie auf die Fährte eines vertrackten Falls mit Hinweisen auf Tarotkarten, einen psychopathischen Serienkiller und Zeugen, die nicht alle vertrauenswürdig sind. Und sie merken, dass sich selbst Fälle, die schon Jahrzehnte alt sind, als tödlich herausstellen können... (Klappentext)
Was für ein epischer Krimi! 1200 Seiten dick ist das gedruckte Buch, 32 Stunden und 41 Minuten lang die ungekürzte Hörbuchversion. Ein ordentlicher Schmöker ist dieser fünfte Band aus der Reihe um den Privatermittler Cormoran Strike und seine Geschäftspartnerin Robin Ellacott also. Geht das zusammen mit einer spannenden Handlung, einem Plot, der an die Erzählung fesselt? Ja, unbedingt!
Man sollte allerdings Vergnügen finden an einer detaillierten und langsam erzählten Geschichte mit einer Vielzahl von Handlungssträngen. Bildhaft und durchsetzt von lebendigen Dialogen führt Robert Galbraith alias J. K. Rowling beschaulich durch die verschachtelte Erzhälung, die einiges an Fällen, Personen und Ereignissen bereithält. Eine kleine Herausforderung, die sich in meinen Augen aber unbedingt lohnt.
Im Vordergrund des Krimis stehen die schwierigen Ermittlungen zu einem Cold Case. Vor 40 Jahren verschwand die Ärztin Margot Bamborough an einem Freitagabend spurlos - sie wollte sich nach der Arbeit mit einer Freundin treffen, kam jedoch nie dort an. Seither fehlt jede Spur von ihr. Die damaligen polizeilichen Ermittlungen förderten zwar einen möglichen Täter zutage, der jedoch niemals zugab, etwas mit dem Fall zu tun zu haben. Die Tochter der verschwundenen Ärztin hat Cormoran Strike nun beauftragt, binnen eines Jahres neue Spuren in dem erkalteten Fall zu finden.
Das erweist sich als ungemein schwierig, denn abgesehen von den vielen seither vergangenen Jahren und einer damit kaum noch zu rekonstruierenden Spurenlage geht es hier um verschwundene Zeugen:innen, widersprüchliche und/oder unvollständige Aussagen und eine im Grunde desaströse Polizeiarbeit, die mehr Rätsel aufgibt als sie beantwortet. Astrologie spielt hier eine gewichtige Rolle, was Strike gehörig gegen den Strich geht, da seine spleenige Mutter seinerzeit auch zu mysteriösen Deutungen der Gestirnskonstellationen neigte.
Überhaupt gewährt Robert Galbraith diesmal so einige Einblicke in das Privatleben und die Vergangenheit von Cormoran Strike und Robin Ellacott. Das verschafft den beiden interessanten Charakteren noch einmal deutlich mehr an Profil und lässt auch so manche Reaktion der beiden nachvollziehbarer erscheinen.
Robin, die sich gerade in einem miesen Scheidungskrieg mit ihren aalglatten Noch-Ehemann befindet, will sich beruflich keine Blöße geben und mimt stets die toughe Frau, auch wenn ihr innerlich häufig ganz anders zumute ist. Und Cormoran fährt derzeit trotz der vielen Arbeit vor Ort immer wieder nach Cornwall, um seiner Tante beizustehen, die unheilbar an Krebs erkrankt ist. Seiner Tante, bei der er einen großen Teil seiner Kindheit und Jugend verbracht hat - schwere Zeiten, damals wie heute.
Aber auch die sich allmählich verändernde Gefühlslage zwischen Strike und Ellacott kommt hier zum Tragen. Nicht aufdringlich, meistens nur so nebenbei im Geschehen, wobei die Autorin auch Einblick in die Gedankenwelt der beiden gewährt, was sehr unterhaltsam ist. Und so kompliziert. Man darf weiter gespannt bleiben...
Wenn man langsame Erzählungen nicht mag und sich hier einen vor Action sprühenden Krimi erhofft, dann wird man wohl enttäuscht werden. Das alltägliche Einerlei der normalen tagesaktuellen Fälle der Detektei bildet das Grundgerüst für die Geschichte, was das Geschehen in meinen Augen authentisch macht, auch wenn es ähnlich wie für die Ermittler der Detektei einiges an Geduld erfordert. Mir wurde das jedenfalls nicht zu viel, zumal auch Cormorans und Robins Angestelle selbst einiges an interessanten Charakterzügen aufweisen - man muss ja nicht alles mögen, aber ein wenig Würze gab das schon. Und an einer Stelle habe ich Robins Reaktion richtiggehend gefeiert - mehr erzähle ich dazu nicht, da ich dann möglichen Leser:innen den Spaß verderben würde.
Das Ende hat mich dann tatsächlich kalt erwischt - alles schlüssig und logisch, keine Fragen blieben mehr offen, aber damit hätte ich niemals gerechnet. Chapeau.
Trotz des beschaulichen Tempos und der über lange Strecken gedrosselten Spannung habe ich jeden einzelnen Satz genossen. Das Hörbuch anzuschalten war wie nach Hause zu kommen - woran Dietmar Wunder als versierter Sprecher sicherlich seinen Anteil hatte. Aber natürlich vor allem die eigentliche Erzählung, in die ich jedesmal sofort wieder eintauchen konnte. J. K. Rowling ist einfach eine großartige Geschichtenerzählerin.
Und ich habe Lust, sofort weiterzuhören. Sofort!
Aber das dauert wohl noch etwas...
© Parden
Franz Hohler wandert vom Rheinfall in Schaffhausen bis zur Quelle am Tumasee - immer am Rhein entlang. Was der Autor dabei erlebt und sieht hielt er in diesem Buch fest.
Fazit: Der Schreibstil in diesem 29 Kapitel langen Buch ist meiner Meinung nach sehr ruhig, bildhaft und zügig zu lesen. Das Datum des jeweiligen Abschnitts der Wanderung steht unter dem Kapitel. Dieses Buch ist in meinen Augen eine Biographie und Tagebuch zugleich. Der Autor ist aber auch viele Etappen mit dem Zug gefahren. Ich sollte erwähnen dass es keine einzigen Bilder von den Wanderungen gibt - was mich sehr enttäuscht hatte. Da hätte ich mir bei so einem Buch mehr erwartet und erhofft. In diesem Buch gibt viel geschichliches und historisches entlang des Rheins zu lesen was ich insgesamt interessant fand. Die Städte und Orte werden genau beschrieben dabei war mir dieses Reisetagebuch atmosphärisch zu ruhig. Da hat mir das gewisse Extra gefehlt genauso die Bilder zur Unterstützung des gesamten. Der Autor erlebt bei seinen Wanderungen tragisches, lustiges und schönes. Trotzdem bin ich nie richtig in das Buch hineingekommen. Ich finde dass dem Leser der Erzählstil entgegenkommen sollte der mir zeitweise melancholisch vorkam und vergebe daher drei Sterne.
»Diese Stadt birgt Tausende verborgene Geschichten.«Vom Fensterputzer des größten Gebäudes der Niederlande, der drei Monate älter ist, wenn das letzte Fenster geputzt wird und dann wieder anfängt, bis hin zur Poletänzerin in einem Nachtclub, die den Autor bei ihrem Auftritt ansieht, wie es noch keine Frau getan hat. Er stellt dem Leser Menschen vor, die man nicht kennt, die einen aber umso mehr verzaubern: einen Taxifahrer mit Tourette-Syndrom; einen Feuerspucker, der es mit einem Panzer aufnimmt; einen Pianisten, der zwischen gebrauchten Waschmaschinen und Staubsaugern Konzerte gibt. Ein Buch voller Menschlichkeit und wunderbarer Geschichten, die dazu anregen, besser hinzusehen und zuzuhören. (Klappentext)
Ich verbringe immer wieder gerne einige Urlaubstage in den Niederlanden - am liebsten irgendwo am Meer, zwischendurch aber auch mal grenznah oder auch in Städten wie Amsterdam oder Haarlem. Aber Rotterdam? Bis auf eine kurze Hafenrundfahrt und Einblicke vom Wasser aus kenne ich von der Stadt bislang nichts, denn einer der größten Seehäfen der Welt und der größte Tiefwasserhafen Europas dominierte bisher für mich das Bild. Doch Ernest van der Kwast bietet mit diesem Buch voller kurzer Geschichten Einblicke der ganz anderen Art.
In seinen 60 Vignetten stellt er Menschen der Stadt vor, alltägliche Menschen, die hier kurz im Rampenlicht stehen und so in Erscheinung treten. Der Autor beobachtet nicht nur genau, er führt auch Gespräche mit diesen Menschen und schaut so hinter die Fassade und auf Lebensentwicklungen, die nicht immer geradlinig und dadurch umso interessanter sind. Auf Märkten, in Geschäften, bei der Arbeit, überall findet er sie und erfährt von Lebensträumen und aussterbenden Werten, von Engagement und schrägen Charakteren - ein buntes Kaleidoskop an Schicksalen, an denen wir meist achtlos vorübereilen.
Manche der Vignetten sind unterhaltsam, einige recht farblos, andere stimmen nachdenklich oder auch wehmütig. Ob nun der Taxifahrer mit Tourette-Syndrom (stelle ich mir sehr eindrucksvoll vor), der Frittürologe, der weltweit das einzige Mitglied der World Frying Federation ist, der Kontaktbereichsbeamte, der einmal pro Woche einen Tisch und zwei Stühle auf die Straße stellt und dort mit den Bewohnern spricht, um herauszufinden, was diese stört oder aufregt oder Unikate auf dem Markt - interessante Schicksale gibt es offenbar an jeder Ecke, man muss nur die Augen und Ohren offen halten. Abgesehen davon erfahren die Lesenden hier auch etwas über einzelne Stadtteile, besondere Orte oder Sehenswürdigkeiten - es formt sich wie nebenher auch ein Bild der Stadt, geprägt durch die Augen eines Einheimischen.
Die meist 2-3 Seiten langen Geschichtchen eignen sich hervorragend als Pausenlektüre bei der Arbeit oder auch des Abends kurz vor dem Einschlafen. So habe ich das Buch wohldosiert gelesen und konnte auf diese Art jede der Erzählungen genießen. 60 unterhaltsame Vignetten, die das Bild einer Stadt darstellen, kleine Perlen im Alltag.
© Parden
In den letzten Monaten sind in Liverpool und der näheren Umgebung mehrere junge Männer verschwunden. Doch erst als der Moderator einer True Crime Sendung ebenfalls verschwindet, steigt die Polizei intensiver in den Fall ein. Ruth Lake und ihr Chef Greg Carver haben noch mit den Nachwirkungen ihrer letzten Ermittlung zu kämpfen und sie beginnen erst zu ahnen, was jetzt auf sie zukommen kann. Bis sie zu einer Art Kunstinstallation gerufen werden, in der auch Leichenteile verwendet wurden. Die können unter anderem auch dem vermissten Moderator zugeordnet werden. Nun müssen Lake und Carver intensiv ermitteln.
Dies ist der zweite Fall von Carver und Lake, wobei man den ersten Teil nicht kennen muss, um den zweiten Fall zu verstehen. Carver ist als leitender Ermittler nach dem vorherigen Fall noch nicht wieder ganz fit. Doch auf Ruth Lake, die auch Fähigkeiten als Super-Recogniser hat, kann er sich verlassen, sie hält ihm den Rücken frei. Aber einige Informationen hält sie zurück. Nachdem festgestellt wurde, dass auch der Moderator entführt und getötet wurde, beginnen sie fieberhaft zu ermitteln. Was hat es mit dieser seltsamen Inszenierung auf sich? Kunst kann man es doch nicht nennen, oder?
Nicht ganz einfach auf über sechshundert Seiten eine Spannung zu erzeugen und aufrecht zu halten. Das ist hier gut gelungen. Man muss sich zwar zunächst in die Innenwelt der Ermittler hineindenken und ihre Traumata verstehen und auch mit diesen Inszenierungen, die der Täter Kunst nennt, muss man irgendwie hinnehmen, dann jedoch hat man einen fesselnden Fall, der mit seinen Finten und Winkelzügen überrascht. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten kommen einem auch die Ermittler näher und mit ihren Eigenheiten und ihrer unkonventionellen Art zu ermitteln werden sie einem sympathisch. Je näher die Ermittler der Lösung kommen, desto mehr muss man sich als Leser damit abfinden, dass man falsch lag. Und so soll ein Kriminalroman doch sein.
Kazuo Ishiguro ist ein Schriftsteller, dessen Roman „Alles, was wir geben mussten“ es auf meine „All-times-tops“ geschafft hat und deshalb ist jede neue Lektüre von diesem Schriftsteller dann auch immer wieder ein besonderes Erlebnis für mich. Nicht alle seine Bücher, die ich danach gelesenen habe, haben mich dann auch sehr glücklich gemacht, aber jedes verdient es, von mir Zeit geschenkt zu bekommen. Und so habe ich nun endlich seinen bekanntesten Roman „Was vom Tage übrig blieb“ gelesen.
Der Roman beschreibt ein paar Tage im Leben eines Butlers aus hohem Hause. Es sind Tage, die ihn aus seinem normalen Lebens herausgelöst zeigen, und in denen er Rückschau hält.
Sein Leben lang war Mr. Stevens, dessen Vornamen wir charakteristischerweise nicht kennen, Butler und hat sich voll und ganz in den Dienst seines Dienstherrn gestellt. Das war über den größten und wichtigsten Teil seines Berufslebens Lord Darlington, würdiger Hausherr von Darlington Hall. Doch die Zeiten ändern sich: Lord Darlington ist Vergangenheit, seine etwas dilettantischen Versuche, außenpolitische Schachzüge zwischen Hitlerdeutschland und Großbritannien anzustoßen, sind gescheitert; sein Anwesen gehört nun einem neureichen Amerikaner, der sich zwar redlich bemüht, in die Fußstapfen englischer Gentlemen zu treten, aber dafür weder den Hintergrund noch die finanziellen Möglichkeiten hat. Der vom Butler geführte Haushalt in Darlington Hall muss sich umgestalten, mit geschrumpftem Personalbestand auskommen und trotzdem im Takt der alten Zeit weiterschlagen und -funktionieren. So die unmögliche Aufgabe, vor die Butler Stevens gestellt ist.
Dabei ist er in seinem Element und kann diese fast unmögliche Aufgabe erstaunlich erfolgreich bewerkstelligen. Wesentlich schwerer fällt ihm da eine andere neue Herausforderung: ein lockerer, auch scherzhafte Züge tragender Umgang mit seinem Dienstherrn. Denn eines ist klar: wichtigstes Prinzip für ihn ist: Niemals aus der Rolle fallen. Ein Butler ist ein Butler, ist ein Butler!
„Ein Butler von einigem Format muss seine Rolle voll und ganz ausfüllen, muss gewissermaßen in ihr leben; er darf sich nicht dabei sehen lassen, wie er sie jetzt ablegt und im nächsten Augenblick wieder überstreift, als wäre sie nichts als das Kostüm eines Komödianten.“
Dieses „In der Rolle Bleiben“ ist für Stevens vor allem immer dann eine besondere Herausforderung, wenn es um die Kontakte zur Hausdame Mrs. Stenton gehen. Jahrelang haben beide unter Lord Darlington zusammengearbeitet und ihre Arbeit perfekt gemacht und ihre Rollen annähernd perfekt ausgefüllt. Und doch ist für den Leser unverkennbar, dass in dieser Beziehung zu Mrs. Stenton die Stelle in Stevens‘ Leben liegt, an der die Rollenwahrung ihn am stärksten an seine Grenzen führt. Unverkennbar ist die Anziehung, die beide aufeinander ausüben. Unverkennbar aber sind auch die Abwehrkräfte, die beide dem entgegensetzen, um, ja, in der Rolle zu bleiben. Mrs. Stenton verlässt Darlington Hall, um einen alten Kollegen zu heiraten und zieht in einen anderen Teil Englands. Jahre später finden die im Roman beschriebenen Tage im Leben des Butlers Stevens statt und zeigen ihn, wie er sich auf eine Autofahrt durch England begibt, um Mrs. Stenton nach vermeindlich gescheiterter Ehe wieder für die Arbeit in Darlington Hall oder zu noch mehr (?) zu gewinnen.
Nie hatte Stevens so viel Zeit und Abstand, um über sich und sein Leben nachzudenken wie auf dieser Reise ohne die Pflichten der Haushaltsführung. Der Leser begleitet Stevens auf dieser Erinnerungsreise über sein Leben und seine Arbeit und fiebert mit ihm der Begegnung mit Mrs. Stenton entgegen, die den Endpunkt der Reise darstellen soll. Diese Begegnung wird dann so unspektakulär und ereignislos wie alle „Annäherungen“, die zwischen beiden im Laufe ihres Lebens stattgefunden haben.
Am Ende gehen beide wieder auseinander und beschreiten weiter ihren getrennt verlaufenden Lebensweg. Nichts passiert zwischen den beiden und dennoch kann man diese Geschichte durchaus als „bittersüße Liebesgeschichte“ bezeichnen, wie es der Klappentext tut.
Ein moderner Klassiker, in dem Ishiguro einmal mehr sein ganzes Können gezeigt hat. Gern gebe ich 5 Sterne, aber „Alles, was wir geben mussten“ kann der Roman nicht aus meinen „All times-tops“ verdrängen.
Kazuo Ishiguro hat letztes Jahr den Literaturnobelpreis erhalten, Grund genug, einen Roman von ihm zu lesen bzw. zu hören. "Was vom Tage übrig blieb" stammt aus dem Jahr 1989 und wurde mit dem Booker Prize ausgezeichnet.
Worum geht es?
Der Roman erzählt die Lebensgeschichte des Butlers Stevens rückblickend aus seiner Perspektive. Im Jahr 1956 setzt die Handlung ein.
Lange stand Stevens im Dienst von Lord Darlington auf seinem Landsitz Darlington Hall. Inzwischen ist es an den amerikanischen Millionär Farraday verkauft, das Personal stark reduziert und viele Räume eingemottet. Aus der Sicht von Stevens schleichen sich unverzeihliche Fehler ein, so dass er beschließt Farradays Angebot, dessen fünfwöchigen Aufenthalt in den USA für einen Erholungsurlaub zu nutzen, anzunehmen.
Farraday stellt Stevens dafür den alten herrschaftlichen Ford zur Verfügung. Stevens Ziel ist Miss Kenton, die ehemalige Hauswirtschafterin von Darlington Hall, die in ihrem letzten Brief an ihn angedeutet hat, um ihre Ehe stehe es nicht zum Besten, zu besuchen. Stevens möchte sie fragen, ob sie bereit sei, wieder in Darlington Hall zu arbeiten, um den Personalnotstand zu beseitigen.
Auf seiner Reise reflektiert der alte Butler
über seine Arbeit,
darüber, was einen perfekten Butler ausmacht,
was Würde in seinem Beruf bedeutet,
wie er mit dem Wunsch seines neuen Dienstherren, mit ihm zu scherzen, umgehen soll.
Er erinnert sich aber auch an bedeutende geschichtliche Ereignisse,
wie eine geheime Konferenz im Jahr 1923, an dem ein Amerikaner, Franzose, Engländer und Deutsche teilgenommen haben, um über die Folgen des Versailler Vertrags zu diskutieren,
oder die Fürsprache der Appeasement-Politik durch Lord Darlington.
Er klammert auch weniger rühmliche Meinungsäußerungen und Einstellungen seines Dienstherren nicht aus, der zeitweise mit dem Faschismus sympathisiert hat, verhält sich jedoch - selbst in seinen Gedanken - loyal und findet entsprechende Ausreden, die zeigen, dass seine Wahrnehmung verzerrt ist.
Den Großteil seiner Reflexionen betreffen Miss Kenton selbst. Es ist offenkundig, dass sie in ihn verliebt ist und auch er entsprechende Gefühle für sie hegt - auch wenn er das niemals äußern würde - nicht einmal in seinen Gedanken.
Mit Spannung erwartet man das Treffen der beiden. Ob sich an ihrer Beziehung noch etwas ändern wird?
Bewertung
Das Augenscheinlichste an dem Roman ist die Art und Weise, wie Stevens erzählt, denn er verbirgt seine wahren Gefühle hinter einer Fassade aus Distanz und distinguierter Sprache. Kann man dem, was er erzählt, vertrauen? Oder ist es geprägt von seiner perfekten Rolle als Butler? Man muss schon sehr genau zwischen den Zeilen hören, um seine eigene Meinung, seine Trauer um den Tod des Vaters, seine Emotionen im Angesicht von Miss Kentons Heirat zu erahnen. Er tritt völlig hinter seiner Rolle zurück - der Mensch Stevens scheint nur ganz selten hindurch.
Stets haben eigene Bedürfnisse und auch Meinungen hinter den Aufgaben, die ein Butler mit Zurückhaltung erfüllen muss, zurückzustehen.
Am Ende des Romans deutet sich ein Wendepunkt an, das, "was vom Tage übrig blieb", zu genießen und vielleicht aus der perfekten Rolle herauszufallen.
Das Hörbuch, wunderbar gelesen von Gert Heidenreich, ist wirklich ein Genuss. Die würdevolle, reserviert-distanzierte Sprache Stevens ist einerseits faszinierend, andererseits steht sie Stevens persönlichem Glück im Weg, da sie seine Gefühle verbirgt.
Zwischen Urban Fantasy und Thriller
Die vierzehnjährige Ropa ist hochintelligent, mutig und entschlossen – und das muss sie auch sein, um in einer alternativen Version unser modernen Welt zu überleben, in der Geister nur allzu real sind. Als lizensierte Geistersprecherin ernährt sie sich, ihre Großmutter und ihre kleine Schwester, indem sie für eine entsprechende Gebühr die Botschaften der Toten an ihre Familien überbringt. Das reicht allerdings nur für eine karge Existenz in einem schäbigen kleinen Wohnwagen, und die korrupte Polizei knöpft ihr nur allzu oft auch noch die spärlichen Tageseinnahmen ab.
Eines Tages kommt der Geist einer jungen Frau zu ihr, die keine Botschaft zu überbringen wünscht – sie will wissen, was aus ihrem kleinen Sohn geworden ist, der vor ihrem Tod verschwand. Ropa entdeckt, dass in ganz Edinburgh Kinder verschwinden und verändert zurückkehren, nur noch Schatten ihrer selbst.
Bei ihren Ermittlungen stößt sie auf eine okkulte geheime Bibliothek, die Bibliothek der Toten. Und bevor sie sich versieht, braucht sie all ihre Ressourcen, um zu überleben: vor allem ihren scharfen Verstand und ihre afrikanisch-schottische Magie.
Die Welt, die T. L. Huchu hier entwirft, ist zutiefst originell, mit einem schlüssigen, geradezu wissenschaftlich anmutenden Magiesystem. Wir sind in der nahen Zukunft, nach einer nicht näher spezifizierten Katastrophe. Die Geschichte ist geistreich in doppeltem Sinne und ungemein vielschichtig; es fließen nicht nur Verweise auf die griechische Mythologie, die simbabwische Kultur und die schottische Geschichte ein, sondern auch gesellschaftskritische Themen wie Armut und Klassismus. Obwohl Ropa schwarz ist, wird Rassimus jedoch nur unterschwellig angedeutet.
Die Geschichte ist in gleichem Ausmaße Urban Fantasy wie Thriller, mit einer Prise Horror. Je tiefer Ropa in ihre Ermittlungen eintaucht, desto düsterer werden die Geschehnisse und desto größer die Gefahr. Dass Ropas forsche Art das Ganze mit verspieltem Humor etwas aufbricht, tut der Spannung keinen Abbruch.
Ropa ist eine großartige Protagonistin, einerseits rotzfreche schottische Straßengöre, andererseits Geistersprecherin mit simbabwischer Magie. In vielerlei Hinsicht ist sie weiser, als man es von einer vierzehnjährigen erwarten würde, denn sie musst schon früh erwachsen werden, um ihre kleine Familie zu beschützen und zu versorgen.
Auch die anderen Charaktere werden sehr schlüssig und komplex geschildert, sei es nun Ropas Großmutter oder einer ihrer geisterhaften Klienten.
T. L. Huchu hat einen wunderbaren Schreibstil, der Humor genauso gekonnt rüberbringt wie Spannung oder Tragik. Ich fühlte mich gelegentlich ein wenig an Ben Aaronovitch erinnert, doch Huchu hat doch seinen ganz eigenen Tonfall und Beat.
Fazit
»Die Bibliothek von Edinburgh« ist originell, spannend, mal lustig, mal tragisch – für mich eine perfekte Mischung, und dann noch mit einer fantastischen Protagonistin. Definitiv ein neues Lieblingsbuch, und jetzt muss ich schleunigst den zweiten Band lesen, bevor der dritte im Juli erscheint.
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